1) Die Natur offenbart sich dem forschenden Geiste nicht als ein bloßes Aggregat von Teilen, sondern als ein lebendiges Ganzes, das sich in stetiger Metamorphose, in fortwährender Umgestaltung seiner Gestalten und Formen zeigt. Wer die Erscheinungen des Organischen ergründen will, darf sich nicht mit der bloßen Beschreibung äußerlicher Merkmale begnügen, sondern muss die inneren Bildungsgesetze suchen, durch die das Einzelne aus dem Ganzen hervorgeht. Nicht das Sammeln von Fakten, sondern das Erfassen des Wesens, das sich im Wandel offenbart, führt zur wahren Erkenntnis der Natur. Die Pflanze, in ihrer Entwicklung von Keim zu Blüte und Frucht, zeigt das Gesetz der Metamorphose: Aus dem Stammblatt entfalten sich alle weiteren Organe, und jedes Glied der Pflanze ist Ausdruck ein und desselben Bildungsgesetzes. Das Lebendige offenbart sich nicht in der starren Form, sondern in der fortwährenden Umwandlung, in der schöpferischen Kraft, die aus dem Ganzen das Einzelne gestaltet. Auch im Tierreich ist es nicht die Addition von Teilen, sondern der innere Typus, das gestaltende Prinzip, das dem Organismus seine Einheit und seine Entwicklung verleiht. Die Naturwissenschaft, wie sie sich seit der Neuzeit entwickelt hat, bleibt im Bereich des Unorganischen stehen, wo Mechanik und Kausalität herrschen. Doch das Organische verlangt nach einer anderen Erkenntnisart: Hier muss der forschende Geist die Begriffe selbst beleben, muss die Ideen zur Anschauung führen, wie es in der künstlerischen Schöpfung geschieht. Die Trennung von Kunst und Wissenschaft ist zu überwinden, denn im lebendigen Erkennen begegnen sich beide: Die Wissenschaft wird zur Kunst, wenn sie das Wesen des Lebendigen erfasst. Das Denken, das sich in der Mathematik bewährt, reicht im Bereich des Organischen nicht aus. Hier ist ein höheres Erkenntnisvermögen gefordert, das die Erscheinungen nicht von außen betrachtet, sondern in das Gestaltende, das Schaffende eindringt. Die Natur offenbart sich dem, der sich ihr schöpferisch anschließt, der in seinem Erkennen selbst zum Mitschöpfer wird. So wird das Erkennen zur Tat, das Wissen zum Handeln, und der Mensch findet seinen Platz im großen Zusammenhang des Weltgeschehens. Gegenüber dem Atomismus, der alles auf kleinste Teile und deren mechanisches Zusammenspiel zurückführt, steht die Anschauung des lebendigen Ganzen, das sich in jedem Teil ausdrückt, aber nie im Einzelnen aufgeht. Die Welt ist nicht aus Atomen zusammengesetzt, sondern aus Kräften, aus schöpferischen Gestaltungen, die sich in den Erscheinungen der Natur offenbaren. In den Sprüchen in Prosa klingt diese Weltanschauung an: Das Göttliche wirkt im Innersten der Dinge, und der Mensch ist berufen, dieses Wirken zu erkennen und in sein eigenes Schaffen aufzunehmen. So führt der Weg von der Betrachtung der Natur zur Grundlegung einer Geisteswissenschaft, die das Lebendige im Denken erfasst und den Menschen als geistiges Wesen in den Zusammenhang der Welt stellt. Die Natur wird zum Spiegel des Geistes, und im Erkennen des Lebendigen offenbart sich das Wesen des Menschen selbst. 2) Die Welt erschließt sich dem Menschen durch die Erfahrung, doch ist diese Erfahrung nicht einfach ein passives Hinnehmen von Sinneseindrücken, sondern ein lebendiges Zusammenspiel von Wahrnehmung und Denken. Die Sinne liefern die Einzelheiten, das Denken aber ist es, das diese zu einem Ganzen verbindet, das die Vielheit der Eindrücke zum Begriff erhebt. In der Erfahrung liegt nicht bloß das, was die Sinne darbieten, sondern auch das, was der Geist in die Erscheinungen hineinlegt. So ist die Erfahrung von vornherein durchdrungen von der Tätigkeit des Denkens; sie ist nicht bloß ein Abbild der Außenwelt, sondern ein schöpferischer Akt des Bewusstseins. Das Denken selbst ist nicht bloß ein Werkzeug, das auf die Welt angewandt wird, sondern es ist ein Teil der Weltwirklichkeit. Im Denken offenbart sich das Geistige, das allem Seienden zugrunde liegt. Wer das Denken in seiner Reinheit erlebt, der steht mitten in der geistigen Wirklichkeit, nicht außerhalb oder getrennt von ihr. Das Denken ist nicht an den Leib gebunden, sondern es hebt den Menschen über das bloß Natürliche hinaus, macht ihn zum freien Geistwesen. Die Erkenntnis ist nicht beschränkt auf das, was die Sinne geben, sondern sie reicht bis in das Wesen der Dinge. Die Begriffe, die das Denken bildet, sind nicht bloß subjektive Konstruktionen, sondern sie entsprechen dem inneren Gehalt der Welt. Erkenntnis ist die Vereinigung von Wahrnehmung und Begriff, von Sinnlichem und Geistigem. In diesem Akt vollzieht sich das wahre Erkennen: Das Denken durchdringt die Erscheinungen und hebt sie auf eine höhere Ebene, auf der sich das Wesen der Dinge offenbart. Die Natur selbst ist nicht bloß eine Summe von Dingen, sondern ein lebendiger Zusammenhang, in dem das Geistige waltet. Die unorganische Natur zeigt das Gesetzmäßige, das sich im Denken wiederfindet; die organische Natur offenbart die Idee des Lebendigen, die im Einzelnen sich vielfältig gestaltet. Der Mensch als erkennendes Wesen steht nicht außerhalb dieser Natur, sondern ist in sie eingebettet und zugleich ihr bewusstes Gegenüber. Das menschliche Erleben reicht aber noch weiter: Im psychologischen Erkennen offenbart sich die Freiheit des Geistes. Der Mensch ist nicht bloß ein Produkt der Natur, sondern er kann sich selbst bestimmen, er kann aus dem Geistigen heraus handeln. In der Freiheit des Menschen liegt die Möglichkeit, das Dasein schöpferisch zu gestalten, die Welt nicht nur zu erkennen, sondern sie auch zu verwandeln. Optimismus und Pessimismus sind Haltungen, die aus dem Verhältnis des Menschen zur Welt entspringen. Wer das Geistige in der Welt erkennt, der wird zu einer bejahenden, schöpferischen Lebenshaltung geführt. Im künstlerischen Schaffen schließlich verbindet sich das Erkennen mit dem Gestalten: Der Künstler macht sichtbar, was als Idee im Geist lebt, er führt das Sinnliche und das Geistige zu einer höheren Einheit. So ist die Goethesche Weltanschauung eine, die das Erkennen nicht als bloßes Abbilden, sondern als lebendigen, schöpferischen Prozess begreift. Der Mensch ist berufen, das Geistige in der Welt zu erkennen und zu verwirklichen; er ist Mittler zwischen Sinnlichem und Geistigem, zwischen Natur und Freiheit. 3) Es gibt keinen Grund, die letzten Prinzipien der Welt außerhalb der uns gegebenen sinnlichen und geistigen Welt zu suchen. Der Trieb, nach dem Wesen der Dinge und ihren Urprinzipien zu forschen, ist untrennbar mit der Menschennatur verbunden. Die Annahme eines „Dinges an sich“, das unserem Erkennen unzugänglich bleiben müsse, ist ein Phantom, das nur durch unzureichende Untersuchung des Denkens entstand. Alles, was zur Erklärung und Ergründung der Welt notwendig ist, ist unserem Denken erreichbar. Die Annahme von außerhalb unserer Welt liegenden Prinzipien ist ein Vorurteil einer dogmatischen Philosophie, die ihre Zeit überlebt hat. Nicht das Ziel, die Grenzen des Erkennens aufzuzeigen, sondern die Fähigkeiten des Erkennens selbst zu bestimmen, ist die Aufgabe der Philosophie. Die Wahrheit ist nicht ein bloßes Abbild eines außerhalb liegenden Realen, sondern ein freies Erzeugnis des menschlichen Geistes. Sie existiert nur, weil wir sie hervorbringen. Erkenntnis wiederholt nicht einfach etwas schon Vorhandenes, sondern schafft ein neues Gebiet, das mit der sinnlich gegebenen Welt erst die volle Wirklichkeit ausmacht. Der Mensch ist nicht ein bloßer Zuschauer, sondern tätiger Mitschöpfer des Weltprozesses. Das Erkennen ist das vollendetste Glied im Organismus des Universums. Auch die Gesetze unseres Handelns und unsere sittlichen Ideale sind nicht das Abbild eines außer uns Befindlichen. Sie sind unser eigenes freies Erzeugnis. Es gibt keine äußere Macht, die uns unsere Sittengesetze gebietet. Der „kategorische Imperativ“ ist keine Stimme aus dem Jenseits, sondern das, was wir uns selbst als Norm unseres Handelns vorschreiben. Die Wahrheit als Freiheitstat begründet eine Sittenlehre, deren Grundlage die vollkommen freie Persönlichkeit ist. Immer wenn wir ein Motiv unseres Handelns klar erkennend durchdringen, machen wir eine Eroberung im Gebiet der Freiheit. Die Analyse des Erkenntnisaktes zeigt, dass die subjektive Form, in der uns die Welt zunächst erscheint, im Erkenntnisprozess selbst überwunden wird. Die sogenannte Erfahrung, die oft als das einzig Gewisse gilt, ist gerade das Subjektivste. Der objektive Idealismus ergibt sich als notwendige Folge einer sich selbst verstehenden Erkenntnistheorie. Die Spaltung der Wirklichkeit in gegebenes Sein und Begriff hat ihren Grund im Erkenntnissubjekt und wird im Erkenntnisprozess vermittelt. Die Erhöhung des Daseinswertes der menschlichen Persönlichkeit ist das Endziel aller Wissenschaft. Wissenschaft erhält ihren wahren Wert erst durch die philosophische Darlegung der menschlichen Bedeutung ihrer Resultate. Die Philosophie der Freiheit ist das Ziel, auf das diese Gedanken hinauslaufen. 4) Es gibt eine Möglichkeit, das Wesen des Menschen so zu erfassen, dass diese Erkenntnis zur Grundlage aller weiteren Erfahrungen und wissenschaftlichen Untersuchungen werden kann. Zwei Grundfragen stehen im Zentrum: Wie kann der Mensch sich selbst so anschauen, dass diese Selbsterkenntnis tragfähig ist für alles, was ihm im Leben begegnet? Und: Ist der Mensch als wollendes Wesen frei, oder ist seine Freiheit eine bloße Illusion, weil sein Wollen letztlich von Notwendigkeiten bestimmt wird, die er nicht durchschaut? Das bewusste menschliche Handeln steht im Spannungsfeld zwischen der Überzeugung, der Mensch sei ein freies Wesen, und der Annahme, er sei vollständig den Naturgesetzen unterworfen. Die Freiheit des Willens wird von vielen als höchstes Gut, von anderen als größte Illusion angesehen. Die Frage nach der Freiheit ist keine bloße Spekulation, sondern eine Grundfrage des Lebens, der Religion, der Praxis und der Wissenschaft. Es gilt, das Denken als ein eigenständiges, von äußeren Wahrnehmungen unabhängiges Element zu betrachten. Das Denken ist nicht bloß ein Spiegelbild der Außenwelt, sondern eine schöpferische Kraft, durch die der Mensch sich selbst und die Welt erkennt. Wahrnehmung und Begriff sind die beiden Pole, aus denen sich die Welt des Erkennens zusammensetzt. Die Wahrnehmung gibt das Einzelne, das Denken verbindet es zum Allgemeinen. Erst im Denken wird die Welt zur Einheit. Die Welt als Wahrnehmung ist zunächst eine Summe von Einzelheiten, die erst durch das Denken zu einem Ganzen verbunden werden. Das Erkennen der Welt ist ein Prozess, in dem der Mensch aktiv ist, nicht ein passives Empfangen von Eindrücken. Die menschliche Individualität zeigt sich darin, dass jeder Mensch aus dem Ganzen der Welt seine eigene, individuelle Perspektive gewinnt. Gibt es Grenzen des Erkennens? Die scheinbaren Grenzen entstehen nur, wenn das Denken nicht als aktiver Faktor erkannt wird. Die wahre Erkenntnis beginnt, wo der Mensch sich als denkendes Wesen erlebt und die Welt nicht nur von außen, sondern von innen her erfasst. Die Faktoren des Lebens – Trieb, Gefühl, Vorstellung – sind die Kräfte, aus denen das Handeln entspringt. Die Idee der Freiheit besteht darin, dass der Mensch nicht bloß von Trieben und äußeren Einflüssen bestimmt wird, sondern aus der Kraft des Denkens und der moralischen Intuition heraus handeln kann. Freiheit ist dort verwirklicht, wo das Handeln aus reiner Einsicht in das sittlich Notwendige entspringt, nicht aus blinder Nachahmung oder äußerem Zwang. Der Monismus, der die Einheit von Geist und Natur anerkennt, führt zu einer Freiheitsphilosophie, in der der Mensch als schöpferisches, geistiges Wesen verstanden wird. Der Lebenszweck des Menschen liegt darin, seine Individualität zu entfalten und aus freiem Entschluss zu handeln. Die moralische Phantasie ist die Fähigkeit, in jeder konkreten Lebenslage das sittlich Richtige zu erkennen und zu verwirklichen. Nicht die allgemeine Regel, sondern die individuelle, schöpferische Tat ist das Ziel wahrer Moralität. Der Wert des Lebens bemisst sich nicht an äußeren Maßstäben, sondern an der Möglichkeit, das eigene Wesen in Freiheit zu entfalten. Das Verhältnis von Individualität und Gattung zeigt, dass jeder Mensch eine einmalige, unverwechselbare Ausprägung des Allgemeinen ist. Die Konsequenz des monistischen Weltbildes ist die Anerkennung des Menschen als freies, geistiges Wesen, das in der Lage ist, aus sich selbst heraus Sinn und Richtung seines Lebens zu bestimmen. 4a) Das menschliche Leben steht im Spannungsfeld zwischen Notwendigkeit und Freiheit. Die Frage nach der Freiheit ist keine abstrakte, sondern eine, die in jedem Menschen als inneres Bedürfnis lebt. Freiheit ist nicht bloß ein Traum oder eine Illusion, sondern kann zur Wirklichkeit werden, wenn der Mensch sich selbst und die Welt erkennt. Das Erkennen ist keine passive Aufnahme von Eindrücken, sondern ein aktiver Prozess, in dem das Denken die Welt erschließt. Im Denken offenbart sich die geistige Natur des Menschen; es ist das Werkzeug, mit dem wir die Welt begreifen und uns selbst zum freien Wesen machen. Die Welt erscheint zunächst als Wahrnehmung, als Mannigfaltigkeit von Eindrücken, die auf uns einströmen. Doch diese Wahrnehmungen sind nicht die Wirklichkeit selbst, sondern nur ein Teil davon. Erst im Denken verbinden wir die einzelnen Wahrnehmungen zu einem Ganzen, erst im Denken erschließen wir den Sinn der Welt. Das Denken ist nicht subjektiv, sondern hat objektiven Charakter, denn es ist in jedem Menschen gleich und führt uns über das bloß Persönliche hinaus. Freiheit zeigt sich im Handeln, wenn der Mensch nicht aus bloßem Trieb, aus äußerem Zwang oder blindem Gehorsam handelt, sondern aus Einsicht in das, was er als das Richtige und Gute erkannt hat. Das moralische Handeln entspringt dann nicht einer äußeren Autorität, sondern der inneren Notwendigkeit, die aus dem eigenen Denken hervorgeht. Der freie Mensch fragt nicht: Was soll ich tun? – sondern: Was erkenne ich als das Richtige? Er folgt nicht äußeren Geboten, sondern seinem eigenen, im Denken ergriffenen moralischen Impuls. Der Wille ist nicht eine dunkle, unbewusste Kraft, sondern kann durch das Denken erleuchtet werden. Wo Denken und Wollen sich durchdringen, wird der Mensch zum Schöpfer seiner eigenen Taten. Freiheit ist dann gegeben, wenn das Handeln aus der Intuition, aus dem reinen, individuellen Erkennen des moralisch Notwendigen entspringt. In jedem Menschen lebt die Möglichkeit, zum freien Wesen zu werden, indem er sich selbst erkennt und aus dieser Erkenntnis heraus handelt. Das Ziel ist nicht, eine abstrakte Idee der Freiheit zu verkünden, sondern den Weg zu zeigen, wie der Mensch in der Wirklichkeit zum freien Wesen werden kann. Freiheit ist kein Geschenk, sondern eine Aufgabe, die jeder Mensch sich selbst stellen muss. Sie verwirklicht sich im Denken, im Erkennen und im Handeln, das aus dem eigenen, individuellen Geist hervorgeht. 5) Ich stehe vor euch, um das Wesen Friedrich Nietzsches zu schildern, als eines Menschen, der als Einzelgänger und Rätselfreund, als Unzeitgemäßer seinen eigenen Weg sucht. Die Einsamkeit, die Nietzsche wählt, ist keine Pose, sondern Ausdruck eines inneren Dranges, sich von den Konventionen und Instinkten seiner Zeitgenossen abzusondern. Was andere mit Selbstverständlichkeit empfinden – Schuld, Sünde, Ideal, Vaterland – stößt ihn instinktiv ab, nicht aus kühler Überlegung, sondern mit der Unmittelbarkeit eines Schmerzes, den das Auge an einer grellen Farbe erfährt. Nietzsche ist nicht einer jener Freigeister, die nur im Denken modern sind, während ihre Instinkte noch an den alten Vorstellungen hängen; bei ihm sind Denken und Instinkt gleichermaßen befreit. Die Entwicklung Nietzsches ist keine Reihe von Meinungswechseln, sondern ein organisches Aufsteigen zu immer größerer Klarheit und Selbständigkeit. In den frühen Schriften ringt er, sucht, prüft, was aus der Tradition noch zu retten sei. Doch je weiter er schreitet, desto entschiedener wird sein Bruch mit den überkommenen Werten, bis er im Zarathustra und in den späten Werken auf dem Gipfel seiner Eigenart steht. Das Ziel dieser Entwicklung ist der Übermensch – nicht ein mystisches Ungetüm, sondern der Mensch, der sich über die alten Bindungen erhebt, der seine eigenen Werte schafft, der aus innerer Notwendigkeit handelt und sich nicht mehr von auferlegten Idealen oder äußeren Autoritäten bestimmen lässt. Der Übermensch ist kein Herrscher über andere, sondern Herr seiner selbst. Er ist der, der den Mut hat, zu sich selbst Ja zu sagen, der das Leben in seiner Fülle bejaht, auch das Leid, auch den Irrtum, und der aus dieser Bejahung neue Kraft schöpft. Die Moral der Herde, die auf Gleichmacherei und Schwäche beruht, ist ihm fremd; er fordert eine Moral der Starken, der Schöpferischen, der Selbständigen. Der Wille zur Macht, der alles Lebendige durchdringt, ist nicht bloß Streben nach äußerer Herrschaft, sondern der innere Drang, sich zu entfalten, zu wachsen, sich zu steigern. Nietzsche ist kein Messias, kein Religionsstifter; er will keine Gläubigen, sondern freie Menschen, die sich selbst suchen und finden. Wer ihm folgt, soll ihn überwinden, soll sich selbst zum Maßstab machen. Die alten Götter sind tot, aber an ihre Stelle darf kein neuer Götze treten – auch nicht Nietzsche selbst. Wer wirklich Nietzsches Geist erfasst, der weiß: Es gibt keine ewigen Wahrheiten, sondern nur den immerwährenden Prozess des Werdens, des Schaffens, des Über-sich-Hinausgehens. Das Christentum, wie es sich in der Geschichte entfaltet hat, erscheint Nietzsche als Ausdruck einer Lebensverneinung, einer Umwertung aller Werte zugunsten der Schwachen, der Kranken, der Bedürftigen. Dagegen setzt er den Typus des freien Geistes, der das Leben bejaht, der auch das Tragische, das Schwere, das Schicksalhafte nicht flieht, sondern in sich aufnimmt und verwandelt. Die Philosophie Nietzsches ist ein Kampf gegen die Zeit, gegen die Verflachung, gegen die Schwäche, gegen alles, was das Leben klein und eng macht. In der Betrachtung von Nietzsches Leben und Werk wird deutlich, wie sehr seine Philosophie auch Ausdruck seiner eigenen Persönlichkeit ist, seines Leidens, seines Ringens, seiner Einsamkeit. Doch gerade aus dieser Einsamkeit, aus diesem Leiden wächst die Kraft, neue Werte zu schaffen. Nietzsche ist der große Fragende, der große Verneiner, aber auch der große Bejaher. Seine Botschaft ist eine Herausforderung: Werde, der du bist! Schaffe dich selbst! Wage es, frei zu sein! 6) Das Wesen der Weltanschauung Goethes offenbart sich nicht in abstrakten Theorien, sondern im lebendigen, unmittelbaren Erleben der Natur und des Geistes. Die Erscheinungen der Welt treten mir entgegen als ein fortwährender Strom von Metamorphosen, in denen sich das Geistige im Sinnlichen offenbart. Ich suche nicht nach fertigen, abgeschlossenen Erklärungen, sondern nach dem lebendigen Zusammenhang, nach der inneren Gesetzmäßigkeit, die sich in den Dingen selbst ausspricht. Die Natur ist für mich kein Mechanismus, der durch äußere Ursachen bewegt wird, sondern ein Organismus, dessen Teile sich gegenseitig durchdringen und bedingen. In allem, was mir entgegentritt, suche ich das Gemeinsame, das sich in unendlicher Mannigfaltigkeit ausprägt, und so gelange ich zur Idee der Metamorphose, die das Grundprinzip aller Entwicklung ist. In der Pflanzenwelt offenbart sich mir diese Metamorphose in der Gestaltbildung, in der fortwährenden Umwandlung eines Urorgans, das sich zur Wurzel, zum Blatt, zur Blüte, zur Frucht entfaltet. In der Farbenlehre erfahre ich, wie das Licht, im Widerstand gegen die Finsternis, die Farben hervorbringt, und wie im Wechselspiel von Subjekt und Objekt, von Auge und Licht, die Farbenwelt entsteht. Ich erkenne, dass die Natur nicht außerhalb des Menschen steht, sondern dass der Mensch mit seinem Geist und seinen Sinnen ein Glied im Ganzen ist, das sich in der Erkenntnis der Natur selbst erkennt. Die platonische Weltanschauung, die das Sinnliche als bloßen Abglanz des Übersinnlichen betrachtet, vermag das Lebendige nicht zu erfassen. Sie trennt, was in Wirklichkeit eins ist: Idee und Erscheinung, Geist und Natur. Ich überwinde diese Trennung, indem ich das Ideelle im Sinnlichen selbst aufsuche. Die Idee ist nicht ein abstraktes Schema, sondern das innerste Wesen der Dinge, das sich in der Erscheinung offenbart. So wird mir die Welt zum Ausdruck des Geistes, und der Geist offenbart sich in der Welt. In der Betrachtung der Geschichte, der Erde, der Atmosphäre suche ich nicht nach äußeren Ursachen, sondern nach den inneren Kräften, die das Werden und Vergehen durchdringen. Ich sehe die Erde als einen lebendigen Organismus, dessen Erscheinungen aus einem inneren Zusammenhang hervorgehen. In allem, was ich betrachte, suche ich das Gesetz des Werdens, das sich in unendlicher Vielfalt offenbart. Die Persönlichkeit ist für mich nicht ein abgeschlossenes, fertiges Wesen, sondern ein werdender, sich entwickelnder Organismus. Die Weltanschauung eines Menschen ist Ausdruck seiner innersten Natur, seines individuellen Geistes. In Goethe lebt diese Anschauung als ein Streben nach dem Ganzen, nach der Einheit von Natur und Geist, von Sinnlichem und Übersinnlichem. Die moderne Wissenschaft, die sich auf äußere Beobachtung und Analyse beschränkt, bleibt hinter dieser Weltanschauung zurück. Sie zerlegt die Erscheinungen, ohne ihren inneren Zusammenhang zu erfassen. Was fruchtbar ist, allein ist wahr: Die Erkenntnis muss ins Leben eingreifen, muss das Denken mit dem Erleben verbinden. In diesem Sinne ist Goethes Weltanschauung ein Vorbild für eine zukünftige Wissenschaft, die das Lebendige im Ganzen erfasst und das Geistige im Sinnlichen erkennt. 7) Der Weg zur Erkenntnis des Geisteslebens führt über das Erkennen des eigenen Inneren. Was die antiken Mysten als „Erkenne dich selbst“ in die Welt stellten, das lebt weiter in den großen Gestalten der Mystik, die in den Jahrhunderten zwischen Mittelalter und Neuzeit wirkten. In der Tiefe des eigenen Wesens, da, wo das Ich sich selbst begegnet, öffnet sich der Zugang zu den Quellen des Geistigen. Die Mystik ist nicht Flucht vor der Welt, sondern das mutige Eindringen in das eigene Innere, um von dort aus das Wesen der Welt zu erfassen und zu ergreifen. Meister Eckhart lehrt, dass der Mensch in der Versenkung das Göttliche in sich entdecken kann. Nicht außerhalb, sondern im eigenen Seelengrund leuchtet das Licht des Geistes auf. Das Ich, das sich selbst erkennt, wird zum Gefäß für das Göttliche. Die Gottesfreundschaft, wie sie in den Schriften der mittelalterlichen Mystiker erscheint, ist das lebendige Erleben des Einsseins mit dem Ursprung allen Seins. In der inneren Sammlung, im Loslassen aller äußeren Bilder und Vorstellungen, wächst die Gewissheit, dass das Göttliche nicht fern, sondern im eigenen Inneren gegenwärtig ist. Nikolaus von Kues führt diesen Weg weiter, indem er das Denken selbst zur mystischen Erfahrung erhebt. Das Streben nach Erkenntnis, das sich nicht mit dem Gegebenen begnügt, sondern immer weiter fragt, findet seine Erfüllung im Bewusstsein der eigenen Begrenztheit. In der docta ignorantia, im wissenden Nichtwissen, offenbart sich die Unendlichkeit des Geistes. Die Wahrheit ist nicht Besitz, sondern immerwährende Annäherung, ein lebendiger Prozess, in dem das Denken über sich selbst hinauswächst. Paracelsus und Agrippa von Nettesheim zeigen, dass die Natur nicht bloß äußeres Objekt ist, sondern durchdrungen vom Geist. Die Natur wird zum Buch, in dem das Geistige gelesen werden kann, wenn das Bewusstsein sich auf das Wesentliche richtet. Die Erkenntnis der Natur ist nicht getrennt von der Selbsterkenntnis, sondern beide sind zwei Seiten eines Weges, der zur Einheit mit dem Ursprung führt. Valentin Weigel und Jakob Böhme vertiefen die Erfahrung des Inneren. In der Stille, im Schweigen, im inneren Schauen wird das Licht geboren, das die Welt erhellt. Die wahre Erkenntnis ist nicht bloßes Wissen, sondern ein Durchbruch zu einer neuen Bewusstseinsstufe, in der das Ich sich als Teil des göttlichen Lebens erkennt. Die Welt ist Spiegel des Geistes, und im Menschen vollzieht sich das Erwachen des Göttlichen zu sich selbst. Giordano Bruno und Angelus Silesius führen den mystischen Impuls in die Neuzeit. Die Unendlichkeit des Universums, die Bruno verkündet, ist Spiegel der unendlichen Möglichkeiten des Geistes. Der Cherubinische Wandersmann von Angelus Silesius singt das Lied der Einheit, in dem alle Gegensätze aufgehoben sind. Die Mystik wird zur Lebenshaltung, zur immerwährenden Bewegung zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, zwischen Ich und Gott. So zeigt sich, dass die Mystik nicht im Widerspruch zur modernen Weltanschauung steht, sondern deren tiefsten Impuls aufnimmt und verwandelt. Die Naturwissenschaft, die das äußere Erfassen der Welt zur höchsten Blüte gebracht hat, muss sich mit der inneren Erfahrung verbinden, um zur wahren Geist-Erkenntnis zu gelangen. Die Mystik ist der Quellgrund, aus dem das neue Geistesleben hervorgehen kann, das die Trennung von Natur und Geist überwindet und den Menschen in sein wahres Wesen einführt. 8) In den alten Mysterienkulten offenbart sich das Streben des Menschen nach Erkenntnis des Geistigen, nach einer Erfahrung, die über das bloße sinnliche Wahrnehmen hinausführt. In den heiligen Stätten der Mysterien wurde der Mensch in eine Welt eingeführt, in der er das Werden, das Vergehen und das Wiedererstehen des Lebens unmittelbar erleben konnte. Die Mythen, die aus diesen Mysterien hervorgingen, sind keine bloßen Dichtungen, sondern Ausdruck einer tieferen Wahrheit, einer Wahrheit, die sich in Bildern und Symbolen offenbart und in der Menschenseele eine Verwandlung bewirkt. Die griechischen Weisen vor Plato, die großen Philosophen, schöpfen aus dieser Mysterienweisheit. Sie suchen nicht bloß nach abstrakten Begriffen, sondern nach einer lebendigen Schau des Geistigen. In Plato lebt die Kraft des Mystikers; seine Ideenlehre ist aus der Erfahrung der geistigen Welt geboren, aus dem Erleben der ewigen Urbilder, die allem Sinnlichen zugrunde liegen. Die platonische Philosophie ist ein Nachklang der großen Mysterien, eine Fortsetzung des uralten Strebens nach Vereinigung mit dem Göttlichen. Die ägyptische Mysterienweisheit zeigt in ihren Einweihungsriten, wie der Mensch durch den Tod hindurch zu einer höheren Erkenntnis gelangt, wie das irdische Leben nur eine Stufe auf dem Weg zur geistigen Wiedergeburt ist. In den Mythen von Osiris und Isis lebt das Wissen um das ewige Leben, um das Überwinden des Todes durch das Geistige. In den Evangelien begegnet uns das Christus-Ereignis als die Erfüllung all dessen, was in den vorchristlichen Mysterien als Sehnsucht und Verheißung lebte. Das Leben, Sterben und Auferstehen Christi ist nicht bloß ein historisches Geschehen, sondern eine mystische Tatsache, ein Vorgang, der sich im Innersten der Menschenseele vollziehen kann. Das Lazarus-Wunder offenbart die Kraft des Christus, den Menschen aus dem Todesschlaf des bloß Irdischen zu erwecken und ihn zur Schau des Ewigen zu führen. Die Apokalypse des Johannes ist ein Bild der geistigen Entwicklung der Menschheit. In ihren Visionen wird offenbar, wie der Mensch durch Prüfungen und Läuterungen hindurch zur Vollendung geführt wird, wie das Geistige immer mehr in das Irdische einströmt und die Welt verwandelt. Jesus von Nazareth steht in einem geschichtlichen Zusammenhang, der von den alten Mysterien bis zu seiner Zeit reicht. Doch in ihm vollzieht sich ein einzigartiger Wandel: Die Kräfte, die bisher in den Mysterien verborgen wirkten, treten nun offen in die Welt. Das Wesen des Christentums besteht darin, dass das Göttliche nicht mehr nur in abgeschiedenen Tempeln gesucht werden muss, sondern im Leben selbst, im alltäglichen Dasein des Menschen, wirksam wird. Das Christentum ist nicht bloße Fortsetzung der vorchristlichen Mysterien, sondern deren Erfüllung und Überwindung. Es bringt eine neue Kraft in die Welt, die Kraft der Liebe, die alles Irdische durchdringt und verwandelt. In Augustinus und der Kirche wird sichtbar, wie das Christentum sich in der Geschichte entfaltet, wie es ringt, die geistige Wahrheit in den Formen der Zeit zu bewahren. So offenbart sich das Christentum als eine mystische Tatsache, als das Ereignis, in dem das Geistige in die Geschichte eintritt und der Mensch aufgerufen ist, dieses Geistige in sich selbst zu erleben und zu verwirklichen. 9) Es gibt eine verborgene Weisheit, die dem Menschen zugänglich wird, wenn er das innere Sinneswerkzeug in sich entfaltet, das ihn zur Erkenntnis der übersinnlichen Welt befähigt. Die äußeren Sinne offenbaren nur einen Teil des Daseins; das wahre Wesen des Menschen, seine Bestimmung und seine Beziehung zum Göttlichen erschließen sich erst durch eine höhere Erkenntnis, die jedem offensteht, der mit Geduld und Ausdauer das geistige Auge in sich öffnet. Nicht Gelehrsamkeit, sondern die Kraft des Wahrheitsgefühls und ein unbefangenes Denken sind die Voraussetzungen, um diese Erkenntnisse aufzunehmen. Die Theosophie ist die Wissenschaft von dieser höheren Wirklichkeit, und sie gibt Antwort auf die tiefsten Fragen des Menschen nach seinem Ursprung, seinem Wesen und seinem Ziel. Der Mensch besteht aus mehreren Gliedern: dem physischen Leib, der den Naturgesetzen unterliegt; dem Lebensleib, der als Träger der Lebenskraft das Wachstum und die Erneuerung ermöglicht; dem Astralleib, der das Bewusstsein und die Empfindungen trägt; und dem Ich, das als geistiges Zentrum die anderen Glieder durchdringt und verwandelt. Im Ich liegt die Kraft zur Selbsterkenntnis und zur Freiheit, zur Entwicklung der moralischen Individualität. Der Mensch lebt nicht nur einmal auf Erden, sondern sein Geist verkörpert sich wiederholt, um an den Erfahrungen und Taten zu reifen. Das Schicksal, das sich in Glück und Leid, in Begegnungen und Aufgaben zeigt, ist das Ergebnis früherer Taten und Erlebnisse; es ist Ausdruck der geistigen Gesetzmäßigkeit, die das Leben durchwaltet. Die Welt, in der der Mensch lebt, ist gegliedert in drei Bereiche: die physische Welt, die sinnlich wahrnehmbar ist; die Seelenwelt, in der Empfindungen, Begierden und Leidenschaften wirken; und die Geisteswelt, in der die ewigen Urbilder und geistigen Wesenheiten ihren Ursprung haben. Alles, was in der sinnlichen Welt erscheint, hat seine Wurzeln in der Geisteswelt. Die Seele des Menschen steht zwischen diesen Welten und kann durch Entwicklung ihrer Fähigkeiten bewusst in die höheren Bereiche eindringen. Der Weg zur Erkenntnis des Übersinnlichen verlangt eine Schulung der inneren Kräfte: Aufmerksamkeit, Konzentration, Meditation und Hingabe an die Wahrheit. Durch solche Übungen wird das Denken lebendig und unabhängig von den Sinnen, das Fühlen geläutert und das Wollen gestärkt. Der Mensch lernt, die geistigen Tatsachen unmittelbar zu erleben, so wie er die sinnlichen Dinge wahrnimmt. Auf diesem Erkenntnispfad begegnet er Prüfungen und Gefahren, aber auch Helfern und Führern aus der geistigen Welt. Die Entwicklung des Menschen ist eingebettet in einen kosmischen Zusammenhang; sie dient nicht nur dem Einzelnen, sondern dem Fortschritt der ganzen Menschheit und der Welt. 10) Der Mensch trägt in sich die Möglichkeit, Erkenntnisse der höheren Welten zu erlangen. Diese Fähigkeit ruht in jedem, doch sie muss geweckt und gepflegt werden durch bewusste Seelenübungen und eine bestimmte Lebenshaltung. Nicht durch äußere Mittel, sondern durch innere Arbeit, durch Schulung von Denken, Fühlen und Wollen, kann der Mensch die Schwelle zur übersinnlichen Welt überschreiten. Es gilt, bestimmte Bedingungen zu erfüllen: Wahrhaftigkeit, Geduld, Mut, Unerschrockenheit und die Fähigkeit, sich in sich selbst zurückzuziehen und innere Ruhe zu finden. Die Seele muss lernen, sich von den Stürmen der äußeren Welt unabhängig zu machen und in sich einen festen, ruhigen Mittelpunkt zu bilden. Die erste Stufe auf dem Schulungsweg ist die Vorbereitung. Hier übe ich, meine Aufmerksamkeit auf die kleinen Dinge des Lebens zu richten, Achtsamkeit zu entwickeln, die Gedanken zu beherrschen und die Gefühle zu ordnen. Ich lerne, meine Vorurteile zu erkennen und abzulegen, mich in die Gedanken und Empfindungen anderer einzufühlen, ohne mich selbst zu verlieren. Die Seele soll wie ein aufmerksamer Gärtner werden, der sorgsam die Saat des Geistes pflegt. Mit der Erleuchtung beginnt das bewusste Erleben der geistigen Welt. Bilder und Eindrücke tauchen auf, die nicht aus der Sinneswelt stammen. Ich lerne, diese Bilder zu unterscheiden von bloßen Phantasien, indem ich sie prüfe, sie in innerer Ruhe betrachte und ihr Wesen zu erfassen suche. Die Seele wird hellhörig für die Sprache der geistigen Welt, sie lernt, die Zeichen und Symbole zu lesen, die ihr entgegenkommen. Die Einweihung ist die nächste Stufe. Hier wird der Mensch mit den Hütern der Schwelle konfrontiert, mit den eigenen Schattenseiten und mit den kosmischen Kräften, die den Zugang zur höheren Erkenntnis bewachen. Ich muss lernen, mich selbst zu erkennen, mich zu überwinden, die Angst vor dem Unbekannten zu besiegen und in Demut und Klarheit den Weg weiterzugehen. Die Seele erfährt, dass Leben und Tod, Licht und Finsternis, Freude und Leid auf einer höheren Ebene zusammengehören und dass wahre Erkenntnis immer mit innerer Verwandlung verbunden ist. Die praktische Geistesschulung verlangt ständige Aufmerksamkeit, Selbstprüfung und die Bereitschaft, immer wieder neu zu beginnen. Ich übe, die Gedanken zu lenken, die Gefühle zu reinigen, den Willen zu stärken. Ich lerne, die Kontinuität des Bewusstseins zu bewahren, auch im Schlaf und im Traum, und die Spaltung der Persönlichkeit zu überwinden, die durch die Berührung mit der geistigen Welt entstehen kann. Der Weg zur höheren Erkenntnis ist ein Weg der inneren Entwicklung, der mich verwandelt und mich befähigt, nicht nur für mich selbst, sondern für die ganze Menschheit zu wirken. 11) In den Tiefen der geistigen Welt offenbart sich die Geschichte der Menschheit als ein fortwährender Entwicklungsprozess, der weit über das hinausgeht, was die äußere Wissenschaft zu fassen vermag. Die gegenwärtige Kultur, so sehr sie sich auf die Errungenschaften der Naturwissenschaft stützt, steht an einem Wendepunkt: Die materialistische Weltanschauung, die das Geistige auf bloße Atombewegungen zurückführen will, stößt an ihre Grenzen. Denn das Wesen des Menschen, seine Empfindungen, Gedanken und sein innerstes Sein, entziehen sich jeder mechanistischen Erklärung. Die Seele lebt in einer Sphäre, die durch keine sinnliche Wahrnehmung, durch kein Mikroskop, durch keine Zergliederung der Materie jemals erreicht werden kann. Um das wahre Werden des Menschen und der Erde zu verstehen, muss der Blick in die Akasha-Chronik gerichtet werden, in jene geistige Weltenschrift, in der alles Vergangene, Gegenwärtige und Künftige aufgezeichnet ist. Dort zeigt sich, dass der Mensch nicht aus bloßer Tierheit hervorgegangen ist, sondern dass er von Anfang an als geistiges Wesen in die Entwicklung eingetreten ist. Die gegenwärtige Menschheit ist das Ergebnis zahlloser Verkörperungen, die aufeinanderfolgende Epochen durchmessen haben. In der atlantischen Zeit lebten die Menschen in einer ganz anderen Bewusstseinsform; sie waren durchdrungen von Bildern und Imaginationen, ihre Seelenkräfte waren noch nicht so stark an den Leib gebunden wie heute. Die atlantischen Vorfahren besaßen Fähigkeiten, die dem heutigen Menschen verloren gegangen sind, weil sie sich immer mehr dem sinnlichen Dasein zugewendet haben. Vor der atlantischen Epoche liegt die lemurische Zeit, in der die Menschheit noch nicht in zwei Geschlechter getrennt war. Erst allmählich vollzog sich die Trennung in männlich und weiblich, und mit dieser Trennung wurde der Mensch immer mehr in die irdische Sphäre hineingezogen. Die lemurische Menschheit stand in einer noch innigeren Verbindung mit den geistigen Welten, und die Kräfte, die damals wirkten, sind heute nur noch in den tiefsten Schichten des Menschenlebens zu ahnen. Noch weiter zurück reichen die hyperboräische und die polarische Epoche, in denen der Mensch in ganz anderen Daseinsformen lebte, kaum vergleichbar mit dem heutigen physischen Leib. In diesen frühen Zeiten war der Mensch mehr ein geistiges Wesen, das erst allmählich in die Verdichtung der Materie hinabstieg. Die Erde selbst ist das Ergebnis eines langen Werdens, das mit dem Leben auf dem alten Saturn begann, sich über die Sonnen- und Mondenentwicklungen fortsetzte und schließlich in die gegenwärtige Erdenphase mündete. Mit dem Austritt der Sonne und später des Mondes aus der Erde veränderten sich die Bedingungen des Lebens grundlegend. Die Trennung der Himmelskörper war notwendig, damit der Mensch sich als individuelles Wesen entwickeln konnte. Die Erde ist der Schauplatz, auf dem sich das Ringen zwischen Geist und Materie, zwischen Freiheit und Notwendigkeit abspielt. Die Zukunft der Erde hängt davon ab, ob der Mensch es vermag, das Geistige bewusst zu ergreifen und in sein Leben zu integrieren. Die Gestalt des Menschen ist viergliedrig: Leib, Leben, Seele und Geist durchdringen sich und bilden die Grundlage für die weitere Entwicklung. Die Erde und ihre Wesenheiten sind eingebettet in die Wirksamkeit geistiger Hierarchien, die das Geschehen lenken und begleiten. Die Erkenntnis dieser Zusammenhänge ist nur möglich, wenn der Mensch sich der geistigen Schulung hingibt und die Fähigkeit entwickelt, in der Akasha-Chronik zu lesen. Die materialistische Wissenschaft hat ihre Verdienste, doch sie kann die letzten Fragen des Daseins nicht beantworten. Erst durch die Geisteswissenschaft erschließt sich der Sinn der Erdenentwicklung, das Wesen des Menschen und seine Bestimmung im Kosmos. Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind in einem großen Zusammenhang miteinander verwoben, und der Mensch ist berufen, diesen Zusammenhang zu erkennen und schöpferisch an der weiteren Entwicklung mitzuwirken. 12) Es gibt eine höhere Erkenntnis als jene, die sich auf die äußeren Sinne und den Verstand stützt. Um zu dieser höheren Erkenntnis zu gelangen, muss die Seele einen inneren Weg gehen, der sie über die gewöhnliche Wahrnehmung hinausführt. Die erste Stufe ist das gewöhnliche Erkennen, das an die Sinne gebunden ist und dessen Begriffe sich auf das Äußere richten. Doch die Seele kann sich verwandeln, indem sie ihre inneren Kräfte entfaltet. Durch Übung, Sammlung und Meditation wird das Denken lebendig, beweglich und bildhaft. Es ersteht die Imagination: Die Seele erlebt in sich lebendige Bilder, die nicht bloß Phantasie sind, sondern Offenbarungen einer geistigen Wirklichkeit. In diesen Bildern spricht sich das Wesenhafte der Dinge aus, nicht mehr bloß ihre äußere Gestalt. Doch auch die Imagination ist noch nicht die letzte Stufe. Die Seele muss lernen, sich in diesen Bildern nicht zu verlieren, sondern sie zu durchdringen, zu durchschauen. Sie muss unterscheiden lernen, was aus ihrem eigenen Inneren stammt und was wirkliche Offenbarung aus der geistigen Welt ist. Dazu ist eine Läuterung des Willens und der Gefühle notwendig. Die nächste Stufe ist die Inspiration: Nun schweigt das eigene Seelenleben, und in der Stille kann das Geistige selbst sprechen. Die Seele vernimmt nicht mehr nur Bilder, sondern geistige Inhalte, Bedeutungen, Worte aus einer höheren Welt. In der Inspiration offenbart sich das Wesenhafte, das hinter den Erscheinungen steht, unmittelbar. Doch auch dies ist noch nicht das Höchste. Die letzte Stufe ist die Intuition. Hier vereinigt sich das Erkennende mit dem Erkannten. Die Seele wird eins mit dem geistigen Wesen, das sie erkennt. Sie erlebt sich nicht mehr getrennt, sondern als Teil des Ganzen, als Glied einer geistigen Weltordnung. In der Intuition ist das Erkennen zugleich ein Schaffen, ein Mitschwingen mit dem Weltgeschehen. Auf diesem Weg begegnet die Seele Prüfungen und Gefahren. Sie trifft auf die Hüter der Schwelle, die ihr die Grenzen des gewöhnlichen Bewusstseins zeigen. Sie muss lernen, sich selbst zu erkennen, ihre Schattenseiten zu durchdringen und zu verwandeln. Nur wer in sich moralische Kraft, Wahrhaftigkeit und Mut entwickelt, kann den Weg der höheren Erkenntnis gehen, ohne zu scheitern. Die geistige Welt ist nicht bloß ein Gegenstand des Wissens, sondern eine Aufgabe des ganzen Menschen. Wer sich ihr nähert, muss sein Denken, Fühlen und Wollen läutern und umwandeln. Die Erkenntnis der höheren Welten ist ein Weg der inneren Verwandlung, der den Menschen zu einem neuen Verhältnis zu sich selbst, zur Welt und zum Geist führt. 13) Es gibt eine Wissenschaft, die nicht bei den äußeren Sinnen stehenbleibt, sondern die verborgenen Kräfte und Wesenheiten der Welt zu erfassen sucht. Diese Wissenschaft, die Geisteswissenschaft, eröffnet einen Zugang zu übersinnlichen Erkenntnissen, die ebenso klar und sicher sein können wie die der äußeren Wissenschaft, wenn der Mensch die dazu nötigen Fähigkeiten in sich entwickelt. Der Mensch besteht nicht nur aus dem physischen Leib, sondern auch aus Ätherleib, Astralleib und Ich. Diese viergliedrige Wesenheit ist eingebettet in eine Welt, die selbst aus verschiedenen Daseinsstufen besteht: der physischen, der ätherischen, der astralen und der geistigen Welt. Im Schlaf und im Tod löst sich das Ich mit dem Astralleib vom physischen und ätherischen Leib. Der Schlaf ist ein tägliches Herausgehobenwerden aus dem physischen Dasein, während der Tod ein vollständiges Lösen ist, das den Menschen in die geistigen Welten führt. Dort durchlebt er die Früchte seines Erdenlebens, bevor er zu einer neuen Inkarnation zurückkehrt. Die Entwicklung der Welt und des Menschen ist ein fortschreitender Prozess, der sich durch verschiedene planetarische Zustände vollzieht: Saturn, Sonne, Mond, Erde, Jupiter, Venus und Vulkan. In jedem dieser Zustände entfalten sich neue Wesensglieder des Menschen, und höhere geistige Wesenheiten wirken an dieser Entwicklung mit. Die Erkenntnis der höheren Welten ist möglich, wenn der Mensch bestimmte innere Schulungswege geht. Durch Konzentration, Meditation und moralische Entwicklung kann er seine Seelenkräfte so läutern und stärken, dass ihm die übersinnlichen Welten zugänglich werden. Auf diesem Weg begegnet er Prüfungen und Schwellenhütern, die ihn auf seine innere Reife prüfen. Die Initiation führt zur bewussten Erfahrung der geistigen Welt und zur Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten, die hinter dem äußeren Dasein walten. Gegenwart und Zukunft der Menschheitsentwicklung sind von großen Herausforderungen geprägt. Die Menschheit steht an einer Schwelle, an der sie lernen muss, die geistigen Hintergründe der Welt zu erkennen und zu ergreifen. Nur so kann sie die Aufgaben der Zeit bewältigen und ihre wahre Bestimmung erfüllen. Die Einzelheiten der Geisteswissenschaft zeigen, wie sich im Menschen Ätherleib, Astralleib und Ich gestalten, wie die Träume, das Leben nach dem Tod und die höheren Gebiete der geistigen Welt beschaffen sind. Der Mensch ist berufen, sich bewusst in diese Entwicklung einzureihen, die nicht nur sein eigenes Wesen, sondern das Schicksal der ganzen Erde und der Menschheit umfasst. 14) Im Drama der geistigen Entwicklung des Menschen offenbart sich, wie das äußere Leben und das innere Streben nach Erkenntnis und Selbstverwandlung miteinander verwoben sind. Die Seelen der Menschen stehen in einem beständigen Widerstreit zwischen den Kräften der Sinneswelt und den Impulsen des Geistes. Wer sich auf den Pfad der Einweihung begibt, erfährt, dass die gewöhnliche Erkenntnis nicht ausreicht, um die verborgenen Zusammenhänge des Daseins zu durchdringen. Es bedarf einer inneren Umwandlung, einer Läuterung der Seele, um in höhere Welten einzutreten. Im Kreise der Suchenden begegnen sich Menschen verschiedenster Art: der Künstler, der Wissenschaftler, der Mystiker, der Praktiker. Jeder trägt seine eigene Aufgabe, seine eigene Schwäche, seine eigene Sehnsucht. Im Mittelpunkt steht Johannes Thomasius, dessen künstlerische Begabung ihn dazu drängt, die geistigen Hintergründe des Lebens zu erfassen. Maria, seine Seelengefährtin, ist ihm Stütze und Spiegel, sie trägt die Kraft des Herzens und die Fähigkeit zur Opferbereitschaft. Benedictus, der geistige Lehrer, weist den Weg durch die Prüfungen der Seele, durch die Begegnung mit den eigenen Schatten, mit den luziferischen und ahrimanischen Mächten, die im Innersten des Menschen wirken. Die Schwelle zur geistigen Welt ist von Hütern bewacht. Wer sie überschreiten will, muss sich den dunklen Seiten seines Wesens stellen, muss erkennen, wie die eigenen Taten, Gedanken und Gefühle in früheren Erdenleben gewoben wurden und wie sie das gegenwärtige Schicksal bestimmen. Die Seelenwelt offenbart sich in Bildern, in denen die inneren Kräfte Gestalt annehmen: Geister der Liebe, der Tatkraft, der Erkenntnis, aber auch Versucher und Verführer. Die Prüfungen der Seele bestehen darin, sich nicht von den eigenen Illusionen und Begierden verführen zu lassen, sondern mit Klarheit, Mut und Demut dem eigenen Schicksal zu begegnen. Im Zusammenwirken der Menschen, im Ringen um Wahrheit, Liebe und Freiheit, gestaltet sich das Mysterium der Einweihung. Die geistige Gemeinschaft, die sich um Benedictus sammelt, ist ein Abbild der höheren Welt, in der jeder Einzelne nur in dem Maße voranschreiten kann, wie er sich in den Dienst des Ganzen stellt. Die geistige Sonne leuchtet nur dem, der bereit ist, sich selbst zu überwinden und das eigene Ich dem Welt-Ich zu opfern. So erwacht die Seele zu einem neuen Leben, in dem sie die Kräfte der Vergangenheit erkennt, die Aufgaben der Gegenwart annimmt und die Zukunft in Freiheit gestaltet. 15) Die Seele des Menschen trägt in ihren Tiefen ein zweites, kraftvolleres Selbst, das in den bewussten Lebensmomenten oft wie eine niedere Macht erscheint, das aber in Wahrheit aus höheren Zusammenhängen stammt. In der Rückschau auf das eigene Leben wird offenbar, dass viele Taten und Worte erst Jahre später vom eigenen Verstand durchdrungen werden können. Daraus erwächst das Vertrauen, dass in uns eine gute, führende Macht waltet, die uns mit Weisheit lenkt, weit über das hinaus, was unser waches Bewusstsein erfassen kann. Gerade in den ersten Lebensjahren, an die keine bewusste Erinnerung reicht, vollbringt die Seele die weisesten Taten am eigenen Leibe. Sie arbeitet plastisch am Gehirn, formt es zum Werkzeug des Denkens und legt die Grundlagen für die wichtigsten Fähigkeiten: das aufrechte Gehen, das Sprechen und das Denken. Diese Fähigkeiten werden nicht einfach vererbt, sondern müssen von der Seele, die von Leben zu Leben schreitet, in jedem Erdenleben neu errungen werden. Das Kind bringt sich selbst in das Gleichgewicht zur Schwerkraft, es bildet den Kehlkopf zum Sprachorgan aus und gestaltet das Gehirn zum Instrument des eigenen Denkens. In diesen ersten Jahren ist die menschliche Seele noch innig verbunden mit den geistigen Welten, mit den höheren Hierarchien, und von dorther strömt die Weisheit, die das Kind leitet. Mit dem Erwachen des Ich-Bewusstseins, das sich in der Erinnerung als Grenze zeigt, zieht sich diese Verbindung mehr ins Innere zurück, und der Mensch wird freier, aber auch mehr auf sich selbst gestellt. Die Entwicklung der Menschheit ist von geistigen Führern, von Wesenheiten höherer Hierarchien begleitet, die in verschiedenen Epochen unterschiedlich eingreifen. In alten Zeiten war der Mensch unmittelbarer mit diesen geistigen Führern verbunden, empfing ihre Impulse wie selbstverständlich. Die alten Mysterien waren Stätten, in denen die Eingeweihten bewusst mit diesen Wesenheiten in Verbindung traten, um die Menschheit zu leiten. Im Laufe der Zeiten wurde der Mensch immer mehr auf sich selbst gestellt, musste lernen, aus Freiheit und eigenem Bewusstsein heraus zu handeln. Doch auch heute noch wirken diese geistigen Führer, wenn auch verborgener. Sie bereiten die zukünftigen Stufen der Menschheitsentwicklung vor, indem sie einzelne Menschen inspirieren, die als Träger neuer Impulse auftreten. Die Aufgabe der Geisteswissenschaft ist es, diese Zusammenhänge zu erkennen und zu vermitteln, damit der Mensch in Freiheit und Bewusstsein wieder den Anschluss an die geistigen Welten findet. So wird offenbar, dass das einzelne Menschenleben und die gesamte Menschheitsentwicklung von geistigen Mächten getragen und geführt werden. Wer sich diesem Wissen öffnet, kann in seinem eigenen Leben die Spuren dieser Führung entdecken und sich bewusst in den großen Strom der Menschheitsentwicklung einfügen. 16) Wenn ich mich der Selbsterkenntnis zuwende, beginne ich damit, mich von den äußeren Eindrücken der Sinne zurückzuziehen. Ich erkenne, dass mein gewöhnliches Erleben an die Welt der Sinne gebunden ist, dass ich in Freude, Bewunderung, Furcht ganz aufgehe und mich selbst darin verliere. Erst wenn ich mich in die Einsamkeit des eigenen Wesens zurückziehe, treten die Rätsel des Daseins vor meine Seele. Ich beginne, mich zu fragen: Was ist der Mensch? Was ist mein wahres Wesen? Ich erfahre, dass die Antworten auf diese Fragen nicht durch äußere Beobachtung, sondern nur durch innere Seelenarbeit gefunden werden können. So betrete ich einen Weg, der mich Schritt für Schritt in unbekannte Welten führt, und jede Erfahrung auf diesem Weg macht mich fähig für die nächste. Zunächst richte ich meine Betrachtung auf den physischen Leib. Ich erkenne, dass mein Leib mir Fülle und Inhalt gibt, dass ich durch ihn überhaupt erst erleben kann. Doch ich sehe auch, dass dieser Leib der Vergänglichkeit unterworfen ist, dass er eines Tages den allgemeinen Naturgesetzen anheimfällt und nichts mehr mit meinem seelischen Erleben gemein hat. Der Gedanke an den Tod stellt sich ein, aber ich lerne, ihn gelassen zu betrachten, ohne Wunsch oder Furcht, und ich sehe, dass das Rätsel des Todes Licht auf das Rätsel des Lebens wirft. Dann wende ich mich dem elementarischen oder ätherischen Leib zu. Ich erkenne, dass dieser Lebensleib die Kräfte in sich birgt, die den physischen Leib durchdringen und beleben. Ohne diesen ätherischen Leib wäre der physische Körper tot und ohne Gestalt. Ich erfahre, dass im Ätherleib die Lebenskräfte wirken, die alles Wachstum, alle Regeneration, alles Lebendige in mir ermöglichen. Ich lerne, diese Kräfte in mir wahrzunehmen und zu unterscheiden von den bloßen physischen Vorgängen. Mit der dritten Meditation öffne ich mich der hellsichtigen Erkenntnis der elementarischen Welt. Ich beginne, die geistigen Strömungen und Wesenheiten zu erkennen, die hinter den Erscheinungen der Natur wirken. Ich erfahre, dass die sinnliche Welt nur ein Abbild einer tieferen, übersinnlichen Wirklichkeit ist. Durch innere Schulung und geistige Vertiefung kann ich diese Wirklichkeit schauen und erleben, wie sie mein Leben und das Leben der Welt durchdringt. In der vierten Meditation begegne ich dem Hüter der Schwelle. Ich erkenne, dass eine Grenze besteht zwischen der sinnlichen und der geistigen Welt, und dass ich diese Grenze nicht ohne weiteres überschreiten kann. Der Hüter der Schwelle hält mir meine eigenen Schattenseiten, meine unerlösten Anteile, meine Fehler und Schwächen vor Augen. Ich muss mich diesen Anteilen stellen, sie erkennen und verwandeln, bevor ich in die höheren Welten eindringen kann. Weiter schreite ich zur Betrachtung des astralischen Leibes. Ich erkenne, dass in diesem Leib meine Gefühle, Begierden und Leidenschaften leben. Der astralische Leib ist das Trägerfeld meiner inneren Bewegungen, meiner Sympathien und Antipathien, meiner Wünsche und Impulse. Ich lerne, diese Kräfte zu beobachten, zu ordnen und zu läutern, damit sie nicht mehr von außen gelenkt werden, sondern aus dem Innersten meines Wesens heraus gestaltet werden. Mit der sechsten Meditation richte ich meine Aufmerksamkeit auf den Ich-Leib oder Gedankenleib. Ich erfahre, dass ich als denkendes, erkennendes Wesen über den astralischen Leib hinauswachse. Ich erkenne, dass mein Ich das Zentrum meiner Persönlichkeit ist, das sich im Denken, Fühlen und Wollen ausdrückt. Ich lerne, mein Ich zu ergreifen, es zu stärken und zu führen, damit es zum wahren Lenker meines Lebens wird. In der siebten Meditation erlebe ich die Art des Daseins in den übersinnlichen Welten. Ich erfahre, dass das Erleben in diesen Welten anders ist als das sinnliche Erleben. Die Zeit und der Raum sind dort anders gestaltet, die Wirklichkeit erscheint in Bildern, in lebendigen Kräften, in geistigen Zusammenhängen. Ich lerne, mich in diesen Welten zu orientieren, mich nicht zu verlieren, sondern mein Bewusstsein zu bewahren und zu vertiefen. Schließlich, in der achten Meditation, schaue ich auf die wiederholten Erdenleben des Menschen. Ich erkenne, dass mein Wesen nicht auf ein einziges Leben beschränkt ist, sondern dass ich durch viele Inkarnationen gehe, um Erfahrungen zu sammeln, zu lernen und zu wachsen. Ich erfahre, dass mein Schicksal, mein Karma, die Folge meiner eigenen Taten und Entscheidungen ist, und dass ich durch Selbsterkenntnis und geistige Entwicklung mein Schicksal bewusst gestalten kann. So führt mich dieser Weg der Meditation und inneren Schulung Schritt für Schritt zur Selbsterkenntnis, zur Erkenntnis meines wahren Wesens und meiner Aufgabe im Leben. Ich lerne, mich als geistiges Wesen zu begreifen, das in Freiheit und Verantwortung seinen Weg durch die Welten geht. 17) Das Denken bildet im menschlichen Seelenleben eine Insel der Klarheit und Sicherheit, auf die sich die Seele immer wieder zurückziehen kann, selbst im Sturm der Leidenschaften und Gefühle. Dieses Denken ist nicht bloß ein individuelles Vermögen, sondern es trägt eine Welt-Wesenheit in sich, in der sich das Weltenwerden durch die Seele ausspricht. Indem ich mich dem Denken hingebe, verlasse ich mein bloßes Eigenleben und werde aufgenommen in den großen Strom des Weltgeschehens. Die Seele erfährt Trost und Stärkung, wenn sie sich als denkend eins mit der Welt empfindet. Daraus folgt die Erfahrung: Nicht ich denke nur, sondern es denkt in mir; das Weltgeschehen spricht sich in meiner Seele aus. Dieses Erleben ist nicht durch äußere Beweise zu erschüttern, sondern muss innerlich errungen werden. Meditation ist der Weg, auf dem die Seele sich in einen Zustand versetzt, der ihr den Zugang zur geistigen Welt öffnet. Indem ich mich immer wieder auf einen klar erfassten Gedanken konzentriere, ziehe ich Kräfte in der Seele zusammen, die im gewöhnlichen Leben zerstreut sind. Diese Kräfte verwandeln sich in Wahrnehmungsorgane für die geistige Welt. Die Frucht der Meditation ist eine Stärkung, die in das ganze Leben ausstrahlt, ohne die Unbefangenheit des Alltags zu stören, sondern diesen vielmehr durch eine tiefe, im Innersten empfundene Kraft zu durchdringen. Die Begriffe des gewöhnlichen Lebens müssen erweitert und umgebildet werden, damit sie an die Vorgänge und Wesenheiten der geistigen Welt heranreichen. Ohne diese geduldige Vorbereitung verfällt das Bewusstsein leicht der Versuchung, die geistige Welt nach Art der Sinneswelt zu denken. Erst durch eine innere Wandlung der Begriffe und Vorstellungen kann das Bewusstsein sich der geistigen Welt nähern. Der Mensch besteht nicht nur aus dem physischen Leib, sondern auch aus einem ätherischen Leib, der Träger der Lebenskräfte ist, und einem astralischen Leib, der das Bewusstsein und die Empfindungen ermöglicht. Diese Glieder der menschlichen Wesenheit stehen in Beziehung zu den verschiedenen Welten: der physischen, der ätherischen, der astralischen und der eigentlichen geistigen Welt. Wiederholte Erdenleben und das Gesetz des Karma sind Ausdruck der fortschreitenden Entwicklung des Menschen durch diese Welten hindurch. Die ahrimanischen und luziferischen Wesenheiten wirken dabei als Gegenspieler, die den Menschen in Versuchung führen, ihn aber auch zur Freiheit und Selbsterkenntnis herausfordern. Im Überschreiten der Schwelle zur geistigen Welt begegnet die Seele dem „Hüter der Schwelle“, einer Wesenheit, die ihr das eigene wahre Bild entgegenhält und sie mahnt, nur mit gereinigter Seele den weiteren Weg zu gehen. Die Liebefähigkeit der Seele und das Ich-Gefühl werden zu entscheidenden Kräften, um die Grenze zwischen Sinneswelt und geistiger Welt zu überschreiten und in den höheren Welten zu bestehen. In der geistigen Welt begegnet die Seele Wesenheiten, die nicht an einen physischen Leib gebunden sind und deren Dasein sich in anderen Formen offenbart. Die erste Anlage des physischen Menschenleibes ist selbst Ergebnis geistiger Wirksamkeit. Das wahre Ich des Menschen ist nicht das gewöhnliche Tages-Ich, sondern ein höheres, das sich erst durch die Entwicklung in den geistigen Welten voll offenbart. All dies verlangt vom Suchenden eine beständige innere Arbeit, eine Wandlung der Seelenkräfte, eine Schulung des Denkens, Fühlens und Wollens. Nur so kann die Seele die Schwelle zur geistigen Welt überschreiten und dort in Freiheit, Erkenntnis und Liebe wirken. 18) Die Philosophie ist ein lebendiges Ringen des Menschengeistes mit den Rätseln des Daseins. Immer wieder erhebt sich im Menschen die Frage nach dem Wesen der Welt, nach Ursprung und Ziel, nach dem Verhältnis von Denken und Sein, von Geist und Natur. In der Geschichte der Philosophie offenbart sich, wie die Menschheit in verschiedenen Zeitaltern die großen Lebensfragen aufgreift, wie sie sich an ihnen abarbeitet, wie sie Lösungen sucht und neue Rätsel entdeckt. Die griechischen Denker treten an mit der Frage nach dem Urgrund der Dinge, sie suchen das Wesenhafte hinter dem Wandel der Erscheinungen. In ihren Gedanken lebt die Sehnsucht nach einer Einheit, die hinter der Vielheit der Welt steht, und sie ringen mit der Frage, wie das Denken zur Wahrheit gelangt. Mit dem Beginn der christlichen Zeitrechnung wandelt sich das Gedankenleben. Die Aufmerksamkeit richtet sich stärker auf das Innere, auf das Verhältnis des Menschen zum Göttlichen, auf das Verhältnis von Glaube und Wissen. Im Mittelalter wird das Denken von der Theologie durchdrungen; die Philosophie sucht, das Verhältnis von Offenbarung und Vernunft, von Gott und Welt zu klären. Die großen Scholastiker versuchen, das Erbe der Antike mit dem christlichen Glauben zu verbinden. Immer wieder taucht die Frage auf, wie das Allgemeine und das Einzelne, das Geistige und das Sinnliche, das Ewige und das Zeitliche sich zueinander verhalten. Im Zeitalter der Neuzeit erwacht ein neues Bewusstsein. Die Philosophen wenden sich der menschlichen Erkenntnis zu, sie fragen nach den Bedingungen und Möglichkeiten des Wissens. Descartes sucht im Zweifel einen festen Grund, auf dem das Denken aufbauen kann. Spinoza erkennt im Denken und Ausgedehntsein zwei Attribute der einen Substanz. Leibniz entdeckt in der Monade das geistige Wesen der Welt. Kant stellt die Frage nach den Grenzen der Vernunft, nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung. Er zeigt, dass das Erkennen sowohl von der Sinnlichkeit als auch von den Kategorien des Verstandes abhängt. Mit Goethe und den deutschen Idealisten tritt das schöpferische Denken in den Vordergrund. Die Welt ist nicht bloß gegeben, sondern wird im geistigen Erleben erfasst und gestaltet. Hegel erkennt im Denken selbst das Prinzip der Wirklichkeit, er sieht den Geist in der Geschichte sich entfalten. Die Philosophie wird zur Wissenschaft der Erfahrung des Geistes mit sich selbst. Doch auch andere Strömungen treten auf. Der Materialismus sucht die Welt aus den Vorgängen der Materie zu erklären, sieht im Denken ein Produkt der Naturprozesse. Der Positivismus beschränkt sich auf das Gegebene, auf das, was sich beobachten und messen lässt. Der Darwinismus überträgt das Prinzip der Entwicklung auf das Leben und das Denken. Der Agnostizismus erklärt das Wesen der Dinge für unerkennbar. In der Vielfalt der Weltanschauungen zeigt sich nicht bloß Widerspruch, sondern eine gegenseitige Ergänzung. Jede Denkrichtung lenkt die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Aspekt der Wirklichkeit. Der Idealismus hebt die schöpferische Kraft des Geistes hervor, der Materialismus die Gesetzmäßigkeit der Natur. Wer sich in die verschiedenen Denkweisen einlebt, erkennt, dass sie aus verschiedenen Seelenstimmungen hervorgehen, dass sie Antworten auf die Fragen geben, die das Leben selbst stellt. Die Philosophie ist nicht bloß ein Spiel des Gedankens, sondern eine Notwendigkeit des Lebens. Sie ist die Kraft, die den Menschen befähigt, das Dasein zu durchdringen, die Aufgaben des Lebens zu meistern. Ohne philosophische Besinnung verkümmert das Leben, verliert an Tiefe und Sinn. Die Rätsel der Philosophie sind Ausdruck der innersten Bedürfnisse des Menschengeistes. Sie fordern zur Auseinandersetzung, zur Entwicklung, zur Vertiefung der Seele. Im Ausblick wird deutlich, dass die Philosophie nicht bei den Gegensätzen stehen bleiben darf. Sie muss den Weg suchen, der über die einseitigen Standpunkte hinausführt. Die wahre Erkenntnis erfordert die Fähigkeit, mit dem Idealisten idealistisch, mit dem Materialisten materialistisch zu denken, um so die geistige Anschauung zu entwickeln, die das Wesen der Welt in ihrer Ganzheit erfasst. Die Geschichte der Philosophie ist ein Weg des Menschengeistes zur Selbsterkenntnis, zur Erkenntnis des Geistes in der Welt. 20) Das Rätsel des Menschengeistes stellt sich immer wieder neu, und es drängt mich, in den Gedanken und Seelenkämpfen großer deutscher und österreichischer Persönlichkeiten nach den Kräften zu suchen, die den Menschen zur Erkenntnis seines eigenen Wesens führen. Nicht aus bloßer Neigung oder persönlicher Liebhaberei, sondern aus einem tiefen, gesunden Drang der menschlichen Natur erwachsen die Gedanken, die ich hier aufgreife. Sie wurzeln in den Bedürfnissen des Gemüts, sind aber zugleich Ausdruck der geistigen Höhen, nach denen sie streben. Es ist notwendig, die Gedankenwelt nicht losgelöst von der Persönlichkeit und ihrer Volkheit zu betrachten. Denn so wie das Licht der Sonne allen Menschen gleich leuchtet, so ist auch die Wahrheit für alle Menschen gültig. Aber der Weg, wie der Mensch zur Wahrheit gelangt, ist geprägt von der Art, wie er sucht, von den Kräften, die aus seinem innersten Leben strömen, und von der Art, wie seine Seele in ihrer Volkheit verwurzelt ist. In den großen Denkern spiegelt sich nicht nur der einzelne Mensch, sondern auch das Wesen des Volkes, aus dem er hervorgegangen ist. Die Entwicklung des deutschen Idealismus zeigt, wie der Mensch sich aus dem bloßen Erleben und Empfinden erhebt und in der geistigen Anschauung ein neues Erwachen der Seele findet. Fichte offenbart, wie das Ich sich selbst zum Ausgangspunkt der Weltanschauung macht und in der Tat des Denkens die Freiheit des Menschen begründet. Schelling führt den Blick auf das lebendige Band zwischen Natur und Geist, auf das schöpferische Werden, das beide durchdringt. Hegel schließlich erhebt das Denken selbst zur höchsten Wirklichkeit, in der der Geist seine Wahrheit findet und die Weltgeschichte als Offenbarung des Geistes erscheint. Doch nicht nur in den großen Systemen lebt der deutsche Geist. Auch in weniger bekannten Strömungen, in den Gedankenwelten Österreichs, zeigt sich das Suchen nach dem Zusammenhang von Natur, Kunst und Religion, nach dem lebendigen Geist, der in allen Erscheinungen waltet. Hier offenbart sich ein Streben, das nicht im Abstrakten verharrt, sondern das Leben in seiner Tiefe erfassen will. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Verschiedenheit der Weltanschauungen nur auf subjektiven Eigenarten der Denker beruht. Vielmehr offenbaren sich in den verschiedenen Richtungen der Philosophie die verschiedenen Kräfte, aus denen der Mensch schöpft, wenn er nach Wahrheit ringt. Der naturwissenschaftlich Gesinnte sucht die Wirklichkeit in den Erscheinungen der äußeren Welt; der Mystiker erlebt sie im Innersten der Seele. Der Monist will die Einheit von Geist und Stoff, der Dualist betont ihre Verschiedenheit. Doch alle diese Wege sind Ausdruck des einen menschlichen Geistes, der in immer neuen Gestalten nach Erkenntnis strebt. So ist das Suchen nach Wahrheit nicht abgeschlossen, sondern ein lebendiger Prozess, in dem der Mensch sich selbst und die Welt immer wieder neu entdeckt. Die Gedanken der großen Persönlichkeiten sind keine fertigen Systeme, sondern Wegweiser, die den Geist anregen, das Rätsel des Menschen immer weiter zu durchdringen. In diesem Suchen liegt die Kraft, die den Menschen über das bloße Dasein erhebt und ihm die Möglichkeit gibt, sein eigenes Wesen im Lichte des Geistes zu erkennen. 21) Der Mensch steht vor dem Rätsel seiner Seele, das weder durch bloße Sinnesbeobachtung noch durch abstrakte Begriffsbildung gelöst werden kann. Die Naturwissenschaft, wie sie in der Anthropologie gepflegt wird, bleibt an der Oberfläche des Seelischen stehen und verweist auf die Sinneserfahrung und das verstandesmäßige Erfassen der Welt. Doch in der Seele lebt ein Streben, über diese Grenze hinauszugehen, ein Streben, das sich nicht mit den Ergebnissen der Anthropologie begnügt. Die Begriffe, die in der Seele aufsteigen, sind nicht bloß Spiegelungen der Sinneseindrücke, sondern können ein Eigenleben entfalten, das die Seele zur Entwicklung neuer Fähigkeiten führt. Diese Fähigkeiten, die als Geistorgane bezeichnet werden können, sind rein seelischer Natur und bilden sich durch eine bewusste innere Arbeit an den eigenen Gedanken und Empfindungen heraus. Nicht durch äußere Beobachtung, sondern durch innere Erfahrung erschließt sich der Zugang zu einer höheren Wirklichkeit, die im Geistigen liegt. Die Anthroposophie zeigt, wie die Seele in sich selbst eine Welt entdeckt, die ebenso real ist wie die sinnlich wahrnehmbare, und wie sie durch die Pflege dieser geistigen Organe zu einer Erkenntnis des Geistigen gelangt. Diese Erkenntnis ist nicht subjektive Phantasie oder Halluzination, sondern eine methodisch geschulte Wahrnehmung, die sich durch Klarheit, Bewusstheit und strenge Unterscheidungskraft auszeichnet. Die Gefahr der Verwechslung mit krankhaften Seelenzuständen wird dadurch gebannt, dass die Anthroposophie auf einer gesunden Entwicklung der seelischen Kräfte besteht und jede Vermischung mit dem Leiblichen oder mit abnormen Zuständen ablehnt. Die Angriffe, die von Vertretern einer rein naturwissenschaftlichen Weltanschauung wie Max Dessoir gegen die Anthroposophie erhoben werden, beruhen auf Missverständnissen und unzureichender Kenntnis dessen, was hier eigentlich gemeint ist. Es genügt nicht, die Anthroposophie in das Reich der Phantasie oder der überholten Weltanschauungen zu verweisen, ohne sich ernsthaft mit ihren Methoden und Ergebnissen auseinanderzusetzen. Die Kritik, die von außen kommt, trifft nicht das Wesen der anthroposophischen Forschung, sondern bekämpft ein Zerrbild, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Im Rückblick auf das Lebenswerk von Franz Brentano wird deutlich, wie die Philosophie an der Grenze des Seelischen und Geistigen steht, ohne den Schritt in das eigentliche Geistgebiet zu wagen. Brentano hat das Seelische in seiner Eigenart und Intentionalität erkannt, doch bleibt er im Bereich des Bewusstseins und seiner Akte stehen. Die Anthroposophie hingegen wagt den Schritt über diese Grenze hinaus und zeigt, wie das Seelische in das Geistige hineinwächst und dort seine wahre Bestimmung findet. Die Erweiterungen, die sich aus diesen Betrachtungen ergeben, führen zu einer neuen Rechtfertigung der anthroposophischen Erkenntnisweise. Die Philosophie stößt an die Grenze der Erkenntnis, wenn sie sich nur auf die Abstraktion verlässt, und kann diese Grenze nur überschreiten, wenn sie das Geistige als reale Erfahrungswelt anerkennt. Die Begriffe dürfen nicht in Abstraktheit erstarren, sondern müssen in lebendiger Anschauung ergriffen werden. Die wirkliche Grundlage der intentionalen Beziehung liegt im Geistigen selbst, das sich durch die Seele offenbart. Die physischen und geistigen Abhängigkeiten des Menschen sind so zu begreifen, dass das Seelische als Mittler zwischen Leib und Geist wirkt, ohne sich in das eine oder das andere aufzulösen. Die Sonderung des Seelischen vom Außerseelischen, wie sie Brentano vollzogen hat, wird durch die Anthroposophie überwunden, indem das Seelische als Durchgangsstufe zum Geistigen erkannt wird. Die Einwände gegen die Anthroposophie, sie sei unwissenschaftlich oder spekulativ, verlieren ihre Kraft, wenn man sich auf den Weg der inneren Erfahrung begibt und die Methoden der Geistesforschung ernst nimmt. So zeigt sich, dass die anthroposophische Betrachtung nicht im Widerspruch zur Wissenschaft steht, sondern eine notwendige Erweiterung darstellt, wenn der Mensch sich selbst und die Welt in ihrer ganzen Tiefe erkennen will. 22) Das menschliche Streben nach Erkenntnis kennt keine endgültigen Grenzen, denn mit jeder gelösten Frage eröffnet sich ein neues Rätsel. Die Tiefe des Daseins bleibt unerreichbar, und doch wächst mit der Entwicklung der Seele die Möglichkeit, immer neue Aussichten zu gewinnen. Die großen Werke des Geisteslebens, wie Goethes Faust, entspringen solchen Tiefen des Seelenlebens und offenbaren sich immer wieder neu, wenn der Mensch sich innerlich weiterentwickelt. Die Wahrheit, die sich dem Menschen zeigt, ist kein abgeschlossenes System, sondern ein Weg, auf dem sich immer höhere Perspektiven eröffnen. In Goethes Faust begegnet der Mensch dem Bild einer inneren Seelenentwicklung, wie sie einer künstlerischen Natur eigen ist. Schon im Knaben Goethe erwacht die Ahnung eines Gottes, der sich unmittelbar in der Natur offenbart. Aus dieser Empfindung heraus sucht er in allen Wissensgebieten, in der Naturwissenschaft, in der Alchemie, nach dem Geist, der hinter den Erscheinungen steht. Die Beschwörung des Erdgeistes durch Faust ist Ausdruck dieses Dranges, das lebendige Weben der Zeit, Geburt und Grab, das ewige Meer des Daseins zu erfassen. Es ist das Streben, im Wechsel der Erscheinungen das Göttliche, das Ewige zu erkennen. Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis. Die äußeren Bilder, die Gestalten, die sich auf der Bühne zeigen, sind für den Eingeweihten Durchgangsstationen, durch die sich ein höherer Sinn offenbart. Die Kunstwerke, die aus wahrer Notwendigkeit geschaffen sind, sind zugleich Naturwerke, in denen sich das Göttliche offenbart. Der Künstler, der Wissenschaftler, der Philosoph, der religiöse Mensch – sie alle können, jeder auf seinem Wege, zu einer Perspektive gelangen, in der sich das Geistige hinter dem Sinnlichen enthüllt. Goethes Leben ist ein fortwährender Aufstieg zu immer neuen Aussichtspunkten der Wahrheit. Im Alter sieht er das, was ihm in der Jugend nur ahnbar war, in reinen Goldstücken vor sich. Die Entwicklung, die sich in seinem Faust vollzieht, ist ein Abbild dieses Weges. Die äußeren Handlungen und Bilder sind nicht bloß Phantasie, sondern tragen eine innere Bedeutung, die sich nur dem erschließt, der bereit ist, mitzugehen in das Reich des Geistes. Im Märchen von der grünen Schlange und der Lilie offenbart sich dieselbe Geistesart. Die Gestalten sind Gleichnisse für innere Vorgänge der Seele. Die Schlange, die sich opfert, um die Brücke zu bilden, die Lilie, die in ihrer Reinheit das Ziel der Verwandlung ist, der goldene König, der das Licht des Geistes in sich trägt – all das sind Bilder für die Entwicklungskräfte, die im Menschen wirksam werden. Die Verwandlung, die sich im Märchen vollzieht, ist ein Abbild der Verwandlung der Seele, die sich dem Geistigen öffnet. So ist das Werk Goethes ein Wegweiser für die, die in den Erscheinungen das Ewige suchen. Es fordert auf, die äußeren Bilder nicht nur als Kunst, sondern als Gleichnisse für das innere Leben zu erkennen. Wer diesen Weg geht, dem erschließt sich das Geheimnis, dass alles Vergängliche nur ein Gleichnis ist und das Ewige im Wandel der Erscheinungen offenbar wird. 23) Das soziale Leben der Gegenwart verlangt nach einer neuen Ordnung, die nicht aus utopischen Ideen, sondern aus den wirklichen Lebensnotwendigkeiten hervorgeht. Die Abhängigkeit des Geisteslebens von Staat und Wirtschaft hat zu einer Verwirrung geführt, die nur durch die Befreiung und Selbstverwaltung des Geisteslebens überwunden werden kann. Das Geistesleben muss als eigenständiges Glied des sozialen Organismus wirken, frei von staatlicher und wirtschaftlicher Bevormundung. Die Erziehung und der Unterricht dürfen nicht von außen gelenkt werden, sondern müssen von denjenigen gestaltet und verwaltet werden, die selbst in der Erziehung und im Unterricht stehen. Nur so können Menschen heranwachsen, die sozial empfinden und handeln. Der Staat soll nicht den Inhalt des Geisteslebens bestimmen, sondern von dem befruchtet werden, was aus einem freien Geistesleben hervorgeht. Die Verwaltung des Geisteslebens muss in den Händen der Erziehenden und Unterrichtenden liegen, damit Sachlichkeit und Fachtüchtigkeit das Leben bestimmen. Die Fähigkeiten der Kinder können sich nur dann zum Wohl der Gemeinschaft entfalten, wenn sie von einer freien Geistesgemeinschaft gefördert werden. Die sozialen Probleme der Gegenwart sind nicht durch wirtschaftliche Maßnahmen allein zu lösen, sondern erfordern eine grundlegende Reform des Geisteslebens. Das Wirtschaftsleben wiederum verlangt nach einer neuen Form der Zusammenarbeit, in der die Menschen sich in Assoziationen zusammenschließen, um gemeinsam die Produktion, den Handel und den Konsum zu regeln. Die Wirtschaft darf nicht mehr von Einzelinteressen und Konkurrenz bestimmt werden, sondern muss auf partnerschaftlicher Zusammenarbeit beruhen. In solchen Assoziationen finden Produzenten, Händler und Konsumenten zusammen, um die Bedürfnisse der Gemeinschaft in freier Verständigung zu befriedigen. Das Rechtsleben muss als eigenständiges Glied neben dem Geistes- und Wirtschaftsleben stehen. Es hat die Aufgabe, die Beziehungen der Menschen auf der Grundlage der Gleichheit zu regeln. Das Recht entsteht aus dem Zusammenleben freier Menschen und ist unabhängig von wirtschaftlichen oder geistigen Interessen. Nur wenn diese drei Glieder – das freie Geistesleben, das partnerschaftliche Wirtschaftsleben und das auf Gleichheit gegründete Rechtsleben – in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, kann ein gesunder sozialer Organismus entstehen. Die soziale Frage ist keine einmalig zu lösende Aufgabe, sondern eine ständige Herausforderung, die immer wieder neu bewältigt werden muss. Wie der menschliche Organismus immer wieder Nahrung braucht, so muss auch der soziale Organismus ständig neu geordnet werden. Es gibt keine Patentlösung für alle Zeiten, sondern nur die Möglichkeit, durch lebendige Gemeinschaft immer wieder das Soziale im Leben zu verwirklichen. Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, ob es gelingt, diese Dreigliederung des sozialen Organismus in das Bewusstsein und die Praxis der Menschen zu bringen. 24) Die sozialen Verhältnisse der Gegenwart stehen an einem Wendepunkt. Die Katastrophe des Weltkrieges hat die Unzulänglichkeit der alten Parteiprogramme und Denkgewohnheiten offengelegt. Was bisher als Praxis galt, war oft nur Routine in engen Lebensgebieten, ohne das Ganze zu überblicken. Die sogenannten Praktiker haben sich in ihren Kreisen eingerichtet, ohne Interesse für die größeren Zusammenhänge. So konnte sich das gesellschaftliche Leben in eine Verwirrung hineinsteigern, die schließlich in die Katastrophe führte. Gleichzeitig sind auf der anderen Seite aus der proletarisch-sozialistischen Bewegung Programme entstanden, die aus dem unmittelbaren Leiden an den bestehenden Verhältnissen geboren wurden, aber in theoretischer Abstraktion verharren. Sie verlangen nach Änderung oder erwarten von einer abstrakten Entwicklung der Tatsachen eine Heilung, ohne wirklich in die Praxis eingreifen zu können. So stehen sich Routine ohne Gedanken und Theorie ohne Praxis gegenüber. Doch was heute gebraucht wird, sind fruchtbare, in der Wirklichkeit verankerte Gedanken, die ordnend und heilend eingreifen können. Die Gesundung des sozialen Lebens verlangt nach einer neuen Gliederung des gesellschaftlichen Organismus. Es muss erkannt werden, dass das öffentliche Leben in drei selbstständige Bereiche gegliedert werden muss: das Geistesleben, das Rechtsleben und das Wirtschaftsleben. Jeder dieser Bereiche hat seine eigene Gesetzmäßigkeit und soll in Freiheit, Gleichheit beziehungsweise Brüderlichkeit gestaltet werden. Das Geistesleben – zu dem Erziehung, Bildung, Wissenschaft, Kunst und Religion gehören – muss aus staatlicher und wirtschaftlicher Bevormundung befreit werden. Nur in Freiheit kann es seine schöpferischen Kräfte entfalten und die Menschen zur wahren Individualität führen. Das Rechtsleben, in dem alle Menschen als gleichberechtigte Rechtsträger einander begegnen, muss unabhängig von wirtschaftlichen Interessen gestaltet werden. Hier soll die Demokratie walten, die jedem Menschen gleiche Rechte zuspricht. Das Wirtschaftsleben schließlich ist auf Zusammenarbeit und Brüderlichkeit angewiesen; es muss von den Bedürfnissen aller getragen und durch Assoziationen von Produzenten, Händlern und Konsumenten gestaltet werden. Nur wenn diese drei Bereiche in ihrer Eigenständigkeit erkannt und verwirklicht werden, kann das soziale Leben gesunden. Die Vermischung dieser Sphären – etwa wenn der Staat das Geistesleben lenkt oder das Wirtschaftsleben das Recht bestimmt – führt zu Krankheit und Unfreiheit. Die gegenwärtige soziale Frage ist im Kern eine Frage nach der richtigen Gliederung des gesellschaftlichen Organismus. Der Weg zu einer solchen Dreigliederung erfordert Einsicht und den Mut, alte Denkgewohnheiten zu überwinden. Es bedarf eines neuen sozialen Willens, der nicht in Parteischablonen und Illusionen gefangen bleibt. Die Zeit verlangt nach Menschen, die bereit sind, das Notwendige zu erkennen und praktisch zu verwirklichen. Die Dreigliederung ist keine Utopie, sondern die Antwort auf die tiefsten Bedürfnisse der Zeit und der Menschheit. Nur durch sie kann eine wirkliche Erneuerung des sozialen Lebens gelingen. 25) Philosophie war einst eine lebendige Kraft, die den Menschen in unmittelbare Beziehung zu einer geistigen Wirklichkeit brachte. Heute ist sie zu einem abstrakten Gedankengebäude geworden, das sich nur noch auf den Verstand stützt und den Bezug zur lebendigen Erfahrung verloren hat. Doch der Mensch trägt in sich einen ätherischen Leib, der die Brücke zu jener Wirklichkeit bildet, aus der die Philosophie einst ihre Substanz bezog. Wird dieser ätherische Mensch wieder erkannt, so gewinnt die Philosophie erneut Wirklichkeitscharakter; sie wird mehr als bloße Idee, sie wird Erlebnis. Kosmologie bedeutete ursprünglich, dass der Mensch sich als Glied des Kosmos erkannte – nicht nur mit seinem physischen Körper, sondern auch mit Seele und Geist. Die moderne Naturwissenschaft hat diese Verbindung auf das Physische beschränkt; sie kennt nur noch einen Kosmos der Materie, nicht aber den ätherischen und astralischen Kosmos, der die Seele des Menschen umfasst. Doch im Menschen lebt eine astralische Wesenheit, die mit Geburt in den Leib eintritt und mit dem Tod wieder austritt. Wird diese astralische Organisation erkannt, so öffnet sich ein neuer Zugang zur Kosmologie, die den ganzen Menschen – Leib, Seele und Geist – umfasst. Religion wurzelt in der Erfahrung des Geistesmenschen, des wahren Ich, das sich unabhängig weiß von Leib und Seele, ja selbst von der astralischen Wesenheit. In der ursprünglichen religiösen Erfahrung fühlte sich der Mensch in unmittelbarer Gemeinschaft mit einer göttlichen Welt, die alles Irdische übersteigt. Doch diese Erfahrung ist dem modernen Bewusstsein verloren gegangen; das Ich wird nur noch als Summe seelischer Erlebnisse verstanden. Im Schlaf aber zeigt sich, dass das wahre Ich nicht ausgelöscht wird, sondern in einer höheren Wirklichkeit fortbesteht. Wird dieses wahre Ich wieder erkannt, so kann Religion aus Erkenntnis, nicht nur aus Tradition oder Glauben, neu geboren werden. So führen drei Schritte der anthroposophischen Erkenntnis – die Wiedergewinnung des ätherischen Menschen für die Philosophie, des astralischen Menschen für die Kosmologie und des Geistesmenschen für die Religion – zu einer umfassenden Wissenschaft des Menschen, die Leib, Seele und Geist in ihrer Beziehung zum Kosmos und zur göttlichen Welt erschließt. Diese Erkenntnis ist nicht bloßes Wissen, sondern ein Weg der inneren Entwicklung, der durch Meditation, Seelenübungen und die Schulung imaginativer, inspirierter und intuitiver Erkenntniskräfte beschritten wird. Im Erleben des Denkens, Fühlens und Wollens, in der bewussten Durchdringung der Schlafzustände und im Verständnis des Todesereignisses im Zusammenhang mit dem Christus-Impuls offenbart sich die wahre Natur des Ich und seine Aufgabe in der Menschheitsentwicklung. 26) Der Weg der Anthroposophie führt von dem Geistigen im Menschen zu dem Geistigen im Weltenall. Im Innersten des Menschen lebt das Bedürfnis, das Geistige zu erkennen, und dieses Bedürfnis ist so elementar wie Hunger und Durst. Wer sich davon ergriffen weiß, sucht nach einer Erkenntnis, die nicht an den äußeren Sinnen und dem bloßen Verstand stehenbleibt, sondern die Schwelle überschreitet, an der das gewöhnliche Bewusstsein an seine Grenzen stößt. Die gewöhnliche Wissenschaft und das Alltagsleben bringen den Menschen an diese Grenze, aber sie dürfen nicht zum Erstarren führen, sondern müssen zum Durchbruch ins Geistige werden. Anthroposophie gibt Antworten auf die Fragen nach dem Wesen des Menschen, nach dem Sinn des Daseins, nach den Kräften, die hinter der Sinneswelt walten. Sie zeigt, dass der Mensch nicht nur ein Naturwesen, sondern ein geistiges Wesen ist, das in einer geistigen Welt wurzelt. Das Erkennen des Geistigen ist möglich, weil der Mensch in seinem Denken, Fühlen und Wollen eine Brücke zur geistigen Welt in sich trägt. In der Entwicklung des Bewusstseins wird offenbar, dass das Ich des Menschen sich im Laufe der Geschichte gewandelt hat, dass es Epochen gibt, in denen andere Kräfte in der Seele gewirkt haben, und dass wir heute am Beginn eines Zeitalters stehen, in dem das Bewusstsein sich seiner selbst in neuer Weise bemächtigt. Die geistige Welt ist nicht bloß eine Fortsetzung der sinnlichen Welt, sondern sie offenbart sich dem, der den inneren Weg geht. Dieser Weg verlangt Ernst, Hingabe und eine Läuterung der Seele. Die Kräfte, die im Menschen wirken, sind auch in der Welt wirksam; es sind dieselben geistigen Wesenheiten, die im Makrokosmos und im Mikrokosmos leben. Die Geschichte der Menschheit ist ein Ausdruck der geistigen Entwicklung, und die großen Mysterien des Daseins – wie das Mysterium von Golgatha – sind reale Ereignisse in der geistigen Welt, die in die Erdenentwicklung eingreifen. Im gegenwärtigen Zeitalter tritt Michael als Führer der Menschheit auf. Er ist der Geist, der den Menschen durch das Ringen mit den Kräften Luzifers und Ahrimans zur Freiheit und zur Erkenntnis des Geistes führen will. Die Aufgabe der Gegenwart ist, dass der Mensch in freier Entscheidung den Weg zum Geist sucht und sich nicht von bloßen Instinkten oder äußeren Mächten bestimmen lässt. Michael verlangt, dass der Mensch sein Denken vergeistigt, dass er sich der Wahrheit verpflichtet weiß und den Mut aufbringt, das Geistige im Alltag zu verwirklichen. Die Anthroposophische Gesellschaft ist dazu berufen, eine Stätte zu sein, in der diese geistige Arbeit gepflegt wird. Es geht nicht um persönliche Eigenheiten oder äußere Organisation, sondern um das gemeinsame Streben nach geistiger Erkenntnis. Die Gemeinschaft soll sich im Bewusstsein des gemeinsamen Ziels und in freier Individualität entfalten. Die Leitsätze, die gegeben werden, sind Anregungen, um das geistige Leben zu fördern und das Wirken der Gesellschaft zu einer lebendigen, innerlich verbundenen Gemeinschaft zu machen. Die Entwicklung des Menschen ist eingebettet in die Entwicklung der Erde und des Kosmos. Die wiederholten Erdenleben, die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt, die Aufgaben der Seele im Diesseits und Jenseits – all das ist Teil des großen Zusammenhangs, der sich dem geistigen Blick erschließt. Der Mensch ist berufen, sich dieser Zusammenhänge bewusst zu werden, sein Gewissen zu schärfen, sein Gedächtnis zu vergeistigen und die Kräfte des Geistes in sich zu erwecken. So führt der Weg der Anthroposophie zur Selbsterkenntnis, zur Erkenntnis des Weltgeistes und zur verantwortlichen Mitgestaltung der Zukunft. Die Freiheit des Menschen, das Wirken Michaels, das Mysterium von Golgatha, die geistigen Hintergründe der Geschichte und der Natur – all das offenbart sich dem, der den Weg des Geistes ernsthaft sucht und bereit ist, sich dem großen Weltenzusammenhang zu öffnen. 27) Der Mensch besteht nicht nur aus seinem physischen Leib, sondern ist ein vielschichtiges Wesen, das in seiner Ganzheit nur durch eine erweiterte Erkenntnis erfasst werden kann. Neben dem physischen Körper lebt im Menschen ein Ätherleib, der die gestaltenden und wachstumsfördernden Kräfte trägt. Diese Kräfte sind in der Kindheit am deutlichsten wirksam und verwandeln sich im Laufe des Lebens zu Denkkraft; das Denken ist also eine verfeinerte, emanzipierte Form der ursprünglichen Lebenskräfte. Über die gewöhnliche Sinneswahrnehmung und das alltägliche Denken hinaus kann der Mensch seine Erkenntnisfähigkeit durch geistige Übungen so erweitern, dass er die ätherische Welt unmittelbar erlebt, nicht als bloße Vorstellung, sondern als konkrete, bildhafte Wirklichkeit. In diesem imaginativen Erkennen offenbart sich eine Welt, deren Gesetze den physischen entgegengesetzt sind: Kräfte wirken nicht von der Erde nach außen, sondern vom Kosmos zur Erde hin. Die Pflanzenwelt ist durch ihren Ätherleib mit dem Menschen verwandt, doch unterscheidet sich der Mensch dadurch, dass sich in ihm die ätherischen Kräfte zu bewusster Denktätigkeit umwandeln. Neben dem Ätherleib wirkt im Menschen auch ein empfindender Organismus, der das Tierische in ihm repräsentiert, und darüber hinaus ein Ich, das als geistige Individualität wirkt und die anderen Wesensglieder durchdringt und verwandelt. Krankheit entsteht, wenn das harmonische Zusammenwirken dieser Wesensglieder gestört ist, wenn etwa das Ich nicht genügend in die unteren Glieder eingreifen kann oder wenn Kräfte des Ätherleibs sich verselbständigen. Jede Krankheit ist Ausdruck eines Ungleichgewichts zwischen den gestaltenden, empfindenden und bewussten Kräften im Menschen. Heilung kann nur gelingen, wenn sie auf einer wirklichen Erkenntnis des ganzen Menschen beruht. Medizinische Kunst muss daher nicht nur die physischen Vorgänge, sondern auch die ätherischen, seelischen und geistigen Prozesse einbeziehen. Die Heilmittel, die angewendet werden, müssen so gewählt sein, dass sie auf die verschiedenen Wesensglieder einwirken können. Die Substanzerkenntnis, die der Heilkunst zugrunde liegt, muss sich daher nicht auf die äußeren Eigenschaften der Stoffe beschränken, sondern auch ihre geistigen und ätherischen Qualitäten erfassen. Die therapeutische Denkweise verlangt, dass der Arzt die geistigen Hintergründe der Krankheit durchschaut und die Heilmittel entsprechend auswählt, sodass sie im Menschen die Kräfte stärken, die zur Wiederherstellung des Gleichgewichts notwendig sind. Auch die Heil-Eurythmie, die Bewegungskunst, wirkt auf die Wesensglieder des Menschen und kann zur Gesundung beitragen. Typische Krankheitsfälle zeigen, wie die Betrachtung des ganzen Menschen zu einer tieferen Einsicht in die Krankheitsursachen und zu einer wirksameren Therapie führt. Die Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen ist keine Ablehnung der naturwissenschaftlichen Medizin, sondern eine notwendige Ergänzung, damit der Mensch in seiner wahren Wesenheit erfasst und behandelt werden kann. 28) In einer Zeit, in der viele über meine Lebensentwicklung und deren Zusammenhang mit der Anthroposophie urteilen, ist es mir ein Bedürfnis, aus eigenem Erleben und innerer Wahrnehmung zu schildern, wie mein Weg verlief. Geboren in Kraljevec, an der ungarisch-kroatischen Grenze, stamme ich aus niederösterreichischem Land, das meine Eltern nie ganz verlassen haben, selbst wenn das Schicksal sie in die Ferne führte. Von frühester Kindheit an war ich umgeben von der majestätischen Natur, den Bergen, dem Wechselspiel von Eisenbahnmechanik und der lebendigen Landschaft. Die Eindrücke des Lebens auf dem kleinen Bahnhof, die Begegnungen mit Menschen verschiedenster Art, prägten mein inneres Erleben. Die Kindheit war erfüllt von einer Mischung aus nüchterner Technik und der Anmut der Natur, von der Wärme der Familie und dem Einfluss eigenwilliger Persönlichkeiten wie dem Pfarrer von St. Valentin. Früh zeigte sich ein Streben nach Erkenntnis, aber auch eine tiefe Empfindsamkeit für das Geistige, das sich in den Dingen verbirgt. Die Schule empfand ich als Pflicht, das eigentliche Lernen geschah jedoch im Leben selbst, im Beobachten, im inneren Durchdringen der Erscheinungen. Die Jugendjahre in Wien waren geprägt von intensiven Studien, besonders der Naturwissenschaften, aber immer im Ringen um das Geistige hinter dem Sinnlichen. Goethe wurde mir zum Vorbild, dessen Farbenlehre und Weltanschauung ich eingehend studierte. In den Kreisen der Gelehrten und Künstler Wiens, in der Arbeit als Hauslehrer, Redakteur und Schriftsteller, suchte ich nach dem Zusammenhang von Wissenschaft, Kunst und Spiritualität. Die Begegnungen mit bedeutenden Persönlichkeiten – Haeckel, Treitschke, Nietzsche – und die Arbeit im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar führten mich weiter auf dem Weg der Erkenntnis. Immer wieder stand die Frage nach den Grenzen des Wissens, nach der Freiheit des Geistes und dem Verhältnis von Individuum und Welt im Mittelpunkt meines Strebens. Die Beschäftigung mit Mystik, Ethik, dem Schicksal und der Philosophie der Freiheit führte zu einer immer tieferen Durchdringung der geistigen Welt. In Berlin und München entfaltete sich mein Wirken weiter: als Redakteur, als Lehrer, als Vortragender in literarischen und monistischen Kreisen. Die Auseinandersetzung mit dem Christentum, mit Theosophie und schließlich die Begründung der Anthroposophie wurden zum Zentrum meines Lebens. Die Verbindung von Geist-Erkenntnis und Kunst, die öffentliche Wirksamkeit von Vorträgen und Schriften, die esoterische Schulung – all das war getragen von dem Streben, das Geistige in der Welt zur Erscheinung zu bringen. Mein Lebensgang ist ein Weg des Suchens, des inneren Ringens und der Hingabe an das Geistige, das im Menschen und in der Welt lebt. Es ist ein Leben im Spannungsfeld von Wissenschaft und Mystik, von persönlicher Erfahrung und objektiver Erkenntnis, von Individualität und universellem Geist. 29) Das Theater ist Spiegel und Ausdruck der geistigen Strömungen seiner Zeit. In den Wiener Theaterverhältnissen zeigt sich, wie tief gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen in das künstlerische Leben eingreifen. Die Burgtheater-Krise offenbart nicht nur institutionelle Schwächen, sondern auch eine Krise des künstlerischen Bewusstseins. Kritik, wie sie von den Zeitungen geübt wird, verkommt häufig zur bloßen Phrase, zur Stilkorruption, die das Wesen des Theaters verfehlt. Es bedarf einer Kritik, die aus innerer Anteilnahme und künstlerischer Einsicht heraus urteilt, nicht aus bloßer Routine oder persönlicher Eitelkeit. Die Aufgabe des Dramatikers und des Schauspielers besteht darin, das Leben in seiner Tiefe zu erfassen und auf der Bühne zu gestalten. Die Alten und die Jungen stehen sich gegenüber: Die einen halten an überkommenen Formen fest, die anderen suchen nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Doch wahre Erneuerung kann nur aus dem Geistigen kommen, nicht aus bloßer Opposition gegen das Alte. Das Drama ist die literarische Vormacht der Gegenwart, weil es die innersten Bewegungen der Zeit zum Ausdruck bringt. Die Technik des Dramas, wie sie etwa Ibsen entwickelt, verlangt eine neue Art der Darstellung und des Erlebens. Der Schauspieler darf nicht bloß nachahmen, sondern muss das Seelische der Gestalt in sich lebendig machen. Die Vortragskunst ist nicht bloß eine Frage der Technik, sondern des inneren Erlebens, der Durchdringung mit Geist und Gefühl. Die Kritik am Theater darf sich nicht im Äußerlichen verlieren, sondern muss das Wesen des dramatischen Kunstwerks erfassen. Das Publikum, die Kritiker und das Theater stehen in einem lebendigen Wechselverhältnis. Das Publikum verlangt nach Wahrheit und Echtheit, die Kritik soll fördern, nicht zerstören, und das Theater muss den Mut haben, neue Wege zu gehen. Die Phrase, die sich in der Presse und im öffentlichen Leben breitmacht, ist der Feind jeder echten Kunst. Nur aus der Überwindung des bloßen Scheins, aus der Hinwendung zum Wesentlichen, kann das Drama seine wahre Bedeutung entfalten. Die Tragik des Lebens, wie sie auf der Bühne erscheint, ist nicht bloß ein Spiel, sondern ein Ausdruck der tiefsten menschlichen Erfahrungen. Die Unschuld des Tragischen liegt darin, dass das Schicksal nicht als äußere Macht, sondern als inneres Erlebnis erscheint. Das Monologisieren, das im modernen Drama oft überhandnimmt, muss sich dem Gesamtzusammenhang des Werkes einfügen. Die Geschichte des deutschen Theaters zeigt, wie sehr jede Epoche ihre eigenen Formen hervorbringt. Die Anfänge, die Entwicklung, die Krisen und Erneuerungen – alles ist Ausdruck des lebendigen Geistes, der in der Kunst Gestalt annimmt. Die Theaterkritik hat die Aufgabe, diesen Geist zu erkennen und das Publikum zu einem tieferen Verständnis zu führen. Nur so kann das Theater seine Aufgabe erfüllen: Spiegel, Mahner und Führer des kulturellen Lebens zu sein. 30) In einer Zeit, in der die Wissenschaften und Künste auseinanderzustreben drohen, erhebe ich das Wort für eine neue Einheit des Denkens, wie sie im Geiste Goethes lebendig ist. Die Welt offenbart sich nicht in toten Begriffen, sondern im lebendigen Zusammenhang von Natur, Geist und Kunst. Erkenntnis ist kein bloßes Abbilden, sondern ein schöpferisches Ergreifen der Wirklichkeit. Wer sich auf die Spuren Goethes begibt, erfährt, dass die Natur nicht als Summe von Teilen, sondern als lebendiger Organismus zu begreifen ist. Das Denken soll nicht zerstückeln, sondern verbinden, nicht trennen, sondern durchdringen. Die Grenzen des Erkennens sind nicht starr, sondern erweitern sich mit der Entwicklung des Bewusstseins. Der Mensch ist berufen, nicht bloß Zuschauer, sondern Mitschöpfer der Welt zu sein. In der Ästhetik zeigt sich, dass das Schöne nicht bloß subjektives Gefühl, sondern objektive Offenbarung des Geistes in der Erscheinung ist. Die Kunst ist nicht Nachahmung, sondern Durchdringung der Wirklichkeit mit Geist. Im Ringen um Wahrheit und Moral erhebt sich die Frage nach dem Verhältnis von Individualität und Allgemeinheit. Der wahre Individualismus ist nicht Egoismus, sondern schöpferische Hingabe an das Allgemeine, wie es im Einzelnen lebt. Die Philosophie darf nicht in Abstraktionen erstarren, sondern muss sich dem Leben zuwenden, muss die Brücke schlagen von der Naturwissenschaft zur Seelenkunde, von der Logik zur Ethik. Die Zeit verlangt nach einer neuen Weltanschauung, die den Materialismus überwindet, ohne in bloßen Idealismus zu verfallen. Die Naturwissenschaften, wie sie Haeckel und andere vertreten, müssen ergänzt werden durch eine Erkenntnis, die das Geistige ebenso ernst nimmt wie das Materielle. Die großen Geister der Vergangenheit, von Goethe bis Darwin, von Hartmann bis Tolstoi, haben uns Aufgaben gestellt, die wir nur lösen, wenn wir den Mut haben, das Denken zu erneuern und das Fühlen zu vertiefen. Die Gegenwart ist geprägt von Kämpfen um Wahrheit, um das rechte Verständnis von Kunst, Wissenschaft und Religion. Der Mensch steht inmitten dieser Kämpfe und muss sich entscheiden, ob er sich der Oberflächlichkeit hingibt oder den Weg zur Tiefe sucht. In der Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit – von der Hypnose bis zur modernen Psychologie, von der Farbenlehre bis zur Ethik des Darwinismus – zeigt sich, dass nur ein freier, schöpferischer Geist die Zukunft gestalten kann. So rufe ich auf zu einer Erneuerung des Denkens, zu einer Wissenschaft, die Geist und Natur, Kunst und Leben, Individuum und Allgemeinheit in einem höheren Ganzen verbindet. Nur so wird der Mensch seiner Aufgabe gerecht, die Welt nicht nur zu erkennen, sondern zu verwandeln. 31) Im ausgehenden 19. Jahrhundert ist das Geistesleben Europas von tiefgreifenden Umbrüchen und Spannungen geprägt. Die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Kräfte ringen um neue Formen des Zusammenlebens, während die alten Ordnungen zerfallen. Die deutsche Nationalbewegung in Österreich steht vor der Aufgabe, ihre Identität zu behaupten und sich gegen die Übermacht der klerikalen und konservativen Kräfte zu behaupten. Die parlamentarische Vertretung der Deutschen verlangt eine klare Haltung, die sich nicht in Kompromissen erschöpft, sondern aus dem Bewusstsein der eigenen geistigen und kulturellen Mission heraus handelt. Die Schule und das Unterrichtswesen müssen sich von den Fesseln überlebter Traditionen befreien und der Jugend den Weg zu einer freien, selbständigen Persönlichkeit eröffnen. Die ethische Bewegung sucht nach neuen Grundlagen für das sittliche Handeln, jenseits von Dogma und Konvention, getragen vom lebendigen Mitgefühl und von der Verantwortung des Einzelnen. Der Liberalismus ringt mit der katholischen Weltanschauung um die Deutungshoheit über die gesellschaftliche Entwicklung, während in der sozialen Frage die Forderung nach Gerechtigkeit und Freiheit immer lauter wird. Die Judenfrage und der Antisemitismus offenbaren die Schattenseiten der Moderne, die nur durch einen wahrhaft idealistischen Geist überwunden werden können. Die Gestalten der Zeit – Goethe, Nietzsche, Zola, Bismarck – stehen als Zeugen eines ringenden Zeitalters, das nach neuen Formen der Wahrheit, der Kunst und der Politik sucht. Die Literatur, die Presse, das Universitätsleben und die Wissenschaft stehen im Brennpunkt der Auseinandersetzung um Fortschritt und Bewahrung, um Individualität und Gemeinschaft. Die Aufgabe des Denkens ist es, nicht in abstrakten Theorien zu verharren, sondern die Wirklichkeit zu durchdringen und aus ihr heraus schöpferisch zu wirken. Die Kritik an den bestehenden Verhältnissen muss getragen sein von einem positiven Impuls, der auf Verwandlung und Erneuerung zielt. Inmitten der Kämpfe und Gegensätze ist das Ziel, einen Weg zu finden, auf dem der Mensch sich als freies, verantwortliches Wesen entfalten kann, im Einklang mit den großen geistigen Strömungen der Zeit und in Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Gegenwart. Die Kulturgeschichte ist ein lebendiger Prozess, der durch das schöpferische Wirken des Einzelnen und der Gemeinschaft immer neu gestaltet wird. 32) Die Literatur ist nicht bloß ein abgeschlossenes Werk des Autors, sondern lebt im Verhältnis zu den Menschen, die sie aufnehmen. Die Leser sind keine homogene Masse, sondern in ihrer Vielfalt Ausdruck der Zeitströmungen und geistigen Verfassung einer Epoche. In der Gegenwart zeigt sich ein Zug, der das Geistige zugunsten des Nervenhaften zurückdrängt: Nicht der Gedanke, nicht das Streben nach dem Erhabenen, sondern das Aufregende, das Sensationelle, das unmittelbar Reizende wird gesucht. Die Kunst wird nicht mehr in ihrer Form als Überwindung des bloßen Stoffes geschätzt, sondern im rohen Eindruck, im unmittelbaren Erlebnis, das an der Peripherie des Menschen geschieht. Diese Entwicklung ist ein Symptom für eine tiefere Veränderung des geistigen Lebens. Die Aufmerksamkeit richtet sich nicht mehr auf das, was durch Geduld und geistige Durchdringung erschlossen wird, sondern auf das, was sofort, ohne Vermittlung, die Nerven trifft. Die Literaturkritik und die literarische Öffentlichkeit spiegeln diese Verschiebung: Es wird weniger nach dem bleibenden Wert, nach dem inneren Gehalt eines Werkes gefragt, sondern nach dem Neuen, dem Ungewöhnlichen, dem, was die Aufmerksamkeit erregt. Die großen Gestalten der Literaturgeschichte, die in ihrer Zeit für geistige Entwicklung standen, werden zu Jubiläen und Gedenktagen herangezogen, doch oft fehlt das lebendige Verständnis für das, was sie im Innersten ausmacht. Goethe, Schiller, Ibsen, Balzac, Marie von Ebner-Eschenbach, die Dichter der Gegenwart – sie alle stehen in einem Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne. Ihre Werke sind nicht bloß Denkmäler, sondern Ausdruck lebendiger geistiger Kämpfe und Entwicklungen. Die Literatur ist ein Spiegel der Zeit, aber auch ein Feld, auf dem sich die tiefsten Fragen des Menschseins abspielen: Fragen nach Freiheit und Notwendigkeit, nach Individualität und Gemeinschaft, nach dem Verhältnis von Idee und Leben. In den literarischen Strömungen der Gegenwart begegnet man dem Drang nach Individualität, aber auch der Gefahr der Vereinzelung und des bloßen Subjektivismus. Die Aufgabe besteht darin, das Geistige in der Literatur zu bewahren, das heißt, das Werk nicht nur als Produkt der Nerven, sondern als Ausdruck des Geistes zu erfassen. Die kritische Auseinandersetzung mit den Dichtern und Denkern der Vergangenheit und Gegenwart verlangt die Fähigkeit, das Wesentliche von bloßen Moden zu unterscheiden, das Bleibende vom Vorübergehenden. Die Literaturgeschichte ist kein starres Register von Namen und Werken, sondern ein lebendiger Prozess, in dem sich die Entwicklung des menschlichen Geistes vollzieht. Wer sich ihr widmet, muss die Fähigkeit entwickeln, hinter den äußeren Erscheinungen das innere Gesetzmäßige, die geistige Bewegung zu erkennen. Die Aufgabe des Lesers, des Kritikers, des Literaten ist es, diese Bewegung zu erfassen und im eigenen Urteil lebendig zu machen. 33) Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts strahlt Goethes Geist als Gipfelpunkt menschlicher Entwicklung. Aus einer umfassenden Naturbetrachtung und dem Drang, die tiefsten Geheimnisse des Lebens zu durchdringen, wächst eine Weltanschauung, die das neunzehnte Jahrhundert prägt wie kaum eine andere Kraft. Goethe vereint in sich die Vielseitigkeit menschlicher Fähigkeiten und bringt sie in harmonischer Entfaltung zur Blüte. Während Schiller das Ideal der Freiheit verkündet, suche ich die Natur in ihrer Ursprünglichkeit zu bewahren und das Menschliche aus seinen tiefsten Anlagen heraus zur freien Persönlichkeit zu führen, wie es Faust auf seinem Weg durch die „kleine und große Welt“ erfährt. Die Jugendwerke protestieren gegen die Künstlichkeit der Zeit und stellen das Natürliche, Ursprüngliche ins Zentrum. In Götz von Berlichingen lebt der Mensch aus seinen elementaren Empfindungen heraus, im Werther wird die tragische Grenze sentimentaler Unnatur offenbar. Immer richtet sich der Blick auf das, was der Mensch durch Charakter und Schicksal erleben kann: Freude, Leid, Konflikt, Genuss – all das wird in dramatischen und erzählenden Werken wie Clavigo, Stella, Egmont, Iphigenie und Tasso zu Seelengemälden, in denen das Rätsel der Menschennatur sichtbar wird. Das Streben, nach den Gesetzen der Natur zu schaffen, führt zur Bewunderung der Antike. Die Griechen, so wird mir klar, folgten in ihrer Kunst denselben Gesetzen, nach denen die Natur wirkt. Nach der italienischen Reise vertiefe ich die Naturstudien, um das Schaffen der Natur auch im eigenen Kunstwerk sprechen zu lassen. Kunst wird zur Steigerung des Naturwirkens, zur Produktion des Idealen aus dem Natürlichen. Die Dichtung „Hermann und Dorothea“ wird zur reifen Frucht dieser Anschauung: Einfachheit und Größe, Naturtreue und Stilkunst verbinden sich zu einer neuen Höhe menschlicher Kultur. Doch diese Erhebung zur idealen Schönheit der Antike entfremdet von den Zeitgenossen. Während Schiller, trotz Annäherung an mein Kunstideal, mit dem Volk verbunden bleibt, stehe ich nach Italien mit meinen Empfindungen allein. Die Jugendwerke begeistern viele, die Werke der Vollendung finden nur bei den Besten Verständnis. Schiller erkennt in seinen ästhetischen Schriften diese Geistesart als die höchste, die der Mensch erreichen kann. Mit dem unvollendeten Drama „Die natürliche Tochter“ wird das Individuelle zugunsten des Allgemeinen, des Standesmäßigen zurückgestellt. Hier soll das Höhere, das Gesetzmäßige durch die Gestalten sprechen – ein Werk, das von Zeitgenossen als kalt empfunden, von Schiller und Fichte jedoch als künstlerischer Gipfel gewürdigt wird. Der Wandel in der Kunstauffassung zeigt sich am stärksten in „Faust“ und „Wilhelm Meister“. Aus individuellen Charakteren werden Repräsentanten ganzer Menschengattungen, ja Symbole der strebenden Menschheit. Immer deutlicher tritt die Überzeugung hervor, dass hinter allen Erscheinungen des Lebens große, einfache, ewige Gesetze wirken. Die Ereignisse und Personen werden zu Mitteln, um diese Gesetzmäßigkeit anschaulich zu machen. So vollzieht sich im eigenen Lebenslauf, wie in der Entwicklung der Dichtung, der Weg von der unmittelbaren Naturbeobachtung zur Erhebung in die Sphäre des Idealen, wo das Menschliche in seiner höchsten Möglichkeit erscheint. 34) Das menschliche Bewusstsein hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt: Einst war es von einer traumhaften Geist-Erkenntnis erfüllt, in der die Seele Bilder empfing, die nicht aus eigenem Erkenntniswillen, sondern wie Träume aus dem Kosmos kamen. Diese alte Geist-Erkenntnis verlor sich im Mittelalter, als die Bewusstseinsseele erwachte. Nun ruft der Mensch die Ideen in voller Besonnenheit durch den eigenen Erkenntniswillen in die Seele herein. Diese Fähigkeit gipfelt zunächst in den Erkenntnissen der Naturwissenschaft, die sich auf die Sinneswelt richtet. Doch die Aufgabe der Geist-Erkenntnis besteht darin, in eben dieser Besonnenheit und mit dem Willen zur Erkenntnis die geistige Welt zu erfassen. Es gilt, einen Seeleninhalt zu erleben, der so klar ist wie mathematisches Denken, aber nicht in Zahlen oder geometrischen Figuren, sondern in Bildern der geistigen Welt. So wird das alte traumhafte Schauen überwunden durch ein vollbewusstes, innerlich freies Erleben im Geistigen. Um zu solchen Erkenntnissen der höheren Welten zu gelangen, muss die Seele bestimmte Anstrengungen unternehmen. Meditation, Konzentration und innere Schulung sind die Wege, auf denen sich die Seele von den bloßen Eindrücken der Sinne und den gewöhnlichen Gedanken löst, um ein neues Organ der Wahrnehmung für das Übersinnliche zu entwickeln. Diese Übungen führen dazu, dass die geistige Welt ebenso wirklich und erfahrbar wird wie die sinnliche. Die Lehre von Reinkarnation und Karma ist für das gegenwärtige Menschheitsbewusstsein notwendig. Sie zeigt, dass das Leben des Menschen nicht mit Geburt beginnt und mit dem Tod endet, sondern dass die Seele wiederholt durch Erdenleben geht, um an den Erfahrungen zu reifen. Die Taten, Gedanken und Gefühle eines Menschen wirken über den Tod hinaus und gestalten das Schicksal künftiger Inkarnationen. Die Aura des Menschen offenbart sich als farbiges, lebendiges Leuchten, das die geistigen und seelischen Zustände widerspiegelt. Wer die geistigen Sinne ausbildet, kann an der Aura die Wahrheit des inneren Menschen erkennen. Die übersinnliche Welt ist nicht bloß ein Gedankengebilde, sondern eine Wirklichkeit, die sich dem schauenden Bewusstsein erschließt. In ihr wirken geistige Wesenheiten, die an der Entwicklung des Menschen und der Erde beteiligt sind. Die Theosophie, als Weisheit vom Göttlichen, ist kein bloßes Wissen, sondern eine Lebenspraxis. Sie fordert, dass der Mensch seine Erkenntnisse in sittliches Handeln umsetzt, dass er sich bemüht, das Gute, Wahre und Schöne zu verwirklichen. Gesundheit und Krankheit, Glück und Leid, sind Ausdruck des Karmagesetzes, das den Menschen zu immer höherer Entwicklung führt. Die moderne Naturwissenschaft hat große Fortschritte gemacht, doch sie bleibt an die Sinneswelt gebunden. Die Geisteswissenschaft aber erweitert den Horizont, indem sie das Übersinnliche methodisch erforscht. Sie zeigt, dass der Mensch nicht nur ein Produkt von Vererbung und Umwelt ist, sondern ein geistiges Wesen, das aus einer höheren Welt stammt und zu ihr zurückkehrt. Die soziale Frage kann nicht allein durch äußere Maßnahmen gelöst werden. Es bedarf einer Erneuerung des Geisteslebens, einer Durchdringung der sozialen Verhältnisse mit dem Bewusstsein von Reinkarnation und Karma, von der Würde und Freiheit jedes einzelnen Menschen. Die anthroposophische Bewegung ist aus innerer Notwendigkeit entstanden, nicht als bloße Fortsetzung der theosophischen Lehren, sondern aus dem eigenen Keim heraus, der im Menschen lebt. Die geistige Welt verlangt heute, dass der Mensch aus freiem Erkenntniswillen, in voller Bewusstheit, an ihre Tore klopft und sich als schöpferisches, verantwortliches Wesen erkennt. 35) Die geistige Welt verlangt, dass der Mensch sich von der Sinnlichkeit löst und zu einem Denken gelangt, das frei von den Eindrücken der Sinne ist. Die Mathematik dient als Schulung und Vorstufe für dieses sinnenfreie Denken, denn sie bewegt sich an der Grenze zwischen Sinnlichem und Geistigem. Der Kreis, wie er mathematisch gedacht wird, ist nicht ein bestimmter sinnlicher Kreis, sondern ein ideelles Gebilde, das über alle sinnlichen Erscheinungen hinausweist. So wird durch das mathematische Denken eingeübt, über das Sinnliche hinauszugehen und das Geistige zu erfassen, das sich in den Erscheinungen offenbart, aber von ihnen unabhängig ist. Wer den Weg zur geistigen Erkenntnis sucht, muss lernen, über die Welt ebenso unabhängig von den Sinnen zu denken, wie der Mathematiker über geometrische Formen denkt. Die Gnostiker erkannten in der Mathematik eine erste Stufe der geistigen Schulung, weil sie den Menschen lehrt, sich von der Sinnlichkeit zu befreien. Nicht das mathematische Wissen selbst ist das Ziel, sondern die Fähigkeit, nach seinem Muster auch in höheren Gebieten zu wahrer Erkenntnis zu gelangen. Die Naturwissenschaft gewinnt ihre wahre Wissenschaftlichkeit durch die Mathematik, denn erst durch mathematische Formulierung wird das Naturgeschehen in seinem Wesen geistig erfasst. Doch während die Mathematik im Bereich des Raumes und der Zeit unmittelbar anwendbar ist, verlangt die Erkenntnis des Lebendigen, des Seelischen und Geistigen, dass die Art des mathematischen Denkens auf höhere Gebiete übertragen wird. So wie der Mathematiker den Kreis unabhängig von jedem einzelnen Kreis denkt, muss der Geistesschüler lernen, das Leben und das Geistige unabhängig von einzelnen Erscheinungen zu erkennen. Die Entwicklung der Mathematik in der Neuzeit, insbesondere durch die Infinitesimalrechnung, hat einen entscheidenden Schritt ins Übersinnliche getan. Mit dem Differential wird das Sinnliche verlassen; es wird gerechnet mit dem Unanschaulichen, dem Unendlich-Kleinen, das der sinnlichen Wahrnehmung entzogen ist. Das Sinnliche wird aus dem Übersinnlichen errechnet, das Anschauliche ist das Ergebnis einer Rechnung aus dem Unanschaulichen heraus. So wird der Raum selbst für das geistige Erfassen belebt, die toten Punkte werden zu lebendigen Ursachen, die Ausdehnung entsteht aus dem Ausdehnungslosen. Damit ist der Übergang vom Sinnlichen zum Übersinnlichen vollzogen, und die Naturerkenntnis wird durchdrungen von Leben, das aus dem Geistigen stammt. 36) Die Gegenwart steht an einem Wendepunkt, wie ihn die Menschheit nur in großen geschichtlichen Krisen erfährt. Die Aufgaben, die sich jetzt stellen, betreffen alle Völker und Lebensbereiche. Viele empfinden einen Verfall des geistigen Lebens, andere sehen die Ursache darin, dass man sich vom Alten abgewandt hat, doch auch das Alte muss neue Wege finden, um Herz und Sinn der Menschen zu erreichen. Die sozialen Verhältnisse tragen die Keime neuer Katastrophen in sich, Millionen leiden unter materieller Not, und nur wer an neue weltwirtschaftliche Wege glaubt, kann auf Linderung hoffen. Zwischen West und Ost steht eine große Auseinandersetzung bevor. Die Rolle Amerikas und Englands, die Antwort des asiatischen Geistes, insbesondere Japans, sind Fragen, von deren Lösung das Wohl der Menschheit abhängt. Doch zugleich herrscht eine große Müdigkeit in den Seelen, ein Unglaube an die eigene Kraft. Vieles wird vorgeschlagen, doch der Wille, das Notwendige zu ergreifen, fehlt. Die Lobreden auf den Fortschritt vor der großen europäischen Katastrophe erscheinen jetzt ohnmächtig. Doch an der Kraft des Geistes darf nicht verzweifelt werden. Auch im Materialismus lebte der Glaube an die Geisteskraft. Dass die Wege des Geistes in den Abgrund führten, muss in seiner Bedeutung erkannt werden. Die Gedanken der Menschen erwiesen sich als nicht tragfähig genug für die Ereignisse. Daraus folgt die Notwendigkeit, dass die Geisteskraft andere Wege suchen muss, Wege, die tiefer in die Wirklichkeit führen. Wer das fordert, stößt auf Widerstand: Zuerst müsse das Brot geschaffen werden, dann werde sich der Weg zum Geist finden. Doch das ist ein Schein. Alle wirtschaftlichen Verhältnisse sind letztlich Ergebnis geistgetragener Arbeit. Sind die Ergebnisse schlecht, liegt es am Geist, der seinen Aufgaben nicht gewachsen ist. Das Gute der geistigen Fortschritte der Neuzeit muss anerkannt werden, gerade daraus ergibt sich aber, warum sie auf gewissen Gebieten dem Weltgeschehen nicht gewachsen sind. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Naturwissenschaft und Technik. Die Menschheit hat eine Gedankenkraft entwickelt, die sie befähigt, die Natur zu erkennen und zu beherrschen, doch sie vergisst dabei den Geist selbst. Die Natur wird durch den Geist erfasst, aber der Geist verliert an Kraft, wenn er nur auf das Ungeistige gerichtet ist. Der Wille im Menschen arbeitet durch den Geist, doch dieser muss sich an sich selbst stärken, nicht nur an der Natur. Daher ist eine selbständige Geistesanschauung neben der Naturanschauung notwendig, nicht als Fortsetzung des Naturerkennens, sondern als Anerkenntnis des lebendigen Geistes, der ebenso wirklich ist wie die Natur. Doch die Gegenwart redet vom Geist nur noch in Überlieferungen, nicht mehr aus lebendiger Erfahrung. Es gilt, diesen lebendigen Geist wieder zu finden, ihn zur Grundlage des Handelns und Erkennens zu machen, damit die Menschheit die Aufgaben der Zeit bewältigen kann. 38) Das menschliche Leben ist ein stetes Streben nach Erkenntnis, nach dem Durchdringen des eigenen Wesens und der Welt. In der Nacht, da ich mich mit philosophischen Problemen beschäftigte, wurde mir das Vermögen bewusst, das in jedem Menschen ruht: sich aus dem Wechsel der Zeit in das innerste, von allem Äußeren entkleidete Selbst zurückzuziehen und dort das Ewige zu schauen. Dieses innere Vermögen ist keine bloße Ahnung mehr, sondern eine klare Erfahrung, die die idealistische Philosophie in neuem Licht erscheinen lässt. Solche Funde wiegen schwerer als schlaflose Nächte. Die Begegnungen des Lebens, die Freundschaft, die Liebe – sie fordern uns heraus, unser Innerstes zu prüfen. Wahre Liebe lebt nicht vom Besitz, sondern vom Bild, das im Herzen fortlebt, genügsam und rein, ohne Selbstsucht. Wer dies erkennt, findet Frieden, auch wenn das äußere Leben Entbehrung fordert. Die Beschäftigung mit der Dichtung, vor allem mit Goethes Faust, führt zu tieferem Verständnis des Menschseins. Nicht der Teufel holt den, der immer strebend sich bemüht, sondern der Mensch wird erlöst durch seine unablässige Suche nach dem Guten und Wahren. Die geistige Nahrung, die aus solchen Werken wie Goethes Faust oder den Schriften der großen Denker wie Plato stammt, ist unendlich wertvoller als das, was aus bloßer Empfindung oder flüchtigem Witz entsteht. Die Beschäftigung mit wahrer Dichtung und Philosophie erhebt das Gemüt und führt zur Erkenntnis des eigenen Wesens und der Welt. Es gilt, sich nicht von oberflächlichen Geistern oder Moden verführen zu lassen, sondern mit Ernst und Hingabe die großen Ideale zu suchen. Das Leben stellt uns immer wieder vor Aufgaben, die uns zur Selbstprüfung und zur Läuterung führen. In der Freundschaft wie in der Liebe, in der Wissenschaft wie in der Kunst, überall ist es die innere Wahrhaftigkeit, die zählt. Die Beschäftigung mit den großen Geistern der Vergangenheit, das Studium ihrer Werke, ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur eigenen Entwicklung. So wird das Leben zum Weg, auf dem das Streben nach Erkenntnis und das Ringen um das Gute sich zur höchsten Aufgabe des Menschen verbinden. 39) Inmitten der äußeren Lebenswandlungen, die mich von Wien nach Weimar führen, lebt in mir das tiefe Gefühl des Dankes für die vergangenen Jahre, die ich inmitten wohlwollender und freundschaftlicher Menschen verbringen durfte. Die Einsamkeit der Reise und die neue Umgebung rufen Gedanken hervor, die das innere Band zu den Menschen, die mir nahe stehen, nur noch fester knüpfen. Die äußeren Veränderungen können die inneren Verbindungen nicht lösen, vielmehr werden sie durch die Treue des Herzens und die geistige Verbundenheit gestärkt. Die Arbeit im Goethe-Archiv fordert mich heraus, die wissenschaftlichen Schätze aus dem Nachlass in ein einheitliches Bild einzufügen. Es ist notwendig, die bisherige Art der Bearbeitung zu überwinden und einen neuen, umfassenderen Ansatz zu wählen, der dem Gesamtwerk Goethes gerecht wird. Die Schwierigkeiten, die sich aus den bestehenden Strukturen und den Erwartungen des Herausgeberkomitees ergeben, nehme ich an, doch folge ich unbeirrt meinem eigenen Erkenntnisweg. Die Auseinandersetzungen mit den Kollegen, die Sorgen um die Durchsetzung meiner Ansichten, die Verantwortung für die mir anvertrauten Aufgaben – all das wird getragen von der Zuversicht, dass die Wahrheit und das Streben nach geistiger Klarheit letztlich den Weg bahnen. Die Arbeit an den Goethe-Bänden schreitet voran, und der Gedanke, eine umfassende Goethe-Philosophie zu schreiben, gewinnt an Gestalt. Die täglichen Erfahrungen und das stete Forschen lassen das Bild immer klarer werden. Die Beschäftigung mit den spirituellen Quellen, wie der Bhagavadgita, öffnet neue Perspektiven auf Goethes Werk und auf das Leben selbst. Die Erkenntnis, dass das Streben nach dem Höheren und die Suche nach geistiger Erfüllung das Dasein durchdringen, wird zur leitenden Kraft meines Wirkens. Inmitten der äußeren Herausforderungen und der oft nüchternen Alltagsumstände bleibt das innere Feuer des Forschens und die Freude am geistigen Schaffen lebendig. Die Verbindung zu den Freunden und Weggefährten, das Vertrauen in die eigene Aufgabe und die Hingabe an das Werk Goethes und an die geistigen Ideale tragen durch alle Prüfungen hindurch. Das Leben offenbart sich als ein Weg, auf dem die äußeren Umstände nur die Bühne bieten für die inneren Kämpfe und Siege des Geistes. 40) Die Ideenwelt ist der Urquell und das Prinzip alles Seins. In ihr herrscht unendliche Harmonie und selige Ruhe. Nur, was sein Dasein von der Idee herleitet, bedeutet etwas am Schöpfungsbaume des Universums. Die Idee ist der in sich klare, in sich selbst und mit sich selbst sich genügende Geist. Der Mensch fühlt sich als Einzelnes, doch ist ihm die Sehnsucht nach der Idee eingepflanzt. Diese Sehnsucht treibt ihn an, die Einzelheit zu überwinden und den Geist in sich aufleben zu lassen. Alles Selbstische, alles, was ihn zum einzelnen Wesen macht, muss er abstreifen, denn dies verdunkelt das Licht des Geistes. Was aus Sinnlichkeit, Trieb, Begierde und Leidenschaft stammt, will nur das egoistische Individuum. Dieses selbstische Wollen muss abgetötet werden, an seine Stelle tritt das Wollen der Idee im Menschen. Nur die Stimme der Idee in uns ist das Göttliche. Was man als Einzelner will, ist im Strom der Zeit bedeutungslos; was man im Geiste will, lebt im Zentrum, im Zentrallicht des Universums, und unterliegt nicht der Zeit. Handelt man als Einzelner, sondert man sich ab von der geschlossenen Kette des Weltwirkens. Handelt man im Geiste, lebt man sich hinein in das allgemeine Weltwirken. Die Ertötung aller Selbstheit ist die Grundlage für das höhere Leben. Wer die Selbstheit abtötet, lebt ein ewiges Sein. Das an uns Sterbliche ist die Selbstheit. Wer nicht stirbt, bevor er stirbt, der verdirbt, wenn er stirbt – das heißt, wer nicht die Selbstheit in sich während des Lebens aufhören lässt, hat keinen Teil am allgemeinen, unsterblichen Leben. Vier Sphären menschlicher Tätigkeit gibt es, in denen der Mensch sich dem Geist hingibt und alles Eigenleben ertötet: Erkenntnis, Kunst, Religion und sittliches Handeln. In der Erkenntnis hebt sich das Einzelwesen auf, indem es sich dem objektiven Geiste hingibt. In der Kunst gestaltet der Mensch das Geistige in der sinnlichen Welt, überwindet die bloße Natur und schafft das Sinnbild der Idee. In der Religion erhebt sich das Bewusstsein zum Göttlichen, das in allem lebt, und im sittlichen Handeln verwirklicht der Mensch das, was der Geist in ihm will, nicht das, was das Einzelwesen begehrt. So wird das Einzelwesen zum Glied des Alls, indem es sich der Idee, dem Geist, hingibt. Die wahre Freiheit besteht darin, dass der Mensch nicht aus Trieb, Begierde oder äußeren Einflüssen handelt, sondern aus dem Geistigen, das in ihm lebt. Die Liebe ist die Kraft, durch die das Einzelwesen sich dem All hingibt, denn sie ist das Band, das den Einzelnen mit dem Ganzen verbindet. In der Liebe, die aus dem Geistigen stammt, lebt das Ewige im Menschen. 40a) Das Geistige, das in den Weiten des Kosmos waltet, ist dem Menschen zugänglich, wenn er sich in die Tiefen der eigenen Seele versenkt. In der Wanderung durch die geistigen Welten begegnet das Ich dem Rätsel der eigenen Existenz, das sich nur lösen lässt, wenn es gelingt, die Wesenheit der Welt in der eigenen Seele zu schauen. Die Wege der Selbsterkenntnis führen an die Abgründe des Daseins, an die Schwellen uralter Schicksalswenden, wo Notwendigkeit und Freiheit sich begegnen. In der Verbindung mit dem Schicksal wird die Kraft geschmiedet, sich nicht selbst zu verlieren, sondern im Geiste zu bestehen. Das Kind, das in die Welt tritt, ist umgeben vom Licht, das göttlichen Ursprungs ist. In diesem Licht lebt und wirkt Gott, in der Bewegung der Hand, im Atem, im Denken. Das Kind lernt, in allem, was es umgibt – in Licht, Luft, Erde – die Gegenwart des Geistes zu erkennen. Der Blick zu den Sternen, zu den Pflanzen, zum eigenen Denken wird zur Offenbarung des Göttlichen, das in allem webt. Die Aufgabe des Menschen ist es, das eigene Denken so zu richten, dass Gottes Geist auch im Herzen offenbar werde, damit Wahrheit, Güte und Stärke in ihm wachsen. Der Tageslauf wird durchdrungen von Übungen, die den Menschen mit dem Geist verbinden. Am Morgen soll das Bewusstsein sich dem Licht zuwenden, das aus dem Göttlichen stammt und in Christus seine Opferkraft findet. Im Licht des Tages wird das Leben dem Geiste der Welt hingegeben, damit das Erwachen in der Gegenwart und in aller Zukunft im Geiste geschehe. Am Abend zieht die Seele sich zurück, sucht in der Rückschau auf das Tagesleben den Ursprung im Geist und bereitet sich darauf vor, im Schlaf in das All zurückzukehren, aus dem sie geboren ist. Die Meditationen führen zur Erkenntnis, dass alles Leben, alles Streben, alles Sein seinen Ursprung im Vater hat, dass im Sohne das Streben lebt und im Geiste die Wahrheit des Herzens und des Verstandes. So werden Licht, Liebe und Leben zur inneren Wirklichkeit. Die Übungen stärken das Denken, das Fühlen und das Wollen, so dass die Seele und der Geist das Göttliche im Weltensein empfangen und wirksam machen können. Die Imagination des Sternenhimmels, das Erleben des Sonnenaufgangs, das Bewusstsein der Christusgegenwart im Herzen, das alles sind Wege, auf denen die Seele sich mit den Kräften der Welt und des Geistes verbindet. In der Stille des Abends, im Schweigen der Gedanken, wird Raum geschaffen, damit der Gottes-Weltenwille im Innersten sprechen kann. So wird der Mensch zum Werkzeug des Geistes, der in ihm lebt und wirkt, im Licht, in der Liebe und in der Kraft des Willens. 44) Im Drama der Seele entfaltet sich der Weg des Menschen zur Einweihung, indem sich im äußeren Leben die inneren Kräfte und Prüfungen spiegeln. Die Gestalten, die mir begegnen, sind nicht bloße Menschen, sondern Repräsentanten seelischer und geistiger Kräfte, die im Innern des Menschen wirken. In der Lilie lebt das Streben nach Vollkommenheit, in Johannes das Ringen um künstlerische und geistige Durchdringung der Welt. Die Prüfungen, die sich in den Begegnungen mit Hierophant, Lilie, den Irrlichtern, der Schlange und anderen Wesen vollziehen, sind Prüfungen des Denkens, Fühlens und Wollens, die den Menschen an die Schwelle seines eigenen Wesens führen. Die geistige Welt offenbart sich nicht als abstrakte Sphäre, sondern als lebendige Wirklichkeit, in der die Seelenkräfte Gestalt annehmen. Der Mensch erlebt sich als Wanderer zwischen den Welten, geführt und geprüft von höheren Wesenheiten, aber auch bedroht von den Kräften der Verführung und des Irrtums. Die Einweihung ist ein Opfergang: Die Schlange, Sinnbild der Weisheit, muss sich hingeben, damit der Mensch sich selbst als freies geistiges Wesen erkennen kann. Die Prüfungen führen durch Abgründe und Dunkelheiten, durch Versuchungen und Zweifel, bis das Licht der geistigen Sonne im Innern aufleuchtet. Die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle ist der entscheidende Moment: Hier muss der Mensch sich selbst in seiner ganzen Tiefe erkennen, mit allen Licht- und Schattenseiten. Erst wenn er sich selbst durchschaut, kann er die Schwelle zur geistigen Welt überschreiten, ohne von den eigenen Trieben und Leidenschaften zurückgezogen zu werden. Die geistige Gemeinschaft, die sich in den Rosenkreuzerszenen offenbart, ist nicht äußere Organisation, sondern inneres Band derer, die gemeinsam den Weg der Selbsterkenntnis und der geistigen Entwicklung gehen. In den weiteren Dramenstufen vertieft sich dieser Weg: Die Seele wird geprüft, die Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens müssen harmonisiert werden. Die Begegnung mit Maria, Capesius, Strader und anderen zeigt, wie die individuellen Wege miteinander verwoben sind, wie jeder Mensch auf seine Weise an der geistigen Entwicklung der Menschheit mitwirkt. Die Prüfungen werden zu Bewährungsproben für das wahre Menschsein, für die Fähigkeit, Liebe, Erkenntnis und Tatkraft zu verbinden. Im Erwachen der Seele wird offenbar, dass der Mensch nicht nur für sich lebt, sondern dass sein innerer Fortschritt Ausstrahlung und Wirkung auf die Mitmenschen und die Welt hat. Die geistige Sonne, die im Innern aufgeht, ist nicht nur Licht für den Einzelnen, sondern für die ganze Menschheit. Die Dramen führen den Menschen durch die Stufen der Selbsterkenntnis, der Läuterung und der geistigen Gemeinschaft bis zur Erfahrung des Erwachens im Geist, in dem das wahre Menschsein aufleuchtet. 45) Das Streben nach Erkenntnis des Menschen ist ein uraltes, würdiges Anliegen. Die Vielfalt der Antworten auf die Frage nach dem Wesen des Menschen und seinem Verhältnis zum Kosmos darf nicht entmutigen, denn Wahrheit erschließt sich nicht in einer einzigen Ansicht, sondern in der Zusammenschau vieler Perspektiven. Wie ein Baum von verschiedenen Seiten gemalt werden kann, so offenbaren sich auch die Dinge und Wesenheiten der Welt nur durch verschiedene wahre Ansichten, die jeweils von einem bestimmten Standpunkt aus gewonnen werden. Es ist ein Irrtum, zu glauben, aus der Verschiedenheit der Meinungen folge die Unmöglichkeit der Wahrheitserkenntnis; vielmehr muss jede Ansicht auf ihren Gesichtspunkt hin geprüft werden, und erst das Zusammenwirken vieler berechtigter Ansichten führt zur Annäherung an das Wesen der Dinge. So ist es auch mit der Erkenntnis des Menschen. Drei charakteristische Gesichtspunkte lassen sich unterscheiden: Die Anthropologie sammelt, was die Sinne über den Menschen offenbaren, untersucht Aufbau und Funktion der Organe, die Ähnlichkeit mit dem Tier, die Entwicklung der Völker, die Spuren der Vorzeit, die Einflüsse von Klima und Geographie, die Bedingungen von Rassen, Völkern, Sprache und Schrift. Sie bleibt im Rahmen naturwissenschaftlicher Methoden und hat ein gewaltiges Tatsachenmaterial zusammengetragen, das fortwährend wächst und große Hoffnungen auf weitere Aufklärung der Menschenrätsel weckt. Ein zweiter Gesichtspunkt ist derjenige, der sich nicht mit dem äußeren Menschen begnügt, sondern das seelisch-geistige Wesen sucht, das sich im Menschen offenbart. Hier genügt es nicht, nur auf das zu schauen, was die Sinne bieten, sondern es gilt, die verborgenen Kräfte und Vorgänge zu erfassen, die das äußere Leben durchdringen und gestalten. Die Seele, das Ich, die geistige Individualität treten in den Mittelpunkt, und es wird erkennbar, dass der Mensch nicht nur ein Produkt der Natur, sondern Träger einer geistigen Entwicklung ist, die über Geburt und Tod hinausreicht. Der Mensch ist nicht nur ein Sinneswesen, sondern seine Sinne sind Tore zur Welt, durch die er mit der physischen, seelischen und geistigen Umwelt in Verbindung steht. Es gibt nicht nur fünf Sinne, sondern ein Dutzend Erlebnisfelder des Bewusstseins, die den Menschen mit seiner Innenwelt und der äußeren Welt verknüpfen. Jeder Sinn erschließt eine andere Dimension der Wirklichkeit. Die Sinneswahrnehmung ist nicht bloß ein passives Empfangen, sondern ein aktives Erleben, in dem sich das Ich des Menschen offenbart. Die Welt, die den Sinnen zugrunde liegt, ist nicht bloß eine Summe von Eindrücken, sondern Ausdruck geistiger Gesetzmäßigkeiten, die in den Lebensvorgängen, im inneren Erleben, im Ich-Bewusstsein und in der Gestalt des Menschen ihren Ausdruck finden. Die Lebensvorgänge des Menschen sind nicht bloß chemisch-physikalische Prozesse, sondern durchdrungen von Lebenskräften, die den Organismus aufbauen und erhalten. Im Innern des Menschen spielen sich Prozesse ab, in denen sich das Ich als tätige Mitte erlebt. Das Ich ist nicht nur ein Produkt der äußeren Einflüsse, sondern schöpferische Kraft, die die Sinnes- und Lebensvorgänge durchdringt und verwandelt. Die Welt, die den Sinnesorganen zugrunde liegt, ist eine andere als diejenige, die sich in den Lebensorganen offenbart; beide sind Ausdruck verschiedener Stufen der Wirklichkeit, die sich im Menschen begegnen. Jenseits der physischen Welt gibt es eine höhere Geisteswelt, zu der der Mensch Zugang gewinnen kann, wenn er die Tore der Sinne und des inneren Erlebens bewusst durchschreitet. Die Gestalt des Menschen ist Ausdruck dieser geistigen Wirklichkeit, die sich in der leiblichen Form, im seelischen Erleben und im geistigen Streben offenbart. Der Mensch ist berufen, diese Zusammenhänge zu erkennen und sich als Glied einer geistigen Weltordnung zu begreifen, in der er nicht nur passiver Empfänger, sondern aktiver Mitgestalter ist. 51) Die Entwicklung der Welt- und Lebensanschauungen durchzieht die Menschheitsgeschichte von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. In Griechenland lebt die Anschauung, dass das Göttliche im Menschen selbst aufleuchtet, dass Weisheit und Schönheit Ausdruck des Zusammenklangs von Mensch und Kosmos sind. Die griechische Kunst und Philosophie wurzeln in der Anschauung, dass die Welt aus einem geistigen Urgrund hervorgeht, den der Mensch im Denken nachbilden kann. In Sokrates, Plato und Aristoteles offenbart sich das Streben, das Geistige im Menschen zu erkennen und aus diesem heraus die Welt zu verstehen. Mit dem Mittelalter vollzieht sich ein Wandel: Das Christentum bringt die Idee, dass das Göttliche nicht mehr im Menschen selbst, sondern in einer überweltlichen Sphäre zu suchen ist. Die Kirche wird Trägerin des geistigen Lebens, das Recht und die Wissenschaft werden von ihr geprägt. Das römische Recht, das abstrakte Dogmenrecht, bildet die Grundlage staatlicher Ordnung, während das aufkommende Christentum ein neues religiöses Gefühl entfaltet, das sich im Lauf der Jahrhunderte mit den politischen Machtansprüchen der Kirche verbindet. Der Gegensatz von Kaiser und Papst, von weltlicher und geistlicher Macht, prägt das Mittelalter ebenso wie das Ringen um die Freiheit und Würde des Menschen. Die germanischen Völker bringen eine neue Kraft in die Geschichte: Das Streben nach individueller Freiheit, der Kampf um die freie Persönlichkeit, das Faustrecht und die Entstehung der Städte als Zentren selbstbewussten Lebens. Die Städtekultur, die Zünfte, die Hanse, die neuen Formen von Handel und Handwerk, die ersten Universitäten – all das sind Ausdruck einer Bewegung, die den Menschen aus der Gebundenheit an Stand und Herkunft herausführt. Die Mystik, wie sie in Eckhart, Tauler und Suso lebt, sucht das Göttliche im Innersten der Seele, während die Scholastik die Verbindung von Glaube und Wissen, von Religion und Wissenschaft sucht. Mit der Renaissance und dem Humanismus bricht eine neue Zeit an. Die Entdeckung Amerikas, die Erfindung des Buchdrucks, die neuen Weltanschauungen eines Kopernikus, eines Reuchlin, eines Erasmus öffnen den Blick für die Welt und für den Menschen als Schöpfer seiner eigenen Kultur. Die Wissenschaft wird zur Trägerin des Fortschritts, das Individuum tritt ins Zentrum der Geschichte. In der Betrachtung der Literatur, etwa bei Shakespeare, zeigt sich, wie die Persönlichkeit sich im Drama entfaltet, wie im Zeitalter der Renaissance die Einzelpersönlichkeit zum Träger des Weltgeschehens wird. Die Werke Shakespeares sind Charakterdarstellungen von unerreichter Tiefe, sie spiegeln die Wandlungen der Zeit und das Erwachen des modernen Menschen. Die Geschichte des Mittelalters, von der Völkerwanderung bis zu den großen Entdeckungen, ist die Geschichte des Ringens um Freiheit, um die Durchsetzung des Persönlichen gegen die Macht von Kirche und Staat, um die Entwicklung von Wissenschaft, Kunst und sozialem Leben. Die Kreuzzüge, die Städtegründungen, die Entstehung der Universitäten, die Mystik und die Reformation sind Stationen auf dem Weg zu einer neuen Weltanschauung, in der der Mensch sich als freies, schöpferisches Wesen begreift. Die platonische Mystik, wie sie in Dionysius Areopagita, in Meister Eckhart, in Nikolaus von Kues lebt, sucht das Göttliche in der Versenkung, in der Erkenntnisstufe, die über das Wissen hinaus zur Beseligung und Vergottung führt. Die deutsche Mystik, die Lehre der docta ignorantia, das Wissen um das Nichtwissen, öffnet den Blick für die Grenzen des Verstandes und für die Tiefe des Geistes. Im Leben und Werk Friedrich Schillers offenbart sich das Streben nach Freiheit, nach Schönheit und Moralität. Schiller ist der Dichter der idealistischen Weltanschauung, der Kämpfer für die Würde des Menschen, der Vermittler zwischen Antike und Moderne. Seine Dramen, seine philosophischen Schriften, sein Verhältnis zu Goethe, seine Wirkung im 19. Jahrhundert sind Ausdruck einer Bewegung, die den Menschen zum freien, sittlichen Wesen erhebt. Die Gegenwart kann von Schiller lernen, dass wahre Freiheit nur in der Verbindung von Schönheit und Moralität, von Kunst und Leben, von Idealismus und Tatkraft zu finden ist. Die Einheit der Welt, die Frage nach Wahrheit und Wissenschaft, das Streben nach einer einheitlichen Weltanschauung – all das ist nur zu erreichen, wenn der Mensch sich seines Geistes bewusst wird, wenn er in sich selbst die Quelle der Erkenntnis, der Moral und der Schönheit sucht. Die Geschichte, die Philosophie, die Literatur sind Ausdruck dieses Ringens um das Menschliche im Menschen, um die Verwirklichung des Geistes in der Welt. 52) Der Mensch trägt in sich das Ewige und das Vergängliche. Die moderne Wissenschaft, geprägt von Denkern wie Feuerbach, Haeckel und Strauß, sucht die Unsterblichkeit im Materiellen, während die alten Mysterien das Unsichtbare, das Geistige, als Quelle des Lebens anerkennen. Der physische Körper wird vererbt, doch das Seelische entwickelt sich durch geistige Veredelung und Wiederverkörperung. Der Körper ist Werkzeug der Seele, die in einem fortwährenden Prozess von Geburt und Wiedergeburt ihre Entwicklung sucht. Die Seele ist kein Produkt der Materie, sondern Seelisches entsteht nur aus Seelischem. Die Wissenschaft kann das Seelische nicht erklären, die Religion sucht den Glauben. Theosophie vermittelt zwischen beiden, indem sie die Seele als Ursprung und Ziel des Menschen erkennt. Die vegetative, animalische, verstandesmäßige und geistige Seele wirken im Menschen, und die Erweckung der Seelenkräfte ist der Beginn aller wahren Erziehung. Große Lehrer der Menschheit führen die Menschenseelen zur Erkenntnis ihrer Herkunft und Bestimmung. Die Gottheit offenbart sich in den verschiedenen Religionen der Menschheit, die nebeneinander bestehen, nicht gegeneinander. Menschliche Meinungen trennen, göttliche Weisheit eint. Der abendländische Gottesbegriff ist geprägt von Kritik und Zweifel, doch die theosophische Weisheit sucht den lebendigen Weg zu Gott, der über das bloße Denken hinausgeht. Die Liebe zu Gott ist Erkenntnis, und die Theosophie ist das Streben nach dieser Liebe. Das Christentum ist in seinem Ursprung eine theosophische Offenbarung. Die Evangelien zeigen, wie das Göttliche im Menschen Fleisch wird. Die Christus-Erkenntnis des Paulus offenbart, dass der Mensch durch den Geist Christi zur Verklärung gelangt. Schuld und Sühne sind nicht nur physische, sondern geistige Vorgänge. Die Gegenwart Christi ist eine lebendige Wirklichkeit, die in jeder Seele aufleuchten kann. Die Erkenntnistheorie der Theosophie gründet sich nicht auf die Beschränkungen des Kantianismus, der die Welt als bloße Vorstellung ansieht, sondern auf eine höhere Erfahrung, die das Geistige unmittelbar erkennt. Die Welt ist nicht nur Trugbild, sondern Offenbarung des Geistes. Die Theosophie sucht den Wahrheitskern in allen philosophischen Systemen und erkennt, dass wahre Erkenntnis nur durch Teilnahme am Geistigen möglich ist. Das Wesen des Menschen gliedert sich in Leib, Seele und Geist. Die Seele ist Vermittlerin zwischen Körper und Geist. Die materialistische Wissenschaft verkennt das Seelische, indem sie es auf Gehirnfunktionen reduziert. Doch die Seele ist lebendige Wirklichkeit, die sich durch Lust und Schmerz, durch Schicksal und Entwicklung offenbart. Die Wiederverkörperung ist das Gesetz des seelischen Lebens, und das Ziel ist die Erhebung der Seele zum Geist. Spiritismus und Somnambulismus sind Erscheinungen, die aus dem Streben nach geistiger Erkenntnis hervorgehen. Der Spiritismus ist eine notwendige Gegenströmung zum Materialismus, doch führt er zurück zu einem medialen Bewusstsein, während die Theosophie das bewusste Hellsehen und die freie Entwicklung des Geistes anstrebt. Die Entwicklung der Menschheit ist ein Weg vom dumpfen Instinkt zum klaren geistigen Bewusstsein. Die Geschichte des Spiritismus und des Hypnotismus zeigt, wie die Menschheit immer wieder nach dem Geistigen sucht, oft auf abwegigen Pfaden. Doch wahre Erkenntnis entsteht nur durch geistige Schulung und moralische Entwicklung. Die Theosophie lehrt, dass Wissen Macht ist, aber diese Macht muss vom Geist durchdrungen und zum Dienst an der Menschheit verwendet werden. Die Theosophie ist keine bloße Theorie, sondern eine Lebenspraxis, die den Menschen zur Selbsterkenntnis und zur Liebe führt. Die Kräfte der Seele, Sympathie und Antipathie, werden durch Tätigkeit geläutert und zur Liebe erhoben. Das Licht der Seele wird zum Licht des Geistes, und das Gewissen ist die Stimme des Geistes in der Seele. Die drei Grundgesetze der Theosophie – Reinkarnation, Karma und die Entwicklung des Geistes – sind Wegweiser für die Erziehung und Veredelung des Menschen. Die Wissenschaft erkennt das Geistige nicht an, weil sie nur das Physische als wirklich gelten lässt. Doch die Theosophie zeigt, dass die geistige Welt ebenso wirklich ist wie die physische. Die Entwicklung der Menschheit ist ein Fortschritt in der Erkenntnis des Geistigen. Die großen Einheitsbestrebungen der Vergangenheit – in Wissenschaft, Kunst, Religion und Ethik – finden in der Theosophie ihre Wiedervereinigung. Die Theosophie ist keine bloße Übernahme buddhistischer Lehren, sondern schöpft aus den lebendigen Strömungen aller großen Religionen. Die esoterische Weisheit, die im Buddhismus, im Christentum und in den Mysterien der Menschheit lebt, offenbart sich dem, der den Geist sucht. Die Theosophie ist eine lebendige Geistbewegung, die den Menschen zur Freiheit, zur Liebe und zur Erkenntnis des Göttlichen führt. 53) Der moderne Mensch steht vor einem tiefen Zwiespalt zwischen Wissen und Glauben, wie ihn die Naturwissenschaft hervorgebracht hat. Es ist notwendig, diesen Zwiespalt zu überbrücken, indem das naturwissenschaftliche Weltbild durch die Erkenntnisse der Geisteswissenschaft erweitert und vertieft wird. Die Liebe, nicht der Kampf ums Dasein, ist die wahre Urkraft der Welt. Die menschliche Wesenheit gliedert sich in physische, seelische und geistige Anteile, die durch Schulung wahrgenommen werden können. Das Ich ist das Zentrum, von dem aus der Mensch seine höheren Wesensglieder erschließt. Das Gesetz der Wiederverkörperung und das Gesetz von Ursache und Wirkung, Karma, bestimmen das seelische und geistige Leben. Die Biographie des Menschen ist Ausdruck dieser Gesetze. Die naturwissenschaftliche Entwicklungslehre führt, wenn sie konsequent gedacht wird, zur Idee der Reinkarnation. Das Gewissen entwickelt sich als Folge des Karmagesetzes. Einwände gegen diese Ideen können widerlegt werden. Die Entwicklungsgeschichte des Menschen wurde im Darwinismus mechanisch gefaßt, doch dieser ist nur eine notwendige Phase, die überwunden werden muß. Die Theosophie erkennt im Menschen nicht nur das Produkt des Kampfes ums Dasein, sondern das Wesen, das durch Liebe und Entwicklung zu höheren Stufen gelangt. In der Kunst, wie sie Tolstoi sucht, offenbart sich das Streben nach dem Unsichtbaren, nach dem inneren Leben. Die Theosophie will das Übersinnliche im Physischen wahrnehmen lehren. Die Seele steht zwischen Hingabe an das Sinnliche und an das Geistige. Das Schicksal der Seele zwischen Tod und Wiedergeburt führt durch verschiedene Bewußtseinszustände, die nicht räumlich, sondern als innere Erlebnisse zu verstehen sind. Im Geisterland begegnet die Seele den geistigen Urbildern, auch diese Welt gliedert sich in Stufen, die durchlebt werden. Das Leben Nietzsches zeigt das Ringen um hohe Ideale, das an der Unmöglichkeit ihrer Erfüllung scheitert. Das innere Leben des Menschen muß sich entwickeln, indem er Gewohnheiten umwandelt, Gedanken kontrolliert und innere Ruhe sucht. Übungen und Tugenden führen zur Schulung des eigenen Schauens. Die naturwissenschaftliche Schöpfungslehre steht im Gegensatz zu einer wörtlichen Bibelauslegung. Erst durch die Theosophie wird eine spirituelle Entwicklungslehre möglich, die mit den Naturtatsachen übereinstimmt. Die Entstehung der Erde und des Menschen ist ein geistiges Entwicklungsgeschehen, das sich durch verschiedene Stufen vollzieht, von alten Erdzuständen bis zur heutigen Form. Die großen Eingeweihten zeigen, daß es keine Erkenntnisgrenzen gibt. Durch Meditation und Schulung wird die Einweihung möglich. Beispiele wie Hermes und Lohengrin zeigen das Wirken der Eingeweihten. Ibsen schildert die Persönlichkeit im Zusammenhang mit einer hohl gewordenen Umwelt und sucht nach dem, was über die Persönlichkeit hinausgeht: die Individualität, die durch wiederholte Erdenleben geht. Die Zukunft des Menschen liegt in der Durchgeistigung der Erde. Neue Ideale treten an die Stelle des bloßen technischen Fortschritts. Die soziale Frage kann nur durch eine spirituelle Weltanschauung gelöst werden, die zur brüderlichen Gesinnung führt. Goethes Dichtung, insbesondere das Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie, offenbart die theosophische Weltbetrachtung. Die Entwicklung der Seelenkräfte und der Einweihungsweg werden in seinen Werken geschildert. Schiller ringt um die Überbrückung der Kluft zwischen Sinnlichem und Geistigem; seine Werke und seine Freundschaft mit Goethe sind Ausdruck dieses Strebens. Die Theosophie kann belebend auf die Wissenschaften wirken. Die Theologie wird durch die Erfahrung des Geistigen erneuert, die Jurisprudenz erhält neue Grundlagen aus dem Leben, die Medizin wird durch ein spiritualisiertes Denken zum wahren Heilberuf, und die Philosophie muß wieder zur umfassenden Welterkenntnis werden. 54) Das Dasein des Menschen ist von Rätseln durchdrungen, die weder der Materialismus noch eine einseitige religiöse Betrachtung lösen kann. Die Wissenschaft hat im 19. Jahrhundert große Fortschritte gemacht, und doch bleibt sie vielfach an der Oberfläche der Erscheinungen stehen. Haeckel hat mit seinem Werk „Die Welträtsel“ viele Menschen beeindruckt, indem er die Welt in einem großen, zusammenhängenden Gedankengebäude zu erklären versuchte. Sein Mut und seine Kraft, eine umfassende Weltanschauung aus den naturwissenschaftlichen Ergebnissen zu entwickeln, verdienen Anerkennung. Doch der Materialismus, wie er von Haeckel vertreten wird, führt zu einer Verengung des Blicks auf das bloß Sinnliche und Physische. Die Geisteswissenschaft hingegen zeigt, dass hinter allem Sichtbaren das Geistige wirkt. Die Entwicklung der Menschheit ist nicht allein durch äußere Ursachen erklärbar, sondern sie ist getragen von inneren Kräften, die sich in den geschichtlichen Ereignissen, in den Mythen und in den Religionen offenbaren. Die Seele des Menschen ist nicht Produkt der Materie, sondern sie ist ein eigenständiges Wesen, das sich durch viele Verkörperungen hindurch entwickelt. Die Lehre von der Wiederverkörperung und vom Karma eröffnet einen neuen Blick auf das Schicksal des Einzelnen und der Menschheit. Die sozialen Fragen, die Frauenfrage, der Kampf zwischen Krieg und Frieden, all das kann nur im Lichte der Geisteswissenschaft in ihrer Tiefe verstanden und gelöst werden. Die äußere Erscheinung der Rassen, die Unterschiede der Völker, sind Ausdruck innerer geistiger Entwicklungsstufen. Die Religionen der Welt tragen einen gemeinsamen Weisheitskern in sich, der in den Symbolen und Mythen verborgen ist. Die Bruderschaft der Menschen gründet nicht auf äußeren Gleichheiten, sondern auf der gemeinsamen geistigen Herkunft und Bestimmung. Das Weihnachtsfest ist nicht bloß ein Erinnerungsfest, sondern es ist das Sinnbild des Sieges der Sonne, des Lichtes über die Finsternis, des geistigen Lichtes, das in der Menschenseele geboren werden will. Das Osterfest weist auf die Auferstehungskraft hin, die im Menschen selbst wirksam werden kann, wenn er sich der geistigen Welt öffnet. Die Gestalten der Sage, wie Siegfried, Parzival und Lohengrin, sind Bilder für innere Entwicklungsschritte, die jeder Mensch vollziehen kann. Die großen Gestalten der Geistesgeschichte, wie Paracelsus und Jakob Böhme, haben in ihren Werken und ihrem Leben gezeigt, wie der Mensch durch innere Entwicklung zur Erkenntnis der geistigen Welt gelangen kann. Die Theosophen des 19. Jahrhunderts haben den Versuch unternommen, das alte geistige Wissen in neuer Form zu erschließen. Die germanische und die indische Geheimlehre zeigen, wie die Menschheit auf verschiedenen Wegen nach dem Geistigen sucht. Die Geisteswissenschaft ist der Weg zur Versöhnung der Gegensätze, zur Erneuerung von Wissenschaft, Kunst und Religion. Sie führt zu einem neuen Menschenbild, zu einer neuen Erkenntnis des eigenen Wesens und der Welt. Wer diesen Weg geht, der findet die Lösung der Welträtsel nicht in äußeren Theorien, sondern in der lebendigen Erfahrung des eigenen Geistes. 55) Die übersinnliche Erkenntnis ist in unserer Zeit nicht bloß eine Angelegenheit für Träumer oder Schwärmer, sondern eine Notwendigkeit für das Leben des modernen Menschen. Die äußere Wissenschaft hat Großes geleistet, doch sie stößt an Grenzen, wenn es um die tiefsten Fragen des Daseins geht: um Geburt und Tod, um das Wesen von Leid und Böse, um Krankheit und Gesundheit, um die Entwicklung des Menschen und seine Bestimmung. Die Geisteswissenschaft eröffnet einen Zugang zu diesen Fragen, indem sie die verborgenen Zusammenhänge zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, zwischen Leib, Seele und Geist aufzeigt. Das Blut ist nicht nur ein physischer Saft, sondern Träger des Ich, des individuellen Geistes im Menschen. Durch das Blut wird das Ich in den Leib eingesenkt, und im Blute lebt das, was den Menschen zum freien, selbstbewussten Wesen macht. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Entwicklung dieses Ich, und die großen kulturellen Umwälzungen sind an das Blut und seine Geheimnisse geknüpft. Das Leid hat seinen Ursprung nicht in einer fehlerhaften Welt, sondern ist ein notwendiges Mittel zur Entwicklung des Menschen. Durch das Leid wird das Bewusstsein geweckt, und die Seele wächst an den Widerständen, die ihr das Leben entgegensetzt. Das Böse ist nicht bloß das Gegenteil des Guten, sondern ein notwendiges Element der Freiheit. Erst durch die Möglichkeit des Bösen kann der Mensch sich aus eigener Kraft zum Guten erheben. Krankheit und Tod sind nicht bloß Feinde des Lebens, sondern gehören zum großen Plan der Menschheitsentwicklung. Krankheit ist oft ein Zeichen dafür, dass sich die Seele nicht harmonisch in den Leib einfügt, und Tod ist der Durchgang zu neuen Daseinsformen. Die Erkenntnis des Übersinnlichen zeigt, dass das Leben nicht mit dem Tod endet, sondern dass die Seele durch wiederholte Erdenleben reift und sich vervollkommnet. Die Erziehung des Kindes muss sich an den Lebensstufen orientieren, die das Kind durchläuft. In den ersten Jahren wirkt die Nachahmung, später das Vorbild der Autorität, und schließlich das erwachende eigene Urteil. Märchen, Kunst, Geschichte und Religion sind nicht bloß Unterrichtsstoff, sondern lebendige Kräfte, die die Seele formen und stärken. Die Schule darf nicht bloß Wissen vermitteln, sondern muss den ganzen Menschen bilden. Auch der Wahnsinn, die Krankheit der Seele, wird durchsichtig, wenn man die Beziehung zwischen Leib, Seele und Geist erkennt. Gesundheit und Weisheit hängen zusammen: Weisheit ist die Gesundheit der Seele, Gesundheit die Weisheit des Leibes. Der Lebenslauf des Menschen ist ein Weg, auf dem sich das höhere Selbst offenbart. In Kindheit, Jugend, Reife und Alter entfalten sich verschiedene Kräfte, und der Mensch ist aufgerufen, sich immer bewusster seines wahren Wesens zu werden. Die Rosenkreuzer sind diejenigen, die diesen Weg des inneren Wachstums bewusst gehen und die Geheimnisse des Geistes erschließen. Richard Wagner hat in seinen Werken die große Mystik der Menschheitsentwicklung künstlerisch gestaltet. Seine Musikdramen sind Gleichnisse für die Entwicklung der Seele und die Erlösung des Menschen durch Liebe und Erkenntnis. Die Bibel enthält in ihren Bildern und Geschichten die tiefsten Weisheiten der Menschheit. Wer sie geistig zu lesen versteht, findet darin die ewigen Wahrheiten, die die Geisteswissenschaft heute wieder lebendig machen will. 56) Es gibt eine Wissenschaft vom Geistigen, die nicht im Gegensatz zur Naturwissenschaft steht, sondern deren notwendige Ergänzung bildet. Die Naturwissenschaft hat Großes geleistet, indem sie die äußeren Erscheinungen der Welt bis ins Kleinste und Größte erforscht hat, doch bleibt sie an die Sinne und an das Denken gebunden, das sich auf die Sinneswelt stützt. Hinter dieser sinnlich erfahrbaren Welt aber liegt eine übersinnliche Wirklichkeit, und der Mensch trägt in sich die Fähigkeit, diese Wirklichkeit zu erkennen, wenn er seine Erkenntniskräfte entwickelt. Die Geisteswissenschaft zeigt, wie der Mensch, indem er sich innerlich schult, zu einer höheren Erkenntnis gelangt, die nicht mehr an die Sinne, sondern an das Geistige gebunden ist. Diese höhere Erkenntnis eröffnet einen Zugang zu den verborgenen Kräften, die hinter dem äußeren Dasein wirken. Sie macht verständlich, wie die Seele nicht bloß Produkt der Vererbung und der äußeren Einflüsse ist, sondern aus einer geistigen Welt stammt, in die sie nach dem Tode wieder eintritt. Die Entwicklung der Menschenseele ist ein Weg durch viele Leben hindurch, und in jedem Leben trägt sie die Früchte ihrer früheren Daseinsformen weiter. Die Geisteswissenschaft lehrt, wie die Gegensätze von Mann und Frau, von Geburt und Tod, von Krankheit und Gesundheit in einem höheren Zusammenhang stehen, der sich nur dem erschließt, der bereit ist, die äußere Erscheinung zu durchdringen. Die Initiation, die Einweihung in die geistigen Welten, ist kein Geheimnis, das wenigen Auserwählten vorbehalten bleibt, sondern ein Weg, der jedem Menschen offensteht, der sich ernsthaft darum bemüht. Sie verlangt eine innere Läuterung, eine Entwicklung der Seele, durch die der Mensch fähig wird, die geistigen Tatsachen zu schauen. Dabei lauern Gefahren: Hochmut, Egoismus, Verblendung – sie können den Suchenden auf Abwege führen. Deshalb ist es notwendig, den Weg der Erkenntnis mit moralischer Kraft und innerer Wahrhaftigkeit zu gehen. Im Lichte der Geisteswissenschaft zeigt sich, dass Krankheit nicht bloß ein physischer Defekt ist, sondern Ausdruck geistiger Zusammenhänge, und dass wahre Gesundheit aus dem Einklang mit den geistigen Gesetzen erwächst. Die sozialen Fragen der Gegenwart, die Probleme von Beruf und Erwerb, können nicht durch äußere Reformen allein gelöst werden, sondern verlangen eine Erneuerung der Gesinnung, die aus dem Bewusstsein der geistigen Zusammenhänge erwächst. Der Mensch ist eingebettet in die große Ordnung des Kosmos. Sonne, Mond und Sterne sind nicht bloß materielle Himmelskörper, sondern Ausdruck geistiger Wesenheiten und Kräfte, die auf das Leben der Erde und des Menschen einwirken. Die Fragen nach dem Ursprung und dem Ziel der Erde, nach Himmel und Hölle, nach dem Leben nach dem Tod, werden durch die Geisteswissenschaft in einer Weise beantwortet, die dem modernen Bewusstsein entspricht und die Würde des Menschen als geistiges Wesen offenbart. So ruft die Geisteswissenschaft dazu auf, das äußere Wissen zu vertiefen durch das innere Schauen, das Leben zu durchdringen mit dem Bewusstsein des Geistigen, und die Aufgaben der Gegenwart aus der Erkenntnis der ewigen Zusammenhänge zu gestalten. 57) Der Geist ist nicht bloß ein Gegenstand abstrakter Spekulation, sondern lebendige Wirklichkeit, die allem Dasein zugrunde liegt. Wer nach dem Geist fragt, steht vor der Aufgabe, sich nicht mit bloßen Begriffen oder äußeren Erscheinungen zu begnügen, sondern in das Wesen der Dinge einzudringen. Geist ist nicht bloß das, was im Menschen als Denken, Fühlen und Wollen erscheint, sondern auch das, was in der Welt als schöpferische Kraft wirkt, die alles durchdringt. So wie das Eis aus dem Wasser hervorgeht, so ist die Materie selbst verdichteter Geist; alles Sichtbare ist Ausdruck und Offenbarung des Unsichtbaren. Um den Geist zu erkennen, bedarf es einer Schulung, einer Verwandlung des gewöhnlichen Denkens. Die Geisteswissenschaft zeigt Wege, wie das Denken sich von der bloßen Abbildung äußerer Dinge zu einem schöpferischen, lebendigen Erfassen des Geistigen erhebt. In der Beschäftigung mit Goethes Märchen und Faust, in der Betrachtung der Bibel, der Mythen, der Mysterien, offenbaren sich die Stufen des Geistigen. Die alten Mysterien, das alte Hellsehen, die europäische Geistesgeschichte bis zum Gral, sie alle sind Ausdruck der geistigen Entwicklung der Menschheit. Die großen Geister der Vergangenheit, wie Goethe, Nietzsche, Tolstoj, stehen als Suchende und Ringende vor uns. Sie zeigen, wie das Streben nach Erkenntnis, nach Wahrheit und nach dem Geistigen das menschliche Leben durchzieht. Im praktischen Leben, in Erziehungsfragen, in der Gestaltung des Alltags, in Gesundheit und Ernährung, überall kann die Geisteswissenschaft Orientierung geben, weil sie den Menschen als ein Wesen erkennt, das aus Leib, Seele und Geist besteht. Die Temperamente, die unsichtbaren Glieder der Menschennatur, das Verhältnis von Seele und Geist, all das wird verständlich, wenn man sich nicht an die Oberfläche des Lebens hält, sondern das Innere, das Geistige sucht. Die Geisteswissenschaft führt zu einer neuen Lebenspraxis, zu einer Erneuerung der Kultur, weil sie den Menschen an seine geistige Herkunft und Bestimmung erinnert. Sie zeigt, dass der Geist nicht etwas Fernes, Abstraktes ist, sondern das innerste Wesen des Menschen und der Welt. Wer den Geist sucht, findet ihn überall, wenn er sich selbst verwandelt und mit neuen Augen zu schauen lernt. 58) Die Geisteswissenschaft erschließt dem Menschen einen Zugang zu einer Wirklichkeit, die hinter der sinnlichen Erscheinungswelt liegt. Der Geist ist nicht bloß ein abstraktes Prinzip, sondern eine reale Kraft, die das menschliche Leben durchdringt und gestaltet. In früheren Zeiten war das Verhältnis des Menschen zur geistigen Welt ein anderes, unmittelbarer, eingebettet in Traditionen und überlieferte Vorstellungen. Heute verlangt die Entwicklung der Menschheit, dass der Einzelne selbständig, auf innerem Wege, zu Erkenntnissen des Geistes vordringt. Das Streben nach Erkenntnis des eigenen Wesens, nach der Bestimmung des Menschen, ist Ausdruck dieses inneren Drangs. Die Frage nach dem Wesen des Menschen lässt sich nicht durch bloße Definitionen beantworten, wie sie etwa Aristoteles oder Descartes gaben. Es genügt nicht zu sagen, der Mensch sei ein vernünftiges Tier oder ein denkendes Wesen. Vielmehr verlangt die Zeit, dass der Mensch aus dem Innersten seines Wesens heraus erfährt, was er ist und was er tun soll. Die Geisteswissenschaft will diese Frage beantworten, indem sie den Menschen als ein Wesen begreift, das sich durch die Entwicklung seiner Seelenkräfte – Empfindung, Verstand, Bewusstsein – und durch die Verwandlung dieser Kräfte zu immer höherer Reife erhebt. Der Zorn, wenn er edel und gerecht ist, wirkt gestaltend auf die Empfindungsseele und kann zur schöpferischen Kraft werden, wenn er nicht in blinder Leidenschaft verharrt, sondern sich durch das Ich läutern lässt. Die Wahrheit, als Ideal der Verstandesseele, fordert den Menschen heraus, sich nicht mit bloßen Meinungen oder Traditionen zu begnügen, sondern im eigenen Inneren die Wahrheit zu suchen und zu erleben. Die Andacht, als Haltung der Bewusstseinsseele, öffnet den Menschen für das Übersinnliche, für das Wirken des Geistigen in der Welt und im eigenen Inneren. Der Charakter des Menschen ist das Ergebnis der Harmonie, die das Ich zwischen den Seelengliedern stiftet. Durch rechte Erziehung und Selbsterziehung werden die Seelenkräfte gestärkt und aufeinander abgestimmt, so dass der Mensch zu einer gesunden, schöpferischen Persönlichkeit heranreift. Die Askese, wenn sie im rechten Maß geübt wird, dient der Stärkung der Seele, darf aber nicht in einseitige Verleugnung des Lebens ausarten, die zur Krankheit führen kann. Der Egoismus ist eine notwendige Stufe der Entwicklung, denn der Mensch muss sich zunächst als Einzelwesen erleben, um dann aus freiem Entschluss seine Fähigkeiten und Erlebnisse der Welt und den Mitmenschen zu schenken. Im Gegensatz zum Buddhismus, der auf die innere Vollkommenheit des Einzelnen zielt, steht das Christentum, das den Menschen zur Reife im Dienste der Menschheit führen will. Die Entwicklung des Menschen vollzieht sich in Rhythmen, die mit den kosmischen Rhythmen verbunden sind; der Mensch ist eingebettet in die großen Zusammenhänge des Kosmos und reift in eigenen Rhythmen zu wahrem Menschentum heran. Die Geisteswissenschaft will den Menschen befähigen, sich als Glied der geistigen Welt zu erkennen, seine Seelenkräfte zu entwickeln und zu verwandeln und so zu einem bewussten Mitarbeiter am Werk des Geistes zu werden. 59) Die Sprache offenbart das Wesen des Menschen, sie ist das große Band, das das Innere mit der Außenwelt verbindet. In ihr strömen Gedanken, Gefühle, Willensimpulse nach außen, werden für andere zugänglich und bilden das Medium, durch das sich die Individualität mit der Gemeinschaft verbindet. Doch die Sprache ist nicht nur Ausdruck, sondern auch Macht: Sie wirkt zurück auf das Denken, zwingt dem Menschen Begriffe und Denkformen auf, die er nicht immer aus sich selbst schöpft. Die Sprache eines Volkes formt dessen Charakter, prägt Temperament und Lebensauffassung, so dass der Einzelne unter der Tyrannei des Gemeinsamen steht. Das Geheimnis der Sprache, ihre Entstehung und Entwicklung, bleibt der äußeren Wissenschaft ein Rätsel. Weder die Nachahmung von Lauten, wie sie die sogenannte „Wauwau-Theorie“ beschreibt, noch die Annahme eines inneren Klangwesens der Dinge, wie es Max Müller vorschlägt, vermögen zu erklären, wie der Mensch aus seinem Inneren heraus den Dingen Namen gibt. Die Geisteswissenschaft muss tiefer blicken: Der Mensch besteht aus physischem Leib, Ätherleib, astralischem Leib und Ich. Die Sprache ist verwoben mit diesen Wesensgliedern, sie entspringt nicht bloß dem äußeren Nachahmen, sondern ist Ausdruck des innersten Seelenlebens, das sich in der Welt offenbart. Lachen und Weinen stehen als besondere Ausdrucksformen neben der Sprache. Im Lachen offenbart sich die Befreiung des Ich von den Zwängen des Leibes, im Weinen die Ohnmacht des Ich angesichts des Leides. Beide sind Grenzphänomene, an denen sich das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zur Welt zeigt. Die Mystik ist der Weg, auf dem die Seele sich in das Göttliche versenkt, in innerer Erfahrung das Übersinnliche sucht. Das Gebet ist die Brücke zwischen Mensch und Gott, es erhebt die Seele, macht sie empfänglich für höhere Kräfte. Krankheit erscheint als Überschreitung der Grenzen zwischen den Wesensgliedern, als Störung des harmonischen Zusammenwirkens von Leib, Seele und Geist. Heilung bedeutet die Wiederherstellung des Gleichgewichts, die Rückführung der entfremdeten Kräfte auf ihren rechten Platz. Der Mensch steht zwischen Positivität und Negativität, zwischen Offenheit und innerer Festigkeit. Die Entwicklung verlangt, dass er beides in sich ausbildet: die Kraft, sich zu öffnen, und die Kraft, sich zu behaupten. Irrtum und Irresein entspringen der gestörten Beziehung zwischen den Wesensgliedern, dem Verlust des inneren Maßes. Das Gewissen ist die göttliche Stimme in der Seele, es führt den Menschen über das bloß Persönliche hinaus, verbindet ihn mit dem Ewigen. Die Kunst ist die Offenbarung der menschlichen Schöpferkraft. Im Werk des Künstlers wird das Vergängliche zum Gleichnis des Unvergänglichen, das Sinnliche durchdrungen vom Geistigen. Die großen Dichter – Homer, Aischylos, Dante, Shakespeare, Goethe – sind Zeugen dieser Mission: Sie führen das Menschliche zur Offenbarung des Göttlichen, machen das Unsichtbare sichtbar, das Ewige gegenwärtig. 60) Es gibt eine geistige Welt, die ebenso wirklich ist wie die sinnlich wahrnehmbare, und diese geistige Welt kann durch geisteswissenschaftliche Forschung erschlossen werden. Nicht abstrakte Begriffe, sondern lebendige, wirkende Wesenheiten stehen hinter allem, was sich im äußeren Dasein zeigt. Der Mensch ist nicht bloß ein Produkt der physischen Welt, sondern trägt in sich einen unvergänglichen Wesenskern, das Ich, das sich durch Geburt und Tod hindurch entwickelt. Leben und Tod erscheinen nicht als Gegensätze, sondern als zwei Seiten eines umfassenderen Daseins, in dem der Tod als Keim eines neuen Lebens wirkt. Die Seele des Menschen unterscheidet sich grundlegend von der Tierseele. Während das Tier in der Gattung aufgeht, wächst die Menschenseele über das Gattungsmäßige hinaus und bildet individuelle Fähigkeiten, Sprache, Moral, Bewusstsein. Im Menschengeist lebt eine schöpferische Kraft, die sich in Kultur, Wissenschaft und Kunst offenbart. Auch im Pflanzenreich wirkt Geist, doch in anderer, verborgenerer Weise. Der Schlaf stellt eine tägliche Trennung von Leib und Seele dar, wobei die Seele in andere Daseinsbereiche eintritt, um Kräfte zu schöpfen, die dem Tagesbewusstsein verborgen bleiben. Die Erziehung des Menschen hat die Aufgabe, nicht nur äußere Fähigkeiten zu fördern, sondern das Ewige, das Geistige im Menschen zu pflegen und zur Entfaltung zu bringen. Die Erkenntnis der geistigen Welt ist möglich, wenn der Mensch seine inneren Fähigkeiten durch Übung und Schulung entwickelt. Die großen Individualitäten der Menschheitsgeschichte – Zarathustra, Hermes, Buddha, Moses – sind Führer der Menschheit, deren Wirken aus geistigen Höhen stammt. Auch die Gestalten der abendländischen Kultur wie Galilei, Giordano Bruno und Goethe zeigen, wie sich das Geistige in der Geschichte entfaltet. Die Naturwissenschaft hat das Weltbild der Menschheit gewandelt, aber sie bleibt an die äußere Erscheinung gebunden. Die Geisteswissenschaft zeigt, dass hinter allen Naturvorgängen, hinter Weltentstehung und Sternenlauf, geistige Ursachen und Wesenheiten stehen. Die wahre Erkenntnis des Menschen und der Welt ist nur möglich, wenn das Geistige als schöpferische, lebendige Wirklichkeit anerkannt und erforscht wird. 61) Der Mensch lebt inmitten einer Welt, die mit den Sinnen erfahrbar ist, doch diese Sinnenwelt weist auf Tiefen und Höhen, die nicht mit äußeren Mitteln erfasst werden können. Das Bedürfnis nach Erkenntnis des Übersinnlichen wächst in der Gegenwart, und es ist nicht bloß ein sentimentales Verlangen, sondern ein inneres Sehnen, das aus der Tiefe der Menschenseele aufsteigt. Die äußere Wissenschaft hat Großes geleistet, doch sie stößt an ihre Grenzen, wenn es um die letzten Fragen des Daseins geht. Zwei Strömungen begegnen sich: Die eine meint, mit den Ergebnissen der Naturwissenschaft sei alles Wesentliche gesagt; die andere erkennt an, dass die Wissenschaft Hinweise auf Übersinnliches gibt, aber glaubt, der Mensch sei nicht befähigt, in diese Sphären einzudringen. Doch der Mensch trägt in sich die Möglichkeit, durch innere Entwicklung, durch Schulung seiner Seelenkräfte, in bewusste Beziehung zu den übersinnlichen Welten zu treten. Nicht durch bloße Spekulation, sondern durch methodische, geistige Forschung kann das Tor zu diesen Welten aufgestoßen werden. Die Geisteswissenschaft zeigt, dass der Mensch ein Wesen ist, das aus der geistigen Welt stammt und in diese nach dem Tod zurückkehrt. Tod und Unsterblichkeit erscheinen in neuem Licht, wenn das Leben als ein Durchgang durch verschiedene Daseinsformen erkannt wird. Die großen Gestalten der Geschichte, die Propheten, die Weisen, sie waren Mittler zwischen den Welten. Ihre Inspirationen entsprangen nicht bloß dem eigenen Denken, sondern waren Durchgaben aus höheren Sphären. Paracelsus, Goethe, sie suchten hinter dem Schleier der Erscheinungen das Wirken geistiger Mächte. Die Entwicklung der Menschheit ist eine Geschichte des allmählichen Erwachens des Geistes im Menschen. Jede Kulturepoche bringt neue Kräfte aus der geistigen Welt zur Entfaltung. Das Seelenleben birgt verborgene Tiefen, die durch Selbsterkenntnis und Selbsterziehung erschlossen werden können. Wahres Glück ist nicht an äußere Umstände gebunden, sondern erwächst aus der Verbindung mit dem Ewigen im Menschen. Die Tierwelt, die Pflanzenwelt, auch sie sind aus geistigen Ursprüngen hervorgegangen, und ihre Entwicklung lässt sich nur im Lichte der Geisteswissenschaft verstehen. Die Gestalt des Christus ist der zentrale Wendepunkt der Menschheitsentwicklung. Durch das Mysterium von Golgatha ist eine neue Kraft in die Erdenentwicklung eingetreten, die den Menschen befähigt, seine geistige Herkunft zu erkennen und seine Bestimmung zu erfüllen. Das 20. Jahrhundert steht vor der Aufgabe, diese Christus-Kraft in neuer Weise zu begreifen. Die Geschichte der Wissenschaften, von Kopernikus bis Darwin, zeigt, wie der Mensch sich immer mehr von der geistigen Welt entfernt hat, um in Freiheit zu sich selbst zu finden. Doch diese Freiheit verlangt, dass der Mensch aus eigenem Antrieb den Weg zurück zum Geist sucht. Die Fragen nach Tod, Unsterblichkeit, Ewigkeit und dem Wesen der Menschenseele werden nur durch eine Erweiterung der Wissenschaft zur Geisteswissenschaft befriedigend beantwortet. Darwin hat das Leben von außen betrachtet, doch die wahre Evolution ist eine geistige. Der Mensch ist berufen, durch bewusste Entwicklung seiner geistigen Kräfte die Verbindung mit den übersinnlichen Welten wiederherzustellen und so das Rätsel seines Daseins zu lösen. 62) Das menschliche Erkenntnisstreben kann sich nicht damit begnügen, nur das zu erfassen, was die Sinne bieten und der Verstand aus den Sinneseindrücken ableitet. Es drängt darüber hinaus, zu den geistigen Ursachen der sinnlichen Erscheinungen vorzudringen. Nicht bloß als Hypothese ist eine geistige Welt anzunehmen, sondern sie ist wirklich zu erforschen, wenn die Seelenkräfte durch innere Schulung entwickelt werden. Wie das Auge für die Farben, so kann das geschulte innere Auge die geistige Welt wahrnehmen. Die gewöhnliche Wissenschaft erkennt nur den physischen Leib als Teil der menschlichen Wesenheit. Doch der Mensch ist viergliedrig: physischer Leib, Ätherleib oder Lebensleib, Astralleib und das Ich. Der Ätherleib hält den physischen Leib während des Lebens zusammen und wirkt dem Zerfall entgegen, der mit dem Tode eintritt, wenn sich der Ätherleib löst. Die Geistesforschung zeigt, dass die Entwicklung der Seele nicht an der Grenze des Todes endet, sondern dass der Mensch mit seinem Wesen durch Geburt und Tod hindurchgeht. Die geistige Welt ist die eigentliche Heimat des Menschen, und das irdische Leben ist nur ein Abschnitt in der umfassenden Entwicklung. In der geistigen Welt wirken Gesetzmäßigkeiten, die sich von denen der physischen Welt unterscheiden, und das Leben zwischen Tod und neuer Geburt ist von entscheidender Bedeutung für das Verständnis des menschlichen Daseins. Die Aufgaben der Geistesforschung in Gegenwart und Zukunft bestehen darin, das Bewusstsein für diese geistigen Zusammenhänge zu wecken und zu vertiefen. Es gilt, das Verhältnis von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft zu klären, ohne die Errungenschaften der Naturwissenschaft zu schmälern, sondern sie zu ergänzen und zu erweitern. Die Geistesforschung kann Antworten auf die großen Lebensfragen geben, insbesondere auf das Rätsel von Leben und Tod, und sie weist Wege, wie der Mensch durch Selbsterkenntnis und moralische Entwicklung zu einer höheren Stufe des Daseins gelangen kann. Die Wege der übersinnlichen Erkenntnis erfordern eine sorgfältige Schulung der Seele. Es bedarf der Meditation, der Konzentration, der inneren Sammlung, damit sich die höheren Erkenntniskräfte entfalten. Der Geistesschüler muss sich moralischen Prüfungen stellen und ist den Gefahren des Irrtums ausgesetzt. Die rechte Haltung gegenüber der Wahrheit, die Überwindung von Egoismus und Selbsttäuschung, ist unerlässlich auf dem Pfad der Erkenntnis. Nicht nur das Wissen, sondern die Verwandlung des ganzen Menschen ist gefordert. In der Betrachtung großer Persönlichkeiten wie Jakob Böhme, Raffael oder Leonardo da Vinci wird deutlich, wie sich in einzelnen Menschen das Geistige auf besondere Weise offenbaren kann. Diese Gestalten sind nicht bloß Produkte ihrer Zeit, sondern Träger geistiger Missionen, die über das Persönliche hinausweisen. Die Geistesforschung vermag das Wirken solcher Individualitäten im Zusammenhang mit der geistigen Entwicklung der Menschheit zu erkennen. Märchendichtungen, Kunstwerke und kulturelle Erscheinungen erhalten im Lichte der Geisteswissenschaft eine tiefere Bedeutung. Sie sind Ausdruck geistiger Realitäten und können dem Menschen als Brücke zur übersinnlichen Welt dienen. Die Moral wird nicht als äußere Vorschrift, sondern als inneres Gesetz verstanden, das aus der Erkenntnis des Geistigen erwächst. Das Erbe des neunzehnten Jahrhunderts, mit seinen wissenschaftlichen, künstlerischen und sozialen Errungenschaften, stellt eine große Aufgabe für die Gegenwart dar. Es gilt, die Früchte der Vergangenheit aufzugreifen und sie im Sinne einer lebendigen Geisteswissenschaft weiterzuentwickeln. Die Zukunft verlangt nach einer Synthese von Naturwissenschaft, Kunst und Geistesforschung, damit der Mensch seine wahre Bestimmung erkennen und verwirklichen kann. 63) Die Welt des Geistes ist ebenso wirklich wie die Welt der Sinne, doch bleibt sie dem gewöhnlichen Bewusstsein verborgen. Um in diese geistige Welt einzutreten, bedarf es einer Schulung der Seele, einer bewussten Entwicklung der inneren Fähigkeiten. So wie das Auge, um Farben zu sehen, erst gebildet sein muss, so muss auch das innere Organ für geistige Wahrnehmung erst entwickelt werden. Die Geisteswissenschaft eröffnet dem Menschen die Möglichkeit, sich selbst als ein Wesen zu erkennen, das nicht nur aus Leib, sondern aus Seele und Geist besteht. In der heutigen Zeit, da der Materialismus herrscht und viele glauben, alles Geistige sei nur ein Produkt des Gehirns, ist es notwendig, aufzuzeigen, dass das Seelisch-Geistige eine eigene Wirklichkeit besitzt, die unabhängig vom physischen Leib erfahren werden kann. Die Geisteswissenschaft ist keine neue Religion und keine bloße Fortsetzung alter Überlieferungen, sondern sie gründet sich auf unmittelbare, gegenwärtige Forschungsergebnisse, die jeder Mensch durch die Ausbildung seiner geistigen Organe erreichen kann. Sie steht nicht im Gegensatz zur Naturwissenschaft, sondern erkennt deren große Verdienste an und baut auf deren exakter Methodik auf. Doch während die Naturwissenschaft die äußere Welt erforscht, erschließt die Geisteswissenschaft das Innere des Menschen, seine unsterbliche Seele, ihr Verhältnis zum Tod und zur Wiedergeburt, zum Schicksal und zur Freiheit. Das religiöse Empfinden wird durch die Geisteswissenschaft nicht zerstört, sondern vertieft. Sie führt zu einer bewussten Beziehung zur geistigen Welt, die dem Menschen neue Kraft und Orientierung gibt. Die Erkenntnis des Todes, der Unsterblichkeit und der Wiedergeburt zeigt, dass das Leben nicht mit dem Tod endet, sondern dass die Seele in einer geistigen Welt weiterlebt und sich immer wieder neu verkörpert. Auch das Schicksal erscheint in einem neuen Licht: Es ist nicht bloßes Zufallsprodukt, sondern Ausdruck der geistigen Entwicklung des Menschen. Die großen Künstler und Denker der Geschichte, wie Michelangelo oder Voltaire, werden von der Geisteswissenschaft aus ihrem inneren Ringen mit der geistigen Welt verstanden. Michelangelo etwa wird als ein Mensch sichtbar, der in seiner Kunst den Wandel des geistigen Lebens seiner Zeit zum Ausdruck bringt. Das Böse wird nicht als etwas Absolutes, sondern als eine fehlgeleitete Kraft erkannt, die am falschen Ort wirkt. Die sittliche Grundlage des Menschenlebens liegt im Bewusstsein der eigenen Verantwortung vor der geistigen Welt. Die Geisteswissenschaft zeigt, dass der Mensch nicht nur ein Produkt seiner Umwelt ist, sondern ein freies, geistiges Wesen, das seine Entwicklung selbst in die Hand nehmen kann. Sie ist eine Schule der Liebe, weil sie den Menschen lehrt, sich selbst und den anderen als geistiges Wesen zu erkennen, und sie ist ein Lebensgut, weil sie zur Gesundheit von Leib, Seele und Geist beiträgt. Wer sich auf den Weg der Geisteswissenschaft begibt, findet einen tieferen Sinn im Leben, eine neue Beziehung zur Welt und eine innere Freiheit, die aus der Erkenntnis des eigenen geistigen Wesens erwächst. 64) In einer Zeit, in der das Schicksal der Menschheit in ernster Weise auf dem Prüfstand steht, ist es notwendig, die geistigen Kräfte zu ergreifen, die in der deutschen Kultur und im deutschen Geistesleben lebendig sind. Die geistige Strömung, die von Goethe ausgeht, offenbart sich nicht bloß im intellektuellen Erfassen der Welt, sondern im lebendigen Durchdringen des Lebens mit Geist. Goethe hat gezeigt, wie der Mensch sich als ein Wesen zwischen Geburt und Tod begreifen kann, das in sich Kräfte trägt, die über das bloß Materielle hinausgehen. In der Betrachtung der Menschenseele wird deutlich, dass Leben und Tod nicht Gegensätze sind, sondern dass der Tod in das Leben hereinragt und das Leben durchdringt. Die Seele des Menschen ist nicht an das Irdische gebunden, sondern sie trägt in sich das Vermögen, sich über das Sinnliche zu erheben und das Übersinnliche zu erfassen. Die großen Geister der deutschen Kultur, wie Schiller und Fichte, haben den Weg gewiesen, wie der Mensch sich selbst als geistiges Wesen erkennen und aus dieser Selbsterkenntnis heraus die Welt gestalten kann. Die Volksseelen der verschiedenen Nationen offenbaren sich in ihrer besonderen Art, das Geistige zu erleben und zu gestalten. Doch gerade die deutsche Seele ist dazu berufen, das Geistige nicht bloß zu empfinden, sondern es in lebendiger Entwicklung immer wieder zu erneuern. In der Betrachtung der Völkerseelen wird sichtbar, wie jedes Volk seine Aufgabe im Weltenzusammenhang hat und wie in der gegenwärtigen Zeit die Notwendigkeit besteht, das eigene Wesen zu erkennen und aus dieser Erkenntnis heraus zu handeln. Die Frage nach dem Sterblichen und Unsterblichen im Menschen führt zur Einsicht, dass das, was am Menschenwesen vergeht, nur das ist, was an das Physische gebunden ist. Das Unsterbliche, das Ewige im Menschen, ist das, was sich im Denken, Fühlen und Wollen offenbart, sofern es sich dem Geistigen öffnet. Die Kräfte, die die menschliche Seele immer wieder verjüngen, liegen in der Fähigkeit, sich dem Geistigen zuzuwenden und aus der Tiefe des eigenen Wesens heraus schöpferisch zu wirken. Die deutsche Geisteskultur trägt in sich die Kraft, in glücklichen wie in ernsten Stunden des Lebens das Geistige zu erfassen und zur tragenden Kraft des Lebens zu machen. In der Auseinandersetzung mit dem deutschen Idealismus wird deutlich, dass das Denken nicht bloß ein Abbilden der äußeren Welt ist, sondern dass es einen Schauplatz eröffnet, auf dem der Mensch sich als geistiges Wesen erlebt. Das Weltbild des deutschen Idealismus zeigt, wie der Mensch durch die Selbsterkenntnis zur Welterkenntnis gelangt. Schlaf und Tod erscheinen vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft als verwandte Zustände, in denen das Ich sich von der physischen Welt löst und in die geistige Welt eintritt. Die Selbsterkenntnis des Menschen ist der Weg zur Welterkenntnis, denn nur wer sich selbst als geistiges Wesen erkennt, kann das Geistige in der Welt erfassen und gestalten. In der gegenwärtigen Zeit, die von schweren Schicksalen geprägt ist, kommt es darauf an, die Kräfte der Erneuerung aus dem Geistigen zu schöpfen und das Leben aus der Tiefe des Geistes zu gestalten. 65) Goethe und das Weltbild des deutschen Idealismus: In einer Zeit tiefster Bedrängnis und äußerster Gegnerschaft richtet sich der Blick auf jene Epoche, in der aus dem Innersten des deutschen Wesens heraus die Verbindung mit der geistigen Welt gesucht wurde. Nicht durch Herabsetzung anderer, sondern durch Pflege des eigenen geistigen Lebens offenbart sich die wahre Größe. Die deutsche Innerlichkeit, das Streben nach Wahrheit und Ideen, die Verbindung von Poesie und Philosophie, hebt das deutsche Geistesleben von anderen Nationen ab. In der Zeit des Idealismus wird das Wissen selbst zum Rätsel, der Mensch muss sich fragen, ob er nicht über das Wissen hinaus zu den ewigen Quellen des Daseins vordringen muss. Die Wissenschaft wird nicht bloß als Summe von Begriffen gesehen, sondern als lebendige Kraft in der Seele, die den Menschen mit dem Ewigen verbindet. Die ewigen Kräfte der Menschenseele: Die Seele trägt in sich Kräfte, die über Geburt und Tod hinausreichen. Diese Kräfte offenbaren sich in den verschiedenen Lebensaltern, im kindlichen Erleben, in der Reife, im Alter. Die Seele ist nicht nur das Produkt äußerer Einflüsse, sondern schöpft aus verborgenen Tiefen. In der Selbsterkenntnis, im Durchleben von Schmerz und Freude, im Streben nach Wahrheit und Schönheit, entfaltet sich das Ewige im Menschen. Die geistige Forschung zeigt, dass die Seele nicht an den Leib gebunden bleibt, sondern in einem größeren Zusammenhang steht, der über das individuelle Leben hinausweist. Bilder aus Österreichs Geistesleben im neunzehnten Jahrhundert: Die kulturelle und geistige Entwicklung Österreichs ist eng mit dem deutschen Geistesleben verbunden. Große Persönlichkeiten wie Grillparzer, Nestroy, Hebbel und andere offenbaren in ihrem Werk die Auseinandersetzung mit den Lebensrätseln der Zeit. Die österreichische Dichtung und Wissenschaft tragen das Streben nach Tiefe, nach Wahrheit und nach einer Verbindung mit dem Geistigen in sich. Inmitten politischer und sozialer Umwälzungen bleibt das geistige Streben lebendig und prägt das kulturelle Leben Mitteleuropas. Menschenseele und Menschengeist: Die Unterscheidung von Leib, Seele und Geist ist grundlegend für das Verständnis des Menschen. Die Seele ist das Feld der Erlebnisse, der Empfindungen, der Gedanken und des Wollens. Der Geist aber ist das Ewige, das im Menschen wirkt, das ihn mit höheren Welten verbindet. Durch Selbsterziehung, durch Bewusstwerdung, durch Hingabe an das Wahre und Gute kann die Seele sich dem Geistigen öffnen und an dessen Kräften teilhaben. Fichtes Geist mitten unter uns: Fichte verkörpert das Streben nach Freiheit, nach Selbstbestimmung und nach einer Erneuerung des Geisteslebens. In seinen Reden an die deutsche Nation ruft er zur inneren Umwandlung auf, zur Pflege des geistigen Lebens als Grundlage für die Erneuerung des Volkes. Fichtes Denken ist kein abstraktes Philosophieren, sondern ein lebendiges Ringen um das Wesen des Menschen und seine Aufgabe in der Welt. Fausts Weltwanderung und seine Wiedergeburt aus dem deutschen Geistesleben: Faust steht als Symbol für das unaufhörliche Streben des Menschen nach Erkenntnis und Vollendung. Seine Wanderung durch die Welt, seine Begegnungen mit Gut und Böse, mit Licht und Finsternis, spiegeln das menschliche Ringen um Sinn und Wahrheit. Die Wiedergeburt Fausts aus dem deutschen Geistesleben zeigt, dass das Streben nach dem Geistigen nie vergeblich ist, sondern zu immer neuen Höhen führt. Gesundes Seelenleben und Geistesforschung: Ein gesundes Seelenleben entsteht, wenn der Mensch die Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens in Harmonie bringt. Die Geistesforschung zeigt Wege, wie die Seele gestärkt, geläutert und für höhere Erkenntnisse empfänglich gemacht werden kann. In der heutigen Zeit, die von Materialismus und äußeren Zwängen geprägt ist, ist die Pflege des inneren Lebens wichtiger denn je. Österreichische Persönlichkeiten in den Gebieten der Dichtung und Wissenschaft: Die Vielfalt und Tiefe österreichischer Geisteskultur zeigt sich in den Werken großer Dichter, Denker und Wissenschaftler. Ihr Wirken ist Ausdruck eines lebendigen Ringens um Wahrheit, Schönheit und Menschlichkeit. In ihren Lebensläufen spiegeln sich die Herausforderungen und Möglichkeiten der mitteleuropäischen Kultur. Wie werden die ewigen Kräfte der Menschenseele erforscht?: Die Erforschung der Seele erfordert mehr als äußere Beobachtung; sie verlangt innere Schulung, Selbsterkenntnis und Hingabe an das Geistige. Die ewigen Kräfte der Seele offenbaren sich dem, der bereit ist, über das bloß Intellektuelle hinauszugehen und die geistigen Dimensionen des Daseins zu erfassen. Ein vergessenes Streben nach Geisteswissenschaft innerhalb der deutschen Gedankenentwickelung: In der Geschichte des deutschen Denkens finden sich immer wieder Ansätze zu einer umfassenden Geisteswissenschaft, die das Materielle und das Geistige verbindet. Dieses Streben wurde oft übersehen oder missverstanden, doch es lebt fort in den Werken großer Geister und wartet darauf, neu ergriffen zu werden. Warum missversteht man die Geistesforschung?: Die Geistesforschung wird oft abgelehnt oder missverstanden, weil sie den Menschen aufruft, über das Gewohnte hinauszugehen, sich selbst zu verwandeln und neue Erkenntniswege zu beschreiten. Die Vorurteile gegen die Geisteswissenschaft entspringen meist einem Mangel an innerer Erfahrung und Bereitschaft zur Selbsterziehung. Nietzsches Seelenleben und Richard Wagner. Zur deutschen Weltanschauungsentwickelung der Gegenwart: Nietzsche und Wagner verkörpern zwei gegensätzliche, aber sich ergänzende Strömungen im deutschen Geistesleben. Nietzsche ringt mit den Abgründen der Seele, mit dem Nihilismus und der Suche nach neuen Werten. Wagner sucht im Mythos, in der Kunst, im Gesamtkunstwerk nach einer Erneuerung des Menschen. Beide zeigen die Dramatik und Tiefe der modernen Seelenerfahrung. Die Unsterblichkeitsfrage und die Geistesforschung: Die Frage nach der Unsterblichkeit ist nicht bloß ein theoretisches Problem, sondern betrifft das tiefste Wesen des Menschen. Die Geistesforschung zeigt, dass das Leben nach dem Tode weitergeht, dass die Seele in neuen Daseinsformen fortlebt und dass das irdische Leben eine Vorbereitung auf höhere Aufgaben ist. Die deutsche Seele in ihrer Entwicklung: Die deutsche Seele ist geprägt von Innerlichkeit, von der Suche nach Wahrheit, von der Bereitschaft, sich dem Geistigen zu öffnen. In ihrer Entwicklung durchläuft sie Krisen und Erneuerungen, ringt mit den Herausforderungen der Zeit und sucht immer wieder den Anschluss an das Ewige. Leib, Seele und Geist in ihrer Entwicklung durch Geburt und Tod und ihre Stellung im Weltall: Der Mensch ist ein Wesen, das durch Geburt und Tod hindurchgeht, das in Leib, Seele und Geist verschiedene Entwicklungsstufen durchläuft. Das Erdenleben ist eine Schule, in der die Seele reift, der Geist sich entfaltet und der Mensch seine Stellung im Kosmos erkennt. Das Bewusstsein dieser Zusammenhänge eröffnet neue Perspektiven für das individuelle und das gesellschaftliche Leben. 66) Geist und Stoff, Leben und Tod, Schicksal und Seele, Seelenunsterblichkeit, Menschenseele und Menschenleib, Seelenrätsel und Welträtsel, Leben, Tod und Seelenunsterblichkeit im Weltenall, das Jenseits der Sinne und das Jenseits der Seele – dies sind die großen Fragen, denen ich mich zuwende in einer Zeit, in der die Menschheit von tiefem Ernst umgeben ist und in der das Schicksal der Zukunft in dunklen Schleiern vor uns liegt. Die Seele ringt mit den Rätseln von Geist und Stoff, von Leben und Tod, und sucht nach den Quellen ihrer stärksten inneren Kräfte. Nicht in abstrakten Theorien, sondern im lebendigen Ringen der Menschenseele mit diesen Fragen offenbart sich ihre wahre Bedeutung. Ich lasse den Blick auf die Geister des 19. Jahrhunderts ruhen, auf jene, die aus der naturwissenschaftlichen Erkenntnis und dem tiefsten Denken ihrer Zeit nach einer neuen Anschauung über das Verhältnis von Geist und Stoff, von Leben und Tod suchten. Gustav Theodor Fechner steht beispielhaft für diesen Weg. Er erfährt, wie die Naturwissenschaft die Welt in eine „Nachtansicht“ verwandelt: Die Farben, die Töne, alles, was das Leben reich macht, entspringt erst im Menschen, draußen herrscht stumme, finstere Bewegung. Doch Fechner ahnt, dass diese Nachtansicht nicht das letzte Wort sein kann. Er erwartet eine Zukunft, in der eine vergeistigte Anschauung an ihre Stelle tritt, die das Geistige in der Welt wieder anerkennt. So erhebt sich die Frage: Wie kann der Mensch, der sich als geistiges Wesen erlebt, sich zu einer Welt stellen, die ihm von der Wissenschaft als bloße Stofflichkeit erscheint? Die materialistische Weltanschauung, die alles Geistige als Illusion abtut, wird von mir nicht bekämpft, sondern als notwendiger Entwicklungsschritt anerkannt. Doch der Mensch kann nicht darin stehenbleiben. Die Seele verlangt nach einer Erkenntnis, die Geist und Stoff, Leben und Tod in ihrem wahren Zusammenhang erfasst. Das Schicksal des Menschen, seine Seele, ihre Unsterblichkeit und ihr Zusammenhang mit dem Lebenslauf – all dies offenbart sich nicht in äußeren Erscheinungen, sondern im inneren Erleben, im Durchgang durch Geburt und Tod, im Wirken der Schicksalskräfte, die in früheren Erdenleben ihren Ursprung haben und im gegenwärtigen Leben fortwirken. Die Seele trägt ihre Geschichte durch die Zeiten, und in ihrem Wesen lebt das Unvergängliche, das über den Tod hinausreicht. Das Verhältnis von Menschenseele und Menschenleib, von Natur- und Geisterkenntnis, zeigt sich in der Dreigliederung des Menschen: Im Nerven-Sinnes-System lebt das Vorstellen, im rhythmischen System das Fühlen, im Stoffwechsel-Gliedmaßen-System das Wollen. Diese Gliederung offenbart, wie der Mensch in seinem Leib zugleich Naturwesen und Geistwesen ist, wie sich das Geistige im Leiblichen ausdrückt und das Leibliche vom Geistigen durchdrungen wird. Die großen Seelen- und Welträtsel, die in der deutschen Geistesgeschichte immer wieder aufgetaucht sind, verlangen nach einer neuen Forschung und Anschauung. Nicht im bloßen Denken, sondern im lebendigen Erleben, im inneren Schauen, im Durchdringen der eigenen Seele mit geistiger Erkenntnis erschließt sich das Wesen des Menschen und der Welt. Die Unsterblichkeit der Seele, das Fortleben nach dem Tod, das Jenseits der Sinne, das Jenseits der Seele – all dies wird zur Erfahrung, wenn der Mensch sich auf den Weg der Geisteswissenschaft begibt, der nicht an den Grenzen der Sinneswelt haltmacht, sondern in die geistigen Welten eindringt. So wird das Leben in seiner Tiefe erkannt, der Tod als Wandlung, das Schicksal als Sinnzusammenhang, der die Seele durch die Zeiten trägt. Die Welt ist nicht bloß Stoff, sondern durchdrungen vom Geist, und der Mensch ist berufen, diesen Geist zu erkennen, in sich zu erleben und in die Welt zu tragen. 67) Im Streben nach Erkenntnis des Ewigen in der Menschenseele erhebt sich die Frage nach Unsterblichkeit und Freiheit als die zentralen Anliegen der Menschheit, seitdem sie zu Denken und Fühlen erwacht ist. In der Gegenwart verlangt das Wesen der Zeit, dass diese uralten Fragen in neuer Form, dem modernen Bewusstsein angemessen, beantwortet werden. Die naturwissenschaftliche Weltsicht hat Bedeutendes geleistet, doch ihr methodisches Ausschließen des Subjektiven macht sie unfähig, das eigentliche Wesen von Seele und Geist zu erfassen. Die Geisteswissenschaft, wie sie hier vertreten wird, steht nicht im Gegensatz zur Naturwissenschaft, sondern erkennt deren Größe an und sucht, auf deren Grundlage, das Geistige im Menschen und in der Welt methodisch zu erfassen. Der Mensch ist nicht bloß ein Produkt physischer und chemischer Prozesse, sondern ein Wesen, das in sich Geist, Seele und Leib vereint. Die geistige Forschung zeigt, dass das Seelische nicht bloß ein Nebenprodukt des Leibes ist, sondern dass der Mensch als geistiges Wesen in die Welt hineingestellt ist, mit Aufgaben, die über das bloß Natürliche hinausgehen. Die Entwicklung der Menschheit, die Geschichte, die Natur selbst erscheinen in neuem Licht, wenn sie von der Geisteswissenschaft aus betrachtet werden. Die Rätsel der Natur, die großen geschichtlichen Fragen, alles weist hin auf einen tieferen Zusammenhang, der sich nur dem geistigen Blick erschließt. Goethe, als Vater dieser Geistesforschung, hat gezeigt, wie man das Geistige in der Natur und im Menschen aufspüren kann, indem man nicht nur das Äußere, sondern das innere Wesen der Dinge erfasst. Die geistige Forschung führt zur Erkenntnis, dass das Unbewusste, das im Menschen wirkt, Offenbarungen des Geistigen enthält, die im gewöhnlichen Bewusstsein verborgen bleiben. Der Mensch ist berufen, diese verborgenen Kräfte zu erkennen und in Freiheit zu gestalten. Die Tierwelt und die Menschenwelt zeigen sich im Lichte der Geisteswissenschaft als aus demselben Ursprung hervorgegangen, doch ist der Mensch über das Tier hinausgewachsen, indem er zum Selbstbewusstsein und zur Freiheit gelangt ist. Das Übersinnliche im Menschen offenbart sich als eine Wirklichkeit, die durch geistige Schulung erkannt werden kann. So wird deutlich, dass die Fragen nach Willensfreiheit und Unsterblichkeit nicht bloß spekulative, sondern reale Fragen sind, die im Lichte der Geisteswissenschaft beantwortet werden können. Das Ewige in der Menschenseele ist keine bloße Hoffnung, sondern eine zu erkennende Wirklichkeit. Die Freiheit des Menschen ist nicht Illusion, sondern Aufgabe und Möglichkeit, die im Geistigen gründet. Wer sich dem Wege der Geistesforschung öffnet, wird erfahren, wie die Seele in ihrer Tiefe mit dem Ewigen verbunden ist und wie der Mensch berufen ist, dieses Ewige in Freiheit zu verwirklichen. 73) Im Zeitalter der naturwissenschaftlichen Weltanschauung, wie sie sich in den letzten Jahrhunderten herausgebildet hat, wächst im Menschen das Bedürfnis nach einer Erkenntnis, die über das bloß Intellektuelle hinausgeht. Diese Erkenntnisform, die ich als Anthroposophie bezeichne, ist nicht das Produkt einer sektiererischen Strömung, sondern eine innere Notwendigkeit der Gegenwart, geboren aus dem lebendigen Erleben des naturwissenschaftlichen Denkens, das in seiner Einseitigkeit an seine Grenzen stößt. Anthroposophie tritt als Erweiterung und Ergänzung der bestehenden Wissenschaften auf, nicht als deren Gegner, sondern als deren fruchtbare Fortführung. Das seelische Leben des Menschen, das in der modernen Psychologie und Seelenwissenschaft vielfach zum Rätsel geworden ist, verlangt nach einer neuen Durchdringung. Die Naturwissenschaft hat mit Recht das Ziel verfolgt, alles Subjektive, alles Seelische aus der Betrachtung der Natur auszuschließen, um zu objektiven Ergebnissen zu kommen. Doch gerade dadurch ist das Verständnis des Seelischen selbst immer schwieriger geworden. Die Methoden, die auf dem Ausschluss des Seelischen beruhen, können das Seelische nicht erfassen. Dennoch bleibt die Sehnsucht nach einer Wissenschaft vom Menschen, die das Seelische nicht nur als Nebenprodukt der Materie betrachtet, sondern als eigenständige Wirklichkeit anerkennt. Die anthroposophische Geisteswissenschaft eröffnet einen Weg, das Seelische in seiner Eigenständigkeit zu erfassen, ohne die Errungenschaften der Naturwissenschaft zu missachten. Sie zeigt, dass die physiologische Forschung und die experimentelle Psychologie erst dann zu ihrer vollen Bedeutung gelangen, wenn sie durch eine Erkenntnis des Geistigen ergänzt werden. Das Ziel ist, das menschliche Erleben, das Bedürfnis nach Kausalität und Sinn, nicht als Störfaktor, sondern als Ausgangspunkt der Forschung zu begreifen. In der Geschichtswissenschaft offenbart sich, dass die bloße Betrachtung äußerer Abläufe und Fakten nicht ausreicht, um die Entwicklung der Menschheit zu verstehen. Die Geschichte ist nicht nur ein Geschehen von außen, sondern Ausdruck innerer geistiger Impulse, die im Menschen wirken. Die großen Wendepunkte der Geschichte, die Umbrüche und Erneuerungen, sind nicht allein durch äußere Ursachen erklärbar, sondern durch das Wirken geistiger Kräfte, die sich in den Seelen der Menschen und in den Völkern entfalten. Die anthroposophische Forschung macht diese verborgenen Impulse sichtbar und zeigt, wie sie das äußere Geschehen lenken. Auch in der Naturwissenschaft selbst stößt das Denken an eine Grenze, wenn es versucht, das Leben, das Bewusstsein, die Individualität aus rein materiellen Vorgängen abzuleiten. Die anthroposophische Erkenntnis weist darauf hin, dass das Lebendige, das Seelische und das Geistige nicht als bloße Produkte der Materie verstanden werden können. Sie fordert eine Erweiterung der wissenschaftlichen Methode, die es ermöglicht, das Geistige als reale Wirklichkeit zu erfassen, und zeigt, dass die Naturwissenschaft in ihrer Entwicklung selbst auf diese Erweiterung hinstrebt. Im sozialen Leben zeigt sich die Notwendigkeit, dass nicht nur äußere Strukturen und Gesetze, sondern die geistigen Grundlagen des Zusammenlebens erkannt und gestaltet werden. Die sozialen Fragen der Gegenwart sind Ausdruck eines tieferen geistigen Wandels, der nach neuen Formen des Miteinanders verlangt. Die anthroposophische Sozialwissenschaft sucht nach Wegen, wie das Geistige im sozialen Organismus wirksam werden kann, damit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht bloße Ideale bleiben, sondern lebendige Wirklichkeit werden. Die Möglichkeit einer übersinnlichen Erkenntnisweise, die wissenschaftlich begründet ist, beruht auf der Schulung der seelischen Kräfte, auf der Entwicklung von Imagination, Inspiration und Intuition. Diese Erkenntnisformen eröffnen einen Zugang zu den geistigen Welten, die hinter der sinnlichen Erscheinung stehen. Sie machen es möglich, die großen Lebensfragen nach Geburt, Tod, Schicksal und Freiheit in einem neuen Licht zu sehen und das Dasein als sinnvollen Zusammenhang zu erfahren. Die Geisteswissenschaft führt zu einer neuen Seelenforschung, die nicht bei den äußeren Erscheinungen stehen bleibt, sondern die inneren Gesetzmäßigkeiten des Seelenlebens aufdeckt. Sie zeigt, wie die Entwicklung des Menschen nicht nur von äußeren Einflüssen, sondern von geistigen Kräften und Aufgaben bestimmt ist. Die Erkenntnis des Geistigen in Natur, Geschichte und Gesellschaft eröffnet dem Menschen neue Möglichkeiten der Selbstgestaltung und des bewussten Mitwirkens am Weltgeschehen. Die Geschichte der Neuzeit erscheint aus geisteswissenschaftlicher Sicht als ein Prozess, in dem das Bewusstsein des Menschen sich verwandelt, in dem alte Bindungen gelöst und neue Aufgaben gestellt werden. Die großen kulturellen und sozialen Bewegungen sind Ausdruck einer fortschreitenden Individualisierung und Vergeistigung des Menschen, die in der Gegenwart nach einer bewussten Gestaltung verlangt. So führt die anthroposophische Geisteswissenschaft zu einer Vertiefung und Erweiterung aller Wissenschaften, indem sie das Geistige als Wirklichkeit anerkennt und die Methoden entwickelt, um es zu erfassen. Sie ist keine Konkurrenz zur bestehenden Wissenschaft, sondern deren notwendige Ergänzung, die es dem Menschen ermöglicht, sich selbst und die Welt in ihrer Ganzheit zu erkennen und zu gestalten. 74) In der Betrachtung des Thomismus erhebt sich das Bedürfnis, nicht allein die äußeren, formalen Aspekte der mittelalterlichen Philosophie zu schildern, sondern den geistigen Strom zu erfassen, der sich in der Gestalt des Thomas von Aquino verdichtet. Im Unterschied zu Augustinus, dessen ganzes Ringen aus einer zutiefst persönlichen Erfahrung hervorgeht, zeigt sich in Thomas ein Unpersönliches, eine Art Exponent des Denkens seiner Zeit, in dem die mittelalterliche Kirche, ja das ganze abendländische Geistesleben, sich aussprechen will. Die Strömung, die von den Philosophenschulen Athens bis ins sechste Jahrhundert reicht, versiegt nach der Verurteilung des Origenes durch Justinian, und auf diesem Hintergrund erst wird das Denken des Augustinus verständlich: ein Ringen um Wahrheit, um die Überwindung des Bösen, um das Verhältnis von Gnade und Erkenntnis, das aus dem Zwiespalt zwischen heidnischer und christlicher Welt, zwischen Manichäismus, Skeptizismus und dem Ernst der inneren Umkehr hervorgeht. Thomas von Aquino hingegen nimmt die Aufgabe auf, das Verhältnis von Glauben und Wissen, von Offenbarung und Vernunft, in einer Weise zu klären, die das Denken in die Klarheit der Begriffe und in die Objektivität der Weltordnung führt. Die Welt wird als Schöpfung Gottes erkannt, aber diese Schöpfung ist durchdrungen von einer inneren Gesetzmäßigkeit, die der Mensch mit seinem Verstand erfassen kann. Die Wahrheit der Offenbarung widerspricht nicht der Wahrheit der Vernunft; vielmehr ist die Vernunft berufen, das von der Offenbarung Gegebene in ihren eigenen Kategorien zu durchdringen und zu bestätigen. Der Mensch steht mit seinem Erkennen inmitten der Welt, nicht über ihr, aber auch nicht bloß in ihr aufgehend: er ist als geistiges Wesen in der Lage, das Allgemeine im Besonderen, das Ewige im Zeitlichen zu erfassen. So wird das Denken des Thomas zu einem Angelpunkt der abendländischen Geistesgeschichte: es überwindet den bloßen Subjektivismus, es gründet das Erkennen in der Wirklichkeit selbst, und es führt die Philosophie zu einer neuen Objektivität, die zugleich die Freiheit des Denkens und die Bindung an die göttliche Ordnung wahrt. In einer Zeit, in der der Materialismus und der Monismus das Denken beherrschen, zeigt sich im Thomismus ein spiritueller Monismus, der das Geistige nicht als bloße Abstraktion, sondern als reale Kraft in der Welt begreift. Die Bedeutung des Thomismus für die Gegenwart liegt darin, dass er den Weg weist zu einer Überwindung des Gegensatzes von Glaube und Wissen, von Natur und Geist, und dass er das Erkennen als einen schöpferischen Akt versteht, der die Welt nicht nur abbildet, sondern in der Wahrheit des Seins gründet. Die Aufgabe der Gegenwart ist es, diesen Weg neu zu beschreiten, das Denken zu vertiefen und den Geist in der Welt zu erkennen, wie er sich in den großen Gestalten des Mittelalters, vor allem aber in Thomas von Aquino, offenbart hat. 76) Am Beginn der Gegenwart steht die Menschheit an einem Ufer voller Zweifel und Rätsel. Die alten Weisheitssprüche wie das delphische „Mensch, erkenne dich selbst!“ fordern eine Wandlung: Nicht nur Selbsterkenntnis, sondern das Streben nach Freiheit muss das neue Wahrwort sein. Die Vergangenheit lehrte Weisheit als ein Geschenk der Götter, das Griechentum strebte nach Selbstständigkeit der Seele, doch heute verlangt die Zeit, dass der Mensch sich als freies Wesen in eine noch unbestimmte Zukunft stellt und diese selbst schöpferisch gestaltet. Das naturwissenschaftliche Denken hat Großes geleistet, aber es verstrickt den Menschen in eine Kette der Notwendigkeiten, in der die Freiheit zu verschwinden droht. Doch das menschliche Bewusstsein revoltiert gegen diese Reduktion, verlangt nach einer Erkenntnis, die auch das Erlebnis der Freiheit umfasst. Nur durch ein reines, lebendiges Denken, das sich von bloßen Abstraktionen löst, kann wirkliche Freiheit erlebt werden. Dieses reine Denken, wie es in der „Philosophie der Freiheit“ entwickelt wurde, ist Voraussetzung für ein neues Erfassen der Welt und des Menschen. In der Philosophie zeigt sich, wie der Weg von Kant, über Hume und Wolff, zu Goethe und schließlich zur Überwindung des bloß bildhaften, irrealen Denkens führt. Das Ziel ist ein Denken, das nicht mehr von außen an die Erscheinungen herantritt, sondern aus innerer Aktivität schöpft und so zur Freiheit gelangt. Die Mathematik und die anorganischen Naturwissenschaften gründen auf der Durchschaubarkeit der eigenen Bewusstseinsinhalte. Doch die mathematische Methode, wie sie von Descartes und Spinoza angewendet wurde, unterscheidet sich von der realen naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Die Entwicklung von der analytischen zur synthetischen Geometrie entspricht einem inneren Erlebnis, das dem Aufstieg von gewöhnlicher Logik zum Imaginativen gleicht. Die Geisteswissenschaft muss den umgekehrten Weg gehen: Sie realisiert das Irreale, macht das Bildhafte zur Wirklichkeit. Im Bereich der organischen Naturwissenschaften und der Medizin reicht die Methode der anorganischen Wissenschaften nicht aus. Das Leben kann nur durch neue Bewusstseinsformen – Imagination, Inspiration und Intuition – erfasst werden. Erst das imaginative Erkennen enthüllt das Geheimnis des Lebens. Goethe konnte mit seiner Betrachtungsweise das Pflanzenreich durchdringen, aber das Tierreich blieb ihm verschlossen. Eine wirklich sinngemäße Evolutionslehre muss den Zusammenhang zwischen Geistig-Seelischem und Physisch-Leiblichem erfassen, wie es sich etwa im menschlichen Haupt zeigt. Die Pathologie wird so zum Übergang zu einer rationalen Therapie. In der Sprachwissenschaft offenbart sich, wie der Übergang vom bildhaften Erleben zur Abstraktion durch Aristoteles eingeleitet wurde. Doch die Sprache ist Ausdruck einer Wechselwirkung zwischen astralischem und Ätherleib. Imagination und Inspiration ermöglichen es, die innere Struktur des Seelenlebens konkret zu erfassen. Die Physiologie und die Philologie finden sich im Menschen, wenn das, was in den Dingen verstummt, im Inneren als Sprache neu hörbar wird. Die Sozialwissenschaft und die soziale Praxis sind von Willensimpulsen durchdrungen, die nicht nur erkenntnismäßig, sondern praktisch ergriffen werden müssen. Die abendländische Wissenschaft hat das Dogma der Nicht-Präexistenz übernommen, doch gesunde Urteile über das Übersinnliche führen auch zu gesunden Urteilen über das soziale Leben. Die soziale Frage verlangt nach einer Erneuerung des Willens, nicht bloß nach intellektueller Durchdringung. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist ein praktischer Impuls, der sowohl die Intellekte als auch die Willenskräfte ergreifen soll. Geisteswissenschaft überschreitet die Grenzen der herkömmlichen Fachwissenschaften nach außen – zur Natur – und nach innen – zur umfassenden Erfassung der menschlichen Wesenheit. Wichtiger als die Popularisierung des bereits Erreichten ist es, das, was die geistige Forschung über die sinnliche und verstandesmäßige Forschung hinaus beitragen kann, in die Bildungsanstalten hineinzutragen. Wissenschaft, Kunst und Religion müssen wieder zusammenwirken, damit die Menschheit ihrer Aufgabe in der Gegenwart und Zukunft gerecht werden kann. 77a) Das naturwissenschaftliche Erkennen ist geprägt von einer gewissenhaften, innerlich disziplinierten Haltung, die alles Persönliche ausschaltet und das Ich-Bewußtsein zurückstellt. Im naturwissenschaftlichen Bewußtsein wird das Ich gleichsam ausgelöscht, während es im Traum und in pathologischen Zuständen auf besondere Weise hervortritt. Gerade im Darwinismus zeigt sich, wie das Pathologische als Fortschrittsprinzip wirkt. Die Selbsterkenntnis des Menschen bleibt im gewöhnlichen Bewußtsein an die Spiegelungen des eigenen Organismus gebunden; erst durch ein Schauen hinter diesen Gedächtnisspiegel wird wahre Selbsterkenntnis möglich. Die Mystik der heiligen Therese und des Johannes vom Kreuz weist auf das Schauen in ein präexistentes Leben hin, auf eine Umwandlung der Liebeskraft in Erkenntniskraft. Es gilt, das bewußte Erleben der geistigen Außenwelt zu erringen und vom Natur-Erkennen zum Geist-Erkennen aufzusteigen. Die geistige Signatur der Gegenwart ist geprägt von einem neuen Autoritätsglauben, der im Intellektuellen ein Nivellement der Menschen anstrebt, während im Willens- und Gefühlsleben das Individuelle hervorbricht. Die Ausbildung einer übersinnlichen Erkenntniskraft ist notwendig, um nicht in Einseitigkeit zu verfallen. Die Anthroposophie spricht den individuellen Menschen an und begründet eine Sozialethik, wie sie in der Philosophie der Freiheit angedeutet ist. Übersinnliche Erkenntnis steht nicht im Gegensatz zum religiösen Glauben, sondern vertieft ihn. Das Christentum ist die letzte Form der Religion, doch durch die Anthroposophie erhält es eine tiefere Begründung. Das Bewußtsein der Römer und Griechen unterscheidet sich grundlegend; das seelisch-geistige Leben steht in verschiedenen Zeiten in unterschiedlichem Zusammenhang mit dem Körperlichen. In der Erziehung ist bis zum Zahnwechsel die Nachahmungsfähigkeit des Kindes entscheidend, danach bedarf es eines Autoritätsverhältnisses bis zur Geschlechtsreife. Begriffe und Anschauungen müssen so gestaltet werden, daß sie mit dem Kinde wachsen können. Die Seelenverfassung des Lehrers ist von großer Bedeutung, ebenso die Verbindung von Denk- und körperlicher Geschicklichkeit. Die Waldorfschule bietet freien Religionsunterricht und ermöglicht einen Übertritt in jede andere Schule. Zunächst wird das religiöse Empfinden bis zum achten Jahr gepflegt, dann das christliche Empfinden entfaltet und die Kinder in das wirkliche Christentum eingeführt. Die heutige Experimentalwissenschaft stößt an ihre Grenzen; es bedarf der Ausbildung meditativer Erkenntniskräfte. Die imaginative Erkenntnis entsteht durch Umwandlung des Erinnerungsvermögens, die inspirierte Erkenntnis durch Ausbildung der Kraft des Vergessens. Innere Selbstzucht und Erstarken des Willenslebens sind Voraussetzungen dafür. Im Menschen wirken physische Vorgänge, die im reinen Denken zur Imagination, in der Philosophie der Freiheit zur höheren Entwicklungsstufe führen. Das Denken konsolidiert das Materielle, das Wollen zerstäubt es. Höhere Erkenntnis steht neben den gewöhnlichen Seelenzuständen. Das vorgeburtliche und nachtodliche geistige Leben wird erfahrbar. In früheren Zeiten wirkten instinktive soziale Bindungen, heute herrscht ein theoretisierendes Zerstören der sozialen Kräfte. Die Kernpunkte der sozialen Frage und die Freie Waldorfschule sind Antworten auf diese Herausforderungen. Die Entwicklung der anthroposophischen Geisteswissenschaft ist mit Angriffen und Widerständen verbunden, doch es ist notwendig, Unwahrhaftigkeit zu demaskieren und Enthusiasmus für die Wahrhaftigkeit zu entwickeln. Die Kräfte des Aufgangs in unserem Zeitalter müssen durch die Anthroposophie fruchtbar gemacht werden. Der Pessimismus eines Spengler steht dem Idealismus eines Fichte gegenüber. Die Bedeutung des Technikers wird für die Zukunft immer größer. 77b) Es ist notwendig, den Geist der Zeit zu erkennen, der von uns verlangt, das Vergängliche und Zeitliche zu durchdringen und zum Unvergänglichen, zum Ewigen vorzudringen. Die Sinneswissenschaft muss befruchtet werden durch wahre Geisteswissenschaft, damit die Alltagsroutine überwunden und die Niedergangskräfte der Gegenwart in Aufgangskräfte verwandelt werden. Doch stehen dem Hindernisse entgegen: Seelenbequemlichkeit, geistige Furcht, überkommene Denkgewohnheiten, Oberflächlichkeit des Herzens und eine falsche Mystik. Die Kunst wurzelt im Innerlich-Menschlichen, während die Ästhetik sich oft im Äußeren verliert. Der Künstler schöpft aus Regionen, in denen das Geistig-Lebendige wirkt. Das äußere Material der Kunst kann die Ästhetik ergründen, das Geistige aber nur die imaginative, inspirierte und intuitive Erkenntnis. Die innere Statik des Menschen, wie sie in alten Baustilen zum Ausdruck kam, muss neu erlebt werden, damit Architektur wieder stilgestaltend werden kann, indem sie den Bau des Weltalls in der menschlichen Organisation widerspiegelt. Die Kräfte, die den Menschen gestalten, werden in der Plastik sichtbar; das Erleben der inneren Farbenwelt offenbart das Geheimnis der Malerei; die Tonwelt wird im Menschen als musikalische Kunst erlebt, denn die Organe sind Ergebnis des Weltentönens, und das musikalische Kunstwerk Ausdruck des innersten Geheimnisses der Lebensunterhaltung. Der Atemprozess erhält die Organe, und in der Dichtung wird das irdische Wort durch Rhythmus und Sprachgestaltung zum geistigen Wort zurückgeführt. In der Eurythmie offenbart sich das Geistig-Seelische im Menschen durch Bewegung. Die Kunst wird durch Anthroposophie zur Erkenntnis der Wirklichkeit geführt. Die anthroposophische Geisteswissenschaft ist Wissenschaft vom menschlichen Wesen. Während das Studium der äußeren Wissenschaft innere Gleichgültigkeit erzeugt, führt das Studium der Geisteswissenschaft zu inneren Schicksalserlebnissen. Die Imagination wird errungen durch Steigerung und anschließendes Zerfließen der Egoität, wobei die Gefahr des moralischen Größenwahnsinns besteht und Bescheidenheit ausgebildet werden muss. Die gewöhnliche Erinnerung und Sinneswahrnehmung werden durch das Einleben in die reale Ätherwelt vertieft, wobei Gleichgewichts-, Bewegungs- und Lebenssinn verstärkt tätig werden. Die Meditation über das Kosmische der Weltanschauungen zeigt den Menschen als wesenhaften Tierkreis. Die Inspiration wird errungen, indem die Gedankenkraft in das ätherische Bilderleben hineingetragen wird, das Ich-Erlebnis tritt in veränderter Gestalt wieder auf, der Astralleib wird erfasst. Das Erleben der Unsterblichkeit und Ungeborenheit wird zur Tatsache. Die Intuition wird errungen durch weitere Verstärkung des besonnenen Gedankenerlebnisses in Imagination und Inspiration; die wahre Gestalt des Ich wird erlebt, die wiederholten Erdenleben werden erkannt. Die Überprüfbarkeit der Ergebnisse des Geistesforschers wird durch das Hineintragen der Gedanken in Imagination, Inspiration und Intuition möglich. Welterkenntnis und Menschenerkenntnis gehören eng zusammen. Die Wissenschaft strebt Objektivität an, doch ist sie ohnmächtig, sittliche und soziale Impulse zu gestalten. Die Menschheit ist seit dem 15. Jahrhundert in die Bewusstheit eingetreten, zuerst im Vorstellungsleben. Früher bestand eine instinktartige Dreigliederung des sozialen Organismus, die bis zum 18. Jahrhundert im Sittlichen und Sozialen weiterwirkte, dann aber nur noch als abstrakte Traditionen übrigblieb. Heute herrscht eine chaotische Vermischung von geistigem, rechtlich-staatlichem und ökonomischem Leben. Das wahre Wesen von Instinkt und Wille kann durch Anthroposophie erkannt werden. Das Geistesleben wird unfrei, wenn der Staat den Unterricht verwaltet, wie es bei Woodrow Wilson sichtbar wurde. Neue sittliche und soziale Impulse müssen aus geistiger Erkenntnis geschaffen werden. Die Kunst im Goetheschen Sinne verlangt das Nacherleben von Farbe und Form. Ein Nachfälschen der Natur beim Zeichnen ist unkünstlerisch, ebenso das bloße Symbolisieren. Das Künstlerische entsteht aus dem Erleben des Geistes. Anthroposophische Lehre und Kunst sind zwei Zweige aus einer Wurzel; Monotonie droht dort nicht, wo das Lebendige wirkt. Der Goetheanum-Bau ist aus künstlerischen Empfindungen heraus entstanden. Geometrisch-symmetrisch-statische Formen wurden in organische Formen überführt, jede einzelne Form ist hinorganisiert. Der Mensch lebt mit den organisierenden Kräften der Natur zusammen. Die drei senkrecht aufeinanderstehenden Richtungen, wie sie bei der Treppe und im menschlichen Ohr zu finden sind, werden im Bau erlebt. Die Wände sind durchsichtig, weiten sich ins Unendliche. Die Gestaltung der Glasfenster, die Motive, das Erleben des Künstlers am Beispiel Leonardo da Vincis, die Metamorphose in den Formen der Säulen, die Orgel, das Rednerpult, das rosafarbene und das blaue Fenster, die geistige Malerei in der Kuppel – all das ist Ausdruck eines neuen künstlerischen Erlebens. Die Malerei entsteht aus der Farbe heraus, nicht aus dem Zeichnerischen. Der Auftrag, ein eigenes Haus für die Anthroposophie zu bauen, verlangte einen eigenen Stil. Der griechische Tempel ist durch die Statue des Gottes vollständig, der gotische Dom durch die Gemeinde. Das Goetheanum als Zweikuppelbau gibt dem Menschen ein Empfinden im Inneren und ein Gefühl beim Anschauen von außen. Die Eurythmie ist beseeltes und durchgeistigtes Turnen. Sie entfaltet die Willensinitiative, ist sichtbare Sprache, überträgt die Bewegungstendenzen der Sprachorgane auf den ganzen Menschen. In ihr wirken Gedankliches und Willensmäßiges, das Musikalische und die Dichtung verbinden sich mit ihr. Der Mensch wird zum Kunstwerk. In der dramatischen Bühnenkunst trägt die Eurythmie alles Erlebbare ins Übersinnliche hinauf, wie es in Goethes Faust oder den Mysteriendramen geschieht. Die Hoffnung besteht, auch den gewöhnlichen Bühnen-Naturalismus einmal eurythmisch behandeln zu können. Die Arbeit des Goetheanums ist Erfüllung des Rufes des Geistes der Zeit. Wissenschaft und Kunst wachsen aus einer Wurzel. Die religiösen Wurzeln des menschlichen Seins werden durch die Pflege des Künstlerischen und Wissenschaftlichen erfasst. Im Goetheanum kann die wahre Menschenbrüderschaft gefunden werden, wenn zum Menschengeist vorgedrungen wird. 78) Im Menschen lebt die Sehnsucht nach Erkenntnis, nach einem Durchdringen der Welt, das nicht an den Grenzen der Sinne haltmacht. Die moderne Weltanschauung aber, geprägt vom Agnostizismus, stellt sich diesen Sehnsüchten entgegen. Sie behauptet, der Mensch könne nur das Äußere, das Sinnliche erfassen, alles Übersinnliche bleibe ihm verschlossen. So dringt diese Haltung in alle Lebensbereiche ein, beeinflusst Wissenschaft, Unterricht, Religion und das soziale Leben. Sie lähmt die Vorstellungskraft, das Gefühl und den Willen, indem sie dem Menschen einredet, er könne niemals zu den wahren Ursachen, zum Geistigen vordringen. Doch der Mensch trägt in sich Kräfte, die über das bloß Sinnliche hinausführen können. In der Geschichte der Geistesentwicklung, besonders in Gestalten wie Goethe, zeigt sich, wie die Wurzeln einer tieferen Erkenntnis gelegt wurden. Goethe überschritt das bloße Beobachten, indem er in der Pflanze, im Tier, im ganzen Naturgeschehen das Wirken eines lebendigen Geistigen erkannte. Aus solcher Anschauung erwächst die Möglichkeit, das Übersinnliche nicht nur zu ahnen, sondern es im eigenen Inneren zu erleben. Die Freiheit des Menschen ist nicht bloß eine Illusion, wie der Agnostizismus glauben machen will. Sie ist ein Erlebnis, das sich im Denken offenbart. Wer sich in die Tiefe des eigenen Denkens versenkt, entdeckt, dass er nicht von äußeren Ursachen getrieben wird, sondern aus dem eigenen Wesen heraus schöpferisch tätig ist. Die Philosophie der Freiheit zeigt, dass wahre Erkenntnis und wahre Moral aus dem Innersten des Menschen hervorgehen, nicht aus äußeren Geboten oder blinder Naturkausalität. Nietzsche, der große Kämpfer gegen den Agnostizismus, litt an der Tragik, dass er zwar das Übersinnliche suchte, aber im materialistischen Zeitalter keinen Zugang dazu fand. Haeckel wiederum verkörperte den Monismus der Naturwissenschaft, der alles Geistige in bloße Naturvorgänge auflösen wollte. Doch gerade im Vergleich zwischen Haeckels Anschauung des Tierischen und Goethes Anschauung des Pflanzlichen wird deutlich, wie sehr das Geistige in der Natur wirksam ist. Das Streben nach Imagination, nach übersinnlicher Erkenntnis, ist ein anderer Weg als das gewöhnliche Erkennen. Es verlangt, die inneren Kräfte zu schulen, das Denken zu verwandeln, so dass es nicht mehr bloß Abbilder der äußeren Welt liefert, sondern schöpferisch das Geistige erfasst. Erinnern und Imaginieren sind verwandte Tätigkeiten der Seele; beide führen über das bloße Gegenständliche hinaus. Doch es gilt, die Gefahren zu meiden, die in manchen östlichen Übungen liegen, wenn sie nicht auf das westliche Bewusstsein abgestimmt sind. Der Weg führt von der Imagination zur Inspiration und schließlich zur Intuition. Erst in der Intuition lebt der Mensch ganz in der Wirklichkeit des Denkens, in dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Hier öffnet sich der Abgrund zwischen der kausalen Naturerklärung und der moralischen Weltordnung. Die Natur kennt Notwendigkeit, das Moralische aber entspringt der Freiheit. In der moralischen Intuition durchbricht der Mensch die Naturkausalität, er wird zum Schöpfer, zum Träger des Geistigen in der Welt. Die soziale Frage, die den Menschen heute bewegt, kann nicht durch äußere Maßnahmen allein gelöst werden. Sie verlangt eine Erkenntnis des Menschen, die bis in die Tiefen des Organismus, bis in die sozialen Prozesse hineinreicht. Nur eine imaginative Erkenntnis vermag die verborgenen Zusammenhänge des menschlichen Leibes und der Gesellschaft zu erfassen. In der Medizin wie im sozialen Leben muss das Geistige zum Leitfaden werden. Anthroposophie ist keine neue Religion, sondern ein Weg zu freiem inneren Erleben, der das Dogma der bloßen Erfahrung überwindet. 79) Die Wirklichkeit der höheren Welten ist dem gewöhnlichen Bewusstsein zunächst verschlossen. Die moderne Wissenschaft hat durch genaue Beobachtung und Experiment großes geleistet, doch stößt sie an Grenzen, wenn es um die Fragen nach dem ewigen Wert der Menschenseele, nach Unsterblichkeit und Schicksal geht. Der Verstand, der sich an der Sinneswelt ausgebildet hat, bleibt ohne Inhalt, wenn er über diese hinausgehen will. Auch die Mystik, die in die Tiefen des Gemüts hinabsteigt, kann nicht wirklich über die höheren Welten Auskunft geben, da sie oft nur umgewandelte Kindheitserinnerungen hervorholt. So stehen wir vor zwei Klippen: auf der einen Seite die Grenze der Sinneswelt, auf der anderen die Begrenzung durch das Erinnerungsvermögen. Anthroposophische Geisteswissenschaft will einen Weg finden, diese Grenzen zu überwinden. Sie erkennt offen an, dass mit den gewöhnlichen Erkenntnisfähigkeiten die höheren Welten nicht erreicht werden können. Daher gilt es, in der Seele schlummernde Fähigkeiten zum Bewusstsein zu heben und auszubilden. Ausgangspunkt ist die Fähigkeit zur Erinnerung: Wie wir im gewöhnlichen Leben Erlebnisse willkürlich ins Bewusstsein rufen können, so lässt sich durch geübte Denkkraft und systematische Meditation eine höhere Erkenntnisfähigkeit entwickeln. Diese Übungen führen zu einer neuen Art von Bewusstsein, das nicht in nebulöser Mystik verharrt, sondern auf klarer, innerlich geregelter Schulung beruht. Durch diese Schulung wird das Bewusstsein so verwandelt, dass es fähig wird, in die übersinnlichen Welten einzutreten. Dabei bleibt die Geistesforschung streng in ihrer Methodik und Disziplin, wie sie die Naturwissenschaft auszeichnet, geht aber über deren Grenzen hinaus. Die Seele lernt, sich nicht nur an das Sinnliche zu binden, sondern auch das Übersinnliche wahrzunehmen. Es entsteht eine neue Art von Wahrnehmung, die nicht mehr an die Sinne gebunden ist, sondern geistig-seelische Wirklichkeiten erfasst. So eröffnet sich dem Menschen eine Welt, in der er erkennen kann, dass sein Dasein nicht auf das Irdische beschränkt ist, sondern dass er als geistiges Wesen in einem größeren Zusammenhang steht. Die Entwicklung des Bewusstseins führt zu einer Erkenntnis der geistigen Welt, in der der Mensch seinen wahren Ursprung, seine Aufgabe und sein Ziel erkennen kann. Die anthroposophische Geisteswissenschaft zeigt den Weg, wie der Mensch durch innere Schulung und Entwicklung seiner Fähigkeiten zu einer wirklichen Erfahrung der höheren Welten gelangen kann. 81) Die Naturwissenschaft hat mit ihrer Methode, die aus der Betrachtung der anorganischen Natur hervorgegangen ist, große Erfolge errungen. Doch wenn ich das Gebiet der organischen Natur, des Lebendigen, betrete, genügt es nicht, die Begriffe und Denkweisen der anorganischen Welt einfach zu übertragen. Die Begriffe müssen sich wandeln, sie müssen eine Metamorphose durchmachen, so wie sich auch das Leben selbst verwandelt. So entsteht ein lebendiges, phänomenologisches Erfassen der Welt, das über bloße Kausalität hinausgeht. Die Anthroposophie anerkennt die Leistungen der Naturwissenschaft, doch sie erweitert deren Methoden, indem sie das Denken selbst in Bewegung bringt, so dass es den verschiedenen Bereichen der Wirklichkeit gerecht wird. Im Vergleich zwischen Mensch und Tier zeigt sich, dass der Mensch in seiner Organisation über das Tier hinausgeht. Die Morphologie offenbart, wie der Mensch aus der Tierreihe hervorgeht, indem er das Tierische verwandelt und überwindet. Die zwölf Sinne des Menschen, die Art, wie er im Kosmos steht, die aufrechte Haltung – all das macht ihn zum eigentlichen Träger des Geistes. Das Sinnesleben des Menschen ist nicht bloß ein Abbild tierischer Vorgänge, sondern hebt sich davon ab, indem es das Geistig-Seelische hereinlässt. Die Philosophie hat in den verschiedenen Kulturräumen der Erde unterschiedliche Wege genommen. Im Westen dominiert das naturwissenschaftliche Denken, das zwischen Wissen und Glauben streng trennt. In der Mitte Europas, bei Hegel, ringt das Denken um die Vereinigung von Sinnlichem und Geistigem, bleibt aber im Abstrakten stehen. Im Osten lebt das Mystische, das Erleben in der Geistigkeit, das sich der Begrifflichkeit des Westens nur zur Illustration bedient. Die Anthroposophie schlägt eine Brücke zwischen diesen Kulturräumen, indem sie das Denken selbst zu einer lebendigen Erfahrung macht, die das Geistige unmittelbar erfasst. In der Erziehung ist es notwendig, das Verhältnis von Geistig-Seelischem und Leiblich-Physischem im Menschen zu verstehen. Das Kind lebt in der Nachahmung, später im Autoritätsprinzip, und erst nach der Geschlechtsreife tritt das Intellektuelle hervor. Der Intellektualismus unserer Zeit droht, die volle Menschennatur des Kindes zu verkennen. Die Waldorfpädagogik sucht, aus der Entwicklung des Kindes selbst den Lernplan und das Lernziel abzulesen und so das Künstlerische und Intellektuelle im rechten Verhältnis zu pflegen. Der Lehrer muss selbst in einer Gesinnung stehen, die aus dem lebendigen Geist schöpft. Die soziale Frage verlangt nach einer neuen Gliederung des sozialen Organismus. Nicht abstrakte Utopien, sondern lebendige Impulse sind gefragt. Das Wirtschaftsleben wurde in alten Zeiten instinktiv geführt, heute ist es durch intellektualistische Gedanken durchdrungen. Die Wirtschaftstheoretiker bleiben im Abstrakten, die Praktiker im Instinktiven. Eine Synthese ist nötig, die aus lebendigen Ideen schöpft. Die Anthroposophie bringt solche Impulse, die das soziale Leben in gesunder Weise erneuern können. Das Verhältnis zur Theologie und Religion ist von grundlegender Bedeutung. Die Anthroposophie ist Arbeitsgebiet und Forschungsmethode, sie führt zu einem neuen Verständnis des Christus-Ereignisses. Die alte Vater-Gott-Vorstellung war einst unmittelbar gegeben, heute droht der Atheismus als Krankheit. Wer den Christus nicht findet, erleidet ein Schicksalsunglück, wer nicht zum Geist kommt, bleibt seelisch beschränkt. Die Anthroposophie will den Menschen zum Christus-Erlebnis führen. Die Sprache ist nicht bloß ein äußeres Mittel der Verständigung, sondern Ausdruck des Geistigen. Im Bewussten und Unbewussten lebt die Sprache, sie ist durchdrungen von den Nuancen der Volksseele. In verschiedenen Zeiten und Kulturen wird Sprache verschieden erlebt. Im Sanskrit etwa ist das Wort „manas“ ein lebendiges Erleben. Die Konsonanten sind zurückgehaltene Gebärden, die Vokale Ausdruck von Sympathie und Antipathie. Das Ich-Erleben in der Sprache wandelt sich durch die Zeiten. Die Sprachwissenschaft kann durch anthroposophisches Erkennen zu einem tieferen Verständnis der Sprache als geistigem Wesen gelangen. 82) Der Mensch der Gegenwart steht in einer tiefen Entfremdung zu sich selbst. Die moderne Wissenschaft hat das Selbstbewusstsein bis zu einer Vereinzelung gesteigert, in der das Ich an Kraft verliert und die Wirklichkeit entgleitet. Die Seele verlangt nach einer neuen Harmonie, nach einer Verbindung von Wissenschaft, Kunst und Religion, denn diese sind aus demselben schöpferischen Ursprung hervorgegangen. Das Denken, das sich in der Wissenschaft entwickelt hat, muss gesteigert werden, damit es aus der Einsamkeit des Selbstbewusstseins zurück in die Welt findet, aus der es stammt. Ebenso muss der Wille, der heute nur auf die äußere Technik gerichtet ist, so ergriffen werden, dass er den Menschen selbst innerlich gestaltet. Die Sehnsucht nach einem imaginativen Denken, das den Menschen sich selbst und seine Jugend wieder verstehen lässt, führt zu einer Erkenntnis, die über das bloß Intellektuelle hinausgeht. Erst durch inspirierte und intuitive Erkenntnis wird das Wesen des Menschen, besonders das Kind und das Leben vor dem Zahnwechsel, wirklich verständlich. Ohne diese Erkenntnisse verliert der Mensch seine Jugend und damit einen Teil seines Menschseins. Anthroposophie nimmt einen anderen Ausgangspunkt als Mystik und Okkultismus. Sie beginnt beim mathematischen Denken, das aus dem Menschen stammt und doch objektiv ist. Die Entwicklung des Raumbewusstseins im Kinde zeigt, wie das Übersinnliche schon in der Sinneswahrnehmung anwesend ist. Die höheren Dimensionen des Raumes sind keine bloßen Abstraktionen, sondern heben die gewöhnlichen Dimensionen auf und machen den Raum geistdurchdrungen. Die Unterscheidung zwischen analytischer und synthetischer Geometrie spiegelt den Unterschied zwischen sinnlicher und geistiger Welt. Das wissenschaftliche Denken, das sich an der Mathematik geschult hat, wird durch Anthroposophie auf eine höhere Stufe geführt. Die anthroposophische Übung ist die Fortsetzung jener Wege, die von den Yogaübungen und den freien Künsten des Mittelalters zur heutigen Menschheit geführt haben. Anthroposophie ist ein notwendiger Schritt in der Entwicklung des menschlichen Erkenntnisweges. Die bildende Kunst wurzelt im Menschen selbst. Ein Bau, der im traditionellen Stil errichtet wäre, würde die Ziele der Anthroposophie verleugnen. Die Kunst muss aus dem künstlerischen Geist der Anthroposophie selbst sprechen. Die bildende Kunst beginnt bei der menschlichen Gestalt und führt zu ihr zurück. Der plastische Raum ist ein anderer als der mathematische; er wird durch imaginative Erkenntnis erfahren. Die Kräfte, die den Menschen gestalten, sind nicht im Leib selbst, sondern wirken wie die Kräfte, die die Magnetnadel ausrichten, von außen. Die bildende Kunst schafft Gestalten von außen nach innen, während die Eurythmie von innen nach außen wirkt. Die anthroposophische Kunst will die seelischen Erlebnisse von Tragik und Freude unmittelbar gestalten und so Wissenschaft, Religion und Kunst zu einer neuen Einheit führen. Die Forschungsmethode der Anthroposophie verlangt intellektuelle Bescheidenheit und die Ausbildung der Erkenntniskräfte. Was in der Kindheit unbewusst wirkt, muss im Erwachsenen bewusst fortgesetzt werden. Die moralischen Impulse sind elementare Intuitionen, Inspirationen und Imaginationen. Das Vorstellungsleben muss so lebendig werden wie die Sinneswahrnehmung. Imagination ist das schöpferische Wiederauftauchen des kindlichen Seelenlebens. Das Bewusstsein wird leer, aber wach, und empfängt die geistige Welt, ohne den gesunden Menschenverstand zu verlieren. Die leiblichen Organe spiegeln die geistige Welt wider. Der Wille lebt im Menschen und gestaltet ihn von innen. Es gibt keine motorischen Nerven, sondern alles ist Ausdruck des Willens. Die Erkenntnis des Todes im intuitiven Erleben zeigt die Unsterblichkeit des Menschen. Das Moralische ist ein Übersinnliches, das dem Bewusstsein zugänglich wird. Anthroposophie steht nicht im Gegensatz zur Naturwissenschaft, sondern will deren Physiognomie vertiefen und die Seele der Natur erfassen. Der Ätherleib des Menschen ist ein Zeitorganismus, in dem die Unterscheidung von Objektivem und Subjektivem aufgehoben ist. Schlaf und Wachen sind Rätsel, die nur durch das Verständnis des Ätherleibes gelöst werden können. Im Schlaf zieht sich der Ätherleib zurück, im Aufwachen ergreift das Denken die Sinne, das Fühlen das rhythmische System, der Wille bleibt immer im Stoffwechselsystem tätig. Träume zeigen das teilweise Ergreifen des physischen Leibes durch das Seelische. Höhere Erkenntnis führt dazu, dass der Mensch außerhalb seiner selbst steht, und die Grenze zwischen Subjekt und Objekt verschwindet. Die Kosmologie gründet auf dem Zusammenwirken von Sonnenhaftem und Mondenhaftem. Die anthroposophische Medizin baut auf diesen Erkenntnissen auf und entwickelt daraus eine rationale Heilmittellehre. Die Sprache hat den Geist verloren, das seelische Miterleben der physischen Entwicklung im Alter ist geschwunden. Die Menschheit wird jünger, und es bedarf einer Pädagogik, die Begriffe vermittelt, die mit dem Leben weiterwachsen. Das Ziel allen Strebens ist, dass der Mensch ganz Mensch werde. Die Ich-Wahrnehmung ist zunächst wie ein dunkler Fleck auf hellem Grund. Die eigentliche Denkkraft braucht nur das Luftartige des Organismus, das Gedächtnis entsteht durch das völlige Untertauchen in den Leib. Der Wille vernichtet im Organismus Materie und verändert das Gleichgewicht. Imagination erkennt, wie der Gedanke den Atem ergreift, Inspiration schaut das Seelische im Organismus, Intuition das, was den Menschen im Leben zu dem macht, was er ist. Das Planvolle im Leben ist Ausdruck wiederholter Erdenleben. Beweise sind nur dort nötig, wo Anschauung fehlt. Anthroposophie ist keine Gnosis, denn sie rechnet mit der Naturwissenschaft, ist aber auch das Gegenteil des Agnostizismus. Der Agnostizismus ist eine notwendige Erscheinung der Zeit, aber er schwächt das Menschentum. Die Anthroposophie ergänzt den Phänomenalismus durch Imagination, Inspiration und Intuition und erkennt im geschichtlichen Dasein das Einwohnen des Christus im Jesus. Das wirklich Geistige wird erst gesucht, wenn das Instinktiv-Geistige verschwunden ist. Die Anthroposophie hat zunächst einfache Menschen angezogen, doch auch Wissenschaftler finden allmählich Zugang. Ihre Anwendungen reichen weit, und urteilsfähige Kritiker sind willkommen. 83) Die moderne Menschheit steht vor der Aufgabe, ihr Verhältnis zur Welt und zum eigenen Inneren neu zu bestimmen. Die Naturwissenschaft hat das Denken geprägt, indem sie den Menschen zur Freiheit erzogen hat – nicht durch ihre Theorien, sondern durch die Kraft, Zweifel zu erleben und zu überwinden. Doch diese Freiheit verlangt nach einer Erweiterung des Denkens, nach einer Befreiung der Gedanken von der bloßen Leibgebundenheit. Es gilt, das Denken durch Willenskräfte zu energetisieren und so das Seelenwesen zum Wahrnehmungsorgan für Geistiges umzugestalten. Die exakte Schulung des Denkens und des Willens führt zur Erfahrung der Ewigkeit der Seele, sowohl als Ungeborenheit wie als Unsterblichkeit. Das Rätsel der Seele offenbart sich besonders an den Schwellen von Schlaf und Tod, wo die Seelenkräfte ohnmächtig werden. Die Psychologie der Gegenwart bleibt an der Oberfläche, solange sie nicht die Entwicklungsfähigkeit der Seele anerkennt. Nur durch eine besonnene, exakte Schulung kann die Seele sich selbst erkennen und ihre Unsterblichkeit erfahren. Das Denken muss sich von der Sprache lösen, um zu einem neuen Schauen zu gelangen, das nicht mehr an Erinnerungen gebunden ist, sondern in der Gegenwart des Geistes lebt. Die Verbindung von Wissenschaft und Kunst, wie sie im Griechentum noch lebendig war, muss neu gefunden werden, um das Lebendige zu erfassen. Im Osten lebte einst ein traumhaft bewegliches Geistesleben, das sich in Hingabe an die Welt und innere Verwandtschaft mit der Natur ausdrückte. Im Westen hat das analytische Denken die unmittelbare Weltbegegnung verloren. Heute besteht die Möglichkeit, durch bewusste Schulung das Geistige im Sinnlichen wieder zu erleben, ohne in Weltflucht zu verfallen. Die westliche Kultur steht am Anfang einer Entwicklung, in der der Mensch sich aus der instinktiven Abhängigkeit von der geistigen Welt befreit und zu freier geistiger Erkraftung gelangt. Die Kosmologie verlangt, dass der Mensch die Grenzen seines gewöhnlichen Bewusstseins anerkennt. Die Liebe vermag das abstrakte Erkenntnisverhältnis zur Welt in ein reales Seinsverhältnis zu verwandeln. Die Schulung der Willenskräfte macht die Seele zum Geistorgan, und der menschliche Organismus erscheint als Abbild des Kosmos, als kosmisches Weltengedächtnis. Die Brücke zwischen dem festen Leib und der Seeleninnerlichkeit entsteht durch das Entfestigen des Physischen und das Verdichten des Seelischen. Soziale Fragen können nicht durch Programme oder Utopien gelöst werden, sondern nur durch eine wirklichkeitsgemäße Einstellung auf das Gesamtleben. Der Intellekt hat das instinktive Verbundensein mit dem anderen Menschen beendet und ist unfähig, das Lebendige des Sozialen zu erfassen. Die Kluft zwischen den Menschen entsteht, weil der intellektuelle Mensch seinen Platz in der Welt und die Brücke zum anderen nicht mehr findet. Die Umwandlung des Instinktiven in Erkenntniskräfte und die reale Ich-Wahrnehmung des anderen Menschen sind notwendig für neue soziale Perspektiven. Die soziale Gestaltung Europas unterscheidet sich von Westen nach Osten. Im Osten wirkten geistige Impulse durch theokratische Strukturen, während im Westen das juristische Prinzip und die Emanzipation des Wirtschaftslebens vorherrschen. Die Konflikte der Gegenwart entstehen aus dem Nebeneinander alter und neuer Sozialstrukturen. Für das emanzipierte Wirtschaftsleben müssen noch die gestaltenden Ideenimpulse gefunden werden. Die Wurzeln der sozialen Mängel liegen in der Geschichte. Im Orient herrschte die Gemeinschaftsidee mit einem gedämpften Ich-Gefühl, in Europa ist die Aufgabe, das starke Ich in die soziale Ordnung einzugliedern. Die Unfähigkeit dazu ist die Wurzel vieler sozialer Nöte. Die Verbindung von Erkenntnis, Heilkunst und Volkskultur, wie sie etwa in der Waldorfpädagogik angestrebt wird, ist notwendig. Die sinnvolle Eingliederung der menschlichen Arbeit und der Weg des Ich in die Gemeinschaft sind zentrale Aufgaben. Soziale Hoffnungen können nur aus der echten Begegnung von Mensch zu Mensch entstehen. Es genügt nicht, den Proletarier zu verstehen; man muss von ihm verstanden werden. Nur eine Aufklärung, die zum Herzen dringt, kann den Menschen zum Mitarbeiter an der sozialen Ordnung machen. Die Entwicklung des orientalischen Hellsehens zum modernen Intellekt und die willensartige Untergrundströmung in den Volksmassen müssen erkannt werden. Die materialisierende Wissenschaft verdunkelt die Willenstiefen, doch gerade hier lebt eine prophetische Empfindung, die zum Verständnis erhoben werden muss, um die Sozialformen sinnvoll zu erneuern. Die soziale Frage verlangt eine dreigliedrige Ordnung des sozialen Organismus: Das Geistesleben muss aus der Produktivität des Individuums hervorgehen, das staatlich-rechtliche Leben aus der Verständigung der Menschen untereinander, das Wirtschaftsleben aus dem kollektiven Urteil. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit stehen im Zusammenhang mit Geistes-, Rechts- und Wirtschaftsleben. Nicht eine Dreiteilung, sondern eine lebendige Dreigliederung ist notwendig, um die sozialen Hemmnisse zu überwinden und den sozialen Organismus zu heilen. 84) Die Brandkatastrophe des Goetheanums führt mich dazu, die Frage nach dem Wesen und der Aufgabe der Anthroposophie neu zu stellen. Anthroposophie ist hervorgegangen aus einer lebendigen Hingabe an Goethes Weltanschauung, nicht im Sinne einer bloßen logischen Ableitung aus Goethes Werken, sondern als ein Wachsenlassen jener Impulse, die Goethe der Menschheit geschenkt hat. Der Name Goetheanum ist Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber diesem Geistesgut, nicht bloß eine äußere Benennung. Anthroposophie will eine Erkenntnis der geistigen Welt sein, die sich in wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit der Naturwissenschaft an die Seite stellt. Sie verlangt vom Suchenden, dass er die strengen Methoden der Naturwissenschaft durchdrungen hat, um auf dieser Grundlage das Geistige zu erfassen. Sie ist das Gegenteil jener abenteuerlichen Vorstellungen, die ihr von außen zugeschrieben werden: kein Aberglaube, keine nebulöse Mystik, keine Geisterbeschwörung, sondern ernste Geisteswissenschaft. Die Zeit bringt einen Seelenzwiespalt hervor: Die naturwissenschaftliche Denkweise hat sich tief in die Menschheit eingeprägt, während die alten Glaubensvorstellungen, die einst Erkenntnis waren, nur noch als Tradition fortleben. Die Seele verlangt nach einer Erkenntnis des Geistigen, die derjenigen des Natürlichen ebenbürtig ist. Anthroposophie will diesen Zwiespalt überwinden, indem sie den Menschen zu einer bewussten Erfahrung des Geistigen führt. Die menschliche Erkenntnisfähigkeit kann gesteigert werden zu Imagination, Inspiration und Intuition. Das gewöhnliche Denken ist nur der erste Schritt; durch innere Schulung kann die Seele lernen, die geistige Welt unmittelbar zu erleben. Die Imagination hebt das Bildhafte des Denkens in eine lebendige Anschauung, die Inspiration lässt die geistigen Wesenheiten hinter den Erscheinungen vernehmen, und die Intuition führt zur Vereinigung mit diesen geistigen Realitäten. Das Seelenleben des Menschen ist in ständiger Entwicklung begriffen. Durch bewusste Arbeit an sich selbst kann der Mensch jene höheren Erkenntnisstufen erreichen. Die Denktätigkeit, die Sprachtätigkeit, ja selbst die moralischen Impulse des Menschen sind Ausdruck eines tieferen geistigen Geschehens. Die physische Welt ist nur die äußere Erscheinung; hinter ihr wirken moralisch-geistige Impulse, die der Mensch durch innere Erfahrung erkennen kann. In der ätherischen Welt begegnet der Mensch anderen Gesetzmäßigkeiten als in der physischen. Hier offenbart sich das Leben, das den physischen Leib durchdringt und trägt. Die Erkenntnis dieser Welt verlangt eine Verwandlung der Erkenntnisfähigkeit, eine Läuterung und Vertiefung des seelischen Erlebens. Die Ewigkeit der Seele wird im Lichte der Anthroposophie als reale Tatsache erfahrbar. Geburt und Tod sind Übergänge, nicht Anfang und Ende. Die Entwicklung des Menschen durch wiederholte Erdenleben ist eingebettet in einen großen geistigen Zusammenhang. Erziehung und Selbsterziehung gewinnen dadurch eine neue Bedeutung; sie werden zu Mitteln, die geistige Individualität zur Entfaltung zu bringen. Anthroposophie ist eine Zeitforderung, weil der Mensch in der Gegenwart an einer Schwelle steht, an der das bloß materielle Weltbild nicht mehr genügt. Sie will dem Menschen eine ethisch-religiöse Lebenshaltung ermöglichen, die auf Erkenntnis des Geistigen gegründet ist. Diese Erkenntnis ist nicht bloß intellektuell, sondern durchdringt das ganze Leben, gibt Sinn und Richtung, öffnet das Herz für wahre Moralität und religiöse Tiefe. Der Weg zur Erkenntnis der übersinnlichen Welt ist offen für jeden, der bereit ist, an sich zu arbeiten, seine Gedanken, Gefühle und Willenskräfte zu läutern und zu schulen. Es ist ein Weg der inneren Erfahrung, der Verantwortung und der Freiheit. Die Anthroposophie will den Menschen befähigen, diesen Weg zu gehen, um als freier, bewusster Geist in der Welt zu wirken. 88) Die astrale Welt offenbart sich dem Menschen als eine Sphäre, die jenseits des physischen Daseins liegt und dennoch mit ihm auf das Innigste verbunden ist. Im Menschen lebt das astrale Element, das sich in Wahrnehmen, Denken und Fühlen ausdrückt. Vor der Geburt ist der Mensch bereits mit der astralen Welt verbunden, und mit dem Tod kehrt er in diese zurück. Die höheren Welten stehen dem Menschen offen, und durch psychisches und spirituelles Sehen erschließen sich ihm Dimensionen, in denen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinanderfließen. Die vier Temperamente offenbaren sich in der astralen Welt auf besondere Weise, und die Menschwerdung ist ein doppelter Schöpfungsakt, in dem sich das Göttliche in der individuellen Seele widerspiegelt. Der Ursprung des Menschen liegt in den drei Atemzügen des göttlichen Urgeistes. Als Gattungswesen und als Persönlichkeit ist der Mensch eingebettet in die Wirksamkeit der drei Logoi, wodurch sich Individualität und Gattungskraft durchdringen. Die astrale Wesenheit des Menschen wird mit dem Blick des Sehers sichtbar: Meister und Schüler begegnen sich im Astralraum, zerstörende und helfende Wesen wirken dort, und die Worte „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ erhalten eine tiefere Bedeutung. Es gibt Wesen, die sich nicht physisch verkörpern, Elementarwesen, die dem Menschen fremd oder gar feindlich gegenüberstehen, und Devas, die sowohl im Astralraum als auch im Devachan wirken. Im Kamaloka, dem Aufenthaltsort zwischen Tod und neuer Geburt, muss der Mensch an sich arbeiten, bestimmte Fähigkeiten und Tugenden ausbilden: Gerechtigkeit, Urteilsenthaltsamkeit, Starkmut, Klugheit, Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Erde wird als Kosmos der Liebe erkannt, und die Entwicklung des Menschen ist auf die Ausbildung dieser Tugenden gerichtet. Im Devachan, der Welt des Geistes, durchschreitet die Menschenseele nach dem Tod verschiedene Regionen, von den unteren Gebieten – Festland, Ozean, Luftkreis – bis zu den oberen, dem Arupa-Reich. Hier wirken hierarchische Wesenheiten, und die Seele erfährt die Kräfte, die sie auf die nächste Inkarnation vorbereiten. Die menschliche Aura offenbart verschiedene Erscheinungsformen, und die Gedanken des Menschen wirken bis in die geistigen Welten hinein. Die Wanderung der Seele durch das Geistesland führt durch sieben Regionen, in denen sie die Urbilder alles Irdischen erlebt. Die Einweihung eröffnet einen neuen Zugang zur Geisteswelt, und das Jahr 1875 markiert einen Wendepunkt in der spirituellen Entwicklung der Menschheit. Wer die Wahrheit erkennt, trägt Verantwortung, sie nicht für sich zu behalten. Die Lehren der Veden, die Metamorphosen des Sonnenlogos, die Weisheit der Bhagavad Gita, das Gespräch zwischen Arjuna und Krishna, das Verständnis von Dharma und die Einteilung der Kasten im alten Indien werden im Zusammenhang mit der geistigen Entwicklung des Menschen betrachtet. Die drei Logoi, die All-Einheit und die Sonderheit werden als Entwicklungsstufen des Menschen geschildert, und bewusste Übungen, Konzentration und Meditation sind die Wege, auf denen der Schüler voranschreitet. Die Wiederverkörperung bedeutender Individualitäten, das Geheimnis der sieben Wurzelrassen und der sieben großen Wahrheiten, die okkulten Hintergründe physischer Krankheiten, die Entwicklung der Gottesvorstellungen durch die Epochen, das spirituelle Verständnis des Sündenfalls und der Schöpfung, die Harmonie zwischen Menschenschicksal und Weltengesetz, die Entwicklung der menschlichen Aura und des Kundalinifeuers – all dies wird im Lichte der Geisteswissenschaft betrachtet. Die Entwicklung des Menschen führt durch viele Verkörperungen, und das Ziel ist die Harmonie zwischen dem individuellen Schicksal und den ewigen Gesetzen des Kosmos. 89) Am Anfang steht das Ringen um eine zeitgemäße Form der Kosmologie, die den modernen Menschen mit den uralten okkulten Wahrheiten verbindet. Die geistigen Prinzipien der Weltentwicklung offenbaren sich in den drei Grundkräften: Bewusstsein, Leben und Form. Diese durchdringen alles Dasein, und ihre Wechselwirkung bildet den Rahmen für die Evolution von Mensch und Kosmos. Die Erde und der Mensch sind nicht zufällige Produkte, sondern hervorgegangen aus einer geistigen Hierarchie von Wesenheiten, die aufeinanderfolgende Entwicklungsstufen durchlaufen haben. Der Mensch ist als geistiges Wesen eingebettet in einen großen Zusammenhang, der weit über das Physische hinausreicht. Die Entwicklung des Menschen beginnt auf höheren Daseinsebenen, durchläuft verschiedene planetarische Zustände und verdichtet sich schließlich zur heutigen irdischen Existenz. Die siebenfache Gliederung der Evolution – Bewusstseinsstufen, Lebensstufen, Formstufen – spiegelt sich in den großen Zyklen der Weltgeschichte wider. Die Erde selbst ist nur eine Stufe in einer langen Kette von kosmischen Verkörperungen, in denen der Mensch nach und nach seine Fähigkeiten entfaltet. Die geistigen Hierarchien – die Dhyanis, die Pitris, die Herren der Weisheit und der Liebe – wirken als Schöpfer und Führer der Menschheit. Luzifer, einst als Lichtträger verehrt, bringt das Geschenk des Intellekts, aber auch die Gefahr der Einseitigkeit. Die Christus-Wesenheit, der Herr der Liebe, vollendet das Werk der Weisheit und führt die Menschheit zur Verwandlung des Wissens in Liebe. Die Menschwerdung des Christus ist ein kosmisches Ereignis, das die gesamte Erdenentwicklung durchdringt. Die Entwicklung des Menschen ist ein Durchgang durch verschiedene Bewusstseinszustände: von traumhaft-dämmerndem Erleben in früheren Zeiten bis zum klaren Tagesbewusstsein der Gegenwart. Die Sinne, einst noch unentwickelt, werden nach und nach ausgebildet – Gehör, Gefühl, Gesicht, Geschmack – und werden in Zukunft zu spirituellen Organen umgewandelt. Die Wechselwirkung von Innen und Außen, von Aktivität und Passivität, prägt das menschliche Sein. Das Gesetz von Geburt und Tod, von Wiederverkörperung und Karma, verbindet sich mit dem Streben nach höherer Erkenntnis. Die Weltschöpfung ist eine freie Tat des schöpferischen Geistes, des Logos, der sich in drei Gestalten offenbart. Aus dem Zusammenwirken von Tamas, Rajas und Sattwa, den drei Gunas, gehen die schöpferischen Kräfte hervor, die alles Dasein durchdringen. Die sieben schöpferischen Kräfte entfalten sich in den Prajapatis des Bewusstseins, des Lebens und der Form. Der Mensch ist berufen, Mitschöpfer zu werden, die Naturreiche zu erlösen und schließlich das Reich des Geistes auf Erden zu verwirklichen. 92) Alles, was in der physischen Welt geschieht, ist nur ein Schattenbild dessen, was auf höheren geistigen Ebenen vor sich geht. Die Freiheit des Menschen bleibt dennoch gewahrt, denn die Einflüsse aus der geistigen Welt wirken nicht zwanghaft, sondern eröffnen Möglichkeiten zur Entwicklung. Gut und Böse sind keine absoluten Gegensätze, sondern das Böse ist das Gut, das aus seiner ursprünglichen Zeit und Aufgabe herausgetreten ist. Was in einer früheren Weltperiode als weise und notwendig galt, erscheint in einer späteren Epoche als verfehlt und böse. So ist die Geschichte der Menschheit ein ständiges Ringen um das richtige Verhältnis zu den geistigen Kräften, die sie durchdringen. Die großen Religionen und Kulturen der Menschheit wurzeln in alten geistigen Impulsen. Die chinesische Religion etwa trägt noch Nachklänge der atlantischen Tao-Kultur in sich, während der Schamanismus – wie er sich etwa in der Gestalt Attilas zeigt – ein Überbleibsel einer vergangenen Zeit ist. Das Christentum konnte sich erst allmählich entfalten, indem es in die vorhandenen religiösen Formen der Völker einströmte und sie verwandelte. Der Islam entstand im Gegensatz zu den bestehenden Religionen, knüpfte aber an die aufkommende Naturwissenschaft an und brachte einen neuen monotheistischen Impuls in die Welt. Um in der Akasha-Chronik lesen zu können, bedarf es der Fähigkeit, das Ich im Denken auszuschalten – eine Fähigkeit, die im Mittelalter von den Mönchen geübt wurde. Inspirierte Dichter wie Wolfram von Eschenbach konnten so aus höheren Quellen schöpfen. Die Entwicklung der Wissenschaft, wie sie mit Kopernikus beginnt, ist ein Übergang von einer geistigen zur rein physischen Betrachtung der Welt. Die Meister und ihre Sendboten wirken weiterhin aus dem Verborgenen. Die Sagen, wie etwa die von Lohengrin, enthalten einen okkulten Sinn, den Richard Wagner in seinen Musikdramen künstlerisch gestaltet hat. Die alten Mythen, ob griechisch oder germanisch, sind verschlüsselte Darstellungen geistiger Wahrheiten. Die Sage von Dädalus und Ikarus, von Talos und Theseus, die Gründung Roms und die sieben römischen Könige – all das sind Bilder für Einweihungswege und sakramentale Kräfte, die in der Menschheitsentwicklung wirksam sind. Das Feuer, das in den Mythen eine zentrale Rolle spielt, ist ein Symbol für die sakramentale Wirksamkeit und den Übergang von der geistigen zur physischen Welt. Die nordische und keltische Mythologie spiegelt die Entwicklung der Menschheit von der Zeit der Hyperboräer, Lemurier und Atlantier wider. Die drei nordischen Initiierten Wotan, Wili und We stehen für die geistigen Führer der alten Völker. Die Mythen von Niflheim und Muspelheim, von König Artus und Merlin, von Loki und Hagen, zeigen den Weg vom Unpersönlichen zum Persönlichen, von der alten Gemeinschaft zur individuellen Liebe. Die Verbindung des germanischen Elementes mit dem Christentum bereitet den Boden für eine neue Bewusstseinsstufe. Die Lehre von der Wiederverkörperung, wie sie in Indien gelehrt wird, findet sich auch in den Fabeln wieder, die als Vorbereitung dienen, um in späteren Inkarnationen die Geisteswissenschaft empfangen zu können. Die Entwicklung des Menschen durch verschiedene Runden und das Zurücklassen von Mineral, Pflanze und Tier auf niedrigerer Stufe sind Teil des großen Evolutionsplans. Die Mysterien der Druiden und Drotten, die drei Einweihungsstufen, wie sie in der Edda geschildert werden, zeigen, wie die Priester als Menschheitsbauer wirkten. Die Freimaurer bewahren nur noch ein schwaches Abbild dieser alten Weisheit. Die Prometheus-Sage ist mehr als ein Mythos – sie ist eine Mysteriendarstellung der nachatlantischen Menschheitsgeschichte. Prometheus, der das Feuer bringt, steht für den Eingeweihten, der der Menschheit Weisheit und Tatkraft schenkt. Der Gegensatz von Epimetheus und Prometheus spiegelt die Entwicklung des Denkens wider. Die Argonauten-Sage und die Odyssee zeigen den Kampf um die Weisheit, die in der griechischen Kultur ohne Liebe gesucht wird, während die Mysterien die von Liebe durchdrungene Weisheit bewahren. Die Abenteuer des Odysseus sind Bilder für die Einweihungsschritte der Schüler in den Mysterien. Die Siegfried-Sage steht am Übergang zur Zeitenwende, als die alten Mysteriengeheimnisse streng gehütet wurden. Die Lehre vom Tod, der zum wahren Leben führt, ist sowohl bei den Germanen als auch bei Buddha zu finden. Siegfried bereitet das Kommen des Christentums vor. Der Trojanische Krieg symbolisiert den Übergang von der Herrschaft der übermenschlichen Führer, der Manus, zur Königsherrschaft und damit zum Abstieg der Menschheit auf den physischen Plan. Die Geheimhaltung der Mysterien bleibt ein zentrales Thema. Richard Wagner greift diese alten Mythen in seinen Musikdramen auf, um die Menschheit aus dem Materialismus herauszuführen. Er gestaltet die Übergänge von der alten hellseherischen Kultur zur Erringung von Verstand und Selbstbewusstsein. Die Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ zeigt die vierfache Einweihung Wotans und die Entwicklung des Ich in der fünften Epoche. In „Tristan und Isolde“ wird das Problem der Zweigeschlechtlichkeit künstlerisch dargestellt und in der christlichen Liebe überwunden, wie es in „Parsifal“ weitergeführt wird. Wagners Verhältnis zur Mystik, sein Dramenentwurf „Der Sieger“, das Motiv der sich opfernden Jungfrau, das Tannhäuser-Motiv, die Parsifal-Sage – all dies sind Ausdruck eines neuen Impulses, der auf eine zukünftige Wiedervereinigung von Kunst, Religion und Wissenschaft zielt. Die Überwindung der alten Druiden-Religion durch das Christentum, das tragische Schicksal Siegfrieds, die Suche nach dem heiligen Gral – sie alle weisen auf die geistige Entwicklung der Menschheit hin. Die Musik Wagners ist Offenbarung einer anderen Welt, die Sphärenmusik eine geistige Wirklichkeit. Im Gesamtkunstwerk wird der Übergang vom alten hellseherischen Bewusstsein zum Ich-Bewusstsein der neuen Zeit gestaltet. Der Beginn des „Rheingold“ schildert das leidenschaftslose, pflanzenartige Bewusstsein des atlantischen Menschen und weist auf eine zukünftige Rückkehr zu diesem Bewusstseinszustand auf höherer Stufe hin. 93) Am Pfingstfest offenbart sich das Ringen des Menschengeistes um Befreiung. Die großen Weltanschauungsströmungen der fünften Wurzelrasse wurzeln in unterschiedlichen Intuitionen: die eine, ägyptisch-indisch-südeuropäisch, schöpft aus der Weisheit der Devas, die andere, persisch-germanisch, aus der Kraft der Asuras. In der lemurischen Zeit beginnt die Reinkarnation des Menschen; der Sündenfall wird zur Voraussetzung der Freiheit. Prometheus steht als Symbol für das menschliche Streben nach Freiheit, wie es im Pfingstmysterium des Johannes-Evangeliums anklingt. Im Gegensatz von Kain und Abel liegt der okkulte Kern der mosaischen Erzählung: die Entwicklung von ungeschlechtlicher zu geschlechtlicher Fortpflanzung, die Geburt des Egoismus durch den Verstand, der Kampf gegen die dunklen Mächte der Rakshasas. Die Gründung der Theosophischen Gesellschaft erfüllt eine uralte Prophezeiung und erneuert die Mysterienweisheit, in der Reinkarnation und Karma zentrale Lehren sind. Die Druiden und Drotten waren uralte Eingeweihte, deren Mysterien in der Edda nachklingen. Sie verstanden sich als Menschheitsbauer, deren Wirken in der Freimaurerei nur noch ein schwaches Abbild findet. Die Prometheussage enthüllt als Mysteriendarstellung die Entwicklung der Menschheit durch lemurische, atlantische und nachatlantische Zeit. Prometheus, der das Feuer bringt, verkörpert den in Weisheit und Tat Eingeweihten, der die nachatlantische Menschheit führt. Die Tempellegende und die Goldene Legende, wie sie Christian Rosenkreutz der Bruderschaft gab, sind Symbole für das Schicksal der Menschheit in ihren verschiedenen Kulturepochen. Das Christentum bringt die Gleichheit aller Menschen vor Gott, doch erst das Rosenkreuzertum führt zum zukünftigen Christentum, das das Geheimnis des Ehernen Meeres und des Goldenen Dreiecks birgt. Der Manichäismus lehrt, dass das Böse ein unzeitgemäßes Gutes ist, und fordert, das Böse durch Milde zu überwinden. Der innere Kampf zwischen dem Licht des Geistes und der äußeren Autorität prägt die geistige Entwicklung der Menschheit. Die Freimaurerei gründet in der Tempellegende. Ihre Riten und Grade spiegeln okkulte Vorgänge wider. Einst waren die Freimaurer wirkliche Bauleute, deren Baukunst ein Abbild der Welterkenntnis war. Heute ist die Freimaurerei eine Hülle, der der rechte Inhalt fehlt. Die Hochgrade und ihre Riten, wie sie im Memphis- und Misraim-Ritus gepflegt werden, bewahren uraltes Wissen um den Zusammenhang von Atom, Elektrizität und menschlichem Gedanken. Das Geheimwissen der Geheimgesellschaften zielt auf das bewusste Fortleben und die Unsterblichkeit des Menschen. Die Aufgabe unserer Epoche ist es, die mineralische Welt mit Geist zu durchdringen. Die Formen, die in den Hochgraden der Freimaurerei gepflegt werden, sind Abbilder zukünftiger Entwicklungsstufen. Die fünfte Unterrasse ist die Rasse des Verstandes und des Egoismus, dessen Überwindung notwendig ist. Der Salomonische Tempel steht als Symbol für den Menschen als Haus Gottes. Die Arche Noah, der Tempel und die Maße des menschlichen Körpers sind miteinander verbunden. Die Tempelritter und die Rosenkreuzer arbeiten am großen Tempel der Menschheit, im Geiste der Theosophie. Die Kreuzesholzlegende zeigt die Vereinigung der beiden Menschheitsströmungen – Gottessöhne und Menschensöhne – in Christus Jesus. Die Entwicklung des Menschen vollzieht sich durch den Bau des dreistufigen Weltentempels, durch das Wirken von Geist, Sohn und Vater. Die Auferweckung des inneren Wortes, die Auferstehung des Ätherleibes, ist das Pfingstgeheimnis. Die Zukunft der Menschheit liegt im Wirken der Meister der weißen Loge, im Verständnis des Logos und der Atome. Die theosophische Bewegung ist berufen, diese Aufgaben zu erfüllen und das geistige Erbe der Mysterien in die Zukunft zu tragen. 93a) Im Menschenleben offenbart sich das Geheimnis des Bewusstseins in vielfacher Weise. Die zwölf Bewusstseinsstufen, von denen sieben dem Menschen und fünf den schaffenden Göttern zukommen, bilden die Grundlage der geistigen Entwicklung. Die Apostel verkörpern diese Stufen, durch die der Christus hindurchgegangen ist. Die drei Grundkräfte – Tätigkeit, Weisheit und Wille – durchziehen das Dasein und spiegeln sich im Leben nach dem Tode, wo der Mensch dem Hüter der Schwelle begegnet, der als sein Doppelgänger erscheint. Die Bedeutung des Sühnetodes Christi erschließt sich im Zusammenhang mit der Entwicklung des Selbstbewusstseins und der Sprache, deren Wurzeln tief in die Vergangenheit reichen. Die Pflanzenwelt ist das Sinnesorgan der Erde, und im Menschen finden wir entsprechende Organe, etwa das Ohr als Orientierungsorgan, das dem Pflanzenwurzelorgan entspricht. Die Kreuze der Entwicklungslinien von Mensch, Tier und Pflanze verweisen auf das Rätsel der Sphinx, das auf die künftige Gestalt des Menschen hindeutet. Die Wesenheit der Bienen und Ameisen zeigt, wie kollektives Bewusstsein und Individualität sich unterscheiden. Die Alchimie, der Stein der Weisen und die Verwandlung der Naturreiche hängen mit der Zukunft des Menschen zusammen. Die vier Ätherarten – Wärme-, Licht-, chemischer und Lebensäther – beleben die sieben Ebenen des Daseins. Die Organe des Menschen entwickeln sich weiter: Die Hypophyse wird zum aktiven Wärmeorgan, die Zirbeldrüse zum Sehorgan höherer Welten. Die Entwicklung der Menschheit gliedert sich in sieben Stufen, von den empfangenden Elementarwesen über den schöpferischen Menschen bis zu den Göttern. Die Vereinigung geistiger und physischer Wesensglieder in der lemurischen Zeit brachte Geburt und Tod hervor und begründete das Karma als Ausgleichsprozess. Die Reinkarnation verknüpft sich mit der Kulturentwicklung und dem Tierkreis. Die Erkenntnis der Wiederverkörperung beeinflusst das Leben, wie etwa der Genuss von Wasser oder Wein zeigt. Die sieben Sinne des Menschen stehen in Beziehung zu den sieben Ebenen der Welt und zu den künftigen Daseinsformen. Die Veranlagung für die Jupiternatur wird durch die Gedanken, Gefühle und Willensimpulse des Menschen vorbereitet. Der Ätherkörper des Mannes ist weiblich, der der Frau männlich. Das aurische Ei umhüllt den Astralleib und entwickelt sich durch sieben Erdenzustände. Das Lesen im Akasha offenbart die individuellen Lebensspuren. Der Mensch nimmt an der physischen, astralen und mentalen Welt teil, steigt in die Materie hinab und kann durch Selbstlosigkeit wieder zu den höheren Ebenen aufsteigen. Freiheit wird auf dem physischen Plan möglich. Das Kundalinifeuer dient als Werkzeug okkulter Forschung. Die Devas wirken an den Leibeshüllen des Menschen, bis das Ich diese Arbeit übernimmt. Nach dem Tode wirkt der Mensch an der Umgestaltung der Naturreiche mit. Die Kirchenstruktur ist ein äußeres Abbild der geistigen Hierarchie. Im Devachan, zwischen Tod und neuer Geburt, bilden sich durch geistige Tätigkeit neue Organe. Die physische Welt ist die Welt der Ursachen, das Devachan die der Wirkungen. Die Rosenkreuzer haben die europäische Geschichte seit dem 14. Jahrhundert durch geistige Impulse geprägt. Weisheit, Schönheit und Stärke spiegeln Manas, Buddhi und Atma. Karma wirkt auf Taten, Worte und Gedanken; sein Gegensatz ist das Schaffen aus dem Nichts, das im Nirvana erlebt wird. Die drei Stufen des Gedankenlebens – abstrakter Gedanke, Imagination und Intuition – führen zur Erkenntnis des Göttlichen. Der Mensch der atlantischen und lemurischen Zeit vereinigte zwei Ursprünge in sich. Elementarwesen wirken in der Astralwelt, schwarze und weiße Magie stehen einander gegenüber. Die Technik der Reinkarnation zeigt sich im Erinnerungsbild nach dem Tode und in der Vorschau vor der Geburt. Künstlerische Betätigung ist für das theosophische Leben notwendig. Die Monade und der physisch-astralische Mensch entwickeln sich getrennt, bis sie sich in der lemurischen Zeit vereinen. Die Entstehung des Karma, der Kampf zwischen Jehova und Luzifer, die Entwicklung der Zweigeschlechtlichkeit und die Umkehrung der Erdachse sind Stationen der Menschheitsgeschichte. Die Erdenentwicklung gliedert sich in Rassen, Globen und Runden. Die Namen der Wochentage stehen im Zusammenhang mit der planetarischen Entwicklung. Die drei Logoi – Form, Leben, Bewusstsein – sind Stufen der Schöpfung. Elementarwesen entstehen durch menschliche Handlungen. Die Sinne stehen mit den Ätherarten in Verbindung. Der Mensch ist eingebettet in den Makrokosmos, und seine Entwicklung führt ihn zu immer höheren Bewusstseinszuständen. 94) Im Anbeginn der Menschheitsentwicklung lebt der Mensch in einer noch ungetrennten Einheit mit der geistigen Welt. Erst allmählich tritt das Ich als selbstbewusstes Zentrum hervor und nimmt seine Aufgabe auf, die Hüllen des Leibes zu durchdringen und zu vergeistigen. Die Geburt des Intellekts ist ein entscheidender Schritt in dieser Entwicklung, und das Christentum bringt jene Kraft, die das Ich befähigt, sich mit dem Göttlichen zu verbinden. Die Liebe, die sich im Rosenkreuzertum vergeistigt, wird zum Grundprinzip, das die Menschheit in eine neue Stufe führt. Vorchristliche und christliche Bruderschaften wirken als Träger des geistigen Fortschritts. Die Mission der Manichäer besteht darin, das Böse nicht zu vernichten, sondern zu verwandeln. Darwinismus erfasst nur einen Teil der Wahrheit, denn die Entwicklung des Menschen ist eingebettet in einen viel umfassenderen kosmischen Zusammenhang, der bis zu den alten Atlantis zurückreicht. Zwei Ströme der Entwicklung durchziehen die Menschheitsgeschichte, und wahre Moral entspringt erst aus der Erkenntnis dieser Zusammenhänge. Der Stein der Weisen, das Ziel der alten Alchemie, ist Sinnbild für die Umwandlung des Menschen. Mensch, Tier und Pflanze sind in Ein- und Ausatmung mit dem Kosmos verbunden. Die Mistel als Überrest der Mondenepoche verweist auf uralte Entwicklungsstufen. Die Trennung der Geschlechter ist ein Ergebnis der fortschreitenden Individualisierung. Die Zirbeldrüse, einst ein Wahrnehmungsorgan, ist heute ein Relikt. Der Traum ist ein Überbleibsel alten Hellsehens. Die Mythen entspringen ursprünglichen Bewusstseinszuständen. Die Erde wandelt sich vom Kosmos der Weisheit zum Kosmos der Liebe. Das Bewusstsein der Menschheit strebt einer Zukunft entgegen, in der das Geistige immer mehr ins Irdische hereinwirkt. Die Seele sammelt die Früchte des Erdenlebens und übergibt sie dem Geist. Der Leib ist das Instrument der Seele. Die Mysteriengeheimnisse früherer Zeiten werden nach und nach offenbar. Der Ätherleib des Mannes ist weiblich, der der Frau männlich; der Astralleib ist zweigeschlechtlich. Die Initiationswege des Ostens und des Westens unterscheiden sich in ihrer Methode. Die sieben Stufen der alten Einweihung führen den Menschen in immer höhere Erkenntnisse und Fähigkeiten. Doch Gefahren drohen auf dem okkulten Entwicklungsweg, und es bedarf der rechten Vorbereitung. Die höheren Grade der Initiation öffnen das Bewusstsein für die geistigen Welten. Das Johannes-Evangelium ist für die mittelalterlichen Bruderschaften eine Einweihungsurkunde. Die ersten vierzehn Verse wirken wie eine spirituelle Kraft. Die Auferweckung des Lazarus markiert den Übergang von den alten Mysterien zur christlichen Einweihung. Die Hochzeit zu Kana offenbart die Mission des Alkohols, die Verklärung auf dem Berge Tabor weist auf die künftige Vergeistigung des Menschen. Die Goethesche Naturanschauung trägt einen christlichen Grundcharakter. Die sieben Grade der christlich-gnostischen Einweihung führen zur Erkenntnis des Geistes im Menschen. Organe für das bewusste Erleben der Astralwelt entwickeln sich, und im Astralen erscheint die Wirkung vor der Ursache. Menschliche Leidenschaften nehmen im Astralen Tiergestalt an. Nach dem Tod erlebt der Mensch sein Leben rückwärts. Selbstmord und gewaltsamer Tod haben besondere Folgen. Die Lüge ist ein astraler Mord, schwarze Magie und Vivisektion wirken zerstörerisch. Der achtgliedrige Pfad des Buddha und die Seligpreisungen des Matthäus-Evangeliums stehen in Zusammenhang mit der sechzehnblättrigen Lotusblume. Die sechs Tugenden sind Stufen auf dem Weg zur geistigen Vollendung. Goethes Fragment „Die Geheimnisse“ und die drei Menschheitstypen der griechischen Kunst zeigen die Vielfalt menschlicher Entwicklung. Die Einweihung wirkt auf das gegenwärtige und nachtodliche Bewusstsein. Die Abfolge der Inkarnationen steht im Zusammenhang mit dem Rhythmus der Kulturepochen. Das Reich der geistigen Hierarchien offenbart sich in sieben Regionen des Devachan. Die Gralslegende und die Lohengrinsage sind Ausdruck dieser geistigen Wirklichkeiten. Atlantis und Lemurien sind Stationen der Menschheitsentwicklung. Die menschliche Leibesgestalt wandelt sich im Laufe der Epochen. Die drei Logoi wirken als schöpferische Kräfte. Die Bewusstseinsentwicklung des Menschen schreitet durch sieben Zustände des Bewusstseins, des Lebens und der Form. Die planetarische Evolution führt zur Umgestaltung der Erde durch den Menschen. Frühere planetarische Zustände wirken in die Gegenwart hinein. Erdbeben und Vulkane stehen in Zusammenhang mit dem menschlichen Willen und den Wirkungen vergangener Epochen. Die Wochentage spiegeln kosmische Rhythmen. Das Erdinnere ist mit der christlichen Einweihung verbunden. Die sieben Geheimnisse, besonders das Geheimnis des Todes, werden offenbar. Jehova, Luzifer und Christus wirken als geistige Mächte. Die Erlösung und Befreiung des Menschen ist das Ziel der Entwicklung. Die Apokalypse zeigt, dass das Künftige bereits keimhaft in den Urbildern enthalten ist. Die sieben nachatlantischen Kulturen bereiten die kommenden Erdepoche vor. 95) Der Mensch besteht aus mehreren Gliedern, nicht nur dem physischen Leib, der mit den äußeren Sinnen wahrgenommen werden kann und den er mit der mineralischen Welt teilt. Über diesen hinaus trägt der Mensch einen Ätherleib in sich, der das Leben, das Wachstum, die Fortpflanzung ermöglicht und ihn mit der Pflanzenwelt verbindet. Noch darüber hinaus besitzt er den Astralleib, der das Empfinden, die Lust, den Schmerz, die Begierde möglich macht, was er mit den Tieren gemeinsam hat. Das Ich aber, das den Menschen zum Menschen macht, ist das vierte Glied. Dieses Ich wirkt gestaltend auf die anderen Glieder ein, verwandelt sie, so dass aus dem Astralleib der Geistselbst, aus dem Ätherleib der Lebensgeist und aus dem physischen Leib der Geistesmensch hervorgehen kann. So ist der Mensch ein Wesen, das sich in ständiger Entwicklung befindet, das aus dem Geistigen kommt und sich wieder zum Geistigen hin entwickelt. Die Welt, in der der Mensch lebt, ist nicht nur die physische, sondern es gibt auch die astrale Welt, in der Gedanken und Gefühle Realität sind, und die Devachan-Welt, die geistige Welt, in der die Ursachen liegen. In der astralen Welt ist alles spiegelbildlich, die Zeit läuft rückwärts, und das, was hier als Gedanke erlebt wird, ist dort eine Wirklichkeit. Auch gibt es die Möglichkeit, in der Akasha-Chronik zu lesen, in der alle Ereignisse der Welt wie in einer geistigen Schrift aufgezeichnet sind. Nach dem Tode durchschreitet die Seele verschiedene Zustände. Zuerst trennt sich der physische Leib, dann verweilt die Seele im sogenannten Kamaloka, wo sie alles, was sie an Begierden und Leidenschaften in sich trägt, von sich abstreifen muss. Danach steigt sie in die Devachan-Welt auf, in der sie an den Ursachen ihres Lebens arbeitet, an der Vorbereitung einer neuen Inkarnation. Die Zeit zwischen den Inkarnationen ist unterschiedlich lang und hängt von der Entwicklung der Seele ab. In der Devachan-Welt werden die sogenannten Lotusblumen (Chakrams) ausgebildet, die die Fähigkeiten und Anlagen für das nächste Leben darstellen. Die Erziehung des Kindes muss sich an der Entwicklung der Wesensglieder orientieren: In den ersten sieben Jahren wirkt das Vorbild, dann die Autorität, und erst später das selbständige Urteil. Das Schicksal des Menschen, sein Karma, ist das Ergebnis von Ursachen, die in früheren Leben gelegt wurden. Krankheiten, Temperament, sogar die Liebe zwischen Mutter und Kind sind karmisch bedingt. Auch das Böse hat eine Mission in der Welt; es dient dazu, das Gute zu entwickeln, das Gewissen zu bilden und den Menschen zur Freiheit zu führen. Die Entwicklung der Erde ist ein großes Geschehen, das in Runden, Globen und planetarischen Zuständen abläuft. Der Mensch hat sich auf verschiedenen planetarischen Stufen entwickelt, von der lemurischen über die atlantische Zeit bis in die nachatlantischen Kulturepochen, in denen verschiedene Völker ihre Aufgaben hatten. Die Sehnsucht nach dem Göttlichen prägt die Menschheit, und die Zukunftsaufgaben bestehen darin, Wissen und Glauben zu vereinen. Die okkulte Entwicklung des Menschen führt durch verschiedene Bewusstseinsstufen, die Ausbildung der Chakrams, und verlangt neben der Meditation die sechs Nebenübungen: Kontrolle der Gedanken, Initiative des Handelns, Ausdauer, Objektivität, Vertrauen und Gleichmut. Der Lehrer (Guru) hat in der orientalischen, der christlichen und der rosenkreuzerischen Schulung eine unterschiedliche Rolle. Im Osten gibt der Guru acht Anweisungen, im Christentum ist Christus selbst der große Lehrer, dessen Wirken durch Meditation des Johannes-Evangeliums erfasst werden kann. Die christliche Einweihung führt durch sieben Stufen, die Rosenkreuzer-Schulung durch sieben Erkenntnisschritte, die den Menschen in den Zusammenhang mit der ganzen Erde, ja mit dem Erdinneren und den Naturereignissen wie Erdbeben und Vulkanausbrüchen bringen. So ist das Ziel, dass der Mensch sich seiner geistigen Herkunft, seiner Entwicklung und seiner Aufgabe bewusst wird, um in Freiheit und Erkenntnis an der Gestaltung der Welt mitzuwirken. 96) Es ist notwendig, das Geistige als eine Wirklichkeit zu erfassen, nicht nur als abstrakte Idee, sondern als lebendige Kraft, die das menschliche Zusammenleben durchdringt. Empfindungen und Gedanken sind reale Kräfte, die auf unsere Mitmenschen wirken, so wie eine Handlung auf den physischen Leib wirkt. Wer einen schlechten Gedanken gegen einen anderen richtet, verletzt dessen Seele ebenso wie ein körperlicher Schlag den Leib. Daraus erwächst die Aufgabe, in der Gemeinschaft eine echte Toleranz und Achtung vor dem innersten Wesen des Anderen zu üben, nicht nur äußerlich, sondern bis in die Sphäre des Geistigen hinein. Die Entwicklung der Menschheit ist von geistigen Impulsen getragen, die sich durch die Geschichte ziehen. Okkulte Bruderschaften, wie sie im Rosenkreuzertum ihren Ausdruck fanden, haben diese Impulse bewahrt und weitergegeben. Doch der Materialismus der Gegenwart droht, die seelische Gesundheit der Menschheit zu untergraben und seelische Epidemien hervorzurufen, weil er das Geistige leugnet. Der Spiritismus, der sich mit Phänomenen der Toten beschäftigt, verkennt das eigentliche Ziel: nicht die bloße Erscheinung, sondern das bewusste Erkennen der geistigen Welt ist die Aufgabe. Das Erdinnere ist in neun Schichten gegliedert, und die tieferen Schichten sind bei Naturereignissen wie Vulkanausbrüchen beteiligt. Die Emotionen der Menschen stehen in geheimem Zusammenhang mit den Kräften der Erde, und auch die Verstorbenen wirken an der Umgestaltung der Erde mit. Die materialistische Naturwissenschaft, wie sie von Plinius dem Älteren begründet wurde, sieht nur das Äußere, doch die wahre Erkenntnis reicht tiefer. Die griechischen Mysterien verbargen eine Welt, die heute wieder zugänglich werden muss. Der Materialismus erreichte im 19. Jahrhundert seinen Tiefpunkt, doch durch Persönlichkeiten wie Blavatsky wurde ein neuer Impuls gegeben. Die Erziehung des Menschen muss sich an den geistigen Gesetzmäßigkeiten orientieren: In den ersten sieben Jahren prägt Nachahmung, dann Autorität, später das individuelle Urteil. Wahre Lebenspraxis erwächst aus einer spirituellen Weltsicht. Der Mensch nimmt an den höheren Welten teil. Seine Empfindungen und Gedanken haben ihren Ursprung in der astralen und geistigen Welt. Nur wer den Zusammenhang der physischen mit den höheren Welten erkennt, wird frei. Die Natur spricht in Symbolen, und die materialistische Wissenschaft kann die sozialen Probleme nicht lösen, weil sie das Geistige ignoriert. Auch Metalle üben geistige Wirkungen auf den Menschen aus. Die geisteswissenschaftliche Bewegung fordert Selbstbescheidung und Helferwillen. Nicht Prinzipien und Institutionen bestimmen die Zukunft, sondern der einzelne Mensch, der schöpferisch aus der geistigen Welt heraus handelt. Das gewöhnliche Gedankenleben ist nur Abbild einer höheren, schöpferischen Gedankenwelt. Die Gesetze des Karma wirken bis in die Einzelheiten: Bleibende Eigenschaften und Temperamente sind im Ätherleib veranlagt, Emotionen im Astralleib. Das Gewissen entsteht aus der Umwandlung des Vorstellungslebens. Liebe zur Umgebung führt in einer späteren Inkarnation zu Jugendlichkeit, Weisheit ist Frucht früherer Leiden. Das Karmagesetz widerspricht nicht der christlichen Erlösungslehre. Die Sinne des Menschen haben sich im Verlauf der planetarischen Evolution ausgebildet. Das Gehör ist das älteste Sinnesorgan, schon auf dem Saturn angelegt. Die Wahrnehmung des Hellsehers ist dem Sehvorgang verwandt. Der Schatten ist von astraler Wesenhaftigkeit. Der rosenkreuzerische Schulungsweg umfasst sieben Stufen, die den Menschen zur Erkenntnis führen. Die Beziehung des Schülers zum Lehrer ist wesentlich. Die geisteswissenschaftlichen Mitteilungen sind nicht nur für das Erdenleben, sondern auch für das nachtodliche Leben von Bedeutung. Die Naturreiche sprechen in Symbolen, und die Gruppenseelen der Tiere und Pflanzen zeugen von höheren Zusammenhängen. Ernährung und Heilmethoden müssen auf geisteswissenschaftlicher Grundlage betrachtet werden. Gifte können Heilmittel sein. Die Verdauung steht in Beziehung zur Denkfähigkeit. Kaffee und Tee wirken auf die Seele. Die Ernährung soll reguliert, Askese geübt werden, und es braucht Laboratorien, die auf geistiger Erkenntnis beruhen. Tod und Schlaf sind Übergänge. Nach dem Tod erlebt die Seele das Erinnerungstableau, durchwandert Kamaloka und Devachan, bevor sie zur neuen Inkarnation absteigt. Unsere Empfindungen, Gedanken und Handlungen hinterlassen Gegenbilder in den höheren Welten, und die Schicksalsgötter weben daraus unser Karma. Das Weihnachtsfest ist ein Symbol für den Sieg des Ewigen über das Zeitliche. Die sieben Zeichen der Weihnacht verweisen auf die geistige Wiedergeburt durch den Christus. Das Vaterunser ist ein Weg zur Vereinigung der Seele mit dem Göttlichen. Die sieben Bitten entsprechen den sieben Gliedern der menschlichen Wesenheit. Die Weltseele ergießt die Astralsubstanz in die menschlichen Leiber. Die großen Urreligionen tragen die Spuren der turanischen Adepten. Das Ich-Bewusstsein bleibt das Ziel der Menschheitsentwicklung. Der Lebenslauf des Menschen ist siebenfach gegliedert und steht im Zusammenhang mit der planetarischen Evolution. Die Mistel ist ein Überbleibsel der Mondenentwicklung. Das Blut, das am Kreuz floss, hat weltgeschichtliche Bedeutung. Christus hat das Blutsprinzip der alten Einweihung abgelöst und die Individualisierung der Menschheit ermöglicht. Das Blut muss von der Ich-Sucht gereinigt werden, damit der Bruderbund der Zukunft entstehen kann. Das Christus-Ereignis hat einen Einschlag in die geistige Erdatmosphäre bewirkt. Die Vielheit der alten Volksgötter wird durch Christus als einheitlichen Geist der Menschheit überwunden. Die Mysterien des Geistes, des Sohnes und des Vaters führen zur Erkenntnis des wahren Christentums. Die Gleichnisse des Evangeliums, wie das vom ungerechten Haushalter oder vom verlorenen Sohn, offenbaren die Ablösung des Gesetzes durch den Christus-Impuls. Die Umwandlung der Hüllennatur überwindet Phantome, Spektren und Dämonen. Die Apokalypse spricht in Symbolen von der Entwicklung der Menschheit. Das Ziel der Entwicklung ist nicht die Abschwächung des Persönlichen, sondern seine Steigerung zum Überpersönlichen. Echte Moral erwächst aus Erkenntnis, nicht aus Geboten. Egoismus und Tod sind zwei Seiten desselben Vorgangs in der Evolution. Die Persönlichkeit spiegelt sich in der Aura, und ihr Ziel ist die Verwandlung in das Überpersönliche. 97) Im Anfang war das Wort, und aus diesem göttlichen Wort ist alles Gewordene hervorgegangen. Die Welt, wie sie sich dem äußeren Sinn darbietet, ist nur der äußere Ausdruck eines geistigen Geschehens, das in den Evangelien in einer Wahrheitssprache offenbart wird, die nur derjenige zu entschlüsseln vermag, der sich auf den Weg der Einweihung begibt. Die sieben Stufen der christlichen Einweihung führen durch Läuterung und Erleuchtung hin zur Vereinigung mit dem Geistigen, und die Evangelien sind Urkunden dieses Weges. Die Hochzeit zu Kana, das Gespräch mit Nikodemus, die Begegnung mit der Samariterin, die Heilung des Blindgeborenen und die Auferweckung des Lazarus sind nicht bloß äußere Taten, sondern Offenbarungen innerer Entwicklungsstufen, die jeder Mensch durchschreiten kann, wenn er sich dem Christusimpuls öffnet. Die Menschheitsgeschichte ist getragen von der Entwicklung des Bewusstseins, das sich von einem uralten Dämmerzustand über die Klarheit des Verstandes bis zur zukünftigen Geistselbständigkeit erhebt. In der atlantischen Zeit lebte der Mensch noch in einer Art traumhaften Hellsehens, verbunden durch Blutsbande und Nahehe. Mit dem Erwachen des Ichs, das sich im Blut ausdrückt, wurde der Mensch fähig, sich als Einzelwesen zu erleben. Doch diese Entwicklung brachte auch den Egoismus und die Gefahr der Vereinzelung. Die Christus-Tat auf Golgatha hat eine neue Kraft in die Menschheit gebracht: die Überwindung des Egoismus durch die Liebe, die nicht mehr an das Blut, sondern an den Geist gebunden ist. Das Blut, das am Kreuz vergossen wurde, ist der Same für ein neues Ich-Bewusstsein, das sich in Freiheit mit dem göttlichen Willen verbindet. Die alten Mysterien führten den Menschen durch Trance und Priesterautorität zu einer Verbindung mit dem Geistigen, doch das Christentum fordert die Einweihung im vollen Wachbewusstsein, gegründet auf Vertrauen und freie Anerkennung. Die sieben Stufen des Einweihungsweges, wie sie im Rosenkreuzertum gepflegt werden, sind heute der Menschheit angemessen, denn sie verlangen nicht mehr die Unterwerfung unter einen Guru, sondern den freien Entschluss zur Wahrheitssuche. Die Meditation über das Johannes-Evangelium, das Vaterunser als Gedankenmantram, die Betrachtung der Seligpreisungen der Bergpredigt – all dies sind Mittel, das eigene Wesen zu verwandeln und die niederen Glieder des Menschen zu höheren zu läutern. Luzifer, der Träger des Lichtes, hat dem Menschen das Licht des Verstandes gebracht, doch erst durch Christus wird das Licht in Liebe verwandelt. Die Schlange im Paradies ist Symbol für die luziferische Kraft, die zur Erkenntnis führt, aber auch zur Versuchung des Egoismus. Der Weg des Menschen ist der Weg der Umwandlung: das luziferische Licht muss durch die Kraft Christi zur selbstlosen Liebe werden, die nicht mehr an die Blutsbande gebunden ist, sondern an die geistige Bruderschaft aller Menschen. Die Zukunft der Menschheit liegt in der Überwindung des Materialismus und des Egoismus durch die Entfaltung der Geisteswissenschaft, die zur Erkenntnis des wahren geistigen Wesens des Menschen führt. Die Aufgabe ist, die Erde bewusst umzugestalten, das mineralische Reich zu vergeistigen und durch die Kraft des Geistes die Einheit der Menschheit in Freiheit und Liebe zu verwirklichen. Die Wahrheitssprache der Evangelien, das christliche Mysterium, die alten und neuen Einweihungswege, die Mission des Christentums – all dies ist ein Ruf an die Seele, sich auf den Weg zu machen, um in der Nachfolge Christi das eigene Wesen zu verwandeln und zum Werkzeug des Geistes in der Welt zu werden. 98) Die okkulte Entwicklung verlangt, dass der Mensch sich nicht nur mit äußeren, sinnlichen Wahrheiten begnügt, sondern sich auch den verborgenen geistigen Kräften zuwendet, die in der Welt wirken. Die theosophische Arbeit besteht darin, diese geistigen Wahrheiten zu erschließen und für die Menschheit fruchtbar zu machen. Wer sich auf den Pfad der Einweihung begibt, muss sich der Gefahren bewusst sein, die auf diesem Wege lauern. Es bedarf der Reinigung und Läuterung der Seele, damit die höheren Erkenntnisse nicht zu Hochmut oder Verirrung führen. Die Entwicklung des Menschen verläuft in Stufen, die bis zum achtundzwanzigsten Lebensjahr reichen, und in dieser Zeit wirken verschiedene geistige Kräfte auf ihn ein. Krankheiten wie Rachitis oder Tuberkulose sind Ausdruck der Disharmonie zwischen diesen Kräften. Die Methode des Hellsehens verlangt ein sinnenfreies, reines Denken, das sich von persönlichen Begierden und Leidenschaften löst. Die Imagination, das bildhafte Erkennen der geistigen Welt, eröffnet neue Einsichten in das Wesen von Pflanze, Tier und Mensch. Das Kreuz, das Herz und der Kehlkopf erscheinen als Symbole der zukünftigen Entwicklung, während die Sexualorgane als absterbende Organe betrachtet werden. Die heilige Liebeslanze und der Gral sind Sinnbilder für die geistige Durchdringung des Menschen. Die Lüge wirkt zerstörend auf die geistige Entwicklung, während die Wahrheit den Menschen erhebt. Im Schlafzustand ist der Mensch den Einflüssen höherer Wesenheiten ausgesetzt. Die Ausbildung der sogenannten Lotusblumen, der übersinnlichen Organe, ist notwendig, um im Geistigen zu schauen. Konzentration, Initiativkraft, Beherrschung von Lust und Leid, Positivität und Unbefangenheit sind die Tugenden, die auf diesem Wege erworben werden müssen. Nach dem Tode lebt der Mensch in anderen Sphären weiter, und das Karma wirkt als Gesetz der ausgleichenden Gerechtigkeit. Die Vorschau auf das künftige Leben ist dem Eingeweihten möglich. Der Hüter der Schwelle steht als Wächter vor dem Eingang zur geistigen Welt. Das Rosenkreuzertum bringt eine neue Art der Einweihung, die sich von den alten indischen, ägyptischen oder christlichen Methoden unterscheidet. Christian Rosenkreutz wirkt als geistiger Führer, der die sieben Stufen der Einweihung lehrt. Das okkulte Studium verlangt ein sinnenfreies Denken und die Fähigkeit zur Imagination. Der Gral, die okkulte Schrift und der Stein der Weisen sind Ausdruck der geistigen Arbeit an sich selbst. Mikrokosmos und Makrokosmos stehen in Entsprechung zueinander, und Sonne und Auge sind miteinander verbunden. Die Legende der Heiligen Drei Könige weist auf die Vereinigung der Religionen im esoterischen Christentum hin. Das geistige Licht des Mondes und der Sonne offenbart sich in der Christus-Wesenheit. Die Sonne erscheint durch die Erde gesehen als Stern der Magier. Die Hingabe an die von Geist durchdrungene Außenwelt ist der Weg zur Gottseligkeit. Das Pfingstfest ist Symbol des seelischen Zusammenstrebens und der Vergeistigung der Welt. Die Elementarwesen – Sylphen, Undinen, Gnomen und Salamander – wirken in Natur und Mensch. Die Gruppenseelen der Tiere zeigen, wie der Mensch sich aus der Gruppenseele zur individuellen Seele entwickelt hat. Die Patriarchenzeit des jüdischen Volkes und die Germanen bei Tacitus sind Beispiele für diese Entwicklung. Die Neubildung von Gruppenseelen beim Menschen geschieht durch die Verinnerlichung der Ideale. Im Schlaf wirken höhere Wesenheiten auf den Menschen ein. Schlechte Eigenschaften erzeugen Elementarwesen wie Phantome, Spektren und Dämonen. Die Entwicklung des Ätherleibes schreitet voran, und die Lockerung des Ätherkopfes ist ein Zeichen der Zukunft. Die spirituelle Lehre ist notwendig, um diese Vorgänge zu verstehen. Das Erleben der Natur im theosophischen Sinne führt dazu, dass der Mensch sich als Teil eines großen Ganzen erkennt. Das Selbstbewusstsein ist beim Menschen individuell, bei Tier, Pflanze und Mineral kollektiv. Schmerz und Wohlgefühl sind auch in der Pflanzen- und Mineralwelt vorhanden. Die Sonne und der Mond wirken als geistige Wesenheiten auf die Erde ein. Der Tod Christi auf Golgatha hat die Erde verwandelt. Die Hierarchien der geistigen Welt – Engel, Erzengel, Urkräfte – wirken auf die Menschheit ein, und der Mensch ist berufen, sich mit diesen Wesen zu verbinden. Die Entwicklung der Erde durch Saturn, Sonne und Mond führt zum heutigen Zustand. Die Trennung der Sonne von der Erde, die Entstehung der Planeten und die Arbeit der ersten großen Lehrer der Mysterien sind Stationen auf diesem Weg. Die Hierarchien der christlichen Esoterik zeigen, wie die Engel und Erzengel den Menschen führen. Die Geister der Umlaufszeiten lenken die Bewegungen der Himmelskörper. Die Anthroposophie ist berufen, Kulturschöpferin zu sein und den Menschen mit den geistigen Wesenheiten der Naturreiche zu verbinden. Die Zukunft der anthroposophischen Bewegung liegt darin, eine neue Kultur zu schaffen, die auf der Erkenntnis der geistigen Welt beruht. 99) Es gibt eine uralte Weisheit, die in neuer Form, der Zeit gemäß, durch die rosenkreuzerische Methode lebendig wird. Diese Weisheit ist keine bloße Überlieferung, sondern eine lebendige Erkenntnis, die seit dem 14. Jahrhundert in der Bruderschaft des Rosenkreuzes gepflegt wird. Christian Rosenkreutz, der seit 1459 als Lehrer und Führer dieser Strömung wirkt, bringt diese Weisheit immer wieder, in immer demselben Körper, auf die Erde. Die Bruderschaft hielt diese Erkenntnisse lange Zeit verborgen, doch mit dem 18. Jahrhundert beginnt ein Einströmen esoterischer Impulse in die allgemeine Kultur, sichtbar etwa in Lessings „Erziehung des Menschengeschlechts“ oder in Goethes Initiationserlebnis. Die rosenkreuzerische Weisheit führt zur Erkenntnis der sieben- und neungliedrigen Menschennatur. Der Mensch besteht aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich, dazu kommen höhere Glieder: Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmensch. Das Ich verwandelt die niederen Glieder und baut so an seiner eigenen Zukunft. Im Schlaf und Tod lösen sich die Glieder voneinander; der Astralleib wirkt dann am Aufbau der anderen Leiber, und nach dem Tod durchschreitet die Seele verschiedene Gebiete des Devachan, der geistigen Welt. Nach dem Tod begegnet die Seele der Akasha-Chronik, schaut ihr vergangenes Leben und bereitet, durch die Kräfte des Devachan, den neuen Astralleib, Ätherleib und physischen Leib für die nächste Inkarnation vor. Die Bande der Liebe und Freundschaft, die auf Erden geknüpft wurden, wirken weiter und gestalten das Zusammenleben der Seelen im Jenseits. Bei der neuen Geburt gliedert sich das Ich in den Keim ein, und die ersten Wochen nach der Empfängnis sind entscheidend für die Ausgestaltung des neuen Menschen. Das Gesetz des Karma durchdringt alles Dasein. Jede Tat, jedes Gefühl, jeder Gedanke wirkt über den Tod hinaus und gestaltet das Schicksal in künftigen Leben. Der Mensch erschafft durch seine Handlungen nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern auch geistige Wesenheiten wie Dämonen, Phantome und Geister. Die Erkenntnis dieser Zusammenhänge ist Heilmittel für die Menschheit. Das Karmagesetz wirkt als Ansporn zum tätigen Handeln und zur Bewusstseinsentwicklung. Die Menschheit hat bereits drei planetarische Bewusstseinszustände durchlebt: Saturn, Sonne und Mond. Jetzt lebt sie im Erdenzustand, und drei weitere Bewusstseinsstufen – Jupiter, Venus und Vulkan – liegen vor ihr. Auf Saturn entwickelte sich der physische Leib, auf der Sonne der Ätherleib, auf dem Mond der Astralleib, und auf der Erde das Ich. Die Menschheitsentwicklung schreitet fort: in der lemurischen Zeit trat das Ich ein, in der atlantischen Zeit erfolgte die Geschlechtertrennung, und mit dem Marsdurchgang und der Lungenatmung begann die eigentliche Erdenentwicklung. Die Zukunft des Menschen liegt in der Überwindung des Egoismus und im Aufbau einer einheitlichen spirituellen Weisheit, die die Menschheit verbindet. Die Leibesgestalt und die Fortpflanzungskraft werden sich wandeln, und der Mensch wird auf dem Jupiter- und Venuszustand neue Fähigkeiten entfalten. Doch es wird eine Spaltung geben: eine gute und eine böse Rasse der Zukunft. Der Weg der Einweihung führt durch sieben Stufen: Vorbereitung, Erleuchtung, Einweihung, Versuchungen, Erkenntnis der geistigen Welten, Verbindung mit dem höheren Selbst und Verschmelzung mit dem Weltgeist. Der rosenkreuzerische Einweihungsweg ist dem christlichen verwandt, aber seiner Zeit gemäß und führt den Menschen zur bewussten Mitarbeit an der geistigen Entwicklung der Menschheit und der Erde. 100) In der Gegenwart offenbart sich ein tiefgreifender Wandel im Verhältnis des Menschen zur geistigen Welt. Die alten Religionen verlieren ihre unmittelbare Lebenskraft, weil der Mensch in der Entwicklung seiner Seele immer mehr auf sich selbst zurückgeworfen wird. Die Mythen der Völker, wie sie etwa Richard Wagner in seinen Opern aufgreift, sind Ausdruck uralter Weisheit, die aus übersinnlichen Erfahrungen hervorging. Die Lehre von der Wiederverkörperung, wie sie schon bei den Druiden lebendig war, zeigt, dass der Mensch nicht ein einmaliges Erdenwesen ist, sondern durch viele Leben hindurchgeht. Die Sagen und Mythen entspringen dem Erleben der geistigen Welt, wie es bei den Ägyptern noch lebendig war, und die Entwicklung der Technik und Industrie, so materialistisch sie auch erscheinen mag, ist eine notwendige Stufe auf dem Weg zur Befreiung des Geistes. Christian Rosenkreutz steht als geistige Individualität an der Schwelle einer neuen Zeit, in der das Christentum und das Rosenkreuzertum zusammenfinden. Die wahre Geisteswissenschaft führt zu einer Erkenntnis, die über die bloße Logik hinausgeht, und verbindet sich mit der Lebenspraxis. Der Mensch besteht aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich. Während des Schlafes verlässt das Ich mit dem Astralleib den physischen und ätherischen Leib, und die Sphärenharmonie, wie sie Pythagoras und Goethe beschrieben, spiegelt die Ordnung der geistigen Welt wider. Das Ich ist das Zentrum des Menschen, das sich durch die Umwandlung der niederen Wesensglieder in Manas, Buddhi und Atman erhebt. Nach dem Tod durchlebt der Mensch das Erinnerungs-Tableau, legt den Astralleib ab und tritt ins Kamaloka ein, bevor er ins Geisterland übergeht. Die Astralwelt erscheint als symbolische Traumwelt, in der alles in Bildern und Umkehrungen erlebt wird, auch die Zeit kehrt sich um. Die Urbilder der Dinge, die Akasha-Chronik, werden im Geisterland geschaut, und der Mensch vertieft sich in höhere Regionen des Daseins. Im Devachan, der geistigen Welt, wirkt der Mensch an der Bildung seiner zukünftigen Organe mit. Die Erziehung auf Erden ist ein Abbild dieses geistigen Wirkens. Die Toten wirken auf die Erde zurück, und die Theosophie lehrt, die sichtbare Welt als Ausdruck des Geistigen zu verstehen. Bei der Wiederverkörperung bringt der Mensch Fähigkeiten mit, die nicht aus der Vererbung stammen, sondern aus früheren Leben. Die Volksseelen helfen bei der Gestaltung des Ätherleibes, und die Liebe zwischen Eltern und Kind ist ein Ausdruck geistiger Zusammenhänge. Das Gesetz des Karma durchdringt das Leben. Alles, was der Mensch tut, kehrt in anderer Form zu ihm zurück. Die Ursachen von Krankheiten, wie der Aussatz nach dem Einfall der Hunnen, liegen in seelischen und geistigen Vorgängen der Vergangenheit. Auch das Mysterium von Golgatha, der Tod Christi, steht im Einklang mit dem Karmagesetz. Die Menschheit hat in früheren Inkarnationen andere Daseinsformen durchlebt. Die Kulturepochen spiegeln den Sonnenlauf durch den Tierkreis, und die sieben Inkarnationen der Erde – Saturn, Sonne, Mond, Erde, Jupiter, Venus, Vulkan – prägen die Entwicklung des Menschen. Die Namen der Wochentage erinnern an diese Stufen. Der Mensch ist das vollkommenste Wesen, weil er alle Stufen durchlaufen und in sich vereinigt hat. Die Entwicklung der Erde, die Trennung von Sonne und Mond, die Atlantis und Lemurien, all dies sind Stationen, in denen der Mensch seine Fähigkeiten ausgebildet hat. Die Geschlechtertrennung, das Blutserlebnis der Patriarchenzeit, die individuelle Liebe der Zukunft – all das ist Vorbereitung auf das Christentum als Mysterium. Die alten Einweihungen führten zur Begegnung mit der Christus-Wesenheit, und das Blutopfer Christi am Kreuz hat die Erde verwandelt. Die christliche Einweihung geht durch sieben Stufen, von der Erkenntnis des Makrokosmos bis zur Liebe zu allen Geschöpfen. Die Zukunft des Menschen liegt in der Verwandlung des Kehlkopfes zum schöpferischen Organ, in der Beherrschung der Gedanken, in der Kontrolle der eigenen Seele. Die Geisteswissenschaft ist keine Theorie, sondern eine Lebenswirklichkeit, die den Menschen zu einer neuen Stufe der Freiheit und Erkenntnis führt. 101) In alten Zeiten war das Bewusstsein des Menschen noch durchdrungen von einem hellsichtigen Schauen, das ihn mit den geistigen Welten verband. Die Mythen und Sagen der Völker, insbesondere die altnordischen, bergen in ihren Bildern und Gestalten die Erinnerungen an jene übersinnlichen Erfahrungen. Niflheim und Muspelheim, die Urreiche von Nebel und Feuer, sind nicht bloß poetische Erfindungen, sondern weisen auf reale Bewusstseinszustände der atlantischen Menschheit. Die Entwicklung des Menschenleibes, insbesondere des Gehirn-Nervensystems und des Blut- und Ernährungssystems, steht in tiefem Zusammenhang mit den Kräften der astralischen Welt. So wie Ymir und Audhumbla in der Sage erscheinen, offenbaren sie das Wirken des Denkens, des Geschlechtsprinzips, des Herzens und der Sprache im Menschen. Die alten Mythen – seien es die germanischen oder die persischen – schildern die Wesenheiten der astralischen Welt, die Amshaspands und Izards, und ihre Wirksamkeit im Jahreslauf. Sie zeigen, wie Sonne und Mond als Wohnstätten geistiger Wesenheiten auf das Leben der Erde und des Menschen einwirken. Thor, der Donnergott, und seine Tochter Thrud verkörpern kosmische Kräfte, die im Menschen und in der Natur wirken. Im Menschenleib vollziehen sich absterbende und aufsteigende Organentwicklungen, sichtbar in der Physiognomie des Todes, wie sie in alten Erzählungen – etwa der mongolischen Sage von der einäugigen Mutter – angedeutet werden. Blut-, Nerven- und Drüsensystem sind Ausdruck von Ich, Astralleib und Ätherleib. Die Tendenzen des Astralleibes, sich zu verhärten oder zu erweichen, stehen im Zusammenhang mit bestimmten Krankheitszuständen wie Tuberkulose und Rachitis. Die Sexualorgane, einst pflanzlichen Ursprungs, wurden umgebildet. Das Geheimnis des Vogelfluges und die zukünftige Überwindung der Todeserscheinung weisen auf die Verwandlungskräfte im Menschen. Die germanischen Sagen schildern den Götterkreis der Äsen, ihren Kampf gegen Loki und seine Nachkommen, den Fenriswolf, die Midgardschlange und Hel. Die gemeinsame Sprache der Atlantier zerfiel, als die Äsen die Menschheit in Völker trennten. Daraus entstand der Wechsel von Wachen und Schlafen und die Entstehung der Krankheiten. Die Sinnesorgane entwickelten sich weiter, und die Zirbeldrüse wurde zum Organ prophetischer Schau. Die Götterdämmerung kündet von zukünftigen Wandlungen der Menschheit. Die Schöpfungsmythen der Germanen und Perser sind Bilder okkulter Wirklichkeit. Die frühe Erde war durchdrungen von Wärme, aus der sich die Blutwärme des Menschen bildete. Geistige Sonnenwesen strömten ihre Kräfte in den Menschen ein. Im Leib des Menschen wirken denkende, fühlende und wollende Kräfte zusammen, und der Leib wird zum Tempel des Geistes. Die höchsten moralischen Begriffe ergeben sich aus der Erkenntnis, wie der Mensch in den Kosmos eingebettet ist. Die ersten Kapitel der Genesis schildern uralte Entwicklungszustände der Erde und Bewusstseinsstufen des Menschen. Die Bibel bewahrt in ihren Bildern die Erinnerung an diese Stufen. Magie ist nicht, wie oft missverstanden, ein Spiel mit geheimen Kräften, sondern verlangt eine Läuterung des Egoismus, der den Menschen schützt vor dem Missbrauch okkulter Kräfte. Weiße und schwarze Magie unterscheiden sich durch ihre Beziehung zur Menschheitsführung. Die Furcht ist der Ausgangspunkt für schwarzmagische Beeinflussung. Die okkulten Zeichen des Nachiel und Sorat, Sonnen- und Mondenwirkungen, sind Ausdruck geistiger Gesetzmäßigkeiten. Okkulte Lehren dürfen nur von denen verbreitet werden, die im Einklang mit der geistigen Führung stehen. Okkulte Zeichen und Symbole sind keine bloßen Erfindungen, sondern Abbilder geistiger Wirklichkeiten. Das Pentagramm ist das Bild des Menschen, das Licht das Bild der Weisheit. Durch die Arbeit an sich selbst, durch das Hineinarbeiten der Weisheit in den Astralleib, veredelt sich der Mensch und bereitet sich auf die zukünftige Entwicklung der Erde vor. Die Sphärenharmonie, die Musik der Planetenbewegungen, ist ein Abbild der geistigen Weltordnung. Bauwerke und Formen wirken auf den Menschen ein. Die Gotik ist Schöpfung von Eingeweihten und wirkt anders als die Formenwelt der Gegenwart. Die Symbole der Schlange, des Fisches, des Schmetterlings und der Biene weisen auf die vier Elemente und ihre geistigen Wesenheiten. Die Zahlensymbolik offenbart die geistigen Gesetze: Die Eins ist das Bild der Gottheit, die Zwei die Zahl der Offenbarung, die Drei die Verbindung des Göttlichen mit dem Offenbaren, die Vier das Zeichen des Kosmos, die Fünf die Zahl der Freiheit und des Bösen, die Sieben die Zahl der Vollkommenheit. Die apokalyptischen Siegel sind Bilder der Menschheitsentwicklung. Das Rosenkreuz ist das Symbol der Vereinigung von Leben und Geist. Die Siegel beleben und erleuchten die Seele, wenn sie innerlich erlebt werden. Der Mensch steht in Beziehung zu seiner Umwelt, die Offenbarung von Seelischem und Geistigem ist. Die Tiere haben ihr Gruppen-Ich auf dem Astralplan, dessen Grundelement Weisheit ist. Der Mensch entwickelt die Liebe als Grundelement seines Ich. In der Geheimschulung müssen die Symbole innerlich erlebt werden. Die Swastika und das Pentagramm haben tiefe okkulte Bedeutung. Das Gruppen-Ich und das Individual-Ich unterscheiden sich durch ihre Vollkommenheitsgrade. Die Sinnesorgane, Drüsen, Nerven und das Blut sind Ausdruck der Wesensglieder im physischen Leib. Die menschlichen Gruppenseelen, die Völkerstämme, haben ihre Lebensdauer und Metamorphose, wie es das Bild des Phönix zeigt. Die Wortsymbolik im Okkultismus dient der geistigen Schulung. Formen und Zahlen haben geistige Bedeutung. Bauformen wirken auf die Bildung des Menschenleibes in künftigen Inkarnationen. Die Welt der Bilder und Töne, die Zahlenverhältnisse der Planetenbewegungen, die Meditation über den Merkurstab, all dies führt zur Erkenntnis der geistigen Welt. Bildhafte Vorstellungen sind notwendig zur Geistesschulung. Sinnlichkeitsfreies Denken, das Erleben von Form und Leben, Verwesung und Krankheit als Gegensätze auf dem Astralplan, das Spiegeln der höheren und niederen Natur des Menschen in der Seele – all dies führt zur inneren Kraft der Zahlensymbole und zur geistigen Musik der Zahlenverhältnisse. Das Verhältnis 1 : 3 : 7 : 12 spiegelt die Gliederung der menschlichen Wesenheit. Das Weihnachtsfest hat eine tiefere Bedeutung, als es heute meist empfunden wird. In früheren Zeiten war das Erleben der Jahresfeste ein Mitfühlen mit der Natur. Das Mysterium von Golgatha, die Vereinigung des Christus-Ich mit der Erde, ist das zentrale kosmische Ereignis. Das neue Begreifen des Geistes in den Jahresfesten führt zur wahren Erkenntnis des Weihnachtsgeheimnisses. 102) In den Tiefen des Daseins wirken geistige Wesenheiten, die der Mensch gewöhnlich nicht wahrnimmt, doch sind sie in seinem ganzen Wesen und in der Welt um ihn tätig. Die Erde ist nicht nur von sichtbaren Kräften durchdrungen, sondern von Wesenheiten verschiedener Hierarchien, deren Einflüsse bis in das Blut, die Lymphe und den Chylus des Menschen reichen. Die Gruppenseelen der Tiere, Pflanzen und Mineralien stehen in lebendiger Beziehung zu höheren geistigen Kräften, und auch der Mensch ist eingebettet in ein Geflecht von Einwirkungen, die von Mond-, Mars-, Venus- und Saturnwesenheiten ausgehen. Diese wirken nicht nur fördernd, sondern auch hemmend, und in ihrem Zusammenwirken liegt der Ursprung von Gut und Böse, von Krankheit und Gesundheit, von Erfindungskraft und Wildheit. Die Entwicklung des Menschen und der Erde ist ein Ergebnis kosmischer Opferhandlungen. Der Saturn war die erste Stufe, in der das Wärmeprinzip und die Anlage des physischen Leibes geschaffen wurden. Auf der Sonne wurde der Ätherleib hinzugefügt, auf dem Mond der Astralleib, und auf der Erde wurde dem Menschen das Ich eingesenkt. Die Tierkreiskräfte und die Planetenkräfte wirken dabei als schöpferische und empfangende Mächte, und die Entwicklung schreitet durch Wiederholung und Umwandlung früherer Zustände fort. Die Einflüsse der Planeten, insbesondere von Mars, Merkur und Jupiter, prägen die Seelenkräfte des Menschen, während die Sonne und der Mond als Träger der höchsten geistigen Wesenheiten erscheinen. Der Mensch ist nicht von Anfang an ein isoliertes Individuum, sondern entwickelt sich aus der Gruppenseelenhaftigkeit zur Individualität. In alten Zeiten war das Bewusstsein des Menschen noch traumhaft und hellseherisch, verbunden mit den Kräften der Vorfahren und der Natur. Erst durch die Einwirkung des Ich, das sich im Laufe der atlantischen und nachatlantischen Zeit immer stärker durchsetzt, entsteht das heutige Selbstbewusstsein. Die alten Mythen und Sagen, die Religionen und Kulturepochen sind Ausdruck dieses Übergangs. Die Menschheit schreitet von der Bluts- und Gruppenseelenhaftigkeit zur Freiheit und zur bewussten Gemeinschaft des Geistes fort. Die geistigen Hierarchien – Engel, Erzengel, Urkräfte – wirken in den wiederholten Erdenleben des Menschen, als Schutzgeister, als Volksgeister und als Lenker der Zeiten. Jede Kulturepoche ist von bestimmten geistigen Kräften geprägt, und der Mensch ist berufen, diese Einflüsse zu erkennen und in sich zu verwandeln. Das Christentum, als Mysterium von Golgatha, ist der große Wendepunkt, in dem der Sonnengeist Christus auf die Erde herabsteigt und das Gleichgewicht zwischen den Kräften des Mondes (Weisheit) und der Erde (Liebe) herstellt. In der Zukunft wird die Menschheit durch die Christus-Kraft zur Auferstehung des Geistes und zur Veredelung des Leibes geführt. Die Elementarwesen – Gnomen, Undinen, Sylphen, Salamander – sind die Träger der Naturkräfte und wirken in den verschiedenen Bereichen des Lebens. Sie entstehen durch die Gruppenseelenkräfte, durch die Gedanken und Handlungen der Menschen, und sie sind sowohl Ausdruck der schöpferischen als auch der zerstörerischen Kräfte. In der Kunst, in der Musik, in der Baukunst verbindet sich der Mensch mit diesen geistigen Wesenheiten. Der griechische Tempel, die gotische Kathedrale, die Musik Beethovens und Wagners, die Dichtkunst – sie alle sind Ausdruck der Verbindung mit höheren Welten und der Aufgabe des Menschen, das Geistige in das Irdische zu tragen. Die Zukunft des Menschen liegt in der bewussten Zusammenarbeit mit den geistigen Hierarchien, in der Verwandlung des Ätherleibes durch religiöse und künstlerische Vorstellungen, in der Überwindung der Trennung von Geist und Materie. Die Freiheit, die Individualität, die schöpferische Kraft des Ich sind die Früchte dieses Weges, der von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft führt, getragen von der immerwährenden Gegenwart des Christus-Geistes in der Menschheit. 103) Im Anfang steht das Wort, der Logos, und aus diesem schöpferischen Wort entspringt alles Dasein. Die Menschheit ist hervorgegangen aus dem göttlichen Schöpferwort, und im Menschen lebt die Fähigkeit, das Wort zu ergreifen, als letztes Glied einer langen Entwicklung, die im Geiste begann. Was im Raum und in der Zeit zuletzt erscheint, das hat im Geistigen seinen Ursprung. Der physische Leib des Menschen ist ein vielfach umgestaltetes Wesen, das nur bestehen kann, weil ihm Ätherleib, astralischer Leib und Ich eingegliedert sind. Im Astralleib lebt bereits das göttliche Geistselbst, im Ätherleib der göttliche Lebensgeist, im physischen Leib der göttliche Geistesmensch. Die Fähigkeit des Wortes, des Logos, kam mit dem Erdendasein an das Menschenwesen heran. Die Erde ist der planetarische Zustand, in dem die Liebe sich entwickeln soll. Auf dem alten Mond, dem Kosmos der Weisheit, wurde der astralische Leib eingegliedert; auf der Erde tritt das Ich hinzu, und nur das selbständige Ich kann Träger der Liebe werden. Die sechs Elohim der Sonne wirken als geistige Liebeskräfte, und Jahve pflanzt dem Menschen die Kraft der Liebe ein. In Christus Jesus verkörpert sich der Logos, der Bringer des freien Ich-bin-Bewusstseins, der die ursprüngliche Gnosis und das esoterische Christentum erfüllt. Im Johannes-Evangelium wird die Einweihung offenbar: Die Auferweckung des Lazarus ist die Einweihung des Jüngers, den der Herr lieb hatte, durch Christus selbst. Das individuelle Ich löst sich aus dem Gruppen-Ich heraus, und in der Liebe als freier Gabe des Ich liegt die Überwindung des Gesetzes. Die Hochzeit zu Kana ist ein Bild für die Vergeistigung der Liebe durch das Christus-Prinzip. Die sieben Grade der vorchristlichen Einweihung führen zum Gespräch mit Nathanael, zur Hochzeit zu Kana, zum Gespräch mit Nikodemus und mit der Samariterin. Christus bringt die volle Kraft des Ich, die innere Selbständigkeit in die Seele des Menschen. Moses kündigt den Gott an, der das verkörperte Ich-bin ist; das Manna, Manas oder Geistselbst, und das Brot des Lebens, Buddhi oder Lebensgeist, werden durch Christus offenbart. Das Mysterium von Golgatha ist die Vereinigung des Sonnen-Logos mit der Erde. Durch dieses Ereignis wird die Erde mit der Sonne wieder verbunden werden, Christus ist der Geist der Erde, die Erde sein Leib. Die Entwicklung des Menschen geschieht, indem er von seinem Ich aus Astralleib, Ätherleib und physischen Leib durchkraftet. Die Heilung des Blindgeborenen und die Begegnung mit der Ehebrecherin zeigen das Wirken des Christus im Verhältnis zum Karmagesetz. In der nachatlantischen Zeit erscheinen die verschiedenen Kulturepochen: die uralt-indische, die uralt-persische, die ägyptisch-babylonische und die griechisch-lateinische Zeit. Im griechisch-lateinischen Zeitalter tritt der Gott selbst als Mensch auf, als Einzelpersönlichkeit unter den Menschen. Die prophetische Kunde des Ich-bin, des Logos, des Christus, wird in den verschiedenen Epochen vorbereitet. Die Bauwerke der Menschheit – Pyramide, Tempel, Dom – spiegeln die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins wider. Die sieben Rassen der atlantischen Zeit und die sieben Kulturepochen der nachatlantischen Zeit zeigen, wie der Mensch seine Wesensglieder zum Ich-Träger macht. Die Geschichte des Christentums gliedert sich in die Zeit der Vorverkündigung, das tiefste Heruntertauchen in die Materie und die geistige Erfassung durch anthroposophische Vertiefung. Der Christus-Impuls wirkt durch drei Weltentage hindurch in der Menschheit. Die christliche Einweihung verlangt, dass der Eingeweihte ein heimatloser, objektiver Mensch wird, der die Keime der großen Bruderliebe aufnimmt. Christus ist der Geist der Erde, die Erde sein Leib. Durch Meditation, Konzentration und Kontemplation werden die sieben Stufen der christlichen Einweihung durchschritten. Die Reinigung des astralischen Leibes, die Katharsis, geschieht durch geistige Arbeit, die Erleuchtung, Photismos, durch Selbsterkenntnis und Selbstbefruchtung. Die Jungfrau Sophia ist der geläuterte Astralleib, der Heilige Geist das kosmische Welten-Ich, das die Erleuchtung bewirkt. Die Mutter Jesu wird in der christlichen Esoterik als Jungfrau Sophia bezeichnet. Bei der Taufe im Jordan verlässt das Ich des Jesus von Nazareth dessen Körper, und fortan spricht aus ihm der Christus-Geist. Auf Golgatha fließt der Christus selbst in das Wesen der Erde ein. Im Johannes-Evangelium sind die Kräfte zur Entfaltung der Jungfrau Sophia verborgen. Die Erscheinung des Auferstandenen, die Begegnung mit Maria Magdalena, die Wiederkunft des Christus im Ätherischen – all dies weist auf die weltgeschichtliche Bedeutung der anthroposophischen Geisteswissenschaft. 104) Die Apokalypse des Johannes ist ein Buch, das nicht bloß ein rätselhaftes Dokument vergangener Zeiten ist, sondern ein lebendiges Zeugnis der christlichen Einweihung und der Entwicklung der Menschheit. Die Offenbarung ist kein bloßes Zukunftsorakel, sondern ein Einweihungsbuch, das die tiefsten Geheimnisse des Menschen und des Kosmos in symbolischen Bildern offenbart. Wer diese Zeichen zu lesen versteht, erkennt in ihnen die Stufen des menschlichen Werdens, die Prüfungen und Siege der Seele auf dem Weg zur Vergeistigung. Die Briefe an die sieben Gemeinden sind nicht bloß historische Schreiben, sondern sie spiegeln die sieben Grundtypen menschlicher Seelenverfassung wider, die sich durch die Zeiten hindurchziehen. In jedem Menschenleben wiederholen sich diese sieben Stufen, und jede Gemeinde steht für eine bestimmte Aufgabe, eine bestimmte Prüfung, die die Seele zu bestehen hat. Die sieben Siegel, die im Buch geöffnet werden, sind die Offenbarungen der inneren Entwicklungskräfte des Menschen. Sie zeigen, wie der Mensch sich aus den Fesseln der bloßen Natur erhebt und immer mehr zum Träger des Geistes wird. Die Enthüllung der Siegel führt zur Schau der großen kosmischen Zusammenhänge: Die vierundzwanzig Ältesten, das gläserne Meer, das Lamm – all dies sind Bilder für geistige Realitäten, für die Wesenheiten und Kräfte, die an der Erden- und Menschheitsentwicklung mitwirken. Die Menschheit ist nicht isoliert, sondern eingebettet in ein großes geistiges Gefüge, und das, was auf Erden geschieht, ist immer auch ein Abbild höherer Welten. Die lemurische und atlantische Zeit sind nicht bloß ferne Mythen, sondern reale Entwicklungsstufen, in denen der Mensch sich aus dem Geistigen heraus immer mehr in die Materie hineinverstrickt hat, um dann durch das Mysterium von Golgatha den Weg zurück ins Geistige zu finden. Christus ist als Sonnenwesen auf die Erde herabgestiegen, um der Menschheit die Kraft zur Überwindung des bloß Irdischen zu geben. Die Herausbildung der selbstbewussten Persönlichkeit ist der große Schritt, der die Menschheit an den Abgrund führt: Die Gefahr besteht, dass der Mensch sich in der Materie verliert, aber gerade in dieser Gefahr liegt die Möglichkeit, sich aus eigener Kraft zum Geist zu erheben. Die Zukunft der Menschheit liegt in der Überwindung der bloßen Rassenunterschiede, in der Bildung einer neuen, geistigen Menschheit. Die sieben Siegel und die sieben Posaunen stehen für sieben große Kulturepochen, in denen die Menschheit immer neue Fähigkeiten entwickelt. Die Apokalypse zeigt die Prüfungen und Katastrophen, die notwendig sind, damit der Mensch sich von alten Bindungen löst und zur Freiheit gelangt. Das Weib, mit der Sonne bekleidet, das Tier mit den sieben Köpfen – das sind Bilder für die Kräfte, die im Menschen wirken: das Geistige, das sich mit dem Irdischen auseinandersetzen muss, die Gefahr der Verführung durch niedere Mächte, aber auch die Möglichkeit, diese zu überwinden. Die Zahl 666, Sorat, der Sonnendämon, Babylon, das neue Jerusalem – all dies sind Stationen auf dem Weg der Menschheit durch die Abgründe und Höhen des Daseins. Am Ende steht die Verwandlung: der neue Himmel und die neue Erde, das neue Jerusalem als Bild der vergeistigten Menschheit, die den zweiten Tod überwunden hat. Die Apokalypse ist aus dem Geiste der Einweihung hervorgegangen, sie ist ein Leitfaden für die Zukunft, ein Aufruf an die Menschheit, sich ihrer geistigen Herkunft und Aufgabe bewusst zu werden. Wer die Zeichen zu deuten weiß, der erkennt in der Apokalypse nicht das Ende, sondern den Anfang einer neuen, höheren Daseinsform. 104a) In den Bildern der Apokalypse des Johannes offenbart sich die große Welterklärung, die sich in kosmischen Symbolen ausdrückt. Die sieben Briefe an die Gemeinden, die sieben Siegel, die sieben Posaunen, das Tier aus dem Meer und das Tier aus der Erde, die Zahl 666 und das Wesen Sorat, das Dämonium der Sonne – all das sind Ausdrucksformen geistiger Realitäten. Christus steht als das Alpha und das Omega im Mittelpunkt, und die sieben planetarischen Geister sind wie die Glieder eines Leibes zu ihm gefügt. Die Entwicklung des Menschen schreitet von der Gattung zum Individuum voran, und die vier apokalyptischen Tiere zeigen die Viergliedrigkeit der menschlichen Gattungsseelen. Die 24 Ältesten verkörpern die Weisheit der Zeiten. Die Apokalypse ist nicht bloß ein Buch, sondern eine Einweihung in die Mysterien des Daseins, eine prophetische Schau, die uns das Kommende in geistigen Bildern vor Augen stellt. Die Urkunden des Neuen Testaments sind Urkunden der Einweihung. Mit Christus ereignet sich das, was in den alten Mysterienstätten nur im Verborgenen geschah, als äußeres, historisches Geschehen. Die Apokalypse zeigt, wie die alten Mysterien in das Christentum übergehen. In Christus Jesus lebt der Erstgeborene, der den Tod überwindet. Die Freiheit und Individualität des Menschen wird durch das Christentum zur Weltreligion, in der es nur noch Menschen, nicht mehr Völker oder Stände gibt. Die sieben Sendschreiben sind Stufen der Einweihung, die jeder Mensch durchlaufen muss. Das Gedenken an Helena Petrowna Blavatsky und Henry Steel Olcott zeigt, wie das spirituelle Leben in die Menschheit einströmt, um den Materialismus zu überwinden. Die sieben Briefe an die Gemeinden offenbaren die Entwicklungsgeheimnisse verschiedener Menschheitsgebiete: Die Epheser entwickeln den physischen Leib, die Smyrna-Gemeinde arbeitet am Ätherleib, und so schreitet die Entwicklung weiter bis zur Ausbildung des Ich und der höheren Wesensglieder. Jeder Brief ist ein Aufruf zur inneren Arbeit an sich selbst. Die Apokalypse ist ein Einweihungsbuch: Sie führt von der Erkenntnis des physischen Planes über den Astralplan bis zum Devachanplan. Die Siegelbilder zeigen die astrale Welt, die posaunenden Engel die Sphärenharmonien des Devachan. Was heute im Astralen erlebt wird, wird einst physische Wirklichkeit sein. Die Entwicklung der Seele und die Entwicklung der Rasse sind zu unterscheiden; der Mensch muss sich von der bloßen Rasse lösen und zur Individualität aufsteigen. Die Briefe an die Gemeinden sind an jeden Menschen gerichtet, denn jeder durchläuft in seinen Inkarnationen diese sieben Stufen. Die Arbeit am Astralleib, die Versuchungen des Satans, das Erwachen des Ich, die Pflege der Budhi und die Entwicklung des Atma – all das sind Stationen auf dem Weg. Was heute als astrale Sinne angelegt wird, wird einst als physische Sinne erscheinen. Die «versiegelten» Taten, die Eröffnung des fünften Siegels, die Goldene Legende, der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis – all das sind Bilder für die innere Entwicklung des Menschen. Der Christus-Leib ist der planetarische Leib der Erde. Die Apokalypse ist eine der ältesten Urkunden des Christentums und wurde immer wieder unterschiedlich gedeutet. Die Theosophie gibt das Instrument, sie wieder spirituell zu erfassen. Wie Paulus die Einweihung und das Damaskus-Ereignis erlebte, so ist die Apokalypse die Darstellung des christlichen Einweihungsweges. Die sieben Briefe, Siegel und Posaunen zeigen die Stufen, die der Eingeweihte durchschreitet. Das geistige Leben der Atlantier, die Lehren der Orakelstätten, die großen Eingeweihten – Zarathustra, Hermes, Moses – und die sieben Gemeinden der Apokalypse stehen in Beziehung zu den großen Kulturepochen der Menschheit. Die Vergangenheit spiegelt sich in den Kulturperioden, und der Blick reicht bis in die Zukunft. Die Gruppenseelen der Atlantier, der kommende Krieg aller gegen alle, die Erstarrung der Seelenkräfte, die Gefahr der schwarzen Magie – all das sind Prüfungen auf dem Weg. Durch das Christus-Prinzip wird der Mensch zur allgemeinen Menschenliebe aufsteigen. Die sieben Sendschreiben beschreiben die großen Kulturepochen: Die erste Epoche sieht die Welt als Maja, die zweite mahnt, nicht Sklave der Materie zu werden, die dritte ist die ägyptische Zeit, die vierte ist die Gefahr des materiellen Todes, die fünfte ist geprägt von der Spaltung zwischen Glauben und Wissen, die sechste und siebte weisen auf die kommenden Aufgaben hin. Der Christus ist der elementarische Geist der Erde geworden; der künftige Mensch wird die Erde als Ausdruck des Christus erkennen. Die Entwicklung der Erde und der Menschheit spiegelt sich in den großen Zeitaltern und den nachatlantischen Kulturperioden. Die Verdichtung der Leiber, die aufeinanderfolgenden Inkarnationen, das Wachen und Schlafen, die Wahrnehmung der geistigen Welt – all das gehört zur Entwicklung des Menschen. Die alten Göttergestalten sind ehemalige Genossen der Menschen, die nicht bis in die dichte Leiblichkeit hinabsteigen mussten. Die großen Zeitalter spiegeln sich in den Kulturepochen wider, und im fünften Zeitraum musste der Christus in die Welt eintreten, um sie zu erlösen. 105) In alten Zeiten offenbarte sich das Geistige der Menschheit in Bildern, Symbolen, in den großen Mythen und Bauwerken. Die ägyptischen Pyramiden und Sphinxen sprechen von einer Weisheit, die einst lebendig war, als der Mensch noch in unmittelbarem Zusammenhang mit den geistigen Welten stand. Die Tempel Griechenlands, die Plastiken, die Dome und Kirchen späterer Epochen, sie alle sind Ausdruck der fortschreitenden Menschheitsentwicklung, in der das Geistige sich immer mehr in das Materielle, in das Irdische hinein senkt. Die Isis mit dem Horuskind lebt weiter in der Madonna mit dem Jesuskind; die alten Götterbilder werden zu den Symbolen des Christentums, und in der Christus-Wesenheit vollzieht sich der entscheidende Schritt: Das Geistige steigt selbst in die Materie herab, um den Menschen zur Freiheit und zum Ich-Bewußtsein zu führen. Die Polarität von Welt und Erde, von Geistig-Seelischem und Physisch-Materiellem, durchzieht die ganze Entwicklung. Im alten Ägypten war der Tempelschlaf eine Möglichkeit, aus dem Geiste heraus zu heilen, getragen von der Weisheit der Isis. Die Menschheit hat sich von der lemurischen Zeit an entwickelt: Von der Befruchtung aus der Umgebung, über die geschlechtliche Fortpflanzung, bis zur Erlangung des vollen Ich-Bewußtseins und dem Auftreten von Krankheiten. Die Erkenntniswege der nachatlantischen Kulturen wiederholen diese Entwicklung, und es wird die Zeit kommen, da die Heilung aus dem Geiste in vollbewußter Weise möglich wird. Alle Naturreiche sind durchwirkt von übersinnlichen Wesenheiten. Das Ich des Menschen ist ihr Zentrum, während Tiere, Pflanzen und Mineralien Gruppenseelen haben, die von höheren Welten aus wirken. Engel, Erzengel und Urkräfte wirken als Individualgeister, Volksgeister und Zeitgeister auf die Menschheit. Die äußeren Elemente – Wasser, Luft, Wärme – sind die Felder, in denen diese geistigen Wesenheiten sich manifestieren. Das Licht ist das Kleid der Geister der Form, und die Sonne ist ihr Wirkungsfeld. Die Bildung unseres Sonnensystems ist das Ergebnis des Zusammenwirkens vieler solcher geistigen Hierarchien, und der Mensch ist in diese Prozesse einbezogen. Die Entwicklung des Menschen ist untrennbar mit der kosmischen Evolution verbunden. Höhere Wesenheiten schreiten fort oder bleiben zurück, und aus ihrem Zusammenwirken entstehen die Naturreiche. Die Opfertaten der Throne, Kyriotetes, Dynameis und Exusiai sind die Impulse, die die Weltentwicklung vorantreiben. Die Elohim wirken als lichte Sonnengeister, Jehova als finsterer Mondengeist. Die verschiedenen Rassen entstehen als Folge vorzeitiger Verhärtung in bestimmten leiblichen Organsystemen, als Folge des Eingreifens der luziferischen Geister vor der eigentlichen Ich-Begabung des Menschen. Das Wirken des Christus auf der Erde ist der Ausgleich für das verfrühte luziferische Eingreifen. Die Tiergestalten sind verfestigte Ausdrucksformen menschlicher Leidenschaften aus der lemurischen Zeit. Die Menschengestalt hat im Laufe der Entwicklung höhere Tierformen abgestoßen, und diese Tatsache wiederholt sich geistig im Ägyptertum. Die Fischform erinnert an die Sonnenkräfte, die noch mit der Erde verbunden waren, die Schlangenform an den Tiefstand vor dem Mondenaustritt. Venus- und Merkurwesenheiten waren Lehrer der Menschheit in der Atlantis, und die Gestalten der Mythologien sind Erinnerungen an diese Zeiten. Die Erde, die Sonne, die Planeten – alles steht in lebendigem Zusammenhang mit den auf ihnen sich entwickelnden Wesenheiten. Der Mensch ist Erden-, Sonnen- und Weltallwesen. Die Mission des Erdendaseins ist die Überwindung der Gruppenseelenhaftigkeit und die Entwicklung der Liebe. Das Christus-Prinzip ist der Anstoß zur Wiedervereinigung der Erde mit der Sonne, und das Kreuz ist das esoterische Symbol dieser Entwicklung. Die höheren Bewußtseinsstufen warten auf den Menschen. Die Wanderungen der Atlantier, die Vermischung mit älteren Völkern, die Differenzierung des Erlebens von Geistigem und Materiellem, das Erwachen des Ich-Bewußtseins – all das prägt die nachatlantischen Kulturen. Die altindische, altpersische, chaldäische, ägyptische Kultur sind Stufen auf dem Weg zum Ich. Jehova bereitet das „Ich-bin“ vor, das Christus-Licht ist das direkte Sonnenlicht, das sich im Menschen entzündet. Die Griechen und Römer verbinden das Geistige mit dem Physischen auf ihre Weise. Der Tod war in alten Zeiten ein Hinüberleben in die geistige Welt, bis zur Begegnung mit der Christus-Wesenheit. Mit der Eroberung des physischen Planes wird dieses Erleben seltener, das Ich-Bewußtsein tritt hervor. Wotan und Buddha sind Träger höherer Geistwesenheiten. Die Christus-Individualität in Jesus von Nazareth ist der Sonnengeist, der sich bis ins Skelett inkarniert. Die Menschheit hat die Möglichkeit, aus dem Physischen wieder ins Geistig-Lichthafte aufzusteigen. Die Kulturepochen stehen in geheimen Beziehungen zueinander. Die griechisch-römische Kultur nimmt eine Sonderstellung ein, die nachfolgenden spiegeln die vorausgegangenen. Die Kastengliederung und Rassenbildung der Vergangenheit werden in der Zukunft abgelöst durch eine freie geistige Differenzierung der Menschheit. Der Osiriskult lebt in der Sonnenzentrierung des Kopernikus weiter. Das Sphinxrätsel taucht im Problem der Menschwerdung wieder auf. Das Wissen spaltet sich in Materielles und Spirituelles, das logische Denken steigt ins Sinnlich-Materielle herab. Ägyptische Weisheit und Arabismus wirken in der materialistischen Wissenschaft, ägyptische Weisheit und christlicher Glaube im Rosenkreuzertum. Die moderne Wissenschaft wird sich mit dem Rosenkreuzertum vereinen, als Spiegelung der dritten in der fünften nachatlantischen Kultur. Die christliche Esoterik steht im Verhältnis zum Buddhismus, und der Weg der Menschheit führt zu einer neuen, prophetisch-apokalyptischen Weisheit, die aus der Zukunft wirkt. 106) Im Streben nach geistiger Erkenntnis offenbart sich der Weg zur Höherentwicklung des Menschentums. Die Seele, die sich selbst überwindet, findet Zugang zu den höchsten Gütern der Menschheit. Um dieses Ziel zu erfassen, muss der Blick weit zurück in die Menschheitsgeschichte geworfen werden, zu den Ursprüngen der alten Kulturen, insbesondere nach Ägypten, und von dort bis in die Gegenwart. Die Entwicklung des Menschen ist ein fortwährender Prozess, in dem sich die Seele immer wieder verkörpert und durch verschiedene Kulturepochen hindurchgeht, wobei jede Epoche ihre eigenen Aufgaben und Prüfungen bereithält. Die Erde und der Mensch haben eine lange Entwicklung durchlaufen. In uralten Zeiten waren Sonne, Mond und Erde noch vereint. Erst durch die Abspaltung der Sonne und später des Mondes wurde die Erde zu dem, was sie heute ist. Diese kosmischen Ereignisse spiegeln sich in den religiösen Vorstellungen der Kulturen wider: In Indien erscheint Brahma, in Persien Ormuzd und Ahriman, in Ägypten Osiris, Isis und Horus. Die griechisch-lateinische Kultur erinnert in ihren Göttergestalten an die höheren Wesenheiten der atlantischen Zeit, während die gegenwärtige Kultur in einer götterlosen Zeit lebt, die den Christus-Impuls aufnehmen und in die Zukunft blicken muss. Der atlantische Mensch besaß noch ein Bewusstsein, das in das innere Wesen der Dinge eindringen konnte. Seine Gestalt war anders als heute, der Ätherleib war größer und zeigte vier typische Formen: Adler, Löwe, Stier und Mensch. Die Eingeweihten der atlantischen Zeit erhielten durch Meditation das Urbild der Menschengestalt, wodurch sie auf ihren physischen Leib einwirken konnten. In der urindischen Einweihung standen Bild, Ton und Wort im Mittelpunkt, die sieben Rishis verstanden die Geheimnisse der sieben Planeten und vermittelten diese ihren Schülern. Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler wandelte sich in den verschiedenen Kulturepochen, und der Tempelschlaf diente dazu, das atlantische Bewusstsein künstlich herzustellen. Die Entwicklung der Erde begann in einem Urzustand, in dem das Licht das Kleid der Liebe war. Mit der Abspaltung der Sonne verfestigte sich die Erde zu Wasser, und der Mensch war zunächst ein Wasserwesen. Die lemurische Zeit brachte die Abspaltung des Mondes, wodurch der Mensch das Knochensystem, die Luftatmung und das Bewusstsein von Geburt und Tod entwickelte. Die Kräfte von Licht und Luft, verkörpert durch Osiris und Typhon, wirkten gestaltend auf den Menschen ein. Die Sonnen- und Mondkräfte wirken im Menschen fort. Der Osirismythos zeigt, wie das vom Mond reflektierte Sonnenlicht die Nervenstränge des Menschen bildet. Osiris wirkt in den Mondphasen vom Neumond bis zum Vollmond, Isis in der Zeit vom Vollmond bis zum Neumond. Die Entstehung des Männlichen und Weiblichen, der Lunge, des Kehlkopfes und des Herzens ist das Werk dieser Kräfte, insbesondere des Horus. Die Gestalt des Menschen entwickelte sich in Übereinstimmung mit dem Tierkreis. Die Abspaltung des Mondes führte zur Geschlechtertrennung. Isis und Osiris formten die obere menschliche Gestalt, und die Leier des Apollo symbolisiert diese Harmonie. Die Mythen sind Bilder realer kosmischer Tatsachen, die sich in der Menschheitsgeschichte abspielten. Mit dem Erscheinen des Christus Jesus auf der Erde am tiefsten Punkt der Menschheitsentwicklung wurde der Weg zurück in die geistige Welt eröffnet. Die alten Sagen und Mythen sind Bilder von Ereignissen zwischen Tod und neuer Geburt, und die Gefahr des geistigen Todes kann nur durch das Einweihungsprinzip der Mysterien und die Rettung durch den Christus überwunden werden. Die ägyptische Einweihung prägte dem Astralleib übersinnliche Schauorgane ein, die während eines todähnlichen Zustands auf den Ätherleib übertragen wurden, wodurch der Wiedererweckte zum Erleuchteten wurde. In der griechischen Kunst ist der Abdruck des Geistes sichtbar, während in der Gegenwart der Geist zum Sklaven der Materie geworden ist. Der Christus-Impuls überwindet diese Materie und erlöst auch die Gruppenhaftigkeit der Generationenreihe. Die alten Ägypter kannten den Väterweg und den Götterweg, Isis war die Volksseele, der Pharao der Sohn von Isis und Osiris. Die Ahnen sammelten und spendeten geistige Güter, die in der physischen Welt kultiviert werden sollten. Die Erfahrungen der Seele zwischen Tod und neuer Geburt leben in unserer Zeit wieder auf, und so wird das geistige Erbe der alten Mysterien in der Gegenwart neu geboren. 107) Die Betrachtung der höheren Welten eröffnet den Zugang zum wahren Verständnis des Menschen und seiner Stellung im Kosmos. In der physischen Welt erscheint das Seelenleben als ein fortlaufender Strom von Gedanken, Gefühlen und Willensimpulsen, doch in Wahrheit ist jeder dieser seelischen Vorgänge ein Knotenpunkt von Beziehungen zu Wesenheiten der astralischen Welt. Jede Empfindung, jeder Gedanke sendet Strömungen aus, die zu bestimmten Wesen der astralischen Welt führen, und so ist der Mensch durch zahllose Fäden mit diesen höheren Daseinsbereichen verbunden. Nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Empfindungen und Begriffe, wie etwa die Idee des Rechtes, verbinden viele Menschen mit denselben astralen Wesenheiten. Die astralische Welt ist bevölkert von verschiedensten Klassen von Wesen, die in mannigfaltiger Weise mit den Menschen in Beziehung treten. Das Gesetz des Astralplanes offenbart sich als Entsagung, das Gesetz des Devachanplanes als Opferung. Schmerz, Leid, Lust und Seligkeit sind nicht bloß subjektive Erlebnisse, sondern Ausdruck tiefer kosmischer Zusammenhänge. Die vier Gruppenseelen – Löwe, Stier, Adler und Mensch – spiegeln uralte Entwicklungsstufen wider, die im Menschen fortwirken. Das Vergessen, das dem Menschen eigen ist, hat seine geistige Bedeutung, denn es schützt vor der Überwältigung durch die Fülle früherer Erlebnisse und ermöglicht die Entwicklung des Ich. Krankheit ist nicht bloß ein physisches Geschehen, sondern Ausdruck karmischer Zusammenhänge und geistiger Prozesse. Die Zehn Gebote offenbaren sich als Wegweiser, die den Menschen in die richtige Beziehung zu den geistigen Welten führen. Die Erbsünde ist nicht ein einmaliges Ereignis, sondern ein fortwirkender Impuls, der den Menschen an die Materie bindet und zugleich zur Bewusstseinsentwicklung drängt. Der Rhythmus der menschlichen Leiber, die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Wesensgliedern, zeigen sich in den großen Rhythmen der Natur und des Kosmos wieder. Mephistopheles, als Repräsentant ahrimanischer Mächte, steht mit den Erdbeben der Erde in Verbindung und offenbart die tiefe Verknüpfung von geistigen und physischen Prozessen. Das Christentum erscheint im Lichte der geistigen Entwicklung der Menschheit als ein Wendepunkt, an dem führende Individualitäten und avatarische Wesenheiten in das Geschehen eingreifen. Die Christus-Tat stellt den entscheidenden Impuls dar, der gegen die widerstrebenden Mächte Luzifer, Ahriman und Asuras wirkt und die Möglichkeit der Erlösung eröffnet. Lachen und Weinen sind nicht bloß Ausdruck von Gefühlen, sondern zeigen die Physiognomie des Göttlichen im Menschen. Die Ausprägung des Ichs in den verschiedenen Menschenrassen ist Ausdruck der Vielfalt der Wege, auf denen sich das Menschsein im Kosmos verwirklicht. Schließlich offenbaren sich die Begriffe von Evolution, Involution und Schöpfung aus dem Nichts als die großen Prinzipien, die das Werden des Menschen und der Welt durchdringen. Die Geisteswissenschaft zeigt, wie alles Sichtbare und Unsichtbare miteinander verflochten ist und wie der Mensch, indem er sich selbst erkennt, den Schlüssel zum Verständnis der Welt in Händen hält. 108) Die Welt, in der der Mensch lebt, ist nicht auf die sinnlich wahrnehmbare Ebene beschränkt. Neben der physischen Welt existieren die höheren Welten: die astrale und die devachanische Welt. In der astralen Welt begegnet die Seele Wesenheiten, die nicht in physischer Gestalt erscheinen, sondern als Kräfte und Gestalten, die das Leben und die Entwicklung beeinflussen. Die Gruppenseelen der Tiere, das Wirken von Michael und dem Drachen, das Wesen der Pflanzen auf der astralen Ebene – all dies zeigt, dass hinter dem Sichtbaren eine geistige Wirklichkeit steht. Die Wiederholung in der Natur entspringt dem Ätherleib, während der Abschluss und die Individualisierung im Astralleib wurzeln. Das Zusammenwirken dieser Wesensglieder zeigt sich etwa in der Bildung des Rückgrats. Die Tiere haben ein Gruppen-Ich, die Pflanzen ein Ich, das in der Erde ruht. Die Seele erlebt im Devachan die Wirklichkeit der kosmischen Zusammenhänge. Wahre Selbsterkenntnis kann nur aus der Erkenntnis des eigenen Wesens in diesen höheren Welten erwachsen. Die vier Stufen der Selbsterkenntnis führen von der gewöhnlichen, an die physischen Organe gebundenen Erkenntnis über das Erleben des eigenen Selbst im Ätherleib, das Bewusstsein karmischer Wirkungen im Astralleib bis zur höchsten Stufe: der Erkenntnis des kosmischen Zusammenhangs, in dem der Mensch steht. Die Individualität wird unabhängig von der Vererbungslinie, wenn der Mensch sich durch Erziehung und Selbstgestaltung wandelt. Die Veränderungen der Aura zeigen die Wirksamkeit dieser Prozesse. Nach dem Tod durchlebt der Mensch ein Erinnerungstableau, legt den Ätherleib ab und durchschreitet die Kamalokazeit, in der der Astralleib vergeht. Freundschaft, Kindes- und Mutterliebe wirken über den Tod hinaus. Im Devachan bereitet sich die Seele auf eine neue Inkarnation vor. Die Zehn Gebote, wie sie Moses empfing, sind Ich-Gebote, die den Menschen lehren, das Göttliche im eigenen Inneren zu verehren und so die Entwicklung auf Erden im Einklang mit dem Göttlichen zu vollziehen. Freude und Schmerz durchdringen die drei Naturreiche unterschiedlich. Die Erde ist nicht bloß ein physischer Himmelskörper, sondern der Schauplatz geistiger Wesenheiten. Der Christus stieg von der Sonne zur Erde herab, um das Menschheitskarma zu verwandeln. Luzifer und Ahriman wirken in der Menschheitsentwicklung, doch durch das Wirken des Christusgeistes in den Herzen der Menschen werden die Naturelemente besänftigt. Karma ist das geistige Gesetz von Ursache und Wirkung. Jede Handlung, jedes Gefühl, jeder Gedanke hat Folgen, die sich zwischen Geburt und Tod, aber auch über mehrere Inkarnationen hinweg auswirken. Disharmonie zwischen Vererbung und mitgebrachtem Schicksal wirkt sich im Leiblichen aus, bis hin zur Schädelgestaltung. Das Verständnis des Todes und des Christusereignisses ist entscheidend für das Erreichen des Erdenzieles. Novalis, der Dichter, war ein Seher, der das Mysterium von Golgatha in seinen Hymnen an die Nacht erlebte. In Christus erkannte er den Gott der Zukunft, den Menschensohn. Das Weihnachtsfest ist nicht bloß Erinnerung, sondern Offenbarung des Zukunftskeims des Christus, der seit dem Ereignis von Golgatha in der Menschheit wirkt. Märchen sind Nachbilder geistiger Wirklichkeiten. Die Gestalten der Märchen – Riesen, Zwerge, weise Frauen, verzauberte Gestalten – spiegeln Erlebnisse der Empfindungs-, Verstandes- und Bewusstseinsseele wider. In den Märchen lebt das atavistische Hellsehen fort. Die Philosophie hat sich im Laufe der Zeit vom objektiven Erkennen zur Subjektivität entwickelt. Aristoteles begründete das Denken in Begriffen, das in der Scholastik und im Arabismus weiterlebte. Seit Kant ringt die Philosophie mit dem Subjektivismus. Die Geisteswissenschaft überwindet diesen, indem sie das sinnlichkeitsfreie Denken und das innere Erleben der Begriffe pflegt. Die formale Logik lehrt die Gesetze des Denkens, doch erst das lebendige Durchdringen der Begriffe führt zur wahren Erkenntnis. Praktisches Denken verlangt die Überwindung von Denkgewohnheiten durch Übungen, die das Gedächtnis und die Gedankenkräfte stärken. Das sachgemäße Denken ist Voraussetzung für die geistige Entwicklung. Nietzsche, der große Sucher, fand in der äußeren Kultur seiner Zeit keine Antwort auf seine Ideale. Sein Verhältnis zur Musik, zu Schopenhauer und Wagner, seine Gedanken über den Übermenschen, all das war Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach geistiger Wahrheit. Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte der Veränderungen im nachtodlichen Leben. Die Eingeweihten der verschiedenen Kulturepochen hatten unterschiedliche Erfahrungen in der jenseitigen Welt. Das Ereignis von Golgatha hat das Leben zwischen Tod und neuer Geburt grundlegend verwandelt. In der Zeit der Atlantis besaßen die Menschen Fähigkeiten, die in die nachatlantische Zeit herüberwirkten. Die Aufgabe der Gegenwart ist es, diese Kräfte bewusst zu entwickeln und in den Dienst der geistigen Entwicklung zu stellen. 109) In den Mysterien der Wiederverkörperung offenbart sich das tiefe Gesetz der spirituellen Ökonomie. Was der Mensch in einem Leben an inneren Werten, an Erfahrungen und Fähigkeiten erringt, das geht nicht verloren, sondern wird als Essenz in die folgenden Inkarnationen hinübergetragen. Nach dem Tod durchschreitet die Seele verschiedene Stufen: Zunächst das Erlebnis der Ausdehnung, das umfassende Erinnerungstableau, dann das Ablegen des Ätherleibes, wobei ein Extrakt, die Frucht des vergangenen Lebens, mitgenommen wird. Auch vom physischen Leib bleibt eine geistige Tinktur erhalten, die das Faktum der Verkörperung bezeugt, doch ist diese in allen Leben gleich, während die Essenz des Ätherleibes je nach Entwicklung verschieden ist. Danach folgt das Kamaloka, das Läutern der Begierden, das Abgewöhnen des Irdischen, bis schließlich auch der Astralleib abgelegt wird und wiederum ein Extrakt, die Astralessenz, bleibt. Im Devachan bereitet sich die Seele auf ein neues Erdenleben vor, indem sie mit geistigen Wesenheiten und Ereignissen lebt, bis sie durch ihr Karma oder durch Notwendigkeit für die Menschheit wieder in die physische Welt gerufen wird. So schreitet die Menschheit voran, indem das Zukünftige sich an das Vergangene angliedert. Die großen Führer und Eingeweihten der Menschheit, die schon auf Atlantis wirkten, hinterlassen durch ihre Opfer und geistigen Errungenschaften bleibende Früchte, die der ganzen Menschheit zugutekommen. In den alten Orakeln, besonders im Sonnenorakel, wurde das Mysterium der Sonne und ihrer geistigen Wesenheiten offenbart. Die Christus-Wesenheit, einst auf der Sonne wirkend, vereinigte sich mit der Erde im Ereignis von Golgatha. Von da an ist das Christus-Prinzip mit der Erde verbunden, und die Menschheit kann durch die Verbindung mit diesem Prinzip ihre spirituelle Entwicklung vollziehen. Die Reinkarnation ist nicht bloß ein individuelles Geschehen, sondern steht in Zusammenhang mit der Führung der ganzen Menschheit. Die großen Individualitäten, die Avatare, wirken als Träger geistiger Impulse, die über die Zeiten hinweg fortwirken. Die Geschichte der Erde ist durchzogen von Epochen, in denen verschiedene geistige Strömungen und Wesenheiten auf die Menschheit einwirkten: von den alten atlantischen Orakeln, über die lemurische und atlantische Zeit, bis zu den nachatlantischen Kulturen. Jede Epoche bringt neue Aufgaben und Möglichkeiten, und die geistigen Führer leiten die Menschheit durch diese Entwicklungsstufen. Die Theosophie des Rosenkreuzers offenbart die verborgenen Zusammenhänge zwischen Mensch und Kosmos, zwischen den verschiedenen Wesensgliedern des Menschen und den geistigen Hierarchien. Der Mensch ist eingebettet in einen großen Zusammenhang von Inkarnation und Karma, und durch Selbsterkenntnis und geistige Schulung kann er sich seiner Aufgabe bewusst werden. Zwischen Tod und neuer Geburt durchlebt die Seele die geistigen Welten, nimmt Anteil an den Wirkungen ihrer Taten und bereitet sich auf neue Aufgaben vor. Die physische Welt ist Ausdruck geistiger Wirkungen, und der Mensch steht als Mikrokosmos im Zusammenhang mit dem Makrokosmos. Die Entwicklung der Erde, von der lemurischen über die atlantische bis zur nachatlantischen Zeit, ist ein fortschreitender Prozess der Vergeistigung. In jeder Epoche werden neue Fähigkeiten entwickelt, und die Menschheit schreitet auf dem Weg zur Freiheit und zur bewussten Verbindung mit dem Geistigen voran. Das Karma, die Reinkarnation, die Einweihung – all dies sind Mittel, durch die der Mensch seine geistige Aufgabe erfüllen kann. In der Gegenüberstellung von Buddha und Christus offenbart sich der Unterschied zwischen der alten Weisheit und dem neuen Impuls der Liebe, der durch das Christus-Ereignis in die Menschheit eingezogen ist. So ist das Prinzip der spirituellen Ökonomie das große Gesetz, nach dem nichts im geistigen Leben verloren geht, sondern alles, was errungen wird, zum gemeinsamen Schatz der Menschheit wird. Die geistige Führung der Menschheit wirkt durch die großen Individualitäten, durch die fortwährende Arbeit an sich selbst und an der Welt, und durch das Opfer, das im Dienste des Ganzen gebracht wird. 110) Am Anfang steht das Streben des Menschen, das Rätsel seiner eigenen Existenz und die Geheimnisse des Kosmos zu durchdringen. Die uralte Weisheit der Mysterien, einst lebendig in den heiligen Stätten des Ostens, lebt fort in den esoterischen Strömungen des Westens, nunmehr durchleuchtet vom Licht der Christus-Tat. Die geistigen Hierarchien, wie sie Dionysius der Areopagit beschreibt, sind keine bloßen Namen, sondern lebendige Wesenheiten, die das Band zwischen der physischen Welt und dem Geistigen knüpfen. Die heiligen Rishis Indiens lehrten von den vier Elementen, und in der Betrachtung des Feuers offenbart sich das Tor zum Seelischen. Im Feuer, das sich zu Rauch und Licht wandelt, wirken geistige Wesenheiten, die in den Elementarwesen fortleben. Der Mensch ist berufen, diese Wesen zu erlösen, indem er das Feuer aus dem Rauch geistig neu gebiert. Die alten Opferhandlungen hatten tiefen Sinn: Sie waren Brücken zwischen Mensch und Elementarwelt, zwischen Tag und Nacht, zwischen Sonne und Mond. Die Erde selbst ist nur ein Abschnitt in einer langen Folge von planetarischen Verkörperungen. Ihre Aufgabe ist es, die Menschwerdung als Ich-Wesenheit hervorzubringen. Auf dem alten Saturn webten die Throne in der Feuersubstanz die erste Anlage des Menschenleibes. Die Geister der Persönlichkeit gewannen ihr Ich, indem sie ein Spiegelbild ihrer selbst in der Welt zurückließen. Mit dem Sonnenzustand trat das Licht hinzu, und die Erzengel wirkten in einem Seelenleib aus Licht, umhüllt von Luft. Die Ein- und Ausatmung des Sonnennebels durch diese Erzengel schuf Licht und Rauch, Tag und Nacht der Sonne. Die Formen, die auf dem Saturn in der Feuersubstanz gebildet wurden, blieben als linsenförmige Wärmekugeln bis zum nächsten Dasein verzaubert. Auf der Sonne gaben die Erzengel dem Weltenraum Licht, und aus dem Rauch entstand die erste Anlage des Tierreichs, ein Abbild des Tierkreises, der als Reigen der Cherubim aus den vier Himmelsrichtungen erscheint. Die Entwicklung unseres Sonnensystems schreitet fort bis zum Vulkan, dem letzten Zustand, in dem alles zur Reife gelangt, um sich selbst zu opfern und neues Weltenwerden zu ermöglichen. Die Seraphim, Cherubim und Throne stehen an der Spitze dieser Hierarchien, sie empfangen die Ideen der göttlichen Trinität und setzen sie in Weltenschöpfung um. Die zweite Hierarchie – Herrschaften, Mächte und Gewalten – ordnet und gestaltet das Innere der Planeten. Die Mächte verdichten die Sonnenmasse zum Mondzustand, und durch ihr Wirken spaltet sich der Weltenkörper. In diesem „Streit am Himmel“ offenbaren sich die verschiedenen Entwicklungswege der geistigen Wesenheiten. Die Engel der dritten Hierarchie wachen über den Menschen, bewahren sein Gedächtnis und führen ihn von Inkarnation zu Inkarnation. Die Erzengel ordnen das Leben des Einzelnen und ganzer Völker, die Urkräfte regeln die Geschicke der Menschheit als Ganzes. Die Gewalten leiten die Menschheit von einem planetarischen Zustand zum nächsten. Die Herrschaftsgebiete dieser Hierarchien sind im Kosmos räumlich bestimmt: Der Mond ist die Grenze für die Engel, Merkur für die Erzengel, Venus für die Urkräfte. Die sieben Prinzipien des Menschen lassen sich nicht einfach auf die Engelwesen übertragen. Ihr Ich ist nicht an einen Leib gebunden, ihr physischer Ausdruck ist Spiegelbild geistiger Prinzipien, verschwebend in Wasser, Luft und Feuer. Die in der Sonne lebenden Wesenheiten machen die Venus- und Merkurgeister zu ihren unteren Organen und werden so zu Führern und Lehrern der Menschheit in lemurischer und atlantischer Zeit. Die großen Lehrer – Manu, Rishis, Bodhisattvas und Buddhas – sind von verschiedenen Wesenheiten der Hierarchien inspiriert und durchseelt. Die Entstehung eines Weltenkörpers wie des alten Saturn zeigt das Zusammenwirken der Wesenheiten von außen und innen, von seelischer und neutraler Wärme. Die ersten Anlagen der menschlichen Organe werden in Korrespondenz zu den Tierkreisregionen geschaffen. Mit dem Fortschreiten der Entwicklung werden Ätherleib, Astralleib und schließlich das Ich hinzugefügt, jeweils begleitet von kosmischen Bewegungen und Stillständen, die sich im Tierkreis widerspiegeln. Die Bewegungsimpulse der Planeten entlang der Tierkreiszeichen formen allmählich die Glieder des Menschenleibes. Der wahre kosmische Mensch entsteht, und das Karma der Weltenkörper wird von ihren Führern getragen. Das menschliche Ich arbeitet schöpferisch an der Umgestaltung seiner Leiber, wächst vom Geschöpf zum Schöpfer. Am Ende zieht sich die Erdenmaterie zum Mittelpunkt zusammen und verschwindet dort, um im Umkreis als umgewandelte Substanz wiederzukehren. Die höchsten Götterbereiche, Uranus und Neptun, werden berührt, das Gebiet der göttlichen Trinität. Der „Streit am Himmel“ und das Wirken der Götter der Hindernisse bringen die Möglichkeit des Bösen in die Welt. Durch die Freiheit des Ich, die sich im Tod Christi auf Golgatha offenbart, wird der Mensch zum Erlöser des Luzifer. Die Entwicklung des Geistes der Freiheit und Liebe ist die Bestimmung der zehnten Hierarchie – des Menschen –, und dies ist der tiefste Sinn des Menschen, ergründet aus dem Sinn des Kosmos. 112) Im Anblick der großen Menschheitsfeste, die seit Urzeiten den Lauf der Sonne und das Mysterium des Lebens feiern, stelle ich das Christus-Ereignis in die Mitte der Betrachtung. Die Menschheit steht an einem Wendepunkt, wie er sich in der Geschichte wiederholt, und es ist notwendig, dass das Verständnis des Christus-Mysteriums erneuert werde. Nicht eine neue Lehre, sondern eine neue Form der Verkündigung ist gefordert, wie sie die Rosenkreuzer als Johannes-Christen in die Welt getragen haben. Das Johannes-Evangelium, das mit den Worten vom Logos beginnt, offenbart, dass das schöpferische Wort, das im Anfang bei Gott war, in Jesus von Nazareth Fleisch geworden ist. Das Licht, das in die Finsternis scheint, wird nur von wenigen erkannt, und doch ist es das Urbild des menschlichen Ich, das in jedem Menschen als Möglichkeit lebt. Die Entwicklung der Menschheit ist von geistigen Führern und Eingeweihten begleitet, die in die Akasha-Chronik zu schauen vermögen. In dieser geistigen Geschichte offenbart sich, dass die Götter geistig geblieben sind, während die Menschen in die physische Welt hinabgestiegen sind. Der Weg des Menschen ist ein Aufstieg, der von der Geburt des höheren Ich geprägt ist. Die Menschheitsführer bereiten die großen Ereignisse vor, und das Christus-Ereignis ist die Krönung dieses Weges: Der Logos, das schöpferische Wort, wird im Jesus von Nazareth geboren. Die Viergliedrigkeit des Menschen – physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich – spiegelt sich in den Reichen der Natur und in den alten Mysterien wider. Die Erde und ihre Metamorphosen sind Ausdruck geistiger Urbilder, die auf der Sonne ihren Ursprung haben. Die alten Orakelstätten und Einweihungsstätten der atlantischen und nachatlantischen Zeit bereiteten die Menschheit auf das Kommen des Christus vor. Die Johannes-Taufe, zunächst eine Taufe mit Wasser, wird durch Christus zur Taufe mit Feuer und Geist. Die Zeichen und Wunder des Christus Jesus sind nicht bloße äußere Taten, sondern Offenbarungen einer stufenweisen Steigerung der Christus-Kraft. Die Auferweckung des Lazarus ist ein Mysterium der geistigen Einweihung, das in der späteren Erfahrung des Paulus am Damaskus-Erlebnis seine Fortsetzung findet. Die Herrschaft des Christus über das Knochensystem des Menschen bedeutet die Überwindung des Todes, denn der Tod wird zum Samen des ewigen Ich. Die Harmonisierung der inneren Kräfte des Menschen durch den Christus-Impuls führt zur Wiedererneuerung des uralten Weisheitsgutes. Das Mysterium von Golgatha hat eine kosmische Bedeutung: Durch die Tat des Christus wird der luziferisch-ahrimanische Einfluss überwunden, der Tod wird zum Lebensspender, und die Erde beginnt, ein Sonnenwesen zu werden. Die Christus-Kraft strahlt in den ätherischen Leib des Menschen und bildet eine Geistessphäre um die Erde. Der Heilige Geist ist die Ausstrahlung dieses Christus-Lichts. Die Erde wird zum Leib des Christus und zum neuen Lichtmittelpunkt. Das Abendmahl ist die Vorstufe zur mystischen Vereinigung mit dem Christus. Paulus wird zum Verkünder des lebendigen Christus, und die sieben Stufen der christlichen Einweihung führen den Menschen durch Wiederverkörperung und Karma zur Erkenntnis, dass der Tod der Same der ewigen Ichheit ist. Geist-Erkenntnis wird zum Lebensfeuer, das den Menschen mit dem Christus verbindet. 113) Die Geist-Erkenntnis, die ich hier ausbreite, verlangt vom Menschen Geduld und ein offenes Herz für die Blüten des modernen Geisteslebens. Nicht das Überkommene, sondern das, was aus dem innersten Drang der Zeitenseele entspringt, soll uns zu Erkenntnis und Tat führen. Der Mensch steht inmitten eines geistigen Kosmos, in dem das Chaos der Gegenwart zur Ordnung und Fruchtbarkeit werden kann, wenn wir lernen, aus dem Strom der Zeit das Wesentliche zu schöpfen. Die Geschichte ist nicht bloß ein Gegenstand der Betrachtung, sondern ein lebendiges Erleben, das uns zur inneren Reifung führt. Der Weg zur höheren Erkenntnis verlangt, dass wir unsere Vernunft schulen und die geistigen Wahrnehmungsorgane entwickeln. Durch Konzentration und Meditation schreiten wir auf den ersten Stufen der Läuterung und Erleuchtung voran, begegnen dem Hüter der Schwelle, durchschreiten die elementarische Welt und gelangen zum Schauen der Sonne um Mitternacht. Der Mensch ist viergliedrig: physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich. Schlafen und Wachen, das Wechselspiel von Bewusstsein und Unterbewusstsein, sind Ausdruck innerer geistiger Prozesse. Die drei Welten – die physische Welt, die Seelenwelt und die Geistwelt – offenbaren sich in ihren eigenen Gesetzen. Das Gewissen wurzelt in uralten Kräften, den Erinnyen und Eumeniden, und ist ein Zeugnis der planetarischen Entwicklung, in der geistige Wesen an der Erde mitwirken. Die Sinneswelt und das Seelenleben sind durchdrungen vom Christus-Ereignis, das als Wendepunkt der Menschheitsgeschichte wirksam ist. Höhere geistige Wesen, deren Wirken sich nicht unmittelbar in der Sinnes- oder Seelenwelt abbildet, gestalten die Entwicklung der Erde. Die Saturn-, Sonnen- und Mondengeister wirken in kosmischen Rhythmen, wie es schon in der Lehre des Pherekydes von Syros anklingt. Ost und West offenbaren verschiedene Denkweisen: Der Osten lebt in der Hingabe an das Geistige, der Westen in der Gestaltungskraft des Ich. Indra, Jehova und Christus sind Ausdruck unterschiedlicher Gottesbegegnungen. Die nachatlantische Menschheit teilt sich in nördliche und südliche Völkerströmungen: Die einen suchen die oberen Götter durch das Durchdringen des Sinnenschleiers, die anderen die unteren Götter durch das Erleben der seelischen Innenwelt. In der griechischen Kultur begegnen sich diese Wege wieder. Zarathustra bereitet den physischen Leib für das Christus-Ereignis vor; das Licht des Luzifer wird einst das Christus-Wesen tiefer verständlich machen. In der urindischen Kultur ist die Einheit der Geistesströmungen noch lebendig. Die griechischen Mysterien zeigen sich apollinisch und dionysisch. Das Christus-Ereignis kehrt den luziferischen Weg um: Luzifer tritt aus dem menschlichen Inneren in den kosmischen Umkreis. Die Rosenkreuzermysterien verbinden Christussubstanz und Luzifererkenntnis. Die Organisation des Menschen wandelt sich in der nachatlantischen Zeit. Das Verhältnis von Ätherleib und physischem Leib verändert sich im Spannungsfeld von Christus und Luzifer. Die alten Mysterien verfallen; in Mythen wie der Ödipus- und Judas-Sage lebt das Wissen um diese Wandlungen fort. Der Sonnenweg und der luziferische Weg durchziehen die sieben nachatlantischen Kulturepochen. In Indien sind beide Wege vereint, in der urpersischen Kultur trennen sie sich, in der dritten Epoche differenzieren sie sich weiter in nördliche und südliche Strömungen. Das hebräische Volk erhält eine besondere Mission. Die Kinder des Luzifer und die Brüder Christi stehen als Gegensätze da, die Siebenzahl und die Zwölfzahl offenbaren die kosmische Ordnung. Die Geheimnisse der Zahl, von Sieben und Zwölf, von Zeit und Raum, Planeten und Tierkreis, Gut und Böse, werden offenbar. Die Christussubstanz und die Bodhisattva-Weisheit wirken zusammen. Jesus von Nazareth und der Christus, Skythianos, Gautama Buddha, Zarathustra und Manes sind Träger dieser Weisheit, die in die europäischen Rosenkreuzermysterien einfließt. Die Josaphat-Legende zeugt von der Verbindung östlicher und westlicher Strömungen. Goethe, dessen Leben und Werk hier gewürdigt wird, ist ein Beispiel für die Durchdringung des modernen Geisteslebens mit rosenkreuzerischer Substanz. In seiner Dichtung und seinem Streben lebt das Streben nach Einheit von südlicher und nördlicher Völkerströmung fort. 114) In diesen Betrachtungen führe ich euch an das Lukas-Evangelium heran, um das Wesen des Christentums von einer neuen Seite zu erschließen. Während das Johannes-Evangelium die tiefsten Mysterien des Christentums offenbart, zeigt das Lukas-Evangelium eine andere Dimension, die durch die Geisteswissenschaft ans Licht gebracht werden kann. Die Evangelien sind nicht bloß historische Berichte, sondern Niederschläge einer Schau, die aus höheren Welten stammt, verfasst von Eingeweihten und Hellsehern, die in die geistigen Tiefen des Daseins geblickt haben. Es ist notwendig, zwischen dem Hellseher und dem Eingeweihten zu unterscheiden: Der Hellseher erblickt die geistige Welt in Bildern, in der Imagination, während der Eingeweihte durch Inspiration und Intuition in die innersten Geheimnisse der geistigen Wesenheiten eindringt. Das Lukas-Evangelium steht unter dem Zeichen des Prinzips der Liebe und des Mitleids. Es offenbart, wie sich das Mysterium des Christus in der Menschheitsentwicklung entfaltet. Die Aufgabe der Bodhisattvas, insbesondere die des Buddha, wird darin sichtbar: Der Buddha bringt das Prinzip des Mitleids und der Liebe in die Welt, und dieses Prinzip fließt durch das Lukas-Evangelium in das Christentum ein. Die Lehre Buddhas, insbesondere der achtgliedrige Pfad, wird so zum Fundament, auf dem das Evangelium nach Lukas aufbaut. Die Strömungen des Buddhismus werden mit den Impulsen des Zarathustra vereint, die im salomonischen Jesusknaben wiedererscheinen. Die Geschichte der beiden Jesusknaben – des nathanischen und des salomonischen – wird in ihrer geistigen Bedeutung enthüllt. Der nathanische Jesus trägt eine unberührte, reine Adam-Seele in sich, die vor dem Sündenfall stand, während der salomonische Jesus die wiederverkörperte Individualität des Zarathustra ist. In der Vereinigung dieser beiden Strömungen, die im zwölften Lebensjahr zusammenfließen, bereitet sich das Gefäß für die Christus-Inkarnation vor. Die Mission des hebräischen Volkes wird in diesem Zusammenhang als Vorbereitung für die Aufnahme des Christus-Impulses dargestellt. Die Lehre Buddhas von der Veredelung des menschlichen Inneren und die kosmische Lehre Zarathustras werden im Christusereignis zusammengeführt. Die Bewusstseinsentwicklung der Menschheit nach der atlantischen Zeit wird durch die Einwirkung des Christus-Ichs geprägt. Die Geisteswissenschaft hat die Aufgabe, die Herrschaft des Geistigen über das Physische wiederzugewinnen. Das Gesetz vom Sinai erscheint als letzte Vorverkündigung des Ich, das dann durch das Christus-Ereignis zur lebendigen Kraft der Liebe wird. Die Lehre Buddhas von Mitleid und Liebe wird durch das Christus-Ich zur schöpferischen Kraft, die das Rad des Gesetzes verwandelt. Die Lehre von Reinkarnation und Karma wird im Lichte des Christentums neu verstanden. Zwei Arten der alten Einweihung – die jonaische und die salomonische – werden unterschieden. Das Christus-Prinzip bringt eine neue Art der Einweihung, die nicht mehr im Verborgenen bleibt, sondern sich im äußeren Geschehen des Mysteriums von Golgatha offenbart. Das Ereignis von Golgatha ist die auf den äußeren Plan der Weltgeschichte hinausgetragene Initiation, durch die das Christus-Ich als lebendige Kraft in die Menschheit eingepflanzt wird. So wird der Mensch befähigt, aus dem eigenen Ich heraus die Kräfte der Liebe und des Mitleids zu entwickeln, die zuvor nur als äußere Gebote gegeben waren. 115) Der Mensch trägt in sich eine dreifache Gliederung: Leib, Seele und Geist. Diese Dreiheit ist nicht bloß ein abstraktes Schema, sondern eine lebendige Wirklichkeit, die sich in allen Erscheinungen des menschlichen Lebens offenbart. Die Anthroposophie will nicht nur Wissen vermitteln, sondern den Menschen zur Selbsterkenntnis führen, indem sie die verborgenen Kräfte und Organe des Menschenlebens enthüllt. Die Sinne, von denen gewöhnlich nur fünf oder sechs genannt werden, sind in Wahrheit zahlreicher; zehn äußere Sinne lassen sich unterscheiden, vom Lebenssinn bis zum Begriffssinn, und darüber hinaus noch drei geistige Sinne. Diese Sinne sind nicht einfach gegeben, sondern sie sind im Laufe der Menschheitsentwicklung hervorgegangen, sie sind das Ergebnis eines langen Werdens, in das höhere geistige Wesenheiten eingegriffen haben. Die Sinne sind nicht bloß passive Empfangsorgane, sondern sie sind in ihrer Ausbildung und Funktion eng mit den verschiedenen Wesensgliedern des Menschen verbunden: dem physischen Leib, dem Ätherleib, dem Astralleib und dem Ich. So ist etwa der Sprachsinn ein Ausdruck des Wirkens der Volksgeister, die sich in der Verschiedenheit der Sprachen und ihrer Wirkung auf die Seele zeigen. Die Entwicklung der Sinne ist zugleich eine Geschichte der Menschheit, die von alten Zeiten her, von Lemurien und Atlantis, sich in Wanderungen und Umwandlungen vollzogen hat. Das Erlernen der Sprache, das Herausbilden des Denkens, das Auftauchen des reinen Begriffs sind Stationen auf diesem Weg. Im Seelenleben begegnen wir drei Grundkräften: dem Vorstellen, dem Fühlen und dem Wollen. Das Vorstellen ist nicht bloß ein Spiegeln der Außenwelt, sondern ein aktives Urteilen, ein Zusammenbringen von Vorstellungen. Liebe und Hass, Begehren und Abneigung, sind Kräfte, die aus dem Innersten der Seele hervorgehen. Die Empfindungen, die wir an der Außenwelt gewinnen, werden durch das Ich durchdrungen, das sich in der Ich-Vorstellung offenbart. Das Seelenleben ist ein Kampfplatz zwischen dem, was von außen an uns herantritt, und dem, was aus unserem Inneren aufsteigt. Die Langeweile etwa zeigt, wie das Seelenleben aus dem Gleichgewicht geraten kann, wenn das innere Interesse fehlt. Die Urteilskraft und die Liebe sind die beiden großen Pole des Seelenlebens, und ihre rechte Verbindung macht die Gesundheit der Seele aus. Das Bewusstsein ist das Ergebnis des Zusammentreffens zweier Strömungen: der Vorstellungen, die aus der Vergangenheit in die Zukunft fließen, und der Wünsche, Begierden und Gefühle, die aus der Zukunft in die Vergangenheit wirken. Das Urteil entsteht an der Schnittstelle dieser beiden Strömungen, und das Ich ist der Punkt, an dem sich diese Kräfte kreuzen. Die Erinnerung ist nicht bloß ein mechanisches Wiederholen, sondern eine Kraft, die den Astralleib stärkt und den Menschen befähigt, sich selbst als Ich zu erleben. Die Selbsterkenntnis ist ein schmerzhafter, aber notwendiger Weg, um die wahre Natur des Menschen zu erfassen. Der Geist, das Übersinnliche im Menschen, wird von der modernen Wissenschaft oft geleugnet oder auf bloße Funktionen der Seele reduziert. Doch die Geisteswissenschaft zeigt, dass der Geist eine reale, eigenständige Wirklichkeit ist, die sich im Menschen offenbart. Der Irrtum, das Falsche, ist nicht bloß ein Mangel an Wahrheit, sondern eine wirkliche, luziferische Macht, die in das menschliche Erkennen eingreift. Die Korrektur des Irrtums, das Streben nach Wahrheit, ist ein Beweis für die Existenz einer übersinnlichen Welt, in der der Mensch als geistiges Wesen wirkt. Die Meditation, die Imagination, die Inspiration und die Intuition sind Stufen des geistigen Erlebens, durch die der Mensch Zugang zu höheren Welten gewinnt. Die Imagination ist das lebendige Bilden von Vorstellungen, die Inspiration das Erleben geistiger Inhalte, die Intuition das unmittelbare Erkennen des Willens im Menschen. Diese Fähigkeiten sind nicht bloß Gaben, sondern Aufgaben, die durch Selbsterziehung und Selbsterkenntnis errungen werden müssen. Die Welt ist ein Schauplatz der Höherentwicklung durch wiederholte Inkarnationen. Das alltägliche Ich ist nur ein Abglanz des wahren geistigen Wesens des Menschen, das sich durch viele Leben hindurch entfaltet. Die Selbsterkenntnis führt zu einer bitteren, aber heilsamen Einsicht in das Missverhältnis zwischen dem unvollkommenen Menschen und der göttlichen Natur, die in ihm lebt. Die Aufgabe des Menschen ist es, in Freiheit und Selbstständigkeit seinen eigenen Weg zu suchen, das Karma zu bejahen und durch Selbsterziehung zur wahren Geistigkeit zu gelangen. 116) In den aufeinanderfolgenden Kulturepochen der Menschheit wirken große Lehrer, die Bodhisattvas, als Vermittler höherer geistiger Impulse. Sie führen die Menschheit von einer Lebensform zur nächsten und tragen dazu bei, dass neue Fähigkeiten und Empfindungen in die Entwicklung einfließen. Nach der atlantischen Katastrophe beginnt die Menschheit ihren Weg durch verschiedene Kulturepochen: die alte indische, die urpersische, die ägyptisch-chaldäische, die griechisch-lateinische und schließlich die gegenwärtige fünfte nachatlantische Zeit. In jeder Epoche erneuern sich nicht nur äußere Lebensverhältnisse, sondern auch das Seelenleben, die Empfindungen, Begriffe und Ideen der Menschen. Die Seele schreitet nicht nur durch eigene karmische Verfehlungen von Inkarnation zu Inkarnation voran, sondern auch, weil sich die Erde und ihre Kultur stets wandeln und so neue Erfahrungen ermöglichen. Damit die Menschheit nicht stehen bleibt, wirken jene Wesen, die bereits eine höhere Entwicklung erreicht haben: die Bodhisattvas, die als große Lehrer durch ihre Verbindung zu höheren Welten neue Impulse in die Erdenkultur bringen. Sie sind es, die in entscheidenden Momenten der Entwicklung neue Strömungen einleiten und die Menschheit auf kommende Bewusstseinsstufen vorbereiten. Die Lehre Buddhas, die von Mitleid und Liebe kündet, bereitet die Bewusstseinsseele vor, ebenso wie die musikalische Kultur des Bodhisattva Apollo. Christus selbst steht im Zentrum dieser Entwicklung, umgeben von den zwölf Bodhisattvas, von denen sechs den Christus-Impuls vorbereiten und sechs ihn weiterführen. Der Christus-Impuls verwandelt die Folgen des luziferischen Einflusses – Egoismus, Irrtum, Krankheit und Tod – und ermöglicht die Entwicklung neuer Fähigkeiten im Menschen. Das Karmagesetz durchwirkt das Leben in all seinen Einzelheiten. Es verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wirkt in Berufswechseln, in der Umwandlung von Jugenderlebnissen im Alter, in Schmerz und Krankheit. Die bewusste Auseinandersetzung mit dem Karmagesetz stärkt den innersten Wesenskern des Menschen, gibt ihm Lebenskraft und Sicherheit. Die Mission des Zornes und der Andacht, die Bedeutung der Heilkräfte und die Erarbeitung geistiger Wahrheiten sind Ausdruck dieses Gesetzes. Mit dem Eintreten des Christus in die Menschheitsentwicklung beginnt eine neue Phase: Das Ich zieht in die menschliche Wesenheit ein, zunächst in der lemurischen Zeit. Der luziferische Einfluss bringt Egoismus, Irrtum, Krankheit und Tod, doch der Christus-Impuls ermöglicht ihre Überwindung. Die Zeitalter – golden, silbern, ehern, finster – markieren den Abstieg in die Materie, bis die Jahve-Religion und das Gesetz des Moses den Boden bereiten für das Wirken Christi. Die Seligpreisungen der Bergpredigt offenbaren die Kraft des Christus-Impulses, der die neun Wesensglieder des Menschen durchdringt und neue Fähigkeiten hervorbringt. Die physische Verkörperung des Christus ist notwendig, um die Mission des althebräischen Volkes zu vollenden. Im salomonischen Jesus ist die Anlage zur Vollkommenheit der siebengliedrigen Menschennatur bereits angelegt. Die sieben Namen Salomos bezeichnen seine sieben Hüllen. Die Seligpreisungen der Bergpredigt zeigen, wie der Christus-Impuls in der neungliedrigen Wesenheit des Menschen wirkt. Mit dem Ende des Kali Yuga beginnt ein neues ätherisches Hellsehen, das vorbereitet werden muss, damit Christus im Ätherleib geschaut werden kann. Die Entsprechungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos offenbaren sich in den Polaritäten und höheren Einheiten. Die nördliche und südliche Initiation, germanische und ägyptische Mysterien, fließen in der christlichen Initiation zusammen. Die Trennung der Geschlechter in der lemurischen Zeit wird in ferner Zukunft zu einer neuen Einheit führen. Der Gegensatz von Sonne und Erde spiegelt sich im Menschen als Gegensatz von Kopf und Gliedmaßen. Männliches und Weibliches verhalten sich wie Lunarisches und Kometarisches im Kosmos. Der Halley’sche Komet bringt einen Impuls tiefer in den Materialismus, während das neue Ätherhellsehen und das Erscheinen des Christus im Ätherischen vorbereitet werden. Das Gewissen entsteht als neue Seelenkraft, als die Empfindungsseele mit dem Ich-Gefühl durchdrungen wird. In der ägyptischen Kultur entwickelt sich die Empfindungsseele, in der griechisch-lateinischen die Verstandesseele, in der fünften nachatlantischen Zeit die Bewusstseinsseele. Während im Osten die Erscheinung des Christus vorbereitet wird, reift im Westen das Christus-Verständnis und das Gewissen als innere Instanz heran. Die theosophische Bewegung ist eine geschichtliche Notwendigkeit, um neues geistiges Leben in die Menschheitsentwicklung einströmen zu lassen, so wie einst die Rishis, Zarathustra und Moses Impulse gaben. Die Leugnung des historischen Jesus kann nur durch ein erneuertes Damaskus-Ereignis überwunden werden: Das Christus-Ereignis muss geistig begriffen werden. Die Entwicklung des Gewissens schreitet fort und wird zur Fähigkeit werden, ein inneres Gegenbild der eigenen Taten und deren karmischer Erfüllung zu schauen. Das paulinische Christentum weist den Weg zu einer Erkenntnistheorie, die das Geistige im Menschen und in der Welt erfasst. 117) Aus den Tiefen der geistigen Welt erschließt sich, dass das Christus-Ereignis als das zentrale Mysterium der Menschheitsentwicklung zu begreifen ist. Die Wege, die zu diesem Ereignis führen, sind vielschichtig und wurzeln in den großen Strömungen der Weltgeschichte. In Palästina begegnen sich jene Kräfte, die in Buddha, Zarathustra und der althebräischen Kultur lebendig waren, und finden ihre Vereinigung im Christus. Die Lehre Buddhas, getragen von Mitleid und Liebe, senkt sich durch den Nirmanakaya-Buddha in den nazarenischen Jesusknaben herab. Zarathustra, der große Sonnenlehrer, inkarnierte im bethlehemitischen Jesuskind. Durch diese beiden Kinder, die aus verschiedenen Linien des Hauses David stammen, strömen die buddhistische und zarathustrische Kraft zusammen. Im zwölften Lebensjahr des Jesus von Nazareth vereinigen sich diese Ströme, sodass in ihm die Voraussetzungen für die Aufnahme des Christus bereitet sind. Die vier Evangelien offenbaren das Christus-Ereignis aus unterschiedlichen Perspektiven. Das Johannes-Evangelium trägt die Weltideen, das Lukas-Evangelium die Opferkraft des Fühlens, das Markus-Evangelium die Sonnenkraft des Wollens, und das Matthäus-Evangelium das harmonische Menschenbild, das die Geheimnisse der Menschheitsgeschichte birgt. In der Betrachtung des althebräischen Volkes zeigt sich, wie das urteilende Denken sich herausbildet, um die Gottheit auch ohne hellseherische Kraft zu erkennen. Abraham und seine Nachkommen tragen die Aufgabe, das Ich-Bewusstsein vorzubereiten, das schließlich im Christus-Impuls seine Erfüllung findet. Moses verbindet das mathematische Weltbild mit innerer Imagination, und in der babylonischen Gefangenschaft begegnet das althebräische Volk dem orientalischen Magiertum. Mit dem Auftreten des bethlehemitischen Jesus wiederholen sich die Geschicke des althebräischen Volkes auf höherer Stufe. Die alten hellsichtigen Fähigkeiten treten zurück, und das Reich der Himmel, das Reich des Ich, wird vorbereitet. Johannes der Täufer steht als Wegbereiter an der Schwelle der neuen Zeit, in der die geistige Welt durch die Erscheinungen der Außenwelt in die Seele des Menschen hineinscheint. Die Taufe im Jordan markiert den Augenblick, in dem das hohe Sonnenwesen, der Christus, in Jesus von Nazareth einzieht. Die rechte Haltung zur Anthroposophie verlangt, dass die Ergebnisse der Geisteswissenschaft zunächst durch das Denken geprüft werden. Visionäres Hellsehen allein genügt nicht; erst das durchdringende Denken gibt der Seele die Substanz, das Geistige zu ergreifen. Die Entwicklung des individuellen Ichs ist das Ziel, das aus der Gruppenseelenhaftigkeit herausführt. Die Spiritualisierung der Sprache und das Ergreifen des Mittelpunktwesens im Menschen sind Schritte auf diesem Weg. Das Matthäus-Evangelium zeigt, wie die Wege der drei Magier und des salomonischen Jesus eine Wiederholung der Geschichte des jüdischen Volkes auf höherer Stufe darstellen. Die Bodhisattvas weisen auf das künftige Christus-Verständnis hin. Die Geburt des Christus in uns ist das Ziel, auf das alles hinstrebt: Die durchchristete Ichheit, die sich aus der Gruppenseelenhaftigkeit erhebt, wird zum Träger des neuen Geistesimpulses. Der Weihnachtsbaum wird zum Sinnbild für das Geisteslicht, das mit der Geburt des Christus in die Welt kommt. In der Weihnachtsnacht kann die Seele das Schauen der Geistessonne erleben, und die Jahreszeiten werden zum Spiegel des Weltengeistes. Die anthroposophische Weisheit soll zur lichtdurchdrungenen Wärmekraft werden, die das Christus-Ereignis lebendig im Innern des Menschen macht. Die Geburt des Christus in uns ist der Weg, auf dem die Menschheit ihrer wahren Bestimmung entgegengeht. 118) Die Seele des Menschen schreitet durch wiederholte Erdenleben, und jedes dieser Leben ist nicht bloß eine Wiederholung, sondern eine neue Gelegenheit, an den sich wandelnden Bedingungen der Erde zu reifen. Die Erde selbst verändert sich, und so kann die Seele immer Neues erfahren, neue Fähigkeiten erwerben. In alten Zeiten war das Bewusstsein des Menschen noch traumhaft, hellseherisch, eingebettet in die geistigen Welten, und das Ich war noch nicht in seiner heutigen Klarheit ausgebildet. Mit dem Fortschreiten der Zeitalter – dem Goldenen, Silbernen, ehernen und schließlich dem Finsteren Zeitalter – verlor der Mensch dieses alte Hellsehen, um das Ich-Bewusstsein zu gewinnen. Nun aber, nach dem Ende des Finsteren Zeitalters um 1899, beginnt eine neue Entwicklung: das Entstehen eines neuen, bewussten Hellsehens, das nicht mehr traumhaft ist, sondern das Ich mit einbezieht. In diesem neuen Äthersehen wird es möglich, Christus in ätherischer Gestalt wahrzunehmen, so wie Paulus ihn vor Damaskus schaute. Die Christus-Erscheinung in der ätherischen Welt ist das große spirituelle Ereignis unserer Zeit. Wer sich darauf vorbereitet, wird Christus nicht mehr nur in der Erinnerung an das historische Ereignis von Golgatha finden, sondern als lebendige, gegenwärtige Kraft im Ätherischen erleben. Die Entwicklung des Menschen ist eingebettet in die großen kosmischen Zusammenhänge. Die Kräfte von Sonne und Erde, von Mond und Komet, spiegeln sich im Menschen wider – im Gegensatz von Kopf und Gliedmaßen, von Männlichem und Weiblichem. Die Kometen, wie der Halleysche Komet, sind Ausdruck kosmischer Impulse, die das geistige Leben der Menschheit berühren und mitgestalten. Die Materialisierung des Denkens, wie sie im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte, steht in Zusammenhang mit solchen kosmischen Ereignissen. Die großen Religionsstifter und Propheten, Moses, Abraham, Buddha, Zarathustra, Paulus, haben die Menschheit auf das Christus-Ereignis vorbereitet. Die Lehre Buddhas von der Maja, der Scheinwelt, und die Läuterung der Seelenkräfte bei Paulus führen hin zu der Fähigkeit, das Geistige hinter der äußeren Erscheinung zu erkennen. Die Bodhisattvas wirken weiter, um das Christus-Verständnis in der Menschheit zu vertiefen, bis die volle Entfaltung der Christus-Kraft im zukünftigen Maitreya-Buddha offenbar wird. Die Bergpredigt offenbart die Stufen der menschlichen Entwicklung und die Beziehung zu den Wesensgliedern des Menschen. Die Seligpreisungen sind Wegweiser für die innere Reifung und die Entfaltung des Ich. Das Pfingstfest ist das Fest der freien Individualität, das den Übergang vom Volksprinzip zum allgemeinen menschlichen Prinzip, verkörpert im Christus, markiert. Der Heilige Geist wirkt als Impuls zur Freiheit, zur Entwicklung des selbständigen, geistdurchdrungenen Menschen. Die Geisteswissenschaft ist die notwendige Vorbereitung, um das neue Äthersehen zu entwickeln und das Wiedererscheinen Christi im Ätherischen zu verstehen. Sie führt zur Erkenntnis des Zusammenhangs von Makrokosmos und Mikrokosmos, von kosmischen und menschlichen Entwicklungen, und sie bereitet die Menschheit darauf vor, die spirituellen Aufgaben der Zukunft zu ergreifen: die bewusste Mitgestaltung der Erde und die Verwandlung des eigenen Wesens im Lichte des Christus-Impulses. 119) Im Menschen lebt ein tiefes Bedürfnis, die Grenzen der äußeren Erkenntnis zu überschreiten und in die verborgenen Welten des Daseins einzutreten. Die gewöhnlichen Zustände des Wachens und Schlafens trennen das Bewusstsein von diesen höheren Welten, doch durch Ekstase oder mystische Versenkung kann das Tor zu ihnen geöffnet werden. Diese Wege sind jedoch abnorme Zustände, die den Menschen aus dem Gleichgewicht bringen können. Die wahre Aufgabe besteht darin, die Kräfte der Seele so zu entwickeln, dass ein bewusstes, gesundes Eindringen in die geistigen Welten möglich wird. Im Schlaf ist der Mensch mit den Kräften der Planeten verbunden: Venus, Merkur und Mond wirken auf die Empfindungs-, Verstandes- und Bewusstseinsseele im Wachzustand, während Mars, Jupiter und Saturn im Schlaf auf ihn einwirken. Das Planetensystem offenbart sich als eine große Weltenuhr, in der das Leben des Menschen eingebettet ist. Der Mystiker wendet sich nach innen, betrachtet den physischen und ätherischen Leib von innen heraus und begegnet dem kleinen Hüter der Schwelle, der ihm die eigenen Schattenseiten vor Augen führt. Der Schüler der nordischen Mysterien erlebt das Mitempfinden mit der großen Natur, durchwandert den Jahreskreis und schaut die Sonne um Mitternacht. Hier begegnet er dem großen Hüter der Schwelle, der den Zugang zu den höheren Welten bewacht. Beim bewussten Untertauchen in den astralischen Leib muss der Mensch lernen, die drei Grundkräfte seiner Seele – Wollen, Fühlen und Denken – mit den makrokosmischen Kräften des Weltendenkens, Weltfühlens und Weltenwollens zu verbinden. Daraus erwächst die Aufgabe, Dankbarkeit und Verantwortungsgefühl gegenüber dem Makrokosmos zu entwickeln und sich der eigenen Unterlassungssünden bewusst zu werden. In den ägyptischen Mysterien taucht der Schüler, geführt vom Hermespriester, in das eigene Innere ein, erlebt die Zeitenfolge rückwärts, begegnet den Vorfahren, sucht frühere Inkarnationen auf. Ohne Führer drohen auf diesem Weg große Gefahren. In den nordischen Mysterien besteht die Gefahr des Ich-Verlustes oder der Verstärkung des egoistischen Ich. Nur durch Übung von Überwindungskräften und Unterscheidungsvermögen kann der Schüler sich auf die Begegnung mit den geistigen Wesenheiten der elementarischen Welt vorbereiten. Die menschlichen Temperamente stehen in enger Beziehung zu den vier Elementen der elementarischen Welt. Selbsterkenntnis ist sowohl im gewöhnlichen Leben als auch in den höheren Welten notwendig. Vor dem Eintritt in diese Welten bedarf es einer bewussten Selbsterziehung, um der Begegnung mit dem großen Hüter der Schwelle gewachsen zu sein. Die Entwicklung des hellseherischen Bewusstseins erfordert den Umgang mit den Kräften der Urbilderwelt. Die Sinne, Nerven und das Gehirn des Menschen sind aus den makrokosmischen Kräften gebildet. Durch innere Tätigkeit kann der Mensch höhere geistige Organe ausbilden und zur imaginativen, inspirierten und intuitiven Erkenntnis aufsteigen. Die Kräfte des Schlafes stärken den Menschen und bereiten ihn auf die Ausbildung geistiger Erkenntnisorgane vor. Drei Stufen des Urteilsvermögens – gefühlsmäßiges Fürwahrhalten, Verstandeskritik, Herzdenken – führen zu einer immer umfassenderen Erkenntnis. Das Gedächtnis wandelt sich beim Geistesforscher vom gewöhnlichen, an die Zeit gebundenen Gedächtnis zum geistigen Raumgedächtnis, das das Lesen in der Akasha-Chronik ermöglicht. Herz und Gehirn werden im Zusammenhang mit der makrokosmischen Entwicklung umgebildet. Die Fähigkeit, Fragen zu stellen, wird zu einem wichtigen Werkzeug der Erkenntnis. Die zukünftige Entwicklung des Menschen verlangt die Anpassung an die verschiedenen Zustände unseres Planeten. Die physischen Organe, wie Herz und Kehlkopf, weisen in die Vergangenheit und in die Zukunft. Die Sprache wird sich wandeln, und Weisheit und Liebe werden zu den tragenden Kräften der Menschheit. Am Ende steht das Vertrauen in den schützenden und segnenden Strahl des Göttlichen, der den Menschen auf seinem Weg begleitet. 120) Das Gesetz des Karma offenbart sich als ein tiefes, das ganze Leben durchdringendes Prinzip, das nicht nur die äußeren Ereignisse, sondern die innerste Entwicklung der menschlichen Individualität bestimmt. Jede Tat, jedes Gefühl, jeder Gedanke, der aus dem Menschen hervorgeht, wirkt zurück auf sein eigenes Wesen, gestaltet sein Schicksal und formt die Bedingungen künftiger Erdenleben. Nicht als abstraktes Ursachengesetz ist Karma zu fassen, sondern als lebendige Wechselwirkung zwischen dem Menschen und der geistigen Welt, als ein Strom von Ursachen und Wirkungen, der die Seele durch viele Inkarnationen trägt. Im Gegensatz zum Tier, dessen Entwicklung durch die Art gebunden ist, steht der Mensch als Individualität da, die durch ihre eigenen Taten und Erfahrungen ihr Schicksal selbst gestaltet. Krankheit und Gesundheit, Glück und Leid, auch scheinbar zufällige Ereignisse und Unfälle, sind in Wahrheit Ausdruck karmischer Zusammenhänge, die aus früheren Leben herüberwirken und zur Reifung und Läuterung der Seele beitragen. Selbst Naturkatastrophen, Epidemien und elementare Ereignisse stehen in einem Zusammenhang mit dem kollektiven Karma der Menschheit und ihrer geistigen Entwicklung. Die Heilung des Menschen kann nicht allein durch äußere Mittel geschehen, sondern erfordert das Verständnis der tieferen karmischen Ursachen. Es gibt Krankheiten, die aus dem individuellen Karma hervorgehen, und andere, die aus dem Gemeinschaftskarma entspringen. Manche Leiden sind als Aufgaben zu verstehen, die sich die Seele selbst gestellt hat, um an ihnen zu wachsen. Unheilbarkeit ist nicht als endgültiges Urteil zu nehmen, sondern als Hinweis auf Aufgaben, die über dieses Leben hinausreichen. Die höheren geistigen Wesenheiten, die an der Führung der Menschheit beteiligt sind, wirken ebenfalls im Rahmen karmischer Gesetze, doch auf einer höheren Stufe. Ihr Wirken ist darauf gerichtet, die Menschheit zu führen und zu inspirieren, ohne den freien Willen des Einzelnen aufzuheben. Tod und Geburt erscheinen in diesem Licht nicht als Zufall, sondern als notwendige Stationen im großen Zusammenhang des karmischen Werdens. Der freie Wille des Menschen ist eingebettet in das Gesetz des Karma, doch nicht aufgehoben. Vielmehr eröffnet sich durch das Verständnis des Karma die Möglichkeit, das eigene Schicksal bewusst zu gestalten, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und die Zukunft der Menschheit mitzugestalten. Das individuelle Karma ist stets verflochten mit dem Gemeinschaftskarma, und so ist jeder Mensch aufgerufen, durch seine Entwicklung auch zum Fortschritt der ganzen Menschheit beizutragen. In der Gewissheit, dass kein Gedanke, kein Gefühl, keine Tat verloren geht, sondern alles in der geistigen Welt bewahrt und verwandelt wird, kann der Mensch Vertrauen schöpfen in die Gerechtigkeit und Weisheit des Weltgeschehens. Das Wissen um das Karma ist nicht bloß Erkenntnis, sondern Quelle von Lebensmut, Tatkraft und innerer Befriedigung. Es führt zur Einsicht, dass alles, was uns begegnet, Sinn und Bedeutung hat, und dass wir durch unsere eigene Entwicklung die Welt mitgestalten. 121) Die Volksseelen sind reale geistige Wesenheiten, die als Erzengel in der Hierarchie der geistigen Welt stehen und das Schicksal der Völker lenken. Über ihnen wirken die Zeitgeister, die in größeren geschichtlichen Epochen die Entwicklung der Menschheit führen. Die Engel stehen dem einzelnen Menschen zur Seite, während die Erzengel als Volksgeister die einzelnen Völker inspirieren. Die Archai oder Zeitgeister wirken über die Völker hinaus und prägen ganze Zeitalter. In früheren Weltaltern – auf Saturn, Sonne und Mond – waren diese Wesenheiten selbst auf einer menschlichen Entwicklungsstufe, und aus ihrem Wirken sind die verschiedenen Glieder des Menschen hervorgegangen. Die Erde ist von einer Ätheraura umgeben, die sich je nach Region unterscheidet und durch geschichtliche Ereignisse wie die Völkerwanderung wandelt. Die Volksgeister wirken in die Temperamente der Menschen hinein, und aus ihrem Zusammenwirken mit den Zeitgeistern entstehen die verschiedenen Volkssprachen und Denkarten. In der urindischen Kultur herrschte ein harmonischer Einklang, der sich in der Sanskritsprache ausdrückte, während in anderen Regionen, wie der Schweiz oder Nordamerika, besondere Mischungen und Individualitäten hervortreten. Die Volksgeister erleben das Seelenleben der Menschen, sie nehmen wahr, wie reich oder arm an Seeleninhalt die einzelnen Menschen sind. Die Engel vermitteln zwischen dem Volksgeist und dem einzelnen Menschen und inspirieren ihn zu Beiträgen für das Gemeinwesen. In der deutschen Geschichte führte die Zersplitterung in viele kleine Volksgruppen zur Herausbildung starker Individualitäten. Die Bildung der Rassen ist ein älteres Stadium der Menschheitsentwicklung, das an die Erde und die Vererbung gebunden war; in späteren Zeiten werden die Rassen verschwinden, und die produktiven Kräfte der Kultur verlagern sich nach Mitteleuropa, das sich auf seine eigene schöpferische Kraft besinnen muss. Die Hierarchien der geistigen Welt – Engel, Erzengel, Zeitgeister, Geister der Form, Geister der Bewegung, Geister der Weisheit, Throne, Cherubim, Seraphim – greifen in die Erd- und Menschheitsentwicklung ein. Sie wirken in den Elementen, in der Gestaltung der Natur und in der Geschichte. Die Mission der Erde ist es, durch den Geist der Liebe eine Harmonisierung aller Kräfte zu erreichen. Die Geister der Rasse wirken als verführerische Kräfte, während die Elementarwesen in der Natur tätig sind. Das Zusammenwirken der normalen und abnormen Geister der Form – die Rassegeister – bewirkt die Differenzierung der Menschheit in Rassen. Die Sonne ist die Wirkungsstätte der sechs normalen Geister der Form, während der Mond mit Jahve als siebtem Geist eine besondere Rolle spielt. Die abnormen Geister der Form wirken von den Planeten aus auf die verschiedenen Rassen ein: Merkur auf die äthiopische, Venus auf die malayische, Mars auf die mongolische, Jupiter auf die kaukasische, Saturn auf die indianische Rasse. Sie greifen in das Drüsen- und Nervensystem und das Blut der Menschen ein. Das Semitentum ist durch eine besondere Inspiration geprägt, das Griechentum durch die Wirksamkeit des Zeus-Impulses. Große Lehrer wie Buddha, Zarathustra und Skythianos wirken in den verschiedenen Kulturen. Die Volksgeister steigen zu Zeitgeistern und Geistern der Form auf. Der Volksgeist Indiens wird zum Zeitgeist der indischen Kultur und leitet die nachatlantische Entwicklung. Der jüdische Volksgeist steht unter dem Einfluss von Jahve und bringt den Monotheismus hervor, während in anderen Kulturen ein Pluralismus der geistigen Wesenheiten herrscht. Das Christus-Ereignis bildet den Wendepunkt, an dem die Volksgeister Europas zu Dienern des Christus-Zeitgeistes werden. Die nordische Mythologie bewahrt uralte Erinnerungen an das Wirken der geistigen Hierarchien. Die vergleichende Religionswissenschaft irrt, wenn sie die Mythen nur äußerlich vergleicht. Die Inder waren weit fortgeschritten, als sie das Ich aufnahmen. Die germanisch-nordische Mythologie unterscheidet zwischen den Wanen, den Göttern der atlantischen Zeit, und den Äsen, den Engeln und Erzengeln, die sich um das Ich des Menschen kümmern. Wotan verleiht die Sprache, Hönir die Vorstellungskraft, Lodur die Hautfarbe und das Blut, Thor prägt das Ich. Die Schöpfung der Welt wird als das Wirken von Niflheim und Muspelheim, als Chaos und Urbeginn, geschildert. Die luziferischen Mächte schenken dem Menschen Freiheit und die Möglichkeit des Bösen. Loki entspricht Luzifer, er bewirkt Selbstsucht, Lüge und Krankheit. Die Hellsichtigkeit schwindet, und der nordische Mensch empfindet das Nichtsehen der geistigen Welt als Zwischenzeit. Die Götterdämmerung wird zur Zukunftsvision. Die germanische Seele fühlt sich noch als Glied des Stammes-Ich. Die alten Mysterien und die nachatlantischen Kulturen werden von den verschiedenen Zeitgeistern geprägt. Die italienische und spanische Kultur ist die der Empfindungsseele, Frankreich die der Verstandsseele, Großbritannien die der Bewusstseinsseele. Die slawischen Völker bereiten die kommende Kultur des Geistselbst vor. Die Menschenseelen steigen in der lemurischen und atlantischen Zeit zur Erde herab. Die nordische Mythologie erzählt von Nerthus, Njordr, Freyr und Freya, von Thor und der Midgardschlange, von Odin und dem Fenriswolf. Die Wiederkunft des Christus und das neue Hellsehen werden vorbereitet. Die Aufgabe des germanisch-nordischen Erzengels ist es, in der zweiten Hälfte des fünften nachatlantischen Zeitalters ein harmonisches Zusammenwirken der Völkerseelen zu ermöglichen. 122) Am Anfang der biblischen Schöpfungsgeschichte steht das große Geheimnis der Urworte, aus denen alles entstand. Im hebräischen Urtext liegt eine schöpferische Kraft, die in den Worten selbst wirkt. Die Elohim, die göttlichen Schöpfermächte, ersinnen im webenden Elementarischen das, was als äußere Erscheinung und inneres Wirken hervorgehen soll. Haschamajim, das Geistig-Lichthafte, Klanghafte, Wortbildende, trennt sich von Ha’arez, dem Wärmehaften, Gasigen, Wässrigen und Erdigen. Aus diesen Kräften wird die Erde geformt, und die menschliche Gestalt entsteht aus dem Lauthaften, das in den Schöpfungsworten lebt. Die sieben Schöpfungstage sind nicht bloß zeitliche Abläufe, sondern Wiederbelebungen früherer planetarischer Zustände. Zuerst schlägt das Lichthafte ein, dann scheiden sich Luft und Wasser, das Feste tritt hervor, und das Pflanzliche sprosst. Kosmische Kräfte verbinden sich mit dem Irdischen, das Tierische bildet sich in Luft und Wasser. Die Elohim wirken als Geister der Form, unterstützt von den Archai, den Geistern der Persönlichkeit, die als „Jom“ oder „Tag“ in der Genesis erscheinen. Licht und Finsternis sind polarische Entitäten, die fortgeschrittenen Archai wirken im Licht, die zurückgebliebenen im Dunkel. Im Menschen spiegeln sich diese Wechsel von Aufbau und Zerstörung, von Wachen und Schlafen, wider. Im elementarischen Dasein wirken hinter den Stoffen geistige Wesenheiten: Throne im Erdigen, Kyriotetes im Wässrigen, Dynamis im Luftigen, Exusiai im Wärmehaften. Cherubim und Seraphim wirken im Erdenumkreis. Die sieben Elohim, die sich zur Einheit entwickeln, erscheinen als Jahve-Elohim. Die Arbeit der Hierarchien am Menschen beginnt mit der Ausbildung der Organe, wobei das Bewusstsein auf der Erde ein Gegenstandsbewusstsein ist, während auf dem alten Mond ein anderes Bewusstseinsleben herrschte. Die Menschwerdung schreitet durch die Schöpfungstage voran: Die Empfindungsseele wird am ersten Tag veranlagt, schreitet zur Verstandesseele am zweiten, zur Bewusstseinsseele am dritten Tag. Am vierten Tag wird der Astralleib, am fünften der Ätherleib hinzugefügt. Der physische Mensch entsteht am sechsten Tag als Wärmewesen. Erst nach dem sechsten Tag entwickelt Jahve-Elohim den Menschen zum Luftwesen. Durch den luziferischen Einfluss sinkt der Mensch aus dem Erdenumkreis herab, verdichtet sich weiter zum Wässrigen und Erdigen, wird zum Fleischmenschen. Die Trennung von Sonne und Erde führt dazu, dass die Menschenseelengeister sich auf die Planeten zurückziehen, bis auf das Hauptpaar Adam und Eva. Nach der Trennung des Mondes strömen die Seelengeister wieder zur Erde. Das Mondenhafte wirkt sowohl in Erde als auch im Menschen. Die zukünftige Zerklüftung der Erdenmaterie durch die Mondkräfte wird vorbereitet, der mondhafte Erdenstaub prägt sich in die menschliche Leiblichkeit ein. Die Erschaffung des männlich-weiblichen Menschen am sechsten Tag entspricht der lemurischen Zeit. Die Ich-Natur wird durch Jahve-Elohim eingeprägt. Es entsteht eine dichtere physische Leiblichkeit nach außen, eine dünnere ätherische nach innen. Am siebenten Tag ruht das Schöpferische: Die Elohim steigen zu Jahve-Elohim auf. Der Übergang vom ätherischen Elohim-Menschen der Lemuria zum physischen Jahve-Menschen der Atlantis vollzieht sich. Der Mensch steigt als letzter aus dem Geistigen ins Physische herab, nachdem alle anderen Geschöpfe schon da sind. So offenbart sich der Zusammenklang der Genesis mit der hellseherischen Forschung, und im Verständnis der Schöpfungsgeschichte erschließt sich der Ursprung und das Wesen des Menschen in kosmischer Perspektive. 123) In den Strömungen der nachatlantischen Völker offenbart sich das Wirken großer geistiger Impulse, die in der Menschheitsentwicklung fortwirken. Im Iraniertum und Turaniertum begegnen sich Gegensätze, die sich durch die Geschichte der Völker ziehen. Die Individualität Zarathustras wirkt in diesen Strömungen als geistiger Führer, dessen Impuls sich in verschiedenen Inkarnationen fortsetzt. Die Geheimnisse von Raum und Zeit, wie sie in der Hermes- und Moses-Weisheit aufleuchten, sind Ausdruck der fortschreitenden Menschheitsentwicklung, in der sich das Turaniertum und das Hebräertum als Träger unterschiedlicher geistiger Aufgaben zeigen. Die Wechselwirkung zwischen Thot-Hermes und Moses spiegelt einen kosmischen Vorgang wider, der im hebräischen Volk eine besondere Ausprägung findet. Das menschliche Denken erscheint als Abglanz göttlichen Schauens, während die Kräfte der alten Hellsichtigkeit in die innere Organisation des Menschen eingehen. In der Generationenreihe offenbart sich ein Zahlengesetz der Vererbung, das tief in die Geheimnisse des Blutes hineinreicht. Die althebräische Gotteserkenntnis, wie sie in Abraham und Melchisedek verkörpert ist, bildet ein Abbild des kosmischen Werdens. In der Geschichte des hebräischen Volkes bereiten Haupt- und Nebenströmungen das Christus-Ereignis vor, das sich in der Gestalt des Jeshu ben Pandira ankündigt. Die Essäereinweihung, verbunden mit der Sieben- und Zwölfzahl, spiegelt die kosmischen Verhältnisse in der Menschheitsentwicklung wider. Das Blut der Generationenreihe birgt das überpersönliche Gedächtnis, das sich in den Linien der beiden Jesusknaben offenbart, wie sie im Lukas- und Matthäus-Evangelium beschrieben werden. Die Stufenfolge beim Hinunterdringen des Göttlich-Geistigen in eine menschliche Individualität und beim Hinausdringen in den Kosmos zeigt die göttlich-geistige Wesenheit des Menschen und den irdischen Adam. Das Nasiräertum und die Essäerkolonien, die Schüler des Jeshu ben Pandira, Mathai und Nezer, stehen in diesem Zusammenhang. Das Gesetz der Vervollkommnungsstufen menschlicher Fähigkeiten, wie es im achtgliedrigen Pfad zum Ausdruck kommt, führt zur Einweihung in den vorchristlichen Mysterien. Das Hinuntersteigen in den physischen Leib und das Sich-Ausbreiten in den Kosmos birgt die Gefahr der Blendung und Trugbilder, doch durch das Christus-Ereignis wird der Ausgangspunkt der Freiheit geschaffen. Christus ist die Erfüllung und das Vorbild der neuen Initiation. Die Essäereinweihung offenbart die drei Stufen der Initiation, die durch das historische Christus-Ereignis in die äußere Welt geführt werden. Die Versuchungen Christi, Malchuth und die Reiche der Himmel, das Wesen des Ich im Reiche, werden so zum Verständnis des Christus-Weges. Das Christus-Ereignis ist historische Tatsache und zugleich Initiation des Ich. Die Evangelien sind Mysterienbücher, in denen das Christus-Leben als Darleben der Einweihung auf dem großen Plan der Weltgeschichte erscheint. Die Heilungen und die Seligpreisungen der Bergpredigt sind Ausdruck der neuen Kräfte, die in die Menschheit einströmen. Allmählich wird das menschliche Ich mit den Kräften des Mysterienwissens ausgestattet, die Jünger werden in höhere Welten hinaufgeleitet. Die Speisung der Viertausend und der Fünftausend, die Verklärungsszene, das einmalige Erscheinen des Christus in einem physischen Leibe und das Wiedererscheinen im Ätherischen zeigen die fortschreitende Entwicklung. Das neue Essäertum und die Warnung vor falschen Messiasen sind Teil dieser Entwicklung. Aus dem Kosmos strömen durch die Christus-Wesenheit belehrende und belebende Kräfte, die auf die Jünger hinüberstrahlen und deren Wachstum fördern. Das Petrus-Bekenntnis, der Menschensohn und der Sohn des lebendigen Gottes, das Ordnende in Menschengemeinden auf ethisch-moralisch-geistiger Grundlage, das Hinausführen der Jünger in den Makrokosmos durch Christus, das real-lebendige Einströmen der Kräfte des Sonnenworts durch das Mysterium von Golgatha, all das sind Stationen auf dem Weg zum Hinaufwachsen in die Reiche der Himmel. Der Mensch entwickelt sich der Gotteshöhe entgegen, während göttlich-geistige Wesenheiten in menschliche Seelen und Leiber herabsteigen. Die Christus-Wesenheit und die beiden Jesusknaben werden aus vier Gesichtspunkten der Evangelisten geschildert, entsprechend vier Arten der Einweihung. Die Jordantaufe und der Lebens- und Todesgang Christi sind zwei Etappen der Einweihung. Die Auferstehung zeigt Christus als den das Erdendasein durchwirkenden Geist, die Sonnenaura durchdringt die Erdenaura. In der Menschheitsentwicklung offenbart sich die Göttergröße des Menschen, und das Matthäus-Evangelium zeigt das Menschliche im Christus-Ereignis. 124) Die Erforschung der spirituellen Wahrheiten verlangt eine innere Haltung der Ehrfurcht und Hingabe. Nicht das äußere Wissen, nicht das schnelle Aneignen von Begriffen führt zur Erkenntnis, sondern das Sich-Einleben in die großen geistigen Zusammenhänge. Die Ereignisse von Palästina, das Christus-Ereignis, sind nicht nur historische Tatsachen, sondern geistige Realitäten, die sich in der Akasha-Chronik, in der geistigen Welt, ablesen lassen. Die Evangelien sind wertvolle Urkunden, doch ihr wahrer Gehalt erschließt sich erst, wenn der Blick für die geistigen Hintergründe geweitet wird, wenn die Seele sich öffnet für die Impulse, die von den großen Individualitäten der Menschheit, den Bodhisattvas, ausgehen. Das Markus-Evangelium steht im Mittelpunkt einer neuen Betrachtung, die nicht bei der bloßen Erklärung der Schrift stehenbleibt, sondern das Christus-Problem in seinem Zusammenhang mit der gesamten Menschheitsentwicklung beleuchtet. Die Geisteswissenschaft ist berufen, das Christus-Ereignis in die Sprache der Gegenwart zu übersetzen, damit die Menschen der heutigen Zeit ein neues Verständnis für die christlichen Wahrheiten gewinnen können. Die bisherigen Jahrhunderte haben vieles vorbereitet, doch die Gegenwart verlangt nach einer Vertiefung, nach einer Erweiterung des Bewusstseins, die auch die großen Strömungen des Ostens, die Begriffe wie den des Bodhisattva, in das Verständnis des Christus einbezieht. Im menschlichen Seelenleben offenbart sich die Möglichkeit der höheren Erkenntnis. Die Seele ist eingebettet in ein Gefüge von Wesensgliedern, die sich in der Geschichte der Menschheit unterschiedlich entfalten. Die fünfte Kulturepoche bringt neue Aufgaben mit sich: Die Bewusstseinsseele tritt hervor, das individuelle Ich wird zur zentralen Kraft. Die Zeichen des Makrokosmos, wie sie im Markus-Evangelium erscheinen, sind Ausdruck der geistigen Gesetzmäßigkeiten, die das Weltgeschehen durchdringen. Die beiden großen Kulturströme der nachatlantischen Zeit, die Sonnen- und die Mondenströmung, wirken in der Menschheitsentwicklung fort und finden ihren Höhepunkt im Christus-Impuls. Der Sohn Gottes und der Menschensohn stehen in einem tiefen Zusammenhang. Das Opfer des Orpheus, das in der antiken Mystik lebendig war, weist hin auf das Opfer des Christus, das die Menschheit auf eine neue Stufe hebt. Die höheren Wesensglieder des Menschen, das Ich, der Geist, die Seele, stehen in einem rhythmischen Verhältnis zum physischen Leib und zur Umwelt. In der Bewusstseinsseele vollzieht sich das Evangelium der Freiheit, das Markus-Evangelium wird zum Evangelium der Bewusstseinsseele. Die Religion Jahves, die Mondenreligion, spiegelt sich im Arabismus, während die Buddha-Merkur-Strömung in das Rosenkreuzertum einmündet. Die Märchendichtung birgt rosenkreuzerisches Weisheit, sie ist ein Ausdruck der verborgenen geistigen Strömungen, die in der Menschheitsgeschichte wirken. Kyrios, der Herr der Seele, ist der Christus, der im Innersten des Menschen lebendig werden will. Die Geheimnisse des Markus-Evangeliums offenbaren sich dem, der bereit ist, die Sprache der Hierarchien zu hören, die Stimme des Angelos und die Sprache der Exusiai zu vernehmen. Die geistige Welt spricht in Bildern, in Symbolen, in Rhythmen, und der Mensch ist berufen, diese Sprache zu lernen, um seinen Platz im Kosmos zu erkennen und aus der Kraft des Christus-Impulses zu handeln. 125) Der geistige Mensch sucht nach Wegen, um das Alltägliche mit dem Ewigen zu durchdringen. In der Gestalt des Novalis offenbart sich, wie das Streben nach Geist-Erkenntnis kein Abheben in eine phantastische Welt bedeutet, sondern das reale Leben mit Sinn und Tiefe erfüllt. Die innere Wahrhaftigkeit ist die Voraussetzung für jedes spirituelle Erleben. Nur wer sich selbst ehrlich gegenübertritt, kann den Zugang zur geistigen Welt finden. Das Erscheinen des Christus im Ätherischen ist eine Realität, die in unserer Zeit immer mehr Menschen erfassen können, und die Geisteswissenschaft hat die Aufgabe, auf dieses Ereignis vorzubereiten. Die Philosophie Hegels zeigt, wie das Denken sich zur absoluten Idee erhebt und wie der Monismus Hegels einen Gegensatz zur Monadologie von Leibniz bildet. Die materialistische Denkweise, die im 19. Jahrhundert siegte, wird durch neue methodologische Ansätze herausgefordert. Strenge Denkdisziplin ist der Wegbereiter für das Übersinnliche. Die Geisteswissenschaft fordert, dass wir nicht nur im Denken, sondern auch im Leben den Weg zum Geistigen suchen. Die moderne Seele steht vor einem Abgrund zur entgötterten Natur. Die Eroberung der äußeren Welt hat zu innerer Verödung geführt. Mystik und Okkultismus sind zwei Wege zum Geistigen: der Mystiker sucht das Göttliche im Innern, der Okkultist erkennt die Gesetzmäßigkeit in der äußeren und inneren Welt. Die Zahl ist dem Okkultisten ein Leitfaden, und die Welt kann von zwölf verschiedenen Standpunkten aus erkannt werden. Der Mensch lebt nicht nur im Physischen, sondern verarbeitet äußere Erlebnisse durch den Astralleib und außersinnliche durch das Ich. Die Aufnahme der Geisteswissenschaft geschieht durch Enthusiasmus und Liebe, und seelische Vorgänge wirken auf die Aura. Die Erkenntnis der eigenen Wesenheit führt durch das Untertauchen in andere Wesen. Die Selbsterkenntnis ist nicht das bloße Betrachten des eigenen Inneren, sondern das Erleben der eigenen Begierden und Leidenschaften als Wesenheiten. Das Rosenkreuzermysterium zeigt, wie der Mensch durch die Pforte der Einweihung schreitet, wie karmische Fäden hinter dem physischen Geschehen wirken und wie das individuelle Karma vom Weltkarma durchkreuzt wird. Die astralische Welt ist Realität und Maja zugleich, und die Sprache muss sich bemühen, die geistigen Wesen und Vorgänge angemessen zu schildern. Die alten Urkunden und Evangelien erzählen von der Entwicklung der Welt und der Menschennatur. Das Christus-Ereignis ist der Wendepunkt, an dem das Göttliche in der Menschheit neu geboren wird. Die Tragik der Erkenntnis, wie sie bei Empedokles auftritt, und das Damaskuserlebnis des Paulus zeigen, wie sich das Geistige immer wieder in der Geschichte offenbart. Die Phantasie ist die Vorstufe höherer Seelenfähigkeiten. Sie ist nicht bloß ein Spiel der Einbildung, sondern hat reale Grundlagen im Geistigen. Durch Konzentration und Meditation entwickelt der Mensch seelische Kräfte, die ihn zur objektiven Erkenntnis geistiger Tatsachen führen. Neid und Lüge mindern den Wert des Menschen und sind Folgen luziferischer und ahrimanischer Einflüsse. Ihre karmischen Folgen wirken in dieses und in künftige Inkarnationen. Mitgefühl und Hilfe tragen zur Überwindung dieser Impulse bei. Vor Christus wurde das Gemeinschaftsgefühl durch das Zurückblicken auf den gemeinsamen Ursprung gestärkt, nach Christus durch das Hinblicken auf das geistige Ziel der Menschheit. Anthroposophie muss zur Lebenspraxis werden. Die schädlichen Auswirkungen von Lügenhaftigkeit und Neid auf Astral- und Ätherleib können überwunden werden, wenn der Mensch sich der geistigen Zusammenhänge bewusst wird. Wohlwollen und Zufriedenheit wirken sich günstig auf das Karma aus. Das Weihnachtsfest trägt eine tiefere Bedeutung, die in der heutigen Zivilisation oft verloren gegangen ist. Der Herabstieg des Menschen durch den Sündenfall und sein Wiederaufstieg durch Christus sind die großen Themen, aus denen eine neue Weihnachtsstimmung erwachsen kann. Die Symbole des Christfestes und die alten Spiele zeigen, wie das Ewige sich im Vergänglichen ausdrückt. Das geistige Erfassen des Weihnachtsfestes führt zum großen Osterfest der Menschheit. 126) Es gibt eine Geschichte, die nicht in den äußeren Ereignissen allein zu finden ist, sondern in den verborgenen Strömungen, die durch die Menschheit fließen. Die gewöhnliche Geschichtsschreibung bleibt an der Oberfläche, sie sieht nur das, was sich in Raum und Zeit abspielt, und übersieht die tieferen Zusammenhänge, in denen geistige Wesenheiten und höhere Hierarchien auf das Menschengeschick einwirken. Was in den Mythen und Sagen der Völker lebt, ist nicht bloße Phantasie, sondern ein Nachklang uralter hellseherischer Erkenntnisse, durch die die Menschen einst unmittelbar mit der geistigen Welt verbunden waren. In jenen Bildern offenbaren sich Wahrheiten, die der nüchternen Wissenschaft verborgen bleiben. Die Entwicklung der Menschheit ist getragen von Individualitäten, die als Werkzeuge höherer Mächte wirken, und es gibt Momente, in denen diese Kräfte besonders sichtbar werden. So war es bei der Jungfrau von Orleans, deren Eingreifen das Zusammenspiel der europäischen Völkerindividualitäten ermöglichte und der Geschichte eine neue Richtung gab. Auch in Gestalten wie Gilgamesch und Eabani, in den Kentaurenbildern, zeigen sich die okkulten Hintergründe, in denen das Geistige sich in das Physische projiziert. Die Inkarnationen der Menschen werden nicht nur durch individuelles Karma bestimmt, sondern auch durch Einflüsse aus anderen Welten. Das Ich webt sich in sich selbst ein, und der Weg führt von der alten Hellsichtigkeit zu einer immer persönlicheren Kultur. Die Katharsis, wie sie Aristoteles beschreibt, ist ein Ausdruck dieses inneren Webens, das durch Furcht und Mitleid den Menschen reinigt und formt. Mit unserer Zeit beginnt ein neues Wiederaufsteigen zu hellseherischen Kulturen. Die Ursprache, in der Gedanke und Laut noch eine Einheit bildeten, klingt in der Sprache der Sumerer nach. Die Kultbauten der Babylonier sind nach den Maßen des Himmels und des Menschen errichtet, und im babylonischen Turmbau lebt das Symbol, dass der Mensch auf seine einzelne Persönlichkeit beschränkt wurde. Die chaldäische Mysterienkultur mit ihrer Zahlentechnik, die Ausprägung des reinen Menschentums in Griechenland, das alles sind Stationen auf dem Weg der Menschheit. In Julian Apostata lebt noch einmal der Versuch, das Geistige zu bewahren. Die Fäden der Menschheitsentwicklung verbinden die einzelnen Persönlichkeiten mit dem großen Strom der Geschichte. Die Geister der nächsten Hierarchie fließen in die Menschenseelen ein, und die Geister der Form wirken durch die äußeren Formen der Natur. Knotenpunkte der Entwicklung stehen im Zusammenhang mit den Bewegungen der Erde und den kosmischen Verhältnissen. Die atlantische Katastrophe und die Impulse des Jahres 1250 sind Beispiele für solche Wendepunkte, an denen neue Strömungen beginnen und alte abflauen. Es gibt aufsteigende und absteigende Zyklen, Katastrophen und Revolutionen, die die Seelen und Geister der Menschheit verwandeln. Das reine Menschentum, das sich im Griechentum ausdrückt, ist vorbereitet durch die babylonische Kultur und das Mysterienwesen der Vorzeit. Was in den Tempelstätten von höheren Wesenheiten in die Seelen getragen wurde, lebt in der Kunst, Philosophie und im Volkscharakter der Griechen weiter. Doch der große Weisheitsstrom zerfällt im Laufe der Zeit in Einzelströmungen, und das Staatsleben, das Zweckmäßige, gewinnt die Oberhand. Im Stoizismus, Epikureismus und Skeptizismus wird der Mensch auf seine eigene Seele zurückgeworfen; im Neuplatonismus sucht der Einzelne im mystischen Aufstieg die Wahrheit. Doch auch das verrinnt, bis im Jahr 1250 eine neue Inspiration beginnt, die die Wahrheitsfrage wieder in den Mittelpunkt stellt und sie mit dem Guten und Praktischen verbindet. Mit Kant beginnt eine neue Verfallszeit, aber aus den Volksinstinkten steigen Ahnungen eines neuen Aufstiegs auf. Die Göttersöhne der vorgriechischen Zeit, die Weisen Griechenlands, die Patriarchen und Propheten der Hebräer, die Heiligen der nachgriechischen Völker – sie alle tragen das Spirituelle durch die Zeiten. Das Frühere geht in das Spätere über, und in Persönlichkeiten wie Novalis zeigt sich, wie das Geistige in neuer Form wiederkehrt. 127) In den verschiedenen Zeitaltern der Menschheitsentwicklung wandeln sich die Kräfte, die den Menschen durchdringen. In älteren Epochen waren die Seelenkräfte nach innen gewandt, wie es zwischen Augustinus und Calvin zu beobachten ist. Im naturwissenschaftlichen Zeitalter kehren sich diese Kräfte nach außen, doch darauf folgt eine spirituelle Kultur, in der das Geistige wieder in den Mittelpunkt rückt. Jede Epoche verlangt, dass Religion, Wissenschaft und soziales Leben sich entsprechend der Entwicklung der menschlichen Wesensglieder wandeln. In unserer Zeit ist der Übergang vom Persönlichen zum Unpersönlichen notwendig: Das zeigt sich einerseits im Loslösen des Geldverkehrs von der Persönlichkeit, andererseits im Hinwenden der Persönlichkeit zu inspirierenden Mächten. Die Geisteswissenschaft wird Führerin zum religiösen Erleben, zur spirituellen Durchdringung der Wissenschaft und zu einer neuen Lebenspraxis. Moralische Eigenschaften wirken auf das Karma: Neid ist luziferischen, Lüge ahrimanischen Ursprungs. Unterdrückter Neid wird in derselben Inkarnation zur Tadelsucht, unterdrückte Lügenhaftigkeit zur Scheuheit, und im nächsten Leben zeigen sich diese Eigenschaften als leibliche Mängel. Das Staunen ist eine Funktion des Astralleibes, und die rechte Gemütsstimmung des Erziehers ist entscheidend für die Entwicklung des Kindes. Die Empfindungsseele nimmt äußere Eindrücke auf, in der Verstandes- oder Gemütsseele erwacht das Ich, und durch die Bewusstseinsseele sondert sich der Mensch von der Welt ab. An der Grenze zwischen diesen Seelengliedern greifen Engel und Erzengel ein, und die Geister der Persönlichkeit wirken dort, wo der Mensch mit der Umwelt in Beziehung tritt. Luziferische und ahrimanische Wesenheiten wirken den Engeln und Erzengeln entgegen, doch ohne diese Widersacher könnte der Mensch keine Freiheit entwickeln. Die moralische Verantwortung des Einzelnen wächst mit der Reife der Seelenglieder zur Freiheit. In der ägyptischen Kulturepoche war die Bindung von Äther- und Astralleib an den physischen Leib locker, sodass Kräfte höherer Wesenheiten einströmen konnten. Im Griechentum herrschte Einklang zwischen der Schönheit der Seele und des Körpers. Künftig muss der Mensch bewusst Kräfte aus dem Geistigen schöpfen. In den ersten Lebensjahren arbeitet das Ich an den Hüllen des Kindes, getragen von der Weisheit der Kindheitsseele. In diesen Jahren ist der Mensch Gottessohn, später Menschensohn, Träger des Ich-Bewusstseins. Mit theoretischer Aneignung von geisteswissenschaftlichen Wahrheiten ist es nicht getan. Der Mensch muss Geduld und Gleichmaß entwickeln, um spirituell zu reifen. Die alte Weisheit ist erloschen, an ihre Stelle muss eine durchchristete Geist-Erkenntnis treten. Das Durchdringen des Astralleibes mit Weisheit, des Ätherleibes mit Frömmigkeit und des physischen Leibes mit Lebenssicherheit ist entscheidend für die Erdenevolution. Das Ich formt in den ersten Lebensjahren unter Leitung höherer Wesenheiten das Gehirn. Mit dem Erwachen des Ich-Bewusstseins erlischt die Verbindung zur geistigen Welt. Die Zweiheit von Gottessohn und Menschensohn spiegelt sich in der menschlichen Entwicklung. Die Schädelform ist ein Ergebnis früherer Inkarnationen. Die Kräfte des Gottessohnes können im späteren Leben wiederbelebt werden. Der Zusammenhang zwischen dem Gottessohn im Menschen und dem Christus-Ereignis offenbart sich auch im Heilen durch Handauflegen. Moralisch nicht zu rechtfertigende Handlungen wirken krankmachend auf den Menschen. Ideale wirken gesundend auf den Astralleib. Die Seele, die von geistigen Wahrheiten erfüllt ist, überwindet den Materialismus und gewinnt Lebenssicherheit. Die Beziehung des Menschen zur Umwelt wird durch die Ätherstrahlen der Hände und durch die ätherische Funktion der Schilddrüse vermittelt. Unmoralisches Handeln schädigt nicht nur den Einzelnen, sondern die Menschheit als Ganzes. Die Einsicht in die Zugehörigkeit des Menschen zum Erdorganismus ist ein gewaltiger sittlicher Impuls. Christus ist das Urbild des Menschen. Von wahrer Weisheit strahlt Moralität aus. Die Theosophie schlägt eine Brücke vom Geistigen zum Tatsächlichen. Die Begriffe, die an der äußeren Wahrnehmung gebildet werden, müssen sich mit den Begriffen der geistigen Wahrnehmung verbinden. Das Ich ist umfassender als die Sphäre der Subjektivität. Die Pflicht zum Erkennen ist eine zentrale Forderung. Die Erbsünde entspringt der luziferischen Verführung vor dem Einzug des Ich. Durch das Schuldigwerden des Astralleibes sank der Mensch in der Ich-Entwicklung immer tiefer. Die Erbsünde ließ den Menschen aus geistigen Höhen in das physisch-materielle Dasein herabsteigen, damit er sich zu einem freien Wesen entwickeln kann. Die Gnade wird zum Äquivalent der Erbsünde, indem die Persönlichkeit wieder zum Geistigen hinaufstrebt und vom Christus-Impuls erfüllt wird. Die Sehnsucht nach wahrer Selbsterkenntnis wächst. Das Wissen von Reinkarnation und Karma gibt dem Leben Sinn. Die intellektuelle Erkenntnis muss von spiritueller Einsicht abgelöst werden. Das Christus-Ereignis ist der einmalige Schwerpunkt der Evolution. Die Gefahr des Irrtums wird durch die sieghafte Kraft der Wahrheit überwunden. Glaube, Liebe, Hoffnung entsprechen den drei seelischen Grundkräften. Der Mensch bleibt mit seinen Taten verbunden. Die Idee der wiederholten Erdenleben ist eine lebendige Nahrung für die Menschenseele. Das Märchen ist ein Zwischenglied zwischen Hellsehen und Verstandeswelt. Die Sprache muss auf ihren Ursprung im imaginativen Erkennen zurückgeführt werden. Der Weihnachtsgedanke weist auf den Ursprung der Menschheit hin. Ursprünglich wurde der 6. Januar als Erinnerung an die Geburt des Christus gefeiert. In dem Jesusknaben des Lukas-Evangeliums lebte eine Seele, die am Abstieg der Menschheit nicht teilgenommen hatte. Die geistig-kosmische Bedeutung der Heiligen Nächte offenbart sich im Weihnachtsfest. Der Weihnachtsbaum wird zum Symbol des inneren geistigen Lichtes, und die Geburt des Sonnengeistes als Erdengeist wird gefeiert. 128) Zur Erkenntnis des Menschenwesens bedarf es einer tiefen Ehrfurcht vor der menschlichen Natur als Offenbarung des Weltengeistes. Nicht bloß aus Neugierde, sondern aus Pflicht gegenüber der göttlichen Bestimmung des Menschen muss die Selbsterkenntnis angestrebt werden. Der Mensch ist nicht um seiner selbst willen da, sondern als Ausdruck und Offenbarung des Göttlich-Geistigen. Wer wissend werden kann und es nicht will, verfehlt seine Aufgabe und wird zum Zerrbild des Weltengeistes. Das menschliche Wesen zeigt sich in einer Zweiheit: Auf der einen Seite steht das System von Gehirn und Rückenmark, auf der anderen der Ernährungsapparat. Das Gehirn ist umgewandeltes Rückenmark, älter als dieses, und ermöglicht das wache, überlegende Denken, während das Rückenmark traumähnlich und überlegungslos wirkt. In beiden wirkt eine Aura, die geistige Prozesse widerspiegelt. Das System der Stoffverarbeitung umfasst Lymphsystem, Blutgefäße, Herz, Milz, Leber und Galle. Die Tätigkeit dieser Organe ist nicht bloß materiell, sondern Ausdruck von Weltprozessen, die sich in Milz, Leber und Galle als Saturn-, Jupiter- und Marswirkungen verdichten. Das Nervensystem dient dem Astralleib, das Blut dem Ich. Während das Nervensystem differenziert ist, bleibt das Blut einheitlich und unmittelbar mit dem Ich verbunden. Durch innere Konzentrationsübungen kann die Wirkung der Nerven vom Blut getrennt werden, wodurch das Ich sich von äußeren Einflüssen löst. Mystische Versenkung in das eigene Innere verstärkt die Verbindung zwischen Blut und sympathischem Nervensystem. Die Milz schafft einen Eigenrhythmus im Menschen, der mit den Weltenrhythmen in Einklang gebracht werden muss. Mythenbilder wie die Sage von Kronos spiegeln diese physiologische Notwendigkeit wider. Die Organe sind Ausdruck geistiger Wirkungen. Milz, Leber und Galle rhythmisieren und verwandeln die Nahrung, passen sie dem Menschen an. Atmung und Blut verbinden den Menschen mit der Außenwelt, während das Herz als Begegnungsort der beiden Weltenkräfte wirkt. Das Nierensystem harmonisiert diese Kräfte. Die immateriellen Prozesse der Seele wirken auf den Ätherleib und werden durch Epiphyse und Hypophyse vermittelt, wodurch Gedächtnisvorstellungen gebildet werden. Der physische Leib ist ein Kraftsystem, in dem das Widerstandfinden zur Selbstwahrnehmung führt. Die äußere Gestalt des Menschen und seine Fähigkeiten entstehen durch formbildende Kräfte, die von innen nach außen wirken. Das Gehirn-Rückenmark-Nervensystem steht dem sympathischen Nervensystem gegenüber; Epiphyse und Hypophyse vermitteln zwischen beiden. Die Haut ist Ausdruck des Ich. Das Blut trägt das Ich durch den ganzen Organismus. Das Blutsystem ist das am stärksten vom Ich bestimm- und veränderbare Organsystem, während das Knochensystem als ältestes Ernährungssystem der Organisation entzogen bleibt. Das Knochensystem wirkt im Sinne des Ich, bleibt aber von ihm unbestimmbar; das Blut dagegen nimmt Ich-Prozesse lebendig auf. Das Blut ist das Werkzeug des Ich, das Gehirn-Rückenmark-Nervensystem ermöglicht bewusstes Leben, das sympathische Nervensystem hält das Bewusstsein vom inneren Weltsystem zurück. Knochensystem und Blut stehen für bewusste und unbewusste Ich-Organisation. Die materiellen Vorgänge begleiten alle Seelenprozesse: Denken, Fühlen, Wollen. Salzablagerungen, Quellungs- und Erwärmungsvorgänge entsprechen diesen Prozessen. Das Blut schützt die anderen Organsysteme und ist das unabhängigste von allen. Die menschliche Form ist Ausdruck eines übersinnlichen Kraftsystems. Die Nahrungsstoffe werden durch das innere Weltsystem verwandelt, das allem Organbilden zugrundeliegende Gewebe ist pflanzlicher Natur. Das Ich-Bewusstsein entsteht durch Öffnung nach außen, während dumpfes Bewusstsein durch Absonderung ins Lymphsystem entsteht. Das Herz öffnet sich durch die Lunge nach außen, indem es Kohlensäure und harnfähige Substanzen absondert. Die Metalle der Planeten stehen in Beziehung zu den Organen. Pflanzliche Stoffe wirken regulierend. Die Organtätigkeit wird durch das Blut bis zum Erwärmungsprozess verwandelt, unter dessen Einfluss Mitgefühl entsteht. Die Verwandlung der Wärme in Mitgefühl ist die Erdenmission des Menschen. Die Beziehung von Theosophie und Philosophie zeigt, dass die Philosophie im Abstrakten verharrt, während die Theosophie eine Brücke vom Geistigen zum Tatsächlichen schlägt. Begriffe der äußeren Wahrnehmung und der geistig-übersinnlichen Erkenntnis müssen zusammengeführt werden. Das Ich ist umfassender als die Sphäre der Subjektivität, und die Pflicht zum Erkennen ist eine Forderung der menschlichen Entwicklung. 129) In diesen Tagen stelle ich vor euch die großen Rätsel der Menschheitsentwicklung, wie sie in den alten Mysterien, in der griechischen Mythologie und in den Offenbarungen des Geistes verborgen liegen. Ich führe euch zurück zu den Ursprüngen der dramatischen Kunst, dorthin, wo Kunst, Religion und Wissenschaft noch eine ungeteilte Einheit bildeten, wie im Mysterium von Eleusis. Damals war das religiöse Leben so stark, dass es sich unmittelbar in künstlerische Formen ergoss und zugleich die Erkenntnis von den göttlichen Welten entzündete. Diese Einheit ist das Ziel, dem wir mit Geisteswissenschaft wieder entgegenstreben: die Harmonie von Kunst und Wissenschaft, die den Menschen in die göttlichen Höhen seines Daseins zurückführen kann. Ich zeige, wie in der griechischen Mythologie die geistige Welt lebendig war, wie die Götter nicht bloße Erfindungen, sondern Wesenheiten waren, die mit dem Menschen in Beziehung standen. Die Mysterien entstanden, um diese Beziehung zu pflegen und zu vertiefen. Die dreifache Hekate etwa weist auf die verschiedenen Ebenen des Seelischen und Geistigen hin, die der Mensch durchschreiten muss. Die großen Götter Zeus, Poseidon und Pluto entsprechen den makrokosmischen Kräften, die auch in der menschlichen Natur wirken. Sie spiegeln die Hüllen des Menschen wider, und ihre Zeichen sind Ausdruck einer okkulten Schrift, die zu lesen wir lernen müssen. Die pythagoräische Schule war ein Versuch, diese Zeichen zu deuten und das Geistige in der Welt zu erkennen. Dionysos steht für die Ich-Kräfte, die im Menschen erwachen. Das Eingreifen des Christus-Impulses in die Menschheitsentwicklung ist ein Ereignis, das die Naturauffassung durchgeistigt und die Wirksamkeit der Planetengötter in ein neues Licht rückt. Die griechische Götterwelt ist ein Abbild kosmischer Kräfte, und im Zusammenfließen der althebräischen und griechischen Strömung im Christus-Impuls vollzieht sich eine neue Stufe der Entwicklung. Die atlantischen Menschen, Dionysos Zagreus und der jüngere Dionysos stehen für verschiedene Entwicklungsstufen des menschlichen Ich. Die Ich-Wesenheit des Menschen formt seine Gestalt, und im Zug des Dionysos offenbart sich, wie die Mythologie der Griechen gleichsam Buchstaben einer Geologie des Geistes ist. Die dionysischen Mysterien führen den Menschen an die Schwelle der geistigen Welt, und der Sprachgenius offenbart sich als schöpferische Kraft. Die Seelenprüfungen, denen der Mensch begegnet, sind Prüfungen der Wahrheit, der Erkenntnis und der Liebe. Sie stehen im Zusammenhang mit den fortschreitenden Göttergenerationen und den zurückgebliebenen Wesenheiten. Das Mysterium von Golgatha ist ein welthistorisches Ereignis, das den Jehova-Impuls in den Christus-Impuls verwandelt. Die gegenwärtige Menschengestalt ist das Ergebnis langer Entwicklung, in der Adler-, Stier- und Löwenströmung zusammenwirken. Das Rätsel des Menschenwerdens offenbart sich in den Bildern der Sphinx und der Taube. Die Johannestaufe am Jordan ist ein Wendepunkt, an dem das Seelenleben und das Ich-Bewusstsein in neuer Weise entstehen. Alle Seelenprüfungen bewegen sich zwischen zwei Polen: dem Streben nach Wahrheit und dem Streben nach Liebe. Der makrokosmische Christus-Impuls, wie ihn Paulus verkündet, gibt der Menschenseele ihre Bestimmung, den Weg zur Freiheit und zur Liebe zu finden. Zum Abschluss richte ich den Blick auf Goethe, dessen Wirken in unserer Zeit ein Beispiel dafür ist, wie das Streben nach Erkenntnis und das künstlerische Schaffen sich durchdringen können. In ihm lebt eine Ahnung von dem, was die Geisteswissenschaft anzustreben hat: die Durchdringung des Lebens mit dem Geist, die Verwandlung des Alltäglichen durch das Licht des Übersinnlichen. 130) Im Menschen lebt ein innerstes Wesen, das nicht nur aus den Eindrücken der Sinne und den Gedanken über die Welt besteht, sondern das sich als ein geistiges Ich durch die Zeiten trägt. Dieses Ich ist eingebettet in die großen Zusammenhänge der Weltentwicklung und durchwandert verschiedene Daseinsformen, von Inkarnation zu Inkarnation. Die äußere Welt erscheint uns durch unsere Sinne, doch hinter allem Sichtbaren steht das Geistige, das sich im Menschen ebenso offenbart wie im Kosmos. Die Kräfte, die im Menschen wirken, sind dieselben, die auch die Welt durchdringen, und das Verständnis des eigenen Wesens führt zur Erkenntnis der geistigen Weltordnung. Die Entwicklung der Menschheit ist getragen von geistigen Führern, von Individualitäten, die als Bodhisattvas und schließlich als Christus-Impuls in die Geschichte eingreifen. Der Christus ist nicht nur eine historische Persönlichkeit, sondern ein kosmischer Impuls, der in das Erdenleben eingetreten ist, um die Menschheit zu erlösen und ihr einen neuen Weg zu eröffnen. Das Mysterium von Golgatha ist das zentrale Ereignis der Menschheitsentwicklung, durch das sich das Göttliche mit dem Irdischen verbunden hat. Seitdem wirkt der Christus nicht mehr nur von außen, sondern als ätherische Kraft im Inneren der Menschen, verwandelt das Blut und durchdringt das menschliche Ich mit einer neuen Lebenssubstanz. Es ist notwendig, die Beziehung zwischen Buddha und Christus zu verstehen. Der Buddha brachte der Menschheit die Lehre der Erlösung vom Leiden durch Erkenntnis und inneres Gleichgewicht. Doch der Christus-Impuls führt darüber hinaus: Er schenkt dem Menschen die Kraft, durch Liebe und Opfer das eigene Ich zu überwinden und sich mit dem Geistigen zu verbinden. Die Bodhisattvas wirken als geistige Lehrer, die die Menschheit vorbereiten, bis der Christus selbst als Sonnenwesen auf die Erde herabsteigt und das Mysterium von Golgatha vollzieht. Die Rosenkreuzerweisheit zeigt, wie das Christentum in esoterischer Weise verstanden werden kann. Es geht nicht um äußere Dogmen, sondern um die innere Erfahrung der geistigen Wirklichkeit. Der Mensch ist berufen, durch Selbsterkenntnis, durch die Entwicklung von Glaube, Liebe und Hoffnung, die Stufen des menschheitlichen Lebens zu durchschreiten und sein Karma zu erkennen. Das Verständnis des eigenen Schicksals, der Zusammenhang von Ursache und Wirkung im Leben, führt zur Einsicht in die geistigen Gesetze, die das Dasein bestimmen. Das Karma ist nicht bloß eine abstrakte Lehre, sondern eine lebendige Wirklichkeit, die den Menschen auffordert, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen und die Konsequenzen seiner Taten zu tragen. Die geistige Führung der Menschheit geschieht durch hohe Individualitäten, die als Lehrer und Führer wirken, aber auch durch das Wirken des eigenen höheren Ichs, das in jedem Menschen angelegt ist. Die Aufgabe des modernen Menschen ist es, das Geistige in sich zu erwecken, die Verbindung mit dem Christus-Impuls zu suchen und so an der geistigen Entwicklung der Menschheit mitzuwirken. Die Mission des Christian Rosenkreutz besteht darin, das esoterische Christentum lebendig zu halten und die Menschen auf den Weg der Einweihung zu führen. Die Mission des Buddha auf dem Mars weist darauf hin, dass die geistige Entwicklung nicht auf die Erde beschränkt ist, sondern kosmische Dimensionen hat. Die sieben Prinzipien des Makrokosmos spiegeln sich im Menschen, und das moralische Gesetz in uns ist verbunden mit dem gestirnten Himmel über uns. So offenbart sich in der geistigen Schau, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Einweihung ist, dass das Göttliche sich in immer neuen Formen offenbart und der Mensch berufen ist, durch Erkenntnis, Liebe und Opfer an der geistigen Führung der Welt teilzunehmen. 131) Das Geheimnis des Christus-Wesens kann nicht durch bloße historische Forschung erfasst werden, denn die äußeren Dokumente und Evangelien geben kein vollständiges Bild, sondern sind Einweihungsschilderungen, die von tieferen geistigen Realitäten zeugen. Das Christentum ist aus den Mysterien des Altertums hervorgegangen, und nur wer die geistigen Hintergründe der alten Mysterien kennt, kann das Christus-Ereignis in seinem wahren Wesen begreifen. In den ägyptischen, griechischen und persischen Mysterien wurde der Mensch vorbereitet, in sich das Göttliche zu erleben, doch erst durch das Mysterium von Golgatha ist das Göttliche selbst in die menschliche Entwicklung eingetreten. Zwei große Strömungen wirken in der europäischen Geistesgeschichte: das Jesus-Prinzip, das sich im Jesuitismus ausdrückt, und das Christus-Prinzip, das im Rosenkreuzertum lebt. Die Initiation der Rosenkreuzer führt zur bewussten Geist-Erkenntnis, während der jesuitische Weg auf den Willen zielt. Die rosenkreuzerische Einweihung offenbart die Lehre von Reinkarnation und Karma in neuer Weise und führt zur inneren Erfahrung des Christus-Ereignisses. Durch die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle und die Überwindung der Versuchung kann der Mensch das Christus-Mysterium im eigenen Seelenleben erleben. Drei Erkenntnisquellen stehen offen: die Evangelien, die hellseherische Forschung und der Glaube als Weg der Selbsterkenntnis. Der Christus hat das karmische Richteramt übernommen, so dass der Mensch nicht mehr an das Gesetz der physischen Abstammung gebunden bleibt, sondern durch die Verbindung mit dem Christus neue Wege der Entwicklung beschreiten kann. Jesus von Nazareth war ein wahrer Mensch, und in seinem Leib hat sich die Christus-Individualität mit der Menschheit verbunden, um den Sündenfall auszugleichen. Der Weg zum Schauen des Christus führt über die Hingabe an die geistigen Wahrheiten. Die Evangelien sind nicht bloß Überlieferungen, sondern sie spiegeln geistige Realitäten, die in der Akasha-Chronik lebendig sind. Der innere Weg zum Christus führt über das Erleben des Logos im eigenen Gemüt zur christlichen Einweihung. Die Auferstehung ist der Kern des Christentums. Der physische Leib des Menschen ist durch den Sündenfall dem Verfall unterworfen, doch durch das Christus-Ereignis wird das verlorene menschliche Phantom, die reine Formgestalt des Leibes, wiederhergestellt. Der Christus ist der zweite Adam, der einen unverweslichen Leib offenbart hat, und durch ihn kann der Mensch das verlorene Prinzip des Menschseins wieder empfangen. Die Verkörperung des Christus in einem physischen Leib ist ein einmaliges Ereignis der Menschheitsgeschichte. Der physische Leib des Menschen ist Spiegel der Seele, aber durch den Sündenfall wurde das Phantom des Leibes zerstört. Der auferstandene Leib des Christus ist das gereinigte Phantom, das dem Menschen als Zukunftsperspektive offensteht. Die beiden Jesusknaben, die Zarathustra-Individualität und der Einfluss der Buddha-Kräfte bereiten das Mysterium von Golgatha vor. In der Jordantaufe tritt der Christus in den Leib des Jesus ein, um das Opfer der Erlösung zu vollbringen. Die Schrift erfüllt sich in der Erscheinung des Auferstandenen, wie sie Paulus vor Damaskus erlebt hat. Jeder einzelne Mensch steht in Beziehung zum Christus-Impuls. Der luziferische Einfluss wirkt objektiv in Sünde, Lüge und Irrtum, aber der Christus hat durch seine Tat die Möglichkeit der Erlösung geschaffen. Der exoterische Weg führt über das Abendmahl und die Evangelien, der esoterische Weg über Meditation und Konzentration zur geistigen Kommunion mit dem Christus. Die christliche Einweihung führt in sieben Stufen zum Empfang des Phantoms des Auferstandenen. Der Christus ist der karmische Richter, der die Wiederverkörperung in neues Licht stellt. Das zweite Christus-Ereignis wird den Blick des Menschen für die Vergangenheit erhellen. Das Opfer des Christus ist ein freiwilliges, das dem Menschen die Möglichkeit gibt, das Gute durch das Wort in die Welt zu bringen. 132) Am Anfang der Weltentwicklung steht das Saturndasein, in dem alles, was heute an innerer Festigkeit und Sicherheit im Menschen lebt, seinen Ursprung hat. Die Begegnung mit dem Saturndasein bedeutet für die Seele ein Erschauern vor einer unendlichen Leere, die nur durch Mut und innere Kraft überwunden werden kann. In dieser Urzeit wirken die Geister des Willens, Wesenheiten, die aus reinem Mut bestehen und in einem Meer des Geistes leben, das noch keine Zeit und keinen Raum kennt. Erst durch das Opfer dieser Geister des Willens, die ihre eigene Wesenheit den Cherubim hingeben, wird die Zeit geboren. Die Zeitgeister entstehen aus diesem Opfer, und alle Wärme, die heute existiert, ist ein Nachklang dieser uranfänglichen Opferhandlung. Mit dem Übergang zur Sonnenentwicklung tritt zur Wärme die Luft als Ausdruck der Geister der Weisheit hinzu. Diese Geister der Weisheit ergießen ihr Wesen in hingebungsvoller Betrachtung der Opfer der Throne in das Weltall. Aus dem Opferrauch, der Luft, entstehen an der Sonnenkugel die Erzengel, die das Geschenk der Geister der Weisheit in Licht zurückstrahlen. In diesem Geschehen bildet sich der Raum, indem das Früher und das Später, das Innen und das Außen auseinander hervorgehen. Die Erzengel bewahren das Früher als Boten des Urbeginns. Durch das Christusgeschehen werden all diese Kräfte auf die Erde gebracht, wie es im Abendmahl von Leonardo sichtbar wird. Die Wirklichkeit der Wärme ist Opfer, die der Luft schenkende Tugend. Doch nicht alle Cherubim nehmen das Opfer der Geister des Willens an; ein Teil verzichtet darauf. Aus dieser Resignation entsteht im Inneren der Sonne eine Ringwolke, wo das aufsteigende und das zurückgehaltene Opfer sich begegnen. Die resignierenden Cherubim erringen so die Zeitlosigkeit, die Ewigkeit, und aus ihrer Resignation entsteht das Wasser. Die zurückgewiesene Opfersubstanz wird von luziferischen Wesen ergriffen, wodurch der Widerstand, das Böse, entsteht. Die Opferung des Isaak ist ein Bild für die Resignation Gottes auf das Opfer, und Leonardos Abendmahl zeigt den Verzicht des Christus durch die Aufnahme des Judas in den Kreis der Apostel. Die Wahrheit dieses Bildes wird vom Betrachter unbewusst aufgenommen. In den Geistern des Willens, auf deren Opfer die Cherubim verzichten, erwacht die Sehnsucht. Es ist ein Wille, der sich nicht ausleben kann, und so blitzt in ihnen die Egoität auf. Die Geister der Bewegung treten auf und bringen Veränderung ins Weltall. Die Sehnsucht der Geister des Willens wird teilweise gestillt durch die wechselnden Bilder, die ihnen entgegentreten. Diese uralte Sehnsucht lebt auch heute noch im Unterbewusstsein des Menschen und sucht ihre Befriedigung in der Geisteswissenschaft. Wer sie nicht findet, wie Heinrich von Kleist, wird ihr Opfer. Um das Wahrhaftige hinter den äußeren Welterscheinungen zu finden, muss der Blick auf die eigenen Seeleneigenschaften gerichtet werden. Ein gesundes Wissen ist eingerahmt von Staunen und Beseligung über das gelöste Rätsel. Der alte Mond trägt einen melancholischen Charakter, weil die zurückgewiesenen Opfer der Geister des Willens in ihm wirken. In der biblischen Geschichte von Kain und Abel spiegelt sich diese Entfremdung der Opfersubstanz von ihrem Ursprung wider, die beim Zurückströmen zu den Geistern des Willens zum Tod wird. Aller Tod ist das Ausgeschlossensein einer Weltensubstanz von ihrem eigentlichen Sinn und das einzig Wahrhaftige innerhalb der Welt der Maja. Bei Mineral, Pflanze und Tier ist der Tod verschieden, doch beim Menschen führt er zur Entwicklung des Ich-Bewusstseins. Die Überwindung des Todes durch Christus hat kein geistiges Urbild, sondern konnte nur auf der Erde geschehen. Das Verständnis des Mysteriums von Golgatha kann nur auf der Erde errungen werden. Wie Paulus vor Damaskus dieses Ereignis erlebte, so wird es in immer mehr Menschen lebendig werden. Die Wissenschaft steht zur Wahrheit in einem Verhältnis, das nur durch das Ergreifen des Wahrhaftigen in der eigenen Seele überwunden werden kann. 133) Der Mensch lebt als ein doppeltes Wesen: als irdischer Mensch, der mit seiner physischen Leiblichkeit, seinen Sinnen und seinem Verstand in der Welt steht, und als kosmischer Mensch, der mit seinem innersten Wesen, seinem Ich, seiner Seele und seinem Geist in die geistigen Welten hineinragt. Die irdische Existenz ist von Geburt und Tod begrenzt, doch das eigentliche Wesen des Menschen reicht weit über diese Grenzen hinaus. Die geistige Entwicklung des Menschen ist eingebettet in große kosmische Zusammenhänge, die sich durch die Epochen der Menschheitsgeschichte entfalten. Die spirituelle Wissenschaft zeigt, dass der Mensch nicht nur Produkt der Erde und ihrer Kräfte ist, sondern dass in ihm die Kräfte des ganzen Kosmos wirken. In der Gestaltung des menschlichen Leibes, in seinen Organen und Gliedmaßen, spiegeln sich die Wirkungen von Sonne, Mond und Planeten, von Tierkreis und Sternen. Die Erde selbst ist nur ein Glied in einer großen Reihe von Weltentwicklungen, und der Mensch ist der Träger der geistigen Früchte dieser kosmischen Evolution. Der Mensch ist berufen, das Geistige, das in ihm lebt, auch in die äußere Welt zu tragen. Die Kunst, die Wissenschaft, das soziale Leben – all das soll durchdrungen werden vom Licht der Geisteswissenschaft, damit das Spirituelle nicht nur Theorie bleibt, sondern lebendige Wirklichkeit wird. Die Aufgabe der Anthroposophie ist es, das spirituelle Leben in alle Zweige des Daseins hineinzutragen. Die geistige Forschung zeigt, dass die großen Mysterien der Vergangenheit, die Einweihungen der alten Völker, die Entwicklung des Christentums, und das Mysterium von Golgatha in einem tiefen Zusammenhang mit der Entwicklung des Menschen stehen. Die Christus-Kraft ist die zentrale Kraft der Erdenentwicklung, und das Verständnis des Christus-Mysteriums ist der Schlüssel zum Verständnis des Menschen und seiner Zukunft. Die Individualität des Menschen, sein Ich, ist das, was ihn mit der geistigen Welt verbindet und ihm die Möglichkeit gibt, sich immer weiter zu entwickeln, über Tod und Geburt hinaus. Die geistige Schulung verlangt Ernst, Ausdauer und Hingabe. Sie ist kein bequemer Weg, sondern fordert die ganze Kraft des Denkens, Fühlens und Wollens. Doch sie führt zu einer Vertiefung des Lebens, zu einer neuen Erkenntnis der Welt und des Menschen, zu einer Bewusstwerdung der eigenen geistigen Herkunft und Aufgabe. In der Pflege des inneren Lebensraumes, in der Gestaltung von Räumen, in denen das Geistige gepflegt werden kann, liegt eine wichtige Aufgabe für die Zukunft. So soll das, was hier in diesen Vorträgen ausgesprochen wird, nicht nur Wissen vermitteln, sondern zur Tat im Leben werden, damit der Mensch sich als irdisches und kosmisches Wesen erkennt und seine Aufgabe im großen Zusammenhang der Welt erfüllt. 134) Die Welt der Sinne breitet sich vor mir aus mit all ihrer Herrlichkeit, mit dem Glanz des Sonnenaufgangs, dem Wunder des Sternenhimmels, mit all den Erscheinungen, die durch Auge, Ohr und die übrigen Sinne in meine Seele strömen. In diesem äußeren Kosmos, in der Fülle der Natur, spiegelt sich das große Werk der Götter: der Mensch. Ich erkenne, wie der Mensch als Zusammenfluss aller Einseitigkeiten des Universums dasteht, wie in ihm die Kräfte und Offenbarungen der Welt zur Einheit werden. Die Götter haben das Weltall erbaut, damit zuletzt im Menschen ihr würdigstes Werk erscheine. So kann ich staunend und bewundernd auf mich selbst als Mensch blicken, als ein Wesen, das die Welt in sich trägt. Doch wende ich den Blick nach innen, so steigen in mir die moralischen Ideale auf, die Ziele, die ich mir setze, die Kräfte, die mich zur Entwicklung drängen. Ich empfinde die Hoheit und Kraft dieser Ideale, ihre überwältigende Größe. Und in dem Maße, wie ich diese Ideale wirklich ergreife, wächst das Bewusstsein meiner eigenen Unzulänglichkeit, meiner Entfernung von dem, was ich sein sollte. Je größer meine Seele, desto tiefer empfinde ich, wie wenig ich diesen Idealen entspreche. Doch gerade aus dieser Spannung, aus dem Ringen um Annäherung an das Ideale, erwächst die Kraft zur Entwicklung, zur Verwandlung meines Wesens. So stehe ich zwischen zwei Welten: der Welt der Sinne, in der ich als Ergebnis göttlicher Schöpfung erscheine, und der Welt des Geistes, in der ich mich als werdendes, sich entwickelndes Wesen erfahre. Die Sinneswelt gibt mir die Gewissheit, dass ich als Mensch ein Werk der Götter bin; die geistige Welt stellt mir die Aufgabe, mich zu einem solchen Wesen zu machen, das den Idealen immer näherkommt. In der Gegenwart tobt der Kampf zwischen zwei Strömungen: der materialistischen, die alles auf das Äußere, auf das Sinnliche zurückführt, und der spirituellen, die den Ursprung und das Ziel des Menschen im Geistigen erkennt. Oft ist es schwer zu unterscheiden, wo echter Geist und wo maskierter Materialismus wirkt. Doch nur durch die Verbindung beider Welten, durch das Bewusstsein der göttlichen Herkunft des Menschen und durch das Streben nach moralischer Vervollkommnung, kann ich den Weg zu einer wahrhaft menschlichen Entwicklung finden. Die Geisteswissenschaft, die Anthroposophie, will mir helfen, diese Brücke zu schlagen: von den alltäglichen Erfahrungen des Lebens zu den höchsten Angelegenheiten der Menschheit. Sie will mir die Kräfte geben, die ich brauche, um den Herausforderungen des Lebens gewachsen zu sein, um Sicherheit, innere Ruhe und Frieden zu finden. Ohne diese geistige Strömung würde die Menschheit in unserer Zeit all das verlieren, was sie zum Leben braucht. So nehme ich auf mich die Aufgabe, im Licht der Anthroposophie die Welt der Sinne und die Welt des Geistes zu durchdringen, die Gegensätze zu verbinden und im eigenen Inneren die Kraft zu finden, die mich zum wahren Menschen macht. 135) Der Mensch trägt einen geistig-seelischen Wesenskern in sich, der durch wiederholte Erdenleben geht. Was den Menschen von Inkarnation zu Inkarnation trägt, ist nicht das, was im gewöhnlichen Denken und in den abstrakten Gedanken lebt, denn diese sind an die leibliche Organisation gebunden und werden beim Tod abgelegt wie der physische Leib. Was aber mitgeht, sind Gewohnheiten, Neigungen, Triebe, Willensimpulse. Um zu einer wirklichen Anschauung von Reinkarnation und Karma zu kommen, genügt es nicht, sich theoretisch damit zu beschäftigen. Es braucht eine innere Schulung, eine Seelenübung, die über das gewöhnliche Denken hinausführt. Der Mensch muss lernen, auf sein Leben zurückzublicken, insbesondere auf das, was ihm widerstrebt hat, was er nicht wollte, was er vermeiden wollte. Gerade in diesen Erlebnissen liegt der Schlüssel zur Erkenntnis des eigenen Wesenskerns, der durch die Leben geht. Was im einen Leben äußerlich erlebt wird, kann im nächsten Leben zur inneren Eigenschaft werden, und umgekehrt. Die Erlebnisse, die wir nicht wollten, die uns fremd waren, werden zu Kräften, die unser nächstes Leben mitgestalten. Unsere Gedanken, die wir im jetzigen Leben pflegen, werden zu Kräften, die im nächsten Leben auf uns zurückwirken. Der Materialismus der Gegenwart wird karmische Folgen haben, er wird in der nächsten Inkarnation zu einer geistigen Schwäche führen, die erst durch eine bewusste Hinwendung zur Geistigkeit überwunden werden kann. Um zu einer unmittelbaren Erfahrung von Reinkarnation und Karma zu gelangen, ist es notwendig, ein besonderes Empfindungs- und Erinnerungsvermögen auszubilden. Es bedarf einer inneren Krise, einer karmischen Erschütterung, die den Menschen aufrüttelt und ihn in die geistige Welt hineinstellt. Erst dann kann er beginnen, die Zusammenhänge seines Schicksals zu durchschauen. Reinkarnation und Karma sind Grundideen der anthroposophischen Weltanschauung. Sie haben eine moralbegründende Kraft, denn sie zeigen, dass alles, was wir tun, karmische Folgen hat, die unser eigenes Schicksal und das der anderen mitgestalten. In der Mitte eines Lebens verbindet sich der Mensch durch freie Wahl mit denen, die in einem folgenden Leben seine Blutsverwandten werden. Die Ideen von Reinkarnation und Karma werden die Wissenschaften und das gesamte Leben der abendländischen Kultur umgestalten, wenn sie wirklich ergriffen werden. Die sogenannten Zufallsereignisse im Leben stehen in einem tiefen Zusammenhang mit dem menschlichen Schicksal. Durch Gedankenübungen kann man beginnen, diese Zusammenhänge zu erkennen. Begegnungen in der Lebensmitte mit Persönlichkeiten, die am Anfang der vorhergehenden oder nächsten Inkarnation Blutsverwandte waren oder sein werden, zeigen die karmische Verknüpfung der Lebensläufe. Die Mitteilungen der okkulten Forschung können und sollen logisch geprüft werden, um zu einer sicheren Erkenntnis zu gelangen. Die Überzeugung von Reinkarnation und Karma muss in das allgemeine Leben überführt werden, um neue Lebensformen zu schaffen. Zwischen innerer Überzeugung und äußerem Leben besteht oft eine Kluft. Die sozialen Verhältnisse, insbesondere das Verhältnis von Arbeit und Lohn, sind Ausdruck der verschiedenen Karmen der heute lebenden Menschen. Es gibt einen Wechsel zwischen gläubigen und vernunftmäßigen Inkarnationen, zwischen Liebegefühl in der einen und Selbstgefühl in der anderen. Die Seelen sind in der letzten Inkarnation verarmt und geschwächt, aber sie können durch Verinnerlichung und das Durchdrungensein mit der Wahrheit von Reinkarnation und Karma gestärkt werden. 136) Im Ätherleib der Erde offenbaren sich die Elementarwesen, die in den Farben des Himmels, des Pflanzenkleides und der Schneedecke moralische Empfindungen hervorrufen: Frommheit, Verstehen und das Verständnis für den Stoff. Wie im Ton und seiner Oktave Wunsch und Vernunft zusammenklingen, so wirken im Metallischen die Elementarwesen der Erde mit scharf umrissenen Formen. Im rieselnden Regen und aufsteigenden Nebel begegnen mir die sich stets verwandelnden Elementarwesen des Wassers, die im Frühling die Pflanzen aus der Erde holen. Blitzartig erscheinen die Elementarwesen der Luft, sie leben im Welken und Absterben, besorgen das Reifen. Die Elementarwesen des Feuers bewahren die Keime. Im astralischen Leib der Erde wirken die Geister der Umlaufszeiten, sie lenken den Wechsel der Jahreszeiten, drehen die Erde um ihre Achse und bewirken Tag und Nacht. Wer auf dem okkulten Weg Gedächtnis und Gewissen bewahrt, kann im Ich aufwachen und die Sonne auch nachts in ihrem Lauf schauen. Die Naturgeister wirken in den Naturkräften, die Geister der Umlaufszeiten in den Naturgesetzen, der Planetengeist im Sinn der Natur. Die Angeloi leben in der absoluten Wahrheit, ihr Wahrnehmen ist Offenbarung ihrer inneren Natur in der Außenwelt. Sie sind die Führer der einzelnen Menschen, während die Archangeloi die Völker leiten und die Archai die Zeiten. Ihre Nachkommen sind die Naturgeister: die der Erde von den Archai, die des Wassers von den Archangeloi, die der Luft von den Angeloi. Liebestaten machen den Menschen reicher, nicht ärmer, wie ein Glas, das voller wird, je mehr man es ausgießt. Die Schulung zur Überwindung des gewöhnlichen Innenlebens führt über Mathematik. Auf der ersten Stufe der Hellsichtigkeit nehme ich mit dem Astralleib wahr und kann mich später erinnern; auf der zweiten Stufe mit dem Ätherleib trage ich die Hellsichtigkeit ins gewöhnliche Bewusstsein und erkenne die Wesenheiten der zweiten Hierarchie: Exusiai, Dynamis, Kyriotetes. Ich fühle mich untergetaucht in andere Wesen, wie im gewöhnlichen Bewusstsein durch Liebe. Die Offenbarung ihres Wesens bleibt als etwas Selbständiges zurück, im Innern wird Leben als geistiges Tönen, als Sphärenmusik wahrgenommen. Die Exusiai formen alles Lebendige, die Dynamis offenbaren sich im Formenwechsel, die Kyriotetes erkenne ich im Schauen der Blattformen und Blüten. Die Gruppenseelen der Pflanzen und Tiere sind ihre Nachkommen. Auf der dritten Stufe der Hellsichtigkeit werde ich mit dem betrachteten Wesen eins und nehme die erste Hierarchie wahr: Throne, Cherubim, Seraphim. Ihr Innenleben ist das Schaffen anderer Wesen, ihre Nachkommen sind die Geister der Umlaufszeiten. Die äußere Form eines Geistes der Form ist ein Planet, hinter ihm stehen die Geister der Bewegung, der Weisheit, des Willens, Cherubim und Seraphim. Die Dynamis wirken in den Witterungserscheinungen, die Kyriotetes sind das Bewusstsein des Planeten, die Throne regeln seine Bewegung, die Cherubim bringen die Bewegungen in Einklang, die Seraphim regeln das Zusammenstimmen der Planetensysteme. Die oberste Dreiheit waltet als Hüllen im Weltenraum. Die luziferischen Geister streben nach einem selbständigen Innenleben und werden so zu Geistern der Unwahrheit, sie spalten sich von den höheren Hierarchien ab. Ein Planet ist der mit Äthersubstanz erfüllte Raum, begrenzt von seiner Bahn. Die Geister der Form wirken von der Sonne aus auf die Äthersphäre des Planeten, dem wirken von außen die luziferischen Exusiai entgegen, wodurch eine Einstülpung, der physische Planet, entsteht. Die Erde ist in Wahrheit ein Loch im Weltenraum, Materie ist zerbrochene Form. Seraphim und Cherubim tragen das Licht von der Sonne, die luziferischen Geister werfen es zurück. Zarathustra nannte den Geist der Sonne Ahura Mazdao, die rebellischen Geister Angra Mainyu. Die geistigen Wesenheiten von Seraphim bis zu den Geistern der Weisheit beherrschen die Entwicklung von Sonne und Fixsternen, bis zu den Geistern der Form reicht der Einfluss der Planeten, bis zu den Archangeloi der der Monde. Der Astralleib durchdringt Gehirn und Milz, der Ätherleib die Leber, das Ich das Blutsystem. Monde sind die Leichname des Planetensystems, Planeten dessen lebendige Körper, die Sonne ist wie der Ätherleib des Systems. Die schädlichen Kräfte der luziferischen Wesen werden durch den Kometen gesammelt, der meist neu entsteht und vergeht, indem er außerhalb der Raumesdimensionen weiterzieht; in ihm wirken Seraphim und Cherubim. Der Okkultist lernt, die Welt mit der Wahrnehmungsart der Angeloi zu sehen: Die physischen Körper verschwinden, von den Himmelskörpern bleibt ein Erinnerungsbild. Der Blick auf den Mond versetzt zurück in den alten Mondzustand, der durch die Arbeit der Exusiai zur Erde wurde. Der hellseherische Blick auf die Planeten bringt Erinnerungsbilder. Fühle ich nur Mitleid und Liebe, verschwindet die physische Sonne, wie sie in den ägyptischen Mysterien um Mitternacht geschaut wurde. Das Ich der Tiere ist auf dem Astralplan, das der Pflanzen im Devachan, das der Mineralien im höheren Devachan. Das Hervorkommen der Pflanzen im Frühling ist ein Einschlafen des Astralleibs der Pflanzen in der Astralwelt, das Welken im Herbst ein Aufwachen. Das Zerschlagen von Steinen ruft im Astralleib der Mineralien im Devachan Wohlgefühl hervor, das Ausreißen der Pflanze mit Wurzel Schmerz im Astralplan. Vernunft wirkt auch im Tierreich: Wespen stellen Papier her. Von den Planeten wirken die Gruppen-Ichs der Tiere auf die Haupttypen des Tierreichs, spezifizierend wirken die zwölf Tierkreisbilder. Diese Gruppen-Ichs sind Nachkommen der Dynamis, die dem Menschen auf dem alten Mond den Astralleib gaben. Luziferische Geister spezifizieren das Menschengeschlecht von den Planeten aus zu den Hauptrassen. Die Dynamis inspirieren von den Planeten aus die großen Kulturimpulse, zum Beispiel den Buddhismus vom okkulten Merkur. Auf den astralischen Leib der Pflanzen wirken die Nachkommen der Dynamis von den Planeten aus, sie bewirken die spiraligen Blattansätze. Die Gruppen-Ichs der Pflanzen wirken von der Sonne aus in der Richtung des Pflanzenstengels, sie sind Nachkommen der Kyriotetes. Die Geister der Umlaufszeiten verbinden das spiralige Bewegungsprinzip mit dem Prinzip im Stengel. Während des Sonnenzustands gaben die Kyriotetes dem Menschen den Ätherleib, jetzt wirken sie von der Sonne auf die Pflanzen. Die sieben Rischis gaben den sieben großen Kulturen der Atlantis die Erinnerungen wieder, über ihnen stand Vischvakarman. Zarathustra nannte diesen Geist Ahura Mazdao, die Ägypter Osiris. In der vierten nachatlantischen Kulturperiode wurde Christus drei Jahre lang unmittelbar durch diesen Sonnengeist inspiriert; er ist der Einheitsgeist der Erdenkultur. Die Kristallformen des Mineralreichs gehen auf die Geister der Form oder ihre Nachkommen zurück. Das Ätherische strömt von den Dynamis aus den Planeten und schafft die Metalle: vom Saturn das Blei, vom Jupiter das Zinn, vom Mars das Eisen, von der Venus das Kupfer, vom Merkur das Quecksilber. Das Astralische des Minerals kommt von den Kyriotetes oder ihren Nachkommen auf der Sonne. Die luziferischen Geister der Weisheit strömen von der Sonne Ätherisches auf die Erde und bewirken das Gold, das Gleichgewicht wird durch Ätherströme vom Mond, die das Silber bewirken, hergestellt. Die Geister der Weisheit leben in den Fixsternen, deren physisches Licht stammt von den luziferischen Geistern der Weisheit. Das Gruppen-Ich der Mineralien wirkt von außerhalb des Planetensystems durch die Throne oder ihre Nachkommen; werden sie luziferisch, erscheinen sie in Meteoren und Kometen, die beim Durchlaufen des Systems Mineralisches aufnehmen. Der Saturn hatte einst einen Schweif wie ein Komet, der sich zum Ring zusammenzog. Uranus und Neptun sind später hinzugekommene Planeten. Durch luziferische Throne erhält der Komet mineralische Natur. Die Exusiai schufen das ursprüngliche Gruppen-Ich der Menschen, das dann durch die anderen Hierarchien differenziert wird. Jahve ist die Reflexion des Christus vom Mond aus, Luzifer ist sein Gegner, Christus der wahre Luzifer. Die Betrachtung der Himmelswelten soll zu einer moralischen Kraftquelle werden, die Harmonie und Frieden schafft. 137) Im Menschen offenbart sich das höchste Ziel aller Erkenntnis. Um ihn zu begreifen, ist es notwendig, ihn aus drei Perspektiven zu betrachten: Okkultismus, Theosophie und Philosophie. Okkultismus verlangt, dass das gewöhnliche Bewusstsein überwunden wird, um durch innere Entwicklung, Überwindung des Egoismus und Ausbildung einer symbolischen Sprache zu einer höheren Erkenntnis zu gelangen. Die Theosophie vermittelt diese okkulten Erkenntnisse in der Sprache des Alltags, sie macht die tiefen Wahrheiten über Reinkarnation und Karma zugänglich. Die Philosophie hingegen bleibt an die Sinne und das Gehirn gebunden, sie sucht nach dem einheitlichen Weltengrund, kann aber nicht bis zum Christus vordringen. Die alten Mysterien verlangten vom Schüler, sich mit seinem eigenen Karma auszusöhnen, auf äußere Vorteile durch okkulte Kräfte zu verzichten, den Verstand vom egoistischen Willen zu befreien und das Seelenleben auf Gedächtnis und Erinnerung zu beschränken, bis auch diese ausgelöscht werden. In der geistigen Welt offenbaren sich Licht, Wort und Bewusstsein in einer dreifachen Weise: als ungeoffenbartes Licht, unaussprechliches Wort und Bewusstsein ohne Gegenstand. Die philosophischen Ideen sind Schattenbilder vorirdischer Kräfte aus der Mond-, Sonnen- und Saturnzeit. Das Gehirndenken steht in Verbindung mit den Jahvekräften; der Philosoph ist unbewusst hellsehend, bleibt aber auf halbem Wege stehen. Die theosophischen Wahrheiten sind ein Nachklang des unaussprechlichen Wortes, sie verbinden sich mit der Wissenschaft, indem sie das Übersinnliche ins Bewusstsein heben. Das gewöhnliche Ich-Bewusstsein wird in den Religionen durch die Eingeweihten gestiftet und aufrechterhalten, während die Mystik das Ich-Bewusstsein überwindet. Verschiedene Mystiker erleben das Göttliche entweder im Herzen oder im Gehirn, manche vereinen beides. Der Mystiker, der zum Okkultisten wird, strebt das Bewusstsein ohne Wissen von einem Gegenstand an. Die menschliche Gestalt ist Ausdruck des Ich. Sie verändert sich durch Stolz im oberen Teil, durch Begierde im unteren Teil. Die Zwölfheit der menschlichen Gestalt entspricht den zwölf Tierkreiszeichen. Die scheinbare Einheit des Menschen zerfällt in drei Siebenergliederungen: oberer, mittlerer und unterer Mensch, die jeweils mit Tierkreis und Planetenkräften verbunden sind. Nach dem Überschreiten der Schwelle zerfällt die innere Ich-Natur in Denken, Fühlen und Wollen. „Drei sind eins und eins ist drei“ – dieses Mysterium magnum offenbart die wahre Natur des Menschen. Der mittlere Mensch wirkt auf den oberen Menschen ein, im Wach-, Traum- und hellseherischen Bewusstsein. Der mittlere Mensch steht mit der Sonne, der Kopf mit dem Sternenhimmel in Verbindung. In den alten Mysterien wurde die Sonne um Mitternacht geschaut. Die Religionen spiegeln diese inneren Erfahrungen wider: Sonnenanbetung bei kriegerischen Völkern, Sternenanbetung bei Denkervölkern, Mondenanbetung bei Völkern mit altem Hellsehen. Der Jahvedienst der Hebräer ist ein vergeistigter Mondendienst. Die menschliche Gestalt ist der gesündeste Ausgangspunkt für die okkulte Entwicklung, da Luzifer und Ahriman auf sie am wenigsten Einfluss nehmen konnten. Im Ätherleib begegnet der Mensch dem Tod und Luzifer, der ihm die Zerbrechlichkeit der Gestalt und dann das Unsterbliche in vierfacher Tiergestalt zeigt: Löwe, Stier, Adler, Drache. Die Erinnerung an das Ich und das Verhältnis zum Christus-Impuls bieten Halt. Christus war von Anfang an ein Initiierter, bei ihm kann nicht von Einweihung im gewöhnlichen Sinn gesprochen werden. Die erste Stufe der Initiation beginnt mit der Erkenntnis des dreifachen Menschen: oberer Mensch (Mond/Jahve), mittlerer Mensch (Sonne), unterer Mensch (Venus/Luzifer). Die Einwirkungen der Mond-, Sonnen- und Venuskräfte auf die menschliche Gestalt und die Beziehungen zu den Sternkonstellationen bilden das Wesen der echten Astrologie. Die zweite Stufe der Initiation beginnt mit der inneren Bewegung des Menschen, die sieben inneren Bewegungen entsprechen den Planeten. Die Begegnung mit den sieben Planetengeistern und das Bekanntwerden mit dem übersinnlichen Christus sind weitere Schritte. Luzifer erscheint in verschiedenen Gestalten, Buddha wirkt kosmisch weiter, nun auf dem Mars. Auf höheren Bewusstseinsstufen erlebt der Mensch die Begegnung mit Tod und Luzifer, die Verwandlung des Todes in Christus, das Verhältnis von Christus und Luzifer in der Versuchungsgeschichte der Evangelien. Die alten Mond- und Sonnenzustände werden erlebbar, Luzifer und Christus erscheinen auf der alten Sonne als Brüder, Christus entwickelt sich vorwärts, Luzifer rückwärts. Die zwölf Initiatoren des Tierkreises wirken mit. In der dritten Stufe wird der alte Saturnzustand beschrieben. Traum- und Tiefschlafbewusstsein offenbaren diese höheren Zustände. Die Entwicklung der Wesensglieder des Menschen seit der Saturnzeit wird deutlich. Okkultismus, Theosophie und Philosophie stehen in Zusammenhang mit den sich wandelnden Bewusstseinszuständen der Menschheit. 138) Von den alten Mysterien Eleusis’ und der Initiation ausgehend, führe ich ein in die geistigen Prinzipien, die das menschliche Streben nach Wahrheit und Erkenntnis seit jeher durchdringen. Die Seele des Menschen war in früheren Zeiten innig mit dem Übersinnlichen verbunden, und noch heute lebt in uns die Sehnsucht, das Geistige in der Welt zu erfassen. Die Gestalten der Mysterien – Demeter, Persephone, Dionysos – offenbaren die Verbindung von Sinneswelt, Seelenleben und Geist. Wie damals, so ist es auch heute notwendig, dass der Mensch sich der Wirklichkeit des Geistigen öffnet, um Fruchtbarkeit und Kraft für das Leben zu gewinnen. Die Ewigkeit steht als Ziel des höchsten Strebens, der Augenblick als das Tor, durch das wir nach Ewigkeit suchen. Das Geisteslicht führt aus dem Dunkel des bloßen Lebens heraus. In der Akasha-Chronik liegt das Echo uralter Weisheit, und die Initiation ist der Weg, durch den der Mensch aus der geistigen Welt das empfängt, was für seine Zeit notwendig ist. Die Beziehung von physischem und ätherischem Leib wird fühlbar, wenn die Organe des Ätherleibes sich von den physischen lösen und in die übersinnlichen Welten führen. Die Religionen sind Ausflüsse der Initiation, und die Mysterienstätten geben die Impulse, die das Leben durchdringen. Christus ging einen anderen Weg als die Initiierten der alten Mysterien: Er blieb in seinem physischen Leib und gab der Welt das, was durch diesen Leib wirken konnte – ein Impuls, der jedem Menschen verständlich ist. Das gewöhnliche Vorstellungsleben aus dem Sinnensein muss umgeformt werden, will man zu Ideen der übersinnlichen Welt gelangen. In der Sinneswelt stehen Naturordnung und moralische Ordnung nebeneinander, in der übersinnlichen Welt sind sie eins. Dort begegnet man Wesen, die in vollkommener Weise besitzen, was uns fehlt, und das ruft das Streben nach eigener Vollkommenheit hervor. Moralische und ästhetische Begriffe verbinden sich: Schön und Wahr, Hässlich und Lüge. Die übersinnliche Welt kann nur der erkennen, der sich von Eigensinn und Selbsttäuschung geläutert hat. Wer alles ablegt, was er von sich weiß, steht vor dem Hüter der Schwelle, der den Unvorbereiteten schützt. Beim Aufstieg in geistige Welten berühren sich die Erfahrungen mit jenen, die zwischen Tod und neuer Geburt gemacht werden. Das Wissen des Sinnenseins kann nicht einfach in die geistige Welt getragen werden, doch bleibt eine übersinnliche Erinnerung. Die Seele bewahrt das vergangene Dasein in der Erinnerung. Der erste Schritt der Initiation führt in die elementarische Welt, in der Gedanken sich selbst denken. Der elementarische Leib wird für übersinnliche Wahrnehmung geweckt, und ein gesteigertes Gefühl der Einsamkeit tritt ein. Der physische Leib wird von außen geschaut, und das Selbst muss sich selbstlos machen. In der Sinneswelt unterscheidet man Naturverlauf und die darin wirkenden Wesenheiten, in der geistigen Welt gibt es nur Wesen. Nach Überschreiten der Grenze wird alles moralisch-intellektuell empfunden: Was moralisch abgelehnt wird, erscheint als Finsternis, Zufriedenheit als Licht. Der Eintritt in die geistige Welt ist von Karma abhängig, und der Mensch erlebt sich zunehmend mit den Wesenheiten der höheren Hierarchien verbunden. Übersinnliche Erlebnisse werfen Schattenbilder in die Dichtung, wie in der Bhagavad Gita. Wer sich bewusst in höhere Welten versetzt, verliert die zeitlichen Begriffe und sehnt sich nach dem Immerwährenden. Luzifer wirkt in der Vergänglichkeit, Ahriman hilft, das Erlebte in die Ewigkeit zu tragen. Die Erinnerung an die physische Gestalt und das Erleben des Ich als gespalten führen in die höhere geistige Welt und zur Wahrheit über die Initiation und das Christus-Prinzip. Der Weg in die übersinnlichen Welten ist für jede Seele verschieden. In Mysterienspielen erscheinen die ersten Schritte der Initiation. Der Anthroposoph soll erkennen, was aus den übersinnlichen Welten in die Wissenschaft des Sinnenseins einfließt. Luzifer will dem Wesen der Sinneswelt Dauer verleihen, Ahriman das Erlebte in die Ewigkeit zurückführen. Was von Luzifer oder Ahriman ausgeht, ist gut oder böse je nach dem Verhältnis des Menschen dazu. Zwischen Tod und neuer Geburt gilt es, das auszugleichen, was im Sinnensein an Sympathie und Antipathie geschaffen wurde. Für eine Gesamterfassung der Welt ist das Geisteslicht der übersinnlichen Welt notwendig. Im Sinnensein folgt das Begreifen dem Anschauen, in der übersinnlichen Welt geht das Begreifen dem Schauen voraus. Bei jedem Schritt der Initiation muss der Mensch den Zusammenhang mit der Welt, wie er sich durch den physischen Leib ergibt, abstreifen. Solange Sympathie, Antipathie oder Vorurteile wirken, bleibt der Zugang zur höheren Welt verschlossen. Vor Christus wandten sich die Völker an ihre Rassen-Initiierten, die keinem Volk angehörten. Die Läuterung des Denkens führt vom Augenblick zur Ewigkeit. Das Hinaufrücken vom Sinnensein ins Geistessein bringt die Initiation zum direkten Erlebnis im elementarischen Leibe und zur Welt des Wesenhaften. Der Weg der Buddha-Individualität führt vom Erdensein zum Geistessein. Im 20. Jahrhundert wird der wiederkehrende Christus im übersinnlichen Leib des Menschen erlebbar sein. Solange Menschen die übersinnliche Welt erkennen wollen, bleibt das Geisteslicht der Welt erhalten. Unsere Zeit verlangt nach einer spirituellen Bewegung. In der Gegenwart wirken die geistigen Kräfte so, wie es die Zeit verlangt. Die suchenden Seelen fordern Antworten auf die Rätsel des Lebens, die unter dem Druck der Zeit entstanden sind. Die Gestalten der Geschichte – Elias, Johannes der Täufer, Raffael, Novalis – zeigen die Wiederverkörperung der Individualität. Goethe erkannte das Übersinnliche in der Gestalt Raffaels. Spirituelle Mächte wirken als reale Kräfte durch die Zeit. Das Christus-Geheimnis ist die Macht der Weltentwicklung, und die Geisteswissenschaft gibt der Zeit, was sie notwendig braucht. 139) Aus dem Markus-Evangelium spricht der Anfang einer neuen Zeit, ein Wendepunkt in der Menschheitsentwicklung. Die Menschheit schreitet fort, und so muss auch das Verständnis der tiefsten Offenbarungen wachsen und sich wandeln. Das Evangelium beginnt – dies ist kein Abschluss, sondern ein Aufbruch, ein Anfang, der sich im Geiste der Zeit vollzieht. Die alten Zeiten, erfüllt von mythischer Dunkelheit, werden abgelöst von einer neuen Offenbarung, die sich im Christus-Ereignis vollzieht. Es ist nicht genug, in äußerer Geschichte zu verweilen; die äußeren Ereignisse sind Ausdruck innerer geistiger Vorgänge. In der dramatischen Komposition der Evangelien und des Alten Testaments offenbart sich eine künstlerische Kraft, die weit über das bloß Historische hinausweist. Die Gestalt des Johannes des Täufers ist zu durchdringen: Er steht als Vorläufer des Christus Jesus, als der, der aus der Linie des Elias kommt. Die Taufe im Jordan ist nicht bloß ein äußeres Geschehen, sondern ein tiefes Mysterium, in dem sich die spirituelle Wesenheit des Elias in neuer Gestalt offenbart. In der Folge werden die großen Strömungen der Menschheit sichtbar: Buddha und Sokrates, polar entgegengesetzt, verbinden sich in Christus Jesus, der das Gleichgewicht bringt zwischen Ost und West, zwischen zeitloser Weisheit und geschichtlicher Entwicklung. Krishna offenbart die göttliche Lehre, Buddha folgt ihm als Erleuchteter, Johannes der Täufer bereitet den Weg für Christus. Die zwölf Jünger, die Elias-Seele, das Bekenntnis des Petrus – all dies sind Knotenpunkte, an denen sich die Entwicklung der Menschheit verdichtet. Der Monolog des Gottes vor der Offenbarung der Mysterien zeigt die Einsamkeit des göttlichen Wesens angesichts der Menschheit, die erst reif werden muss für die neue Offenbarung. Das Mysterium von Golgatha ist eine Initiation, ein Durchgang, in dem die Seele des Christus mit den Seelen der Zwölf in Beziehung tritt. Die Kraft des Ich durchdringt die menschliche Leiblichkeit. Die großen Seelen der Vergangenheit, wie Empedokles, rufen nach dem Geist, und von Golgatha ertönt die Antwort, die den Menschen mit neuer Kraft erfüllt. Die tieferen Geheimnisse des Mysteriums von Golgatha offenbaren sich in den Szenen „auf dem Berge“, „am See“, „im Hause“. Die Verklärung, die Begegnung mit Moses und Elias, die Salbung in Bethanien, der verdorrte Feigenbaum – alles sind Zeichen und Bilder für die innere Entwicklung des Menschen, für die Durchdringung des Irdischen mit dem Geistigen. Das Markus-Evangelium ist in seiner Komposition ein Kunstwerk, das auf verschiedenen Ebenen verstanden werden kann: von den Jüngern, von den Führern des althebräischen Volkes, von den Römern. Jeder dieser Kreise nimmt das Christus-Ereignis auf seine Weise wahr, doch bleibt das tiefste Verständnis zunächst verhüllt. Ecce homo – das Menschheitsantlitz steht vor der Welt, und doch versagt die äußere Erkenntnis angesichts des Christus-Ereignisses. Der Schlüssel zum Verständnis des Mysteriums von Golgatha liegt nicht in äußerer Wissenschaft, sondern in der Suche nach übersinnlicher Erkenntnis. Nur durch hellseherische Forschung, durch ein Erheben des Bewusstseins über das bloß Sinnliche hinaus, kann das wahre Wesen des Christus und seines Wirkens erfasst werden. Die Menschheit ist aufgerufen, diesen Weg zu gehen, um das Markus-Evangelium in seiner Tiefe zu begreifen und das Mysterium von Golgatha in sich lebendig zu machen. 140) Zwischen Tod und neuer Geburt lebt die Seele in einer Welt, die sich grundlegend von der physischen unterscheidet. Hier ist nicht mehr das äußere Tun, sondern das innere Erleben bestimmend. Die Seele tritt ein in eine Sphäre, in der alles, was sie an Beziehungen, Empfindungen, Gedanken und Willensimpulsen im Erdenleben gepflegt hat, nun wie ein geistiger Spiegel vor ihr steht. Die Begegnungen mit anderen Seelen sind von einer neuen Art: Nicht mehr kann der Mensch durch äußere Handlungen etwas an seinen Beziehungen ändern, sondern er erlebt, was er an Liebe, an Antipathie, an Versäumnissen oder an Hingabe in sich trägt, als eine objektive Wirklichkeit. Die Möglichkeit, sich selbst zu korrigieren, ist an das Erdenleben gebunden; nach dem Tod wirkt fort, was in der Seele angelegt wurde. In dieser geistigen Welt ist die Wahrnehmung nicht mehr an die Sinne gebunden, sondern geschieht durch Visionen, die jedoch zunächst nur das eigene Wesen spiegeln. Es ist eine Prüfung, zu erkennen, dass vieles von dem, was als Begegnung erscheint, in Wahrheit die eigene innere Verfassung widerspiegelt. Erst nach und nach lernt die Seele, durch diese Schleier hindurch die wirkliche geistige Welt zu schauen und wahrhaftig mit anderen Seelen in Beziehung zu treten. Die Entwicklung nach dem Tod ist daher eine Fortsetzung und Konsequenz dessen, was auf Erden vorbereitet wurde. Die innere Ruhe, die für das Erkennen der geistigen Welt notwendig ist, muss schon im Erdenleben geübt werden. Nur wer gelernt hat, die Unruhe des äußeren Lebens abzulegen, kann sich der geistigen Welt öffnen. Die Vorbereitung auf das Leben nach dem Tod geschieht durch das Streben nach Wahrheit, durch das Bemühen um Liebe und durch das Überwinden des Eigenwillens. Die geistigen Erfahrungen nach dem Tod sind daher nicht willkürlich, sondern das Ergebnis der eigenen Entwicklung. Zwischen Tod und neuer Geburt durchwandert die Seele verschiedene Sphären, in denen sie das Wesen der Planeten und der Sternenwelt erlebt. Diese Durchgänge sind nicht bloße Bilder, sondern reale Erlebnisse, die die Seele verwandeln und auf eine neue Inkarnation vorbereiten. Die Verbindung zwischen den Lebenden und den sogenannten Toten bleibt bestehen: Gedanken, Gefühle und Willensimpulse können über die Grenze des Todes hinweg wirken. Die Toten leben in einer Welt, in der sie auf die Impulse der Lebenden angewiesen sind, und die Lebenden können durch innere Andacht, durch echte Gedanken und durch seelische Hingabe mit den Toten in Beziehung treten. Die Aufgabe des Erdenlebens besteht darin, Kräfte zu entwickeln, die nach dem Tod fruchtbar werden. Das Leben auf der Erde ist ein Durchgangspunkt, der die Seele für das Jenseits vorbereitet. Alles, was an Liebe, Erkenntnis und moralischer Kraft erworben wird, trägt die Seele hinüber in die geistige Welt und gestaltet das Leben zwischen Tod und neuer Geburt. So ist das irdische Dasein eingebettet in einen größeren Zusammenhang, in dem das Geistige das eigentlich Wirkliche ist und das Physische nur ein Durchgangsstadium. 141) Zwischen Tod und neuer Geburt lebt die Seele in einer Welt, die von anderen Gesetzen durchdrungen ist als das irdische Dasein. Das Streben nach Wahrheit und das ernsthafte Bemühen, die geistigen Zusammenhänge zu erkennen, sind Voraussetzungen, um nach dem Tode in der geistigen Welt nicht in dumpfer Unbewusstheit zu verharren, sondern bewusst die neuen Daseinsformen zu erleben. Das Leben nach dem Tode ist nicht ein bloßes Fortsetzen des irdischen, sondern ein Durchgang durch verschiedene Sphären, die von der moralischen und religiösen Verfassung des Menschen im vergangenen Leben geprägt werden. Im Kamaloka, der Mondsphäre, löst sich die Seele von den Begierden und Leidenschaften, die an das Irdische binden. In der Merkursphäre gestaltet sich das Zusammensein mit anderen Seelen nach dem moralischen Ergebnis des Erdenlebens: Wer moralisch gelebt hat, findet Anschluss an andere, wer unmoralisch war, bleibt einsam. In der Venussphäre entscheidet die religiöse Grundstimmung über die Fähigkeit, sich mit anderen Seelen zu verbinden. Die Sonnensphäre verlangt das Verstehen aller Seelen und Glaubensrichtungen, als Vorbereitung auf das Mysterium von Golgatha, das als zentrale kosmische Tat für die Menschheit steht. Die Gedanken, die im Erdenleben gepflegt wurden, wirken nach dem Tode als reale Kräfte in der geistigen Welt. Falsche oder einseitige Gedanken müssen im nächsten Erdenleben korrigiert werden, das Karma verlangt Ausgleich. Die Beziehungen zu anderen Menschen bleiben nach dem Tode unverändert, sie können nicht mehr willkürlich gestaltet werden. Nur durch die Aufnahme spiritueller Erkenntnisse im Erdenleben kann die Seele nach dem Tode weiterreifen und sich für die Aufgaben der geistigen Welt vorbereiten. Das Leben zwischen Tod und neuer Geburt ist ein schöpferischer Prozess, in dem die Seele, geleitet von höheren Hierarchien, an der Gestaltung des künftigen Erdenleibes mitwirkt. Die Kräfte, die im Schlaf den Leib wiederherstellen, wirken nach dem Tode in erweiterter Form, indem die Seele in die Sphären der Planeten und Sterne aufgenommen wird. Die Erinnerung an frühere Kulturepochen, das Erleben der Sternenvorgänge, das Verständnis für die großen Mysterien – all das lebt im Bewusstsein der Seele nach dem Tode auf und bereitet sie auf die nächste Inkarnation vor. Die Entwicklung der Menschheit ist eingebettet in den großen Zusammenhang von kosmischen und geistigen Kräften. Die Impulse, die durch Christus, Buddha und andere geistige Führer gegeben wurden, wirken nicht nur auf der Erde, sondern auch in den planetarischen Sphären weiter. Die Gefahr der Spaltung der Menschheit in bloß materielle und bloß geistige Menschen wird durch die Arbeit der Rosenkreuzer und die Sendung des Buddha auf dem Mars überwunden. Die Aufgabe der Anthroposophie ist es, die Verbindung zwischen Lebenden und Toten zu erneuern, die geistigen Kräfte zu beleben und die Seele für die Aufgaben im Jenseits zu stärken. Das Verständnis für die Hierarchien, die Gestaltungskräfte der Planeten und die Bedeutung des Christus-Impulses sind entscheidend für die Entwicklung des Menschen nach dem Tode. Wer im Erdenleben spirituelle Begriffe und Ideen aufnimmt, wird nach dem Tode fähig, als Mitarbeiter der geistigen Wesenheiten an der Weiterentwicklung der Welt mitzuwirken. Die geistige Welt ist keine bloße Fortsetzung der irdischen, sondern ein Bereich schöpferischer Tätigkeit, in dem die Seele zur Mitgestalterin des Kosmos wird. 142) Gewissermaßen steht die heutige Zeit an einem Wendepunkt, an dem sich die geistigen Strömungen der Vergangenheit und Gegenwart in einem neuen Licht zeigen. Drei Jahrtausende, geprägt vom Griechentum, haben das Bewusstsein der Menschen geformt, und gerade in diesen letzten drei Jahrtausenden tritt die Persönlichkeit des Menschen in den Vordergrund. Vor dem Griechentum war das geistige Leben mehr ein zusammenhängendes Ganzes, ohne die Betonung auf das Individuum. Mit dem Griechenland der klassischen Zeit beginnt die Herausbildung einzelner Persönlichkeiten, die das geistige Leben prägen – Sokrates, Plato, Aristoteles und andere. Dieses Persönlichkeitsbewusstsein ist das Kennzeichen der letzten drei Jahrtausende. Im ersten Jahrtausend nach Christus verschmilzt das Griechentum mit dem Christus-Impuls, der sich allmählich in das geistige Leben einfügt. Das zweite Jahrtausend ist gekennzeichnet durch diese organische Verbindung, durch die griechische Weisheit und Kunst mit dem christlichen Geist verschmelzen. Im dritten Jahrtausend jedoch tritt das Griechentum nicht mehr nur unbewusst fort, sondern wird bewusst aufgenommen und neu gestaltet. Künstler wie Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael sind Beispiele dafür, wie das griechische Erbe in der Kunst wieder lebendig wird. Auch in der Philosophie, etwa bei Thomas von Aquino, zeigt sich die bewusste Synthese von griechischem Denken und christlicher Weltanschauung. So breitet sich in allen Seelen – vom Gelehrten bis zum einfachen Menschen – ein Geistesleben aus, das griechische und christliche Vorstellungen miteinander verbindet. Doch im 19. Jahrhundert tritt etwas Neues hervor: Die geistige Strömung des Ostens, besonders die Weisheit Indiens, dringt in das Bewusstsein der Menschen ein und fordert eine Erweiterung der bisherigen Sichtweise. Die Bhagavad Gita bringt drei große Geistesströmungen zusammen: Veda, Sankhya und Yoga. Diese sind nicht nur historische Lehren, sondern finden in der modernen Geisteswissenschaft eine lebendige Fortsetzung und Umgestaltung, besonders durch das Christentum und die Impulse des Paulus. Das Sankhyasystem zeigt die Stufung der Natur, die drei Gunas, und die Rolle des Purusha als Bewusstseinsprinzip. Diese Ideen spiegeln sich in der abendländischen Philosophie etwa bei Aristoteles wider und finden eine neue Entfaltung in der Farbenlehre Goethes. Yoga wird als Weg beschrieben, die verlorene Geistigkeit durch innere Andacht und Übung zurückzugewinnen. Die Bhagavad Gita erscheint als Dichtung und Lehre eines Zeitenübergangs, der die Seele des Menschen tief berührt und zur Umgestaltung führt. Die Wirkung von Weltanschauungen auf das Schicksal des Menschen zeigt sich in der Erhabenheit der Bhagavad Gita, die überpersönlich wirkt, und im persönlichen Engagement der Paulusbriefe. Krishna als Wesen und seine Lehre offenbaren eine tiefe geistige Wahrheit, besonders im berühmten elften Gesang der Gita. Die Bhagavad Gita steht als Blüte vergangener Entwicklungen, während die Paulusbriefe als Keim zukünftiger geistiger Entfaltungen gelten. Der Zeitenübergang, charakterisiert durch die Tat Krishnas, bedeutet eine Loslösung von blutgebundenem Hellsehen und führt durch den Christus-Impuls zu einer höheren Entwicklungsstufe, in der das Seelische von innen wirkt und die Auseinandersetzung mit Luzifer und Ahriman notwendig wird. Der einzelne Mensch wird durch Krishna angesprochen, die ganze Menschheit durch den Christus-Impuls. Paulus spricht vom Zusammenwirken der Geistesgaben in der Gemeinde und von der Liebe als verbindender Kraft. Die indische Philosophie wendet sich von der Maya ab, während das Christentum auf die Geistigkeit der Welt als Werk der Götter sucht. Christus wird als Wesen und Tat verstanden, Krishna als dessen Lichtschein. Der Weg zur Versöhnung des Menschen mit der Welt führt über Selbsterkenntnis und Selbsterziehung, die den Menschen in Einklang mit dem Geistigen bringen. So offenbart sich in der Begegnung von Bhagavad Gita und Paulusbriefen ein tiefes geistiges Gefüge, das die Entwicklung des Menschen und der Menschheit durch die Zeiten hindurch begleitet und in der Gegenwart neue Impulse für die Bewusstseinsentwicklung bietet. 143) Aus dem Erleben des modernen Menschen, der vielfach unter Nervosität und einer Zersplitterung des inneren Lebens leidet, wird deutlich, wie notwendig es ist, die verschiedenen Glieder der menschlichen Wesenheit zu erkennen: den physischen Leib, den Äther- oder Lebensleib, den Astralleib und das Ich. Die gegenwärtige Zeit bringt Erscheinungen hervor, die auf eine Schwächung des Ätherleibes deuten, hervorgerufen durch ein Leben, das den innersten Seelenkern nicht mit dem verbindet, was der Mensch denkt und tut. Das Einpauken von Wissen ohne innere Anteilnahme, das Fehlen echter Verbindung zum Inhalt dessen, was gelernt wird, schwächt die Lebenskräfte und führt zu einer allgemeinen Nervosität, die sich in Unruhe, Entscheidungsunfähigkeit und sogar in scheinbar organischen Leiden äußert. Es ist dringend notwendig, die Seele zu kräftigen, indem man sich bemüht, das, was man denkt und tut, mit dem eigenen Ich zu durchdringen, und so die einzelnen Wesensglieder zu stärken. Die Seelenkräfte des Menschen haben sich im Laufe der Zeiten gewandelt. In früheren Epochen war das Bewusstsein des Menschen noch stärker an die geistigen Welten gebunden, heute ist der Mensch mehr auf sich selbst zurückgeworfen und zur Entwicklung seines Ichs berufen. Die Wege der Erkenntnis, die der Mensch heute zu gehen hat, verlangen eine Verbindung von Erkenntnis und moralischer Entwicklung. Das Staunen, das Gewissen und die Fähigkeit zur inneren Sammlung sind Hinweise auf den Weg zum geistigen Schauen, der sich in Vergangenheit und Zukunft immer wieder neu ausbildet. Das Bewusstsein des Menschen ist wie ein Spiegel, der sowohl das Oberbewusstsein als auch das Unterbewusstsein umfasst. Viele seelische Kräfte wirken im Verborgenen und treten nur dann hervor, wenn der Mensch sich bemüht, sie zu erkennen und zu ergreifen. Die verborgenen Kräfte des Seelenlebens können durch bewusste Übungen und durch das Streben nach innerer Sammlung und Konzentration geweckt und gestärkt werden. Drei Wege führen die Seele zu Christus: Der erste Weg ist der durch die Evangelien, das lebendige Erleben der Christus-Gestalt in den Evangelien, wodurch die Seele die Christus-Wesenheit innerlich erfahren kann. Der zweite Weg ist der Weg der inneren Erfahrung, auf dem die Seele durch Meditation und geistige Vertiefung eine unmittelbare Beziehung zu Christus gewinnt. Der dritte Weg ist der Weg der Initiation, der durch bewusste Schulung und Entwicklung der geistigen Organe zur unmittelbaren Erkenntnis der geistigen Welt und der Christus-Wesenheit führt. Die Gleichnisse, die Christus gesprochen hat, sind nicht bloße Bilder, sondern Abbilder geistiger Wirklichkeiten. Die Reiche der Himmel, von denen die Evangelien sprechen, sind reale geistige Gebiete, die der Mensch durch Läuterung und Entwicklung seiner Seele betreten kann. Der Christus-Impuls wirkt in der Menschheitsgeschichte als ein fortschreitendes Geschehen, das sich in den verschiedenen Kulturepochen offenbart und in der Pfingstbotschaft als lebendige Kraft erfahrbar wird. Die Synthese der Weltanschauungen ist möglich, wenn die verschiedenen Wege der Erkenntnis und die unterschiedlichen Heroldschaften des Geistes in ihrer Tiefe verstanden werden. Die Liebe ist die größte Kraft in der Welt, sie verbindet die Menschen miteinander und führt sie zur Erkenntnis des wahren Menschseins. Die Geburt des Erdenlichtes aus der Finsternis der Weihenacht ist ein Symbol für die geistige Geburt des höheren Menschen im Inneren der Seele. Novalis ist ein Verkünder des spirituell zu erfassenden Christus-Impulses, er zeigt, wie die Poesie und das künstlerische Schaffen zur geistigen Erkenntnis führen können. Die geistige Schulung und das Streben nach innerer Vertiefung sind Wege, auf denen der Mensch die geistigen Geheimnisse der Welt und die wahre Bedeutung des Christus-Ereignisses erfassen kann. 144) Um den Weg zur Initiation in heutiger Zeit zu gehen, muss eine Verstärkung und Umwandlung der Seelenkräfte stattfinden. Die gewöhnlichen Sinneseindrücke, Gedanken und Urteile dürfen nicht mehr bloß Mittel zum Zweck sein, sondern müssen als Werkzeuge dienen, um in höhere Welten einzudringen. Standpunkte und Meinungen sind zu überwinden, denn sie binden an das Persönliche und verhindern das freie Schauen. Die Einweihung vollzieht sich in Stufen: Die erste Stufe ist das Erlebnis des Todes, das heißt, das Bewusstsein muss sich lösen von der Bindung an den physischen Leib und erleben, was es heißt, außerhalb des Leibes zu existieren. Die zweite Stufe führt durch die elementarische Welt, in der die Kräfte der Natur als lebendige Wesen erlebt werden. Hier zeigt sich, wie Naturgesetze und moralische Gesetze in der geistigen Welt ineinandergehen. Die Seelenkräfte müssen weiter gestärkt werden, um in die höheren Welten aufzusteigen. In der geistigen Welt begegnen sich Naturgesetz und Sittengesetz, sie sind nicht mehr getrennt wie in der physischen Welt. Begegnungen mit den Seelen der Toten werden möglich, und es zeigt sich, wie Gewissenlosigkeit und Bequemlichkeit im irdischen Leben nach dem Tod fortwirken. Die dritte Stufe der Einweihung ist das Schauen der Sonne um Mitternacht: Das geistige Auge sieht, wie die Pflanzenwelt mit Sonne und Sternen zusammenhängt. Im schlafenden Menschen sind physischer und ätherischer Leib wie eine Pflanze, Ich und Astralleib wie Sonne und Sterne. Auf weiteren Stufen des Aufstiegs in die geistigen Welten steht der Mensch vor den oberen und unteren Göttern. Schmerzliche Seelenerlebnisse müssen durchlitten werden. In den alten Mysterien wurde die Initiation so vollzogen, dass die physischen und ätherischen Hüllen durch die Amschaspands und die Izeds in der Zarathustra-Einweihung aufgebaut wurden. In den frühen ägyptischen Mysterien tritt das Bild von Isis und Osiris auf, die „Söhne der Witwe“ erscheinen als Träger des Mysterienwissens. Moses trägt die Osiris-Geheimnisse weiter. In den späten ägyptischen und griechischen Mysterien verstummt das Weltenwort, die zu Initiierenden erleben Verlassenheit und Einsamkeit, der Gott stirbt und geht in eine andere Welt über. Die Mysteriengeheimnisse der ägyptischen Empfindungsseelen-Kultur tauchen wieder auf in der Sage um König Artus und seine Tafelrunde. Artus, seine Ritter und Ginevra sind menschliche Abbilder von Tierkreis, Sonne und Mond. Die Geheimnisse der Verstandes- und Gemütsseele wiederholen sich im Heiligen Gral. Die Gegenspieler des Grals, Klingsor und Iblis, verkörpern die Widerstände. Die Doppelnatur des modernen Menschen zeigt sich im sterbenden Parsifal und im verwundeten Amfortas. Die neuen Mysterien führen zur Überwindung von Dumpfheit und Zweifel, sie eröffnen den Weg zur inneren Freiheit und zur geistigen Gemeinschaft der Menschheit. 145) Das menschliche Wesen ist von Hüllen umgeben: physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und das Ich. Beginnt der Mensch den Weg der okkulten Entwicklung, so verändern sich diese Hüllen. Die Organe des physischen Leibes werden unabhängiger voneinander, sie werden beweglicher, doch der ganze Leib erscheint unbeweglicher. Die Wahl der Nahrungsmittel und der Genussmittel wirkt auf diese Entwicklung ein; besonders der Alkohol wirkt dem Wirken des Ich entgegen und hemmt die spirituelle Entwicklung. Die Beziehung der Nahrungsmittel zu den Planeten des Sonnensystems offenbart sich dem inneren Erleben, und die Genussmittel werden auf neue Weise erlebt. Der Blutkreislauf und das Herz spiegeln das makrokosmische Wirken der Sonne auf die Erde, während die Gehirnvorgänge ein Abbild der kosmischen Sternenverhältnisse sind und die Verdauung zur Erde gehört. Die Sinne des Menschen haben eine Evolution durchlaufen. Im traumhaften Bewusstsein des Muskelsystems, im Schatten des Knochensystems, offenbaren sich die Sinnesorgane als besondere Welten, die in den Menschen eindringen. Der Wärmeäther durchstrahlt den Raum, der Lichtäther, der chemische und der Lebensäther werden als ätherische Organisationen wahrgenommen. Das Gehör ist ein Wecker kosmischer Erinnerung, der Sprachsinn noch mehr als der Tonsinn. Das Gedächtnis wandelt sich: Bilder, die in zeitlicher Entfernung stehen, treten auf, und eine neue Sensitivität gegenüber dem eigenen Temperament entsteht. Im Ätherleib erwacht ein Zeitgefühl. Der äußere Äther wird als Lebewesen erlebt, der innere Ätherleib differenziert sich in verschiedene Bereiche: einer erlebt sich als Aufrollen urferner Vergangenheit, ein anderer schwimmt mit dem Strom der Zeit, ein dritter verschwindet in die Erde, ein vierter zeigt sich als äußere Form, als Eiform, die sich färbt. Die Geister des Jahreslaufs wirken in den Tageslauf hinein und bringen neue Differenzierungen. Die sinnliche Wahrnehmung wird unterdrückt, dann das abstrakte Denken. In den Ätherleib strömt gottgeschenkte Weisheit ein, ein Strom aus der Zukunft. Die Voraussetzung dafür ist Gelassenheit. Die Urteilskraft verwandelt sich in gesundes Anschauen, ein innerer Zeitbegriff wird erworben. Gescheitheit weicht der Weisheit, die Gedanken denken sich in einem selbst, sie verbrennen das, was man selbst als Gedanke gemacht hat. Gefühl und Wille werden verwandter, eine feinere Egoität gegenüber geistigen Dingen wird überwunden, unegoistisches Fühlen wird zur spirituellen Verpflichtung. Das Gefühl steigt aus dem Innern auf, während die Weisheit von außen einströmt. In ihrem Zusammenkommen erlebt man die ätherische Welt, im Rückschlag der Weisheit die Archai. Im hellsichtigen Rückblick von Ich und Astralleib auf den physischen und Ätherleib offenbart sich eine maßlose Traurigkeit: der physische Leib erscheint als eingeschrumpfter Überrest früherer herrlicher Lebewesen. Die Organe wachsen sich in der Imagination zu dem aus, was sie einst waren. Das Nervensystem löst sich auf in pflanzliche Wesenheiten. Die Imagination des Paradieses zeigt den Menschen getrennt vom allgemeinen Weltenäther, jenseits des Ufers. Die Schädeldecke erscheint als Burg, in die die ätherischen Kräfte der Nervenstränge wie ein Schwert und des Blutes wie eine Lanze hinaufströmen. Der edelste Teil des Gehirns nährt sich nur von der Verbindung feinster Sinneseindrücke mit edelsten mineralischen Produkten. All dies ist in der Gralssage in Bilder gebracht. Der Astralleib wird selbständig, sein Egoismus verlangt die Erweiterung der Interessen über die ganze Erde, die Loslösung von persönlichen Interessen, das Verstehenwollen des Menschheitlichen. Der freigewordene Astralleib kann von Riten oder von einer stärkeren Persönlichkeit beeinflusst werden. Die Menschheitsinteressen ziehen sich im Ich zusammen, vorbereitet durch Augustinus. Die Astralität ringt mit der Egoität, wie in den drei Faustgestalten Goethes. Die Erfahrung eisiger Einsamkeit ist das Gegengewicht gegen den Egoismus des Astralleibes. Dehnt sich das Interesse auf die Welt aus, naht die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle. Wer noch an persönliche Interessen gebunden ist, wird von magnetischen Kräften festgehalten und kommt nicht vorbei. Die Vereinigung mit der Paradiesesimagination schafft das Organ, andere Wesen zu schauen, zunächst eine, die einem selbst ähnlich ist. Die äußere Wesenheit wird zum Hüter der inneren. Das Verhältnis der Hüllen zum Selbst wird begriffen. Die Kain- und Abelgeschichte erscheint als Spiegel eines hohen Opfers. Die stumpf gemachten Zerstörungstriebe werden zu Erkenntniskräften, die in das Wesen des anderen versenkte Vorstellung wird zur abgestumpften Waffe des Kain. Dadurch wird man reif, des anderen Interessen höher zu stellen als die eigenen und sich zu den höheren Hierarchien zu erheben. Die hellsichtige Wahrnehmung der vorzeitlichen Menschengestalt zeigt sich im wach werdenden Schlafbewusstsein als Kentaur, als Sphinx, als tierische Fortsetzung des Menschen. Luzifer wird als Geist der Schönheit und Egoität in der Nacht erlebt, Ahriman als Verführer im Tag, im Genuss, in der Furcht. Wo der Mensch materielle Atome sieht, ist in Wahrheit Ahriman. Der Intellekt sträubt sich gegen das Geistige. Im Mephisto der Faustdichtung lebt noch das Wissen des 16. Jahrhunderts. Der Mensch wird im Wachleben von Ahriman-Mephisto begleitet, als Gegenbild erscheint Luzifer in hellseherischen Augenblicken. Der Schutzimpuls gegen Ahriman war die physische Erscheinung des Christus; gegen Luzifer wird der Mensch durch die künftige Erscheinung des Christus im Ätherleib gewappnet. Die Erkenntnis der drei Impulse – Luzifer, Ahriman, Christus – führt zur rechten Entwicklung des Selbst und des Astralleibes. Die Veränderungen des Menschen werden für die äußere hellsichtige Anschauung sichtbar: der physische Leib erscheint zerspaltet und wachsend, Imaginationen treten an die Stelle der Materie. Zwölf Glieder eines Weltengemäldes, durch das die Hierarchien sprechen, offenbaren sich. Der Ätherleib erzählt die Weltgeschichte, der Astralleib wird zum Ausdruck des inneren Wertes des Menschen im Kosmos. Das Selbst teilt sich, sendet seinen Bewusstseinsinhalt aus, verlegt ihn in ein Wesen der Hierarchien. Die Sonne ist das Bild für den Astralleib, die Planeten für die Vervielfältigungen des Selbstes. Die Bewusstseinsseele wird zur Imaginationsseele, die Verstandesseele zur Inspirationsseele, die Empfindungsseele zur Intuitionsseele. 146) In alten Zeiten, als das menschliche Bewusstsein noch nicht so individualisiert war wie heute, lebte der Mensch in einer Welt, in der das Göttliche unmittelbarer erfahrbar war. Die Bhagavad Gita ist ein Zeugnis jener Epoche, in der das Hellsehen noch in die menschliche Seele leuchtete. Arjuna steht am Beginn eines gewaltigen Kampfes, erschüttert von der Aussicht, gegen seine eigenen Verwandten zu kämpfen. In diesem Moment der Seelenkrise tritt Krishna als göttlicher Lehrer an ihn heran, um ihn zu führen und ihm die Bedeutung des Einzel-Ichs, des individuellen Selbst, zu erschließen. Nicht das äußere Geschehen, sondern die innere Bewusstseinslage ist entscheidend. Die Gita offenbart, wie der Mensch sich aus den alten Bindungen löst und zum selbstbewussten Ich heranreift. Krishna lehrt Arjuna, dass der Mensch seine Pflicht tun soll, ohne an den Früchten der Handlung zu haften. Das Ich soll sich nicht mit dem äußeren Tun identifizieren, sondern erkennen, dass es Werkzeug höherer geistiger Mächte ist. So wird der Mensch fähig, inmitten der Stürme des Lebens zu stehen, ohne von ihnen fortgerissen zu werden. Die Stufen des Yoga werden als Entwicklungsweg der Seele geschildert. Zunächst muss der Mensch lernen, seine Leidenschaften und Begierden zu beherrschen, um dann die Kräfte der Sympathie und Antipathie zu läutern. Durch die Läuterung des Traumlebens und das Eindringen höherer Erlebnisse in das Bewusstsein wird der Mensch empfänglich für übersinnliche Erfahrungen. In der Region zwischen Wachen und Schlafen begegnet der Suchende dem Krishna-Wesen, das ihm den Weg zum wahren Selbst zeigt. Das zyklische Gesetz des Lebens, die Wiederverkörperung der Seele und das Wirken geistiger Mächte im menschlichen Organismus werden als Voraussetzungen für die Entfaltung späterer Seelenkräfte dargestellt. Krishna ist der Vorbereiter des menschlichen Selbstbewusstseins, der Impuls, der den Menschen aus der Gruppen-Seele herausführt und ihn zur Individualität erhebt. Die Bhagavad Gita ist in ihrer künstlerischen Komposition so gestaltet, dass das Erleben des Suchenden sich bis zur Imagination steigert, bis zur unmittelbaren Anschauung der Krishna-Wesenheit. Der Krishna-Impuls wirkt auf die einzelne Menschenseele, während der Christus-Impuls die gesamte Menschheit verwandelt. Die schöpferischen Kräfte des Menschen, die in der Schwesterseele Adams vor dem luziferischen Einfluss bewahrt wurden, offenbaren sich durch Krishna und finden ihre Verkörperung im Jesusknaben des Lukas-Evangeliums. Die Begriffe Sattva, Rajas und Tamas, die in der Gita eine zentrale Rolle spielen, spiegeln die Grundkräfte der menschlichen Seele wider und stehen in Beziehung zu den philosophischen Strömungen des Westens, etwa bei Fichte, Hegel und Solowjew. Die Synthese des luziferischen und des Krishna-Impulses wird durch den Christus-Impuls vollzogen, der die Menschenseele zur Verselbständigung und Vervollkommnung führt. So zeigt sich, dass die okkulten Grundlagen der Bhagavad Gita nicht nur für den Einzelnen, sondern für die gesamte Entwicklung der Menschheit von tiefster Bedeutung sind. Die Gita ist ein ewiges Dokument der Menschheitsentwicklung, das in unserer Zeit neu verstanden und erlebt werden will. 147) Die Seele schreitet auf ihrem Erkenntnisweg durch Schwellen, an denen sie sich selbst begegnet, an denen sich Vergangenheit und Zukunft, Licht und Schatten, Wahrheit und Täuschung ineinander verschränken. Im Erleben der Rückschau zur Weltenmitternacht offenbart sich, wie das Schicksal des Menschen nicht bloß von äußeren Ereignissen, sondern von den tiefen Strömungen seines eigenen Seelenlebens geformt wird. Die Ruhe der Seele, das stille, innere Lauschen, ist Voraussetzung, um das Geistige in der Welt zu erkennen. Maria und Johannes Thomasius zeigen zwei Wege der Seelenentwicklung, die sich im Drama spiegeln: der eine getragen von Hingabe und Opfer, der andere von Erkenntnissuche und innerem Ringen. Im Schicksal Straders und in der Gestalt Ahrimans wird offenbar, wie die Mächte der Finsternis in das Menschenleben hereinspielen und wie die Erwartung der Seele auf das Kommende gerichtet werden muss. An der Grenze zwischen Sinneswelt und übersinnlichen Welten wirken Ahriman und Luzifer als Gegenspieler im Seelenleben. Ahriman, der Herr des Todes, will den Menschen an die Materie fesseln, Luzifer, der Inspirator von Kunst und Philosophie, verführt zur Abkehr von der irdischen Wirklichkeit. Das Böse entsteht dort, wo diese Mächte einseitig wirksam werden und der Mensch das Gleichgewicht verliert. Die Seele muss lernen, diese Kräfte zu erkennen und auszubalancieren. Ein Grundgesetz der Menschennatur ist die Verwandlungsfähigkeit der Seele, ihre Fähigkeit, sich selbst zu ergreifen und zu formen. In der elementarischen Welt begegnet die Seele Sympathien und Antipathien, die sie durch Selbsterkenntnis und Charakterkraft zu meistern hat. Die elementarische Welt fordert von der Seele, dass sie sich selbst immer wieder neu gestaltet und ihre inneren Kräfte entfaltet. Der Aufstieg in die geistige Welt verlangt, dass die Seele die kosmische Schrift zu lesen lernt, dass sie die Zeichen und Bilder des Geistigen zu deuten vermag. Das Verhältnis des Menschen zur geistigen Welt muss geklärt werden, damit Phantasie und Wirklichkeit unterschieden werden können. Das Weltenwort, das in der geistigen Welt erklingt, offenbart sich dem, der mit reinem Herzen und klarem Geist zu schauen vermag. Im Ringen um Idealismus und Atomismus, wie es sich am Seelenweg des Capesius zeigt, offenbart sich das lebendige Walten der Dreiheit. Die Lehre des Benedictus über die Dreiheit in den Welterscheinungen zeigt, wie das Gleichgewicht zwischen ahrimanischer und luziferischer Polarität durch Maß und Zahl, durch Gedanke, Schrift und Wort gefunden werden kann. Das Meditieren ist jener mittlere Zustand, in dem Denken und Wahrnehmen zu einer höheren Einheit verschmelzen. Für den Fortgang der Kultur ist es notwendig, dass die Begriffe dem Geistigen entsprechen und dass die Menschenseele in der geistigen Welt ihrem „anderen Selbst“ begegnet. Die Dreiheit wird auch in der Selbsterfahrung offenbar, und die Tragik Luzifers zeigt sich in der Absonderung vom Ganzen. Die Gedankenlebewesen führen ein Geistgespräch, das der Mensch zu vernehmen lernen muss. Die Seelenentwicklung folgt einem gesetzmäßigen Gang, doch wird sie durch jeden einzelnen Menschen individuell ausgestaltet. Philia, Astrid und Luna begegnen der Seele auf ihrem Weg, Luzifer und Ahriman greifen ein, und der Doppelgänger tritt auf als Schatten des eigenen Wesens. Die Jugendkräfte des Johannes und die andere Philia weisen auf den „Abgrund des Seins“, den die Seele zu überschreiten hat. Die luziferischen und ahrimanischen Einflüsse wirken in Vergangenheit und Gegenwart. Die Seele muss das Unterscheidungsvermögen für ihre Impulse ausbilden, um dem Hüter der Schwelle zu begegnen. Selbsterkenntnis, Selbsterkraftung und die Entfaltung von Mitgefühl und Liebe sind die Früchte dieses Weges. Die Verantwortung für die Anthroposophie erwächst aus der Erkenntnis, dass die Schilderungen der höheren Welten nicht bloß theoretisch, sondern als Lebensaufgabe zu nehmen sind. 148) Aus den Tiefen der geistigen Welt offenbart sich, was in den Evangelien nur in Andeutungen und Bildern erscheint: das wahre Geschehen um das Mysterium von Golgatha, die verborgenen Wege der Christus-Wesenheit auf Erden, und die Bedeutung dieses Ereignisses für die ganze Menschheitsentwicklung. Die vier Evangelien geben das Bild, das die Menschen von außen her erfassen konnten; das fünfte Evangelium aber erschließt sich, wenn das Bewusstsein sich erhebt zu jener Schau, in der die Akasha-Chronik lesbar wird, und so das Geistige hinter den äußeren Ereignissen erblickt. In der Zeit, da die alten Mysterienkräfte versiegen, wächst im jungen Jesus von Nazareth ein tiefes Leid, das aus der Erkenntnis der geistigen Verlassenheit der Menschheit stammt. Die großen Lehrer der Vergangenheit, die alten Eingeweihten, schweigen; die Welt ist arm geworden an geistigem Licht. In diesem Schmerz reift der Entschluss, das Menschenschicksal auf sich zu nehmen, und der Weg führt durch innere Prüfungen, durch Begegnungen mit Menschen, die in ihrer Not nach Sinn und Erlösung verlangen, und durch das Erleben der eigenen Ohnmacht gegenüber dem Verfall der alten Weisheit. Die Begegnung mit Johannes dem Täufer und die Taufe im Jordan werden zum Wendepunkt: In diesem Augenblick verbindet sich der Christus, das Sonnenwesen, mit dem Menschen Jesus. Von da an beginnt ein Weg, auf dem das Göttliche sich immer tiefer mit dem Irdischen verbindet, auf dem der Christus die Leiden, Ängste und Versuchungen der Menschheit durchlebt, um sie aus innerster Erfahrung zu erlösen. Die Versuchungen in der Wüste sind Prüfungen, in denen das Böse, das sich als luziferische und ahrimanische Mächte offenbart, den Christus zu Fall bringen will. Doch in der Überwindung dieser Mächte wird der Weg frei für das wahre Vaterunser, das makrokosmische Gebet, das aus den Tiefen des Universums die Kräfte herabruft, die den Menschen mit dem Göttlichen verbinden. Im Umgang mit den Essäern, im Gespräch mit der Mutter – die als Ziehmutter die Last der Menschheit in ihrem Herzen trägt –, in den Begegnungen mit den Jüngern und den Menschen am Wege, offenbart sich das Wirken des Christus als ein fortwährendes Opfer, als ein Hineintragen des göttlichen Lichtes in die Finsternis der Erde. Das Mysterium von Golgatha ist nicht nur ein äußeres Geschehen, sondern der entscheidende Wendepunkt in der geistigen Entwicklung der Welt: Der Tod am Kreuz ist das Opfer, durch das der Christus in die Erdensphäre einzieht, um fortan als lebendige Kraft im Innersten jedes Menschen zu wirken. Die Auferstehung ist die Verheißung, dass der Mensch, wenn er sich dem Christus öffnet, das Geistige in sich selbst wiederfinden kann. So spricht das fünfte Evangelium von einer neuen Beziehung des Menschen zur geistigen Welt, von einer Erneuerung des Christus-Verständnisses, das nicht in äußeren Dogmen, sondern im inneren Erleben, in der lebendigen Verbindung mit dem Geistigen gründet. Die Erinnerung an das Christus-Ereignis, das Verweilen bei seinen Bildern und Kräften, ist Heilung und Stärkung für die Seele, und der Weg zu einer neuen Erkenntnis, die das Menschengeschlecht in die Zukunft führt. 149) In jenen Jahrhunderten, die das Mysterium von Golgatha umgeben, hat sich das Seelenleben der Menschheit tiefgreifend gewandelt. Die griechische Philosophie brachte eine ungeahnte Vertiefung des Gedankenlebens hervor, und doch war gerade diese Epoche am wenigsten fähig, das Christus-Ereignis zu begreifen. Die gleichen geistigen Kräfte, die den Christus-Impuls bewirkten, führten auch zur Entfaltung des Denkens. Paulus, der Theologe, ringt mit den Begriffen der Gnosis: Urvater, Schweigen, die Äonen, die göttliche Sophia, Achamod, der Sohn des Vatergottes, der Heilige Geist, der Demiurgos – all dies sind Versuche, das Geheimnis zu fassen, doch sie reichen nicht heran an das Wesen des Christus. Die Gnostiker erkennen nicht den Zusammenhang zwischen der Christus-Wesenheit und Jesus von Nazareth. Die großen Weisen der alten Zeit – die indischen Rishis, die Schüler Zarathustras, die chaldäischen Eingeweihten – hätten das Christus-Ereignis verstehen können, doch gerade in der Zeit seines Erscheinens auf Erden war das Bewusstsein der Menschheit am wenigsten vorbereitet. Die theologische Gelehrsamkeit entfernte sich immer mehr vom lebendigen Christus-Verständnis. Die Sibyllen, Überreste alter Weisheit, wurden vom Christus-Impuls hinweggefegt. Paulus steht als Nachkomme der alten Propheten in einer besonderen Beziehung zur Welt des Ölbaums. Zwei Jesusknaben tragen in sich unterschiedliche Seelenkräfte, die für die Entwicklung der Menschheit bedeutsam sind. Die Wesenheit des nathanischen Jesus wirkt dreifach auf die Menschheit: auf die Sinnesentwicklung, auf die Lebensorgane, auf das Seelenleben – auf Denken, Fühlen und Wollen. In der Sage von St. Georg, der den Drachen besiegt, spiegelt sich diese Harmonisierungskraft wider. Die musischen Künste, die unter dem Zeichen Apollos stehen, sind Abglanz dieser Kräfte. Die Mythen von Midas und Marsyas, die Verseeligung des Christus in Apollo, weisen auf diese Zusammenhänge. Die Nachwirkungen des dreifachen Christus-Ereignisses durchziehen die nachatlantische Zeit. Zarathustra lehrt die Weltanschauung der Chronologie: Ahura Mazdao, Ahriman, Zaruana akarana, Amshaspands, Izeds. Die ägyptischen und chaldäischen Mysterien offenbaren sich in der Astrologie, die griechischen in der Meteorologie, die althebräische Weisheit in der Geologie. Die Propheten, die Kulte von Attis und Adonis, sind Vorverkündigungen des Mysteriums von Golgatha. Johannes der Täufer ist die Reinkarnation des Elias. Apollo und der Lorbeer, Paulus und der Ölbaum – überall leuchten die Zeichen des Christus-Impulses auf. Der Christus-Impuls wirkt in den verborgenen Tiefen der Seele. In Konstantins Sieg über Maxentius offenbart sich eine neue Kraft. Die Gralslegende, Parzival und die heilige Schale, Michelangelos Pietà, die Dichtungen von Chrétien de Troyes und Wolfram von Eschenbach, das Wiederauftauchen der Sternenschrift im Geheimnis des Parzival – all dies sind Manifestationen des Christus-Prinzips. Die Ganganda greida, die hinwandelnde Wegzehrung, deutet auf die geistige Nahrung, die der Gral spendet. Das Osterfest wird zum Symbol für die Durchchristung aller geistigen Offenbarungen. Jahve verbindet den Erdenherrn mit der Mondenmutter. In der Jungfrau von Orleans erscheint eine moderne, durchchristete Sibylle. Der Zusammenklang der Menschheitsgeschichte mit der Sternenschrift wird offenbar, wie ihn Johannes Kepler erkannte. Der Gral hat einen Gestirn-Aspekt und einen menschlichen Aspekt. Im Gebiet des Priesters Johannes leuchtet das Wort: „Ex Oriente lux.“ 150) Das Leben des Menschen ist von zwei Strömungen durchzogen, die in der Erziehung beachtet werden müssen: Die eine Strömung trägt das Kind aus der vorgeburtlichen Welt, aus göttlich-geistigen Regionen, in das irdische Dasein hinein. In den ersten sieben Lebensjahren wirkt diese Kraft besonders stark, sie ist durchdrungen von luziferischen Einflüssen, die das Kind mit einer gewissen Leichtigkeit, einer traumhaften Verbundenheit mit der geistigen Welt erfüllen. In dieser Zeit lebt das Kind noch in einer Art Nachklang der vorgeburtlichen Existenz, und die Erziehung muss darauf achten, diese Kräfte nicht zu zerstören, sondern sie in gesunde Bahnen zu lenken. Erst mit dem Zahnwechsel, etwa um das siebte Jahr, beginnt das Ich-Bewusstsein, sich stärker zu verdichten; das Gedächtnis, das Ego, treten hervor, und die ahrimanischen Kräfte beginnen, auf das Kind einzuwirken. Im neunten Lebensjahr verdichtet sich das Ich-Gefühl, das Kind erlebt eine gewisse Furcht vor der eigenen Gestalt, es wird sich seiner selbst bewusst. Die Aufgabe der Erziehung ist es, diese Prozesse zu begleiten, indem sie eine gesunde Umgebung, echte Autorität und Begeisterung für Ideale schafft. Nur so kann das Kind zu innerer Selbständigkeit heranreifen. Das Gedächtnis ist ein Spiegelbild der ewigen Kräfte, die im Menschen wirken; die Zähne sind ein äußeres Zeichen für den Übergang von den geistigen zu den irdischen Kräften. Das Altern ist ein Prozess, in dem sich die seelischen Sommer- und Winterkräfte abwechseln, in dem luziferische und ahrimanische Einflüsse miteinander ringen. Die Unterscheidung zwischen sinnlicher und übersinnlicher Welt ist eine Aufgabe, die der Mensch im Laufe seines Lebens zu bewältigen hat. Im Jahreslauf, besonders im Zusammenhang mit Ostern, offenbart sich das Verhältnis von Sonnen- und Mondkräften. Die abnehmenden Sonnenkräfte im Verhältnis zum Vollmond zeigen den Niedergang der Erde an, doch durch die Auferstehungskraft des Christus wird eine neue Entwicklung möglich. Die Versuchung Luzifers, der Gegensatz von Christus und Jehova, die Empfindung von Winter und Sommer in der Erdenentwicklung, all das sind geistige Realitäten, die sich im Festkreis offenbaren. Das Sinneserleben des Menschen ist ein Tor zur Welt der Verstorbenen. Im Initiationserleben steht der Mensch vor dem Nichts, vor der Todesvorstellung. Die äußeren Sinne und die Sinne des Selbstwahrnehmens, besonders das Gehör, spielen eine besondere Rolle für das Erleben nach dem Tode. Die Verbindung der Lebenden mit den Toten wird durch spirituelle Vorstellungen ermöglicht, die Nahrung für die Verstorbenen sind. Fehlen diese Vorstellungen, so leiden die Toten Mangel. Es ist eine Aufgabe der Menschheit, spirituelle Vorstellungen zu erwecken und so an der Entwicklung der geistigen Welt mitzuwirken. Die Toten wirken in die Welt der Lebenden hinein. Wie Raffael von seinem verstorbenen Vater inspiriert wurde, so wirken die Verstorbenen weiter auf die Kulturentwicklung, indem sie Impulse in die Welt der Lebenden senden. Die spirituelle Hinneigung zu den Toten ist heute durch die technische Umgebung des Menschen erschwert, doch bleibt es eine Aufgabe, diese Verbindung zu pflegen. Die Anthroposophie selbst ist eine Frucht der Erde, eine Wirkung der Toten für den Fortschritt der Kultur. In der Initiation werden die Kräfte der Seele verwandelt. Das Denken löst sich vom Leibe, die Liebe wird zur Vorstellungskraft, die Sprachkraft wird zur Erkenntnis des Weltenwortes, die Blutkräfte werden in der Willensmeditation transformiert. Die Verbindung mit den Toten, das Erleben der Unsterblichkeit, das Bewusstsein von Leben zwischen Tod und neuer Geburt, all das wird in der Initiation erfahrbar. Natur und Geist sind keine Gegensätze, sondern Wechselzustände. Die Erde ist eine lebendige Ganzheit, der Mensch ist mit ihr im Wachen und Schlafen verbunden. Die Anschauung der Erde hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt, von Kepler und Giordano Bruno bis zu Goethe. Im Menschen, im Mann und Weib, wirken Natur und Geist in unterschiedlicher Weise. Die drei Entitäten – Wesen, Natur, Geist – durchdringen einander. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts strömen spirituelle Wahrheiten in die Welt, die Naturwissenschaft wirkt als Gegenschlag gegen die alte teleologische Weltauffassung. Der Mensch wird aus der Weltbetrachtung eliminiert, doch das Wesen der Ewigkeit bleibt. Die sittlichen Ideale werden durch Kräfte des Gliedmaßenmenschen erweckt, die Sprachkräfte wandeln sich zur Erkenntnis des Weltenwortes, des Christus. Die Freiheit der Seele besteht darin, moralischen Motiven und dem Christus aus freiem Willen zu folgen. Das Ideal der Freiheit und Wahrheit ist das Ziel der menschlichen Entwicklung. Die Gegenwart ist geprägt von Erdenwinter und Sonnen-Geistessieg. Die Vergangenheit und Gegenwart-Zukunft erscheinen als Sommer- und Winterzeit. Im Menschen ringt die Liebeskraft der Sonne mit der Egoität der Erde. Der Sieg des Sonnengeistes über die tellurischen Winterkräfte wird in der Weihenacht gefeiert. Die Kindeskraft ist mit der Ewigkeitskraft verbunden, das Bild des nathanischen Jesusknaben verkörpert das Kind der Menschheit. Die Winterweihenacht ist der Sieg des Sonnengeistes über die Erdenkräfte. Im heutigen Kulturleben wirken luziferische und ahrimanische Kräfte in Wirtschaft, Weltanschauung und Religion. Die öffentliche Meinung wird von untergeordneten luziferischen Wesenheiten gebildet, die Gefahr der Abirrung durch Luzifer und Ahriman ist groß. Die Aufgabe des Menschen ist es, sich in Freiheit und Wahrheit zu entwickeln und die geistigen Kräfte, die in der Welt wirken, zu erkennen und zu verwandeln. 151) Der Mensch erlebt sich im Gedanken als ein unmittelbar Tätiger, der in jeder Faser seines Denkens gegenwärtig ist. Im Gegensatz zu äußeren Dingen, deren Wesen uns immer verborgen bleibt, ist der Gedanke unser Ureigenstes, weil wir ihn selbst erschaffen und vollständig durchdringen. Wer den Zusammenhang des Gedankens mit dem Kosmos erkennt, findet die tiefste Beziehung seines eigenen Wesens zur Welt. Doch die meisten Menschen leben nicht wirklich im Gedanken, sondern begnügen sich mit Worten; sie halten das, was sie durch Worte empfinden, für Gedanken, ohne bis zum wirklichen Denken vorzudringen. Die Entwicklung des menschlichen Geisteslebens zeigt, dass der echte Gedanke erst im alten Griechenland geboren wurde, als das frühere bildhafte Erleben der Welt in den Begriff überging. Daraus entstand im Mittelalter der Nominalismus, die Auffassung, dass allgemeine Begriffe nur Worte seien, keine wirklichen Wesenheiten. Doch das Wesen des Gedankens offenbart sich nicht im bloßen Wort, sondern im lebendigen, bewegten Denken, das den Menschen über das bloße Abbilden der Welt hinausführt. Es gibt zwölf gleichberechtigte Weltanschauungsrichtungen, von denen jede eine bestimmte Perspektive auf die Welt eröffnet. Diese Weltanschauungen sind wie Tierkreiszeichen um die menschliche Seele gelagert, und jede hat ihre eigene Berechtigung und Einseitigkeit. Der Mensch kann sich bemühen, die Welt von allen diesen Standpunkten aus zu betrachten, um so die Einseitigkeit zu überwinden und das Ganze zu erfassen. Zu den zwölf Weltanschauungsnuancen gesellen sich sieben Weltanschauungsstimmungen, die wie Planeten um die Tierkreiszeichen kreisen. Sie färben die Nuancen mit bestimmten seelischen Tönen, die sich als Sonne, Mond und Erde im Menschen widerspiegeln. Die Erde, der Anthropomorphismus, nimmt eine Sonderstellung ein, weil sie die menschliche Perspektive in den Mittelpunkt stellt. Im geistigen Kosmos steht der Mensch als Gedanke der Hierarchien. Die spirituelle Astrologie offenbart, dass der Mensch nicht nur ein Produkt irdischer Verhältnisse ist, sondern als ein lebendiges Glied im großen Zusammenhang des Kosmos steht. Die geistigen Wesenheiten, die Hierarchien, denken den Menschen, und in diesem Denken ist der Mensch selbst lebendig. So ist der Mensch berufen, sich als Teil des kosmischen Gedankens zu erkennen und durch die Pflege des lebendigen Denkens seine Beziehung zum Weltall zu vertiefen. 152) In der heutigen Zeit ist es notwendig, das Streben des Menschen nach okkulter Erkenntnis zu verstehen. Die okkulte Wissenschaft ist keine bloße Sammlung von Theorien, sondern eine lebendige Kraft, die in der Akasha-Substanz der Welt ihre Spuren hinterlässt. Jeder Gedanke, der aus wahrer geistiger Erkenntnis geboren wird, prägt sich in diese feine Weltensubstanz ein und wirkt nicht nur auf das eigene Leben, sondern auch auf das Schicksal der Erde und der Menschheit. Zwischen Tod und neuer Geburt lebt der Mensch in der Akasha-Substanz, und nur das, was an wahrer geistiger Arbeit auf Erden geleistet wurde, macht ihn für andere Seelen in jener Welt sichtbar. Wer während seines Erdenlebens keine geistigen Gedanken in sich aufnimmt, bleibt nach dem Tod für jene unsichtbar, die das Geistige suchen. Die Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten wird durch das geistige Streben gestärkt. Wer die Wahrheiten der Geisteswissenschaft in Gedanken bewegt oder sie den Verstorbenen vorliest, schafft eine reale Brücke zu ihnen, denn diese Gedanken sind für die Toten von großer Bedeutung und werden von ihnen aufgenommen. So wird die Kluft zwischen Lebenden und Toten überwunden, und die Arbeit an der Geisteswissenschaft wird zu einer gemeinschaftlichen Aufgabe, die über das Leben hinausreicht. Die Entwicklung der Menschheit ist durchzogen von luziferischen und ahrimanischen Kräften, die einerseits zur Überhebung, andererseits zur Verhärtung führen wollen. Es gilt, den rechten Weg zu finden, auf dem der Mensch sich zu einem neuen Organ der Erinnerung an frühere Erdenleben entwickelt. Die Meditation ist der erste Schritt, durch sie wird die Denkkraft innerlich gestärkt. Wird die Meditation von Empfindung durchdrungen, so erwacht die Seele zu tieferem Leben; durchdringt der Wille die Meditation, so wird der Mensch zum wahren Schöpfer seiner geistigen Entwicklung. Die Christus-Wesenheit ist in einzigartiger Weise mit dem Schicksal der Menschheit verbunden. In früheren Zeiten war es der Jehova-Impuls, der als Volksgeist wirkte, doch mit dem Mysterium von Golgatha hat sich der Christus mit der Erdenevolution vereint. Michael, der zuvor das Antlitz Jehovas war, ist nun der Zeitgeist, der den Menschen zur Erkenntnis des Geistigen führen will. Im neuen Michael-Zeitalter, das seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts angebrochen ist, wird das Verständnis für das Spirituelle geweckt, nachdem im Gabriel-Zeitalter das naturwissenschaftliche Denken vorherrschte. Der Weg des Christus durch die Jahrhunderte zeigt sich in der Entwicklung der menschlichen Wesensglieder: Im urindischen Zeitalter wirkte der Ätherleib, im urpersischen der Empfindungsleib, im ägyptisch-chaldäischen die Empfindungsseele, im griechisch-lateinischen die Verstandes- oder Gemütsseele, und im gegenwärtigen Zeitalter die Bewusstseinsseele. Die Suche nach dem Christus ist der rote Faden der Menschheitsgeschichte, und in der Zukunft wird der Christus in seiner ätherischen Wesenheit geschaut werden, als Berater und Freund der Menschen. Vor dem Mysterium von Golgatha gab es drei geistige Vorstufen, in denen der Christus sich mit der Menschheit verband: In der lemurischen Zeit durchdrang er das Geistwesen, das später als der nathanische Jesus geboren wurde, um die Sinneserfahrung zu ordnen; am Anfang der atlantischen Zeit wirkte er zur Regelung der Lebenskräfte; am Ende der atlantischen Zeit zur Harmonisierung der Seelenkräfte. Das Mysterium von Golgatha ist die zentrale Tat, durch die der Christus-Impuls in die physische Welt und die Menschheitsentwicklung eingreift. Die Gefahr, dass die menschliche Erinnerung chaotisch wird, wird durch den Christus-Impuls abgewendet. Die geistige Vorgeschichte des Mysteriums von Golgatha und das zukünftige Einfließen des Christus-Impulses in die menschliche Erinnerungsfähigkeit sind entscheidend für das Fortbestehen der Menschheit als geistige Gemeinschaft. Die Bewusstseinsentwicklung des Menschen ist untrennbar mit dem Christus-Geist verbunden. Große geschichtliche Ereignisse, wie das Wirken Konstantins, die Taten der Jungfrau von Orleans oder die Ahasver-Rückschau, sind Ausdruck des Christus-Impulses in der Geschichte. Die anthroposophische Bewegung steht in einer besonderen Beziehung zu den führenden Mächten unserer Zeit und ist berufen, eine neue Christus-Erkenntnis zu erringen. Das wahre Begreifen des Mysteriums von Golgatha verlangt eine Schulung der Selbstlosigkeit, die durch die Geisteswissenschaft gefördert wird. Nur durch selbstlose Hingabe an das Geistige kann der Mensch das Wesen des Christus erfassen und die Menschheit auf einen neuen Weg führen. Die vier Opfer des Christus, die drei Vorstufen des Mysteriums von Golgatha und die Notwendigkeit einer bewussten Christus-Erkenntnis sind die Grundlagen für das zukünftige intellektuelle und moralische Leben der Menschheit. 153) Der Mensch steht in einer Zeit, in der das geistige Suchen nach einer tieferen Erkenntnis des Daseins lebendig ist. Die Geisteswissenschaft, wie sie hier vertreten wird, ist keine Gegnerschaft zur Naturwissenschaft, sondern ihre Fortsetzung auf höherer Ebene. Was die Naturwissenschaft für die äußere Welt geleistet hat, das soll die Geisteswissenschaft für die geistige Welt tun. Die Kräfte der Seele, die in der Aufmerksamkeit, der Sprachkraft und der Aufrichtekraft liegen, können durch bewusste Übung gesteigert werden, so dass Imagination, Inspiration und Intuition entstehen. Jeder Mensch kann, wenn er vorurteilsfrei und mit innerer Aktivität an die geistigen Tatsachen herantritt, diese erkennen. Das Leben der Seele geht über Geburt und Tod hinaus. Im Moment des Todes tritt das Lebenstableau auf, in dem alle Erlebnisse des vergangenen Lebens wie in einem großen Bild erscheinen. Danach beginnt ein Prozess des Herausarbeitens aus dem, was im vergangenen Leben unerfüllt blieb. Die Seele durchlebt einen Wechsel von geistiger Geselligkeit und Einsamkeit, durchschreitet die Mitternacht des geistigen Daseins und blickt auf ihre vergangenen Erdenleben zurück. Daraus erwächst die Sehnsucht, im nächsten Leben einen Ausgleich zu schaffen. Die Seele formt ein geistiges Urbild für das neue Erdenleben und wendet sich dem zukünftigen Elternpaar zu. Aus dem Geistigen wird der neue Leib durchorganisiert, wobei die Erfahrungen des vergangenen Lebens in die Anlage des neuen Menschen einfließen. Das innere Wesen des Menschen offenbart sich in vier Sphären: Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Wollen. Durch das Erstarken der Erinnerungs- und Imaginationkräfte kann die Seele aus dem Leib heraustreten und das rein Zeitliche vor der Inkarnation erleben. Im vorgeburtlichen Dasein wirken Kräfte der Religiosität, Versuchung und Erziehung auf die Seele ein. Die Sinnesempfindungen bilden Phantome, das Denken wirft Schattenbilder, und im Gefühl und Willen lebt das Ungeborene, das sich erst im nächsten Leben entfalten wird. In der geistigen Welt unterscheidet sich das Erleben grundlegend vom physischen Plan. Weisheit verwandelt sich in Lebenskräfte, das fühlende Wollen wird schöpferisch, und die Dinge selbst stellen Fragen an die Seele. Das Irdische bereitet die Impulse für das geistige Leben vor. Nach dem Tod entfaltet sich das Bewusstsein in der geistigen Welt, die an das Irdische gebundenen Seelenkräfte lösen sich heraus und werden zu schöpferischem Seelenlicht. Die Seele erlebt Geselligkeit und Vereinsamung, durchschreitet die Weltenmitternacht und ergreift sich neu im Weltensein. Von der Weltenmitternacht an erlebt die Seele die Vergangenheit als geistige Außenwelt. Vergangene Ereignisse und Taten verwandeln sich in Fähigkeiten für das kommende Leben. Auch das soziale Leben ist von geistigen Kräften durchdrungen; Fehlentwicklungen können wie Karzinome wirken. Bei der Schaffung des geistig-ätherischen Urbildes für das nächste Erdenleben ist der Christus-Impuls eine Quelle des geistigen Kraftüberschusses, der das Menschsein in seiner Entwicklung voranträgt. 154) Im Traumleben offenbart sich, wie der Mensch, während das Ich-Bewusstsein zurücktritt, in webenden Bildern lebt, die aus dem eigenen Ätherleib aufsteigen. Diese Traumbilder sind oft Umgestaltungen oder Spiegelungen von Erlebnissen, die im Ätherleib als Erinnerungen gespeichert sind. Der Ätherleib trägt das ganze bisherige Leben in sich, und im Traum hebt sich ein Teil dieser verborgenen Inhalte hervor, wie wenn man eine Phonographenplatte abspielt. So ist das Traumerleben ein Schauen in die eigenen ätherischen Prozesse, wobei das gewöhnliche Tagesbewusstsein ausgeschaltet bleibt. Auch Halluzinationen wurzeln darin, dass der Mensch mit seinem Ich und Astralleib ein herausgelöstes Stück des Ätherleibes wahrnimmt, etwa wenn durch Krankheit der Ätherleib an einer Stelle aus dem physischen Leib herausgespannt wird. Im gesunden Zustand ist das Bewusstsein an den physischen Leib gebunden, im Traum und in gewissen Ausnahmezuständen öffnet sich der Blick in die ätherische Welt, wenn auch meist nur auf den eigenen Ätherleib. Das gewöhnliche Denken ist an den physischen Leib gebunden, das übersinnliche Denken hingegen erhebt sich in die geistige Welt. Um Verständnis für die geistige Welt zu erwerben, bedarf es einer Verstärkung der Seelenkräfte, einer Läuterung und Schulung des Denkens, Fühlens und Wollens. Die Klarheit der Vorstellungen ist unerlässlich, denn nur durch klare, lebendige Gedanken kann die geistige Welt wahrgenommen werden, ohne in atavistisches, ungesundes Hellsehen zu verfallen. Die alten Religionsstifter wirkten aus übersinnlicher Erkenntnis heraus, während die moderne Geisteswissenschaft den Menschen zur bewussten, individuellen Erfahrung der geistigen Welt führen will. Die Christus-Tat bildet den Wendepunkt der Menschheitsentwicklung, indem sie das Ich-Bewusstsein und die Freiheit des Menschen begründet. Im Verhältnis zu den Verstorbenen ist es Aufgabe der Lebenden, spirituelle Gedanken zu entwickeln, denn diese sind Nahrung für die Seelen der Toten. Der Egoismus muss überwunden werden, um eine echte Verbindung mit den Verstorbenen und der geistigen Welt zu ermöglichen. Die Entwicklung des Denkens ist die Aufgabe unserer Zeit. Die Geisteswissenschaft ist eine Zusammenfassung von Wissenschaft, Intelligenz und hellsichtiger Forschung. Sie verlangt Konzentration und Meditation, das Wahrnehmen des inneren Wortes und die Befruchtung des eigenen Fühlens und Wollens durch geistige Impulse. Die Logik des hellsichtigen Erkennens führt zu einer neuen Konkordanz zwischen Intelligenz und übersinnlicher Wahrnehmung. Die Grenzen des Erkennens werden durch die geistige Forschung überwunden. Die großen Feste wie das Johannifest und das Osterfest spiegeln die geistigen Prozesse wider, die der Mensch durchlebt. Die Mythen und Märchen tragen geistige Wahrheiten in sich, die für das Leben nach dem Tode Bedeutung haben. Der Mensch wird nach dem Tode zu einer leuchtenden Wesenheit, und die Verbindung zwischen Glauben und Wissen muss neu begriffen werden: Nicht mehr das blinde „Ich glaube“, sondern das bewusste „Ich glaube, was ich weiß“ ist das Ziel der modernen Menschheit. 155) Die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt sich dem Menschen angesichts des ständigen Entstehens und Vergehens in der Natur und im eigenen Leben. Die äußeren Erscheinungen, das Werden und Vergehen der Pflanzen, Tiere, selbst der Kontinente, spiegeln das Rätsel des Daseins wider. Auch im eigenen Leben erlebt der Mensch das Vergehen der Jugend, das Zurückbleiben von Erinnerungen, das Lernen aus Fehlern, das Reifen durch Irrtum und Erfahrung. Doch bleibt die Frage: Was ist der Sinn dieses Ganzen? Die äußere Sinneserkenntnis allein kann keine Antwort geben. Im hebräischen Altertum lebt das Bewusstsein, dass diese Frage nicht nur den Menschen, sondern auch höhere Wesen beschäftigt. Die Legende von der Erschaffung des Menschen zeigt, wie der Mensch als Wesen zwischen den Welten steht, berufen, das Geistige in das Irdische zu tragen. Die Lehre Buddhas bringt das Leid in den Mittelpunkt, das aus der Verstrickung in das Irdische resultiert, und weist auf den Weg der Befreiung durch viele Inkarnationen. Die Erde ist der Leib geistiger Wesenheiten, und der Mensch steht in lebendigem Zusammenhang mit seiner Umgebung und mit höheren geistigen Strömungen. Im Osten baut die Weltanschauung auf die Individualität, die sich durch viele Leben wandelt, auf die Bodhisattvas, die als Träger geistiger Entwicklung wirken. Im Westen hingegen steht die Persönlichkeit im Vordergrund, die sich in einem Leben entfaltet. Die Geisteswissenschaft führt das Individuelle zum Persönlichen hinzu und zeigt, wie in Gestalten wie Elias, Johannes dem Täufer und Raffael dieselbe Individualität als Verkünder des Christus-Impulses wirkt. Raffaels künstlerische Entwicklung wird durch den frühen Tod des Vaters geprägt, seine Wiederverkörperung findet sich in Novalis. Die Welt ist erfüllt von zahllosen Lebenskeimen, von Möglichkeiten, die nicht alle zur Entwicklung gelangen. In der Sphäre der Inspiration findet der Mensch jene Bilder, die geistige Realität ausdrücken. Doch diese visionäre Welt muss sich mit der äußeren verbinden, damit Entwicklung möglich wird. Der Mensch ist Mitakteur im Weltprozess, sein Bewusstsein kann zum göttlichen Bewusstsein aufsteigen. Die fortschreitende Erdenkultur wird vom Christus-Impuls durchdrungen, die Menschenseele ist der Ort, an dem göttliche Ziele verwirklicht werden sollen. Die Moral erwächst ursprünglich aus Instinkten, doch die Zeit verlangt eine neue Begründung moralischer Impulse. Indische Andacht und nordischer Starkmut sind Ausdruck vergangener Zeiten, jetzt aber treten neue moralische Kräfte hervor. Die Geschichte des armen Heinrich und das Wirken des Franz von Assisi zeigen, wie moralische Kräfte heilend wirken können. Die Verschwendung moralischer Kräfte kann jedoch auch zur Schwächung führen. Die Entwicklung der Menschheit ist geprägt von der Auseinandersetzung mit dem Bösen. Das rechte Verhalten gegenüber dem Bösen besteht im Ausgleich zwischen Selbstaufgabe und Egoismus. Die alten Tugenden, einst instinktiv, müssen neu errungen werden: Instinktive Weisheit wird durch den Christus-Impuls zu bewusster Wahrhaftigkeit, Starkmut zu Liebe, Mäßigkeit zu Lebensweisheit. Die moralischen Impulse wirken mit dem Christus-Impuls zusammen in der zukünftigen Entwicklung der Menschheit. Durch Taten des Glaubens, der Liebe und des Gewissens werden die zukünftigen Hüllen des Christus-Impulses gebildet. Die Seele des Menschen strebt nach freiem Willen und nach der Erfassung des Göttlichen. Der Sündenfall und die Versuchung bereiten die Seele auf die Aufnahme des Christus vor. Das Alte Testament ist vom Willen geprägt, die heidnischen Mysterien von Weisheit. Die Seele muss sich selbst erkennen, ihre Unsterblichkeit und Individualität durch Bewusstheit und Liebe hindurchtragen. Im Mysterium von Golgatha wird der Tod überwunden. Das, was der Mensch durch den Christus in sich aufnimmt, wird zum Keim für die ganze Menschheit. Die Ideale, die dem Christus übergeben werden, sind Saat für die Zukunft, dies gilt sowohl für das Leben auf Erden als auch nach dem Tod. Die Vergebung der Sünden durch den Christus wirkt nicht nur individuell, sondern ist eine objektive Weltentatsache. Durch das Mysterium von Golgatha wird die Schuld für die Erdenentwicklung getilgt. Wahrheit wird zur Lebenskraft und Erkenntniskraft. Christus musste den Tod erleiden, um die phantomartige Ausstrahlung des Menschen zu verwandeln. Durch das Hereindringen des Christus wird das Tote wiederbelebt, die Verbindung des Christus mit den Erdenresten des Menschen wird gestiftet. Christus ist der Sündenträger, und durch die Vergebung wird das Verhältnis der Seele zum Christus bekräftigt. Die Geisteswissenschaft wendet die naturwissenschaftliche Vorstellungsart auf das Geistige an. Der Mensch wird zum Instrument der Geistesforschung, indem er das Geistig-Seelische vom Leiblichen absondert und sich mit geistigen Wesenheiten verbindet. Durch die Erforschung der eigenen Seele, die durch wiederholte Erdenleben geht, werden Menschheits- und Schicksalsfragen durchdrungen. Die Geisteswissenschaft führt zu einem tieferen Verständnis des Christentums. Im Mysterium von Golgatha vereint sich das kosmische Christus-Wesen mit der Menschheit, dieses Ereignis ist der Mittelpunkt des Erdendaseins. 156) Das wahre Forschen in der geistigen Welt verlangt, dass ich mich von den gewohnten Denk-, Fühl- und Willensformen löse, die mir im physischen Leben dienen. Ich muss mich, um okkultes Lesen und Hören zu erlernen, einer inneren Schulung unterziehen, in der ich die Egoität, die gewöhnlich mein Denken, Fühlen und Wollen durchdringt, zurückstelle. Nur wenn ich in der Meditation lerne, alle Eigeninteressen, alle Wünsche und Begierden zum Schweigen zu bringen, öffnet sich mir die geistige Welt. In diesem Zustand kann ich erleben, wie sich das Seelische von den physischen Sinnen löst und in eine neue Art der Wahrnehmung eintritt, die nicht mehr an Raum und Zeit gebunden ist wie auf dem physischen Plan. Der physische Organismus ist ein Spiegelungsapparat, in dem die äußere Welt abgebildet wird. Wenn ich aber das okkulte Lesen und Hören erlerne, erfahre ich, wie der Astralleib in der geistigen Welt lebt und seine Erlebnisse im Ätherleib gespiegelt werden. Diese Spiegelbilder sind nicht bloße Abbilder, sondern lebendige Bilder geistiger Wirklichkeiten. Ich unterscheide dabei zwischen einem primitiven Hellsehen, das nur chaotische Bilder liefert, und einem entwickelten Hellsehen, das die kosmischen Zusammenhänge von Vokalen und Konsonanten zu erfassen vermag: Die Vokale als Ausdruck innerer Seelenregungen, die Konsonanten als Nachbildungen äußerer Gesten der geistigen Welt. Im Erleben des kosmischen Vokalismus stehe ich an der Pforte des Todes, wo die gewöhnlichen Gedanken und Vorstellungen als bloße Schattenbilder erscheinen gegenüber den realen Imaginationen der geistigen Welt. Hier begegnen mir die Wesenheiten der Angeloi, die mich lehren, liebevolles Interesse an der Welt zu entwickeln. Die Tierwelt offenbart sich als Physiognomie, die Pflanzenwelt als Mienenspiel, die Mineralwelt als Geste der Natur. Ich lerne, mich in andere Wesen zu verwandeln, ihre Perspektive einzunehmen. Das Böse erkenne ich als Missbrauch höherer geistiger Kräfte, die in der rechten Weise zur Förderung des Guten eingesetzt werden sollen. Wenn ich die Wesen der Angeloi, Archangeloi und Archai wirklich erfassen will, muss ich mich von den gewohnten Raum- und Zeitvorstellungen lösen. Das Weltenwort, das in der geistigen Welt klingt, spiegelt sich in meinem Ätherleib als sieben Weltenvokale und in meinem physischen Leib als zwölf Weltenkonsonanten. Im Leben zwischen Tod und neuer Geburt nehme ich in einer anderen Art wahr, als es auf der Erde möglich ist. Das rechte Lesen geisteswissenschaftlicher Bücher verlangt, dass ich mich innerlich verwandle, denn in der Zukunft wird ein neues Denkorgan entstehen, das in der Jupiter- und Venuszeit voll ausgebildet sein wird. Die Zeiten der Erwartung, wie sie sich im 19. Jahrhundert ausdrückten, finden ihre Erfüllung in der Geisteswissenschaft. Die Seele Christian Morgensterns wirkt nach dem Tode als geistiger Führer für jene, die auf Erden nach dem Geistigen suchten. Die Entwicklung der Eurythmie zeigt, wie künstlerische, pädagogische und hygienische Impulse aus der Geisteswissenschaft hervorgehen. Das Wesen des Gedächtnisses zeigt sich darin, dass der Astralleib wie ein Leser der okkulten Schrift wirkt. Die Heiligkeit der alten Schreibkunst, die Entstehung des Buchdrucks, Goethes Verhältnis zu den Farben – all das sind Erscheinungen, die ich im Zusammenhang mit dem Zusammenleben des Menschen mit der Volksseele begreife. Sympathien und Antipathien, die ich für eine Volksseele empfinde, sind nicht zufällig, sondern Ausdruck tiefer geistiger Zusammenhänge. Wenn ich vom Ich in den Astralleib übergehe, erlebe ich einen Übergang vom bewussten zum unterbewussten Erleben, wie es sich etwa in Geschmackserlebnissen zeigt. Die Möglichkeit einer Pflanzentherapie eröffnet sich mir, wenn ich die geistigen Zusammenhänge der Pflanzenwelt erfasse. Die Gedanken Maeterlincks und Fichtes zeigen das Streben nach einer Neubelebung der menschlichen Geistesentwicklung. Künstlerisches Gestalten erhält neue Impulse durch die Geisteswissenschaft, und die menschliche Gestalt wird unter dem Einfluss des Kosmos gebildet. Die Frage, wie ich mit meinen Begriffen und Vorstellungen in eine Wirklichkeit hineinkomme, führt mich zum Wahrnehmen der Welt in Spiegelbildern. Die objektive Gedankenwelt, die Welt der Hierarchien, das Ersterben des Gedankens im physischen Leibe und die Verwandlung der Bilderwelt in eine Welt der Realitäten – all das verlangt, dass ich moralische Impulse entwickle, die für die Hierarchien von Bedeutung sind. Die Aufgabe der Geisteswissenschaft ist es, die einseitige Kopfkultur in eine ganzmenschliche Auffassung der Welt zu verwandeln. Die Trennung und Wiedervereinigung von Kunst, Wissenschaft und Religion, das künstlerische Erleben und die Umwandlung des menschlichen Organismus in der kommenden Jupiterentwicklung, die Bauformen des Goetheanums – all das sind Aspekte einer neuen, umfassenden Menschenerkenntnis. Das Weihnachtsfest erhält eine neue Bedeutung durch das erneuerte Christus-Verständnis. Der Christus steigt aus geistigen Höhen herab und wirkt als göttlicher Mittler, wie es in verschiedenen Strömungen – Mithrasdienst, Manichäertum, Gnosis – auf verschiedene Weise verstanden wurde. Augustinus und Faustus stehen für unterschiedliche Auffassungen des Christus. Das erneuerte Christus-Verständnis zeigt, wie die Christus-Kraft im geschichtlichen Werden waltet und in jedem Menschen zur Geburt der Christus-Erkenntnis führen kann. Alte gnostische Sprüche und die Dichtung Christian Morgensterns bezeugen diese tiefen geistigen Zusammenhänge. 157) Im Angesicht der ernsten Zeitereignisse, die über Europa hereingebrochen sind, wird offenbar, dass das Geistige, das in der Menschheitsentwicklung waltet, nicht durch äußere Katastrophen zunichte gemacht werden kann. Die Kräfte, die aus einer geisteswissenschaftlichen Gesinnung erwachsen, sind es, die Liebe und Hilfe in die Welt tragen können, gerade in Zeiten, in denen das äußere Geschehen von Leid und Kampf geprägt ist. Der Blick muss sich weiten für das Wirken des Weltenkarmas, dessen Sprache oft erst im Nachhinein verstanden wird. In der Meditation und in mantrischen Sprüchen kann die Kraft gefunden werden, die den Menschen befähigt, das Zeitgeschehen zu durchdringen und sich ihm helfend entgegenzustellen. Das Nationale, das in diesen Tagen so sehr die Gemüter bewegt, ist nur eine irdische Konfiguration des Ewigen im Menschen. Im Tod hebt sich alles Nationale auf, und die Seelen begegnen einander jenseits aller irdischen Trennung. Die verschiedenen europäischen Völker sind Ausdruck unterschiedlicher Wesensglieder des Menschen; ihr Hass gegeneinander ist in Wahrheit ein Wüten gegen das eigene höhere Selbst, das in zukünftigen Inkarnationen mit anderen Nationalitäten verbunden sein wird. Die Charaktere der Völker, ihr Verhältnis zu Fremden, ihre Erfahrungen im Tod und im Krieg sind verschieden, und doch ist das Geistige, das sie verbindet, stärker als alles Trennende. Die besondere Stellung Russlands, die Grundstimmung des Gebets im Osten, und die okkulten Erfahrungen um den Kriegsausbruch zeigen, wie tief die geistigen Strömungen in das äußere Geschehen eingreifen. Die Volksseelen Europas offenbaren sich dem, der das irdische Leben als Maja zu durchschauen vermag, als geistige Wesenheiten, deren Wirken die individuelle Seele mit dem Tod verlässt. Der Sinn des Schlachtentodes liegt darin, dass durch ihn höhere Geistwesen mit Hilfe der durch den Tod gegangenen Seelen eine spirituelle Strömung in die Menschheitsevolution einzuführen suchen. Die gegenwärtigen irdischen Bündnisse und Kämpfe sind nur ein Abbild der geistigen Kampfsituation. Die Schuldfrage des Krieges kann nur im Licht des Volksseelenkarmas und der Forderung nach einem spirituell erneuerten Gedankenleben betrachtet werden. Der Christus-Impuls überragt alles bisherige Verständnis und wirkt lebendig in der Geschichte. Die große Tat der Jeanne d’Arc, das Ringen um Rom, die Verbindung der Seelen mit dem Christentum im Ätherleib bis ins 8. und 9. Jahrhundert, all dies sind Ausdruck der verschiedenen Aufgaben, die den Völkern Europas zugeteilt sind. Im Osten entwickelt sich eine Gefühlsverbindung zum Christentum, in Mitteleuropa eine erkenntniswache Verbindung mit dem Ich. Die Zukunft verlangt, dass Mittel- und Osteuropa ihre Aufgaben ergänzen, denn Unheil droht, wenn Mitteleuropa durch äußere Gewalt geschädigt wird. Die großen historischen Zusammenhänge werden aus der geistigen Welt heraus geregelt. In der Zeit der Jeanne d’Arc geschah dies anders als heute, wo die Maschinenwelt mit ihrer ahrimanischen Geistigkeit zerstörerisch auf den Menschen wirkt. Doch durch menschliches Handeln können göttlich-geistige Kräfte in die Welt fließen. Michael, der dienende Geist des Christus, wirkt bis in den physischen Verstand, und die Spiritualisierung der Verstandeskräfte ist der Weg, dem Ahrimanischen zu begegnen. Die Opferkraft der germanischen Seelen, im gabrielischen Zeitalter blutsmäßig, im michaelischen Zeitalter erkenntniswillig, ist der Schlüssel zur Überwindung der zerstörerischen Kräfte. Die Zeit fordert geistige Erkenntnis. Die Forscher werden auf das Vorhandensein der geistigen Welt hingelenkt, doch fehlt ihnen oft die Konsequenz, das Erkannte zu Ende zu denken. Die Religionssysteme haben die Aufgabe, Vorstellungen zu vermitteln, die über die Sinneswelt hinausführen. Die große Zahl jung Verstorbener im Krieg hinterlässt unverbrauchte Ätherleiber, deren Kräfte der Menschheitsentwicklung dienen können, wenn das Bewusstsein des Zusammenhangs mit der geistigen Welt gepflegt wird. Der Krieg bringt eine gefährliche Spiritualisierung, die nur durch bewusste geistige Anstrengung fruchtbar gemacht werden kann. Persönliche Erfahrungen mit Verstorbenen zeigen, wie nach dem Tod Selbsterkenntnis notwendig wird und wie die Überfülle des Geistes gedämpft werden muss, um Bewusstsein zu ermöglichen. Die Geisteswissenschaft ist nicht Theorie, sondern Führer zu einem lebensvollen Erfassen der geistigen Welt. Die unverbrauchten Ätherleiber der Gefallenen streben danach, sich helfend mit den Kräften der Lebenden zu vereinen. Der imaginativen Erkenntnisweg führt durch drei Tore: das Tor des Todes, das Tor der Elemente, das Tor der Sonne. Am Tor des Todes wird der Gedanke in der Meditation belebt, am Tor der Elemente muss der Wille ergriffen werden, Herr der Gedanken zu sein, und am Tor der Sonne begegnet der Mensch dem Drachen seiner niederen Natur. Die Überwindung dieser Schwellen ist notwendig, um die Geisterkenntnis zu erringen, die heute gefordert ist. Der Rhythmus von Schlafen und Wachen spiegelt sich im großen Entwicklungsgang des Weltenwesens. Meditation hinterlässt einen Abdruck im Weltenäther, der nach dem Tod karmabildend weiterwirkt. Die Geschichte der Geistesentwicklung zeigt, wie das Bewusstsein der geistigen Welt aus freiem Willen erarbeitet werden muss, besonders in einer Zeit, in der das Geistig-Seelische und das Leiblich-Physische nicht mehr natürlich voneinander gelöst werden. Die Hauptschwierigkeit des Geistesweges ist die feste Verbindung der Seele mit dem Leib. Jede Meditation ist Arbeit am eigenen höheren Wesen. Die Volksgeister der europäischen Völker stehen in besonderer Beziehung zu ihren Menschen, und der deutsche Volksgeist ist dem Weg der Geisteswissenschaft besonders verwandt. Die Gegenwartsereignisse mahnen zur Überwindung des Materialismus. Die Seele erfährt beim Verlassen des physischen Leibes ihren Zusammenhang mit dem Erdenorganismus. Die Lebensalter der Seelenfähigkeiten – Erinnerung, Denken, Fühlen, Wollen – stehen im Zusammenhang mit den planetarischen Entwicklungsstufen der Erde. Der menschliche Wille und das Karma sind miteinander verbunden, und durch den schweigenden Willen kann das Karma durchschaut werden. Die Beobachtung des Lebens in seiner Wirklichkeit ist die Grundlage für die Erkenntnis des geistigen Menschen im physischen Menschen. 157a) Nach dem Tod tritt der Mensch in eine umfassendere Welt ein, als sie das irdische Leben je bieten kann. Die geistige Welt ist weit und allumfassend, und der Mensch ist als Mikrokosmos in sie eingebettet. Das kurze irdische Leben ist nur ein Abschnitt in einem größeren Zusammenhang. Beim Eintritt in das Erdenleben wird aus dem allgemeinen Menschheitsstrom das individuell Eigene ergriffen und gestaltet; das Ich muss sich kontinuierlich erleben, um ein gesundes Tagesleben zu führen. Nach dem Tod bleibt das Ich-Bewusstsein durch die besondere Art der Lebensrückschau erhalten. Der Augenblick des Todes ist von großer Bedeutung für die Stärkung des Ichs. Im Schlaf verarbeitet der Mensch bereits vieles, was nach dem Tod als Erinnerung weiterlebt. Besonders die früh Verstorbenen behalten ein stärker spirituell durchleuchtetes Rückblickserleben und wirken helfend auf die Seelen, die sich zur Inkarnation vorbereiten. Die vielen jungen Toten bringen eine Erfrischung des spirituellen Lebens für die Zukunft der Menschheit. Nach dem Tod durchlebt der Mensch die Wirkungen seines letzten Erdendaseins rückläufig und verwandelt sie in Kräfte für die nächste Inkarnation. Die Erlebnisse des Lebens werden wie an einem Tableau erfahren, ähnlich wie das Ich während des Lebens am physischen Leib anstößt, so stößt es nach dem Tod an das Erlebte. Im Kamaloka gewöhnt sich die Seele an eine neue Welt, erlebt innere Zusammenhänge und erkennt andere Seelen. Die Lebenshaltung – ob mehr nach außen gerichtet oder nach innen – steht im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt des Todes im Erdenleben. Die großen Opfer und Tode vieler Menschen sind wie Samen für ein späteres geistiges Aufblühen der Menschheit. Die tieferen Weisheiten des Ätherleibes und des Astralleibes sind im irdischen Leben verdeckt. Die Entwicklung des Menschen besteht darin, diese Kräfte persönlich zu erringen. Die Seelen, die durch Opfertod gegangen sind, bringen Kräfte zurück, die im Erdenleben nicht aufgegangen sind. Im nachtodlichen Leben ist nur das wirklich, was zur Imagination gebracht wird; das gegenständliche Sein des Irdischen wirkt dort als Hemmnis. Der Idealismus auf Erden ist eine Kraft gegen den Materialismus und kündet vom Sein-Sollenden. Die Opferseelen sind Idealisten der geistigen Welt und bleiben mit dem Allgemein-Menschlichen der Erde verbunden. Ihre Wirkungen zeigen sich in späteren Inkarnationen, und die Zukunft der Erde ist auf die Früchte der Lebensopfer angewiesen. Der Tod verändert das Verhältnis zu einem Menschen tiefgreifend. Die Erinnerung an einen Verstorbenen unterscheidet sich grundlegend von der Erinnerung an etwas Vergangenes. Der Verstorbene nimmt die irdische Welt, die ihm verbundenen Seelen und deren Erinnerungen an ihn wahr. Diese Erinnerungen leuchten für ihn wie Schönheit auf und sind ein geistiges Erlebnis. Zwischen irdischer und geistiger Welt besteht ein tiefer Zusammenhang. Der Astralleib verfügt über ein umfassendes Wissen, das über das Oberbewusstsein hinausgeht. Der schützende Angelos wirkt im Astralleib. Wenn Egoismus in die tieferen Bereiche des Astralleibes dringt, entstehen Gefahren für die Lebensführung. Durch Erweiterung der Interessen und geistige Anstrengung kann der Egoismus überwunden werden. Während der physische Leib altert, wird der Ätherleib jünger. Der Mensch ist zweifach: Er lebt im gewöhnlichen Bewusstsein durch das physische Werkzeug und in einem tieferen, Zusammenhang schaffenden Bewusstsein eines inneren Zuschauers. Die Erinnerung im gewöhnlichen Bewusstsein wird durch das Anknüpfen an den tieferen Menschen verwandelt. Es gibt zwei Wege zum Geistigen: das Durchstoßen des äußeren Schleiers der Natur und das Durchstoßen des Schleiers des Seelenlebens. Geistige Erkraftung steht im Zusammenhang mit Todesprozessen; die Leiblichkeit ist das Ende der Wege Gottes und zugleich Ausgangspunkt für zukünftiges Leben. Die Aufgabe der Gegenwart ist es, die geistigen Zusammenhänge zu ergreifen, wobei Furcht vor dem Geistigen und das Sträuben gegen übersinnliche Kräfte Hemmnisse darstellen. Die Feindschaft unter den Menschen kann durch die einigende Verbundenheit mit Christus-Jesus überwunden werden. Das Weihnachtsgeheimnis steht im Zusammenhang mit der Schöpfungsgeschichte. Das Luziferische Prinzip, das nicht vorherbestimmt in die Erdenentwicklung eingezogen ist, wird durch das Mysterium von Golgatha verwandelt. Das Geheimnis des Ich besteht darin, dass es nach der allerersten Kindheit in der geistigen Welt stehenbleibt. Das Weihnachtsfest erinnert an diesen göttlichen Teil des Menschen. Die Weihnachtsspiele und ihre Aufführungen sind Ausdruck dieses Impulses. Heutiges Denken kann sowohl zur Sinnlosigkeit des Erdendaseins führen als auch zum geistigen Erdensinn durchdringen. Die Kindheitskraft lebt in besonderen Menschen weiter und wird durch den Weihnachtsgedanken impulsiert. Die heutige Kulturzeit ist von Finsternis in Bezug auf geistige Erkenntnis geprägt: Es herrscht ein Autoritätsglaube an Spezialwissenschaftler, das Denken ist verwahrlost, der Kritizismus borniert, und Absurditäten wie die Kritik der Sprache werden als Weisheit angesehen. In diesem Denken wirken Luzifer und Ahriman zusammen. Das Denken muss das Werden einbeziehen, um lebendig zu bleiben. Das Christusereignis ist für das historisch-materialistische Denken unbeweisbar und nur geistig erfahrbar. Das Weihnachtsmysterium bleibt der Quellpunkt für das Verständnis des Menschlichen. 158) In den großen Volksepen der Menschheit, in der Ilias, im Nibelungenlied, im Kalevala, offenbart sich das tiefe Streben der Völkerseelen, ihre Ursprünge, ihre Schicksale, ihre Beziehung zu den geistigen Mächten der Welt zu ergreifen. In diesen Dichtungen lebt nicht bloß Geschichte, sondern ein lebendiges, gegenwärtiges Erleben, das uns unmittelbar in die Seelen vergangener Zeiten versetzt. Nicht zufällig beginnt Homer mit der Anrufung der Muse – denn das, was in den Epen geschildert wird, ist nicht bloß Menschenwerk, sondern ein Zusammenwirken von Menschen und Göttern, von irdischen und übersinnlichen Kräften. Die Gestalten treten uns plastisch entgegen, und doch ist in allem ein Geheimnis, ein Rätsel, das sich nur erschließt, wenn wir den Geist dieser Dichtungen ernst nehmen. Im Kalevala, diesem Epos des finnischen Volkes, begegnet uns eine ganz eigene Welt. Hier lebt das Volkstum in einer besonderen Beziehung zu den Elementarwesen, zu den Kräften der Natur, die noch nicht ganz von der menschlichen Individualität durchdrungen sind, sondern in denen das Volk als Ganzes mit der elementarischen Welt verbunden bleibt. Die Gestalten des Kalevala, wie Väinämöinen, Ilmarinen, Lemminkäinen, sind Träger eines kollektiven Bewusstseins, das noch nicht von der Schärfe des individuellen Ichs geprägt ist. In ihren Taten, in ihren Liedern, in ihrem Ringen um das Sampo, das geheimnisvolle Glückssymbol, offenbart sich das Streben der Menschenseele, die Kräfte der Erde und des Himmels in Harmonie zu bringen. Die elementarische Welt, von der das Kalevala kündet, ist nicht bloß eine poetische Erfindung, sondern eine Wirklichkeit, die hinter der sinnlichen Erscheinung liegt. In alten Zeiten war der Mensch noch inniger mit diesen Wesen verbunden, und in den Volksepen klingt das Nachwirken jener Zeiten nach, in denen der Mensch im Traum, im Schauen, im Erleben der Naturkräfte mit den Elementarwesen verkehrte. Das Kalevala ist ein Zeugnis dieser alten Verbindung, ein Echo der Zeiten, in denen das Bewusstsein noch nicht ganz in die Enge des Ichs eingezogen war. Doch die Entwicklung der Menschheit schreitet fort. Im vierten und fünften nachatlantischen Zeitraum, in dem wir leben, ringt das Ich um seine Selbständigkeit, um die Überwindung der alten Bindungen an die elementarische Welt. In diesem Ringen begegnen uns die Mächte Luzifers und Ahrimans, die im menschlichen Organismus, in den Seelenkräften, in der Kulturgeschichte wirken. Zwischen diesen Kräften sucht das Ich das Gleichgewicht, sucht die Mitte, in der wahre Menschlichkeit aufleuchten kann. Die Welt ist das Ergebnis von Gleichgewichtswirkungen, von Kämpfen und Versöhnungen zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis, des Geistes und der Materie. Im Menschen, in seiner Leiblichkeit, in seinem Seelenleben, in seinem Streben nach Erkenntnis und Freiheit, spiegelt sich dieser kosmische Kampf wider. Die Aufgabe der Gegenwart ist es, das Bewusstsein für diese Zusammenhänge zu wecken, die alten Mythen und Epen nicht bloß als Dichtungen, sondern als Offenbarungen geistiger Wirklichkeiten zu erkennen. Im Traumlied von Olaf Åsteson, das zur Jahreswende erklingt, wird das Erwachen der Menschenseele aus dem Schlaf der Finsternis geschildert. In der Gestalt des Olaf Åsteson lebt das Bild des Menschen, der durch die dunkle Zeit hindurchgeht, die Prüfungen und Offenbarungen der geistigen Welt erlebt und schließlich zum neuen Bewusstsein erwacht. So ist das Traumlied ein Bild für den Weg der Menschheit, für das Erwachen des Geistes im Menschen. Auch das russische Volkstum trägt eine besondere Mission in der Entwicklung der Menschheit. In seinem Innersten lebt eine Veranlagung zur Hingabe an das Geistige, zur Durchdringung der Welt mit dem Christus-Impuls, der in der Zukunft immer stärker hervortreten wird. Die Aufgabe der Gegenwart ist es, die verschiedenen Volksseelen, ihre Epen, ihre Mythen, ihre geistigen Aufgaben zu erkennen und in ein harmonisches Miteinander zu führen. So erschließt sich in der Betrachtung der Epen, der elementarischen Welt, der Kämpfe der luziferischen und ahrimanischen Mächte, der Gleichgewichtswirkungen im Kosmos und im Menschen, ein tieferer Sinn der Menschheitsentwicklung. Der Weg führt von der alten Verbundenheit mit den Elementarwesen über die Bewusstwerdung des Ichs zur freien, geistigen Menschheit, die in der Zukunft ihre Aufgabe in der Welt erkennen und erfüllen wird. 159/160) Im Menschenleben wirkt eine tiefe Kluft zwischen der physischen Welt, in der wir zwischen Geburt und Tod leben, und der geistigen Welt, die wir nach dem Tod betreten. Doch die Geisteswissenschaft zeigt, dass diese Trennung nur scheinbar ist. Die Seelen, die durch den Tod gegangen sind, bleiben mit uns verbunden, sie werden zu tätigen Mitarbeitern in der geistigen Welt, zu Stützen und Säulen unserer Bewegung, zu Herolden, die uns zurufen, dass unser Streben von Bedeutung ist, auch über den Tod hinaus. Nach dem Tod erlebt die Seele einen Zustand, der dem embryonalen Leben ähnelt, doch dauert er nur wenige Tage. Dann folgt ein Erwachen in der geistigen Welt, ein Gewahrwerden des eigenen Willens, der nun von den Wesenheiten der höheren Hierarchien aufgenommen wird. Wie der Mensch bei der Geburt den ersten Atemzug tut, so wird die Seele nach dem Tod in die geistige Welt hineingeführt und wächst in die neue Umgebung hinein. Die Verbindung zu den Zurückgebliebenen bleibt bestehen, denn die Gedanken und Gefühle, die aus Liebe oder geistiger Verbundenheit zu den Verstorbenen gesendet werden, strömen wie ein Nebenfluss in den großen Strom der geistigen Gemeinschaft ein. Diese geistige Verbindung ist inniger und wirklicher als jede äußere, materielle Beziehung. Die Zeit, in der wir leben, ist von Materialismus geprägt; sie baut ihre Kultur und Moral auf das Leben zwischen Geburt und Tod. Doch die Geisteswissenschaft bringt einen neuen Aufbau des sittlichen Lebens, der Tugenden, denn sie erweitert den Blick über das einzelne Erdenleben hinaus auf die wiederholten Erdenleben der Seele. Die Tugenden erhalten so einen höheren Sinn, sie werden in einen größeren Zusammenhang gestellt. Vier Tugenden stehen im Mittelpunkt: Weisheit, Mut, Mäßigung und Gerechtigkeit. Weisheit ist nicht bloßes Wissen, sondern eine tiefe, aus Erfahrung und innerem Erleben geborene Kraft, die den Menschen durchdringt. Mut ist jene Kraft, die den Menschen befähigt, den Gefahren und Herausforderungen des Lebens zu begegnen, nicht aus bloßer Kühnheit, sondern aus innerer Überzeugung. Mäßigung ist das rechte Maßhalten, das Gleichgewicht zwischen den Kräften der Seele, das den Menschen vor Einseitigkeit bewahrt. Gerechtigkeit schließlich ist die Harmonie, die entsteht, wenn Weisheit, Mut und Mäßigung in rechter Weise im Menschen zusammenwirken. Diese Tugenden sind nicht abstrakte Ideale, sondern sie wurzeln in den verschiedenen Wesensgliedern des Menschen – dem physischen Leib, dem Ätherleib, dem Astralleib und dem Ich. Die Weisheit steht in Beziehung zum Ich, der Mut zum Astralleib, die Mäßigung zum Ätherleib, und die Gerechtigkeit ist das harmonische Zusammenwirken aller Wesensglieder. So wird das sittliche Leben des Menschen zu einem Spiegelbild der geistigen Welt, und die Entwicklung der Tugenden zu einem Weg, der den Menschen immer mehr mit der geistigen Welt verbindet. Die geistigen Mächte wirken in die physische Welt hinein, und der Mensch ist berufen, diese Einwirkungen bewusst zu erkennen und in seinem Leben fruchtbar zu machen. Die Verbindung zu den Toten, das Verständnis des Todes, die Entwicklung der Tugenden und das Erleben der geistigen Welt – all dies sind Aufgaben, die der Mensch auf seinem Entwicklungsweg zu ergreifen hat, um die Kluft zwischen der physischen und der geistigen Welt zu überwinden und zum wahren Menschen zu werden. 161) Der Mensch ist ein vielschichtiges Wesen, dessen wahre Natur sich erst allmählich durch geistige Erkenntnis erschließt. Im physischen Leib lebt nicht nur das, was in der alten Saturnzeit angelegt wurde, sondern dieser Leib ist durch die Sonnen-, Monden- und Erdenentwicklung hindurchgegangen und hat sich dabei unter dem Einfluss von Ätherleib, Astralleib und Ich immer wieder umgewandelt. So tragen wir in uns die Spuren dieser vier Verwandlungsstufen, und ebenso zeigt sich das Ich in einer vierfachen Gestalt: als von außen wahrnehmbare Erscheinung, als Sprache und Gesang, als schöpferische Phantasie und als inneres Erlebnis. In der Kunst, besonders in Rezitation und Gesang, kann das, was aus der Geisteswissenschaft gewonnen wird, fruchtbar werden und zu einer Erneuerung führen. Die alten Saturnkräfte wirken weiter in der Schicksalsgestaltung des Menschen, die alten Mondenkräfte in der Embryonalentwicklung. Die Beziehung des Menschen zu den Gedanken hat sich im Laufe der Zeiten gewandelt; Sonnenwesen wirken in der philosophischen Entwicklung der Menschheit fort. Künstlerische Schöpfung wurzelt in den Geheimnissen der Initiation, wie das Beispiel von Brunetto Latini und Dante zeigt. Der Christus-Impuls wirkt in den unbewussten Seelenkräften weiter und erneuert die Kunst aus der Tiefe heraus. Das Leben auf Erden ist Maja, Schein; es spiegelt kosmische Erlebnisse wider, die der Mensch vor der Geburt durchlebt hat. Diese Spiegelungen prägen die Kindheit, und ihr Verständnis ist für die Pädagogik von Bedeutung. Das Erwachsenenleben ist wiederum Spiegelung von Vorgängen außerhalb der sichtbaren Welt, und im Tod offenbart sich das Wesen der menschlichen Freiheit. Wahre Selbsterkenntnis ist schwierig, weil im Unterbewussten wirkende Seelenkräfte sich in unserer Vorstellungswelt maskieren. In der Dichtung kann das Wirken verborgener Schicksalsbeziehungen sichtbar werden, wie in der Novelle „Die Sängerin“ von Herman Grimm. Auch das Gesetz der Erhaltung der Kraft, wie es Julius Robert Mayer für die Natur formulierte, gilt im geistig-seelischen Bereich: Die unverbrauchten Ätherkräfte früh Verstorbener wirken weiter, ihr unausgelebtes Karma bleibt bestehen und kann in der Kunst oder im Schicksal anderer weiterwirken. Um das nachtodliche Leben zu erforschen, ist Selbstlosigkeit notwendig. Die Seele erwacht nach dem Tode, indem ihr Bewusstsein gedämpft wird. Die künstlerische Betätigung ist verwandt mit den nachtodlichen Erlebnissen, und die Künste werden durch geisteswissenschaftliche Gedanken befruchtet. Die Furcht vor der geistigen Welt ist bei modernen Künstlern zu spüren, doch es gibt auch Vorbilder selbstloser Hingabe an das Geistige. Übersinnliche Erkenntnisse werden durch die Loslösung geistiger Kräfte aus dem physischen Organismus gewonnen. Es gibt verschiedene Arten des Hellsehens, wobei das Kopfhellsehen unserer Zeit am angemessensten ist. Die Gedankenwelt muss für geistige Wesenheiten durchlässig werden, was auch von Materialisten wie Ludwig Feuerbach geahnt wird. Oberflächlichkeit und inkonsequentes Denken sind Feinde der Geisteswissenschaft. Die Gestalten des Nibelungenliedes, wie Siegfried und Brunhilde, tragen das Nachwirken früherer Inkarnationen in sich. Die Tragik des Nibelungenliedes wurzelt im Erlöschen der alten Sonnenseherkraft, wie es auch im Mythos von Baldur und Nanna erscheint. Die Sprache verliert ihr innerliches Verhältnis, doch es gibt Versuche, dieses wiederzubeleben. Die Glocken verstummen von Karfreitag bis Ostern, ein Symbol für den Verlust der alten keltisch-germanischen Verbundenheit mit den Naturgeistern. Die Trauer über diesen Verlust lebt im Mythos von Baldurs Tod weiter, dessen Abstieg zur Hei das Versinken der lebendigen Bildekräfte in die Unterwelt der Seele bedeutet. Durch den auferstehenden Christus werden diese Kräfte wiederbelebt, wie es in der Evangelienharmonie des Otfried von Weißenburg nachklingt. In den Kar-Tagen wird die Stimmung des Durchgangs des Christus durch Tod und Grab erfahrbar. Der Kampf gegen Luzifer und Ahriman hat Bedeutung für das künftige Leben auf dem Jupiter. Das Erdenbewusstsein wird im Jupiterdasein wiedererweckt, und die Menschenseele wird vor den Mächten Luzifers und Ahrimans gerettet. Das „Jüngste Gericht“ von Michelangelo und das neue Christus-Verständnis Christian Morgensterns zeugen von unterschiedlichen Stufen des Christus-Erlebens. Die Initiation führt dazu, dass die Denktätigkeit vom Ätherleib in den Astralleib verlegt wird; der Ätherleib wird zum Spiegelungsapparat, ein Ätherherz wird ausgebildet. Das Gangliensystem gewinnt für die Zukunft an Bedeutung. Kopfhellsehen entsteht durch Höherentwicklung der Denkkräfte, Bauchhellsehen durch Zurückspiegelung unbewusster Begierden. Nach dem Tod und bei der Initiation werden Denkkraft und Willenskraft in neuer Weise erfahren. Die Denkvorgänge werden durch Spiegelung im früher Gedachten bewusst. Das irdische Leben verwandelt sich in Wahrnehmungsorgane für die geistige Welt. Übungen zur Erweiterung der Willenskräfte führen über das gewöhnliche Erleben hinaus. Die Aufnahme des Christus-Impulses ist notwendig, um Geschichtsfälschungen und Veräußerlichung der Seelenforschung entgegenzuwirken. 162) Im Menschenleben zeigt sich das Bewusstsein nicht als Folge von Wachstum und Aufbau, sondern durch Abbau und Zerstörung im Nervenorganismus. Wo nur Wachstum herrscht, bleibt das Bewusstsein dumpf und traumhaft, wie beim kleinen Kind. Erst indem der Mensch die sprießenden Lebenskräfte in sich abbaut, entsteht das wache Bewusstsein. Im Schlaf wiederum wird das im Tagesbewusstsein Zerstörte durch geistige Kräfte wieder aufgebaut. So spiegelt sich im Menschen der große Rhythmus von Wachen und Schlafen, wie er auch in der Erde im Wechsel der Jahreszeiten lebt: Im Sommer sprießt und wächst das Leben, im Winter zieht es sich zurück, die Erde schläft, und das Bewusstsein der Erde erwacht. Die alten Einweihungssprüche „Ex Deo nascimur“, „In Christo morimur“, „Per Spiritum sanctum reviviscimus“ drücken diese geistigen Zusammenhänge aus, die der moderne Mensch erst wieder erkennen muss. Das menschliche Bewusstsein spiegelt die Weltgedanken, doch dieses Spiegelbild ist nur Keim für ein neues Dasein. Im Menschen wird aus dem Nichts neues Sein geboren, indem er die Weltgedanken aufnimmt und verwandelt. Goethes tiefes Empfinden für diese Zusammenhänge zeigt sich in seiner Dichtung. Der Materialismus als Zeitströmung hat seine Ursache im Karma der Menschheit und kann nur durch eine lebendige Aufnahme der Geisteswissenschaft überwunden werden. Die wahre Pfingststimmung unserer Zeit besteht darin, dass der Geist in das menschliche Herz einzieht. Das Erinnern an das Physische ist dem Menschen gegeben, doch geistige Erlebnisse lassen sich nicht im Gedächtnis festhalten. Die Freiheit des Menschen beruht darauf, dass die Erinnerungsbilder wie Schleier vor der geistigen Welt liegen. Müdigkeit und Schlaf sind notwendig, um das Bewusstsein immer wieder zu erneuern. Ehrfurcht vor der Wahrheit und vor dem Wissen ist die Grundlage echten anthroposophischen Strebens. Die Lebensverhältnisse wandeln sich im Laufe der Jahrhunderte, und damit auch die Dauer des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt. Die Entwicklung der Zukunft bereiten heute jene vor, die sich der Geisteswissenschaft öffnen. Goethe wusste um sein Bestimmtsein durch die Zeitverhältnisse und rang um Unabhängigkeit, wie es im zweiten Teil des „Faust“ sichtbar wird. Die Gestalt des Famulus Wagner lebt in der Gegenwart als Vertreter materialistischer Wissenschaft fort. In uns wirken die Nachklänge früherer Daseinsformen: Das Träumen des alten Mondenmenschen lebt als Imaginationen der Engel, das Schlaferlebnis des Sonnenmenschen als Inspiration der Erzengel, das Tiefschlaferleben des Saturnmenschen als Intuitionen der Urengel. Die Atome sind nicht Urbausteine, sondern das Ergebnis geistiger Prozesse. Die Worte Christi: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ weisen auf die bleibende Kraft des Geistes. Im Wahrnehmen der physischen Welt werden wir zugleich von höheren Wesen wahrgenommen. Unser Gedächtnis ist ein Abbild des Gedächtnisses der Engel. Die Entwicklung der Sprache, wie sie Jakob Grimm erforschte, hat ihre Wurzeln in geistigen Vorgängen. Die Worte entstehen und vergehen, und die Engel erleben diese Entwicklung mit. Die Geister der Form führen die Erdenentwicklung. Ursprünglich sollte ein Einklang zwischen Sprechen und Denken herrschen, doch zurückgebliebene Wesenheiten – luziferische Engel und ahrimanische Erzengel – durchkreuzen diese Absicht. Abstrakte Dogmatik ist luziferischer Herkunft, während das Nationalitätenprinzip ahrimanisch wirkt. Der Christus-Impuls hilft, diese Versuchungen zu überwinden. Das Rätsel des Christus Jesus zeigt sich in der Zweiheit von Baum der Erkenntnis und Baum des Lebens. In der Geschichte wirken zwei Strömungen: die Erkenntnisströmung, die im Römertum verdorrt, und die Lebensströmung der germanischen Völker, die ein lebendiges Verhältnis zum Christus-Impuls haben. Diese beiden Strömungen wirken bis in die Philosophie Kants und in die Bestrebungen Karls des Großen. Das Essen vom Baum der Erkenntnis und das Nichtessen vom Baum des Lebens prägen unser Schlaf- und Wachbewusstsein. Luzifer und Ahriman wirken zusammen in unserem Tages- und Nachtleben. Die Geisteswissenschaft führt zur Vereinigung von Jesulogie und Christologie im Christus Jesus. Das Verhältnis von abendländischer und morgenländischer Menschheit zum Denken zeigt sich in der Vermenschlichung des Gedankens bei den Griechen. Durch das Mysterium von Golgatha kehrt sich dieser Prozess um. Die Neuzeit neigt zum Musikalischen. Der neue Baustil, die weltgeschichtliche Stellung von Augustus, Julian Apostata und Justinian, all dies steht im Zusammenhang mit dem Zurückbleiben geistiger Wesenheiten und prägt das Verhältnis des Menschen zu Gedanken und Gefühlen. Die Zweiteilung des Seelenlebens, wie sie sich in Kants Philosophie spiegelt, hat ihren Ursprung in luziferischen Einflüssen. Der Christus-Impuls überwindet diese Spaltung. Das Tote muss aus dem Lebendigen heraus verstanden werden. Der Christus bringt das Sonnenhafte in die Erdenwelt. Eine Wiederverkörperung des Christus ist in unserer Zeit unmöglich. Spiritismus ist ein fehlgeschlagener Versuch, das Geistige zu erfassen, und führt zur Verstärkung der Triebnatur. Die Verbreitung geisteswissenschaftlicher Wahrheiten erfordert Verantwortungsbewusstsein. Die moderne, an das Sinnliche gebundene Weltanschauung ist wurmhaft und vergänglich. Die zeitlich-räumliche Anschauung der Welt hängt mit der Besitzesvorstellung zusammen, während der Mythos zeitlos ist. Goethes „Heidenröslein“ ist ein Beispiel dichterisch-kosmischer Gestaltung. Luzifer wirkt in unserem sinnlichen Wahrnehmen, Ahriman und Luzifer wirken im Seelenleben. Die scheinbare Selbstlosigkeit ist Illusion. Unsere Gedankenbilder stehen im Zusammenhang mit der kosmischen Evolution. Der physische Leib ist ein Hohlraum im Geistigen. 163) Zufall, Notwendigkeit und Vorsehung sind Grundkräfte, die das menschliche Leben durchziehen. Im gewöhnlichen Bewusstsein ist es schwer, den Faden der Wahrheit festzuhalten, denn das Denken kann leicht von der Wirklichkeit abirren. Die Begriffe, mit denen wir die Welt erfassen, sind nicht bloß Menschenwerk, sondern haben Anteil an objektiven Wirklichkeiten, auch wenn sie zunächst aus der menschlichen Seele hervorgehen. Die Suche nach Wahrheit ist ein innerer, moralischer Prozess, der die Seele vor dem Tod bewahrt. Im wachen Tagesbewusstsein richtet sich das Interesse des Menschen auf die Außenwelt, im Schlafen dagegen auf das eigene Innere, das noch in einem alten Sonnenbewusstsein wurzelt. Im Schlaf erlebt der Mensch die Materie als Hohlraum, umgeben von einer Aura, die durch luziferische Kräfte ausgelöscht wird und das Nacktheitserlebnis hervorruft – der Ursprung des Bedürfnisses nach Kleidung. Zwischen Wachen und Schlafen gibt es Nuancen: etwa das offene Reden und das Schweigen aus Scham, wie es Hegel in seinen Vorreden zur Enzyklopädie ausdrückt. Die materialistische Weltanschauung stellt Ereignisse wie Napoleons Russlandfeldzug und das Rauchen einer Zigarre auf eine Stufe, verkennt damit aber die Notwendigkeitszusammenhänge, die Faust in der Welt sucht. Die Seele braucht sowohl Zufall als auch Notwendigkeit. Wachen heißt: bewusst in die Welt schauen; Schlafen: unbewusst in sich selbst schauen; Erinnern: bewusst in sich selbst schauen. Ein gesteigertes Erinnern führt zur Erkenntnis früherer Inkarnationen. Begriffsbildung ist eine Bewegung des Ätherleibes, und die Gewohnheiten des Ätherleibes werden in der nächsten Inkarnation zu Gebärden des physischen Leibes. Notwendigkeit ist vergangene Subjektivität, die zur Objektivität geworden ist – nicht nur beim Menschen, sondern auch bei den kosmischen Wesen, die Welten schaffen. Was notwendig ist, spiegelt sich aus der Vergangenheit in die Gegenwart, so wie sich das Erleben der Außenwelt in der Erkenntnis spiegelt. Wo Naturvorgänge und seelische Vorgänge zusammentreffen, entsteht der Zufall, der die Gegenwart ermöglicht. Ohne Zufall gäbe es keine Freiheit. Zufallsereignisse werden im Lebenslauf zu Notwendigkeit, zu Karma. Vorsehung wird dort erlebt, wo die geistige Welt in die Seele einströmt. Die naturwissenschaftliche Erkenntnis will nichts aus der Seele zur Welt hinzufügen. In der imaginativen Erkenntnis aber wird der Ätherleib zum Werkzeug, und die Gedanken werden zu lebendigen Wesen, ähnlich den Gnomen, die wenig Einfluss auf die physische Welt haben. Mit den Undinen lebt man im Beweglichen, wird vom Erdorganismus ergriffen. Die Bewegung des Gehirnwassers, ein Überbleibsel vom alten Mond, verbindet unbewusst die äußere Luft mit den Denkprozessen. Der physische Leib bindet an die physische Welt, der Ätherleib an den Kosmos. Im Laufe des Lebens wird der Ätherleib jünger, und im Astralleib keimt das nächste Leben. In der dreitägigen Rückschau nach dem Tod zieht der Astralleib das Lebensfazit aus dem Ätherleib. Würden alle Menschen alt sterben, entstünden in der nächsten Inkarnation weise, aber undifferenzierte Menschen mit feiner, nervöser Physis. Jungverstorbene bringen Wille und Liebeskraft in die geistige Welt und bewirken Differenzierungen unter den Menschen. Geniale Menschen bedürfen der Ätherkräfte Jungverstorbener. Nach dem Einschlafen entsteht stets die Begierde, in den physischen Leib zurückzukehren. Im physischen Leib erleben wir das Ich-Bewusstsein. Nach dem Tod bleibt die Erinnerung an den physischen Leib während der ganzen Zeit zwischen Tod und neuer Geburt. Der physische Leib löst sich auf, der Ätherleib wird in die Ätherwelt eingebunden, wobei die geistige Welt Dankbarkeit ausströmt. Mit der geistigen Welt leben wir zusammen wie mit unseren Gedanken und Gefühlen. Die objektive Welt ist das, was die Götter gedacht, aus sich herausgesetzt und vergessen haben. Wie der Mensch die Erinnerung braucht, um sein Ich-Bewusstsein zu haben, so brauchen die Götter die Welt, um ihr Bewusstsein zu haben. Jungverstorbene interessieren sich am Wunderbau des Leibes, Altverstorbene am Kosmos. Die Seelenwanderung ist eine Notwendigkeit, die sich auch dem scharfsinnigen Denken nicht entzieht. 164) Im Menschen lebt das natürliche Bedürfnis, sich zu den höheren, geistigen Welten in Beziehung zu setzen. Auch wenn viele in der heutigen materialistischen Zeit diese geistige Welt leugnen oder meinen, man könne von ihr nichts wissen, so ist dies doch nicht die ursprüngliche Haltung des Menschen, sondern das Ergebnis äußerer Theorien und Erziehung. Die Seele drängt von sich aus nach einer Erkenntnis, die über das bloß Sinnliche hinausgeht, und sucht nach einem Weg, sich in diesem Verhältnis zur geistigen Welt zurechtzufinden. Der Weg zu einer befriedigenden Erkenntnis führt über das Denken. Doch dieses Denken ist nicht bloß ein totes Abbilden äußerer Sinneseindrücke, sondern eine lebendige Tätigkeit, die im Ätherleib des Menschen wurzelt. Die Gedanken, die aus der intellektuellen Tätigkeit hervorgehen, sind zunächst tote Bilder. Doch das Leben der Seele reicht tiefer: Vergessene Vorstellungen wirken als Kräfte, die das Leben fördern oder hemmen können. In der Welt der Erinnerungsmöglichkeiten begegnet der Mensch Imaginationen, im unbewussten Vorstellungsleben Inspirationen. Das Bewusstsein kann, wenn es sich übt, von der gewöhnlichen Erinnerung zur Rückschau und weiter zu einer bewussten imaginativen Erkenntnis aufsteigen. Die Entwicklung des Menschen vollzieht sich zwischen Entstehen und Vergehen, zwischen Zorn und Strafe, zwischen dem Hinabsteigen der Vorstellungen ins Unbewusste und dem Wiederaufstieg ins Bewusstsein. Die imaginative Erkenntnis, wie sie etwa bei Goethe in der Metamorphose der Pflanzen oder bei Mystikern wie Jakob Böhme und Saint-Martin auftritt, ist ein lebendiges Erleben, das über das bloß Intellektuelle hinausgeht. Sie führt den Menschen in die inspirierte Welt, in der er die alten Sonnen- und Mondenzustände der Erde nacherlebt. Die intuitive Erkenntnis schließlich führt zurück zu den Ursprüngen der Menschheitsentwicklung, zum alten Saturndasein. Die Begriffe, die im alten Mondendasein von den Engeln geschaffen wurden, stehen in Zusammenhang mit den heutigen Tierformen. Der Mensch schreitet fort zu emotionslosen, objektiven Begriffen, die ihn über das bloß Persönliche hinausheben. Die Aufgabe besteht darin, nicht über die Taten eines Menschen zu richten, sondern sie zu verstehen, und die notwendige Seelenanstrengung aufzubringen, um zur höheren Erkenntnis zu gelangen. Humor ist dabei ein wichtiges Gegengewicht. Die Beziehung zwischen Atmung und Inspiration, zwischen der menschlichen Organisation und der alten Sonnenentwicklung, zeigt, dass der Mensch mit Luft und Wärme an die geistigen Welten gebunden ist. Die Geisteswissenschaft hat die Aufgabe, die objektive Gesetzmäßigkeit der Inspirationserlebnisse zu erfassen und das Empfinden der Naturtatsachen als Angelegenheiten des eigenen Herzens zu begreifen. Im Verhältnis der Geisteswissenschaft zur Naturwissenschaft zeigt sich, dass die materialistisch-mechanische Weltanschauung, wie sie etwa von F. von Wrangell vertreten wird, die geistige Dimension des Menschen verkennt. Die geisteswissenschaftliche Methode besteht darin, die Tatsachen selbst sprechen zu lassen und nicht nur Begriffe zu bilden, sondern das Wesen der Erscheinungen zu erfassen. Die Begriffe von Raum, Zeit und Kausalität sind Abstraktionen, die der lebendigen Wirklichkeit nicht gerecht werden. Die Naturgesetze sind aus der Erfahrung gewonnen und haben nur bedingte Gültigkeit; das Leben und Bewusstsein entziehen sich der rein mechanischen Erklärung. Die materialistische Kultur hat ihren Sinn und ihre Berechtigung, doch sie führt zu einem Zweifel an der geistigen Welt und zu einem Agnostizismus, der das eigentliche Wesen des Menschen verfehlt. Die okkulten Fähigkeiten des Menschen, die Lehre von der Wiederverkörperung und vom Karma, wie sie etwa Lessing vertrat, weisen über das bloß Materielle hinaus. Die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Wissenschaft zeigt die Notwendigkeit einer Hochschule für Geisteswissenschaft, um die Erkenntnis des Menschen zu vertiefen. Die Betrachtung der Begriffe Raum, Zeit und Bewegung führt zu der Einsicht, dass Geschwindigkeit der eigentliche mechanische Fundamentalbegriff ist, während Weg und Zeit nur Abstraktionen sind. Kein Körper kann sich schneller als das Licht bewegen, da der Lichtäther der Träger der Bewegung ist. Die moderne Physik kommt zu der Vorstellung, dass es eigentlich keine Materie gibt, sondern nur Löcher im Äther, dem spirituelle Eigenschaften zukommen. So führt der Weg von der äußeren, sinnlichen Erkenntnis über die lebendige, imaginative und inspirierte Erkenntnis zur Einsicht in die geistigen Zusammenhänge des Daseins. Der Mensch ist berufen, sein Denken zu verwandeln und durch die Geisteswissenschaft zu einer Erkenntnis zu gelangen, die ihn mit den höheren Welten verbindet und seinem Dasein einen befriedigenden Sinn gibt. 165) Aus der Tiefe des Weihnachtsgedankens erhebt sich das Bewusstsein, dass im Menschen ein göttlicher Funke lebt, der sich im Laufe der Kindheit allmählich aus der geistigen Welt zurückzieht und im Erwachsenwerden das Ich in der irdischen Welt verankert. Die Weihnachtszeit ruft die Erinnerung an das Kindhafte, das Unschuldige und Menschlich-Göttliche wach, das jeder Mensch in sich trägt, und das durch die äußeren Lebensverhältnisse und die Erziehung immer mehr verloren geht. Die Krippen- und Hirtenspiele, die in alten Zeiten zur Weihnachtszeit aufgeführt wurden, sind Ausdruck dieses uralten Bedürfnisses, das Göttliche im Kind zu ehren und zu feiern. Sie erinnern an die Zeiten, in denen die Menschen noch eine unmittelbare Verbindung zur geistigen Welt hatten und das Weihnachtsgeschehen als Offenbarung des Göttlichen auf Erden empfanden. Die alten Weihnachtsspiele zeugen von einer tiefen Verbindung zwischen kindlicher Einfalt und okkulter Weisheit. Im Laufe der Zeiten wandelte sich die Darstellung der Geburt Jesu: Aus zunächst profanen Anfängen entwickelte sich ein immer tieferes Empfinden für die Heiligkeit des Geschehens. In den Weihnachtsliedern des Mittelalters klingt noch die ursprüngliche christliche Empfindung nach, die durch die späteren kirchlichen Dogmen und durch das Ausmerzen der gnostischen Schriften immer mehr verloren ging. Dennoch blieben Reste alten Wissens in Schriften wie der Pistis Sophia oder dem Buch Jeu erhalten, die von spirituellen Quellen zeugen, die durch die Geisteswissenschaft wieder erschlossen werden können. Die Kirchenväter unterdrückten das gnostische Wissen, doch in den Werken von Clemens von Alexandrien und Origenes lebt das Ringen um die Vereinigung des irdisch-historischen Jesus mit dem kosmischen Christus weiter. Die Lehren der Gnosis zeigen, wie das Verständnis von Jesus und Christus auseinanderfiel und wie in der modernen Theologie und im Bewusstsein vieler Menschen diese Trennung fortbesteht. Die Verbindung der Jesus-Idee mit der Christus-Idee kann jedoch im geisteswissenschaftlichen Sinne neu gefunden werden, sodass im Menschen sowohl die Wirte- als auch die Hirtennatur erkannt und entwickelt werden kann. Der Weihnachtsbaum, der heute in den Stuben steht, ist ein Sinnbild für den Baum der Erkenntnis, der im Paradies stand, und für das Kreuz, an dem Christus starb. In der Weihnachtsstimmung, wie sie etwa in Stifters Novelle „Bergkristall“ dargestellt wird, lebt noch ein Hauch jener alten Empfindung, die den Menschen mit dem Jahreslauf und mit den großen Geheimnissen des Weltenjahres verbindet. Die Silvesterzeit ist eine Zeit, in der das mineralische und das pflanzliche Bewusstsein der Erde geistig durchdrungen wird, und in der die Menschenseele einen Durchgang durch die astralische Welt erlebt, wie sie ihn im 6. vorchristlichen Jahrtausend schon einmal durchmachte und im 4. nachchristlichen Jahrtausend auf höherer Stufe wiederholen wird. In der Gegenwart zeigt sich eine Verwahrlosung des Denkens, wie sie etwa in Mauthners Theorie der Zufallssinne zum Ausdruck kommt. Die großen Menschheitsfragen müssen wieder ins Zentrum des Bewusstseins rücken, denn nur so kann der Mensch sich aus dem Materialismus befreien und zu einer neuen Anteilnahme am Schicksal der Menschheit gelangen. Das Wirken des Lichtäthers im Ätherleib des Menschen ermöglicht die Erinnerung und verbindet den Menschen mit der geistigen Welt. Doch Ahriman versucht, diese Verbindung zu unterbrechen und den Menschen an das bloß Materielle zu fesseln. Der Wandel des Empfindungs- und Gedankenelementes von der vierten zur fünften Kulturepoche zeigt sich im Tantalus-Mythos, der als Schulfall der modernen Vererbungslehre gedeutet werden kann. Das Griechentum lebte in Goethes „Iphigenie“ wieder auf, und es zeigt sich, dass die an die Generationenfolge gebundene Schicksalsidee des Griechentums in der Zukunft durch ein individuelles Karmabewusstsein abgelöst werden muss. Die gegenwärtige materialistische Weltanschauung birgt Gefahren, besonders für die Erziehung, und die Kluft zwischen Wahrheit und Kunst muss überwunden werden. Nur durch eine Wiederbelebung der Künste kann der Mensch zu einer neuen Empfindung für das Künstlerische gelangen. Die Verschiedenheit der Menschen in Bezug auf die physische Gestalt ist das Ergebnis kosmischer Kräfte, die den Ätherleib formen und sieben verschiedene Rassen hervorbringen. Das Nebeneinander dieser Rassen ist das Resultat luziferisch-ahrimanischer Einflüsse, und es besteht die Gefahr, dass die Menschheit in sieben Gruppen zerfällt, die sich nicht mehr verstehen. Der Christus-Impuls tritt in den Ätherleib des Menschen ein, um diese Gefahr zu überwinden und die geistige Vereinigung der Menschheit zu ermöglichen. Die Mittelpunktsstatue des Dornacher Baues weist auf den harmonisierten Menschheitstypus der Zukunft. Die Begriffsbildung des Menschen ist heute vielfach erstarrt und luziferisch infiziert. Die Scholastik und die Neuscholastik, wie sie etwa bei Rosmini-Serbati begegnet, zeigen das Ringen um ein lebendiges Begriffserleben. Die luziferisch gefärbten Begriffe der Gnosis wurden durch Tertullian zurückgedrängt, doch die Frage nach der Verbindung des göttlichen Christus mit dem irdischen Jesus bleibt bestehen. Die drei Prinzipien der Trinität leben in verschiedenen Strömungen der abendländischen Kultur fort, und es ist die Aufgabe der Gegenwart, diese Prinzipien wieder zu einer lebendigen Einheit zu führen. 166) Vergangenheit und Zukunft erscheinen dem Menschen in unterschiedlichem Lichte: Das Vergangene zeigt sich als Notwendigkeit, als etwas, das nicht anders hätte geschehen können, während die Zukunft offen bleibt für die Möglichkeit der Freiheit. Im menschlichen Erleben steht der Zwiespalt zwischen der Annahme einer alles durchwaltenden Notwendigkeit und dem Empfinden von Freiheit im eigenen Handeln. Die Philosophie hat diese Gegensätze in der Antinomientafel Kants festgehalten, die zeigt, dass sich für beide Seiten – Notwendigkeit und Freiheit – gleich strenge Beweise anführen lassen. Doch das Rätsel, wie beides möglich sein kann, lässt sich nur durch die Geisteswissenschaft erhellen. Die äußeren Ereignisse der Welt sind nur der Ausdruck eines tieferen, elementarischen Geschehens, in dem geistige Wesenheiten wirken. Im Physischen kann man beweisen, im Übersinnlichen nur schauen. Im Geistigen erscheint die Wahrheit oft anders als im Physischen. Das große Mysterium von Golgatha ist eine freie Tat, die aus dem Geistigen in die Welt eingreift und das Verhältnis von Notwendigkeit und Freiheit im Menschen neu begründet. In der Geschichte wirken ahrimanische und luziferische Mächte, die das Geschehen beeinflussen. Die Natur, wie sie uns heute als Notwendigkeit erscheint, war einst freie Tat der Götter. Was heute in uns als Gedanke lebt, wird in der Zukunft äußere Natur werden. So ist das, was wir als Notwendigkeit erleben, das Erstarrte früherer Freiheit, und in unserem Handeln mischen sich Notwendigkeit und Freiheit. Drei Haltungen zum Leben lassen sich unterscheiden: eine, die sich dem Ahrimanischen hingibt, eine, die dem Luziferischen folgt, und eine, die sich der fortschreitenden Entwicklung öffnet. Im Menschen strömen Vererbung und geistiges Wesen zusammen, und was vorgeburtlich erlebt wurde, kann ins gegenwärtige Handeln einfließen. Das Leben selbst wird zur Schule, die den Menschen stärkt, wenn er sich lernend und offen dem Dasein zuwendet. Die geschichtliche Entwicklung Europas ist geprägt vom Zusammenfluss der römischen Welt mit den Germanen, wobei immer wieder Geistimpulse in das äußere Geschehen einschlagen. Für Spinoza ist Freiheit Illusion, doch das wahre Freiheitsmoment liegt darin, das welthistorisch Notwendige aus freien Absichten zu tun. Auch das Misslungene hat seine Notwendigkeit, die Strafe soll das Bewusstsein stärken. Die großen Dichtungen wie Goethes Faust sind in der Entwicklung der Menschheit begründet. Die Geisteswissenschaft ist heute notwendig, und nur in Freiheit kann der Mensch sich ihr hingeben. Aus rechten Absichten erwächst das Richtige. Das Ich des Menschen lebt auf dem physischen Plan als Willensakt. Im Mittelalter war das Aurische noch erlebbar, in der Zukunft droht das Welterleben öde zu werden und der Wille zu erlahmen. Durch Geisteswissenschaft kann ein neues Bewusstsein des Aurischen entstehen, das den Willen stärkt. Traum und Rausch drohen das Menschliche zu beherrschen, wenn nicht Denken und Wille bewusst entwickelt werden. Der Christus-Impuls führt zum wahren Ich, und mit ihm taucht auch die Erinnerung an frühere Erdenleben auf. 167) Im Menschengeiste lebt eine fortwährende Spannung zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Die geistigen Strömungen, die heute die Menschheit bewegen, wurzeln tief in alten Zeiten, und doch sind sie stets aufs Neue zu erfassen, zu verwandeln, zu durchdringen. Die Dichtung eines Friedrich Lienhard etwa, der aus dem französisch-elsässischen Raum stammt, ringt sich durch zu einer Weltanschauung, die aus mitteleuropäisch-deutschem Wesen erwächst, und sucht, das Elementarische, das in der Natur und in der Seele des Menschen lebt, in dichterischer Sprache zu gestalten. In seinen Werken zeigt sich, wie die elementaren Geister, die alles Naturgeschehen durchdringen, auch im Menschen wirken, und wie das Volksleben, nicht aus den Einzelnen, sondern aus dem Ganzen, aus dem Volksseelenprinzip, schöpft. So wird in der Kunst nicht das Naturalistische, sondern das Geistige, das Ewig-Schöne, in neuer Weise lebendig. Auch Wilhelm Jordan, der mit dem Stabreim das alliterierende Kunstelement der alten Dichtung wiederbeleben wollte, strebt danach, die großen Geistprinzipien mit dem Menschheitsgeschehen zu verbinden. Doch verfiel er, wie so viele seiner Zeit, der naturalistisch-naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise, wodurch das Blut, die Vererbung, an die Stelle der Seele trat. Dennoch bleibt das Streben nach dem Geistigen, nach dem, was über das Alltägliche hinausweist, eine Aufgabe der Dichtung und der Kunst. Das geistig-seelische Wesen des Menschen ist nicht zu fassen, wenn man nur auf die äußere Welt blickt. Der Mensch trägt in sich ein inneres Leben, das sich durch die Geschichte entfaltet. Die Impulse, die aus alten Zeiten stammen, wirken fort, verwandeln sich, treten in neuer Gestalt auf. In der Betrachtung der Geschichte zeigt sich, wie tiefere Kräfte und Wesenheiten das Menschheitsgeschehen lenken, wie Kulturen und Völker von geistigen Strömungen durchzogen sind, die weit über das Sichtbare hinausgehen. Zeichen, Griff und Wort sind nicht bloß äußere Formen, sondern Ausdruck geistiger Wirklichkeiten. In den alten Zeiten war das Wort noch unmittelbar mit dem Geistigen verbunden, und im Kultus, im Symbol, lebt diese Verbindung fort. Die Uroffenbarung der Menschheit ist nicht verloren, sondern in verwandelter Gestalt noch immer wirksam, wenn der Mensch sich ihrer zu erinnern vermag. Die Osterzeit mahnt an das Mysterium von Golgatha, an das Opfer, das den Menschen die Möglichkeit zur Freiheit und zur geistigen Entwicklung eröffnet hat. Die Kräfte, die dem Geist widerstreben, sind mächtig, doch im Christentum lebt die Wahrheit, die den Menschen zur Überwindung des Materiellen, zur Erkenntnis des Geistigen führen kann. Die Lebenslüge der heutigen Zeit besteht darin, dass man das Geistige verleugnet, dass man sich dem bloß Äußerlichen, dem Materiellen hingibt. Doch die Menschheit ist berufen, durch die Prüfungen der Gegenwart hindurch das Geistige in neuer Weise zu erfassen, die Wahrheit zu suchen, die im Innersten des Menschen lebt. Auch in den großen Werken der Literatur, wie in Thomas Morus’ «Utopia» oder in der jüdischen Haggada, spiegelt sich das Ringen der Menschheit um das Geistige, um die rechte Ordnung des Lebens, um das Verhältnis von Materiellem und Geistigem, von Individuum und Gemeinschaft. Kultus und Symbol sind nicht bloß Überreste alter Zeiten, sondern lebendige Kräfte, die das soziale Leben durchdringen und gestalten. Im Beispiel des Jesuitenstaates in Paraguay wird sichtbar, wie geistige Prinzipien das Gemeinschaftsleben formen können, aber auch, wie sie erstarren, wenn sie nicht vom lebendigen Geist durchdrungen werden. Der Mensch steht heute in einer besonderen Lage: Er ist gefordert, das Geistige in sich zu erwecken, die Vergangenheit zu durchdringen und in der Gegenwart zu wirken. Der «Homo oeconomicus» ist nur ein Zerrbild, wenn er das Geistige verleugnet. Nur wenn der Mensch sich seiner geistigen Herkunft und Bestimmung bewusst wird, kann er die Aufgaben der Gegenwart erfüllen und die Zukunft gestalten. 168) Nach dem Tod tritt die Seele des Menschen in eine Welt ein, die dem gewöhnlichen sinnlichen Erkennen verschlossen ist. Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten bleibt bestehen, denn jene, die durch die Pforte des Todes gegangen sind, wirken weiter mit an dem, was auf Erden geschieht, wenn sie zuvor Verständnis für die geistige Entwicklung der Menschheit gewonnen haben. Die Vorstellungen, die der Mensch sich im physischen Leben bildet, müssen verwandelt und biegsam gemacht werden, um die Geheimnisse des geistigen Daseins zu erfassen. Der Tod ist nicht das Ende, sondern ein Übergang, bei dem der physische Leib abgelegt und der Erde übergeben wird – letztlich verwandelt sich alles Materielle in Wärme, die der Erde verbleibt. Die Seele durchlebt nach dem Tod verschiedene Erfahrungen, die sich aus dem Zusammenspiel ihrer Wesensglieder – physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich – ergeben. Der Ätherleib löst sich nach und nach, wobei die Erinnerungen an das vergangene Leben wie in einem großen Tableau erscheinen. Die Seele erkennt, was sie an Gedanken, Gefühlen und Taten in die Welt gesetzt hat, und erlebt die Wirkungen ihres Erdenlebens aus der Perspektive der anderen. In dieser Rückschau wird deutlich, wie jede Handlung, jedes Gefühl und jeder Gedanke in die geistige Welt hineinwirkt. Nach der Loslösung vom Ätherleib durchschreitet die Seele das sogenannte Kamaloka, eine Zeit des Läuterns und der Reinigung, in der sie die Folgen ihrer Begierden und Leidenschaften durchlebt, ohne sie noch an den physischen Leib binden zu können. Die Seele lernt, das zurückzulassen, was sie an die irdische Welt fesselte, und bereitet sich darauf vor, in höhere geistige Sphären einzutreten. Dort lebt sie in einer Welt der geistigen Wesenheiten, in der das Ich sich mit den Früchten vergangener Leben auseinandersetzt und an der Gestaltung künftiger Inkarnationen arbeitet. Die Verbindung zwischen den Lebenden und den sogenannten Toten ist nicht nur möglich, sondern notwendig für die geistige Entwicklung. Die Gedanken, die aus wahrer Liebe und Anteilnahme an die Verstorbenen entspringen, erreichen diese und wirken in ihren Daseinsbereich hinein. Ebenso können die Toten, die mit dem geistigen Leben auf Erden verbunden waren, aus ihrer Sphäre heraus auf die Lebenden einwirken, indem sie Inspiration, Kraft und Erkenntnis vermitteln. Diese Wechselwirkung ist ein Teil des großen Zusammenhangs zwischen der physischen und der geistigen Welt. Das Verständnis für das Leben zwischen Tod und neuer Geburt, für die karmischen Zusammenhänge und die Wirkungen der eigenen Taten im Jenseits, ist für den Menschen der Gegenwart von besonderer Bedeutung. Nur durch die Erkenntnis der geistigen Welt kann die seelische Not der Zeit überwunden werden. Die materialistische Weltanschauung, die nur das Sinnliche gelten lässt, führt zur Lebenslüge der Kulturmenschheit. Erst durch die Öffnung für die geistigen Realitäten wird der Mensch seiner wahren Bestimmung gerecht und kann den Zusammenhang mit der geistigen Welt bewusst gestalten. Die Verbindung zu den Verstorbenen, das Wissen um das Leben nach dem Tod und die Verantwortung für die eigene Entwicklung im Sinne des Karma sind Grundlagen für ein neues Verständnis des Menschseins. Die geistige Welt ist stets gegenwärtig, und der Mensch ist berufen, durch Erkenntnis, Liebe und Tatkraft an der fortwährenden Entwicklung von Erde und Menschheit mitzuwirken. 169) Das Weihnachtsfest führt uns zur Geburt des Jesus von Nazareth und damit zur tiefen Verbindung des Menschen mit der elementarischen Natur und dem Erwachen des Geistes in der Finsternis der Winternacht. Das Osterfest stellt uns vor das große Rätsel des Todes, es offenbart die Größe des göttlichen Wesens, das sich im Menschen verkörpert und durch den Tod gegangen ist, um das ewige Leben der Seele zu bewahren. Das Pfingstfest aber weist uns auf das Unvergängliche im Menschen, auf das Ich, das im Strom der Zeiten Bestand hat, und es ist das Fest, das die Verbindung des Menschen mit dem alles durchdringenden Geist feiert. In diesen Festen offenbaren sich die drei Glieder des Menschen: der physische und ätherische Leib im Weihnachtsfest, der astralische Leib im Osterfest und das unvergängliche Ich im Pfingstfest. Die gegenwärtige Zeit verlangt eine Neubelebung des Denkens, denn das Denken der Menschheit ist stumpf geworden für das Geistige. Es bedarf einer Vertiefung, eines imaginativen Denkens, das zur Wirklichkeit des Geistigen vordringen kann. Die Schwierigkeiten, die viele Menschen haben, an die Geisteswissenschaft heranzukommen, liegen in der Erstarrung des Denkens und im Mangel an innerer Beweglichkeit. Der Mensch ist nicht nur ein physisches Wesen, sondern in seiner Stofflichkeit eine Offenbarung des Geistigen. Die Nerven sind das Ergebnis einer langen kosmischen Entwicklung, die auf der Erde erstorben ist, während das Blut als Produkt irdischer Vorgänge unter kosmischem Einfluss lebendig geworden ist. Im erstorbenen Nervensystem wirkt das Ahrimanische, im lebendigen Blutsystem das Luziferische. Der Ausgleich zwischen diesen Gegensätzen wird durch das Christus-Mysterium geschaffen. Nur ein wirklichkeitsgemäßes, imaginatives Denken kann diese Zusammenhänge erfassen. Der Mensch besitzt zwölf Sinne, die als mikrokosmischer Ausdruck dem Durchgang der Sonne durch die zwölf Tierkreiszeichen im Makrokosmos entsprechen. Es gilt, zwischen Nacht-, Dämmerungs- und Tagsinnen zu unterscheiden, vom inneren Erfühlen des eigenen Leibes bis zur unmittelbaren Wahrnehmung des Seelischen im anderen Menschen. Die beiden Säulen Jakim und Boas stehen für das Irdische und das Kosmische und weisen auf die tiefen Zusammenhänge zwischen Mensch und Welt. Die menschliche Gesamtwesenheit ist viergliedrig, hervorgegangen aus vier planetarischen Zuständen der Entwicklung. Auf der Erde wirken Aufbaukräfte am physischen und ätherischen Leib, während Ich und Astralleib abbauend auf diese wirken. Im Leben stehen Aufbau und Abbau in einem ständigen Wechselverhältnis. Die Erkenntnis dieser Tatsachen ist nur durch Geisteswissenschaft möglich. Im Menschenleben wirken das Luziferische und das Ahrimanische, und es gilt, das Gleichgewicht zwischen diesen Einseitigkeiten zu finden. Nur eine symptomatische Betrachtung der Geschichte und der Lebensereignisse führt zur Erkenntnis des wahren geistigen Ganges der Ereignisse. Das Mysterium von Golgatha ist das zentrale Ereignis in der Erdenentwicklung, das den Ausgleich zwischen den Kräften schafft. Die Geisteswissenschaft gibt den Impuls, auch das äußere Leben in Wissenschaft und Kunst zu gestalten. Wahrhaftigkeit muss das Grundprinzip allen zukünftigen Schaffens sein. Ein neues Christus-Verständnis wird durch die Geisteswissenschaft möglich, das die Menschheit zu einer tieferen Wahrheit führt. Das gewöhnliche Weltwirklichkeitsgebäude, das wir durch Sinneswahrnehmung und alltägliches Denken, Fühlen und Wollen gewinnen, ist traumhaft. Es gibt die Möglichkeit, durch ein Erwachen zu einer höheren geistigen Weltwirklichkeit zu gelangen. Das Denken muss sich vom gewöhnlichen zum bildhaften, imaginativen Denken wandeln, das unter dem Impuls der geistigen Welt steht. Weltoffenes Mitfühlen und musikalische Fähigkeiten stehen in Zusammenhang mit den Inkarnationen. Das Verhältnis der europäischen zu den asiatischen Völkern zeigt sich im Verständnis des Christus, wobei Gruppenseelenhaftigkeit, Individualismus und Egoismus unterschieden werden müssen. Die Aufgabe der Geisteswissenschaft ist es, alle einzelnen Kulturzweige zu befruchten. Die anthroposophische Gesellschaft trägt diese Geisteswissenschaft in die Welt, unter Bedingungen, die ihr Wirken in der Öffentlichkeit ermöglichen. 170) Das menschliche Wesen trägt in sich eine doppelte Natur, die himmlische und die irdische, und diese spiegelt sich im Aufbau des Menschen wider: im Haupt als Ausdruck des Himmlischen, im übrigen Leib als Ausdruck des Irdischen. Die Gestaltung des Menschen ist nicht zufällig, sondern Ergebnis vorgeburtlicher Formungskräfte, die aus geistigen Welten stammen. Die Kräfte, die den Leib bilden, sind bildhaft, die des Hauptes zeichenhaft, und beide stehen im Zusammenhang mit den geistigen Kräften, die hinter der äußeren Erscheinung wirken. In der menschlichen Organisation lebt Wahrheit, Schönheit und Güte, und diese drei Grundkräfte wirken in den verschiedenen Bereichen des Menschen: in der Erkenntnis, in der Ästhetik und in der Moralität. Der Mensch wächst in diese geistigen Reiche hinein und nimmt an ihrer Strahlung teil, indem er sich in seinem Seelenleben mit ihnen verbindet. Im Menschen wirken zwei große Gebiete: das Reich der Regelmäßigkeit, das sich in der Natur offenbart, und das Reich der unregelmäßigen Wirksamkeiten, das sich im seelischen Leben zeigt. Die alten Kulturen, wie das althebräische Volk, hatten noch ein lebendiges Verhältnis zu den kosmischen Rhythmen, wie das Jubeljahr, das als Formkraft auf das Seelenleben wirkte. Im Kosmos selbst lebt ein großes Weltjubeljahr, und die okkulte Zahleneinteilung offenbart die geistigen Gesetze, die allem zugrunde liegen. Die menschliche Freiheit wurzelt in der Doppelnatur des Menschen, in der Verbindung des Himmlischen und des Irdischen, des Männlichen und des Weiblichen. Die ersten vierzehn Lebensjahre sind entscheidend für die Prägung durch diese Kräfte. Was der Mensch in einem Leben an Fähigkeiten und Eigenschaften ausbildet, wirkt in die nächste Inkarnation hinein; es findet eine Metamorphose der Leiblichkeit statt, indem die Kräfte des Leibes zum Haupt der nächsten Inkarnation werden. Die Erkenntnis des Menschen ist nicht bloß ein individuelles Geschehen, sondern hat eine kosmische Bedeutung. Die alten Mysterienvölker wie die Chaldäer, Ägypter und Griechen verfügten über ein Wissen, das heute profaniert ist. Wissen, das nicht in rechter Weise verwendet wird, fällt den ahrimanischen Mächten zu. Die Profanierung des Wissens ist ein Zeichen der Zeit, und es ist notwendig, den Zusammenhang zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos, zwischen den zwölf Sinnesbezirken und den sieben Lebensprozessen, wieder zu erkennen. Die Zwölfheit, Siebenheit, Vierheit und Dreiheit spiegeln sich im Menschen und im Kosmos wider. Die Sinnesprozesse müssen verlebendigt, die Lebensprozesse durchseelt werden. Die heutigen Sinnesorgane waren auf dem alten Mond Lebensorgane. Ein Rückfall in Mondenvisionen kann krankhafte Seelenerlebnisse hervorrufen. Die ästhetische Erfahrung ist nicht bloß Genuss, sondern auch Schaffen, und der ästhetische Mensch steht bei Aristoteles und Schiller im Mittelpunkt der Betrachtung. Die Fähigkeit, Tatsachen zu erfassen, schwindet in der Gegenwart; Logik und Wirklichkeitssinn müssen neu verbunden werden. Das Gedächtnis ist ein Ergebnis von Eingravierungen in die ätherische Weltensubstanz während der Mondenzeit. Die Gewohnheiten der Erdenzeit sind Nachklänge dieser alten Prägungen. Luzifer und Ahriman wirken auf das Gedächtnis in der fünften nachatlantischen Zeit. Die Gestalten aus Goethes Faust – Luzifer, Eva, Adam, Ahriman, Faust, Gretchen – zeigen diese geistigen Zusammenhänge auf. Die Gedanken, die der Mensch denkt, werden in die Weltensubstantialität eingegraben. Daraus erwächst ein Verantwortungsgefühl gegenüber den Gedanken. Das Denken muss zur Suche werden, nicht zur bloßen Wiederholung. Die gegenwärtigen Tendenzen zu Lüge und Leidenschaft sind Zeichen der Zeit; es bedarf lebendiger geistig-moralischer Impulse statt abstrakter Moralideen. Die menschliche Gesamtgestalt ist dem Weltenall zugeteilt: Kopf und übriger Leib stehen in einem geistigen Verhältnis zueinander. Die zwölf Nervenansätze des Hauptes, die Metamorphose der Arme zum Sprachsinn, der Knie zum Tastsinn der nächsten Inkarnation, zeigen die tiefe Verbindung zwischen physischer Organisation und geistigen Kräften. Die technischen Erfindungen der Gegenwart sind äußere Abbilder innerer menschlicher Organisation. Luzifer und Ahriman wirken in die menschliche Entwicklung hinein, und es kommt zu Zusammenstößen zwischen wirklichkeitsgemäßem und wirklichkeitsfeindlichem Denken. Die zwölf Sinne des Menschen – darunter Ichsinn, Denksinn, Sprachsinn, Tastsinn, Lebenssinn, Bewegungssinn – sind in ihrer Entwicklung von luziferischen und ahrimanischen Einflüssen betroffen. Der ganze Mensch ist ein Sinnesorgan für den Ichsinn, das Lebendige ist Sinnesorgan für den Denksinn, der bewegliche Mensch ist Sinnesorgan für den Sprachsinn. Der Wärmesinn ist im Brustteil des Menschen konzentriert. Die Metamorphosen dieser Sinne zeigen die geistigen Wirkungen, die auf den Menschen einströmen. Die Lebensprozesse – Atmung, Wärmung, Ernährung, Absonderung, Erhaltung, Wachstum, Reproduktion – werden durch ahrimanische und luziferische Mächte umgestaltet. Ein Spruch von Basilius Valentinus bezeugt, dass vor wenigen Jahrhunderten noch ein atavistisches Wissen lebendig war. Der Materialismus der Gegenwart steht im Gegensatz zur Geisteswissenschaft, die die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte offenbart. Die Idolwissenschaft, wie sie bei Bacon auftritt, ist ein Zeichen der Veräußerlichung des Denkens. Es gilt, den geistigen Zusammenhang von Mensch und Kosmos wieder zu erkennen und das Rätsel des Menschen in seinem geistigen Hintergrund zu erfassen. 171) Das Wirken der großen geschichtlichen Kräfte, die sich durch die Menschheitsentwicklung ziehen, offenbart sich in der Gegenwart als ein lebendiges Ineinander von Vergangenheit und Zukunft. Die griechisch-lateinische Zeit lebt fort in Sprache, Recht und Kultur, doch hat das Römertum mit seiner nüchternen, juristischen Kraft das künstlerisch-philosophische Griechentum unterworfen und in die Formen des Christentums aufgenommen. Die Schließung der Philosophenschulen unter Justinian bedeutete die endgültige Auslöschung des ursprünglichen Griechentums, doch flammt es in der Renaissance, etwa in Raffaels „Schule von Athen“, wieder auf. Die Menschheitsentwicklung ist durchzogen von den Wirkungen luziferischer und ahrimanischer Mächte. Im griechisch-lateinischen Zeitalter blieben die Hoffnungen Luzifers unerfüllt, während Ahrimans Absichten durchkreuzt wurden. Unsere Zeit verlangt das reine Anschauen der Sinneswelt und die Ausbildung freier Imaginationen. Goethe und Jakob Böhme stehen beispielhaft für diese Aufgabe. Die gewaltigen Umwälzungen, wie die Mongolenstürme und die Entdeckung Amerikas, sind Ausdruck dieser geistigen Auseinandersetzungen. In der Kunst und Literatur, von Reni bis Rembrandt, von Renan bis Solowjow, spiegelt sich der Wandel des Christus-Bildes. Von Osten dringt das Luziferische ein, wie in den Mongolenstürmen, von Westen das Ahrimanische, wie in den mexikanischen Mysterien. Der mexikanische Gott Taotl will die Seelen von der Erde vertreiben, Vitzliputzli kämpft zur Zeit des Mysteriums von Golgatha gegen ihn. Die Extreme der Christus-Anschauung, wie sie bei Renan und Solowjow erscheinen, zeigen die Aufgabe der Gegenwart: Das Äußere soll zur Selbsterkenntnis entzünden, das Innere zur Welterkenntnis führen. Die geisteswissenschaftliche Geschichtsbetrachtung zeigt, wie der Fortschritt vom vierten zum fünften nachatlantischen Zeitraum verläuft. Die Suche nach Geist im Hypnotismus und Spiritismus ist ein Irrweg, der zur Gefahr der „Homunkulisierung“ der Menschheit führt. Die Aufgabe der Geisteswissenschaft ist die Erforschung des Lebendigen, nicht des Toten. Der Untergang der europäischen Kultur ist die Konsequenz des Materialismus. Atlantische Impulse wirken in den mexikanischen Mysterien fort. Das griechische Phantasieleben und der romanische Egoismus stehen sich gegenüber. Der fünfte Zeitraum muss sinnliche Anschauung und freie Imagination ausbilden. Luzifer und Ahriman versuchen, atlantische Impulse zu erneuern. Die Mongolenzüge, die Kreuzigung eines eingeweihten Schwarzmagiers in Mexiko zur Zeit des Mysteriums von Golgatha, Marco Polo, Kublai Khan, Columbus – all das sind Ausdruck dieser geistigen Auseinandersetzungen. Die Aufgaben der Gegenwart sind die Lösung der Probleme von Trieb, Geburt, Tod und Bösem. Goethes Geistesart steht im Zusammenhang mit den Impulsen der Templer, deren Einweihung christlicher Art war. Der Templer-Prozess, die erzwungenen Geständnisse, das Weiterleben der Templerimpulse in Literatur und Dichtung, wie bei Goethe, zeigen, wie die alten Weisheitsströme in neuer Form weiterwirken. Die Isis-Legende und Goethes Bedeutung für Gegenwart und Zukunft werden offenbar. Die Faust-Gestalt, Goethes Faust und der historische Faust, stehen im Zusammenhang mit alter Magie und alter Heilkunst. Der Osterspaziergang im „Faust“, Fausts Bibelübersetzung, Mephisto als fahrender Scholast, Mond und Silber, Gold und Sonne, alte und neue Mysterien, die Isis-Legende, das elektrische Zeitalter – all das verweist auf die Verbindung von Geisteswissenschaft und sozialem Leben. Die Gründung der anglikanischen Kirche unter Heinrich VIII., die Ausbildung des abstrakt-rationalistischen Denkens bei Locke, Voltaire, Montesquieu, Hume, Darwin, die Hinrichtung von Thomas Morus, die Folterung und Hinrichtung der Templer, Defoes „Robinson“, die Bedeutung materialistischer Vorstellungen als Erziehungsmittel, das Weltbild von Kopernikus, Kepler, Galilei – all das zeigt, wie das neue Geistwissen in das praktische Leben eingreifen kann. Die Templer, Wolfram von Eschenbachs „Parzival“, Goethes Gedicht „Die Geheimnisse“, die kosmische Wesenheit des Ätherorganismus, die Ideale der französischen Revolution, Magnetismus und Elektrizität, Galvani, „schwankende Erscheinung“ und „dauernde Gedanken“ – diese Themen führen zur Frage nach der Verwandlung der Wesen und nach Geburt und Vererbung im Westen, während im Osten das Böse, das Leiden und der Tod im Mittelpunkt stehen. Das Nachdenken über das Glück im Westen, die Sehnsucht nach Erlösung im Osten, das Nützlichkeitsprinzip, Darwin, Malthus, Kropotkins Prinzip der gegenseitigen Hilfeleistung, Blavatsky zwischen östlichen und westlichen Einflüssen – all das sind Ausdruck der geistigen Polarisierung. Die Polarität zwischen westlicher und östlicher Kultur in Europa, das westliche Glücksstreben und das östliche Erlösungsstreben, neue Erkenntnisse durch Urphänomene und freie Imaginationen, Bourgeois und Pilger, Calderons „Wundertätiger Magus“ und Goethes „Faust“ – diese Gegensätze prägen die geistige Situation der Gegenwart. Das Auseinandergehen des Lebensäthers und des erdigen Elements in der menschlichen Organisation, die Beobachtung von Verwandlung und Geburt im Westen, das Streben nach Glück und Nützlichkeit, das Aufsuchen des Bösen und Leidens, die Suche nach Erlösung und Befreiung im Osten, Spiritismus, Freuds Psychoanalyse, Blavatsky, der Pol der Utilität und der Pol des Sakramentalismus – all das sind Ausdruck der gegenwärtigen geistigen Aufgaben. Das Versiegen der Goetheschen Anschauung des in der Sinneswelt verborgenen Geistigen im 19. Jahrhundert, Haeckels biogenetisches Grundgesetz, die Weiterbildung Goethescher Anschauungen durch die Geisteswissenschaft, die Entwicklung von Kopf und Organismus des Menschen, Faust und der Erdgeist, der Einfluss des Materialismus auf das Gedankenleben, die Erforschung des Leblosen, die Theologie im Banne der Naturwissenschaft, die Verkennung der Anthroposophie durch Theologen, Jaurès als Beispiel für die Erkenntnis-Ohnmacht der geistig Strebenden im 19. Jahrhundert, der Einfluss der Naturwissenschaft auf die Theologie, Pfarrer Joß über moderne Mystik, Troxler als Beispiel einer noch vorhandenen geistigen Erkenntniskraft, Pico von Mirandola, die Zurückdrängung der Gnosis, Paracelsus, die Versuche, alte Weisheit in den Dienst des Egoismus zu stellen, die Theosophische Gesellschaft, Herman Grimm über die Zukunft der Menschheit – all das führt zu der Einsicht, dass die Menschheit vor der Aufgabe steht, die Impulse des Geistes neu zu ergreifen und in Freiheit zu gestalten. 172) In diesen Vorträgen führe ich ein in das Verständnis des menschlichen Berufes und seines Karmas, indem ich das Leben Goethes als geistige Erscheinung vor Augen stelle. Goethe, hervorgegangen aus einer Familie, die tief in die Kultur und Geschichte Frankfurts eingebettet war, wächst in einer Atmosphäre auf, in der das Pflichtbewusstsein des Vaters und die poetische, legendengläubige Gesinnung der Mutter sich verbinden. In dieser Umgebung kann sich das reine Menschentum entfalten, frei von den Zwängen einer zu frühen Schulbildung, getragen von einer kindlichen Phantasie, die sich in der Beziehung zu den Dingen und Menschen lebendig ausdrückt. Ich zeige, wie sich im Rhythmus von Goethes Leben die Impulse des fünften nachatlantischen Kulturzeitraums spiegeln. Die geistigen Strömungen, die durch Goethes Schaffen wirken, sind Ausdruck eines tieferen Zusammenhangs zwischen dem individuellen Menschen und den kosmischen Kräften, die das Schicksal der Menschheit lenken. Im Schlafen und Wachen, in der schöpferischen Tätigkeit, im Beruf, offenbart sich der Mensch als ein Wesen, das mit der Gesamtentwicklung der Erde verbunden ist. Die Berufsarbeit ist nicht bloß äußere Notwendigkeit, sondern Keim für die Weiterentwicklung der Welt, ein Glied im großen Strom der Menschheitsgeschichte. Die Umgestaltung des Berufslebens mit Beginn der Neuzeit zeigt sich als Ausdruck innerer Entwicklungsimpulse. Die Berufswahl und das Amt sind nicht zufällig, sondern stehen im Zusammenhang mit dem Karma des Einzelnen, mit den wiederholten Erdenleben und den Wesensgliedern des Menschen. Die Psychoanalyse, wie sie in der Zeit aufkommt, bleibt an der Oberfläche, solange sie nicht die tieferen Schicksalszusammenhänge erkennt, die aus früheren Leben in das gegenwärtige Dasein wirken. Anhand symptomatischer Schicksalsverkettungen, wie sie im Leben von Persönlichkeiten wie Friedrich Theodor Vischer, Max Eyth oder in literarischen Gestalten auftreten, offenbaren sich die Wirkungen von Vererbung und die Impulse früherer Erdenleben. Die Biographien von John Stuart Mill, Alexander Herzen, das Wirken okkulter Brüderschaften, die Rolle der Theosophischen Gesellschaft, Blavatsky und Ku Hung-Ming, all dies sind Beispiele für die Verflechtung von individuellen und überpersönlichen Impulsen im Strom der Geschichte. Das Leben Galileis wird zum Beispiel für das Ringen des Menschen mit der Schicksalsfrage. Die moderne Technik, wie sie in James Watt ihren Ausdruck findet, erscheint als Dämonomagie, als Heraufbeschwören zerstörender Kräfte aus dem Kosmos, wenn der Mensch sich von den göttlichen Hierarchien abwendet. Die Entgöttlichung des Wortes, die Gefahr, dass der Mensch den Weg zum Christus verliert, stehen im Zentrum der gegenwärtigen Zeit. Ich führe zurück zu den Ursprüngen menschlicher Religiosität: vom Ahnenkult über Polytheismus und Monotheismus bis zum Mysterium von Golgatha. Die Mächte Luzifers und das Geheimnis des Mondes, die Gestalt des Mithras und das Christus-Ereignis, all das sind Stationen auf dem Weg der Menschheit, die im Beruf und im individuellen Schicksal ihren Ausdruck finden. So wird das Karma des Berufes zum Schlüssel für das Verständnis der Gegenwart und der Zukunft des Menschen. 173) Die Urteilsbildung in unserer Zeit verlangt einen wachen Sinn für Tatsachen. Die politischen Verhältnisse Europas seit dem späten 19. Jahrhundert sind von Kräften geprägt, die oft im Verborgenen wirken. Es ist notwendig, die geistigen Hintergründe der Ereignisse zu erkennen, um nicht in bloßen Sympathien und Antipathien zu verharren. Die Aufmerksamkeit muss geschärft werden, denn vieles, was geschieht, ist Ergebnis okkulter Strömungen und Brüderschaften, deren Einfluss auf die Gestaltung der Geschichte unterschätzt wird. Die Entwicklung Russlands, das Wirken Blavatskys, die Rolle Englands und der slawischen Völker, die Pläne und Testamente der Mächtigen – all dies sind Fäden im Gewebe des Weltgeschehens, das sich in den Ereignissen von 1914 entlädt. Die geistige Welt steht in lebendigem Zusammenhang mit den Zeitereignissen. Die Attentate, die Umstürze, die scheinbar zufälligen Schicksalstage sind Ausdruck tiefer liegender Schicksalszusammenhänge. Die Geschichte kennt Verrat und Opfer, wie es das Ereignis von Golgatha vorgezeichnet hat. In den politischen Morden und Umstürzen, in den Rivalitäten der Herrscherhäuser und den Intrigen der Mächte spiegelt sich das Ringen um die Menschheitsentwicklung. Die Notwendigkeiten des Weltgeschehens zeigen sich in den großen Umwälzungen der Völker. Die Altersstufen der Nationen, wie sie Brooks Adams beschreibt, die Utopien eines Thomas Morus, die Gestalten Karls des Großen, Dantes, Venedigs, die Gegenreformation – all dies sind Ausdruck der geistigen Impulse, die die Geschichte leiten. Die Einigung Italiens, das Verhältnis zu Mitteleuropa, die Bündnisse und Kriege, die Annexionen und Attentate: Sie alle entspringen einem tieferen Gesetz, das erkannt werden will. Im fünften nachatlantischen Zeitraum entfaltet sich das Geheimnis der Evolution. Die westlichen Brüderschaften kennen die Gesetze der Völker, sie wissen um den Aufstieg der englischsprachigen Welt und die Dekadenz des Romanischen. Die deutsche Sprache, das Gesetz der Lautverschiebung, die Aufgabe des deutschen Volkes – all dies steht im Zusammenhang mit den spirituellen Kräften der Zukunft, die in den Völkern unterschiedlich wirken: Kräfte des Entstehens und Vergehens, Eugenetik, spirituelle Medizin. Mitteleuropa ist immer wieder Kriegsschauplatz, Reservoir der Völker, zerrissen zwischen West und Ost. Der deutsche Staatsgedanke, die Reichsgründung, die Bündnissysteme Europas, die Rolle von Persönlichkeiten wie Sir Edward Grey, Jaurès, Delcassé, Clemenceau – sie alle sind Glieder in der Kette des Schicksals. Die Sprachen der Völker, ihr Verhältnis von Wort und Gedanke, offenbaren die unterschiedlichen Aufgaben, die ihnen in der Menschheitsentwicklung zufallen. In der Weihnachtszeit, in schicksalsschwerer Zeit, wird das Mysterium von Jesus und Christus betrachtet. Die Gnosis, die nordischen Mysterien, die Wasen und Äsen, das angelsächsische Runenlied – sie alle zeugen von einem verlorenen oder verfremdeten Christus-Verständnis. Die Sehnsucht nach Frieden wird übertönt vom Lärm der Zeit, doch die Offenbarung aus den Höhen bleibt bestehen. Die Geschichte ist durchdrungen von okkulten Strömungen. Der Spiritismus sucht den Beweis der geistigen Welt, das Schicksal von Blavatsky, die Rolle des Kommerziellen, die Reformation, der Dreißigjährige Krieg, der Kampf um Indien und Amerika, die politischen Intrigen – all dies sind Ausdruck der Wirksamkeit geistiger Kräfte. Die Handlungen der Staaten können nicht moralisch beurteilt werden, sondern müssen im Lichte der geistigen Notwendigkeiten erkannt werden. Giftwirkungen durchziehen das soziale Geschehen. Die Geschichte kennt keine moralinsauren Urteile, sondern verlangt das Verständnis für die Wandlungen der Urteile im Laufe der Zeit. Die scheinbare Bevölkerungszunahme, die Reinkarnation, die geistigen Hintergründe der Opiumkriege, die „Chinesierung“ Europas, das soziale Karzinom, die Bedeutung der Gifte, die Kräfte des Ich – all dies sind Erscheinungen, die im Lichte der geistigen Wissenschaft betrachtet werden müssen. Das Bewusstsein entsteht durch Kräfteabbau, die Heilkraft der Gifte bringt Ausgleich zwischen luziferischen und ahrimanischen Kräften. Der Baldur-Mythos, die Aussagen von Fullerton über Deutschland, all dies ist eingebettet in den großen Zusammenhang der Menschheitsentwicklung. 174) Es ist notwendig, die Wirkung von Wahrheit und Unwahrheit im menschlichen Leben und in der Geschichte zu erkennen. Die geistige Entwicklung des Menschen ist untrennbar mit dem Streben nach Wahrhaftigkeit verbunden, denn Unwahrhaftigkeit wirkt wie ein Gift in den höheren Gliedern der menschlichen Natur. Wer sich nicht dem Geistigen öffnet, entwickelt in sich zerstörerische Kräfte, die sich als seelische Leere, Hypochondrie oder aggressive Instinkte äußern. Das Böse entsteht, wenn höhere Kräfte missbraucht werden, und so ist das Streben nach Wahrheit nicht bloß eine moralische Forderung, sondern eine Notwendigkeit für die geistige Gesundheit des Einzelnen und der Menschheit. Die gegenwärtige Zivilisation ist mechanisch und materiell geworden, sie ist anational und bedarf als Seele einer übernationalen Geisteswissenschaft. Der Nationalismus ist ein Zeichen dafür, dass die Seelenentwicklung hinter der materiellen Entwicklung zurückgeblieben ist. Im deutschen Idealismus lebte eine Fülle von Ideen, die heute in leeren Schlagworten und unwirklichen Begriffen erstarren. Die großen politischen Strömungen – Nationalismus, Imperialismus, Spiritualismus – ringen miteinander, und die Geschichte Europas ist geprägt von den Gegensätzen zwischen Ost und West, zwischen materialistischem und spirituellem Streben. Die Zugehörigkeit zu einem Volk ist karmisch bedingt, sie liegt oberhalb des Logischen und unterhalb des rein Blutmäßigen. Die Begriffe von „Recht und Freiheit der Völker“ sind oft hohl, wenn sie nicht durch wahre geistige Impulse getragen werden. Im Völkergeschehen wirken Tragik und Schuld, Aufbau und Zerstörung, und das menschliche Ich ist eingebettet in die Kräfte der Volksseele, die oft unbewusst und dämonisch wirken. Mitteleuropa steht zwischen westlichem und östlichem Imperialismus. Die Konflikte, die zum Weltkrieg geführt haben, sind Ausdruck tiefer geistiger Gegensätze. Die westlichen Mächte streben nach kommerzieller und industrieller Weltherrschaft, während im Osten spirituelle Sehnsucht lebt. Die Mitte Europas trägt die Aufgabe, das Allgemein-Menschliche zu entwickeln, das keine Herrschaft anstrebt, sondern geistige Brücken baut. Die Geschichte der europäischen Völker ist durchzogen von den Nachwirkungen vergangener Kulturepochen. Die italienisch-spanische und die französische Kultur tragen die Impulse des dritten und vierten nachatlantischen Zeitraums, das Britische repräsentiert die fünfte Kulturepoche, während im russischen Slawentum die Zukunft des Spirituellen vorbereitet wird. Das mitteleuropäische Streben sucht das Geistige aus dem Seeleninnern, während der Westen das Geistige durch Experimente beweisen will. Die Unwahrhaftigkeit zerstört nicht nur das Verhältnis der Menschen untereinander, sondern auch die Verbindung zwischen Lebenden und Toten. Die Geisteswissenschaft, die von den Lebenden erarbeitet wird, gibt den Toten die Möglichkeit, in der physischen Welt zu wirken. Okkulte Brüderschaften missbrauchen diese Kräfte und streben durch zeremonielle Magie eine ahrimanische Unsterblichkeit an, indem sie unrechtmäßige Verbindungen mit den Toten herstellen. Der Mensch ist in seinem Aufbau mit den Sternenkräften verbunden, seine Gliederung in Haupt, Brust und Gliedmaßen steht in Beziehung zum Leben nach dem Tode. Die Wirkung der Toten auf die Lebenden wird durch den Materialismus gestört, der die gesunde Beziehung zwischen der irdischen und der übersinnlichen Welt verhindert. Im Schlafbewusstsein und im nachtodlichen Bewusstsein wirken zurückgebliebene geistige Wesenheiten, die als Gegner des Christus auftreten können. Gruppenegoistische okkulte Impulse bedrohen das Allgemein-Menschliche, das Mitteleuropa zu vertreten hat. Das Maß und die Zahl, das platonische Weltenjahr, Goethes Studien über die Atmung der Erde und der Zusammenhang zwischen Sprechen und Atemrhythmus zeigen, wie tief der Mensch mit der geistigen Welt verbunden ist. Schlafen und Wachen sind Tore zur geistigen Welt, und die verschiedenen Volksseelen – etwa die italienische und die russische – tragen unterschiedliche Aufgaben in der Menschheitsentwicklung. Die Geschichte der anthroposophischen Bewegung ist eingebettet in diese großen geistigen Zusammenhänge. Die alte Weisheit und das zukünftige ätherische Hellsehen stehen im Mittelpunkt der Entwicklung. Das mitteleuropäische geistige Leben, wie es im deutschen Idealismus, bei Novalis, Schlegel, Steffens, Schubert, Troxler und anderen aufleuchtet, ist Repräsentant des Allgemein-Menschlichen und bildet den Gegenpol zu den Einseitigkeiten der Peripherie. 174a) In dieser Zeit, in der die Menschheit durch große Prüfungen und Opfer hindurchgeht, richte ich den Blick auf die geistigen Hintergründe der Ereignisse, die sich auf der äußeren Bühne der Geschichte abspielen. Die Seelen derer, die ihr Leben hingeben, stehen in Verbindung mit den großen Aufgaben des Menschen- und Völkerkarma. Die äußeren Geschehnisse, wie der Ausbruch des Krieges, sind nicht bloß irdische Zufälle, sondern Ausdruck tiefer geistiger Strömungen, die im Hintergrund wirken. Die Ereignisse von Sarajewo etwa zeigen in ihrer okkulten Dimension, wie das Schicksal Einzelner mit dem Schicksal ganzer Völker verwoben ist. Die Seelen der Gefallenen leben weiter, wirken mit an der Entwicklung der Menschheit, und unser Gedenken, unser liebevolles Verbundensein mit ihnen, ist von Bedeutung für beide Welten. Die Verbindung des Menschen mit der Volksseele ist nicht nur im Wachen, sondern auch im Schlafen wirksam. Jede Volksseele trägt ihre besondere Aufgabe und Eigenart in das Gesamtgeschehen der Menschheit hinein. Die französische, die italienische, die russische Volksseele – jede wirkt auf ihre Weise, und es ist Michaels Aufgabe, das Erscheinen des Christus im Ätherischen vorzubereiten. Die Kräfte, die im Krieg gegeneinanderstehen, begegnen sich im Geistigen auf andere Weise, und die Imaginationen, die nicht ins Bewusstsein treten, können verheerende Wirkungen entfalten. Der deutsche Okkultismus steht in einem besonderen Verhältnis zum geistigen Leben des deutschen Volkes, im Gegensatz zu den westlichen Strömungen, etwa dem britischen Okkultismus. Der Tod ist nicht das Ende, sondern ein Übergang. Die Bedeutung des Todesaugenblicks reicht weit über das irdische Leben hinaus. Die Seelen erleben nach dem Tod einen Rückblick auf das vergangene Leben, durchlaufen im Rückwärtsgang die Schlaferlebnisse, und wirken als Helfer für die Zurückgebliebenen. Gerade die früh Gestorbenen entfalten in der geistigen Welt eine besondere Wirksamkeit. Die Aufgaben der Menschheit in den verschiedenen Kulturepochen sind verschieden. Die gegenwärtige Zeit verlangt, die Verbindung zwischen Ost und West zu suchen, ohne das mitteleuropäische Geistesleben auszuschalten. Der Westen versucht, durch okkulte Orden und politische Ziele, die geistigen Strömungen zu beeinflussen, während im Osten andere Kräfte wirksam sind. Die Geschichte zeigt, wie geistige Fähigkeiten für äußere Zwecke missbraucht werden können, wie etwa bei H. P. Blavatsky oder den Prophezeiungen der Mme de Thebes. Der Mensch ist ein Wesen, das aus verschiedenen Gliedern besteht: physischer Leib, Ätherleib, Astralleib, Ich. Die Hierarchien der geistigen Welt arbeiten an diesen Wesensgliedern, und es ist Aufgabe der Geisteswissenschaft, diese Zusammenhänge zu erkennen. Die alten Weisen ahnten diese Verbindungen, wie Oken und Schelling, und auch in der Kunst und Literatur, etwa bei Dostojewski, finden sich Hinweise auf diese geistigen Realitäten. Die Menschheit wird jünger, bleibt auf der Stufe des Siebenundzwanzigjährigen stehen, was sich in der Kultur und im öffentlichen Leben zeigt. Es ist notwendig, lebenspraktische Erkenntnisse aus der Geisteswissenschaft zu gewinnen, sich von persönlicher Befangenheit zu lösen und das Gesellschaftsleben nicht durch Cliquenwirtschaft und Verleumdungen zu vergiften. Die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind für Leib, Seele und Geist gültig, dürfen aber nicht bloß theoretisch verstanden werden. Die Abschaffung des Geistes durch das Konzil von 869 und die zukünftige Abschaffung der Seele durch materielle Einflüsse sind Gefahren, die erkannt werden müssen. Die Auffassung des Christus-Impulses ist vielfach verwirrt, und es mangelt an Denkwillen in unserer Zeit. Das Verhältnis von Schlafen und Wachen, von Denken, Fühlen und Wollen, ist im nachtodlichen Leben umgekehrt. Die Impulse des Geschichtslebens werden traumhaft erlebt, und der Verkehr mit den Verstorbenen verlangt ein aufmerksames, bildhaftes Denken. Geisteswissenschaft wirkt auf Gefühl und Willen, nicht nur auf das Denken. Die Zeit ist von spirituellen und materialistischen Kräften durchdrungen. Die Aufgabe der ahrimanischen Wesen und der Erzengel, insbesondere Michaels, besteht darin, die geistigen Kämpfe zu führen, die hinter den äußeren Ereignissen stehen. Die Geschichte der Menschheit ist durchdrungen von diesen geistigen Auseinandersetzungen, und das Mysterium von Golgatha ist der zentrale Wendepunkt. Die Feindschaft gegen die Anthroposophie wächst, besonders von Seiten der Vertreter der Religionen. Es ist wichtig, die wahre Bedeutung von Christus im Inneren zu erkennen und nicht mit dem Engel zu verwechseln. Die Menschen verlieren die Fähigkeit, alt zu werden, und die Prüfungen der Begabung und Intelligenz zeigen die einseitige Entwicklung des Hauptes gegenüber den Gliedmaßen. Die Volksseelen wirken durch die verschiedenen Elemente, und das Schicksal der Völker ist durch diese geistigen Strömungen geprägt. Die Zeittendenzen zeigen sich in Borniertheit des Denkens, Philistrosität des Fühlens, Ungeschicklichkeit des Wollens. Das Schicksal einzelner Persönlichkeiten, wie Johann Heinrich Lambert, spiegelt die größeren Rhythmen der Weltentwicklung. Die Spiritualität der Vergangenheit, wie bei Tagore, und die Ansätze zu neuer Spiritualität im deutschen Geistesleben stehen im Kontrast zur amerikanischen Geistesart. Viele Menschen stumpfen nach dem siebenundzwanzigsten Lebensjahr ab, und die realen Geisterkenntnisse dämmern chaotisch herauf. Im nachtodlichen Leben wirken Imagination, Inspiration und Intuition weiter, und der Nachahmungstrieb setzt die vorgeburtliche Seelenhaltung fort. Die Verstorbenen wirken mit an der Bewältigung der großen Lebensfragen, und es ist unsere Aufgabe, diese Zusammenhänge zu erkennen und in unser Leben aufzunehmen. 174b) Die Gegenwart fordert den Menschen heraus, sich den Prüfungen der Zeit zu stellen und die tiefen geistigen Zusammenhänge der Völkerschicksale zu erkennen. Die Verbindung zwischen Deutschland und Österreich wurzelt in einer inneren Notwendigkeit, während das Bündnis Frankreichs und Englands mit Russland einer äußeren Maja, einer Scheinwelt, entspringt. Wer den Volksseelenzyklus versteht, durchschaut das Ringen der Völker als ein geistiges Geschehen, das sich in den Seelenkräften abspielt wie in den Mysteriendramen. Die Frage nach der Kriegsschuld ist sinnlos, denn die wahren Ursachen liegen in den geistigen Hintergründen. Die gefallenen Seelen wirken weiter, stärken die Lebenden, und der Krieg wird zum Lehrmeister einer neuen Spiritualität, indem er Angst in Mut und Begeisterung verwandelt. Die Entwicklung der Liebefähigkeit ist das Ziel, das durch Geisteswissenschaft gefördert wird. Die Auseinandersetzungen der Völker entziehen sich dem gewöhnlichen Menschenverstand. Die Mission der weißen und farbigen Rassen ist verschieden, und zukünftige Kämpfe zwischen diesen Menschengruppen sind zu erwarten. Die slawische Kultur bereitet die sechste Kulturepoche vor, während Mitteleuropa die Kraft besitzt, über das Nationale hinauszugehen. In England steht die Theosophie neben dem äußeren Geistesleben, in Deutschland ist die Anthroposophie mit dem übrigen Geistesleben verbunden. Die Gedanken und Empfindungen der Gegenwart gestalten die Zukunft. Der Mensch ist im Wachen mit seinem eigenen Volksgeist verbunden, im Schlafen mit allen anderen. Die Überwindung nationaler Einseitigkeit gelingt durch Geisteswissenschaft. Das Bündnis zwischen Frankreich und Russland ist äußere Maja, der wahre Gegensatz liegt zwischen westlichen und östlichen Seelen. Die Arbeit Michaels bereitet die Erscheinung des Christus in Äthergestalt vor. Das Wirken des Christus geschieht in den unbewussten Seelenkräften. Die Selbsterkenntnis ist schwierig, wie das Beispiel Ernst Mach zeigt. Die Seelen erleben nach dem Tode die Wirkungen ihrer Taten, und die Ätherleiber der Gefallenen fördern die Menschheitsziele. Die vielen Kriegstoten haben eine geistige Bedeutung. Die Erinnerungsbilder der Verstorbenen leben in unserem Astralleib und Ich weiter und leuchten während des Schlafens auf. Das Leben in der geistigen Welt nach dem Tode ist durch das Hereinwirken der Hierarchien geprägt. Unser Totengedenken ist für die Verstorbenen von großer Bedeutung, vergleichbar dem Erleben hoher Kunstwerke. Nach dem Tode erlebt die Seele das Verlassenwerden von allem Irdischen, das Lebenspanorama erscheint, und im Kamaloka erlebt man die Wirkungen der eigenen Taten auf andere – hier bildet sich das Karma. Das Traumleben ist ein Abbild des Schlafbewusstseins, das mit dem Leben im Kamaloka verwandt ist. Die Ätherleiber der zu früh Gestorbenen wirken in die geistige Welt hinein. Das Leben der Pflanze ist ein Bild für das Wirken kosmischer Kräfte. Die Sonnenkraft wird im Samen bewahrt. Die rechte Stimmung für geisteswissenschaftliche Forschung ist Demut gegenüber den Welträtseln. Die physiologische Veranlagung zum Verbrechertum kann durch Geisteswissenschaft verwandelt werden – dies ist bedeutsam für die Entwicklung zum Jupiter-Dasein. Das russische Volk besitzt bestimmte Wesenszüge, die zu machtpolitischen Zwecken missbraucht werden. Mitteleuropa muss Impulse in Russland aufnehmen. Der Gegensatz zwischen deutschem und englischem Wesen ist bedeutsam. Der mitteleuropäische Okkultismus entspringt dem Geistesstreben des deutschen Volkes, während die angelsächsischen Okkultisten andere Ziele verfolgen. Die Entwicklung von H. P. Blavatsky und die Umtriebe des französischen Okkultismus stehen mit dem Weltkrieg in Zusammenhang. Unsere Gedanken sind Arbeitsmaterial für die Wesen der dritten Hierarchie. Nach dem Tode verwandeln sich diese Gedanken in Äthergewebe. Das Innere wird Äußeres und umgekehrt. Die höheren Hierarchien bereiten unsere kommende Inkarnation vor. Unklare pazifistische Bestrebungen sind schädlich. Geistgemäße Gedanken sind für die Menschheitsentwicklung entscheidend. Die Anthroposophie ist ein Bedürfnis der Gegenwart, sie erzieht zur selbständigen Urteilskraft. Das Missverstehen dieser Tatsache ist verbreitet. Nicht wirklichkeitsgemäßes Denken prägt die Gegenwart. Die Bekämpfung der Anthroposophie geschieht oft aus persönlichen Motiven. Der Materialismus ist eine notwendige Phase der Menschheitsentwicklung, doch die Überwindung dieses Standpunktes durch spirituelle Impulse ist unerlässlich. Die Verbundenheit mit höheren Hierarchien war früher eine natürliche Fähigkeit. Die Zeitschrift „Das Reich“ ist ein Zukunftsimpuls der Anthroposophie. Im Makrokosmos, im menschlichen Leben und im Atemrhythmus herrscht zahlenmäßige Übereinstimmung. Die Wahrnehmung des Weltgeistes verändert sich durch die Kulturepochen. Die römischen Cäsaren erzwangen die Einweihung, was in der Geschichte nachwirkt. Unsere Zeit neigt zu abstrakten Idealen, doch Geisteswissenschaft konkretisiert diese. Die Abschaffung des Geistes durch das Konzil von Konstantinopel wirkt bis in die heutige materialistische Wissenschaft. Vorstellen, Fühlen und Wollen entsprechen Wach-, Traum- und Schlafzustand. Die Ursprünge unserer Gefühls- und Willensimpulse liegen im Reich der Toten. Die Toten wirken im geschichtlichen Werden mit. Die gewöhnliche Geschichtsbetrachtung ist wirklichkeitsfremd. Es ist ein tiefgreifendes Umdenken nötig. Die Spiritualität der modernen naturwissenschaftlichen Begriffe wird materialistisch angewendet. Der Sturz der ahrimanischen Geister 1879 hat weitreichende Folgen. Die Einbeziehung kosmischer Wirkenskräfte in die Naturbetrachtung ist notwendig. Die Entwicklung des Kopfes und des übrigen Organismus verläuft unterschiedlich schnell, was für die Pädagogik bedeutsam ist. Die sozialdemokratische Weltanschauung ist Ausdruck maschinellen Denkens. Die naturwissenschaftliche Psychologie wird im Sozialen angewendet, wie bei Lenin und Trotzki. Die Geisteswissenschaft wird durch das Leben bestätigt. Die halbbewussten und unbewussten Erlebnisse prägen das Traumleben und das Leben nach dem Tode. Das Leben in Imaginationen, Inspirationen und Intuitionen setzt sich fort. Die geistigen Hintergründe der Zeit sind zu erkennen, um die Zukunft zu gestalten. 175) Im gegenwärtigen Zeitalter ist das menschliche Bewusstsein in einen Zustand geraten, in dem das Geistige immer mehr aus dem Blickfeld verschwindet. Die materialistische Weltanschauung hat sich ausgebreitet, aber es ist notwendig, sich wieder dem Geistigen zuzuwenden, um die Brücke zwischen der physischen und der geistigen Welt neu zu schlagen. Die Beziehung zu den Verstorbenen hat sich gewandelt; in alten Zeiten war das Zusammenleben mit den Toten unmittelbarer, heute muss es auf neue Weise errungen werden. Der Mensch ist Glied eines großen Organismus, und es bestehen tiefe Entsprechungen zwischen den Rhythmen des Kosmos und denen des menschlichen Lebens: Das platonische Weltenjahr, der Tag des Menschen, die Zahl der Atemzüge – alles steht in geheimnisvoller Beziehung. Die Menschenseele begegnet im Laufe des Lebens dreimal dem Geistigen: dem Geist, dem Sohnesgott und dem Vatergott. Diese Begegnungen prägen das Leben, wirken bis in den Tod und darüber hinaus. Besonders die dritte Begegnung, die mit dem Vatergott, hat eine andere Wirkung, wenn der Tod früh eintritt oder durch Selbstmord herbeigeführt wird. Das Empfinden für die Heiligkeit des Schlafes ist ein Schlüssel zum Verständnis dieser Zusammenhänge. Die Gegenwart ist geprägt von einer Spaltung der Welt in eine mechanische Naturordnung und eine moralische Weltordnung. Das Moralische ist nicht bloß subjektiv, sondern Keimkraft kommender Naturordnungen. Der Schlaf birgt ein Rätsel: Die Ermüdung, die Gliederung des Menschen in Kopf, Brust und Unterleib, das Verhältnis des Ich zur Leiblichkeit in Schlaf, Traum und Wachbewusstsein – all dies verweist auf die Notwendigkeit, das Geistige wieder in das Leben hereinzunehmen. Die drei Begegnungen mit dem Geistigen sind auch mit den Sternen und dem Jahreslauf verbunden. Im Winter, in den Mysterien, offenbart sich Christus auf besondere Weise. Die Geheimnisse des Jahreslaufes stehen in Zusammenhang mit sozialen Fragen und mit der Möglichkeit, in der Zukunft Lebendiges aus Unlebendigem zu erzeugen, was wiederum mit den Sternenkonstellationen in Beziehung steht. Die alten Mysterien – etwa die Mithrasmysterien, die Eleusinien, die phrygischen Kulte – waren Träger einer Erkenntnis, die den Menschen mit dem Göttlichen verband. Die Initiationsgeheimnisse wurden im Laufe der Geschichte missbraucht, etwa durch die römischen Cäsaren, die das Mysterienwesen für ihre Machtzwecke instrumentalisierten. Mit dem Mysterium von Golgatha geschah etwas grundlegend Neues: Der Christusimpuls trat in die Menschheitsentwicklung ein, nicht mehr nur als ein Mysterienereignis für wenige, sondern als ein welthistorisches Geschehen für alle Menschen. Die Gnosis, der historische Materialismus, die naturwissenschaftliche Weltanschauung – all diese Strömungen spiegeln das Ringen um ein neues Verständnis des Geistigen wider. Das antireligiöse Zeitalter bringt Krankheit, Unglück und Selbsttäuschung hervor. Doch die objektive Realität der moralischen Weltordnung bleibt bestehen. Die Kraft des Glaubens wirkt als Wunder, das verlorengegangene Wort muss wiedergefunden werden. Das Christentum hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt. Die ursprüngliche Kraft der Mysterien wurde durch das römische Element überformt, das alte heidnische Opfer lebt im Messopfer weiter. Die Manichäerlehre, das augustinische Prinzip, der Gedanke der Auferstehung – all dies sind Stationen auf dem Weg zu einer tieferen Erkenntnis des Christusgeschehens. Die zweite Kreuzigung des Christus geschieht geschichtlich in der Ausrottung der Mysterien durch den Konstantinismus; die Auferstehung muss als inneres mystisches Erlebnis neu errungen werden. Die Nachklänge alter Kulturen, der Gemeinschaftsgeist der Mithrasmysterien, die Zukunftsvisionen eines Nietzsche, die Betrachtung des Staates als Lebensform – all dies weist darauf hin, dass der Mensch heute an einem Wendepunkt steht. Das Seelenauge muss geöffnet werden, hellsichtige Kräfte treten wieder hervor. Die Anschauung der Unsterblichkeit wandelt sich vor und nach dem Mysterium von Golgatha. Glaube und Erkenntnis müssen sich durchdringen, damit der Mensch seine wahre Bestimmung im Kosmos und in der Geschichte erkennen und verwirklichen kann. 176) Das Leben der Menschheit verläuft in großen Zyklen, die mit den Lebensaltern des einzelnen Menschen vergleichbar sind, doch nicht in einfacher Weise. In alten Zeiten, besonders in der urindischen Kulturepoche, war das Seelisch-Geistige des Menschen bis in ein hohes Alter hinein eng an das Körperliche gebunden. Erst in späteren Lebensjahren, wenn das Körperliche nachließ, begann das Geistige im Inneren aufzuleuchten. Das führte zu einer tiefen Altersverehrung, denn im hohen Alter öffneten sich dem Menschen die göttlichen Geheimnisse. Die Seelenverfassung der Menschen wandelte sich im Laufe der nachatlantischen Kulturepochen, und das Bewusstsein entwickelte sich von einem traumhaften Schauen zu einem immer wacher werdenden Selbstbewusstsein. In der Gegenwart ist die Menschheit an einem Punkt angelangt, an dem das Geistig-Seelische weitgehend unabhängig vom Körperlichen geworden ist. Diese Entwicklung bringt große Chancen, aber auch Gefahren mit sich, weil die Verbindung zu den geistigen Welten schwächer geworden ist. Die materialistische Denkweise, die heute vorherrscht, ist eine Folge dieses Prozesses. Sie führt dazu, dass viele Menschen glauben, mit dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters sei ihre Entwicklung abgeschlossen und sie hätten nichts mehr zu lernen. Doch gerade jetzt ist es notwendig, neue, bewegliche Begriffe zu entwickeln und die geistigen Hintergründe der Welt zu erfassen. Die Wissenschaft der Gegenwart ist geprägt von einer einseitigen Ausrichtung auf das Materielle. Sie hat große Fortschritte gemacht, aber sie verliert den Zusammenhang mit dem Geistigen. Der Mensch muss lernen, die geistigen Zusammenhänge wieder zu erkennen und zu verstehen, dass sein Wesen über das rein Materielle hinausreicht. Die Selbsterkenntnis ist schwierig geworden, weil das Bewusstsein sich von den geistigen Wurzeln entfernt hat. Doch gerade durch die Schwierigkeiten der Selbsterkenntnis kann der Mensch zu einer tieferen Wahrheit gelangen. Die aufeinanderfolgenden Erdenleben sind eine Realität, die erkannt werden muss, um das menschliche Dasein zu verstehen. Das Verhältnis des Menschen zur Wahrheit ist heute ein anderes als in früheren Zeiten. Es ist notwendig, den Mut zu entwickeln, sich der Wahrheit zu stellen, auch wenn sie unbequem ist. Die geistige Forschung zeigt, dass das Karma des Materialismus eine große Herausforderung für die Gegenwart ist. Viele Töne des Geisteslebens sind vergessen worden, und falsche Analogien führen zu Irrtümern im Denken. Der Rhythmus von Atmen und Erkennen ist ein Ausdruck der Verbindung zwischen dem Menschen und dem Kosmos. Es braucht Geistesmut, um gegen die Bequemlichkeit der Seele anzukämpfen und sich dem wahren Wesen der Welt zu öffnen. Die Gestalt des Christus ist für die Gegenwart von entscheidender Bedeutung, denn durch das Mysterium von Golgatha ist der Weg zur Freiheit und zum Fortschritt der Menschheit bereitet worden. Die Betrachtung der Zeit zeigt, dass die großen Persönlichkeiten wie Luther eine doppelte Natur in sich tragen, einen Januskopf, der Vergangenheit und Zukunft verbindet. Die Geisteswissenschaft eröffnet Einsichten, die über das Äußere hinausgehen und den Menschen in die Lage versetzen, die wahren Entwicklungszusammenhänge zu erkennen. Nur durch diese Einsicht kann die Menschheit den Weg aus dem Materialismus finden und zu einer neuen geistigen Kultur aufsteigen. 177) Wir stehen in einer Zeit, in der die äußeren Ereignisse der Welt, die Katastrophen und Umwälzungen, ihren Ursprung in geistigen Strömungen haben, die weit über das Sichtbare hinausreichen. Die materialistische Gesinnung, die sich in den letzten Jahrhunderten immer mehr ausgebreitet hat, wirkt zerstörerisch und entfremdet den Menschen von den geistigen Hintergründen der Welt. Die intellektuelle Entwicklung der Menschheit ist der moralischen weit vorausgeeilt, so dass Weisheit ohne Moralität in das irdische Leben getragen wird. Es ist notwendig, die Kluft zwischen Denken und moralischem Handeln zu erkennen und zu überwinden. Die gegenwärtige Menschheit ist jünger geworden, unreifer, was sich auch in den führenden Persönlichkeiten der Zeit widerspiegelt. Die Denkgewohnheiten sind wirklichkeitsfremd; es herrscht die Illusion, durch irdische Vollkommenheit das Heil zu finden. Doch das Reich, das gesucht wird, ist nicht von dieser Welt. Es ist notwendig, gegenüber geisteswissenschaftlichen Wahrheiten eine Haltung der Offenheit und des inneren Ringens um Erkenntnis einzunehmen, statt sich auf festgefügte Standpunkte zu stellen. Die Elementargeister von Geburt und Tod wirken im Dienste der Götter, doch nun geht die Herrschaft über diese Wesen mehr und mehr in die Hände der Menschen über. Tugenden müssen sich in Untugenden verwandeln, aufbauende Kräfte in zerstörerische, damit der Mensch sich weiterentwickeln kann. Die Erde selbst ist im Absterben begriffen, die Leiber verdorren, und diese Tatsachen spiegeln sich in der Wissenschaft und Psychologie wider. Die Trennung des Innenwesens von der Körperlichkeit schreitet fort; die alten Blutbande lösen sich auf. Die Psychopathologie und die Tendenz, den Geist durch Medikamente abzuschaffen, sind Symptome dieser Zeit. Die Gedankenwelt, die uns umgibt, ist lebendig, doch die Gedanken in uns sind tot. Das Haupt des Menschen ist ein Erbstück alter Erdverkörperungen, während der übrige Leib das Ergebnis kosmischer Hierarchien ist, verdichtet durch luziferische Kräfte. In früheren Zeiten war der Mensch spirituell mit seiner Umwelt verbunden, heute ist diese Verbindung abgerissen. Es bedarf inspirierter Gedanken, besonders im Sozialen, und intuitiv-prophetischer Fähigkeiten, besonders im Lehrerberuf. Die historische Betrachtung ist oft gewichtslos und wirklichkeitsfern. Luther steht als Angehöriger der vierten Kulturepoche am Übergang zur fünften. Die Täuschungen der Vergangenheit müssen erkannt und überwunden werden, die Feuerprobe der Initiation ist heute eine innerliche geworden. Der Gedanke des Karma ist für die Erziehung von großer Bedeutung; zu frühe Verstandesbildung ist schädlich. Das richtige Verhalten gegenüber Andersdenkenden und die Verinnerlichung der Beziehung zwischen Erzieher und Zögling sind entscheidend. Die Gegenwart strebt nach einfachen, einheitlichen Begriffen, doch diese genügen der Wirklichkeit nicht. Der Vergleich von Organismus und Staat ist irreführend; das soziale Leben der Erde muss als ganzer Organismus begriffen werden. Die Vergangenheit wird im Westen verklärt, im Osten wird mit ihr gebrochen. Abstrakte theosophische Ideale genügen nicht, es bedarf konkreten Wissens. Der Kampf zwischen dem Erzengel Michael und den ahrimanischen Mächten, der von 1841 bis 1879 stattfand, führte zum Sturz der Geister der Finsternis. Nun greifen die Menschen die materialistischen Impulse persönlich auf. Die ahrimanische Denkweise durchdringt die Wissenschaft, und die geistigen Ereignisse spiegeln sich im irdischen Geschehen. Die Erkenntnis des russischen Volksgeistes ist ein Beispiel für das Wirken geistiger Mächte in der Geschichte. Viele Ideale sind wirklichkeitsfremd. Gedanken, die im 18. Jahrhundert verbreitet wurden, wirken bis heute nach. Vorurteil, Unwissenheit und Furcht fördern die ahrimanischen Mächte. Die Naturwissenschaft erfasst nur das Vergangene, es ist aber notwendig, das Zukünftige zu erkennen. Die monistischen Theorien sind von ahrimanischen Wesen durchdrungen. Die materielle Wissenschaft muss mit spirituellem Denken durchdrungen werden, und die Erziehung muss verwandelt werden. Frohe Kindheitserinnerungen sind für das spätere Leben von großer Bedeutung. Die menschliche Seelennatur muss verinnerlicht werden, während die Wissenschaftskultur sich veräußerlicht hat. Neue Impulse in der Erziehungskunst sind notwendig, um der Verahrimanisierung des Innenlebens entgegenzuwirken. Die Beziehung von Tier und Mensch zu Sonnen- und Mondenströmungen ist bedeutsam. Sinnige Erzählungen aus der Tier- und Pflanzenwelt sind pädagogisch notwendig. Die Begriffe verarmen durch das Spezialistentum. Es gibt aber auch Beispiele für eine fruchtbare Verbindung von Geisteswissenschaft und Fachwissen. Die Herabstoßung der Geister der Finsternis ist die Ursache der gegenwärtigen Ereignisse. Die Geister des Lichts förderten in früheren Epochen die Blutsbande, die finsteren Mächte befreiten den Menschen davon. Im 19. Jahrhundert kehrten sich diese Verhältnisse um. Die Abstammungslehre Darwins ist ein Impuls aus der Vergangenheit, die Metamorphosenlehre Goethes eine Kraft der Zukunft. Der Mensch ist durch Vererbung mit der Erde verbunden, durch Vergeistigung löst er sich von ihr. Die Indianisierung der in Amerika lebenden Europäer ist eine zu überwindende Tendenz. Die Geister der Finsternis streben danach, den menschlichen Scharfsinn zu steigern und die Beziehung zum Geist auf spiritistische Methoden zu beschränken. Durch den Sieg Michaels ist die reine Verbindung mit dem Geist möglich. Die Ereignisse des 19. Jahrhunderts sind Auswirkungen der Kämpfe im Geistgebiet. Goethes Streben nach dem Geistigen zeigt sich in seinem Werk und in den Deutungen seiner Zeitgenossen. Die Angeloi und Archangeloi wirken in der Geschichte und im menschlichen Organismus. Die physische Fortpflanzung wird im 6. oder 7. Jahrtausend enden. Die Geister der Finsternis streben eine Verjüngung der Menschheit an. Die Diskrepanz zwischen Gedankenleben und Willensleben prägt die moderne Gesellschaft. Die Geschichtswissenschaft ist jung und bedarf der Befruchtung durch die Anthroposophie. Die Demokratie ist oft eine Illusion, das politische Handeln wird von finanziellen Rücksichten beeinflusst. 178) Die Entwicklung des Menschengeistes schreitet fort, indem er sich immer wieder in neuen Formen des Erkennens und Handelns offenbart. Doch nicht nur Fortschritt, sondern auch tiefgreifende Wandlungen der Denk- und Empfindungsgewohnheiten prägen diese Entwicklung. Die Kopernikanische Wende zeigt, wie schwer Menschen sich tun, alte Vorstellungen aufzugeben. Heute aber steht der Mensch vor einer noch umfassenderen Herausforderung: Die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft fordert dazu auf, Erkenntnis nicht nur auf das Sinnliche zu beschränken, sondern das Übersinnliche als reale Tatsache zu erfassen und zu erforschen. Nicht aus sektiererischem Geist, sondern als Konsequenz der naturwissenschaftlichen Entwicklung erhebt sich diese Geisteswissenschaft. Sie will kein neues Glaubensbekenntnis stiften, sondern aus den Errungenschaften der Wissenschaft heraus zu einer umfassenderen Welterkenntnis führen. Während die Naturwissenschaft das Werden, die Geburt, das Wachstum erforscht, richtet sich der Blick der Geisteswissenschaft auf den Tod, auf das, was hinter dem Schleier des Sichtbaren liegt. Der Tod ist nicht nur Ende, sondern Tor zu einer anderen Wirklichkeit, die dem forschenden Geist zugänglich werden kann. Die Seele des Menschen ist nicht nur ein Produkt der Sinneswelt, sondern ein Feld, in dem geistige Wesenheiten wirken. In jedem Menschenleben begegnet der Mensch nicht nur sich selbst, sondern auch einem Doppelgänger, einem Schattenwesen, das ihn begleitet und mit dem er sich auseinandersetzen muss. Die geographischen Bedingungen, die Geschichte, die Umgebung prägen den Menschen, aber auch geistige Wesenheiten, die individuell auf die Seele wirken. Die Psychoanalyse, wie sie in der Gegenwart auftritt, tastet an den Schleier des Übersinnlichen, bleibt aber im Äußeren stehen. Sie erkennt das Wirken verborgener Kräfte, ohne deren geistigen Ursprung zu erfassen. Der Mensch ist eingebettet in ein Gefüge individueller Geistwesen, die in seiner Seele tätig sind und deren Wirken sich in Schicksal, Krankheit, Entwicklung und Heilung offenbart. Das Bewusstsein des Menschen ist ein Schauplatz, auf dem sich das Verhältnis zwischen Ich, Seele und geistigen Wesenheiten abspielt. Die Entwicklung der Menschheit ist ein Drama, in dem Freiheit und Notwendigkeit, individuelles Schicksal und kosmische Gesetzmäßigkeit miteinander verwoben sind. Die geistige Welt ist nicht fern, sondern im Innersten der menschlichen Seele gegenwärtig. Wer sich auf den Weg der Erkenntnis des Übersinnlichen begibt, erfährt, dass die geistigen Wesenheiten nicht bloß abstrakte Begriffe, sondern reale Kräfte sind, die das Leben, das Denken, das Fühlen und das Wollen des Menschen durchdringen. Der Mensch ist berufen, sich dieser geistigen Wirklichkeit bewusst zu werden, sich mit den individuellen Geistwesen auseinanderzusetzen, die in seiner Seele wirken, und dadurch zu einer tieferen Erkenntnis seiner selbst und der Welt zu gelangen. So wird die Seele zum Schauplatz einer Auseinandersetzung, die nicht nur das individuelle Leben, sondern das Schicksal der Menschheit und der Erde bestimmt. 179) Die Grenze zwischen der physischen und der geistigen Welt verläuft mitten durch den Menschen. Das Nervensystem ist nicht, wie die heutige Wissenschaft meint, in Wahrnehmungs- und Bewegungsnerven zu unterteilen, sondern es dient einer einheitlichen Funktion: Es bildet die Schwelle, an der sich das Geistige und das Physische im Menschen begegnen. Die verbreitete Vorstellung, das Gehirn sei wie eine Schaltzentrale, in der Sinneseindrücke in Befehle zur Bewegung umgewandelt werden, ist ein Irrtum. Vielmehr zeigt sich im Bau des Nervensystems das Abbild einer geistigen Wirklichkeit: Die Unterbrechungen der Nervenstränge markieren jene Schwelle, an der das Geistige in das Physische einwirkt und umgekehrt. Der Mensch lebt nicht nur in der physischen Welt, sondern steht fortwährend in Beziehung zu geistigen Wesenheiten, auch wenn ihm dies im Alltagsbewusstsein verborgen bleibt. In der Zeit nach dem Tod bleibt die Seele mit den Lebenden verbunden und wirkt in deren Gefühls- und Willensleben hinein. Die Toten leben in einer anderen Zeitordnung, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinanderfließen. Sie nehmen die Gedanken, Empfindungen und Willensimpulse der Lebenden auf, besonders wenn diese von moralischer Phantasie durchdrungen sind. Es ist eine fortwährende Wechselwirkung zwischen den Welten, in der die Toten inspirierend auf das Leben der Zurückgebliebenen einwirken können. Die Entwicklung des Menschen vollzieht sich in unterschiedlichen Zeitabläufen für die verschiedenen Wesensglieder. Während der physische Leib in der äußeren Zeit lebt, schreiten die seelischen und geistigen Glieder in einer anderen Zeitordnung voran. Die Freiheit des Menschen gründet sich darauf, dass er in der Lage ist, moralische Phantasie zu entwickeln, also schöpferisch und aus eigenem Antrieb sittliche Impulse zu gestalten. Die Maja, die Sinnestäuschung, ist die notwendige Voraussetzung für die Freiheit, denn nur in der scheinbaren Trennung von geistiger und physischer Welt kann der Mensch als freies Wesen handeln. Im Zeitalter der Intellektualität, das mit dem Ende des 19. Jahrhunderts angebrochen ist, hat sich die Menschheit zunehmend von den geistigen Kräften abgeschnitten. Die Abstumpfung gegenüber dem Geistigen ist eine Folge der einseitigen Naturwissenschaftlichkeit. Doch gerade jetzt ist es notwendig, neue Erkenntniskräfte zu entwickeln, die über das bloße Denken hinausgehen und den Willen und das Gefühl in die geistige Erkenntnis einbeziehen. Die freie Handlung entsteht dort, wo der Mensch aus sich selbst heraus, im Bewusstsein der geistigen Zusammenhänge, schöpferisch tätig wird. Das Verhältnis zu den Toten, die Wirkung der Zeitgeister und die Notwendigkeit, die Schwelle zwischen den Welten bewusst zu überschreiten, sind zentrale Aufgaben der Gegenwart. Nur durch eine Erneuerung der Erkenntniskräfte, durch die Verbindung von Intellekt und Wille, kann der Mensch seine Freiheit verwirklichen und die geistigen Einflüsse aus der Welt der Toten fruchtbar in das irdische Leben aufnehmen. 180) Die Kraft des menschlichen Sehnens, wie sie sich im Weihnachtsfest offenbart, ist tief verbunden mit dem Mysterium der jungfräulichen Geburt: „Et incarnatus est de spiritu sancto ex Maria virgine.“ Viele der heutigen Menschen verstehen diese Worte nicht mehr in ihrem geistigen Sinn und halten das Mysterium der Inkarnation für eine Zumutung des Verstandes. Doch dieses Mysterium ist seit dem Ereignis von Golgatha eine geistige Realität, die weiter in die Entwicklung der Erde hineinwirkt. Schon vor dem Mysterium von Golgatha war die jungfräuliche Geburt als kosmisches Ereignis bekannt, wie es die Magier, die Weisen aus dem Morgenland, im Sternbild der Jungfrau lasen. Sie brachten Gold, Weihrauch und Myrrhen als Symbole für göttliche Weisheit, Tugend und Unsterblichkeit dar – Gaben, die das Wesen des Christus-Impulses bezeichnen. Die 33 Jahre zwischen Weihnachten und Ostern spiegeln einen tiefen Rhythmus im geschichtlichen Werden wider. In diesen Rhythmen offenbart sich, wie die Impulse der großen Mysterien in die Menschheitsentwicklung eingreifen. Die alten Mysterien, etwa jene um Pallas Athene, die jungfräuliche Göttin, zeigten, wie die Menschen einst die Konstellationen des Himmels verehrten, während heute das in der Zeit Verlaufende als Pflicht erkannt werden muss. Die Magier kannten die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und wussten um die Geheimnisse der Zeitläufe. Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts ging das Verständnis für das Mysterienwesen verloren. Die alten esoterischen Wahrheiten wurden exoterisch, äußerten sich in Theorien wie bei St. Martin oder Dupuis, der alle Kulte auf einen Ursprung zurückführte. Die Wissenschaft der Neuzeit, verbunden mit nationaler Gesinnung, ruft neue ahrimanische Elementarwesen hervor, während im Altertum durch die physische Wissenschaft luziferische Wesen entstanden. Die Kraft des Logos, die schöpferische Wortmacht, bleibt die verbindende Wirklichkeit. Das Mysterium von Golgatha gleicht die schädlichen Kräfte aus, die aus dem alten Mysterienwesen hervorgingen. Menschliche Handlungen wirken nach 33 Jahren im sozialen Zusammenhang weiter; Gedanken- und Tatenkeime reifen durch drei Generationen. Die „Conceptio Immaculata“ verweist auf das reine Empfangen des Geistes. Goetheanismus verlangt das Schauen der Urphänomene, nicht das bloße Kombinieren von Theorien. Das christliche Jahr ist gegründet auf die beiden Tore zur unsichtbaren Welt: Geburt und Tod. Die indischen und ägyptischen Mysterien des Feuers oder der Geburt stehen den chaldäischen und vorderasiatischen Sternenmysterien des Todes gegenüber. Die Überwindung des Gegensatzes von Religion und Wissenschaft gelingt nur durch Geisteswissenschaft. Die Sinne, wie das Auge, sind Fortsetzungen der Außenwelt; hinter ihnen wirken geistige Hierarchien. Die Mysterien der Persephone, die Lehren von Bernardus Silvestris, Alanus ab Insulis, Brunetto Latini und Dante, führen zur mystischen und alchimistischen Hochzeit, zur Vereinigung von Seele und Geist. Die Mythen sind Ausdruck des Bewusstseins von der Zusammengehörigkeit des Menschen als Mikrokosmos mit dem Makrokosmos. Die ägyptische Osiris-Isis-Mythe, die griechischen Mythen von Gäa und Uranos, Rhea und Kronos, Hera und Zeus, spiegeln die Prozesse von Sal, Mercur und Sulfur, wie sie die mittelalterlichen Naturforscher beschrieben. Die Entwicklung der Menschenseele zeigt sich im Wandel der Bewusstseinszustände. Die Osiris-Mythe birgt eine tiefere Bedeutung: Die heilige Bilderschrift der Ägypter wurde zur abstrakten Buchstabenschrift. Die Geschlechtsreife der alten Ägypter war mit seelischen Vorgängen verbunden, die mit Sternenweisheit und sozialem Leben zusammenhingen. Sexualität und Nationalismus sind heute von ähnlicher Kraft wie einst die Sternenweisheit. Die Unterschiede zwischen ägyptischer, griechischer Götterlehre und dem Alten Testament zeigen sich in den Geheimnissen der Osiris-Isis-Mythe und in der neuen Isis-Legende. Eulenspiegeleien als Grundton der Gegenwart, das bewusste Älterwerden, sind Zeichen der Zeit. Gegen das alles beherrschende Vererbungsprinzip wirken neue Impulse: Die alte Isis-Inschrift wird ergänzt durch einen Spruch für Gegenwart und Zukunft. Die konkreten Konstellationen von Tierkreis und Planeten stehen mit der Entwicklung des Menschen in den nachatlantischen Kulturen in Zusammenhang. Die „Weltenuhr“ zeigt den Rhythmus der Menschheitsentwicklung. Die Menschheit wird seelisch-geistig jünger, während der physische Leib altert. Friedrich Schlegels Hoffnungen auf eine Durchchristung von Wissenschaft und Staatsleben sind Illusionen geblieben. Einseitige Impulse von Sozialismus und Gedankenfreiheit müssen durch Geisteswissenschaft ausgeglichen werden. Abstrakte Begriffe taugen nicht zur wirklichen Menschenerkenntnis. Die menschliche Gestalt ist zweifach: Kopf-Mensch (Kugelform) und Rumpf-Mensch (Mondenform). Kopf-Wissen muss in Herzens-Wissen verwandelt werden, das ist entscheidend für Erziehung, Unterricht und das soziale Leben. Der menschliche Kopf steht mit dem Sternenhimmel, der übrige Organismus mit den Vererbungskräften in Verbindung. Aurische Weltensubstanz strömt auf die Erde ein und wieder aus. Die Polarität von Kopf- und Herzleben entspricht dem Ein- und Ausatmen von Geistsubstanz durch die Erde. Die Erziehungswissenschaft der Zukunft muss diese Zusammenhänge erfassen. Die Geschichte Europas bis zum 9. Jahrhundert ist geprägt vom Zerfall des Römischen Reiches, dem Aufblühen des Arabismus, der Völkerwanderung, der Verbindung von römischem Christentum mit fränkischer Macht. Karl der Große, Papst Nikolaus I., die Trennung des orientalischen Christentums vom Abendland, all das sind Stationen auf dem Weg zur heutigen Zeit. Bis zum 15. Jahrhundert wird Europa sesshaft, Geldwirtschaft und Naturalwirtschaft entstehen, Rittertum und Bürgertum entwickeln sich. Die verschiedenen Volksstämme werden zu Nationen. Die Jungfrau von Orleans, Papsttum, Ketzertum, Kreuzzüge, das Ringen zwischen Jerusalem und Rom, die Goldmacherkunst, der Stein der Weisen, das Rosenkreuzertum – all das sind Ausdruck der fortschreitenden Entwicklung des europäischen Geisteslebens. 181) Das Leben des Menschen ist eingebettet in einen großen Zusammenhang zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Erdenleben und geistiger Welt. Die Geisteswissenschaft ist nicht bloß Theorie, sondern soll ein innerer Halt sein, der die Seelen verbindet – nicht nur die Lebenden, sondern auch die Toten, die durch die Pforte des Todes gegangen sind. Gerade in dieser schweren Zeit, in der so viele Menschen aus dem Leben gerissen werden, ist es notwendig, das Bewusstsein für die Verbindung mit den geistigen Welten zu stärken. Die Prüfungen der Gegenwart sind nicht sinnlos, wenn sie dazu führen, dass die Menschenseelen sich geistig vertiefen und lernen, aus dem Geistigen heraus zu handeln. Die äußere menschliche Gestalt ist Ausdruck des inneren Wesens, das sich in den verschiedenen Bewusstseinszuständen – Wachen, Schlafen, Tod – entfaltet. Im Schlaf und nach dem Tod lebt der Mensch in anderen Sphären, bleibt aber mit den Zurückgebliebenen verbunden. Die Gedanken, Gefühle und Taten der Lebenden wirken auf die Toten zurück; Dankbarkeit, Vertrauen und seelische Verjüngung sind Brücken, die zwischen den Welten gebaut werden können. Das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit aller Menschen, auch über den Tod hinaus, ist eine Notwendigkeit der Zeit. Die Völkerseelen wirken in der Geschichte, und das Mysterium von Golgatha ist der zentrale Impuls, durch den die Erde und die Menschheit geistig erneuert werden. Die Erkenntnis ist relativ, doch in der geistigen Kosmologie erschließt sich das Ewige, das Unvergängliche, das dem Menschen zwischen Tod und neuer Geburt begegnet. Der Mensch trägt Verantwortung für sein Schicksal, das aus dem Unterbewussten heraus wirkt und sich in wiederholten Erdenleben entfaltet. Die Geisteswissenschaft ist Lebenspraxis: Sie gibt Orientierung für das Handeln im Alltag und für die Gestaltung der Zukunft. Die verschiedenen Bewusstseinszustände – Wachen, Träumen, Schlafen – sind Stufen, durch die der Mensch sich entwickelt und immer bewusster am geistigen Leben teilnimmt. Die Aufgabe der Gegenwart ist es, das Bewusstsein zu erweitern und das Geistige in das soziale, geschichtliche und individuelle Leben einzubringen. Die Zeitprobleme der Gegenwart können nur gelöst werden, wenn der Mensch sich seiner geistigen Herkunft und seiner Aufgabe in der Welt bewusst wird. 182) Wenn der Mensch die Schwelle des Todes überschreitet, verlässt er das Reich der Sinne und betritt eine Welt, in der alles, was er tut, was er empfindet, unmittelbare Resonanz hervorruft. Hier gibt es kein unbeteiligtes Nebeneinander wie im mineralischen oder pflanzlichen Reich der Erde; jede Handlung, jede Berührung löst Sympathie oder Antipathie, Lust oder Leid aus. Das Reich der Toten ist ein Reich allgemeiner Empfindungsfähigkeit, ein Reich, in dem die Kräfte der Seele, die im Erdenleben verborgen sind, offenbar werden. Die Verstorbenen wirken fort in den Geschicken der Lebenden, sie stehen in einem lebendigen Austausch mit den Seelen, die noch auf der Erde weilen. Die Impulse der Toten durchdringen das soziale, geschichtliche und ethische Leben der Menschheit, und es ist eine Aufgabe der Lebenden, sich für diese Wirkungen zu öffnen und sie bewusst zu gestalten. Die Beziehung zu den Toten ist nicht einseitig; sie ist ein lebendiger Verkehr, in dem sich das Prinzip der Umkehrung geltend macht: Was im Leben als Gedanke empfunden wurde, wird im Tode zum Gefühl, und was als Gefühl erlebt wurde, wird zur Vorstellung. Das Einschlafen und Aufwachen sind tägliche Vorübungen für das große Hinübergehen durch die Todespforte. Im Schlaf lösen sich die Fäden, die den Menschen an den physischen Leib binden, und er betritt eine Welt, die der des Todes verwandt ist. Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten ist von besonderer Art, je nachdem, ob es sich um junge oder alte Verstorbene handelt: Mitgefühl und Schmerz, aber auch egoistischer Schmerz, prägen die Beziehung. Die Art, wie wir der Toten gedenken, wie wir Totenfeiern gestalten, hat Einfluss auf das Leben der Verstorbenen und auf unser eigenes. Die geistige Wissenschaft muss das Vorstellen, Fühlen und Wollen des Menschen verwandeln. Die naturwissenschaftlichen Vorstellungen, die das Soziale zerstören, müssen durch eine spirituelle Erkenntnis durchdrungen werden. Der Mensch ist ein Mikrokosmos im Makrokosmos; das Laboratorium soll zum Altar werden, die Schule soll für das ganze Leben Impulse geben. Der Intellekt allein macht instinktlos; der Instinkt muss spiritualisiert werden. Die Wahrnehmung des Geistes erfordert eine Veränderung des inneren Tempos, eine Umstimmung der Seele. Die Zeichen der Zeit fordern eine neue Geistigkeit, die aus Mitteleuropa hervorgehen soll, zwischen Osten und Westen, zwischen Orient und Angloamerikanismus. Die Kirchen haben sich von der lebendigen Geistigkeit entfernt; das, was gemeinhin als „Gott“ verehrt wird, ist oft nur ein Schatten des wahren Göttlichen. Der Osten bringt eine neue Geistigkeit, aber auch hier lauern Gefahren, wie sie im Leninismus offenbar werden. Die Aufgabe Mitteleuropas ist es, das Gleichgewicht zwischen den Kräften des Ostens und des Westens zu finden. Die Menschen bäumen sich gegen den Geist auf, sie wollen sich nicht führen lassen von den höheren Hierarchien, von den Toten, die als Berater der Lebenden wirken. Die großen Gegenspieler des Menschen, Luzifer und Ahriman, wirken auf verschiedenen Ebenen: Luzifer in den übersteigerten Sexualinstinkten, Ahriman in der krankmachenden Wirkung von Heilmitteln und im Missbrauch der Technik. Die Psychoanalyse, wie sie von Freud und anderen vertreten wird, bleibt an der Oberfläche des Seelenlebens stehen und verkennt die tieferen geistigen Zusammenhänge. Die Hierarchien wirken im Menschen, insbesondere der Engel im Astralleib, und führen die Menschheit zu ihren künftigen Zielen: Brüderlichkeit, Religionsfreiheit und Einsicht in die geistige Natur der Welt. Die Aufgabe des Menschen ist es, den Christus in sich zu finden, nicht als äußere Gestalt, sondern als lebendige geistige Kraft. Der Atheismus ist eine Krankheit, die Leugnung des Christus ein Unglück, die Leugnung des Geistes ein Abgrund. Das Mysterium von Golgatha steht im Mittelpunkt der Menschheitsentwicklung; die Evangelien sind aus atavistischem Hellsehen entstanden, und die Geschichte der Menschheit ist durchzogen von geistigen Krisen und Wendepunkten. Die Sprache selbst ist Gebärde des Geistes, und die Aufgabe der Zeit ist es, das Geistige in allen Lebensbereichen zu erkennen und zu verwirklichen. 183) In der heutigen Zeit stehen der Menschheit drei Grundübel entgegen: Borniertheit, Philistrosität und Ungeschicklichkeit. Diese Übel durchdringen das Kulturleben und verhindern eine wahre Entwicklung des Menschen. Es ist notwendig, dass die Menschen sich von alten, erstarrten Ideen lösen und sich einer lebendigen Geistigkeit zuwenden, die allein den Weg aus der gegenwärtigen Sackgasse weist. Die Sehnsucht nach spirituellem Leben wächst, doch wird sie von den Kräften der Bequemlichkeit und Trägheit im Denken gehemmt. Nur durch eine selbstlose Hingabe an das Objektive, wie sie im Bau und Wirken der anthroposophischen Bewegung sichtbar wird, kann eine neue Zukunft entstehen. Der Mensch trägt eine Aura, die in enger Beziehung zu Erinnerung und Liebe steht. Die Erinnerung ist nicht bloß eine Funktion des Gehirns, sondern ein geistiges Geschehen, das mit der Liebe verwoben ist. Liebe ist die Kraft, die den Menschen mit der Welt verbindet und ihn über sich selbst hinausführt. In der Aura spiegeln sich die inneren Bewegungen der Seele, und durch bewusste Arbeit an sich selbst kann der Mensch diese Kräfte läutern und stärken. Die Initiationswege des Ostens, Westens und des Jesuitismus verfolgen unterschiedliche Ziele. Während der Osten auf die Auflösung des Ich im All strebt und der Westen das Ich zu stärken sucht, arbeitet der Jesuitismus an einer besonderen Form der Ich-Bildung, die jedoch auf Macht und Kontrolle abzielt. Die Technik unserer Zeit birgt die Gefahr einer ahrimanischen Dämonisierung, indem sie den Menschen von der geistigen Welt abtrennt und ihn immer mehr in das bloß Materielle verstrickt. Das Sonnenmysterium der alten Zeit offenbarte sich in dreifacher Weise. Die alten Mysterien kannten die geistige Sonne, die hinter der physischen Sonne wirkt. Im Christus Jesus wurde dieses Sonnenwesen Mensch, und so vollzog sich das größte Mysterium: das Mysterium vom dreifachen Menschen, der aus Leib, Seele und Geist besteht. Die Aufgabe der Gegenwart ist es, dieses Mysterium zu erkennen und in das Bewusstsein zu heben. Der Mensch ist dreigeteilt: Er lebt als denkendes, fühlendes und wollendes Wesen. Die zwölf Sinne eröffnen ihm die Welt, und jeder Sinn steht in Beziehung zu kosmischen Kräften. Der moderne Sozialismus sucht nach einer neuen Ordnung, doch kann er nur fruchtbar werden, wenn er das geistige Wesen des Menschen erkennt. Apollonius von Tyana ist ein Beispiel für einen Menschen, der in besonderer Weise die geistigen Kräfte der Menschheit verkörperte. Die menschliche Seele steht im Verhältnis zur Seelenwelt, und die Gliedmaßen des Menschen sind Ausdruck der Gedanken höherer Hierarchien. Die alten Mysterien besaßen eine tiefe Geist-Erkenntnis, die heute verloren gegangen ist. Es gilt, diese Erkenntnisse wiederzugewinnen und die Verbindung zu den geistigen Welten neu zu knüpfen. Zwischen Idealismus und Realismus klafft eine tiefe Kluft. Die Sprache des Menschen ist aus der kosmischen Vernunft hervorgegangen, und in ihr lebt der Geist des Universums. Die Bildung der Sprache ist ein schöpferischer Akt, der den Menschen mit dem Kosmos verbindet. Die pythagoräische Schule offenbarte, wie die Wahrheit in einer lügenhaften Welt bewahrt werden kann. Nach dem Tode zerstäuben die Worte, und die Wesensglieder des Toten gehen ihren eigenen Weg. Es ist wichtig, das rechte Verhältnis zu den Verstorbenen zu finden und das geistige Band zwischen Lebenden und Toten zu pflegen. Zeit und Raum sind nicht bloße abstrakte Größen, sondern lebendige Wirklichkeiten. Die Zeit hat eine Perspektivität, die der Mensch erkennen muss. Ahriman und Luzifer wirken in den Menschen hinein und versuchen, ihn von seinem wahren Wesen abzulenken. Nur durch eine bewusste Arbeit an sich selbst kann der Mensch diese Mächte überwinden und zu einer neuen Geistigkeit finden. 184) Im Menschenleben begegnen sich zwei große Strömungen: die des Idealismus und die des Materialismus. Nur wenn sie im rechten Maße zueinander in Beziehung stehen, kann der Mensch den Fallstricken des Dualismus und des Fatalismus entgehen, die wie Falltüren und Sackgassen das Weltanschauungsleben bedrohen. Die Geschichte zeigt, wie sich diese Strömungen in Persönlichkeiten wie Augustinus und Descartes verkörpern. Augustinus, geprägt von Manichäismus und Skeptizismus, ringt mit der Frage nach dem Ursprung der Gewissheit. Er findet sie im Innersten der Seele, im unmittelbaren Erleben, das keiner Täuschung unterliegt. Alles Äußere bleibt unsicher, nur das innere Erleben gibt Gewissheit. Im Schlaf verlässt der Mensch mit seinem Ich und dem astralischen Leib den physischen und ätherischen Leib. Die Kraft der Ideale, die aus dem Geistigen stammen, wirkt auf die Zukunft hin. Verschiedene Weltanschauungen – Theokratie, metaphysische Ordnung, Positivismus – prägen das Denken der Epochen, doch nur derjenige, der die geistigen Hintergründe durchschaut, erkennt die wahren Zusammenhänge. Die Wesen der dritten, zweiten und ersten Hierarchie wirken in der Welt. Sie führen die Entwicklung der Menschheit, und ihre Aufgaben spiegeln sich in der Geschichte wider. Die sogenannte „achte Sphäre“ birgt Gefahren für das menschliche Werden, denn sie steht für eine Abirrung vom rechten Weg. Die Zeit ist nicht bloß eine Folge äußerer Abläufe, sondern trägt ein inneres Gesetz in sich. Newton, Leibniz und Marx stehen für verschiedene Weisen, dieses Gesetz zu erfassen, doch oft bleibt die äußere Geschichte eine Scheingeschichte, während das reale Geschehen verborgen bleibt. Der Intellekt kann ins Halluzinatorische abgleiten, die Natur ins Illusorische. Wahre Ahnung, prophetische Vision und Apokalypse zeigen sich dem, der sich dem Geistigen öffnet. Kosmischer Hass und kosmische Vernunft ringen miteinander, und im Menschenleben keimt das Denken als Same der Zukunft, während das Wollen das Bewusstsein der fernsten Vergangenheit trägt. Der Mensch ist ein Wesen im Kosmos, zwischen Dauer und Entwicklung stehend. Die Welt ist durchzogen von einer Waage, einem Gleichgewicht zwischen Emanation und Kreation, zwischen Dauer und Vergänglichkeit. Die Dreifaltigkeit des Raumes ist ein Abbild des dreifaltigen Gottes, und die Einheit des Göttlichen offenbart sich im Erleben der Zeit. Monotheismus und Trinität, Geistordnung und Naturordnung durchdringen einander. Im Menschenleben wirken ahrimanische und luziferische Kräfte. Sie ziehen den Menschen in entgegengesetzte Richtungen: Ahriman strebt nach Erstarrung, Luzifer nach Auflösung. Zwischen diesen Kräften muss der Mensch das Gleichgewicht finden. Die Geisteswissenschaft baut die Brücke zwischen Naturordnung und Geistordnung. Die Kraft der Form, die im toten Menschenleib liegt, wirkt auf die Erde zurück und löst die Kristallisationstendenzen auf. Das Gesetz der Polarität durchzieht Natur, Mensch und Geistwesen. Die Beziehung der menschlichen Wesensglieder zu den Hierarchien offenbart sich im Wirken der Geister der Form. Ahrimanische und luziferische Wesenheiten greifen in das Menschenleben ein, und der Mensch steht zwischen Zeitwesen und Dauerwesen. Die Geschichte der Kulturen – semitisch, griechisch, römisch – ist durchzogen vom Zusammenwirken dieser Impulse mit dem Christus-Impuls. Die frühen Kirchenväter empfangen Inspirationen, die den Gang der Geschichte bestimmen. Tod und Vererbung werfen Licht auf das Mysterium von Golgatha. Die Verstandesinterpretation tritt an die Stelle der Geistanschauung, doch die Auferstehung ist die Metamorphose des Todes, und die Geburt eine übersinnliche Tatsache. Die Naturwissenschaft droht gespenstisch zu werden, wenn sie sich von der geistigen Welt abkapselt. In der Geschichte taucht das Jahr 666 als Zeichen ahrimanischer Offenbarungen auf, die durch das Mysterium von Golgatha verhindert werden. Die Akademie von Gondishapur wirkt in der Geschichte als Gegenkraft, und die Rhythmen der Natur verlangen nach einem neuen Zusammenklang in der Technik. Das Streben nach einer selbstlosen sozialen Ordnung wird zur Aufgabe der Zeit. In der Epoche Roms und der katholischen Kirche entfaltet sich das Streben nach Sakramentalismus, doch eine neue Christus-Erkenntnis muss gefunden werden, um das Menschenleben in die rechte Bahn zu lenken. So zeigt sich die Polarität von Dauer und Entwicklung im Menschenleben, und die kosmische Vorgeschichte der Menschheit wird zum Schlüssel für das Verständnis der Gegenwart und der Zukunft. 185) Die Geschichte der Menschheit ist nicht bloß eine Abfolge äußerlicher Ereignisse, sondern ein Spiegel tieferliegender geistiger Impulse, die sich in Symptomen offenbaren. Die gewöhnliche Geschichtsschreibung bleibt an der Oberfläche, doch um das wahre Werden der Menschheit zu erkennen, muss durch diese Symptome hindurch auf die verborgenen Strömungen geblickt werden, die das Seelenleben formen. Der entscheidende Umschwung in der Entwicklung der Menschenseele fällt in den Beginn des 15. Jahrhunderts. Hier beginnt der fünfte nachatlantische Zeitraum. Das gesamte Seelenleben wandelt sich, und mit ihm die Art, wie der Mensch sich zu sich selbst, zum Göttlichen und zum Geistigen verhält. Im Mittelalter herrscht eine universale Kraft, die aus dem römischen Papsttum hervorgeht: der Katholizismus, der als universeller Impuls die Menschen durchdringt. Er wirkt auf eine Seele, die noch nicht zur vollen Bewusstheit erwacht ist, sondern sich in Gemüts- und Verstandesseele entfaltet. Die Theologie rechnet mit einem scharfen, aber instinktiven Verstand, der noch nicht von der Bewusstseinsseele durchdrungen ist. Erst mit dem neuen Zeitalter beginnt das eigenständige Denken, das aus der Bewusstseinsseele entspringt. Die Symptome der neueren Zeit zeigen sich in der Entdeckung Amerikas, der Erfindung des Schießpulvers, der Reformation, der Auflösung der alten Ständeordnung, in der Entstehung des modernen Staates, aber auch in der wachsenden Vereinzelung und Freiheit des Individuums. Die Wissenschaften entwickeln sich, und mit ihnen eine neue Art, die Welt zu begreifen: Die naturwissenschaftliche Denkweise wird zum beherrschenden Prinzip, sie trennt den Menschen von der geistigen Welt und stellt ihn der Natur als Beobachter gegenüber. Doch diese Entwicklung ist nicht bloß ein Verlust. Sie ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass der Mensch sich als freies, selbstbewusstes Ich erlebt. Die Philosophie der Freiheit tritt hervor als Ausdruck dieses neuen Impulses. Der Mensch soll sich nicht mehr bloß als Glied einer göttlichen Ordnung erleben, sondern als selbstbestimmtes Wesen, das aus eigenem Entschluss handelt. In diesem Ringen um Freiheit und Individualität liegt der tiefere Sinn der neueren Geschichte. Die religiösen Impulse des neuen Zeitalters sind nicht mehr an äußere Institutionen gebunden, sondern fordern den Menschen heraus, den Geist in sich selbst zu suchen. Das Christentum muss sich erneuern, indem es den Weg zur inneren Erfahrung des Geistigen öffnet. Die großen Konflikte und Umwälzungen der Gegenwart sind Ausdruck dieses Ringens um eine neue Beziehung zwischen Mensch und Geist. Die Symptome der Zeit – die politischen, sozialen und geistigen Krisen – sind Zeichen dafür, dass die Menschheit an der Schwelle zu einer neuen Bewusstseinsstufe steht. Es gilt, die Zeichen der Zeit zu lesen und zu erkennen, dass hinter den äußeren Ereignissen geistige Impulse wirken, die auf eine Erneuerung des Menschseins drängen. Nur durch die Erkenntnis dieser tieferen Zusammenhänge kann der Mensch den Sinn der Geschichte und seiner eigenen Existenz erfassen. 185a) Die Ereignisse der Gegenwart wurzeln tief in der neueren Geschichte Europas. Das Bewusstsein der Menschheit steht an einem Wendepunkt, an dem nicht mehr bloßes Hinnehmen, sondern waches, vorurteilsloses Urteilen über die Zeitgeschichte gefordert ist. Die Katastrophen der letzten Jahre, insbesondere der Krieg, offenbaren, wie sehr das menschliche Urteil korrumpiert wurde – durch nationale Interessen, durch einseitige Schuldzuweisungen, durch das Versagen, die tieferen Zusammenhänge zu erkennen. Es genügt nicht, die Schuldfrage im Sinne äußerlicher Verantwortlichkeit zu stellen; solche Betrachtungen führen in die Irre. Vielmehr ist es notwendig, die geschichtlichen Entwicklungen, die zu den gegenwärtigen Zuständen geführt haben, in ihrem inneren Zusammenhang zu erfassen. Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die sich im Laufe des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts herausgebildet haben, sind entscheidend für das Verständnis der Zeit. Unternehmergewinn, Rente und Lohn sind nicht bloß ökonomische Begriffe, sondern Ausdruck einer tieferen sozialen Dynamik. Die Dreigliederung des sozialen Organismus – das Zusammenwirken von Wirtschaftsleben, Rechtsleben und Geistesleben – ist die notwendige Antwort auf die einseitigen Entwicklungen, die sich in Europa ausgebildet haben. Der Adel, das Bürgertum und das Proletariat stehen als Repräsentanten verschiedener Seelenkräfte und geschichtlicher Aufgaben nebeneinander; jede dieser Klassen trägt ihre eigenen Impulse und Probleme in den sozialen Organismus. Die materialistische Geschichtsauffassung, wie sie in der Lehre von Karl Marx zum Ausdruck kommt, hat das Denken des Proletariats geprägt. Doch diese Lehre ist selbst ein Produkt der einseitigen Entwicklung Europas, die den Menschen immer mehr auf das Äußere, das Materielle, das Wirtschaftliche reduziert hat. Der Klassenkampf ist nicht die letzte Wahrheit, sondern ein Symptom für das gestörte Gleichgewicht der sozialen Glieder. Die wahre Aufgabe besteht darin, die drei Seelenglieder des Menschen – Denken, Fühlen und Wollen – in ein harmonisches Verhältnis zu bringen, sowohl im Einzelnen als auch im sozialen Ganzen. Die Geschichte der letzten Jahrzehnte ist geprägt von der Auseinandersetzung zwischen West und Ost, zwischen wirtschaftlicher Macht und blutiger Opferbereitschaft. Die marxistische Weltanschauung ist zur dominierenden Kraft im Proletariat geworden, während das Bürgertum und der Adel ihre Impulse verloren haben. Die Aufgabe der Gegenwart ist es, aus den Tatsachen heraus ein neues soziales Urteil zu bilden, das sich nicht von Vorurteilen, sondern von der Wirklichkeit leiten lässt. Der gesunde Menschenverstand muss wieder zur Grundlage des sozialen Lebens werden. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist nicht bloß ein theoretisches Konstrukt, sondern eine geschichtliche Notwendigkeit, die aus den tiefsten Geheimnissen der menschlichen Entwicklung hervorgeht. Die Schwelle zur geistigen Welt, die der Mensch heute überschreiten muss, fordert eine neue soziale Gestaltung, in der das Wirtschaftsleben, das Rechtsleben und das Geistesleben sich gegenseitig durchdringen, aber auch ihre eigene Autonomie bewahren. Nur so kann die Menschheit die Korruption des Urteils, die Einseitigkeit der Interessen und die Katastrophen der Gegenwart überwinden und zu einer wahrhaft menschlichen Ordnung finden. 186) Die gegenwärtige Zeit verlangt eine grundlegende Umgestaltung der sozialen Ordnung. Nicht Programme, nicht abstrakte Theorien sollen das Leben bestimmen, sondern die lebendige Wirklichkeit, wie sie sich aus den Impulsen der Geschichte und der geistigen Entwicklung der Menschheit ergibt. Die chaotische Verflechtung der sozialen Gliederungen, wie sie aus alten Zeiten stammt, hat zu den Katastrophen der Gegenwart geführt. Es ist notwendig, die soziale Struktur in drei eigenständige Bereiche zu gliedern: das Rechtsleben, das Wirtschaftsleben und das freie Geistesleben. Nur wenn diese Bereiche unabhängig voneinander wirken, kann der Mensch als wirkliche Individualität zwischen ihnen vermitteln, anstatt in alten Standesgrenzen gefangen zu bleiben. Im Osten, Westen und in der Mitte Europas wirken unterschiedliche Seelenkräfte, und aus diesen Unterschieden ergeben sich verschiedene soziale Impulse. Die Menschen des Ostens sind mehr empfänglich für spirituelle Offenbarungen, während der Westen das äußere Leben, die Technik und das Wirtschaftsleben in den Vordergrund stellt. Die Mitte ringt um die Synthese. Die geschichtlichen Ereignisse, besonders die Katastrophe des Weltkriegs, sind Ausdruck davon, dass die alten Formen nicht mehr tragen. Die soziale Frage ist kein theoretisches Problem, sondern eine Tatsache, die wie ein Naturereignis behandelt werden muss. Das moderne Proletariat verlangt nach Gerechtigkeit, nach einer neuen Ordnung, in der Arbeit nicht mehr als Ware gehandelt wird. Das kapitalistische Wirtschaftsleben hat den Menschen von seiner Arbeit entfremdet, hat das Geld zur alles bestimmenden Macht gemacht. Der Bolschewismus im Osten ist Ausdruck eines verzweifelten Suchens nach neuen Formen, aber auch er bleibt im Materialismus stecken, wenn er nicht erkennt, dass die soziale Frage nur durch eine Erneuerung des Geisteslebens gelöst werden kann. Der Mensch steht zwischen den Kräften Luzifers und Ahrimans, zwischen dem Drang nach Absonderung und dem Sog ins Mechanische. Die Bewusstseinsseele, die jetzt heranreift, wirkt zunächst antisozial, aber aus ihr kann das Geistselbst hervorgehen, das sozial wirkt. Der Christus-Impuls, das Mysterium von Golgatha, ist der zentrale Wendepunkt der Menschheitsentwicklung. Er bringt die Kraft, die inneren Gegensätze zu überwinden und Liebe als soziale Kraft zu entfalten. Die soziale Dreigliederung ist keine Utopie, sondern die notwendige Konsequenz der geschichtlichen Entwicklung. Das Geistesleben muss frei werden, damit wahre Individualität und Kreativität gedeihen können. Das Rechtsleben muss alle Menschen gleich behandeln, und das Wirtschaftsleben muss auf Brüderlichkeit und gegenseitige Hilfe gegründet sein. Nur so kann die Gesellschaft gesunden. Die antisozialen Triebe im Menschen sind nicht zu leugnen, sie gehören zur Entwicklung. Aber die äußere soziale Struktur muss so gestaltet werden, dass sie diesen inneren Tendenzen ein Gegengewicht bietet. Die Überwindung der alten Klassen- und Standesordnung ist unabdingbar. Das Geld, das im Wirtschaftsleben eine zentrale Rolle spielt, darf nicht zur Macht über den Menschen werden, sondern muss zum Werkzeug gerechter Verteilung werden. Das Denken, das heute vorherrscht, ist zu sehr an die äußere Logik und an das Abstrakte gebunden. Es bedarf eines geisteswissenschaftlichen Denkens, das die Wirklichkeit in ihrer Tiefe erfasst. Nur so können die sozialen Fragen gelöst werden. Die Kräfte der Vergangenheit wirken noch in den Maschinen, im äußeren Leben, aber durch das Mysterium von Golgatha ist eine neue Offenbarung in die Welt getreten, die den Menschen befähigt, das soziale Leben neu zu gestalten. Das äußere Chaos, das Leiden der Zeit, zwingt dazu, sich nach innen zu wenden, das eigene Seelenleben zu erfassen und auf die geistigen Offenbarungen zu achten. Die Menschheit hat im Christentum die Kraft erhalten, die alten Formen der Sklaverei zu überwinden. Nun gilt es, die sozialen Verhältnisse so zu gestalten, dass die Freiheit des Geistes, die Gleichheit im Recht und die Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben Wirklichkeit werden. 187) In der heutigen Menschheit lebt das Bedürfnis, den Christus neu zu finden, denn die alten Formen des Christentums sind erstarrt, und das Licht des Geistes verlangt nach neuer Offenbarung. Die großen Feste des Jahres, Weihnachten und Ostern, stehen wie zwei gewaltige Säulen im Lebenslauf des Menschen und weisen auf die tiefsten Mysterien: Geburt und Tod. Beide sind keine bloß physischen Ereignisse, sondern in ihnen offenbart sich das Übersinnliche unmittelbar im Physischen. Der Weihnachtsgedanke erinnert an den Ursprung des Menschen im Geistigen, an das Mysterium des Kindes, das aus der geistigen Welt in die physische eintritt. Doch nur wenn das Erbe des Luziferischen, das in der Selbstsucht und im Schein lebt, in den Dienst des Christus gestellt wird, kann die Seele durch Liebe, Wahrheit und Gesundheit zu neuer Lebendigkeit finden. Das Christentum ist in die Erdenentwicklung eingetreten als eine Kraft zwischen dem Luziferischen und dem Ahrimanischen. Im Salomonischen Tempel lebt das Erbe alter Weisheit, doch der Christus-Impuls verlangt nach einer neuen Geburt, die sich in der jüdischen Seele, dem griechischen Geist und dem römischen Leib vollzieht. Doch Schatten alter Weltenimpulse bleiben zurück und wirken als Hindernisse. Der Mensch trägt in seinem Lebenslauf innere Wesensimpulse, die sich in Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit ausdrücken. In der Lebensmitte erstirbt vieles, was aus der Kindheit stammt, doch der Christus-Impuls vermag das Lebendige zu erneuern. Die Hüllen des Christentums sind abgestorben, doch sein lebendiges Ich lässt sich durchdringen von der gnostischen Weisheit, die einst die jüdische Bilderweisheit in sich aufnahm und mit Denkkraft durchdrang. Das Christentum entwickelte sich aus den Mysterien der vorchristlichen Zeit. Die alten Einweihungsgrade, wie sie in der ägyptisch-chaldäischen Initiation bestanden, führten von der Erkenntnis des Menschen zur Erkenntnis der Welt. Die vier ersten Stufen führten durch die Tore des Menschen, der Selbsterkenntnis, des Todes und des Christophorus. Doch mit dem Christus-Impuls wandelt sich das Einweihungsprinzip: Nun führt der Weg von der Welterkenntnis zurück zur Menschen-Erkenntnis, durch das Tor der Formen, des Lebens und des Bewusstseins. Die Seelenverfassung des Menschen hat sich gewandelt. Das Vorstellungsleben ist zum Spiegelbild geworden. In der Gegenwart stehen sich polarisch die Anschauungen der Kirchen und der Geheimgesellschaften gegenüber, ebenso wie der religiöse Glaube und die Begriffe der modernen Wissenschaft. Im Spalten des Willens- und Vorstellungswesens lebt der Impuls der Freiheit. Die Geister der Persönlichkeit treten an die Stelle der Geister der Form. Alles übersinnliche Erkennen muss sich umwandeln: Nicht mehr antiquierte Begriffe und esoterische Formen, sondern das innerliche Leben ist gefragt. Im Lauf der Zeit schwindet der Zusammenhang mit dem Christus, und es bleibt nur der menschliche Jesus zurück. Schließlich verliert die Evangelienkritik auch ihn. Der Weg zum Christus Jesus muss von einer Wissenschaft beschritten werden, die mit moderner Naturanschauung rechnet, aber übersinnliche Methoden sucht. Initiationen stehen unter unmittelbarer geistiger Führung, wie das Beispiel Brunetto Latini zeigt. Die notwendige Vorstufe der gegenwärtigen Initiation ist das Verstehen der Metamorphosen des Lebens. Das bewusste Heraustreten des Geistig-Seelischen aus dem Physisch-Leiblichen geschieht durch ein inneres Erlebnis. Zum Jahreswechsel offenbart sich der Zusammenhang des eigenen Lebens mit dem Weltganzen. Der Sinnesmensch bewegt sich siebenmal langsamer, der Gedankenmensch siebenmal schneller als die Natur. Die Geisteswissenschaft offenbart die Geister der Persönlichkeit. Ein klar denkender, ehrlicher Mensch, der ohne Geisteswissenschaft urteilt, sieht ein Zukunftsbild der Menschheit, das von den Worten Walther Rathenaus geprägt ist. Die Geister der Persönlichkeit entwickeln sich aus bloßen Zeitgeistern zu Schöpfern. Zum Neujahr zeigt sich die Forderung nach einer neuen Offenbarung, wie sie Kardinal Newman ausspricht. Die Geister der Persönlichkeit steigen auf, doch ahrimanische Dämonen im Unterbewussten der Seelen widersetzen sich. Das Bewusstsein der wiederholten Erdenleben ist eine Gabe der Geister der Persönlichkeit. Die Seelen, die die Kriegskatastrophen herbeigeführt haben, sind gespalten, wie das Beispiel Ludendorff zeigt. Das zergliedernde Denken der Naturwissenschaft steht dem gestaltenden Denken der Geisteswissenschaft gegenüber. Die Perspektiven der Zukunft verlangen, dass der Mensch die objektiv wirkende, unbewusste Intelligenz erkennt, die über das subjektive Denken hinausgeht, wie es sich in den psychologischen Leser- und Bücheranalysen Rubakins zeigt. 188) Die Zeit verlangt nach einer neuen Durchdringung der Wirklichkeit mit Geist, denn die äußeren Katastrophen, die uns heimsuchen, sind nur die Folge einer tiefen Entfremdung des Menschen von der geistigen Welt. Wer heute nur in der Sinneswelt stehen bleibt, wer die geistige Welt nur als abstrakte Idee gelten lässt, der verschließt sich der eigentlichen Quelle der Erneuerung. Die Menschheit steht an einem Wendepunkt, an dem nicht mehr die alten Vorstellungen, sondern eine wirkliche Weisheitsherrschaft, geboren aus dem Geist, die Führung übernehmen muss. Es genügt nicht, abstrakt nach Weisheit zu rufen, wenn man im entscheidenden Moment doch wieder zu den alten, überlebten Gedankenmustern zurückkehrt. Das Schicksal der Menschheit hängt davon ab, ob sie sich dem Geist wirklich öffnet. Der Mensch ist heute aufgerufen, in sich jene Kräfte zu entwickeln, die ihn zur Bewusstseinsseele führen. Die äußere Geschichte, die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, alles drängt darauf, dass der Mensch die innere Verbindung mit dem Geistigen wiederfindet. Die Gegenwart ist geprägt von einer tiefen Krise, weil das Seelisch-Geistige und das Physisch-Leibliche auseinandergefallen sind. Nur durch eine neue Durchgeistigung des Lebens, durch die Verwandlung des Denkens, Fühlens und Wollens, kann der Mensch wieder zum Schöpfer seiner eigenen Entwicklung werden. Die großen Strömungen der Geschichte – Heidentum, Judentum, Christentum – haben den Menschen jeweils in unterschiedlicher Weise an das Geistige herangeführt. Doch erst durch den Goetheanismus, durch jene Haltung, die Goethe in seinem Märchen und in seiner Naturerkenntnis vorgelebt hat, wird der Mensch fähig, den Geist in der Welt selbst zu erleben. Goetheanismus ist Erwartungsstimmung auf das, was kommen soll: die Auferstehung des Menschen aus der bloßen Naturhaftigkeit, die Geburt des freien, geistdurchdrungenen Menschen. Das 19. Jahrhundert war ein Wendepunkt: Die alten Kräfte sind erschöpft, die neuen noch nicht geboren. Schillers ästhetische Briefe und Goethes Märchen zeigen, wie der Mensch den Weg zur Freiheit finden kann – nicht durch äußere Revolution, sondern durch innere Verwandlung. Der dreigeteilte Mensch – Denken, Fühlen, Wollen – verlangt nach einem dreigeteilten sozialen Organismus, in dem Geistleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben sich gegenseitig durchdringen, aber nicht vermischen. Die Völkerwanderungen der Vergangenheit und die sozialen Umwälzungen der Gegenwart sind Ausdruck derselben geistigen Bewegung: Die Menschheit sucht eine neue Form des Zusammenlebens. Der soziale Homunkulus, das künstliche, abstrakte Menschenbild, das in den modernen Gesellschaften herrscht, muss überwunden werden durch eine wirkliche Menschenwissenschaft, die den Menschen in seiner Ganzheit erfasst. Die sozialen Forderungen der Gegenwart können nur dann eine gestaltende Kraft gewinnen, wenn sie aus dem Geistigen geboren werden. Das Wirtschaftsleben muss sich von persönlichen Interessen lösen, das moralisch-geistige Leben von den äußeren Zwängen befreien. Die Stellung des Menschen zur Welt, zu den Mitmenschen und zur Geistigkeit verlangt nach drei Vorbedingungen: Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben, Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben. Nur wenn der Mensch diese Bedingungen in sich verwirklicht, kann er zum Träger einer neuen Kultur werden, in der der Geist nicht mehr abstrakt, sondern lebendige Wirklichkeit ist. 189) Die soziale Frage ist heute nicht bloß eine Frage äußerer Ereignisse, sondern eine Bewusstseinsfrage, die den Menschen zwingt, sich mit den tieferen Kräften der Gegenwart auseinanderzusetzen. Es genügt nicht, mit alten, abgestorbenen Gedankenformen an die Probleme heranzugehen, sondern es bedarf eines lebendigen Denkens, das die wirklichen Impulse der Zeit ergreifen kann. Die Katastrophe des Weltkriegs ist aus dem Versäumnis hervorgegangen, bei der Reichsgründung 1871 die sozialen Kräfte als Aufgabe zu erkennen. Wirkliche Erneuerung kann nur gelingen, wenn die Verbindung von Schwärmerei und bloßem Praktikertum überwunden und die Wirklichkeit in ihrer Tiefe ergriffen wird. Das soziale Verständnis ist heute unerlässlich. Das Proletariat unterscheidet sich wesentlich von seinen Führern, die noch ganz im Geist der bürgerlichen Weltauffassung stehen. Es braucht Begriffe, die die Wirklichkeit erfassen, nicht bloß Systeme. Die Dreigliederung des sozialen Organismus – Geistesleben, Staatsleben, Wirtschaftsleben – entspringt nicht einer Theorie, sondern der Beobachtung der Willensrichtungen der Menschheit. Diese drei Lebensbereiche stehen in Beziehung zu vorgeburtlichem, irdischem und nachtodlichem Dasein. Die wahre Gottes- und Christus-Erkenntnis verlangt Toleranz im Denken und einen selbsterworbenen Idealismus im Wollen. Die bürgerliche Trennung von abstrakter Kultur und realem Leben muss überwunden werden. Das heutige soziale Denken ist mumienhaft und programmatisch. Marx hat die bestehenden Verhältnisse analysiert, aber keine produktiven Vorstellungen für die Zukunft geschaffen. Lenin radikalisiert diese Gedankenform: Der bürgerliche Staat wird übernommen und soll absterben, aber das Denken, das nur an der entstandenen Wirklichkeit gebildet ist, führt ins Nichts. Für die Zukunft bleibt dem materialistischen Sozialismus nur ein „Soziales Ignorabimus“. Die Hoffnung, den Menschen allein durch die Organisation des Wirtschaftslebens zu erneuern, ist ein Aberglaube; das Geistige wird verkannt. Die Geisteswissenschaft muss alles Sektiererische überwinden und die Wissenschaften aus dem engen bürgerlichen Horizont befreien. Der Gegensatz zwischen dem Streben an der Oberfläche des Bewusstseins und den Tiefen der Seele zeigt sich in der materialistischen Geschichtsauffassung, der Klassenkampftheorie und der Mehrwertlehre. Diese sind Konsequenzen des bürgerlichen Materialismus und Egoismus. Das Proletariat kann nur dann wirklich am Kulturleben teilnehmen, wenn es Zugang zum Geistesleben erhält. Die Dreigliederung des sozialen Organismus entspricht dem tieferen Streben der Menschheit. Die Geisteswissenschaft darf nicht bürgerlich-sektiererisch werden. Das Streben der proletarischen Bewegung ist oft verkehrt. Fichtes „Geschlossener Handelsstaat“ zeigt, dass das aus dem Ich geborene Denken nicht ausreicht, um soziale Wirklichkeit zu gestalten. Dieses Denken ist eine notwendige Stufe, aber auf die sinnliche Wirklichkeit angewendet, wird es zerstörerisch. Im Sozialen müssen verborgene Imaginationen wirksam werden. Die Mehrwerttheorie offenbart eine maskierte Unwahrhaftigkeit im Verhältnis von Arbeiter und Unternehmer. Das Wirtschaftsleben steht zwischen Naturgrundlage und Rechtsleben. Der wahre Arbeitsvertrag und die Steuerfragen zeigen, dass das Geistesleben auf Vertrauen und Freiheit gegründet sein muss. Die Wirklichkeit kann nur aus geistorientiertem Denken durchschaut werden. Das irdische Geistesleben ist eine Fortsetzung des Vorgeburtlichen, das Wirtschaftsleben eine Anlage für das nachtodliche Leben. Die Trennung von materiellem Leben und bürgerlichem Geistesleben ist antisozial. Der Arbeiter ist ausgeschlossen. Es braucht ein allgemein-menschliches Bildungsleben und eine neue Sprache auf allen Gebieten. Das Wesen des Geldes gehört ins Wirtschaftsleben. Das gesunde Verhältnis von Arbeit und Kapital entsteht, wenn freie Unternehmerinitiative und freies Verständnis des Arbeiters in einem gemeinsamen geistigen Leben zusammenkommen. Das heutige Denken ist unfähig, sich von der geschichtlichen Wirklichkeit belehren zu lassen. Es erfasst nur das Leblose. Die Aufhebung des Kapitalismus ohne lebendiges Denken zerstört den sozialen Organismus. Das Denken muss sich auf das Lebendige richten und die Zeit einbeziehen. Kapitalbildung und ihre spätere Umgestaltung gelingen durch die Dreigliederung. Wirklichkeitsgemäße Ideen entstehen durch bewussten Aufschwung zu Imaginationen. Die Organisation des Hauptes ist ein Ergebnis der Kräfte aus der vorigen Inkarnation, die im gegenwärtigen Denken wirksam sind. Die soziale Erneuerung braucht ein sich selbst tragendes Geistesleben und die Befreiung der Wissenschaften von der Staatsaufsicht. Die notwendige Verwandlung des Denkens besteht darin, es ins Soziale zu führen, aber nicht ohne Vergeistigung. Das sozialistische Denken ist aus dem Denken der Neuzeit hervorgegangen. Hegels Idealismus bleibt im Abstrakten, Marx überträgt den Dreiklang von These, Antithese, Synthese auf die materielle Wirklichkeit. Heute ist eine andere Dreiheit nötig: Der Mensch steht zwischen Luzifer und Ahriman, zwischen Spiritualismus und Materialismus. Der Weg zum wirklichen Geist führt über die Philosophie der Freiheit. Es braucht ein neues Zeitbewusstsein, eine Sozialisierung des Denkens, ein Miterleben mit der ganzen Menschheit. Der „historische Eigensinn“ muss überwunden werden durch den Entschluss zum Umdenken, der schon unterbewusst in der Zeit lebt. 190) Die Menschheit lebt heute in einer tiefen Sehnsucht nach einer Durchdringung des Sozialen mit dem Geistigen. Die zerstörerische Wirkung des rein naturwissenschaftlichen Denkens hat den sozialen Organismus in eine Krise geführt. Kapitalbildung, losgelöst von produktiver Arbeit, wirkt als Herd revolutionärer Unruhe. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist eine unterbewusste Forderung der Zeit: das Geistesleben, das Rechtsleben und das Wirtschaftsleben müssen voneinander unabhängig, aber im lebendigen Austausch stehen. Nur so können die verhärteten Klassenunterschiede überwunden werden. Die Verwaltung des Geldes und die Goldwährung müssen neu gedacht werden, damit das Wirtschaftsleben nicht alles andere überwuchert. Im Menschen spiegeln sich diese drei Systeme wider: das Nerven-Sinnes-System entspricht dem Geistesleben, das rhythmische System dem Rechtsleben, das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System dem Wirtschaftsleben. Der Nationalismus wirkt als antisozialer Trieb, der überwunden werden muss. Das Geistesleben leidet, wenn es von Staat und Wirtschaft abhängig ist; es muss sich aus sich selbst heraus erneuern. Technik und Kapitalismus haben das Wirtschaftsleben internationalisiert, was eine neue Regelung der Beziehungen zwischen den Völkern verlangt. Die geistigen Hierarchien – Engel, Erzengel, Archai – wirken im Hintergrund des Geistes-, Rechts- und Wirtschaftslebens. Die Reinkarnation ist zu begreifen, um die tieferen Zusammenhänge zu verstehen. Die Seelen, die heute zur Erde streben, sehnen sich nach einer Überwindung der materialistischen Kultur. Das Sprachverstehen der Toten weist darauf hin, dass wir vom Abstrakten zum Konkreten vordringen müssen. Das soziale Leben verlangt eine Verbildlichung des Geistigen, ein Hineinhorchen in den Sprachgenius. Die Eurythmie ist Ausdruck dieses neuen Kulturimpulses. Das Unbewusste und Unterbewusste spielen eine große Rolle im sozialen Zusammenleben. Die Schule muss ein inneres soziales Verständnis pflegen. Die Zukunft verlangt eine imaginative Geisteskultur, die aus dem Völkerleben erwächst, nicht aus abstrakten Begriffen. Die Sprache offenbart das Schöpferische sowohl im Genius der Sprache als auch im individuellen Menschen. Die soziale Frage ist eine weltgeschichtliche Forderung. Die Ausbildung der Persönlichkeit hat dazu geführt, dass die Menschen sich immer weniger verstehen. Die Abkehr vom Geistesleben hat zum Naturalismus in der Kunst geführt. Soziales Verständnis erwächst aus dem Interesse für das, was über den eigenen Lebenskreis hinausgeht. Die heutige Menschheit gerät durch Oberflächlichkeit in Verwirrung, eine Welle, die von ahrimanischer Seite bewirkt wird. Seit 1721 lockert sich der Zusammenhang zwischen physischem und Ätherherzen des Menschen. Wer nur ein naives Gefühlsverhältnis zur geistigen Welt entwickelt, materialisiert das Herz der Menschheit. Die richtige Beziehung zwischen Ätherherz und geistiger Welt entsteht durch spirituelles Wissen. Die Frage nach dem Menschen ist im Osten am tiefsten gestellt worden. Die Kultur des 19. Jahrhunderts kann keine wirkliche Anschauung vom Menschen liefern. Drei Bereiche sind zu unterscheiden: die Begabungen, das, was sich zwischen Menschen entwickelt, und die Erfahrungen. Im Erfahrenwerden drückt sich das Individuum aus, und aus den Erfahrungen kann die Frage nach dem Menschen heute beantwortet werden. Die Menschheit steht an der Schwelle: Denken, Fühlen und Wollen werden selbständiger. Die Naturwissenschaft ist groß geworden, weil sie gedankenlos sein darf. Das Ideenleben ist nur ein Schattenbild der Wirklichkeit. Die Seele muss durch Denkwillen diese Schattenbilder mit Leben erfüllen. Der Durchgang durch die Schwelle bewirkt eine Spaltung des Seelenlebens. Die innere Dreigliederung verlangt die äußere Dreigliederung des sozialen Organismus. Das Nibelungenzeitalter wird von der mitteleuropäischen Bürgerzeit abgelöst, die nun an ihr Ende gekommen ist. Die Territorialfürsten leben den Nibelungencharakter im Verfall weiter. Die Verbindung von ahrimanischem Industrialismus mit den Kräften der verfallenden Nibelungenwildheit führte Mitteleuropa in den Untergang. Das Überschreiten der Schwelle ist wie ein Durchgang durch die Pforte des Todes. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts lebt im Unterbewusstsein der Menschheit die Tendenz nach Dreigliederung. Die Bürgerzeit war beseelt, aber geistlos, weil das Geistesleben nicht auf sich selbst gestellt wurde. Seit der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert kümmern sich die Seelen, die zur Erde kommen, weniger um das Rassenmäßige, sondern mehr um die geographischen Verhältnisse. In Asien leuchtet das Licht des Denkens, im Westen pulsiert das Leben. Das geisteswissenschaftliche Streben schafft Verständnis für die soziale Frage. Der Mensch ist ein Doppelwesen: Im Stoffwechselsystem lebt das Innere, im Nerven-Sinnessystem ist er auf die Außenwelt angewiesen. Der Mensch kommt von sich los, wenn er Interesse für die Angelegenheiten der Menschheit entwickelt. Der Wille zur inneren Aktivität fehlt – das Bürgertum ist gegenüber der sozialen Frage ohnmächtig geworden. Die Idee der Dreigliederung kann nicht sektiererisch verwirklicht werden, sondern verlangt eine universelle Aufklärung über die soziale Notwendigkeit. Von der anthroposophischen Bewegung soll ein Strom der Aufklärung über die soziale Notwendigkeit ausgehen. Die Schweiz hat dabei eine besondere Mission. 191) Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist die notwendige Antwort auf die gegenwärtige soziale Frage, die nicht nur eine ökonomische, sondern vor allem eine Bewusstseinsfrage ist. Die Menschheit steht an einer Schwelle, an der die alten Formen des Zusammenlebens und der Wirtschaft nicht mehr tragen. Es gilt, neue Assoziationen zu schaffen, in denen die Menschen durch ihr Zusammenwirken soziale Impulse aus dem Geistigen heraus verwirklichen. Die Entwicklung des Menschen durch Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter zeigt, wie die Kräfte, die einst unbewusst wirkten, heute durch bewusste Erziehung und Selbsterkenntnis neu errungen werden müssen. Das Geistesleben soll Menschenerkenntnis und soziale Gesinnung fördern, denn nur so kann das soziale Verständnis wachsen. Der Mensch ist nicht nur Erdenbürger, sondern Weltbürger. Um die sozialen Begriffe wie Ware, Arbeit und Kapital wirklich zu erfassen, bedarf es Imagination, Inspiration und Intuition. Die Dreigliederung des Menschen in Leib, Seele und Geist ist die Grundlage für ein neues Verständnis des sozialen Lebens. Der Materialismus hat zwar den Menschen zur Freiheit geführt, aber auch eine Kluft zwischen Wissen und Glauben geschaffen. Die verschiedenen Völker bringen unterschiedliche Teilwahrheiten in die Welt: der Osten die Brüderlichkeit, der Westen die Kosmogonie, Mitteleuropa die Freiheit. Doch diese einseitigen Strömungen müssen sich in einer neuen sozialen Ordnung verbinden. Die Geschichte der Menschheit zeigt, wie einst geistige Impulse das öffentliche Leben bestimmten, während heute das Wirtschaftliche dominiert. Seit der Reformation herrscht der Wirtschaftsmensch, und das Kapital hat die Führung übernommen. Nun ist die Zeit gekommen, in der das soziale Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis geboren werden muss. Die alten Formen der Bluts- und Volkszusammenhänge verlieren ihre Bedeutung; das individuelle Schicksal, Karma und Reinkarnation treten in den Vordergrund. Soziales Verständnis entsteht, wenn der Mensch das Schicksal des anderen als Teil seines eigenen erkennt. Das Leben ist nur verständlich, wenn das Bewusstsein auf das Vorgeburtliche und das Nachtodliche erweitert wird. Die Kirche hat durch die Verleugnung der Präexistenz des Menschen die individuelle Begabung nivelliert und damit auch die Grundlage für wahre soziale Erneuerung geschwächt. Die Entwicklung der Sprache, von der ägyptischen Bilderschrift bis zur Stenographie, spiegelt die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins wider. Die gegenwärtige Zeit ist geprägt von der drohenden Inkarnation Ahrimans im Westen, der alles durch das Maschinenhafte, das rein Wirtschaftliche und das Nationalprinzip bestimmen will. Dem muss das Gleichgewicht zwischen luziferischen und ahrimanischen Kräften entgegengesetzt werden. Die Menschheit steht in der Verantwortung, die Erde nicht nur für sich, sondern im kosmischen Zusammenhang zu gestalten. Wahre Kunst ist ein Abglanz der übersinnlichen Wahrheit, und nur durch ein neues Weltbewusstsein kann die Menschheit ihrer Verantwortung gerecht werden. Die Urweisheit der Menschheit ist verglommen; ohne einen neuen Einschlag würden sich die Menschen nach Territorien differenzieren und das soziale Leben würde auseinanderfallen. Der Westen würde nur Wirtschaft, der Osten nur geistige Wahrheiten, Mitteleuropa nur Intellektualität pflegen. Es gilt, eine neue Weisheit aus freiem Menschenwillen zu erringen, die das soziale Leben durchdringt und den Menschen befähigt, als Weltbürger zu handeln. Nur so kann die Menschheit die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft bestehen. 192) In der Gegenwart offenbart sich, wie sehr die Ereignisse zum Prüfstein für die innere Haltung des Menschen werden. Das Denken der sogenannten Lebenspraktiker ist vielfach von einer Unwirklichkeit durchdrungen, wie es sich schon vor dem Krieg in politischen Äußerungen zeigte. Demgegenüber ist es notwendig, die wirklichen Krebsgeschwüre im sozialen Organismus zu erkennen und zu benennen. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist nicht bloß eine Idee, sondern eine Zeitforderung, die aus den tiefsten Notwendigkeiten der Gegenwart entspringt. Sie steht im Gegensatz zu den abstrakten Programmen, wie sie etwa in den Vierzehn Punkten Wilsons zum Ausdruck kommen. Die geistigen Impulse Goethes werden in der heutigen Kulturwelt kaum noch wahrgenommen, das Geistesleben ist parasitär geworden, versklavt vom Staat, während das Wirtschaftsleben sich verselbständigt und der Einzelne unfähig bleibt, aus sich heraus sozial tragende Ideen zu schaffen. Das Geistesleben muss sich auf die individuellen Fähigkeiten des Menschen gründen und unabhängig vom Leiblichen werden. Das Rechtsleben entspringt der Gleichheit der menschlichen Gestalt, während das Wirtschaftsleben Gefahr läuft, ins Untermenschliche zu sinken. Die Entwicklung des Einzelnen spiegelt sich im Leben des Staates wider. Doch nur geisteswissenschaftlich begründete Gedanken führen zu fruchtbaren Ergebnissen, während spekulative Theorien ins Leere gehen. Die Sprache und ihre Entwicklung stehen im Zusammenhang mit der allgemeinen Menschheitsentwicklung. Die Menschheit steht an einem Schwellenübergang, der eine Bewusstwerdung und Verwirklichung der Dreigliederung fordert. Unbewusst hat die Menschheit die Schwelle zur geistigen Welt überschritten. Es bedarf eines Aufsteigens von der Sinneswissenschaft zur Geisteswissenschaft, um dieser Tatsache gerecht zu werden. Die Skepsis der Gegenwart, wie sie etwa bei Fritz Mauthner oder Gustav Landauer sichtbar wird, ist Ausdruck der geistigen Lage. Soziale Impulse können nur aus innerer Aktivität entstehen, nicht aus abstrakten Lehren. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist das äußere Spiegelbild der inneren Dreiteilung des Menschen, der die Schwelle überschreitet. Der Mensch muss sich wieder mit den kosmischen Rhythmen verbinden und den Unterschied zwischen tierischer und menschlicher Gestalt geistgemäß erfassen. Die naturwissenschaftliche Orientierung ist unzulänglich gegenüber den sozialen Problemen der Gegenwart. Es bedarf einer Erneuerung der Volkspädagogik und Volksschule auf der Grundlage einer wirklichen Erkenntnis der menschlichen Natur und ihrer Entwicklungsgesetze. Die Ausbildung des Denkens, des Gemüts- und Gedächtnislebens sowie des Willens muss im zweiten Lebensjahrsiebt erfolgen. Im dritten Jahrsiebt ist die Einführung in das Leben notwendig. Die Schule soll eine gleiche Grundbildung für alle Klassen vermitteln und den Unterricht mit ökonomischen Gesichtspunkten durchdringen. Die Lehrerausbildung der Zukunft muss einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Leben gewinnen. Anthropologische Menschenerkenntnis ist notwendig, um die Zwänge von Priester-, Politik- und Wirtschaftsherrschaft zu überwinden. Der Pädagoge muss die großen Entwicklungslinien der Menschheitsgeschichte erkennen und die Schule dazu führen, dass der Mensch vom Leben lernen kann. In Mitteleuropa liegt die Möglichkeit, das Wirtschaftsstreben des Westens mit der Brüderlichkeit des Ostens zu verbinden. Die heutigen Erziehungsmethoden sind lebensfremd. Epochaler Unterricht, philosophische Propädeutik und die Einführung in praktische Lebensgebiete sind notwendig. Kunst und Leben, Kunst und Erziehung müssen verbunden werden. Die Dreigliederung des sozialen Organismus kann nicht in privaten Gruppen, sondern nur im öffentlichen Leben verwirklicht werden. Der heutige Geist macht das Wort zur Phrase und die Tat zur gedankenlosen Brutalität. Die Erbschaften des Griechentums und Römertums wirken fort, während der moderne Wissenschaftler den eigenen Geist verleugnet. Die Befreiung des Geisteslebens ist die Forderung der Zeit. Das Proletariat versteht die Dreigliederung aus seinem direkten Lebensverhältnis heraus, während das Geistesleben zur Phrasenhaftigkeit neigt. Der Staat schützt die bürgerliche Existenz, zerstört aber echtes Menschentum. Die Anthroposophie ist der Kulturimpuls der Gegenwart. Zwischen Wort und Tat klafft ein Abgrund. Es braucht den Mut zum Handeln und das Gleichgewicht zwischen luziferischen und ahrimanischen Kräften. Die geistigen Erbschaften aus Orient und Rom wirken in Priesterherrschaft, Militarismus, Metaphysik und Jurisprudenz fort. Die Gefahr des Proletariats ist der Abstieg in eine materialistische Geistverleugnung. Die Aufgaben der Geisteswissenschaft bestehen darin, die Ziele der anglo-amerikanischen Politik zu durchschauen und das Sektierertum zu überwinden. Die weltgeschichtlichen Aspekte sind für die pädagogische Arbeit von Bedeutung. Die junge Generation wächst in einen künftigen Geisteskampf zwischen Ost und West hinein. Die Entwicklungsgesetze des Menschen entfalten sich in den Lebensjahrsiebten, wobei Nachahmung, Autorität und soziale Liebe jeweils ihre Bedeutung haben. Die Naturwissenschaft ist unfähig, das Lebendige zu erfassen, was zu einer gespensterhaften Unruhe im Sozialen führt. Die alten Geistigkeiten kämpfen in neuen Formen weiter, wie etwa im Ringen Indiens gegen England. Die Zukunftsaufgaben des deutschen Volkes liegen in der Erfassung der aus den Seelentiefen aufsteigenden Imaginationen und Inspirationen durch reale Geisterkenntnis. Die lebendige Wirklichkeit ist nur durch einen künstlerischen Geist zu erfassen. Das Geistesleben muss emanzipiert werden, wie es die Arbeiter instinktiv fordern, während die Parteiführer dies nicht verstehen. Der radikale Umschwung im 15. Jahrhundert verlangt die Ablösung des instinktiven durch ein bewusst geführtes Leben. Die Gefahr der Mechanisierung des Geistes, der Vegetarisierung der Seele und der Animalisierung der Instinkte droht, wenn die Kräfte der Kindheit und des Alters nicht richtig gepflegt werden. Die richtige Wirtschaftsgestaltung folgt geistigen Gesetzen. Das Erkennen des vorgeburtlichen Lebens hilft, einen falschen Egoismus zu überwinden. Der Niedergang der europäischen Kultur ist eine gesetzmäßige Notwendigkeit. Die alten Weltanschauungen wussten noch vom geistigen Zusammenhang des Menschen mit dem Kosmos. Der Übergang zur materialistischen Naturwissenschaft war geschichtlich notwendig, doch nun ist es an der Zeit, wieder zu einer geisteswissenschaftlichen Erkenntnis vorzudringen, die den Menschen in seiner Ganzheit erfasst. 193) Im Mittelpunkt aller Weltentwicklung steht der Mensch, durchwebt und durchdrungen von kosmischen Kräften, hervorgegangen aus früheren planetarischen Zuständen. Die geistigen Hierarchien haben ihn zum Mittelpunkt ihrer Schöpfung gemacht, und daraus erwächst eine tiefe Verantwortung, die nicht in Hochmut, sondern in einer heiligen Scheu vor dem eigenen Menschsein empfunden werden muss. Die wahre Würde des Menschen zeigt sich erst, wenn er sich als Wesen erkennt, das von Inkarnation zu Inkarnation schreitet, und wenn die Erkenntnis der eigenen Aufgabe in der Welt zur Empfindung wird. Das soziale Rätsel der Gegenwart verlangt, dass das Geistesleben aus seinem ideologischen Schatten heraustritt und wieder lebendig wird. Die Seele des Menschen steht heute in einer anderen Beziehung zu den geistigen Wesenheiten und zu den Mitmenschen als früher. Lernen und Reifen sind Aufgaben, die bis ins Alter reichen, und die spirituelle Erkenntnis des Kindes wird zur Forderung des sozialen Lebens. Die soziale Frage ist eine Frage der gesamten Menschheit. Die materialistische Weltanschauung des Proletariats steht der geisteswissenschaftlichen gegenüber. Das Geistesleben, das Rechtsleben und das Wirtschaftsleben bilden drei Glieder des sozialen Organismus, die jeweils eigene Gesetzmäßigkeiten haben. Die Erstarrung des Geisteslebens, wie sie in der Kirche des Mittelalters und in der Gegenwart zu finden ist, ist die Sünde der Zeit. Das irdische Geistesleben wurzelt im vorgeburtlichen Dasein. Das staatlich-rechtliche Leben ist Ausdruck rein irdischer Impulse, während das Wirtschaftsleben auf ein nachtodliches Leben hinweist. Der jüdische Nationalismus wird durch das Christentum überwunden. Die Beziehung zu Christus kann durch den Gedankenweg oder den Willensweg gesucht werden; beides führt zu einer übersinnlichen Verantwortung gegenüber allem Seienden. Die Wirklichkeit der Dinge ist verschiedenartig, und die Kräfte von Sympathie und Antipathie wirken in der sinnlichen wie in der übersinnlichen Welt. Das moderne Denken muss auf das soziale Geschehen angewendet werden. Der Missbrauch geistiger Fähigkeiten wird zur Krankheitsursache des sozialen Lebens, wie es im Bolschewismus und im geschlossenen Handelsstaat Fichtes sichtbar wird. Die Kinder der Gegenwart tragen einen melancholischen Ausdruck, der auf die Ursachen des Weltkrieges zurückweist. Die Unfähigkeit, geistige Impulse aufzunehmen, und die Flucht in die Kunst sind Symptome der Zeit. Die imaginative Moral, wie sie in der Philosophie der Freiheit lebt, ist notwendig, um die geistlosen Zielsetzungen des Westens zu überwinden. Die Weltkriegskatastrophe zeigt, dass es ohne Geist nicht geht. Die Phrase hat im öffentlichen Leben die Oberhand gewonnen. Die höheren Hierarchien verlieren das Interesse am Menschen, wenn er sich von der Geistigkeit entfernt. Die Menschheit überschreitet unbewusst die Schwelle zur geistigen Welt. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist notwendig, um der Mechanisierung des Geistes, der Vegetarisierung der Seele und der Animalisierung des Leibes entgegenzuwirken. Das Erdenleben ist Fortsetzung des vorgeburtlichen Lebens. Im Schlaf steht der Mensch in Beziehung zu seinem Engel. Die tieferen Ursachen des Weltkrieges liegen in den geistigen Kämpfen zwischen Ost und West, in der Dekadenz des Gehirns und in der Sprachentwicklung. Die Mission der anglo-amerikanischen Völker ist mit der Befreiung des Wirtschaftslebens vom griechischen Geistesleben und römischen Rechtsleben verbunden. Der Mensch taucht heute ganz in den Leib unter. Die naturwissenschaftlichen Ideen müssen entfaltet werden, um neue Erziehungsideale zu ermöglichen. Das Verständnis des Christus-Ereignisses unterscheidet sich zwischen Ost und West. Die Bedeutung des Menschen für das Leben der Erde und der geistigen Welt ist zentral. Schwarmgeisterei und der Wille zur Wahrheit stehen im Widerstreit. Die heidnische Urweisheit und die jüdische Weltauffassung stehen im Zusammenhang mit der Inkarnation Luzifers zu Beginn des dritten Jahrtausends. Die Weisheit der Griechen und der Gnosis wurzelt in dieser luziferischen Inkarnation. Die Theologie wird materialistisch, und die Inkarnation Ahrimans im Westen wird vorbereitet durch Täuschungen und intellektuelle Verirrungen. Die Verschiedenheit der vier Evangelien hat tiefen Sinn. Die luziferische Weisheit bildet die Grundlage der griechischen Kultur und der Gnosis. Die Inkarnation Ahrimans steht bevor, und ihre Vorbereitung geschieht durch intellektualistische Verhärtung und geistige Verarmung. Das Geistige bleibt das Erhaltende des Menschen, selbst wenn der physische Leib verfällt. Die Aufgabe der Gegenwart ist es, das Geistige zu ergreifen und im sozialen Leben wirksam werden zu lassen. 194) Die Macht Michaels wirkt in der Gegenwart als eine geistige Kraft, die in das Geschehen der Erde eingreift. Um das Wirken dieser Macht zu verstehen, ist es notwendig, den Blick durch den Schleier der physischen Welt zu richten und die Offenbarungen der geistigen Welt zu erfassen. Die Entwicklung der Menschheit steht in einem kosmischen Zusammenhang, in dem nicht nur die sichtbaren Reiche – Mineral, Pflanze, Tier, Mensch – wirken, sondern auch höhere Hierarchien, deren Wirken mit dem menschlichen Entwicklungsweg verwoben ist. Der Mensch besteht aus Haupt und übrigen Organismus, deren Entwicklung entgegengesetzt verläuft: Das Haupt ist rückläufig, der übrige Organismus aufsteigend. In vorchristlicher Zeit offenbarten sich durch das Haupt die Tageskräfte, das Luziferische, und durch den übrigen Organismus die Nachtkräfte, das Jahvische. Michael, der als Antlitz Jahves erscheint, wandelt sich vom Nachtgeist zum Taggeist und übernimmt in der Gegenwart eine neue Aufgabe: Die Fleischwerdung des Wortes und die Geistwerdung des Fleisches. Luziferische und ahrimanische Kräfte wirken sowohl im Physischen als auch im Seelischen. Das Michaelische Denken führt zu einer geistigen Auffassung von Mensch und Welt, in der Entwicklung nicht nur als Aufstieg, sondern auch als Abstieg verstanden wird. Auch in der Kunst offenbart sich kein einseitig Schönes, sondern der Kampf zwischen Schönem und Hässlichem. Das Mysterium von Golgatha bildet den Schwerpunkt der Erdenentwicklung. Es wurde durch das griechische Denken vorbereitet und durch die mittelalterliche Scholastik weitergeführt. Seit dem 15. Jahrhundert bereitet sich eine neue Mysterienkultur vor, in der die Herzorganisation mit dem Christus-Impuls durchdrungen werden muss, um das Gleichgewicht zwischen dem luziferischen Haupt und dem ahrimanischen Gliedmaßensystem herzustellen. Die Seelenverfassung des Menschen verändert sich in den verschiedenen Epochen. Das Problem von Naturnotwendigkeit und Freiheit, die Entwicklung des Gottesbegriffs und die Michael-Tat stehen im Zentrum. Der Christus-Impuls ist notwendig, um dem ahrimanischen Einfluss entgegenzuwirken. Der Mensch steht als Kopfmensch und als übriger Mensch unterschiedlich in der nachatlantischen Entwicklung. Die alte Jogakultur war ein Luftseelenprozess, der neue Jogawille ist ein Lichtseelenprozess. Die Zukunft verlangt ein neues Wissen von der Präexistenz als Michael-Kultur. Kopf-, Brust- und Gliedmaßensystem stehen in Beziehung zu Denken, Fühlen und Wollen. Die elementarische Welt webt in das Schicksal des Menschen hinein, und die Ereignisse des Gliedmaßensystems schwingen in die nächsten Erdenleben zurück. Dieses periodische Zurückkehren ist bedeutsam für die Pädagogik. Die Betrachtung der Geschichte und das Mysterium von Golgatha zeigen die absteigende Erdenentwicklung und die zukünftige Menschheitsentwicklung. Seit dem 15. Jahrhundert entwickelt sich die Kultur, der Mensch steht der Umwelt gegenüber, und der Erinnerungsvorgang ist eine Auseinandersetzung mit dem Universum. Der Mensch stimmt nicht mit den Naturreichen überein und ist im naturwissenschaftlichen Denken nicht enthalten. Das naturwissenschaftliche Denken ist für den sozialen Neuaufbau unbrauchbar. Im Dornacher Bau zeigt sich der Dualismus des Lebens und der Philosophie, der durch die Trinität Luzifer-Christus-Ahriman überwunden werden muss. Das Prinzip der Metamorphose steht im Zusammenhang mit Evolution und Devolution, sichtbar etwa in der Säulengestaltung des Dornacher Baus. Baustile sind Ausdruck der Menschheitsentwicklung: Der griechische Tempel, der gotische Dom, der Gralstempel und der Dornacher Bau spiegeln verschiedene Entwicklungsstufen wider. Unsere Kultur ist von Degeneration und Untergang bedroht. Der Weltkrieg von 1914 ist Ausdruck dieser Entwicklung. Das Aufheben der Zeit durch Rückwärtsdenken bereitet das Eindringen in die geistige Welt vor. Denken und Wollen stehen im Zusammenhang mit Notwendigkeit und Freiheit, übersinnliche Kräfte wirken in die physische Welt hinein, wie es am Beispiel Goethes gezeigt werden kann. Das gegenwärtige chaotische Ineinander von Geist, Staat und Wirtschaft hat seinen Ursprung in den alten Mysterien des Lichtes, des Raumes und der Erde. Erste Ansätze zu einem freien Geistes- und Rechtsleben finden sich bei Goethe und Humboldt. Das Geistesleben mündet in den Abgrund der Lüge (Ahriman), das Rechtsleben in den Abgrund der Selbstsucht (Luzifer), das Wirtschaftsleben in Krankheit und Tod (Asuras). Zur Rettung der heutigen Kultur ist die Hinwendung zur Dreigliederung des sozialen Organismus notwendig. 195) In der gegenwärtigen Zeit ist es notwendig, die Wissenschaft der Initiation, das wirkliche Wissen vom Geistigen, in das gesamte Kulturleben einfließen zu lassen. Die Menschen tragen eine unbewusste Furcht vor geistiger Erkenntnis in sich, obwohl sie sich im Bewusstsein oft für mutig und aufgeklärt halten. Doch in den Tiefen der Seele ahnt jeder, dass in seinen Gedanken etwas von der übersinnlichen Welt enthalten ist, und dass diese Gedankenwelt selbst nur ein Spiegelbild, keine eigentliche Wirklichkeit ist. Wer den Mut hätte, dies zu erkennen, würde eine Sehnsucht nach wirklicher geistiger Erkenntnis entwickeln. Wer durch Initiation in die übersinnliche Welt eintritt, erlebt, dass die sinnliche Welt selbst nur ein Bild ist, wie ein Spiegelbild der wirklichen geistigen Welt. Dieses Erleben verunsichert, denn es nimmt dem Menschen den scheinbar festen Boden der Sinneserfahrung. Die Initiation verlangt, das durchzumachen, was sonst nur im Tod erlebt wird: das Leben in einer Welt, an die der physische Mensch nicht angepasst ist. Diese Erfahrung ist mit einer Steigerung des Schmerzes vergleichbar, den man empfindet, wenn der Ätherleib nicht mehr zum physischen Leib passt, etwa nach einer Verletzung. Die Menschheit ist heute aber so weit, dass sie mit gesundem Menschenverstand die Mitteilungen aus der geistigen Welt aufnehmen kann und muss, denn nur so kann sie die chaotischen Zustände der Gegenwart verstehen. Drei große Strömungen durchziehen das Kulturleben: Die Mysterien des Lichts, des Menschen und der Erde. Die Lichtmysterien stammen aus dem alten Orient, sie wirken von oben nach unten, wurden im alten Griechenland gefiltert und sind heute zur Abstraktion geworden, repräsentiert durch Aristokratie und Feudalismus. Die Mysterien des Menschen, aus den ägyptischen Mysterien hervorgegangen, durch das Römertum gegangen, haben sich im Christentum juristisch verfestigt und leben in der Bourgeoisie fort. Die Mysterien der Erde, aus den nordischen Mysterien stammend, wirken von unten nach oben und prägen das Wirtschaftsleben, sichtbar in modernen Denkern wie Newton, Darwin oder Spencer. Heute sind diese drei Strömungen im Kulturchaos miteinander verknäuelt. Die Weihnachtszeit führt zur Frage: Können wir noch Christen sein? Der michaelische Weg zu Christus ist gefordert, denn die Regentschaft Michaels hat 1879 begonnen. Die Weltlüge von der Freiheit der Nationen und die antichristlichen Gedanken der Gegenwart zeigen die Notwendigkeit einer neuen Offenbarung. Das Christliche ist das Gleichgewicht zwischen den Mächten Luzifer und Ahriman, deren Wirkungen sich im sozialen und geistigen Leben zeigen. Das Weihnachtsfest ist der Ausdruck dieses Gleichgewichts und der Notwendigkeit, Christus heute neu zu erleben. Der menschliche Wille ist mit Zerstörungsprozessen verbunden, wirkt in der Natur und ist in Beziehung zu den großen geistigen Mächten zu sehen. Die Inkarnation Luzifers im alten China, das Abstraktwerden der orientalischen Mysterien in der griechischen Philosophie und die Vorbereitung der Inkarnation Ahrimans in der Gegenwart sind Stationen der geistigen Entwicklung. Die falsche Auffassung der Evangelien dient als Mittel zur Vorbereitung von Ahrimans Inkarnation. Das Leben des Menschen steht zwischen Vergangenheit und Zukunft, wie ein Spiegelungsvorgang. Das Ich wird durch die Unterbrechung des Bewusstseins in der Nacht wahrgenommen. Heute ist ein Weltsilvester, ein Abschluss, der ein Neujahr der Geisteszukunft fordert. Ein neues Christus-Erlebnis wird notwendig, um die Zukunft zu gestalten. Die Geisteswissenschaft strebt nach einer Sozialordnung, in der Gleichgewicht herrscht zwischen Fähigkeiten und Bedürfnissen, zwischen den Kräften Luzifers und Ahrimans. Die sozialen Ideen Lenins und das Charakteristische der osteuropäischen Kultur zeigen die Notwendigkeit, das deutsche Geistesleben, wie es durch Goethe und Schiller repräsentiert wird, nicht zu verleugnen, sondern als Grundlage einer neuen sozialen Ordnung zu erkennen. 196) Es ist notwendig, die Wissenschaft von der Initiation zu begreifen, denn nur aus ihr heraus können die Lebenswirklichkeiten der Gegenwart erfasst werden. Die Fragen, die heute an die Menschheit gestellt werden, verlangen nach Antworten, die nicht aus bloßer äußerer Wissenschaft, sondern aus dem inneren geistigen Schauen kommen. Die Initiationswissenschaft war zu allen Zeiten in der Menschheitsentwicklung vorhanden, doch heute ist es dringlicher denn je, dass sie in das Bewusstsein der Zeit eintritt. Die Menschen der Gegenwart schlafen gegenüber den eigentlichen Zeitforderungen, sie scheuen die Notwendigkeit, das Bewusstsein für geistige Zusammenhänge zu öffnen. Im Westen, besonders in der englischsprachigen Welt, tritt ein starker Gegensatz zutage zwischen dem, was im öffentlichen Bewusstsein als Humanitätsideal erscheint, und dem, was hinter den Kulissen von Eingeweihten gewusst und gewollt wird. Die Öffentlichkeit glaubt an Ideale der Humanität, doch in Wahrheit wirken im Hintergrund Kräfte, die auf eine Vorherrschaft der westlichen Kultur drängen und die romanische und mitteleuropäische Kultur zurückdrängen wollen. Die Ereignisse der letzten Jahre, die Katastrophen des Weltkriegs, sind von eingeweihten Kreisen vorausgesehen und vorbereitet worden, während die Uneingeweihten von Idealen träumen. Es ist unbequem, diese Tatsachen anzuerkennen, doch sie bestimmen das Schicksal der Gegenwart. Im Osten zeigt sich ein ähnlicher Zwiespalt. Die uneingeweihten Idealisten, wie Rabindranath Tagore, sprechen von hohen Idealen, doch die Eingeweihten des Ostens schweigen oder wirken auf andere Weise. Die geistigen Strömungen des Ostens und Westens sind grundverschieden, und aus dieser Verschiedenheit erwachsen die großen Spannungen der Gegenwart. Die Menschenerkenntnis muss zur Welterkenntnis werden, denn der Mensch ist ein Abbild des Kosmos. Nur wenn der Mensch sich selbst im Lichte der geistigen Welt erkennt, kann er die Aufgaben der Zeit erfassen. Die Entwicklung der Menschheit führt zu einer Verjüngung, zu einer neuen Jugendlichkeit des Bewusstseins, die sich in der nachatlantischen Zeit entfaltet. Die alten Formen des Denkens und Wollens müssen überwunden werden, damit das neue Zeitalter sich gestalten kann. Die Initiationswissenschaft zeigt, wie die Kräfte der Vergangenheit in der Gegenwart wirken und wie das Böse und die Illusion als reale Mächte im Leben stehen. Es ist notwendig, die Bedingungen zu erkennen, unter denen übersinnliche Erfahrungen möglich werden, und die Gegnerschaften gegen die Anthroposophie als Ausdruck tiefer geistiger Widerstände zu verstehen. Das Goetheanum ist als Bauwerk ein Repräsentant eines Ideal-Realismus, es steht für eine Verbindung von Geist und Wirklichkeit. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist keine bloße Politik, sondern eine geisteswissenschaftliche Antwort auf die sozialen Fragen der Zeit. Die Geschichte wird nicht nur von äußeren Ereignissen, sondern von einzelnen Persönlichkeiten und geistigen Strömungen gestaltet. Die Neugestaltung Europas verlangt nach einer Durchdringung mit geistigen Wirklichkeiten, die aus der Geisteswissenschaft hervorgehen. Die Bedürfnisse des sozialen Lebens wandeln sich im Laufe der Menschheitsentwicklung. Die höheren Seelenfähigkeiten des Menschen, wie Gedächtnis, Intelligenz und Sinnestätigkeit, stehen in konkreten Beziehungen zur geistigen Welt. Die niederen Seelenfähigkeiten, wie Fühlen, Begehren und Wollen, verwandeln sich und prägen das soziale Leben. Die geschichtliche Entwicklung von Frankreich, Deutschland und England zeigt, wie verschiedene geistige Strömungen die Völker prägen. Der Imperialismus ist ein Ausdruck tiefer geschichtlicher Kräfte, die in mehreren Vorträgen beleuchtet werden. Die Krisen der Gegenwart sind nur zu überwinden, wenn der Mensch sich seiner geistigen Herkunft und seiner Verantwortung für die Zukunft bewusst wird. 197) Im Bewusstsein der Menschheit vollzieht sich eine Entwicklung, die von mächtigen geistigen Kräften gelenkt wird. In alter Zeit war das menschliche Vorstellen noch bildhaft und unmittelbar verbunden mit höheren Wesenheiten. Die Menschen lebten in einer traumhaften Seelentätigkeit, in der sie sich als Glieder einer geistigen Welt empfanden. Erst allmählich, durch das Eingreifen luziferischer und ahrimanischer Kräfte, wurde das Bewusstsein abgeschnürt, das Denken verselbständigt und der Intellektualismus geboren. Diese Entwicklung führte zur Freiheit des Menschen, aber auch zur Gefahr, dass der Mensch sich von den geistigen Ursprüngen und Kräften entfremdet. Im Osten lebt das Geistige noch als instinktive Weisheit, im Westen hat sich der Intellekt an das Leibliche gebunden, wodurch das Verständnis für das Mysterium von Golgatha verloren ging. Die Mitte Europas steht zwischen diesen Polen und ist berufen, eine neue Verbindung von Geist und Materie zu schaffen. Die Aufnahme des Christentums im Osten geschah durch die Seele, während der Westen das Christentum nur äußerlich, verstandesmäßig ergriff. Ein neues Erfassen des Christentums, das den Menschen in seiner Ganzheit anspricht, ist notwendig. Die soziale Entwicklung der Menschheit zeigt sich in drei Stufen: Zunächst war die irdische Ordnung noch eins mit der himmlischen Hierarchie, dann wurde der Herrscher als gottbegnadet erlebt, schließlich verflüchtigten sich die Substanz der Zeichen und Worte, und es entstand die Phrase, die Konvention. Die moderne Zivilisation ist von Niedergangskräften bedroht, die sich in westlichen Geheimgesellschaften, im Jesuitismus und im Leninismus zeigen. Diese Strömungen wirken als Initiationsmächte, die gegen die Geisteswissenschaft ankämpfen und den Menschen vom Bewusstsein seiner Präexistenz abhalten. Der Materialismus hat die Zivilisation in einen Zustand geführt, in dem das Materielle nicht mehr wirklich erfasst werden kann. Die materialistische Auffassung des Herzens als Pumpe zeigt das Unvermögen, das Lebendige im Materiellen zu erkennen. Das Wirtschaftsleben ist zum Kopf des sozialen Organismus geworden, das Rechtsleben zum rhythmischen System, das Geistesleben zum Stoffwechsel. Nur durch Geist-Erkenntnis kann das Materielle wirklich verstanden werden. Die Unwahrheit wirkt zerstörerisch, und nur die Geisteswissenschaft kann zur Lebenspraxis führen. Materialismus und Mystik sind beides Einseitigkeiten. Die Mystik sucht das Geistige im Innern, wird aber krankhaft, wenn sie sich nicht mit dem Zeitlichen verbindet. Der Materialismus sucht das Geistige in der äußeren Materie, verliert aber den Bezug zum Lebendigen. Die wahre Erkenntnis ist Tat der Menschenseele, sie verbindet das Materielle mit dem Geistigen. Die Politik ist von Illusionen beherrscht: Das Konservative ist ahrimanisch, das Liberale luziferisch. Der Materialismus ist auf seinem Gebiet berechtigt, aber er muss durch die Tat-Erkenntnis der Anthroposophie überwunden werden. Wissen und Glauben stehen heute in einem Gegensatz, der aus dem Verlöschen der alten Urweisheit hervorgegangen ist. Die Wissenschaft ist zu einem abstrakten Glauben geworden, der das innere Erleben vom Wort losgelöst hat. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist der Weg, um eine neue Verbindung zu schaffen. Im Osten ist der Geist zum Ende gekommen, im Westen beginnt er sich neu zu regen, in der Mitte liegt die Mission der Gegenwart. Die Zeit schreitet vom luziferischen zum ahrimanischen Zeitalter fort. Die Technik, die Verbindung von Mensch und Maschine, ist Ausdruck des Wirkens ahrimanischer Dämonen. Das kommende Christus-Ereignis, das Erscheinen des ätherischen Christus, muss vorbereitet werden, um der zunehmenden Seelennot zu begegnen. Die Wissenschaft der Gegenwart ist unpersönlich, aber sie wird in Zukunft durchchristet werden. Die Dreigliederung ist der Goetheanismus des 20. Jahrhunderts. Die Entwicklung von Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmensch kann nur durch Christus geschehen. Die Kräfte, die in Goethes Märchen und Schillers ästhetischen Briefen wirken, sind die Kräfte, die den sozialen Organismus gestalten können. 198) In der Menschheitsentwicklung hat sich das Verhältnis zur Wissenschaft, insbesondere zur Medizin, grundlegend gewandelt. Einst war alles Wissen, alle Erkenntnis, durchdrungen vom Streben nach Heilung, nicht nur des Leibes, sondern des ganzen Menschen. In alten Mysterienkulturen war Heilen und Erkennen eins, und jede Wissenschaft war zugleich Medizin. Erst in den letzten Jahrhunderten hat sich die Medizin als eine Wissenschaft unter anderen herausgelöst, und der Krankheitsbegriff wurde auf das rein Materielle, auf äußere Abweichungen im Leiblichen beschränkt. Doch Krankheit ist mehr als Störung im Physisch-Sinnlichen; sie ist Ausdruck eines tieferen Zusammenhangs zwischen Mensch, Geist und Welt. Im Erkenntnisprozess selbst liegt ein Heilungsprozess verborgen. Die Art, wie der Mensch heute erkennt, ist ein Ergebnis langer Entwicklung. Die Griechen etwa waren in ihrer Sinneswahrnehmung anders beschaffen, sie kannten keine Blaublindheit, wie wir sie heute kennen, sondern ihr Sehen war von Imagination durchdrungen. Heute muss der Mensch lernen, seine Sinne zu verwandeln: Imagination durch das Auge, Inspiration durch das Ohr, Intuition durch den Wärmesinn. Die Entwicklung der Menschheit verlangt eine Metamorphose der Sinnesorgane, eine Erneuerung des inneren Erlebens. Die Geburt der menschlichen Phantasie um 300 v. Chr. markiert einen Umschwung: Die alte, unmittelbare Verbindung zum Geistigen schwindet, das Intellektuelle tritt hervor, aber es bleibt einseitig und kann krank machen, wenn es nicht durch neue geistige Impulse durchdrungen wird. Die anthroposophische Geisteswissenschaft trägt einen neuen Heilungsprozess in sich, indem sie die Verbindung zum Übersinnlichen wiederherstellt. Das Hereinwirken des Vorgeburtlichen in das Erdenleben des Menschen zeigt sich darin, dass das gewöhnliche Denken wie ein Leichnam aus der geistigen Welt mitgebracht wird. Erst durch den im Erdenleben neu geborenen Willen wird dieses tote Denken belebt. Die Kopforganisation ist eine Metamorphose aus der vorherigen Inkarnation, und im Menschen lebt ein Zwiespalt zwischen Naturnotwendigkeit und Sittlichkeit, der zur Frage der Freiheit führt. In der Zukunft, in der Jupiterperiode der Erde, werden sittliche Ideale und Naturgesetze zusammenfließen. Das Mysterium von Golgatha hat einen tiefgreifenden Umschwung in der Menschheitsentwicklung bewirkt. Paulus ist Zeuge dieses Übergangs von alten übersinnlichen Anschauungen zu einer Epoche der Gottverlassenheit. Die Umwandlung des Blutes und die Wiedergeburt in Christo sind zentrale Erfahrungen. Ostern wird so zum Fest der Mahnung, sich nicht im rein Sinnlichen zu verlieren, sondern das Streben nach übersinnlicher Erkenntnis als Auferstehung zu erleben. Die römische Kirche kämpft gegen die Freiheit des Gewissens, gegen die Entfaltung des individuellen Geistes. In den päpstlichen Enzykliken und im Antimodernisteneid zeigt sich das Ringen gegen den heraufziehenden Materialismus. Die katholische Kirche sucht eine Brücke zwischen ihrer Herrschaft und dem Sozialismus, doch wahre Heilung kann nur aus der Weisheit der Initiation kommen. Die Gefahren des Materialismus, wie sie etwa Oswald Spengler beschreibt, zeigen sich im Niedergang der Kultur. Heilung ist nur möglich durch aktives Seelenleben und durch die Erkenntnis der geistigen Zusammenhänge. Die Waldorfpädagogik etwa gründet auf dem Verständnis, dass das Denken eine Erbschaft des vorgeburtlichen Daseins ist, und dass Erziehung das Geistige im Menschen fördern muss. Das alte Mysterienwesen und das Mysterium von Golgatha sind die Quellen eines Urwissens, das in der Anthroposophie erneuert wird. Christus ist das höhere Selbst der Erde, und die Erkenntnis des Übersinnlichen muss zur Erkenntnis des Sinnlichen hinzutreten, damit der Mensch nicht in Barbarei verfällt. Die Gefahr des Missbrauchs übersinnlichen Wissens besteht, wenn nicht das ganze Seelenleben, sondern nur Instinkte und Triebe ergriffen werden. Die Verantwortung des Menschen für die Erdenentwicklung ist groß. Der Materialismus ist unfähig, das Wesen der Materie zu erkennen; nur durch geistige Kommunion, durch Erkenntnis als Sakrament, kann der Mensch seine Aufgabe erfüllen. Die Entgötterung der Natur droht, doch der menschliche Leib bleibt Träger des schöpferischen Göttlich-Geistigen. Die Entscheidung steht an: Entweder versinkt die Menschheit im ahrimanischen Intellektualismus, oder sie erarbeitet sich das neue Geisteswissen als Richtschnur für geistiges und soziales Handeln. 199) Aus den Erfahrungen des ersten Jahres der Waldorfschule erwächst die Einsicht, dass Erziehung und Unterricht nicht bloß äußerliche Maßnahmen sein dürfen, sondern aus einer lebendigen Geisteswissenschaft hervorgehen müssen, die den Menschen als ein Wesen zwischen Sinnes- und Geisteswelt versteht. Die Welt der Erscheinungen, wie etwa der Regenbogen, zeigt sich als Ausdruck geistiger Wirklichkeiten, die durch das bloß atomistische Denken nicht begriffen werden können. Es ist notwendig, das Gute und das Böse als reale Kräfte zu erkennen, die in das soziale und politische Leben eingreifen; politische Parteien erscheinen als Abbilder geistiger Wesenheiten, und in ihren Widersprüchen spiegelt sich das Ringen übersinnlicher Mächte. Das Leben der Parteien und ihre Programme sind Abstraktionen, die das eigentliche geistige Leben der Völker verdecken. Der dreigliedrige Mensch, bestehend aus Nerven-Sinnes-System, rhythmischem System und Stoffwechselsystem, ist das Abbild der geistigen Welt. Die materialistische Weltanschauung verkennt diese Zusammenhänge und führt zu einer Verflachung des sozialen Lebens, wie sie sich im Osten im Bolschewismus, im Westen im abstrakten Individualismus und in der Mitte Europas im Ringen um das Recht zeigt. Die zwölf Sinne des Menschen verbinden ihn mit der äußeren und inneren Welt; die höheren Erkenntnisstufen – Imagination, Inspiration und Intuition – sind in den Sinnesprozessen angelegt. Die Entwicklung des Menschen besteht darin, diese höheren Fähigkeiten bewusst zu ergreifen und damit das soziale Leben zu durchdringen. Die Urteilsbildung muss sich vom bloß intellektuellen zum assoziativen Urteil wandeln, das den Willen und die Initiationskraft miteinbezieht. Das Verhältnis von Raum und Zeit, von Innen- und Außenwelt, ist nicht nur eine Frage der Sinneserfahrung, sondern weist auf das Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Das gegenwärtige soziale Chaos entspringt der Unkenntnis dieser Zusammenhänge. Die soziale Dreigliederung – Gliederung in Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben – ist die notwendige Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart. Sie wurzelt in der kosmischen Ordnung und in den verschiedenen Anlagen der Völker: Der Orient bringt das Geistesleben hervor, Mitteleuropa das Rechtsleben, der Westen das Wirtschaftsleben. Jedes dieser Glieder ist mit einem Wesensglied des Menschen verbunden: das Geistesleben mit dem Ich, das Rechtsleben mit dem Astralleib, das Wirtschaftsleben mit dem Ätherleib. Die Entwicklung der Menschheit schreitet fort durch die Arbeit an diesen Wesensgliedern. Das, was der Mensch im Geistesleben erarbeitet, wirkt auf den physischen Leib im nächsten Erdenleben zurück; das, was im Rechtsleben gestaltet wird, wirkt auf den Ätherleib und damit auf die kosmische Umgebung; das, was im Wirtschaftsleben geschieht, wirkt auf den Astralleib und auf die geistige Welt. Das rechte Verhältnis zu Geist und Materie, zu Bild und Begriff, ist die Voraussetzung für eine künftige Kultur, die nicht im Intellektualismus erstarrt, sondern das Bildhafte, das Schöpferische, das aus dem Mysterium von Golgatha hervorgeht, in sich aufnimmt. Die Sprache verändert sich mit dem Menschen, und mit ihr die Fähigkeit, Geistiges zu erfassen. Die Gefahr der Verbildlichungslosigkeit droht, wenn der Mensch im bloßen Intellekt verharrt. Die Zukunft verlangt nach einer neuen Bildersprache, nach einem schöpferischen Erfassen des Geistigen. Die soziale Gestaltung muss aus der Initiationswissenschaft hervorgehen, die den Menschen als Mittler zwischen Götterwelten erkennt und ihm seine Stellung im Kosmos bewusst macht. Nur so kann das soziale Leben wahrhaft menschenwürdig und zukunftsfähig werden. 200) In der Betrachtung der Weltgeschichte ist es entscheidend, nicht nur auf die äußeren Erscheinungen und Taten einzelner Persönlichkeiten oder auf die Massen zu blicken, sondern den Blick zu vertiefen auf die geistigen Kräfte, die hinter dem geschichtlichen Geschehen wirken. Das, was im Strom der Tatsachen äußerlich erscheint, ist nur das Symptom, der Ausdruck tiefer liegender geistiger Realitäten. Immer wieder treten in der Geschichte prägnante Punkte auf, an denen sich das sonst Verborgene offenbart, und von solchen Punkten aus lässt sich das Wesenhafte des geschichtlichen Werdens erschließen. Um das zu verdeutlichen, nehme ich das Jahr 800 nach Christus. In jener Zeit begegnen sich im Streitgespräch zwischen dem griechischen Denker und Alkuin, dem Hofphilosophen des Frankenreiches, zwei Seelenverfassungen: die des Ostens, in der das Ich noch dumpf erlebt wird, und die des Westens, in der das Ich bereits von den Gedanken absorbiert ist. Der Grieche fragt, wem das Lösegeld der Erlösung durch Christus ausbezahlt worden sei, und kommt zu dem Schluss: dem Tod. Alkuin hingegen verneint die Wirklichkeit des Todes und lenkt die Diskussion auf eine andere Ebene. In diesem Streit offenbart sich der Unterschied zwischen den geistigen Strömungen des Ostens und Westens, zwischen einer Seelenverfassung, die noch in den geistigen Hintergründen lebt, und einer, die sich auf das Abstrakte, das Gedankliche, das Unwirkliche richtet. Die Menschheit hat sich von der Zeit, in der das Ich dumpf erlebt wurde, über die Zeit, in der es bewusst erlebt wird, bis zu unserer Gegenwart entwickelt, in der das Ich sich in den Gedanken verliert. Jetzt ist die Zeit gekommen, in der das Verständnis für alle drei Gebiete – Ost, Mitte, West – sich über die ganze Menschheit ausbreiten muss. Die Geisteswissenschaft ist der Weg, diese Initiatenkultur zu schaffen, die das Verbindende zwischen den Kulturen bildet. Seit dem 15. Jahrhundert hat sich das Ich-Bewusstsein gewandelt. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist nicht nur eine gesellschaftliche Forderung, sondern Ausdruck einer tiefen geschichtlichen Entwicklung. Im Westen und Osten wirken Elementarwesen, die dieser Dreigliederung entgegenarbeiten. Die Menschheit steht an einer Schwelle, an der das Geistesleben, das Rechtsleben und das Wirtschaftsleben sich voneinander unterscheiden und in ein neues Verhältnis zueinander treten müssen. Die Strömungen, die aus dem niedergehenden Römertum hervorgegangen sind, haben den Menschen der Mitte hervorgebracht, der zwischen Ost und West steht. Die Wirtschaft entwickelt sich neu, das Rechtsleben ruht, das Geistesleben ist an ein Ende gekommen. In dieser Situation sind es die Werke Goethes und Schillers, die eine Brücke schlagen: Schillers Ästhetische Briefe und Goethes Märchen weisen auf die Notwendigkeit hin, das Geistige in neuer Weise zu erfassen und zur Grundlage des sozialen Lebens zu machen. Die Seelenverfassung der Menschheit hat sich seit dem 15. Jahrhundert grundlegend geändert. Die Intensität der Erkenntnis nimmt ab, der Intellektualismus steigt auf, die menschliche Freiheit entwickelt sich. Die intellektuelle Kraft wächst, aber die Sehnsucht nach Erkenntnis bleibt bestehen. Der Mensch sucht nach neuen Wegen, das Geistige zu erleben. Die Christus-Anschauung hat sich von der Gnosis bis zur Gegenwart gewandelt. Das kirchliche Verbot des Evangelienlesens hat den Zugang zum lebendigen Christus erschwert. Der Weg der Imagination öffnet jedoch neue Möglichkeiten, das Christus-Erlebnis zu erlangen. Die Wiedererscheinung Christi im ätherischen Bereich ist das große Ereignis des 20. Jahrhunderts, auf das die Menschheit sich vorbereiten muss. Der zukünftige Geisteskampf zwischen Osten und Westen wird sich um das Christus-Erlebnis des 20. Jahrhunderts drehen. Die Seelenverfassung der Menschheit ist im Wandel, und in diesem Wandel liegt die Möglichkeit, das Geistige neu zu erfassen und das Christus-Erlebnis in die Mitte des Lebens zu stellen. Die Menschheit steht vor der Aufgabe, das neue Geistige zu ergreifen und die Kräfte, die aus dem Osten, der Mitte und dem Westen stammen, in einer höheren Einheit zusammenzuführen. 201) Der Mensch steht in einem tiefen Gegensatz zwischen der Notwendigkeit der Natur und der Freiheit seines moralischen Wesens. Die Naturwissenschaft sieht den Menschen als ein Produkt von Ursachen und Wirkungen, als ein Wesen, das ebenso notwendig handelt wie ein fallender Stein. Die Theologie wiederum spricht von göttlicher Vorherbestimmung, in der alles Handeln des Menschen vorausbestimmt ist. Doch der Mensch fühlt in sich moralische Impulse, die nur Sinn ergeben, wenn er als freies Wesen gedacht wird. Diese Kluft zwischen Notwendigkeit und Freiheit kann nicht durch bloßes Denken überbrückt werden, sondern nur durch eine wirkliche Selbsterkenntnis, die den Menschen als ein Wesen im Kosmos begreift. Die gegenwärtige Zeit ist geprägt vom Intellektualismus, der nur einen kleinen Teil des Menschseins erfasst und die umfassendere, lebendige Verbindung des Menschen mit dem Kosmos verloren hat. Es gilt, das Wissen um die Zusammenhänge zwischen Mensch und Welt wieder zu erringen, indem die konkreten Ebenen des Denkens, Fühlens und Wollens im Menschen erkannt werden. Der Kopf steht in Polarität zum übrigen Körper; Metamorphose und Wiederverkörperung sind reale Prozesse, die das Leben des Menschen mit dem Rhythmus des Kosmos verbinden. Die drei Ebenen des Kosmos spiegeln sich im Menschen wider: Die Welt der Sinne, des Atmens und des Stoffwechsels. Die großen Rhythmen des Kosmos – das platonische Jahr, die Bewegungen von Sonne und Mond – finden ihre Entsprechung in den Lebensprozessen des Menschen, etwa im Jahreslauf, im Sieben-Jahres-Rhythmus und im Zahnwechsel. Der Herz- und Blutkreislauf ist nicht bloß ein mechanischer Vorgang, sondern ein Abbild kosmischer Bewegungen. Der astralische Leib des Menschen steht in Beziehung zum Tierkreis. Die Gestalt des Menschen ist mit den Sternbildern verbunden, seine Bewegungen mit den Planeten, seine Organe mit den Elementen, sein Stoffwechsel mit der Erde. Die vier Sphären des Kosmos wirken in ihm: Gestalt, Bewegung, Organe, Stoffwechsel. Die kosmische Evolution, die Bewegungen von Sonne, Erde und Planeten, sind nicht bloß äußere Vorgänge, sondern wirken in den inneren Kräften des Menschen und ermöglichen ihm die Freiheit. Goethes Farbenlehre offenbart, wie Nachbild und Erinnerung, Metamorphose und Wiederverkörperung, Tag, Woche, Jahr und der Zahnwechsel zusammenhängen. Das Prinzip der Umstülpung zeigt, dass Innen und Außen, Oben und Unten, im Menschen und im Kosmos ineinander übergehen. Leib, Seele und Geist entsprechen Erde, Planeten und Fixsternen. Der Materialismus verkennt diese Zusammenhänge und sieht nur die äußere Materie, während die Geisteswissenschaft die innere Wirklichkeit von Äther und Astralität erkennt. Wachen und Schlafen, Oben und Unten, Hände und Füße, sind nicht zufällig, sondern Ausdruck kosmischer Gesetzmäßigkeit. Das Mysterium von Golgatha ist ein zentrales Ereignis, durch das der Mensch wieder Zugang zur geistigen Welt erhält. Vorstellung und Wille, das Nervensystem und die Verdauung, sind nicht unabhängig voneinander, sondern stehen in einem tiefen Zusammenhang mit den Kräften von Jehova und Luzifer, mit Schlafen und Wachen. Die Rhythmen von Tag und Jahr, Sommer und Winter, die Umlaufszeiten der Planeten, die Unterscheidung von oberen und unteren Planeten, all das spiegelt sich im Menschen. Der Gang des Planetensystems ist nicht bloß eine astronomische Tatsache, sondern offenbart Dimensionen des Weltenraums, die in der menschlichen Erfahrung lebendig werden. Wissenschaft und Glaube, Heidentum und Christentum, die siderische und synodische Umlaufszeit des Mondes, das menschliche Gedächtnis, Sonnen- und Mondenastronomie – all das gehört zusammen. Der Mensch steht in Beziehung zu den Elementen Erde und Wasser, wie es die ägyptische Astronomie erkannte. Das Sonnenmysterium, der Materialismus, der Darwinismus, all das sind Stationen auf dem Weg zur Erkenntnis der kosmischen Bedeutung des Christus-Wesens. Die Polarität von Entwicklung und Entartung, die alte Isis-Weisheit, das Licht und die Luft, der Mensch als Mikrokosmos – all das zeigt, dass der Mensch ein Abbild des Kosmos ist, dass in ihm Erde, Planeten und Fixsterne, Nervensystem und Gehirn, Blutkreislauf und Sonne zusammenwirken. Östliche und westliche Anschauungen, das Wesen der Wärme, das reine Denken, die Polarität von Gralsrittertum und Parzival, die Vernichtung der Materie und die Befreiung des Geistes – all das mündet in die Erkenntnis des Christus-Impulses, der die kosmische Zukunft der Menschheit bestimmt. Nur wenn der Mensch sich als Hieroglyphe des Weltenalls erkennt, kann er seinen Platz im Kosmos finden und die Brücke schlagen zwischen Notwendigkeit und Freiheit, zwischen Natur und Geist. 202) In der menschlichen Gestalt offenbart sich der gesamte Lebensvorgang des Menschen. Wer das Haupt in seiner besonderen Form zu deuten weiß, erkennt darin das Ergebnis früherer Lebenszusammenhänge, die der Mensch vor seinem gegenwärtigen Erdenleben durchlaufen hat. Die Gliedmaßenorganisation wiederum, die sich nach innen in die mit ihr verbundenen Organe fortsetzt, ist dasjenige, was nach wiederholten Metamorphosen zur künftigen Hauptesbildung werden wird – über den Tod hinaus. So zeigt sich der Mensch als ein Wesen, das in seiner Kopfgestaltung das Ergebnis der Saturn-, Sonnen- und Mondentwickelung trägt, während die Gliedmaßen der Ausgangspunkt für Jupiter-, Venus- und Vulkanentwickelung sind. Das rhythmische System, der Brustmensch, ist eigentlich Erdenmensch. Der Mensch durchlebt zwischen Tod und neuer Geburt auf geistige Weise erneut die planetarischen Entwicklungsstufen, die seiner irdischen Existenz vorausgingen. Die Dreigliederung des Menschen – leiblich, seelisch, geistig – steht in tiefem Zusammenhang mit der Weltentwicklung und dem sozialen Leben. Kopf, Brust und Gliedmaßen entsprechen Denken, Fühlen und Wollen, wie auch Wachen, Träumen und Schlafen. Diese Dreigliederung spiegelt sich in den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wider, wie sie im Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben des sozialen Organismus zum Ausdruck kommen. Die vorchristliche Kultur war geprägt von einer Luziferisierung, die Gegenwartskultur hingegen ist von einer Ahrimanisierung durchdrungen. Der Weg zur Überwindung dieser Einseitigkeiten führt über die Entwicklung von Imagination, Inspiration und Intuition. Der Kosmos offenbart sich in der Schönheit, der Planet in der Stärke, der Ausgleich liegt in der Weisheit. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat die ahrimanische Kraft die Welt durchdrungen, was sich besonders in der Entfaltung der Maschinenkräfte zeigt. Hegel und Schopenhauer stehen als Gegensätze für die Idealisierung des Gedankens und die Materialisierung des Willens. Der Gedanke weist in die Vergangenheit, der Wille in die Zukunft. Im Westen materialisiert sich der Gedanke, im Osten spiritualisiert sich der Wille. Im Menschen stirbt das kosmische Gedankenelement ab, während das menschliche Gedankenelement aufsteigt. So wird der Mensch zum schöpferischen Element im Kosmos. Der Gedanke ist die Metamorphose des im vorigen Erdenleben in den Gliedmaßen als Wille Lebenden. Im hellseherischen Erleben zeigt sich das Gedankenelement als Licht, das Willenselement als Finsternis. Die Wärmeseite des Lichtspektrums steht mit der Vergangenheit, die chemische Seite mit der Zukunft in Verbindung. Das Natürliche und das Moralisch-Seelische sind miteinander verbunden. Der Abgrund zwischen Naturwissenschaft und Religion kann durch Geisteswissenschaft überbrückt werden, die das Licht als sterbende Gedankenwelt erkennt. Das Leben im Licht und in der Schwere wird durch die Vergeistigung der Begriffe moralisierend verwandelt. Geburt und Tod sind Metamorphosen von Naturordnung und moralischer Weltordnung durch Liebe und Freiheit. Frei sein heißt, sterben können; lieben heißt, leben können. Im Osten wird das Geistig-Seelische, im Westen das Physisch-Leibliche einseitig begriffen. Die westliche Wirtschaftstheorie sieht den Menschen als wirtschaftlichen Automaten mit Freiheit, aber ohne geistige Tiefe. Die heutige Geschichtsbetrachtung folgt dem Muster der Naturwissenschaft. Die Seelen wandern durch die Kulturen auf dem Weg ihrer Wiederverkörperungen. In Europa leben nur wenige Seelen aus den ersten christlichen Jahrhunderten, viele davon sind heute in Asien oder Amerika. An die Stelle der Anthropologie muss die Anthroposophie treten. Die Seelen schreiten durch aufeinanderfolgende Erdenleben. Das Vorstellungsvermögen, die Willensorganisation und das rhythmische System sind Ausdruck alter und neuer Einweihungsmethoden. Während im alten Orient das Bewusstmachen der Atmung im Mittelpunkt stand, ruht heute das Bewusstsein im Vorstellen. Das Seelisch-Geistige lebt im Physischen des Menschen durch Flüssigkeits-, Luft- und Wärmeleib. Die Wesensglieder des Menschen stehen in Beziehung zu den Ätherarten. Imagination, Inspiration und Intuition sind die Brücke zwischen physischem Leib und Seelisch-Geistigem, die der heutigen Betrachtungsweise fehlt. Das Moralische ist Quelle des Weltschöpferischen. Moralische Ideen wirken belebend, theoretische Ideen wirken entkräftend. Stoff und Kraft vergehen, moralisches Denken belebt Stofflichkeit und Willenskraft. Das Christus-Geheimnis verbindet die geistige Sonne mit der physischen Sonne. Der Mensch ist Betrachtender, Handelnder und Fühlender. Gedanken und Wille stehen in einem tiefen Zusammenhang. Reines Denken ist von Wille durchstrahlt, Liebe ist vom Gedanken durchdrungener Wille. Schein, Gewalt und Weisheit sind die Kräfte, die den Weg zu Freiheit und Liebe und deren Bedeutung für das Weltgeschehen bestimmen. Das Weihnachtsmysterium offenbart sich im Symbol des Weihnachtsbaumes als Paradiesesbaum. Die Nachfolge der Hirtenfrommheit und der uralten Sternenweisheit der Magier lebt in der Weihnachtszeit auf. Das Sonnenmysterium und das Christus-Mysterium sind miteinander verbunden. Die Isislegende muss für die heutige Zeit erneuert werden; die göttliche Weisheit Sophia ist zu suchen. Die Geheimnisse des Sternenhimmels und des Menscheninneren verlangen nach einer Verwandlung der alten Wahrnehmungsweise in eine neue Naturerkenntnis. Die mechanisch-mathematische Weltansicht muss durch ein neues Erkennen und Wollen auf allen Gebieten überwunden werden. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist notwendig. Die Erkenntnis der Hirten und Magier muss wieder lebendig werden. Die mathematisch-mechanische Anschauung muss zur Imagination entfaltet, die Naturerkenntnis durch Inspiration geweitet werden. In der Weihnachtsstimmung wird die Geburt des Tüchtigen gefeiert. 203) Es gibt zwei Wege, auf denen die Menschheit die Christus-Botschaft empfangen hat: Durch die Magier, die aus der geistigen Mathematik des Kosmos heraus das Kommen Christi erkannten, und durch die Hirten, die in ihrem hellsichtigen Erleben die Geheimnisse der Erde erschauten. Die Magier empfingen die Kunde aus der Himmelskunde, die Hirten aus der Erdenoffenbarung. Was in alten Zeiten als lebendige Weisheit wirkte, ist heute zur abstrakten Mathematik und zur nüchternen Naturbeobachtung geworden; es ist jedoch notwendig, diese toten Formen wieder zu durchdringen mit lebendigem, imaginativem Anschauen. Die Geschichte der Menschheit offenbart sich aus geisteswissenschaftlicher Forschung als ein fortwährendes Wechselspiel von Wiederverkörperungen bestimmter Seelengruppen, die in verschiedenen Zeiten und Regionen der Erde wirken. Seelen, die in den ersten Jahrhunderten das Christentum im Süden Europas und Nordafrika aufnahmen, inkarnieren im 20. Jahrhundert in Mitteleuropa. Andere, die als Indianer in Amerika lebten, erscheinen nun in Europa; wieder andere, die zur Zeit der Völkerwanderung das Christentum in Europa aufnahmen, leben heute in Asien, besonders in Japan. Und Seelen, die zur Zeit des Mysteriums von Golgatha in Vorderasien lebten, suchen heute ihre Verkörperung in Amerika. Viele Seelen finden heute Schwierigkeiten, sich zu inkarnieren, da sich die Seelenverfassung der mitteleuropäischen Menschheit gewandelt hat. Es gibt Bestrebungen, die mitteleuropäische Geistigkeit zu vernichten, während Mitteleuropa zwischen der weltfremden Mystik des Ostens und dem Materialismus des Westens steht. Große Geister wie Hegel, Goethe und Schiller bereiteten eine Synthese zwischen diesen Extremen vor. Die Aufgaben unserer Zeit sind gewaltig: Die Kluft zwischen Glauben und Wissen muss überwunden werden, sowohl gegenüber den leeren Vorstellungen der Wissenschaft als auch gegenüber den nicht mehr verstandenen Dogmen der Konfessionen. Die Gefahr des Seelentodes droht, wenn es nicht gelingt, das Naturwissen zu durchgeistigen. Die Gegenwart ist voller Unwahrhaftigkeit, der nur mit entschlossenem Willen begegnet werden kann. Anthroposophie ist eine Angelegenheit der geistigen Weiten und verlangt nach einer Erkraftung des anthroposophischen Lebens. Das wirkliche Leben muss von Geisteswissenschaft durchdrungen werden. Der Blick auf die Präexistenz gibt Lebenskraft. Der Mensch steht in einem tiefen Zusammenhang mit seiner Umwelt, mit der Pflanzenwelt, mit der Bildung der Kohle, mit den abgelegten physischen Leibern, die in die Erde eingehen. In der Zukunft werden moralische Ideen zu Naturgesetzen, Geist-Erkenntnis wird zu sozialer Kraft. Die Oberflächlichkeit der Gegenwart bedroht das soziale und ökonomische Denken; nur das Licht der Imagination kann die sozialen Wirkenskräfte verwandeln. Was früher in den Mysterien gelehrt wurde, bringen heute die Kinder aus ihrer vorgeburtlichen Belehrung mit ins Leben. Die Pädagogik muss so wirken, dass das Mitgebrachte sich entfalten kann. Der Mensch wurde früher nicht nur durch Vererbung, sondern auch durch das vorgeburtliche Wirken der geistigen Welt in die sozialen Zusammenhänge hineingeboren. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte große Umwälzungen auf allen Lebensgebieten. Die Entwicklung des Wirtschaftslebens führte von der Nationalwirtschaft zur Weltwirtschaft. Persönliche Erfahrungen im Textilhandel zeigen die Verflechtung des praktischen Lebens mit den geistigen Strömungen der Zeit. Gegen die Anthroposophie richten sich Angriffe, das Goetheanum muss vor dem Vernichtungswillen der Gegner geschützt werden. Der Mensch steht zwischen Geburt und Tod im Zusammenhang mit der Erde, zwischen Tod und neuer Geburt mit der Sternenwelt. Hinter dem Sinnenschein wirken geistige Wesenheiten: Ahriman und Luzifer. Der Sternenhimmel offenbart das Luziferische, der Erdboden das Ahrimanische. Es gilt, das Gleichgewicht zwischen beiden zu finden. Nebulöse Mystik führt dazu, in der nächsten Inkarnation nicht altern zu können; Ahriman strebt danach, künftige Inkarnationen zu verhindern. Die Menschheit steht an einer Entscheidungsstunde, in der der Ausgleich gefunden werden muss. Es braucht eine Geosophie und Kosmosophie. Das Streben nach Gleichgewicht zwischen luziferischen und ahrimanischen Abirrungen ist die Aufgabe der Zeit. Die moderne Wissenschaft führt zur Ahrimanisierung, die Technik ist ein Leichnam der Natur. Im sozialen Leben wirkt das Luziferische. Die Geisteswissenschaft muss die Erkenntnis vom Wesen des Menschen zur äußeren Wissenschaft und kosmisches Fühlen zum sozialen Leben bringen. So entsteht eine soziale Stimmung, die das soziale Leben durch Welterkenntnis befruchtet. Das Christentum muss erneuert werden. Das heutige Vorstellungsleben dringt in Gebiete, die früher jenseits der Schwelle der Erkenntnis lagen, weil das Selbstbewusstsein ihnen nicht gewachsen war. Das Selbstbewusstsein ist erstarkt; die Schwelle kann nun durch Anthroposophie angeschaut werden. Der Katholizismus wurzelt in der Vergangenheit; es ist Aufgabe, Geisteswissen in die moderne Naturanschauung zu tragen. Es braucht ein gestärktes Wahrheitsgefühl, um den Gefahren von Katholizismus und Orientalismus zu begegnen. Mit dem Bau des Goetheanum ist Anthroposophie aus kleinen Kreisen herausgetreten. Es ist ein neues Verantwortlichkeitsgefühl gegenüber der Welt nötig, die der Anthroposophie feindlich begegnet. Die Gegner müssen charakterisiert werden, nicht nur verteidigt. Die Griechen erlebten das Zeitalter der Verstandesseele in Jugendfrische, in römischer Zeit trat Dekadenz ein. Das Denken wurde zum Erbe der Verstandesseelenkultur und in die Bewusstseinsseele hereingenommen. Daraus entstand Egoismus als Etappe zur Freiheit. Das Mysterium von Golgatha wurde zunächst mit Resten alten Hellsehens verstanden, später wurde dieses Wissen Theologie. Die spirituelle Erkenntnis ist heute notwendig, und die anthroposophische Bewegung hat die Aufgabe, diese zu vermitteln. Die luziferischen Geister, zurückgebliebene Elohim, wirken ins Kopfleben und geben dem Menschen Vernunft, möchten ihn aber nicht ins volle Erdendasein hinuntersteigen lassen. Sie binden ihn an die Vergangenheit. Die ahrimanischen Geister, zurückgebliebene Wesen der ersten Hierarchie, wollen den Menschen von der Vergangenheit lösen und ihn zum Anfangsglied einer neuen Evolution im Mineralreich machen. Der Ausgleich zwischen Luziferischem und Ahrimanischem wird im Christus-Prinzip durch Geisteswissenschaft gesucht. 204) Im 19. Jahrhundert hat der Materialismus seine volle Berechtigung entfaltet, weil der Mensch in seiner physischen Organisation, besonders in Haupt- und Nervenorganisation, das Abbild des Seelisch-Geistigen am vollkommensten ausgebildet hat. Doch ist der Höhepunkt dieser Entwicklung bereits überschritten. Die Kräfte, die einst das Denken belebten, sind ins Physische eingesunken, das Erinnerungsdenken ist zum Schattenbild geworden. Die Imagination, Inspiration und Intuition, als höhere Erkenntnisarten, offenbaren die Aufbaukräfte von Haupt, rhythmischem System und Stoffwechselsystem. Das Denken, das sich nur auf das Physische richtet, führt zu Irrtümern, die im Tatsächlichen wurzeln, und dennoch haben diese Irrtümer ihre förderliche Seite für die Menschheit, wenn sie überwunden werden. Vor Aristoteles war das Sprechenlernen ein Prozess, in dem das Geistig-Seelische im Wort als schöpferische Kraft erlebt wurde. Das Wissen um die Präexistenz und Wiederverkörperung war selbstverständlich. Erst mit Aristoteles, Anaxagoras, Plato und der Gnosis beginnt die Abstraktion, die im 4. Jahrhundert n. Chr. ihren Höhepunkt und zugleich ihren Verlust des Logoswissens erreicht. Die Verbindung zum Geistigen, die einst selbstverständlich war, ging verloren, als das Christentum sich von der alten Weisheit absonderte und das römische Feststellungsprinzip das lebendige Erfassen der Wahrheit erstarrte. Die alten Kulturen des Ostens lebten in einer instinktiven Weisheit, die das Ätherische verstand und in Astronomie, Medizin und Kultus einfloss. Mit dem Mithraskult und der Weisheit der Griechen wurde diese Verbindung noch gepflegt, doch das Abendland drängte diese Weisheit zurück, und es blieb nur die Tatsachenerzählung der Ereignisse von Palästina für das religiöse Leben der nordischen Völker. Die Suche nach dem Gral, nach dem Geheimnis von Brot und Wein, lebt in wenigen Seelen weiter, doch die Vermaterialisierung droht, diese Suche zu entleeren. Der Orientale begriff die materielle Welt aus der geistigen, der Europäer muss heute die geistige Welt aus der materiellen heraus begreifen. Im Griechentum vollzog sich der Übergang, und mit dem verstaatlichten Christentum wurde die Verbindung zur höheren Weisheit abgebrochen. Die Gefahr, im Materialismus gefangen zu bleiben, ist seit dem 15. Jahrhundert gewachsen. Es bedarf einer neuen geistigen Aktivierung, um die Liebe zum Bösen zu überwinden und das Christentum zu durchdringen. Friedrich Nietzsche steht symptomatisch für die Tragik der Geistentfremdung im 19. Jahrhundert. Seine Begriffe vom Übermenschen, von der ewigen Wiederkehr und vom Antichristen zeugen von der Unfähigkeit, das Wesen des Menschen, den Sinn des Erdenlebens und das Christentum noch zu fassen. Maß, Zahl und Gewicht sind zu abstrakten Begriffen geworden, die ihre wesenhafte Qualität verloren haben. Einst wurden sie als lebendige Kräfte erlebt, die aus dem Weltganzen in den Menschen einströmten. Heute lebt davon nur noch ein Nachklang in der Kunst. Das 19. Jahrhundert kulminiert in Abstraktion und Materialismus. Das Leben im Leibe, das einst die kosmische Geistigkeit erlebte, ist dem Leben im Geiste gewichen, das sich der Materie zuwendet und sich selbst verkennt. Doch im modernen Intellekt liegt die Möglichkeit, durch geisteswissenschaftliche Begriffe die erstarrte Intelligenz zu verwandeln. Die Trägheit der Intelligenz zeigt sich im Neukatholizismus, im Protestantismus und im aufgeklärten Intellektualismus. Die Zukunft verlangt eine Polarität zwischen katholischem Traditionalismus und geistig erwachender Intellektualität. Jede Entwicklungsstufe hat ihr Ziel. Die Ausbildung der Verstandesseele war das Ziel des vierten Zeitraums; das Denken wurde menschlich-subjektives Schattenbild, und der Wille blieb sich selbst überlassen. Die Überwindung dieser Trennung ist notwendig, damit das Denken in der chaotisierten Welt verwandelnd wirken kann. Um 1840 dämmerte die Bewusstseinsseele auf, traf aber in den verschiedenen Nationen auf unterschiedliche ältere Bewusstseinsformen. In England lebt eine archaische Haltung, in Frankreich eine lateinische Verstandeskultur, in Italien eine alte Empfindungsseelenkultur, in Mitteleuropa ein Erbe aus dem 4. Jahrhundert, während Osteuropa diesen Vorgang verschlafen hat. Im 19. Jahrhundert begegnen sich das formal-juristische römische Katholizentum und das wirtschaftliche Denken der Angelsachsen, beide letztlich aus der persischen Kultur stammend. Die Erneuerung kann nur durch ein freies Geistesleben geschehen, wie es Goethe ahnte. Der Mensch steht in einem tiefen Zusammenhang mit den planetarischen Kräften. Das Wissen um die Zugehörigkeit der Ich-Entwicklung zur Sonne war im vierten nachatlantischen Zeitraum noch lebendig. Nur durch eine neue Verbindung zum Geistigen kann der Mensch seine Verantwortung für die Weltentwicklung erfüllen. 205) Der Mensch steht als leiblich-seelische Wesenheit in einem umfassenden Verhältnis zur Welt, das weit über die bloße Betrachtung des Leiblichen hinausgeht. Die gegenwärtige Zivilisation neigt dazu, den Menschen nur als physisches Wesen zu erfassen, doch das eigentliche Menschsein offenbart sich erst im Zusammenspiel von Leib, Seele und Geist. Gerade in einer Zeit, in der das Seelische und Geistige an den Rand gedrängt werden, gilt es, die Brücke zu schlagen zwischen dem moralischen und dem natürlichen Kosmos. Die Erscheinungen des menschlichen Bewusstseins, wie Halluzinationen, Phantasiebilder und Imaginationen, lassen sich nicht allein aus der materiellen Naturordnung erklären. Das gewöhnliche Denken, Fühlen und Wollen entspringt nicht bloß mechanischen Ursachen, sondern ist Ausdruck eines geistigen Wirkens, das sich in den verschiedenen Ebenen des menschlichen Wesens manifestiert. Während Halluzinationen und Täuschungen als abzuweisende Erscheinungen erkannt werden, offenbart sich in der Phantasie die schöpferische Kraft, die das Leben verschönt und erhebt. Doch erst in der Imagination, der ersten Stufe übersinnlicher Erkenntnis, tritt die Seele in einen bewussten Kontakt mit der geistigen Welt, ohne sich im Traumhaften zu verlieren. Der Mensch ist eingebettet in die Elemente der Erde, in die Gesetze des Kosmos, in die Wirksamkeit von Weltenseele und Weltengeist. Die mineralische, pflanzliche, tierische Welt und die Welt des Menschen stehen in einem lebendigen Zusammenhang. Die alten Griechen etwa erlebten das Element Wasser noch als beseelte Kraft, während der moderne Mensch diese Verbindung weitgehend verloren hat. Die Überwindung der einseitigen Verhaftung an das Materielle, die Verahrimanisierung der Erde, wird möglich durch den Christusgeist, der als lebendige Brücke zwischen der geistigen und der physischen Welt wirkt. Das menschliche Leben zwischen Tod und neuer Geburt, die Einwirkungen von luziferischen und ahrimanischen Kräften, das Wirken der Hierarchien – all dies bestimmt das Schicksal und die Entwicklung des Einzelnen. Denken, Fühlen und Wollen sind nicht bloß Funktionen des Leibes, sondern Ausdruck eines geistigen Wesens, das sich durch die verschiedenen Lebensstufen und Daseinsformen hindurch entfaltet. Die Organe des Menschen sind nicht nur Werkzeuge des physischen Lebens, sondern tragen geistige Prägungen, die in das nächste Erdenleben hinüberwirken. Im Rhythmus von Atmung und Puls, im Zusammenspiel von Willen und Gedanken, im Verhältnis zu Tierkreis und Tierwelt wird sichtbar, wie der Mensch als Mikrokosmos mit dem Makrokosmos verbunden ist. Die Vogelwelt, die Säugetiere, der dreigegliederte Mensch – sie alle sind Ausdruck kosmischer Wirkungen, die sich im Menschen konzentrieren. Der Mensch trägt in sich die Gliederung von physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich, und in diesem Gefüge spiegeln sich die Hierarchien des Geistigen wider. So ist der Mensch nicht nur ein Geschöpf der Erde, sondern ein Wesen, das durch sein inneres Leben, durch seine moralische Entwicklung, durch seine Beziehung zu Weltenseele und Weltengeist Verantwortung für die Weltentwicklung trägt. Die Erkenntnis der eigenen geistigen Natur, das Erwachen zur Imagination, Inspiration und Intuition, führt zur wahren Menschwerdung im Kosmos. 206) Das menschliche Wesen ist in seiner leiblichen, seelischen und geistigen Gestalt ein Abbild des Kosmos, und in seinem geschichtlichen Werdegang spiegelt sich die Entwicklung der Welt wider. Die zwölf Sinne des Menschen – von Ichsinn, Gedankensinn, Wortesinn, Gehörsinn, Wärmesinn, Sehsinn, Geschmackssinn, Geruchssinn, Gleichgewichtssinn, Bewegungssinn, Lebenssinn bis zum Tastsinn – erschließen die Welt in ihrer Vielgestaltigkeit und ermöglichen ein umfassendes Verhältnis zur äußeren und inneren Wirklichkeit. Diese Sinne sind nicht nur physiologische Funktionen, sondern Tore zu geistigen Erfahrungen, und sie bilden die Grundlage für das Verständnis des Zusammenhangs von Mensch und Kosmos. Die moralische Weltenordnung und die Notwendigkeit der Natur sind zwei Sphären, die im Menschen zusammenkommen. Die Logik des Aristoteles, die Gnosis, die Sinneserlebnisse des oberen und unteren Menschen, die Unterschiede zwischen orientalischer und okzidentaler Kultur, das Verhältnis von Wissen und Glauben – all das sind Ausdrucksformen des Ringens um Erkenntnis und Menschwerdung. Im Gedächtnis lebt die Vergangenheit fort, in der Liebe offenbart sich das Überwinden der bloßen Naturkausalität. Das menschliche Leben ist ein ständiger Kampf gegen die bloße Notwendigkeit der Natur, ein Ringen um Freiheit und Individualität. Die Entwicklung der modernen Naturwissenschaft wurzelt in der Scholastik, doch der Materialismus, wie ihn etwa Ernst Haeckel vertritt, führt zu antisozialen Trieben, wenn das Denken sich vom Geistigen absondert. Weltanschauung wird so zur Arznei für die Seele, indem sie das Geistige wieder in das Leben hereinholt. Die kindliche Entwicklung bis zur Geschlechtsreife ist ein Prozess, in dem sich die Gliederung des Menschen in physischen Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich offenbart. Diese Wesensglieder wirken zusammen und bedingen sich gegenseitig. Vorstellungen und Erinnerungen sind nicht bloß subjektive Vorgänge, sondern stehen in Verbindung mit den Hierarchien der geistigen Welt. Das Seelisch-Geistige des Menschen und das Leiblich-Physische sind untrennbar verbunden, und im Bösen zeigt sich die Möglichkeit des Menschen, sich vom Kosmos zu trennen und in die Irre zu gehen. Die Betrachtung Goethes, der Griechen und der vorgriechischen Zeit macht deutlich, wie sich das Bewusstsein des Menschen gewandelt hat und wie die Erkenntnis des Lebenden, des Empfindenden, des eigentlichen Menschenwesens und des Ich sich in alten Zeiten und heute unterscheidet. So ist der Mensch als geistiges Wesen im historischen Werdegang nicht nur ein Produkt der Vergangenheit, sondern ein Mitgestalter der Zukunft. In ihm liegt die Verantwortung für die weitere Entwicklung der Welt, denn durch seine Verbindung mit der Weltenseele und dem Weltengeist wirkt er gestaltend auf Erde und Kosmos. 207) Im Osten lebte einst eine Kultur, in der die Liebe als schöpferische Grundkraft das Leben durchdrang. In der Gegenwart jedoch herrscht im Westen die Furcht, und aus ihr erwächst der Hass, der das Seelenleben und die Zivilisation prägt. Das Erleben der Welt und des eigenen Inneren ist im Westen von Furcht und Trennung durchdrungen, während im Osten noch der Nachklang einer Liebe zu finden ist, die sich in Hingabe an die Welt ausdrückt. Die Gegensätze zwischen Ost und West sind nicht nur kultureller, sondern geistiger Natur; sie wurzeln in der unterschiedlichen Beziehung des Menschen zu sich selbst und zur Welt. Das Innere des Menschen ist wie ein Spiegel, in dem sich das Weltgeschehen abbildet. Doch dieser Spiegel ist nicht passiv: In ihm wirkt ein Zerstörungsherd, der notwendig ist, damit der Mensch zum selbständigen Denken gelangt. Erst durch die Erfahrung der inneren Zerstörung, des Todes im Denken, wird der Mensch fähig, moralische Ideale zu entwickeln und aus sich selbst heraus zu handeln. Das Böse erscheint als Möglichkeit, die aus der Freiheit des Denkens und Wollens hervorgeht, und im westlichen Kulturleben wird diese Erfahrung zur zentralen Herausforderung. Die Erde und der Mensch stehen in einem kosmischen Zusammenhang. Die Erde ist nicht nur ein physischer Planet, sondern durchläuft geistige Entwicklungsstufen: Das gegenwärtige Erdenleben ist ein Stadium, das aus früheren planetarischen Zuständen hervorgegangen ist und in künftige übergehen wird. Das gewöhnliche Bewusstsein lebt in der Welt des Vatergottes, der das Vergangene bewahrt. Doch im Menschen muss sich das Sohnesprinzip, das Christus-Prinzip, entfalten: Die Auferstehung des Geistes im Inneren, das Erleben der Freiheit und Liebe, ist das Ziel der Erdentwicklung. Der Mensch besteht aus mehreren Gliedern: physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich. Im Schlafen und Wachen, im Denken, Fühlen und Wollen offenbart sich das Zusammenspiel dieser Wesensglieder. Die Gedankenwelt, die Gefühle als untergetauchte Träume, der Wille als schlafendes Erleben – all dies sind Ausdrucksformen des geistigen Menschen, der zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Karma und Freiheit steht. Nach dem Tod durchschreitet der Mensch verschiedene Bewusstseinszustände, die mit den Naturreichen – Mineral, Pflanze, Tier – und den Hierarchien geistiger Wesenheiten zusammenhängen. Im mineralischen Bewusstsein erlebt er seine Taten, im pflanzlichen Bewusstsein die Lebenskräfte, im tierischen Bewusstsein die Leidenschaften und Triebe. Die Begegnung mit den Hierarchien – Engeln, Erzengeln, Archai – öffnet neue Erkenntnismöglichkeiten und führt zu einer tieferen Selbsterkenntnis und Welterkenntnis. Die Zukunft der Menschheit liegt in der Vergeistigung der Erde und des Menschen. Die Leibesglieder des Menschen sind Keime künftiger Welten, und die Entwicklung des Menschen ist eingebettet in die Entwicklung des Kosmos. Die Geisteswissenschaft ist berufen, dem modernen Menschen neue Lebenskraft zu schenken, indem sie die Verbindung zu den geistigen Quellen wiederherstellt und das Verständnis für die kosmischen Zusammenhänge vertieft. Das Erleben des Mysteriums von Golgatha, der Christus-Impuls, ist der Sinnmittelpunkt der Geschichte. Im Zeitalter der Freiheit muss der Mensch diesen Impuls im eigenen Inneren finden und aus ihm heraus handeln. Die moderne Welt droht, im Intellektualismus das eigene Wesen zu verlieren; nur durch das Handeln aus reinem Denken, aus der Verbindung von Freiheit und Liebe, kann das Menschsein in der kosmischen Ordnung seinen Sinn erfüllen. 208) Im Menschen lebt das Denken, das Fühlen, das Wollen und das Wahrnehmen, und diese vier Grundkräfte stehen in einem tiefen Zusammenhang mit den verschiedenen Wesensgliedern: Mit dem Ätherleib, dem Astralleib, dem Ich und dem physischen Leib. Während des irdischen Lebens ist das Innere des Menschen von der äußeren Welt getrennt, doch nach dem Tod verwandelt sich dieses Verhältnis: Was im Leben innerlich war, wird zur äußeren Welt, und umgekehrt. Die Sonne ist nicht nur ein physischer Himmelskörper, sondern ein geistiges Wesen, das in der Zukunft als Jupiterplanet eine neue Entwicklungsstufe der Menschheit hervorbringen wird. Der Mond spielt im nachtodlichen Leben eine besondere Rolle, indem er das Seelische des Menschen auf besondere Weise beeinflusst. Nach dem Tod umkleiden sich die höheren Wesensglieder des Menschen, das Ich, mit neuen Hüllen, um in der geistigen Welt bestehen zu können. Das Bewusstsein nach dem Tod ist ein Überbewusstsein, das im Gegensatz zum Schlafbewusstsein des Erdenlebens steht. Die Sinneswahrnehmung, die Gedankenwelt und die Welt der Sprache sind Ausdruck der Wirksamkeit geistiger Hierarchien: Archai, Archangeloi und Angeloi. Die eigentliche Welt des Menschen ist die Willenshandlung, und die inneren Organe sind Erinnerungen an das Leben zwischen Tod und neuer Geburt, gestaltet von den höheren Hierarchien. Die Erkenntnis der Vorzeit war eine Erkenntnis der luziferischen Engel, die sich in der Menschheitsentwicklung wandelte: Von der platonischen zur aristotelischen Erkenntnis, von der römischen Abstraktion bis zum luziferischen Wesen der Renaissance. Die moderne Wissenschaft und Technik ist von ahrimanischer Natur geprägt, und Ahriman wirkt als Programmatiker in der Welt. Nur eine einheitliche Geisteswissenschaft kann diese Kräfte ausgleichen. Die Form des Menschen ist aus dem Universum heraus gestaltet, wobei Kopf, Brust und Gliedmaßen den Tierkreisbildern zugeordnet sind. Der Kopf ist ein Passagier, getragen von den Gliedmaßen, die Brust pflegt den Menschen, die Gliedmaßen sind das Arbeitswerkzeug. Die Entwicklung des Menschen durchläuft sieben Lebensstufen, die mit den Planetenkräften zusammenhängen: Saturn, Jupiter, Mars wirken auf Sinnes-, Nerven- und Atmungsleben, Merkur, Venus und Mond auf die Unterleibsorgane. Die Sprache ist ein Echo der inneren Organbildung, und die Eurythmie offenbart das Wesen des Menschen im Ausdruck. Das Haupt des Menschen vernichtet Materie und trägt das seelische Bilderleben, während im Willenspol die Freiheit entsteht. Das Keimesleben bleibt in der organischen Bildung unvollendet. Haupt, Brust und Gliedmaßen entsprechen den Tierkreiszeichen, und das Seelenleben gliedert sich in Gefühl, Vorstellung und Willen. Die moderne Seelenwissenschaft bleibt ungenügend, solange sie nicht die Synthese von Religion, Kunst und Wissenschaft anstrebt. Der Schlaf verbindet das Ich mit der geistigen Welt, und im Vorstellungsleben wirken unbewusste Imaginationen, im Gefühlsleben unbewusste Inspirationen, im Willensleben unbewusste Intuitionen. Bild-Erleben und Wirklichkeit stehen sich im materiellen und geistigen Dasein gegenüber. Die Kreisbewegung der Sphären vermittelt zwischen gewöhnlichem Koordinatensystem und Polarkoordinaten, wie sie auch in der Einsteinschen Relativitätstheorie angedeutet ist. Die Betrachtung des Menschen im Zusammenhang mit Tierkreis, Planetensphären, Erde und Mond zeigt, wie die Formen des Lebendigen entstehen. Die mathematische Schulung ist für Forscher und Mediziner unerlässlich, denn der Mensch kann nur aus dem Ganzen der Welt heraus verstanden werden. Zwei Arten des Wollens und Fühlens wirken im Wachen und Schlafen, und das Wesen des Bösen offenbart sich im bejahenden und verneinenden Urteilen. Die Sonne ist Quell von Licht, Leben und Liebe, und geschichtliche Gestalten wie Julian Apostata und Konstantin zeigen, wie geistige Impulse durch die Zeiten wirken. Das Palladium, das durch das moderne Naturerkennen wieder erglänzen kann, ist ein Symbol für die geistige Kontinuität der Menschheit. Im Schlaf trennt sich das Ich und der Astralleib vom physischen und Ätherleib, und die moralische Wesenheit des Menschen wird im Schlaf von der geistigen Welt gestaltet. Die Vorbereitung des Hauptes für die nächste Inkarnation geschieht durch die Arbeit der geistigen Welt am Ich, während der Astralleib von der äußeren seelischen Welt tingiert wird. Das Aufwachen ist ein Herbst-Wintererlebnis, das Einschlafen ein Frühlings-Sommererlebnis. Der physische Leib wird im Schlaf vom Geistesmenschen gestaltet, der Ätherleib wird zum Abbild des Universums. Das Strahlen des Ätherleibes von innen nach außen ist Nahrung für die Erde. Im Leben zwischen Tod und neuer Geburt wirken Geistselbst und Mathematik zusammen, und das Jupiter-Bewusstsein bereitet sich vor. Im Schlaf wird der Astralleib zum Richter der Seele, das Ich zum Opfer seiner selbst. Das Jüngste Gericht und das Gotteslamm sind geistige Realitäten, die sich in der Menschheitsentwicklung offenbaren. Die Abscheu vor der Lüge und die Feier der Osterzeremonie sind Ausdruck der geistigen Entwicklung, die der Mensch durchlebt. 209) Die gegenwärtige Lage Europas verlangt danach, das Wirken der geistigen Kräfte in den Völkern und im Einzelnen neu zu erkennen. Die äußere Geschichte ist nur der Ausdruck innerer, geistiger Strömungen. In Mitteleuropa und im Norden wirken unterschiedliche Impulse, die aus alten Zeiten stammen und sich in Sprache, Kultur und Volkstum offenbaren. Die Menschheit steht an einem Wendepunkt, an dem es notwendig ist, den Zusammenhang des Menschen mit dem Kosmos wieder zu erfassen. Die menschliche Gestalt ist nicht zufällig, sondern spiegelt in ihrer Dreigliederung die Kräfte des Tierkreises wider. Die Lebensstufen des Menschen sind mit den Sphären der Planeten verbunden; Geburt, Reifung, Altern und Tod stehen in einem kosmischen Zusammenhang. Das geistig-seelische Leben des Menschen ist nicht auf die Individualität beschränkt, sondern steht in Beziehung zu höheren Hierarchien. Jeder Mensch ist mit einem Engelwesen verbunden, das ihn durch das Leben führt. Darüber hinaus wirken die Archangeloi, die Volksgeister, und noch höhere Hierarchien auf das Schicksal der Völker und der Menschheit ein. Die Zugehörigkeit zu einem Volk und einer Sprache ist nicht bloß äußerlich, sondern Ausdruck einer geistigen Bestimmung. Dennoch ist es Aufgabe der Zeit, den Kosmopolitismus zu entwickeln, der das Geistige in allen Menschen anerkennt, ohne in Chauvinismus zu verfallen. Die Erziehung muss sich am ewigen Wesen des Menschen orientieren, nicht an bloßen Zeitströmungen. Die Verschiedenheit der Auffassung großer geschichtlicher Ereignisse, wie des Weltkriegs, in Norden und Mitte Europas, entspringt unterschiedlichen geistigen Aufgaben. Die nordischen Völker tragen eine besondere spirituelle Aufgabe, die sich aus ihrer Geschichte und ihrer Beziehung zum Kosmos ergibt. Die Ablehnung des Geistigen führt sowohl im Norden wie in Mitteleuropa zu Verfall und Orientierungslosigkeit. Das Gottesbewusstsein hat sich gewandelt: Im Vater-Bewusstsein lebt das Wissen um den Ursprung, im Christus-Bewusstsein die Erfahrung des Ich und der Überwindung des Todes. Der moderne Atheismus ist ein Krankheitssymptom, das aus dem Verlust des lebendigen Gotteserlebens resultiert. Die intellektuelle Zivilisation hat das Ich-Bewusstsein gestärkt, aber auch von den geistigen Quellen entfremdet. Krankheit und Sünde sind nicht bloß individuelle Erscheinungen, sondern Ausdruck tieferer geistiger Zusammenhänge. Die Begriffe des Vaters und des Sohnes müssen in ihrer geistigen Wirklichkeit neu erfasst werden, um den Christus als außerirdische, kosmische Wesenheit zu erkennen. Der Mensch ist sowohl Erden- als auch Himmelswesen. Die Jugendbewegung ringt um eine lebendige Weisheit, während die ältere Generation im Intellektualismus erstarrt. Das Erleben der Natur war in früheren Zeiten unmittelbarer, heute muss es durch innere Entwicklung neu errungen werden. Die Initiation, wie sie in alten Zeiten möglich war, hat sich gewandelt; das Paulus-Erlebnis vor Damaskus ist ein Beispiel für das neue Erleben des Geistigen. Die Geschichte muss aus der Polarität von „gesund“ und „krank“ verstanden werden, nicht bloß aus äußeren Fakten. Die Sprache, das Alphabet, ist Ausdruck des Menschengeheimnisses. In der griechischen Zeit waren die Buchstaben lebendige Wesenheiten, im Römertum wurden sie zu abstrakten Zeichen. Der Mensch ist Abbild des Weltenkonsonantismus und Weltenvokalismus, sein Name und die Heiligenkalender sind Ausdruck kosmischer Zusammenhänge. Die sieben freien Künste sind Stufen der geistigen Entwicklung. Goethe suchte nach dem griechischen Wesen, nach einer Erkenntnis, die das Geistige in der Welt zu erfassen vermag. Die Vorstellungen des Menschen sind zunächst unwirklich; erst im Willen, in der Tat, wird Wirklichkeit geschaffen. Die Seele wird dem Leibe ähnlich in der Imagination, der Leib der Seele ähnlich in der Inspiration. Im Denken geht das Ich in das Mineralische des Leibes ein, im Wollen hinaus in die geistige Außenwelt. Das Weihnachtsfest ist mehr als ein äußeres Brauchtum. Im Osten entstand der Majabegriff als Gegenüber zur äußeren Welt, im Westen der Ideologiegedanke als Bezug auf das Innere. Buddha hat das Verhältnis zum Tode geprägt, das Kreuz ist Symbolum der Überwindung des Todes durch den Christus. Die Anfangsworte des Johannes-Evangeliums weisen auf die neue Gedankenrealität hin, die durch den Christus-Impuls als Weihnachtslicht in die Menschheit kommt. Das Fest der Taufe Christi im Jordan, das Abendmahl, die Ablösung der Gnosis durch das christliche Gefühl im 4. Jahrhundert, die Oberuferer Weihnachtsspiele – all das sind Ausdruck der Wandlung des Christus-Impulses im Laufe der Geschichte. Die Verbindung des Weihnachtsfestes mit der Wintersonnenwende, die Ablösung der Weisheit durch das Prinzip der Liebe, der Adam-und-Eva-Tag, der Paradiesesbaum, der Gegensatz von Caesar und Christus, das Erkennen der Sonne um Mitternacht: all dies weist auf das tiefere Geheimnis von Weihnachten als Fest der Geburt eines neuen Christus-Impulses. Die Initiation hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Die Griechen erlebten die Farbe Blau, die Erinnyen und das Gewissen als Einweihungserlebnis. Die Entseelung der Natur und das geistfreie Innere des Menschen sind Ausdruck des griechischen Einweihungserlebnisses. Das reine Denken, wie es in der „Philosophie der Freiheit“ angestrebt wird, ist der Weg zur Weiterentwicklung des modernen Bewusstseins. Die Vergeistigung der Sinneswelt, die Vereinheitlichung von Außen- und Innenwelt, die Überwindung der bloßen Zeitlichkeit zugunsten der Ewigkeit – das ist die Aufgabe der Gegenwart und Zukunft. 210) Im gegenwärtigen Bewusstsein des Menschen erscheinen die moralische und die materielle Welt als zwei scheinbar unvereinbare Sphären. Doch ist es die Aufgabe der Initiationswissenschaft, eine Brücke zu schlagen, indem sie die Polaritäten im Menschen selbst aufdeckt: das Luziferische und das Ahrimanische wirken in Leib, Seele und Geist. Im Denken und Wollen begegnet der Mensch diesen Kräften, die sich auch geschichtlich manifestieren – einst wehrte man sich gegen das Luziferische, seit der Neuzeit gegen das Ahrimanische. Doch in der Gefahr der Phrase, wie sie etwa in den Reden Bismarcks oder Robespierres über das Recht auf Arbeit sichtbar wird, zeigt sich, wie das bloß Logische vom lebendig Wahren getrennt werden kann. Initiationswissenschaft verlangt den Weg vom abstrakten Denken hin zum unmittelbaren Erleben der Wahrheit. Die Menschheit ist nach Westen, Osten und Mitte verschieden geprägt. Im Westen herrscht ein anderes Verhältnis zum Göttlich-Geistigen als im Osten, und diese Differenzierung prägt das soziale Leben. Die Christuswesenheit ist der Impuls, der die Menschheit zu einer sozialen Vereinigung führen kann. Im Mysterium von Golgatha begegnet höchste Menschenweisheit – symbolisiert durch die drei Weisen aus dem Morgenland – der Einsamkeit träumender Seelen, wie sie die Hirten auf dem Felde verkörpern. Hier beginnt ein neues Zeitalter, das die alte Weisheit mit neuen Kräften verbindet. Die Entwicklung des religiösen Lebens durch die fünf nachatlantischen Kulturen zeigt, wie sich das Religionsempfinden gewandelt hat. Von der Imagination zur Geosophie, von der Inspiration zur Kosmosophie, von der Intuition zur Philosophie: so schreitet die geistige Entwicklung der Menschheit fort. Die Urimpulse der Traditionen im Osten und Westen vollziehen eine Wirbelbewegung, die das Streben nach wahrer Erkenntnis symbolisiert. Die alten Mysterien waren Ursprung allen geistigen Wissens. Dort begegnete der Einzuweihende dem «Fürsten dieser Welt», der sich gegen das Mysterium von Golgatha stellte. Zwei Hauptmaßnahmen prägten die alten Einweihungen: der Trunk des Vergessens und das Hervorrufen schreckartiger Zustände. Diese Methoden wirkten tief in den physischen Organismus hinein. Im Mittelalter wurde der «widerrechtliche Fürst dieser Welt» als ahrimanische Wesenheit erkannt, deren Wirken sich sowohl in der äußeren Natur als auch im Innern des Menschen zeigt. Im Unterschied dazu verlangt die neue Einweihung eine Umarbeitung des Willens, die sich auf einer anderen Ebene vollzieht. Vor dem Mysterium von Golgatha war der Intellektualismus anderer Art als heute. Der Leib diente als Gedankenapparat. Heute muss der Mensch den Weg zur Imagination aus dem Denken heraus ohne die Hilfe des Leibes suchen. Willensübungen, wie etwa das abendliche Rückwärtserinnern, bereiten auf das richtige Schauen der geistigen Welten vor. Exaktes Denken ist die Grundlage für wahre Imagination, und das Veredeln von Vorempfindungen und Vorurteilen ist eine notwendige Vorstufe. Die menschliche Geist-Seelenwesenheit durchschreitet beim Herabstieg in die physisch-sinnliche Organisation verschiedene Stadien. Der Gedanke im Menschen ist ein Schattenbild des kosmischen Lebens vor der Inkarnation. Das Gehirn bildet den Sternenhimmel nach. Die Furcht vor dem Heruntersteigen in die irdische Welt verwandelt sich in Selbstgefühl und Willen. Der lebendige Gedankenleib entsteht aus Mitfühlen und Selbstgefühl, und beim Durchgang durch die Pforte des Todes werden diese Kräfte umgewandelt. Die dreigliedrige Organisation des Menschen steht in Zusammenhang mit den wiederholten Erdenleben. Der Gedanke ist der Leichnam des Geistig-Seelischen. Die Metamorphose der physischen Organisation spiegelt die vorigen Inkarnationen wider. Das Suchen nach einer Antwort auf das Weltenrätsel zeigt sich im ahrimanisch-abstrakten Denken und in der Wesenheit des Menschen, wie sie im Mysterium von Golgatha offenbar wird. Zwei Strömungen ringen um das Verständnis des Christentums: die heidnische Natur-Sophia und die altjüdische Jahve-Strömung. Der Mensch ist an den Kosmos angeschlossen. Goethe ringt in seinem «Faust» um die Belebung der toten Gedanken durch Imagination, Inspiration und Intuition. Der dreigliedrige Mensch steht in Beziehung zu den vier Elementen und den geistigen Erkenntnisstufen. Die Rettung der Zivilisation verlangt eine Sinnesänderung, wie sie Ruedorffer fordert. Goethe und Calderón ringen um den Geist, und die Christlichkeit der Theologie wird in Frage gestellt. Im Drama und in der Dichtung spiegelt sich der geistige Umschwung der Neuzeit. Shakespeare, Goethe und Schiller stehen im Zeichen dieses Übergangs. In Goethes «Faust» lebt das Nachwirken des Umschwungs vom vierten in den fünften nachatlantischen Zeitraum. Hamlet ist ein Schüler des Faust. Schillers «Räuber» protestieren gegen die intellektualistische Pädagogik. Das ahrimanische und das luziferische Prinzip begegnen sich in den Figuren Karl und Franz Moor. Im Westen, in Mitteleuropa und im Osten zeigen sich unterschiedliche Wege des Ringens. Goethe und Schiller ringen in einer Zeit, in der der Intellektualismus über die alte Geistigkeit siegt. Ihre Zusammenarbeit ist Ausdruck eines gemeinsamen Strebens. In Schillers «Wallenstein» und «Braut von Messina» spiegelt sich Goethes «Faust». Schillers Briefe «Über die ästhetische Erziehung des Menschen» sind Zeugnis einer geistigen Revolution. Goethes Märchen weist den Weg zur Imagination. Die Phantasie wird in der «Hexenküche» gerechtfertigt. Schillers Suchen nach dem Kosmischen zeigt sich in seinen Dramen. Die Entwicklung des Denkens im fünften nachatlantischen Zeitraum wird zur Kraftquelle für die Imagination. Die Sehnsucht nach dem Zugang zur geistigen Welt prägt die moderne Seelenverfassung. In Wolfram von Eschenbachs «Parzival» verändert sich die Fragestellung auf der Suche nach dem Geist. Das Moralische wirkt tief im «Armen Heinrich» von Hartmann von Aue. Die Stimmung im «Parzival» unterscheidet sich von der im «Simplicissimus» des 17. Jahrhunderts. Das Element der Sprache wandelt sich mit dem Umschwung der Zeit. In «Till Eulenspiegel» offenbart sich die geistige Betrachtung der Empfindung. Dorfgeschichten suchen das Wesen des Menschen im Intellektualismus des 19. Jahrhunderts. Das Freiheitsideal bei Schiller und Goethe steht im Zusammenhang mit der Frage, wie der Mensch als soziales Wesen zur Freiheit gelangt. Goethe und Schiller suchen die Verwirklichung der Freiheit auf Erden. «Wilhelm Meister» verkörpert das wahre Menschentum. Schiller denkt über eine «ästhetische Gesellschaft» nach. Der sittliche Takt in der «Philosophie der Freiheit» ist Ausdruck dieses Strebens. Die Hingabe an imaginativ erforschte Wahrheiten wirkt auf Medizin, Kunst und das soziale Leben. Das Einarbeiten in imaginative, inspirierte und intuitive Wahrheiten wird zum Lebensinhalt. Beim Überschreiten der Schwelle zur geistigen Welt begegnet der Mensch dem «Hüter der Schwelle» als realer geistiger Macht. Das unvorbereitete Überschreiten birgt Gefahren. Die Welt jenseits der Schwelle ist eine Bilderwelt, deren Kräfte zerstörerisch wirken können. Der Unterschied zwischen dem Überschreiten der Schwelle im Schlaf und beim Tod ist wesentlich. Die Unsterblichkeit und Ungeborenheit des Menschen sind miteinander verbunden. Die Waldorfpädagogik steht im Zusammenhang mit den Zeitereignissen, und das seelische Verständnis zwischen West und Ost prägt das Wirtschaftsleben. Das Mysterium von Golgatha bleibt der zentrale Impuls. 211) Zwischen Schlafen und Wachen entfaltet sich das Seelenleben des Menschen in drei Zuständen: dem wachen Tagesbewusstsein, dem traumdurchwirkten Schlaf und dem traumlosen Tiefschlaf. Im Traumleben offenbart sich eine eigentümliche Dramatik, die sich nicht allein in den wechselnden Bildern, sondern vor allem im Spannungs- und Lösungserleben zeigt. Diese Trauminhalte sind oft umgestaltete Erlebnisse des Tages, doch das eigentliche Geschehen vollzieht sich im außerleiblichen Sein des Menschen, wenn Ich und Astralleib den physischen und Ätherleib verlassen. Dort, im Schlaf, lebt der Mensch in einer geistigen Welt, deren Erlebnisse dem Tagesbewusstsein verborgen bleiben, aber im Traum als Bild und Gefühl aufscheinen. Die Entwicklung des Bewusstseins führte die Menschheit von einer ursprünglichen, unmittelbaren Wahrnehmung des Geistig-Seelischen zu einem Zeitalter, in dem der Mensch nur noch den Leichnam der Natur erkennt. In alten Zeiten suchten die Menschen durch Übungen, etwa die Inder durch Atemtechniken, ein stärkeres Selbstgefühl und ein lebendiges Denken zu gewinnen. Die Griechen erlebten das Ich in der Tragödie, wo Furcht und Mitleid zur Katharsis führten, und in der Gestalt des Dionysos spiegelte sich das Ringen mit dem Geistigen. Mit dem Mysterium von Golgatha trat eine neue Erfahrung in die Menschheitsentwicklung: die Durchdringung des Todes durch das Christuswesen. Im Atemprozess offenbart sich das Verhältnis des Menschen zur Welt. Das Einatmen entspricht der Wahrnehmung, das Ausatmen der Tätigkeit. In der Weisheit (Sophia) lebt der abgebildete Einatmungsinhalt, im Glauben (Pistis) der geistige Ausatmungsprozess. Die Wissenschaft der Gegenwart betrachtet nur das Irdische, doch das Irdische ist für das Himmlische von Bedeutung. Die alten Mysterien kannten das Geheimnis der Geburt, das Christentum bringt den Göttern das Wissen von Geburt und Tod. Das Weltenwort, das im Ein- und Ausatmen erklingt, hat sich mit der Menschheitsentwicklung gewandelt. Das Haupt ist Abbild des Kosmos, die Strömungen im Brustorganismus spiegeln die Umkreisungen der Erde, in den Gliedmaßen wirken die Erdkräfte. Das Geheimnis des AUM, das in alten Zeiten lebendig war, ist heute im Sprachgebrauch erstarrt. Die moderne Wissenschaft, die Sprache kritisch hinterfragt, erkennt nicht mehr das Geistige im Wort. Das Christentum ist in seiner äußeren Form exoterisch geworden, doch das esoterische Christentum lebt im Erlebnis des Auferstandenen. In ältesten Zeiten gab es keinen Tod; erst mit dem Intellekt kam der Tod in die Welt, getragen von der Macht Ahrimans. Christus wurde gesandt, um Ahrimans Macht zu begrenzen. Das Mysterium von Golgatha ist Ausdruck eines Kampfes unter Göttern, und der Auferstandene lehrte seine Jünger das neue Wissen um Geburt und Tod. Das Damaskus-Erlebnis des Paulus ist die Initiation in dieses Mysterium. Anthroposophie ist Initiationswissenschaft, die aus der Naturwissenschaft hervorgeht, aber darüber hinaus zu exaktem Hellsehen strebt. Durch die Schulung von Denken, Fühlen und Wollen kann der Mensch Imagination, Inspiration und Intuition ausbilden. Die Ergebnisse übersinnlicher Erkenntnis sind dem gesunden Menschenverstand zugänglich. Die Erkenntnis des Christus durch Anthroposophie bewahrt das erstarkte Ich vor dem Sterben des Geistig-Seelischen mit dem Leiblichen. Das Mysterium der Geburt und das der Auferstehung werden so neu erlebbar. Die dreifache Sonne, wie sie in den alten Kulturen verehrt wurde, ist durch das Mysterium von Golgatha auf die Erde gekommen. Die Entwicklung der Menschheit von der urpersischen Zeit bis zu den Griechen zeigt, wie das Sonnenwesen sich in den Kulturen wandelte. In der Gegenwart wirken die ahrimanischen Kräfte, doch durch die Befreiung des Denkens von der Gebundenheit an das Gehirn kann Ahriman überwunden werden. Anthroposophie ist ein Streben nach Durchchristung der Welt. Sie muss sich mit der Wissenschaft auseinandersetzen und die Kluft zwischen Esoterik und Exoterik überwinden. Die Ausbildung des Intellekts ist notwendig, doch die ahrimanischen Kräfte dürfen nicht übermächtig werden. Das kommende lichte Zeitalter verlangt nach einer neuen Verbindung von Erkenntnis und religiösem Leben, nach einer Wiederbelebung des Christentums durch die Erkenntnisse der Geisteswissenschaft. Die verschiedenen Elementarwesen und ihr Verhältnis zu Luzifer und Ahriman werden offenbar, und im Rosenkreuzerspruch lebt das Streben nach geistiger Erneuerung. 212) Im menschlichen Seelenleben lebt ein ständiges Fragen nach dem eigenen Verhältnis zur Welt und ihrer Entwicklung, auch wenn dieses Fragen oft unbewusst bleibt. Das religiöse Streben entspringt diesem tiefen Bedürfnis, sich zum Ewigen in Beziehung zu setzen. Im gewöhnlichen Bewusstsein erscheint die Seele als abgeschlossen, erlebt sich in Vorstellungen, Erinnerungen, Gefühlen und Willensimpulsen, deren Ursprünge im Innersten liegen und sich nicht leicht durchschauen lassen. Doch genügt diese Selbstbeobachtung nicht, um die tiefsten Bedürfnisse zu stillen; es drängt nach einer Verbindung des eigenen Seelenlebens mit dem Ursächlichen, dem Ewigen hinter den Erscheinungen. Das Vorstellen ist ein waches Bilderbewusstsein, während der Wille als eine undurchdringliche Wirklichkeit erscheint. Das Gefühl steht zwischen beiden, es kann sich sowohl nach außen als auch nach innen richten. Die Sinnesorgane zeigen eine gewisse Selbstständigkeit; das Auge etwa nimmt Licht auf, das in das Seelenleben hineinwirkt. Die Lunge ist heute ein Vitalorgan, wird aber in der Zukunft ein Sinnesorgan sein. Die anthroposophischen Wahrheiten sind nicht bloß abstrakte Lehren, sondern Lebenskräfte, die das Seelenleben verwandeln. Die Vitalorgane wandeln sich zu Sinnesorganen. Im Tod wird das Physische unsichtbar, die Bewegungen aber werden sichtbar. Der Tod ist eine Geburt des Willens. Die zukünftige Lunge als Sinnesorgan steht exemplarisch für diesen Wandel. Die Sinnesorgane sind geistige Wesenheiten, und ihre Verbindung mit den Erinnerungsvorstellungen offenbart das wahre Wesen der Seele als tätige Entität. Das übersinnliche Erleben in der Seele hat sein eigenes Schicksal, unterscheidet sich vom gewöhnlichen Seelenleben. Das griechische Drama und das moderne Drama spiegeln unterschiedliche Seelenverfassungen wider. Die Vorstellung kann bloßes Bild oder lebendiger Seeleninhalt sein; die lebendige Seele ist mit der Weltentwicklung verbunden. Die Seelenvermögen und das Bewusstsein entstehen aus dem Traumbewusstsein, wenn der Astralleib in den physischen Leib einzieht. Der Traum ist mit dem Gefühl, etwa Angstträumen, durch den Atmungsprozess verbunden. Ätherleib und Astralleib sind als wässeriger und luftartiger Organismus zu begreifen, der Wärmeorganismus ist ein weiteres Glied. Das Physische ist Abbild des ganzen Menschen. Der Atmungsvorgang prägt das Bewusstsein, das Gehirn ist eine Art Fotografie des Vorgeburtlichen. Das Wässerige, Luft- und Wärmeartige in den Gliedmaßen vermittelt das Seelische mit dem Physischen. Salzablagerungen im Organismus spiegeln das Bewusstwerden des Seelischen; seelische Einseitigkeit führt zu Krankheit. Der feste Organismus, etwa der Knochenbau, ist ein Reflektor des Seelischen. Das Erleben der Außen- und Innenwelt ist geprägt vom „Außer-den-Dingen-Stehen“. In der Imagination erlebt sich eine geistige Außenwelt, in der Inspiration offenbart sich die Herzerkenntnis. Der Gedanke ist dem persönlichen Wesen gegenüber gleichgültig, das Fühlen muss in das Gedankenleben hineingesendet werden. Menschliche Triebe und Instinkte kochen herauf; das Herz wird zum Sinnesorgan. Die Instinkte schlagen zurück, und es wird das vorgeburtliche Menschenerleben möglich. Das Gehirn ist der Leichnam des Seelischen. Zwischen Tod und neuer Geburt wird das Sonnenhafte erlebt, das Leibliche hindert das All-Erleben. Das Mondhafte wirkt auf die Fortpflanzungsfähigkeit, der Mond als „Untersone“ wirkt auf den Leib, die „Übersone“ auf das Seelische. Der Heiligenschein ist Ausdruck dieser Zusammenhänge. Vererbung steht im Gegensatz zum Seelisch-Geistigen. Animalische und seelisch-geistige Wärme sind zu unterscheiden. Die moderne Begriffsbildung zeigt ein mangelndes Interesse für die Innenwelt. Das Kino als Beispiel äußerlicher Wahrnehmung, der Autoritätsglaube prägt die moderne Weltanschauung. Früheres Ideenerleben wich dem exakten Beobachten, heute herrscht ein Phänomenalismus. Die Technik ist die Grundlage der modernen Weltanschauung. Die alten Mysterien prophezeiten das technische Zeitalter. Die „Philosophie der Freiheit“ ist Konsequenz dieser Entwicklung. Das reine Denken wird möglich, die Welt erscheint als ungöttlich. Im Mittelalter herrschte Askese, die Idee vom Sündenfall prägte das Weltbild. Die Kunst rettete die Welt in der Anschauung der Griechen. Die Welt der Maschinen steht der Welt des Kultus gegenüber. Der Untergang der ahrimanischen Welt und der Aufgang des christlichen Wesens sind zentrale Motive. Freiheit und das Ahrimanische, Religion und das Luziferische stehen sich polar gegenüber. Die christlichen Urmysterien verkünden den Christus als Gottheit, die den Erdentod erlitt. Die Lebensalter des Menschen und der Inkarnationsprozess zeigen, wie sich der Ätherleib vor der Verbindung mit dem physischen Leib zusammenzieht und bildet, geprägt von Sternen, Sonne, Mond und Erde. Im zweiten Jahrsiebt verblasst der Ätherleib, die Kräfte strahlen nach innen. Nach der Geschlechtsreife bildet sich das Ätherherz, das eigene, kosmisch gebildete Herz ersetzt das vererbte. Der Astralleib wird beim Eintritt in den Leib undifferenziert, durch bewusste Tätigkeit wieder differenziert. Die Zentralisierung dieser Tätigkeit und ihre Einschaltung in das kosmische Ätherherz bilden die Grundlage des Karma. Das karmische Wirken unterscheidet sich je nachdem, ob der Mensch vor oder nach der Geschlechtsreife stirbt. Der Yogaweg der urindischen Zeit war ein Geistesleben ohne selbständiges Eigenbewusstsein. Die Yoga-Atemübungen weckten ein Selbstgefühl als Rückerinnerung an die Zeit vor der Geburt in der geistigen Welt. Die Bhagavad Gita ist Frucht dieses Erlebens. Aus den mantrischen Sprüchen entstanden die Rhythmen der Dichtung. Moderne Meditationsübungen lösen sich vom Atmungsprozess und wenden sich dem Rhythmus der äußeren Welt zu. Das Selbst als Erinnerung (Yoga) unterscheidet sich vom Selbst des unmittelbaren geistigen Erlebens. Yoga-Übungen der Körperbewegungen finden ihr modernes Korrelat in Gedankenübungen im Raum. Die Askese und die alten Religionen stehen dem modernen Empfinden und dem Weg über die Willenszucht gegenüber. Schmerz wird zum Erkenntniserwecker. Der Verstand wird unschöpferisch, wenn er nicht von einer spirituellen Strömung befruchtet wird. Das Selbstbewusstsein des Yogi und des modernen Menschen unterscheidet sich. Das heutige Denken ist vom Atmungsprozess befreit und ergießt sich in die äußere Welt. Das Erkennen der elementarischen Welt offenbart die Wesen der Erde: Gnomen und Zahl, wässerige Wesen und gefühlsmäßiges Welterleben, Luftwesen und Wollen. Der Intellekt verfällt, die Luftwesen werden Ahriman überlassen. Die Psychoanalyse ist ein Ausdruck dieses „Herunterrutschens“ des Verstandes. Höhere Elementarwesen des Lichtes und des Lebens wenden sich, wenn Spiritualität fehlt, Luzifer zu. Die heutige Wissenschaft ist vergänglich. Der wachende und der schlafende Mensch stehen im Mittelpunkt des Gegensatzes zwischen Osten und Westen. Das Gedankenleben der alten orientalischen Kultur war inspiriert, die Begriffsbildung des modernen Menschen ist eigenständig. Das griechische Denken, etwa bei Sokrates, markiert den Beginn des modernen Denkens. Im Orient wird der schlafende Mensch dargestellt, die Griechen sahen Farben. Der moderne Mensch ist durch seine starke Verbindung mit der Sinneswelt von den Göttern getrennt, daraus entsteht der Gespensterglaube. Die menschlichen Gedanken durchpulsen den Willen nicht mehr. Im Osten wirkt das Götterwirken im Kopf, im Westen in den Gliedmaßen. Die Entwicklung spiritueller Gedanken ist die Zukunftsaufgabe. 213) Es gilt, das Verhältnis zwischen dem Geistig-Seelischen und dem Leiblich-Physischen zu durchdringen. Das Leibliche erscheint dem Menschen unmittelbar durch die Sinne, es ist im Raum ausgedehnt, dreidimensional. Das Geistig-Seelische hingegen entzieht sich der räumlichen Anschauung; es ist nicht im Raum, sondern offenbart sich im inneren Erleben. Das Denken, das Fühlen, das Wollen haben jeweils ihre eigene Beziehung zum Raum: Der Wille wirkt in der Dreidimensionalität, das Fühlen in der Fläche, das Denken in der Linie. Das Ich aber ist dimensionslos, es steht außerhalb des Raumes und ist nur im inneren Erleben zu erfassen. Nur ein innerlich-lebendiges, nicht bloß abstraktes Denken vermag das Geistig-Seelische zu ergreifen. Die Beziehung des Menschen zur Sonne und zum Mond ist nicht nur eine äußere, sondern eine seelische. Das Sonnenlicht wirkt auf das menschliche Seelenleben anders als das Mondenlicht. Sonnen- und Mondenfinsternisse haben ihre Entsprechungen im Seelenleben. In alten Mysterien wurden diese Zusammenhänge geahnt und gepflegt, heute muss die moderne Initiation sie neu erschließen. Die Fragen des Menschen an die Welt und die Antworten, die aus dem Kosmos kommen, sind in den alten Zeiten in Bildern, heute in Begriffen zu fassen. Der Mensch steht im Kosmos als ein Wesen, das durch Wille (Sonne) und Gedanken (Mond) geprägt wird. Die Planetenkräfte wirken auf ihn ein, und die Metalle, die aus diesen Kräften hervorgehen, besitzen Heilwirkungen. Die Erkenntnis des Menschen ist zugleich eine Erkenntnis der Welt, und umgekehrt. Die Planeten stehen in Beziehung zum Seelenleben: Das Leben auf der Erde ist ein Leben unter vielen Menschen in einer Welt; zwischen Tod und neuer Geburt lebt der Mensch in vielen Welten, aber in einer menschlichen Natur. Die irdischen Stoffe – Schiefer, Kalk, Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff – sind nicht nur äußere Substanzen, sondern tragen spezifische Heilwirkungen in sich, die sich aus ihrem kosmischen Ursprung ergeben. Die Naturstoffe sind in ihrer Wirkung auf den Menschen zu begreifen, wenn man ihre Beziehung zum Geistigen erkennt. Im Rückblick auf die Philosophie Franz Brentanos und die scholastische Tradition wird deutlich, wie die moderne Naturwissenschaft sich von den alten Offenbarungslehren entfernt hat. Brentano ringt mit dem Verhältnis von Offenbarung und Infallibilität, seine Psychologie und seine Lehre Jesu sind Versuche, das Geistige im Menschen neu zu erfassen. Die alten Mysterien vereinten Wissenschaft, Kunst und Religion; die moderne Zeit hat diese Bereiche getrennt. Der letzte Versuch einer Vereinigung geschah im deutschen Idealismus – in Fichte, Schelling, Hegel. Brentano erscheint als Faust des 19. Jahrhunderts, der zwischen Wissen und Glaube ringt. Die Philosophie, repräsentiert durch Brentano, Fick und Wähle, steht an einer Schwelle: Sie muss in die Anthroposophie übergehen, um die Begriffe und Ideen neu zu beleben durch Meditation und Konzentration. Die naturwissenschaftliche Gesinnung des 19. Jahrhunderts, wie sie auch in Nietzsche erscheint, ist geprägt von Zweifel und Überzeugung. Um die menschliche Wesenheit zu verstehen, ist es notwendig, die Dreigliederung des Organismus zu erkennen. Die Geisteswissenschaft hat die Aufgabe, das Verhältnis von Mensch und Welt neu zu erfassen. Die Offenbarungserkenntnis des Urchristentums hatte ihren Ursprung in der Initiation. Mit dem Untergang dieser Initiationsweisheit im 4. Jahrhundert, mit dem Übergang von Plato, Aristoteles, Plotin, Ammonius Sakkas, Jamblichos und Julian Apostata zu Rom, wurde das alte Initiationsprinzip verdrängt. Rom kämpfte gegen die geistige Erkenntnis, die im Christentum lebendig war. Das Zeitbewusstsein der letzten fünfzig Jahre zeigt sich in den Werken von Paul Heyse, Du Bois-Reymond, Herman Grimm und Franz Werfel. Die Symptome der Zeit weisen auf die Notwendigkeit, das Geistig-Seelische des Menschen in Beziehung zur geistig-seelischen Umgebung zu setzen. Das kosmische Anschauen der Welt durch Imagination, Inspiration und Intuition führt zu einer neuen Erkenntnis von Pflanzen, Tieren und Menschen im Zusammenhang von Kosmos und Erde. Der Blick auf Gregor Mendel, charakteristisch für das 19. Jahrhundert, zeigt, wie die Wissenschaft das Geistige im Natürlichen sucht. 214) Im Anblick des verschütteten Geisteslebens der ersten christlichen Jahrhunderte wird offenbar, wie wenig von dem, was damals als lebendige Erkenntnis des Geistigen wirkte, in die Gegenwart herüberklingt. Die Theologie, wie sie heute verstanden wird, ist ein Produkt jener dunklen Jahrhunderte nach dem Mysterium von Golgatha, geprägt durch den Bruch mit der ursprünglichen Initiationswissenschaft. In den ersten Jahrhunderten war das Verhältnis zur geistigen Welt ein unmittelbares, innerlich schauendes; später wurde es zu einem bloßen Nachbild, einer äußeren Wissenschaft, die das innere Leben nicht mehr durchdringen kann. Die alten Initiationskräfte wurden gezielt ausgelöscht, etwa durch das Wirken eines Kollegiums in Italien, das die Verbindung zur geistigen Welt unterband. Doch in den nach Süden einströmenden nordischen Völkern lebte noch ein anderes Verhältnis zum Geistigen, insbesondere zu den Toten, fort. Ausgewählte Tote wirkten als Hüter des Heiligen Grals, ihre Kraft offenbarte sich durch die Ritter des Schwanenordens, wie es die Lohengrin-Sage schildert. Die mittelalterliche Theologie, die Scholastik, entfernte sich immer weiter von der ursprünglichen Schau, und die sieben freien Künste wurden zum Ersatz für das verlorene Initiationswissen. Goethes Anschauung der Naturreiche mit beweglichen Begriffen eröffnet einen neuen Zugang zur Welt: Die Pflanze wird durch Imagination, das Tier durch Inspiration, das menschliche Ich durch Intuition erfasst. In der Menschengestalt offenbaren sich die verschiedenen Wesensglieder: physischer Leib, Ätherleib, Astralleib, Ich. Die alten mythologischen Tiergestalten, Sphinx, Taube, Lamm, sind inspirierte Imaginationen des alten Hellsehens, Ausdruck der Verbindung von Mensch und Kosmos. Die Glaubenskämpfe des Mittelalters, wie sie im Prädestinations- und Abendmahlstreit aufbrechen, wurzeln in der Gegensätzlichkeit von Vernunft- und Offenbarungserkenntnis, die bis in die Gegenwart fortwirkt. In der Auseinandersetzung zwischen Schiller und Goethe zeigt sich das Nachwirken dieser alten Gegensätze. Das Geheimnis der Trinität offenbart sich im vollbewussten menschlichen Ich: Das Vaterprinzip wirkt als lebendige Kraft des Kosmos, das Sohnesprinzip als heilende Kraft für den verfallenden Leib, die Sendung des Heiligen Geistes als Möglichkeit, das Übersinnliche zu begreifen. Ohne die Trinität bleibt das Christus-Mysterium unverständlich. Im Wandel der Zeiten verändert sich das Verhältnis zwischen Ich, Astralleib, Ätherleib und physischem Leib, und damit auch die Erinnerung. In alten Zeiten war die Göttererkenntnis lebendig, heute herrscht das kopfgebundene, intellektualistische Wahrnehmen vor. Doch das neue Christus-Erlebnis führt zu einer Verwandlung der Erinnerung, die auch im nachtodlichen Dasein wirksam ist. Oswald Spenglers materialistische Mystik und seine Ratlosigkeit gegenüber der Maschine zeigen die Notwendigkeit, zum imaginativen Denken zu erwachen, um die Bedeutung des maschinellen Lebens für die Weltentwicklung zu erkennen. Die Gedankenentwicklung der Menschheit ist Erziehung zur Freiheit, und seit dem 16. Jahrhundert wirken Elementargeister, die mit dem sozialen Leben verbunden sind. Die Methode der übersinnlichen Forschung verlangt eine Schulung des Gedankenlebens, die zur Imagination, Inspiration und Intuition führt. Die Rückschau-Übung offenbart den Ätherleib als Zeitleib, das Gedächtnis wird umgewandelt, Unsterblichkeit und Ungeborenheit werden erlebt, und physische und moralische Weltordnung werden eins. Das Leben zwischen Tod und neuer Geburt zeigt sich als Umstülpungsprozess, der Herabstieg zur Wiedergeburt ist Geschichte als Seelengeschichte. Die Verbindung mit den Toten ist an die Sprache gebunden, der Aufbau der Menschenform folgt den Sternkonstellationen. Die alten Initiationswissenschaften wurden ausgelöscht, Wissen wurde zu Glauben, die Ich-Vorstellung zum Zentrum. In der Zukunft wird das doppelte Auge zum einheitlichen geistigen Auge umgebildet werden. Das Mysterium von Golgatha ist der Sinn des ganzen Erdenseins. Die Seelenverfassung des vorchristlichen Menschen war vom Vaterprinzip geprägt, Sünde und Krankheit waren eins, die Therapeuten heilten durch das Geistige. Die Mysterien kündigten das Kommen des Christus an, nach seinem Tod verbanden sich die Jünger geistig mit ihm. Die heutigen Gedanken sind tot, sie werden durch den lebendigen, heilenden, Heiligen Geist auferweckt. Im Schlaf werden die Planetenbewegungen und Fixsternkonstellationen nacherlebt, das Herz wird zum Wahrnehmungsorgan. Christus führt durch die Tierkreissphäre, das eigene Karma wird erlebt. Die Initiationswissenschaften des Orients, der Griechen und der Neuzeit unterscheiden sich, doch in der Herzenssprache wird die Beziehung zu den Toten wiedergewonnen. Die rhythmischen Beziehungen zwischen Himmel und Erde werden erkannt, die Geschichte wird durch die Verbindung von Herz und Geist durchdrungen. 215) Der Weg der anthroposophischen Erkenntnis verlangt drei Schritte: Zuerst das aufmerksame, exakte Beobachten und Durchdringen des eigenen Denkens, das sich nicht mit bloßen Gedankeninhalten begnügt, sondern die Tätigkeit des Denkens selbst zum Gegenstand macht. In dieser inneren Aktivität offenbart sich das Geistige, das nicht bloß ein Schatten der äußeren Welt ist, sondern ein lebendiges, schöpferisches Element. Wer sich auf diesen Weg begibt, erfährt, dass das Denken selbst ein Tor zum Geistigen ist, dass im bewussten, wachen Erleben des eigenen Denkens der erste Zugang zur übersinnlichen Welt liegt. Das Fühlen und das Wollen werden als weitere Seelenkräfte erkannt, die durch Übung verwandelt werden können. Das Fühlen, das sonst von Sympathie und Antipathie durchzogen ist, wird durch bewusste Seelenübungen gereinigt, so dass es sich von persönlichen Regungen löst und offen wird für das objektive Erleben geistiger Wirklichkeiten. Ebenso wird das Wollen, das im Alltag meist unbewusst bleibt, durch innere Schulung ins Bewusstsein gehoben, so dass der Mensch die verborgenen Quellen seiner Willensimpulse erkennt und verwandelt. Durch diese Seelenübungen gelangt man zu imaginativer Erkenntnis, in der Bilder aus der geistigen Welt lebendig werden. Diese Imaginationen sind keine bloßen Phantasien, sondern Ausdruck einer höheren Wirklichkeit, die sich dem gereinigten Seelenblick offenbart. Die nächste Stufe ist die Inspiration, in der der Mensch die geistigen Wesenheiten hinter den Bildern vernimmt, und schließlich die Intuition, in der er mit diesen Wesenheiten unmittelbar verbunden ist und aus ihrem Wesen heraus handelt. Die Geistesforschung verlangt eine ebenso strenge Exaktheit wie die Naturwissenschaft, doch richtet sie diese Strenge auf die innere Schulung des Menschen selbst. Während die Naturwissenschaft die äußere Welt erforscht, bereitet sich der Geistesforscher durch innere Disziplin und Klarheit darauf vor, das Geistige wahrzunehmen. Diese exakte Clairvoyance unterscheidet sich grundlegend von unscharfer Mystik oder von einem bloßen Anknüpfen an alte okkulte Traditionen. Der Mensch erlebt in Schlaf und Tod eine Loslösung von der physischen Welt. Im Schlaf tritt das Ich mit dem astralischen Leib aus dem physischen und ätherischen Leib heraus, bleibt aber in der Regel unbewusst. Durch Schulung kann das Bewusstsein auch in diesen Zuständen erhalten werden, so dass der Mensch das Leben zwischen Tod und neuer Geburt erkennt. Hier begegnet er der geistigen Welt, den Wesenheiten, die sein Schicksal und seine Entwicklung lenken. Im Zentrum der Menschheitsentwicklung steht das Christus-Ereignis. Der Christus-Impuls wirkt als reale geistige Kraft in der Menschheitsgeschichte und im individuellen Schicksal. Durch das Mysterium von Golgatha wurde dem Menschen die Möglichkeit gegeben, das Ich-Bewusstsein zu ergreifen und sich bewusst mit der geistigen Welt zu verbinden. Das Erleben des Todes und die Überwindung der bloß irdischen Existenz werden im Lichte des Christus-Impulses zu einem Weg der Bewusstseinsverwandlung und der Erneuerung des Ich. Das Schicksal des Ich-Bewusstseins ist eng verknüpft mit dem Christus-Problem. Das Ich, das sich im Erdenleben entwickelt, steht in Beziehung zu den geistigen Kräften, die durch Christus in die Menschheit eingetreten sind. Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, wie das Ich diese Verbindung ergreift und in sich verwirklicht. Die Schulung des Willens führt schließlich dazu, dass der Mensch nicht nur erkennt, sondern auch aus dem Geistigen heraus handelt. Der Wille wird zum Träger des Geistigen auf Erden, zur Kraft, die das Ich mit der geistigen Welt verbindet und die Entwicklung der Menschheit bewusst mitgestaltet. 216) Nach dem Tod tritt der Mensch aus seinem physischen Leib heraus und erlebt zunächst eine Ausdehnung seines Bewusstseins in die Weltenweiten. Die Kopforganisation, die im irdischen Leben das Denken vermittelt, verliert ihre Wirkung, doch die Gedanken bleiben, nun von einer neuen Lebendigkeit durchdrungen. Sie sind nicht mehr an das Haupt gebunden, sondern weisen hinaus in den Kosmos. Nach dem Ablösen des ätherischen Leibes werden diese Gedanken heller, und der Mensch erkennt, wie sie ihn in die geistigen Regionen führen. Der Übergang in die geistige Welt vollzieht sich auf den Bahnen, die von der Pflanzenwelt der Erde ausgehen. Nicht die physischen Pflanzen, sondern ihre geistigen Fortsetzungen, spiralförmige Gebilde, durchziehen die Sphären und bilden die Wege hinaus in die Planetensphäre. Getragen wird der Mensch dabei von den Ideen der Mineralien, insbesondere der Metalle, die ihn zu den entsprechenden Planeten führen. So durchlebt die Seele nach dem Tod die Geheimnisse des Mineral- und Pflanzenreiches in einer Fülle und Majestät, die alles Irdische übertrifft. In der Planetensphäre wirkt zudem die Mondensphäre, deren Kräfte in den ersten Zeiten nach dem Tod besonders stark sind. Hier begegnet der Mensch einer geistigen Wesenheit, die aus den moralisch-geistigen Werten seines vergangenen Lebens gebildet ist – eine lebendige Photographie des eigenen Wesens. Zugleich erlebt er die Welt der Elementarwesen, die zwischen dumpfem Traumzustand und hellem Bewusstsein pendeln und in Beziehung zum irdischen Tierreich stehen. Im Zusammenhang mit den göttlich-geistigen Wesenheiten zeigt sich, dass der Mensch nicht isoliert ist, sondern in ein Geflecht geistiger Hierarchien eingebunden bleibt. Die Entwicklung der Menschheit ist ein fortwährender Dialog zwischen dem Irdischen und dem Geistigen, zwischen den Kräften der Vergangenheit und den Impulsen der Zukunft. Die großen Kulturen der Menschheitsgeschichte – von Ur-Indien über Ägypten und Griechenland bis in die Gegenwart – spiegeln verschiedene Stufen dieses Dialogs wider. Jede Epoche bringt eine besondere Beziehung zur geistigen Welt hervor, und die Aufgaben der Gegenwart bestehen darin, das abgestorbene, abstrakte Denken zu überwinden und das Bewusstsein wieder zu verlebendigen. Die alten Kultusformen, wie sie etwa in Ägypten gepflegt wurden, hatten die Aufgabe, die Verbindung zur geistigen Welt zu erhalten. Doch sie sind heute erstarrt, und es gilt, neue Wege zu suchen, um das Geistige zu erschließen. Der Kultus der Zukunft muss aus einem lebendigen Bewusstsein hervorgehen, das den Menschen in schöpferischer Weise mit den geistigen Kräften verbindet. Nur so kann die Erde ihre Bestimmung erfüllen und der Mensch seinen Platz im kosmischen Werden einnehmen. Die Notwendigkeit, das Denken zu verlebendigen, ist die zentrale Aufgabe der Gegenwart. Das tote, abstrakte Denken muss durchdrungen werden von einer neuen Geistigkeit, die aus dem Innersten des Menschen hervorgeht. Dies ist der Weg zu einer neuen Erschließung der geistigen Welt, die nicht in alten Formen verharrt, sondern schöpferisch und zukunftsweisend ist. So wird das weltgeschichtliche Werden der Menschheit zu einem bewussten Mitgestalten am großen Werk der Schöpfung. 217) Die Kluft zwischen der älteren und der jüngeren Generation ist heute so tief wie nie zuvor. Die Seelensprachen beider Gruppen sind grundverschieden, denn die ältere Generation trägt noch die konservierten Formen des Mittelalters in sich, während die jüngere vom westeuropäischen Materialismus geprägt ist, der in Mitteleuropa eingedrungen ist. Die Kraft der Gedanken, die einst das Herz und den Willen durchpulste, ist geschwunden. Es herrschen Gedankenlosigkeit, Gesinnungslosigkeit und Willensschwäche. Die Wissenschaft strebt bewusst nach herzlosen Gedanken, doch die Menschheit sehnt sich nach Gedanken, die aus dem Zentrum des Menschenwesens strömen. Die Wissenschaftler haben es besonders schwer, die wahren Forderungen der Zeit zu erfassen, weil sie sich von der lebendigen Geistigkeit entfernt haben. Die Hochschuljugend sucht nach führenden Persönlichkeiten, doch die Universitäten sind zu reinen Forscheranstalten geworden, in denen die Menschlichkeit der Wissenschaft verloren ging. Die Aufgabe der Erziehung ist es, dem Menschen zu ermöglichen, auf natürliche Weise alt zu werden. Früher trug der Mensch seelische Erbschaften in sich, heute steht er seelisch vor dem Nichts, weil der Zusammenhang mit der geistigen Welt verloren ging. Die Waldorfpädagogik ist keine Methode, sondern eine Kunst, das im Menschen Verborgene zu wecken. Der Intellekt kann das Mysterium von Golgatha nicht erfassen, doch im Innersten der Seele lebt das Streben, es zu verstehen. Die geistige Welt muss mit neuen Kräften erlebt werden, denn die alten Erbschaften sind aufgebraucht. Auch das Gemeinschaftsstreben der Jugend wurzelt in diesem Impuls: Das Bewusstsein verlangt nach Erweckung. Die Frage lautet: Wie finden wir in uns selbst das Geistige? Der heutige Mensch lebt nur im Wachbewusstsein, während früher das Schlafbewusstsein noch in den Tag hinüberwirkte. Die alten Wahrnehmungen der Stoffe waren ätherisch, heute ist das Denken ein Produkt des Gehirns, ein totes Denken, das von einem lebendigen abgelöst werden muss. Die Ergebnisse des toten Denkens können nicht in den Schlaf hinübergenommen werden. Die Theosophie kann sogar materialistisch vertreten werden, wenn sie nicht vom Geist durchdrungen ist. Erst aus innerem Durchdrungensein mit Geistigkeit kann die Gegenwartskultur wieder lebendig werden. Die Philosophen sind Thermometer des geistigen Zustandes ihrer Zeit. Spencer zeigt, dass ethische Unterscheidungen nur noch an die Gesellschaft angepasst sind, während die „Philosophie der Freiheit“ offenbart, dass nur noch die moralischen Intuitionen des Einzelnen maßgeblich sind. Nietzsche erkennt, dass die Ideale seiner Zeit zu Phrasen geworden sind, und sucht den lebendigen Geist, den er im Intellekt nicht findet. Die Jugend sucht Wahrheit, ein unmittelbares Verhältnis von Mensch zu Mensch und Geistigkeit im Alltag. Phrase, Konvention und Routine müssen durch Wahrheit und Geistigkeit überwunden werden. Die moralischen Intuitionen sind nicht mehr gegeben, sondern müssen errungen werden. Die Uroffenbarung ist versiegt, nur das aktive Denken führt in die moralische Phantasie. Das intellektualistische Denken ist wie ein Leichnam, das lebendige Denken ist wie der lebendige Mensch. Die Jugend kann nicht durch das intellektualistische Erbe der Älteren erzogen werden. Wir müssen die lebendige Weisheit der Kindheit in das abgestorbene Denken hineintragen. Die Jugendbewegung besteht darin, dass Kindheit, das heißt Geistigkeit, in das spätere Alter getragen wird. Daraus entsteht eine Geisteswissenschaft, in der Anthropologie zur Anthroposophie wird. Die Zeit verlangt eine neue pädagogische Haltung, die aus dem Bewusstsein des vorirdischen Seelendaseins entspringt. Die Lösung des Weltenrätsels liegt im Satz „Mensch, erkenne dich selbst“. Die Welt ist die Frage, der Mensch die Antwort. Die alten sittlichen Impulse müssen verwandelt werden: nach innen sittliche Liebe, nach außen Vertrauen. Das Glück des Vertrauens und der Schmerz des Misstrauens werden in der Zukunft wachsen. Menschenkenntnis muss der Grundnerv der Pädagogik werden. Durch erarbeitete moralische Intuitionen wird das Leben wieder religiös durchdrungen. Dem Kind muss mit Gottvertrauen begegnet werden. Die Jugendbewegung muss schöpferisch nach vorne blicken und nicht nur aus Opposition bestehen. Die Jugend leidet an einer entgegengesetzten Müdigkeit, weil die Wissenschaft keine innere Anteilnahme mehr verlangt. Die Spaltung in Wissenschaftler und Mensch ist heute streng. Im Unterricht muss das künstlerische Element herrschen, denn die Wahrheit kann nur durch Schönheit erobert werden. Der Mensch kann nicht intellektualistisch verstanden werden, schon das übersinnliche Glied, der Ätherleib, verlangt ein künstlerisches Seelenerlebnis. Die wahre Jugendbewegung ist nicht Opposition, sondern schöpferische Erneuerung aus dem Geistigen. 217a) Die Jugend steht heute vor einer Aufgabe, die tief in die geistigen Strömungen unserer Zeit eingreift. Es ist nicht mehr möglich, in alten Formen der Wissenschaft und des Lebens zu verharren; es verlangt nach einer Erneuerung, nach einer Durchdringung des wissenschaftlichen Lebens mit wahrhaft menschlichen Impulsen. Die Jugend trägt in sich einen Drang nach Freiheit, nach einer Erkenntnis, die nicht bloß äußerlich bleibt, sondern das Innerste des Menschen ergreift und verwandelt. Es gilt, das wissenschaftliche Streben von bloßer Abstraktion zu befreien und mit dem lebendigen, künstlerischen Element zu durchdringen, so dass Erkenntnis zur Tatkraft wird, zur schöpferischen Gestaltung des Lebens. Die gegenwärtige Zeit fordert, dass die Jugend nicht nur Wissen anhäuft, sondern dass sie das Wissen in sich zum Leben erweckt. Die Gefahr besteht, dass das wissenschaftliche Leben in leere Begriffsakrobatik erstarrt, wenn es nicht von innen heraus mit Geist und Herz erfüllt wird. Es ist notwendig, dass die Jugend erkennt: Die wahre Wissenschaft ist nicht bloß ein Sammeln von Tatsachen, sondern ein Weg zur Menschwerdung, zur Durchdringung des Daseins mit Sinn und Bedeutung. Die Jugendbewegung ist Ausdruck eines tiefen Bedürfnisses nach Erneuerung. Sie sucht nach Wegen, das Geistige wieder in das Leben hineinzutragen, das Verlorene zu suchen, das in den äußeren Formen der Kultur erstarrt ist. Die Jugend muss lernen, die Kräfte, die in ihr wirken, zu erkennen und zu gestalten, damit sie nicht in bloßem Protest verharrt, sondern schöpferisch an der Zukunft baut. Es ist eine Aufgabe, die nicht durch äußere Programme gelöst werden kann, sondern durch innere Arbeit, durch die Pflege des eigenen Seelenlebens und durch die Verbindung mit den geistigen Quellen des Daseins. Die anthroposophische Bewegung bietet der Jugend die Möglichkeit, sich in freier, geistiger Arbeit zu betätigen. Es ist notwendig, dass die Jugend an den Universitäten und in der Gesellschaft Räume schafft, in denen echtes geistiges Streben gepflegt werden kann, in denen das Menschliche im Wissenschaftlichen zur Geltung kommt. Die Jugend soll sich nicht absondern, sondern in lebendiger Gemeinschaft mit den älteren Generationen stehen, um gemeinsam an der Erneuerung des geistigen Lebens zu arbeiten. Die Gründung der Jugendsektion innerhalb der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft ist ein Schritt, um diesen Impuls zu verwirklichen. Es geht darum, einen Ort zu schaffen, an dem die Jugend ihre Fragen, ihre Sehnsucht nach Sinn, nach Wahrheit und nach geistiger Vertiefung ernst nehmen und gemeinsam an einer neuen Kultur arbeiten kann. Die Jugend ist berufen, das Leben der Welt in seinen Fundamenten neu zu gründen, indem sie die verlorengegangenen wirksamen Kräfte der Natur und des Geistes wiederfindet und in das soziale Leben hineinträgt. So erhebt sich die Forderung, dass die Jugend nicht nur Empfänger von Traditionen ist, sondern Träger eines neuen, schöpferischen Geistes. Sie soll den Mut haben, neue Wege zu suchen, das Alte zu verwandeln und das Leben aus dem Geist heraus zu erneuern. Nur so kann eine Zukunft entstehen, in der das Menschliche, das Geistige und das Künstlerische in einer neuen Harmonie zusammenwirken. 218) Zwischen Schlaf und Wachen vollzieht sich ein ständiger Wandel im Menschen. Im Schlaf löst sich das Ich und der Astralleib vom physischen und Ätherleib. In dieser Loslösung durchlebt die Seele drei Stadien: Zunächst ein unbestimmtes Suchen nach dem Geistigen, das im Tagesleben als das Vermögen erscheint, Einzelnes mit Allgemeinem in Beziehung zu setzen. Dann folgt ein Stadium, in dem durch die Begegnung mit planetarischen Kräften eine Erfrischung des Blutes und der Atmung bewirkt wird. Im dritten Stadium begegnet die Seele den Kräften der Fixsterne, was sich im Tagesleben als Anfeuerung der Ernährungsprozesse äußert. Durch die Mondenkräfte wird der Mensch schließlich zurückgeführt zum Erwachen. Zwischen Tod und neuer Geburt lebt das Geistig-Seelische des Menschen in einer Welt, die nur durch imaginative Erkenntnis zugänglich ist. Hier wird offenbar, wie der Mensch mit dem gesamten Kosmos verbunden ist. Die moralische Qualität des irdischen Lebens wirkt in der geistigen Welt nach, gestaltet das Ich und bereitet die nächste Inkarnation vor. Die Sphären von Mond und Sonne, das Christus-Ereignis, all dies sind reale Kräfte, die das nachtodliche und das zukünftige Leben durchdringen. Im menschlichen Organismus wirken geistige Zusammenhänge: Das Sehen ist nicht bloß ein physischer Vorgang, sondern Ausdruck der Begegnung von Ich und Astralleib mit Ätherleib und physischem Leib. Im Haupt wirken gestaltende Kräfte, im Nierensystem auflösende. Das Gedächtnis bildet sich im Wechselspiel zwischen Verfestigung und Auflösung. Die Rhythmen des Lebens spiegeln sich in den Organen wider, und ihre Störung kann zu Krankheit führen. Die Verdauung ist ein Prozess, in dem das Ätherische und Astralische der Nahrung abgetötet wird; der menschliche Ätherleib belebt die Stoffe neu, Sauerstoff macht sie erdenhaft. Die Niere durchdringt die Stoffe mit Astralität, das Kopfsystem und der Stickstoff formen die Organe, das Ich ergreift das Ganze durch das Leber-Gallen-System und den Wasserstoff. Krankheiten entstehen, wenn diese Systeme nicht harmonisch zusammenwirken. Die Milz steht als Organ des Geistselbst mit dem Schwefel in Zusammenhang. Im Wandel der Zeiten ändert sich das Verhältnis des Menschen zum Licht, zu Krankheit und Gesundheit. Das Christus-Ereignis bringt eine neue Lebendigkeit in das tote Licht, eröffnet neue Erkenntnismöglichkeiten. Im Schlaf und im Leben zwischen Tod und neuer Geburt wirken planetarische und Fixsternkräfte auf den Menschen ein. Die moralischen Taten auf Erden schaffen einen zweiten Menschen, der durch das Christus-Ereignis Hilfe und Führung erfährt. Im Schlaf bleibt das religiöse und moralische Bewusstsein im physischen Leib zurück, wodurch ahrimanische Kräfte Zugang finden. In der Vorbereitung auf ein neues Erdenleben wirken die Planetenkräfte: Der Mond bestimmt das Geschlecht, die Venus die Familie, der Merkur das Volk. Luziferische und ahrimanische Wesenheiten ringen um die Natur des Menschen. Die einen wollen ihn zum moralischen Automaten machen, die anderen ihn an die Erde binden. Die Jahve-Mond-Wesenheit wirkt regulierend auf die Instinktnatur. Die Kräfte der höheren Planeten stehen im Kampf mit den luziferischen Wesen. Krankheiten können als Rettung vor dem Verfall an diese Wesenheiten erscheinen. Die Christus-Kraft wirkt versöhnend. Nach dem Tod löst sich der Ätherleib auf, die Mondenkräfte tragen das Karma. Das Rückwärtserleben nach dem Tod führt durch die Planetensphären, bis der Drang nach einem neuen Erdenleben entsteht. Die Christus- und Michael-Kräfte helfen, den Erdenleib für die Zukunft vorzubereiten. Die exakte Erkenntnis übersinnlicher Welten verlangt ein intensives Leben in reinen Gedanken, die Entwicklung eines Zeitleibes, das Erleben der Bilderwelt des Ätherleibes nach dem Tod. Durch Willensschulung wird eine höhere Bewusstseinsstufe erreicht, die ideelle Magie ermöglicht. Nach dem Tod lebt die Seele unmittelbar mit den ihr verbundenen Seelen zusammen. Das Verhältnis zu Christus vertieft sich durch Erkenntnis. In alten Zeiten führten die Mysterienlehrer die Menschen zur geistigen Welt, heute führt der anthroposophische Schulungsweg zur Freiheit. Der Christus kann in sich selbst gefunden werden, sowohl vom Eingeweihten als auch vom naiv Frommen. Die Entwicklung des Menschen verläuft in drei Lebensepochen. Bis zum siebten Jahr lebt das Kind in Nachahmung, nach dem Zahnwechsel in Hingabe an die Autorität des Erziehers. Die moralische Erziehung wandelt sich zum Bildhaften, das intellektuelle Erfassen des Moralischen tritt im dritten Lebensjahrsiebt hinzu. Ziel ist die moralisch freie Persönlichkeit. Die Erziehungskunst verlangt Erkenntnis des Seelischen und Geistigen im Kind. Die Umgebung wirkt auf die Bildung des Organismus, Nachahmung und Vererbungskräfte sind bedeutsam. Nach dem Zahnwechsel ist die seelische Hingabe an den Erzieher entscheidend. Die Eurythmie wirkt pädagogisch und gesundheitlich. Ziel der Erziehung ist der freie Mensch. Das Erdenleben ist Abbild des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt. Moral und Freiheit auf Erden sind Erinnerungen an das vorgeburtliche Erleben der Hierarchien. Erinnerung und Liebe wirken in Sprache, Ton und Kunst. Kunst verbindet Religion und Wissen. Im ätherischen Kosmos erlebt der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt die Hierarchien und sich selbst im rhythmischen Wechsel. Der Geistkeim für den nächsten physischen Leib wird gestaltet, die Planetenkräfte wirken beim Herabstieg zur Erde. Geisteserkenntnis im irdischen Leben schafft Licht für das nachtodliche Dasein. Das Hören, Sprechen, Singen, Gehen und Denken wurzeln in übersinnlichen Prozessen. Die Ohrbildung ist Metamorphose des ganzen Menschen, die Extremitäten sind frühembryonal Ohranlagen. Nach dem Tod werden die Bewegungen als Tonwelt erlebt, das Gedächtnis und die Liebefähigkeit entstehen. Die Erkenntnis des Geistes führt zur vollen Verantwortung des Menschen. 219) Zwischen dem Tod und einer neuen Geburt lebt der Mensch in einer geistigen Welt, in der er ein weit umfassenderes Bewusstsein besitzt als im irdischen Dasein. Dort ist das, was auf Erden als Außenwelt erscheint, das eigentliche Innere des Menschen: Die Sternenwelt wird zum eigenen Inneren, die Wesenheiten der Sterne wirken wie die eigenen Organe. In Zusammenarbeit mit höheren Hierarchien wird in dieser Zeit der Geistkeim für den künftigen physischen Leib ausgearbeitet, ein geistiges Gebilde, das alle Kräfte zur Gestaltung des nächsten Erdenlebens in sich trägt. Auf der Erde offenbart sich das Menschsein im Gehen, Sprechen und Denken. Diese Fähigkeiten haben ihre Entsprechungen im Leben zwischen Tod und neuer Geburt: Das Gehen entspricht der Orientierung zu den Wesen der höheren Hierarchien, das Sprechen dem inneren Ertönen des Weltenwortes, das Denken dem geistigen Aufleuchten der Weltgedanken. Die Planetenkräfte wirken dabei unterschiedlich: Der Saturn befreit von den irdischen Bindungen, der Mond führt hin zum Irdischen, die Sonne gibt die Kraft zur Umkehr aus dem Geistigen ins Irdische. Im Jahreslauf und im Tagesrhythmus spiegeln sich kosmische Gesetze wider. Im Winterschlaf öffnet sich das Ich und der Astralleib für die weitenden Imaginationen der Sonnengeister, Engel und Erzengel blicken durch diese geöffneten Fenster auf die Menschen. Im Sommerschlaf dagegen umhüllen die Pflanzenimaginationen das Ich und den Astralleib dichter. Die Gedanken der Menschen werden nachts von Elementarwesen belauscht, die Gefühle werden durch den Jahreslauf geregelt, der Wille aber bleibt unreguliert und trägt seine kosmische Bedeutung durch die Todespforte. Im Schlaf kämpfen ahrimanische und luziferische Wesen um den Menschen. Die ahrimanischen Wesenheiten weben einen Ätherleib, der über das Erdenende hinaus bestehen will, und werden durch Krankheit, Irrtum und Egoismus zerstört. Luziferische Kräfte streben danach, den Menschen zum moralischen Automaten zu machen, ohne Freiheit, ohne Erdverbundenheit. Diese Kämpfe spiegeln sich auch in den modernen Auffassungen des Christus wider, als bloße Mythengestalt oder als schlichter Mensch. Zwischen Tod und neuer Geburt erlebt der Mensch einen geistigen Rhythmus: Hingabe an die Hierarchien und In-sich-Leben wechseln einander ab. Im irdischen Leben erscheinen diese Rhythmen als Liebe und Gedächtnis. Das gesunde Nacherleben dieses Rhythmus in der geistigen Welt begründet das Freiheitsgefühl, das kranke Nacherleben führt zum Egoismus. Die Geisteswissenschaft ermöglicht das Verständnis von Moralität und Unmoralität als reale Kräfte, die nach dem Tode in der geistigen Welt wirken. Elementarwesen begleiten die Gedanken der Menschen. Manche machen die Gedanken bleibend, sind aber selbst Toren, andere tragen das Künstlerische, sind aber urhässlich und werden von Undinen und Sylphen bekämpft. Eine dritte Art lebt in der Wärme, verbirgt sich schamhaft im Menschen und schenkt Enthusiasmus für das moralisch Gute. Diese Wesenheiten waren auf dem alten Mond sichtbar, werden aber erst in der Zukunft für die Sinne wahrnehmbar. Die Verbindung des Menschen mit den Göttern war in früheren Kulturzeiträumen selbstverständlich. Mit dem Aufkommen der Raumesvorstellung seit dem 15. Jahrhundert ging diese Verbindung verloren. Im jetzigen Michaelzeitalter besteht die Aufgabe darin, das reine Raumeswissen zu vergeistigen und so die Brücke zur göttlich-geistigen Welt neu zu schlagen. Im Menschen begegnet der Atmungsrhythmus in den Sinnesorganen dem astralischen Leib; in diesem Weben wirken die Angeloi. Beim Aufwachen durchdringt der astralische Leib den Atmungsrhythmus, was die Kraft der Erinnerung hervorbringt, ausgebildet zusammen mit den Archangeloi. Die Zeit zwischen Einschlafen und Aufwachen verdichtet sich und erhält eine andere Qualität. In den alten Mysterien wurde im Sommer die von den oberen Göttern empfangene Weisheit geopfert, um vor luziferischen Kräften zu schützen. In den neuen Mysterien ist es die Aufgabe des einzelnen Menschen, im Winter die selbst erarbeiteten Gedanken zu durchchristen, um sich vor ahrimanischen Kräften zu schützen. Die Geheimnisse der Menschennatur offenbaren sich im Jahreslauf. Der Weg führt von der Michael-Offenbarung zum wahren Weihnachtsfest, zur Durchdringung des Menschen mit dem erkennenden Geist. Die alte Frage nach Notwendigkeit und Freiheit kann durch die geisteswissenschaftliche Betrachtung des Tages- und Jahreskreislaufs gelöst werden: In der Vermischung von Sommer- und Winterszeit im Menschen liegt die Grundlage der Freiheit. Solche Betrachtungen münden in Kunst und Religion, in einen kosmischen Kultus. Wissenschaft, Kunst und Religion bildeten in den alten Mysterien eine harmonische Einheit. Die Geisteswissenschaft strebt danach, eine Erkenntnis zu gewinnen, die sich zur Kunst erhebt und zum religiösen Erleben vertieft. Daraus entsteht die Bewegung für religiöse Erneuerung, und der Anthroposoph nimmt dazu eine bewusste Stellung ein. Der Mensch ist dreigliedrig: Nerven-Sinnes-System, Stoffwechsel-Gliedmaßen-System und das Herz als Ausgleichsorgan. Dieser Gleichgewichtszustand ist die Grundlage der Freiheit im Geistig-Seelischen. Die Vergangenheit lebt in der mineralischen und pflanzlichen Natur, wie im physischen und Ätherleib; Gegenwart und Zukunft leben im Astralleib und Ich. Spirituelle Erkenntnis wird zum kosmischen Kultus. Die Fixsterne und Planeten stehen in Beziehung zur Leibesform und zu den Säftebewegungen im menschlichen Organismus. 220) Im alten Menschheitszeitalter war das seelische Innere des Menschen eng an den Ätherleib gebunden. So war es selbstverständlich, in der physischen Sonne mehr als nur einen Gasball zu sehen: Sie war der Ausdruck eines geistigen Sonnenwesens, das in allen alten Mysterien erkannt und verehrt wurde. Erst mit dem vierten nachchristlichen Jahrhundert lockerte sich diese Verbindung. Die Menschen verloren die unmittelbare Erfahrung des Geistigen in der Natur; das Zeitalter der Emanzipation der Seele vom Ätherleib begann. Damit setzte jene Not nach dem Christus ein, die sich wie eine innere Leere im Menschen ausbreitete. Die Kräfte der Erkenntnis zogen sich mehr und mehr in das Innere zurück, bis schließlich mit Kopernikus, Galilei und Kepler das mathematisch-naturwissenschaftliche Weltbild entstand. Nun wurde es Aufgabe, im eigenen Inneren den lebendigen Christus als tragende Wesenheit des Ich zu finden. Das akademische Studium der Gegenwart führt vielfach zu einem Erkenntniselend, das sich in Beklemmung oder geistiger Atemnot äußert. Doch gerade diese Erfahrungen können Sehnsucht und Fähigkeit wecken, auf real-geistige Durchdringung zu dringen. Wer sich individuell für die anthroposophische Bewegung einsetzt, erfüllt eine Pflicht gegenüber der Zukunft der Menschheit. Es bedarf der bewussten Pflege des geistig-seelischen Lebens, in der sich ältere und jüngere Generationen mit Ernst, Verständnis und Kraft begegnen. Im Tagesbewusstsein richtet sich die Wahrnehmung horizontal auf die Welt; aus den Erdentiefen steigen Metallwirkungen auf, die sich im Menschen als Traumleben, als Imagination spiegeln. Von den Sternen herab wirken Kräfte, die im Schlafbewusstsein als Inspiration erscheinen. Diese Bewusstseinszustände stehen in Beziehung zu den Wesensgliedern des Menschen. Eine gerechte Anwendung dieser Erkenntnisse führt zur wahren Menschenerkenntnis, wie sie in Goethes „Wilhelm Meister“ geahnt wird. In der Übergangszeit von alten Weisheitstraditionen zum Materialismus treten Gestalten wie Jakob Böhme, Giordano Bruno und Francis Bacon auf. Sie ringen um eine neue Welt- und Menschenerkenntnis, doch ihre Erkenntniskräfte reichen nicht aus, um das vorirdische, gegenwärtige und nachtodliche Dasein zu durchdringen. Die Realität der lebendigen Salz-, Sulfur- und Merkurprozesse steht den toten Abstraktionen der heutigen Naturwissenschaft gegenüber. Im Salzprozess des Ernährungs- und Sinneslebens werden die Weltgedanken im Ätherleib neu gestaltet – ein Nachklang alten Hellsehens. Der Sulfurprozess ist das verbrennende Eingreifen des Astralischen, in dem der Wille geboren wird; der Merkurprozess bildet den Ausgleich. Seit dem vierten Jahrhundert n. Chr. entfremdet sich der Mensch zunehmend seinem geistigen Wesen; die hellenistische Kultur wird zerstört. Im Schlafen und Wachen kehrt sich das Verhältnis vom Geistig-Seelischen zum Physisch-Ätherischen um. Die Gegenwart gleicht einem Zivilisationsschlaf; Anthroposophie ruft zum Erwachen in der Welt. Wahrheit, Schönheit und Güte sind die Grundkräfte des Menschen. Im physischen Leib wurzelt das Seinsgefühl, das zur Wahrhaftigkeit führt und mit dem Vorirdischen verbindet. Im Erleben des Schönen verankert sich der Mensch im Ätherleib; der Grieche war mit der Schönheit verbunden, die das Geistige im Schein offenbarte. Durch Güte erfasst der Mensch den Astralleib lebendig: Die Fähigkeit, das Wesen des anderen zu erleben, ist Ausgangspunkt der Moralität und verbindet mit der nachtodlichen Welt. In alten Zeiten wurde die Naturgeistigkeit unmittelbar erlebt; elementarische Wesenheiten waren Erzieher und Pfleger der menschlichen Erkenntniskräfte. Mit der Entwicklung der Freiheit zogen sie sich zurück. Ein bildhaftes Erfassen der Naturformen – das „Verstehen der Sprache der Natur“ – ist ein Akt des Dankes an die Naturgeister. Tatsachensinn, Schönheitssinn und Güte bilden die Grundlage anthroposophischer Gemeinschaft. Der moralische Sündenfall steht im Zusammenhang mit dem intellektuellen; daraus erwachsen die Erkenntnisgrenzen. Eine spirituelle Sündenerhebung ist möglich durch das freie, energische Ergreifen des Denkens. Die Erweiterung der Erkenntnis ins Kosmische ist der Weg zum Verständnis des Christus. Demut und Hochmut sind zu unterscheiden; Sektierertum ist zu vermeiden. Das heutige Geistesleben stammt aus der Scholastik. Der Realismus ist Endpunkt des alten Geist-Erfassens, der Nominalismus Ausgangspunkt des modernen Intellektualismus: Das Vaterprinzip in der Anschauung der Natur geht verloren, der Atheismus wird möglich, die Trinität verschwindet. Die Suche nach einem Verständnis des Christus in seiner Eigenständigkeit beginnt. Die Erkenntnis des Christus als Vollender des Vaterwerkes geschieht durch Schicksalserweckung im Erdenleben. Ein neuer Realismus der Anthroposophie wird notwendig. Der heutige Mensch trägt die Last der Geschichte. Er ist unfähig, schöpferisch im Leben der Welt zu stehen. Moralische und antimoralische Impulse sind Keime einer zukünftigen Naturordnung. Das gegenwärtig Natürliche ist Wirkung vergangener Moralimpulse. Die Naturwissenschaft dringt unbewusst in das Moralische der Naturkräfte ein. Eine Erneuerung der Zivilisation kann nur aus den Fundamenten der Menschlichkeit erfolgen, durch das Eintauchen in den Geist der Sprache und durch die Eurythmie. 221) Erkenne dich selbst – das ist der Weg, auf dem der Mensch sich aus dem instinktiven Miterleben mit der Natur löst und in ein bewusstes Innenleben eintritt. Während das Tier im Rhythmus des Jahreslaufs lebt, war auch der Mensch einst eingebettet in die Gesetzmäßigkeiten der Natur und der Erde. Doch im Laufe der Menschheitsentwicklung sind diese Instinkte erloschen. Der Mensch hat sich von der unmittelbaren Verbindung mit den Naturreichen entfernt und ist aufgerufen, aus sich selbst heraus Orientierung und Richtung zu finden. In alten Zeiten erlebte der Mensch in Bildern das Wesenhafte der Natur, aber sein wahres Ich war noch nicht auf der Erde verankert, sondern in übersinnlichen Welten. Nach dem Tod trat er in ein intellektuelles Bewusstsein ein, das ihm Freiheit schenkte – eine Strömung, die aus der Zukunft in die Vergangenheit wirkt. Heute steht der Mensch an der Schwelle, sich durch ein neues, höheres Bewusstsein als Angehöriger der übersinnlichen Welt zu ergreifen. Einst blickte er zum Vatergott empor, jetzt kann er die Welt des Christus als Licht, Leben und Liebe erleben. Durch dieses Christus-Erlebnis erschließt sich die Möglichkeit, nach dem Tod zu höheren Stufen der Wesensentfaltung aufzusteigen. Im reinen Denken kann das Ich-Wesen ergriffen werden. Das alte Hellsehen ist verklungen, das Bewusstsein im Schlaf war einst erfüllt von Einsichten in den Weltzusammenhang; heute lebt der Mensch im Schlaf in einer Zukunftswelt, in kommenden Weltzuständen. Im Wachen kann er reine Gedanken haben, doch nachts erlebt er ein Nichts. Mit den Gedanken der Anthroposophie lebt der Mensch bereits in einer ersten Stufe der Hellsichtigkeit. Die alten Mysterien suchten aus dem Todeserlebnis die Überzeugung der Unsterblichkeit zu gewinnen. Im herabgedämpften Bewusstsein erlebte sich der Mensch als Ich-Wesen. Heute muss der Mensch durch innere Tätigkeit erwachen, das tote Denken beleben und so den Ausblick in die geistige Welt eröffnen. Einst fühlte sich der Mensch als Bürger des Universums, als Himmelssohn; nach der kopernikanischen Wende wurde die Erde zum Staubkorn im All, der Mensch zum Erdeneremiten. Doch Christus hat sich mit der Erde verbunden, und durch das Verstehen des Genius der Erde erschließt sich makrokosmische Erkenntnis. Früher wurde das Wissen aus den Sternenkonstellationen gewonnen, das Leben war nach den Intentionen des Himmels ausgerichtet, der Logos war Ausfluss der Sternenwelt. Heute wird der Logos beim Sohnesgott gesucht. In den Tiefen des Wesens begegnete man einst Luzifer, nun kann Christus gefunden werden. Durchdrungen von Christus leuchtet der Mensch nach dem Tod zu den Himmeln empor. Im Menschen waltet eine Nachwirkung des vorirdischen Daseins. Zwei Strömungen durchziehen sein Wesen: eine vom Ich über den astralischen und ätherischen Leib zum physischen Leib, die aufbauend wirkt, und eine andere vom Ich unmittelbar in die physische Organisation, die zerstörend wirkt. Krankheit entsteht, wenn Abbauprozesse überwiegen, Gesundheit, wenn Aufbaukräfte herrschen. Im Blut strömt der unsichtbare Mensch aufbauend nach oben, in der Atmung und im Pulsschlag offenbaren sich abgeschwächte Abbau- und Aufbauprozesse. Die Erkenntnis dieser Zusammenhänge ist Grundlage einer wahren Therapie. Das Moralische im Menschen hat eine physische Wirksamkeit. Nietzsche, der Moralphilosoph, suchte Redlichkeit, Tapferkeit, Großmut und Höflichkeit, konnte aber mit den moralischen Problemen nicht in die übersinnliche Welt eintreten. Der unmoralische Mensch trägt einen ahrimanischen ätherischen Leib in sich, das Moralische steigt ätherisch zum Haupt hinauf. So arbeitet der moralische Mensch an der Zukunft der Erde. Einst sah der Mensch das Weltall als lebendigen Organismus, heute lebt er in toten Begriffen. Daraus erwachsen Freiheit und Technik, aber auch die Gefahr, das Göttliche zu verlieren. Der Mensch war einst Göttersohn, dann Umhüllung des Göttlichen, schließlich Darstellung des Göttlichen. Im Mysterium von Golgatha hat der Kosmos auf die Frage geantwortet, ob der Gott Mensch werden kann. Nun muss der Mensch Seelenwärme und Seelenlicht in die Ideenregion tragen. Die Erkenntnis muss von Liebe durchdrungen werden, so offenbart sich das Geheimnis des Heiligen Geistes. 222) Im Menschen wirken zwei Lebensgeschichten: Die eine entfaltet sich im physischen und ätherischen Leib, die andere im astralischen Leib und Ich. Während der Wachzustand alle vier Glieder vereint, trennen sich im Schlaf das Ich und der Astralleib vom physischen und ätherischen Leib. Die Entwicklung des physischen und ätherischen Leibes lässt sich von der Geburt bis zum Tod verfolgen, sichtbar in Sprache, Denken, Wachstum und Gestalt. Doch die Entwicklung des Ich und des Astralleibes ist anderer Art: Sie tragen zunächst noch die Kräfte des vorirdischen Daseins in sich, die im Laufe der Kindheit und Jugend schwächer werden, bis der Mensch sich mehr den Kräften des irdischen Leibes hingibt. Die Sprache ist ein zentrales Werkzeug für die Seelenentwicklung. Was im Gespräch ausgesprochen wird, klingt im Schlaf nach und wirkt auf die Verbindung mit Engeln und Erzengeln. Der Materialismus der Gegenwart erschwert diese Verständigung mit den geistigen Hierarchien. In der jüngeren Geschichte zeigt sich, wie das Fehlen von Idealen und die Erstarrung des Denkens die ältere Generation prägen, während in der Jugendbewegung ein Streben nach neuen Impulsen erwacht. Im Schlaf begegnen Ich und Astralleib den Elementarwesen und können die Hierarchien schauen, doch seit dem 15. Jahrhundert ist dieses nächtliche Zusammensein mit der Geistwelt schwächer geworden. Goethe etwa suchte in Italien das rechte Verhältnis zu den Archai, trug in sich das Streben nach Ganzheit, das vielen seiner Zeitgenossen fehlte. In der Vergangenheit war das Wissen um das Wirken der Elementarwesen lebendig, etwa bei Paracelsus. Heute aber führt die Erziehung zur Passivität, und nur durch Aktivität kann der Mensch sich neu mit der Geistwelt verbinden. Die Hierarchie der Exusiai verwaltete in der griechischen Zeit die kosmischen Gedankenkräfte. Im vierten nachchristlichen Jahrhundert ging diese Aufgabe auf die Archai über, was einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel in der Menschheit bewirkte. In der Musik der atlantischen Zeit offenbarte sich die göttliche Welt in der Septime; später schwächte sich dieses Erleben ab, bis es in der Terz zur bloß menschlichen Erfahrung wurde. Die None war das Intervall der lemurischen Zeit, die Terz drückt Jubel und Klage der Götter aus. Im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit entbrannte ein Ringen zwischen zurückgebliebenen Geistern der Form und vorgeschrittenen Archai. Der Seelenkampf des Augustinus offenbart sich aus übersinnlicher Perspektive. Die religiösen Auseinandersetzungen der Reformationszeit und des Dreißigjährigen Krieges sind Ausdruck des Wirkens normal entwickelter und zurückgebliebener Erzengel. Die Aufgabe der Anthroposophie besteht darin, die impulsierende Kraft geistiger Mächte konkret zu erkennen. Früher empfing der Mensch seine Gedanken von den Geistern der Form, heute muss er sie mit Hilfe der Archai selbständig erarbeiten, ebenso wie die moralischen Impulse. Die „Philosophie der Freiheit“ ist Ausdruck dieses gewandelten Bewusstseins. Doch das Festhalten an der alten Geisteshaltung, genährt von zurückgebliebenen Geistern der Form, ist ein Grundproblem der Gegenwart. Die theologischen Kämpfe um die Schule von Ritschl und die verhängnisvollen Vierzehn Punkte Wilsons zeigen, wie tief diese Problematik reicht. Die Unfähigkeit, alt zu werden, und die daraus erwachsende Unzufriedenheit der Jugend sind Symptome dieser Zeit. Das heutige Denken ist wie ein Leichnam des vorgeburtlichen, lebendigen Denkens. Es kann die sinnliche Umwelt nicht mehr wirklich erfassen – das wirkliche Erkennen ist verloren gegangen. Früher erlebte der Mensch nach dem 28. Lebensjahr eine Art Auferstehungserfahrung, heute ist diese verloren, was die Freiheit ermöglicht, aber auch eine neue Notwendigkeit zur Belebung der Gedanken schafft. Die Nahrungspflanzen und Giftpflanzen wirken im Menschen auf besondere Weise, was zu neuen Erkenntnissen vom Lebendigen führen kann. Der Mensch wurde in der indischen Kulturepoche als göttliche Imagination erlebt, offenbarte sich in der Physiognomie; in der persischen Epoche als göttlicher Gedanke, sichtbar in den Wettererscheinungen bei der Geburt; in der ägyptisch-chaldäischen Zeit als kosmisches Wesen, erkannt durch die Sternkonstellationen; in der griechischen Epoche als Erdenmensch, lebendig im Blut. Heute wächst der Mensch durch das Denken mit der Erde zusammen. Die Aufgabe der Gegenwart ist es, wie im „Parzival“ den Seelenweg von Dumpfheit über Zweifel zur Seligkeit zu gehen. Doch die Intellektualisierung des Denkens droht, die Wärme-, Luft- und Flüssigkeitselemente der Erde in den kommenden Kulturepochen zu zerstören, wenn der Mensch nicht zu einer neuen Verbindung mit den geistigen Mächten findet. 223) Im Jahreslauf offenbart sich die Erde als lebendiger, beseelter Organismus, der in mächtigen Atemzügen mit dem Kosmos verbunden ist. Nicht bloß als Ansammlung von Mineralien, sondern als Wesen, das aus inneren Kräften das Pflanzliche, das Tierische, das Menschliche hervorbringt, vollzieht die Erde ihren Kreislauf. Im Winter hält sie die Kräfte in sich, wie ein Mensch den Atem anhält; zur Wintersonnenwende ist alles Leben nach innen gezogen, die Erde sammelt, was im Jahreslauf nach außen strömen wird. Mit dem Frühling beginnt die Ausatmung: Die Kräfte, die im Winter gesammelt wurden, treten hervor, treiben das Pflanzenwachstum, beleben die Natur. Ostern steht inmitten dieser Ausatmung, ist das Fest des Hervorbrechens, der Auferstehung, des Sieges des Geistes über die Materie. Im Hochsommer, zur Zeit des Johannifestes, ist die Ausatmung vollendet, die Erde hat sich dem Kosmos hingegeben. In dieser Zeit, in der das Geistige am weitesten hinausgetragen ist, erleben die alten Mysterien das Empfangen des Lichtes, die göttlich-moralische Erleuchtung. Doch mit dem Michaelfest im Herbst beginnt die Einatmung: Die Kräfte kehren zurück, die Erde nimmt das Erlebte in sich auf, das Geistige wird wieder nach innen gezogen. Michael, der mit dem Drachen ringt, steht als Bild für die Kraft, die das Seelische wieder sammelt, das Böse bezwingt, den Menschen zum Mut und zur inneren Freiheit ruft. Das Michaelfest wird zum Fest des Seelenmutes, der Bewusstwerdung, der Erneuerung des sozialen Lebens aus dem Geistigen heraus. Im Winter, zur Weihnachtszeit, hält die Erde den Atem an. Es ist die Zeit der Besinnung, der Sammlung, der Geburt des Lichtes im Inneren. Die alten Mysterien feierten das Rätselraten, das plastische Gestalten, das Erleben der menschlichen Gestalt. Im Frühling wiederholt sich der Kreislauf: Erkenne dich selbst, rufe zur Buße, zur Selbsterkenntnis, zur geistigen Wiedergeburt. So offenbart sich im Jahreslauf eine große kosmische Ordnung, in der die Feste nicht willkürlich gesetzt, sondern aus dem Wesen der Erde und des Menschen hervorgegangen sind. Die Anthroposophie führt das menschliche Gemüt an diese geistigen Zusammenhänge heran. Das Bild Michaels, der mit dem Drachen ringt, wirkt auf das Gemüt, ruft zur inneren Auseinandersetzung mit den Kräften des Bösen, die im Menschen selbst wohnen. Die Hierarchien offenbaren sich als Träger göttlich-geistigen Willens; der Drache, eine Wesenheit, die zu früh zum freien Willen kam, muss durch Michael gebändigt werden. Der Mensch ist Doppelwesen, in ihm ringt das Geistige mit dem Naturhaften. Im Laufe der Geschichte verlagert sich der Kampf Michaels mit dem Drachen aus dem Kosmos in das Innere des Menschen. Die Gegenwart verlangt, dass der Mensch aus Freiheit heraus den Sieg Michaels mitvollzieht, das Geistige in sich aufnimmt, das Gemüt durchwärmt, die sozialen Impulse erneuert. Die Jahresfeste, insbesondere das zukünftige Michaelsfest, werden zu Stationen auf dem Weg der Menschheit zur Freiheit. Die Erlösung der Elementarwesen hängt an der Gemütsbeziehung des Menschen zu Tier, Pflanze, Mineral. Der Drache droht, die Erde zu verschlingen, wenn der Mensch sich nur der materiellen Welt hingibt. Die Gefahr des Verfalls, der Schwere, der Krankheit ist der Preis für die Freiheit, doch nun ist es notwendig, aus eigenem Entschluss das Geistige zu ergreifen. Der Michael-Impuls macht den Menschen zum Bürger des Weltenalls, nicht nur der Erde. Die Beobachtung der alten Mysterienstätten, das Lesen des Götterwillens in der Sternenschrift, der Mithraskult, die Beziehung von Mond und Wetter, all dies führt zur Erkenntnis, dass die Welt ein beseeltes, geistdurchdrungenes Ganzes ist. Die Planeten offenbaren geistige Wesenheiten, die Geologie muss durch Imagination, Inspiration und Intuition ergänzt werden, um das Geistige im Physisch-Sinnlichen zu finden. Die Elementarwesen der Pflanzen, das Kreisen des Blutes im Menschen, das Miterleben des Jahreslaufes – alles weist auf die Notwendigkeit, das Gemüt zu schulen, den Jahreslauf als beseeltes Wesen zu erleben. Die Michael-Kraft hilft, das Selbstbewusstsein zu entfalten, das soziale Problem zu lösen, indem aus Naturbewusstsein Selbstbewusstsein wird. Das Osterfest ist das Fest des Todes und der Auferstehung; das Michaelsfest aber ist das Fest der Auferstehung des Geistes im Menschen, das zur Überwindung des Todes führt. 224) Der Mensch steht als ein Wesen zwischen Schlafen und Wachen, und in diesen beiden Zuständen gestaltet sich sein Schicksal, sein Karma. Im Schlaf tritt das Ich und der astralische Leib aus dem physischen und ätherischen Leib heraus, doch auch in dieser Zeit wirken sie weiter, erleben und gestalten, auch wenn das gewöhnliche Bewusstsein davon nichts weiß. Was in diesen Nachtzeiten geschieht, webt sich tief in das Tagesleben ein und prägt das Schicksal. Schon im Hereintreten ins Erdenleben, in der Kindheit, ist der Mensch zunächst wie schlafend. Aus diesem schlafhaften Zustand heraus muss er sich das Gehen, das Sprechen und schließlich das Denken aneignen. Anders als das Tier, das vieles mitbringt, muss der Mensch diese Fähigkeiten erst erringen. Das Gehen ist nicht nur das Aufrichten und Bewegen, sondern das Finden des Gleichgewichts, die Differenzierung von Armen und Beinen, das Sichhineinstellen in die Welt. Das Sprechen hängt mit dieser Differenzierung zusammen, mit der Ausbildung der Hände, mit der rechten oder linken Seite des Gehirns. Aus dem Sprechen wächst das Denken hervor, das sich erst allmählich aus dem Wort entwickelt. Im Schlaf, wenn das Ich und der astralische Leib vom Körper getrennt sind, wirken die Kräfte, die mit dem Sprechen zusammenhängen, besonders stark. Der astralische Leib trägt das Geistig-Seelische der Sprache in sich. Auch das Gewissen, die innere Stimme, ist ein Ergebnis dieser geistigen Tätigkeit, die im Schlaf und im Wachen ineinandergreift. Die Sprache ist nicht nur ein äußeres Mittel, sondern ein Ausdruck des Geistigen, das durch den Menschen wirkt. Die menschliche Seele ist eingebettet in einen Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten. Die Jahresfeste, wie Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten, Johanni und das Michael-Fest, sind nicht bloß äußere Feiern, sondern Ausdruck einer inneren Verwandlung, einer Verinnerlichung, die der Mensch im Laufe des Jahres und seines Lebens durchlebt. Die Feste spiegeln kosmische Prozesse wider, die sich in der Seele vollziehen. Das Ostermysterium etwa führt zur Vertiefung des Verständnisses für das Leben nach dem Tod, für das Wirken des Christus-Impulses. Die Himmelfahrt und das Pfingstgeheimnis offenbaren die Verbindung des Menschen mit der geistigen Welt und die Aufgabe, das Geistige in die Sprache und das Leben hereinzutragen. Die Michael-Kraft ruft den menschlichen Willen an, fordert zur Bewusstwerdung und zur Tat auf. Das Michael-Fest soll aus dem Geiste heraus geschaffen werden, als Ausdruck der inneren Wandlung, die der Mensch im Jahreslauf vollziehen kann. Die Rätsel des inneren Menschen, die vier Wesensglieder, das Erwachen der Seele in drei Etappen, all das sind Stationen auf dem Weg des Menschen zu einer bewussten Verbindung mit der geistigen Welt. Die Sprache, das Denken, das Gewissen, die Feste – sie alle sind Tore, durch die das Geistige in das Menschenleben eintritt und das Schicksal formt. 225) Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vollzieht sich eine entscheidende Wendung im menschlichen Geistesleben. Die Naturwissenschaft erringt große Erfolge, sowohl in der Erkenntnis als auch im praktischen Leben, und erhebt den Anspruch, über alle Weltangelegenheiten zu entscheiden. Demgegenüber zieht sich der Idealismus zurück, verliert an Kraft, weil er das Geistige nur noch in der Idee sucht und nicht mehr durchdringen kann gegen die Macht der naturwissenschaftlichen Weltsicht. Der Materialismus, oft nicht als solcher bezeichnet, aber doch wirksam, durchdringt das Denken und Handeln. Doch der Geist bleibt unabhängig vom Materiellen, und es bestehen tiefe Bindungen zwischen Geist und Materie, die erkannt werden müssen, wenn das menschliche Leben nicht verarmen soll. Im Menschen wirken verschiedene Kräfte: Der Kopf, der aus der vorhergehenden Inkarnation hervorgeht, ist Träger des Intellekts, während der untere Mensch, der mit der rhythmischen Region und dem Stoffwechsel verbunden ist, die Impulse des Willens und der Freiheit trägt. Der Intellektualismus muss ins Spirituelle geführt werden, denn nur so kann der Mensch lebendige moralische, religiöse und soziale Systeme entwickeln, die nicht lebensfremd sind. Die Zivilisation der Gegenwart leidet unter dem „Kulturtod“, weil der Geist aus der Kultur vertrieben wurde. Wissenschaft wird zum „Gehirnsport“, und sittliche Ideale werden als bloße Illusion betrachtet. Doch der Geist kann in die Kultur zurückkehren, wenn die Anthroposophie als Erkenntnisweg ernst genommen wird. In der Betrachtung der letzten hundert Jahre zeigt sich, wie sich der Mensch in verschiedenen Kulturen und Berufen nach dem Geistigen sehnt. Die Handwerkerverbände Frankreichs, die „Loups devorants“ und die „Gavots“, spiegeln unterschiedliche geistige Strömungen wider, ebenso wie die literarischen Werke von Goethe und George Sand. Die Nachahmung geistiger Bindungen in Geheimgesellschaften und die Unterschiede der Blutfarbe in verschiedenen Klimazonen weisen darauf hin, dass der Mensch in geographisch und geschichtlich unterschiedlichen geistigen Impulsen lebt. Geschichte und Geographie verlangen nach einer geistigen Metamorphose, um den Menschen vom nationalen Standpunkt zum Erdenbürger zu führen. Die europäische Kultur ist geprägt durch das Ringen zwischen griechischem Empfinden, lateinischer Bildung und mitteleuropäischer Geistigkeit. Das Lateinische, das auf das Äußerliche, Sinnliche gerichtet ist, prägt Wissenschaft und Nationalökonomie, während die Volkssprache mit innerer Geistigkeit verbunden bleibt. Die eleusinischen Mysterien und die gnostischen Grundlagen des Vorchristentums zeigen, dass wahre Erkenntnis nicht im Sammeln von Ideen besteht, sondern im Erwachen des Menschen für das Geistige. Die Imaginationen Europas führen zu den großen kosmischen Zusammenhängen: Der Weltschöpfer, die Äonen, das Streben der Achamoth zum Geistigen, das Geheimnis um den Menschen Jesus. Die Praxis des Denkens der Scholastiker ist verloren gegangen, und das gegenwärtige Denken bleibt ohne Ausblick in die geistige Welt. Magische und ahrimanische Kräfte wirken im Osten, während der Westen luziferisch geprägt ist. In der Begegnung dieser Strömungen liegt eine kosmische Ehe, die den Menschen in Versuchung und Prüfung führt. Drei Perspektiven der Anthroposophie eröffnen sich: Die physische Perspektive zeigt, wie der Mensch nach dem Tode aus dem Kosmos regeneriert wird und wie die Naturwissenschaft durch die anthroposophische Erkenntnis erweitert werden kann. Die seelische Perspektive macht deutlich, dass der Zivilisation die Seele fehlt, weil der Intellekt das Leben beherrscht. Der Ätherleib trägt konzentrierte Weisheit, und in den drei Stufen der Initiation öffnet sich der Zugang zu den Genien und Dämonen der Zeit. Die geistige Perspektive schließlich führt zum Bewusstsein der moralischen Impulse, der Erinnerungskraft und der Liebekraft, die den Menschen mit den Toten verbindet und ihm den Weg in die geistige Welt eröffnet. Die Traumeswelt ist eine Übergangsströmung zwischen der physischen Welt und der Welt der sittlichen Anschauungen. Im Traum protestiert das menschliche Innere gegen die Naturgesetze, und das Unterbewusstsein offenbart sich in dämonischen Erscheinungen. Die Erfahrungen von Jakob Böhme, Paracelsus und Swedenborg zeigen, wie das Erleben des Geistigen auf der Erde möglich wird. Die großen Lehrer der Erdenweisheit wirken als Mondenwesenheiten weiter, und im Menschen wohnen übersinnliche Wesenheiten, die ihn auf seinem geistigen Weg begleiten. 226) Im Menschen sind verschiedene Wesensglieder wirksam: physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich. Während des Schlafes treten Ich und Astralleib aus dem physischen und Ätherleib heraus und verweilen in der geistigen Welt, wo sie sich erneuern und Kräfte aufnehmen, die für das irdische Leben notwendig sind. Diese nächtliche Verbindung mit der geistigen Welt ist für das menschliche Dasein ebenso bedeutsam wie das wache Tagesleben. Im Schlaf kehrt der Mensch in jene Sphären zurück, aus denen er vor der Geburt herabgestiegen ist, und nimmt Anteil an den kosmischen Kräften, die sein Schicksal und seine Entwicklung bestimmen. Nach dem Tode durchschreitet die Seele verschiedene Bereiche: Zunächst den Mondenbereich, in dem sie mit den Folgen ihres vergangenen Erdenlebens konfrontiert wird, dann den Sonnenbereich, in dem sie sich mit höheren geistigen Wesenheiten verbindet. In diesen Sphären gestaltet sich der Geistleib der Seele, und es werden die Grundlagen für das nächste Erdenleben gelegt. Der menschliche Leib ist ein Tempel der Götter, ein Abbild göttlich-geistiger Kräfte, die sich im Gehen, Sprechen und Denken offenbaren. Diese Fähigkeiten sind nicht bloß biologische oder soziale Errungenschaften, sondern Ausdruck höherer geistiger Wirkungen und Taten. Die Zeit- und Raumverhältnisse, die für den physischen und Ätherleib gelten, unterscheiden sich grundlegend von denen, die für den astralischen Leib und das Ich maßgeblich sind. Im Schlaf, wenn das Ich und der Astralleib in der geistigen Welt weilen, wirken die Kräfte der dritten Hierarchie der geistigen Wesenheiten auf den Menschen ein. Diese Hierarchien sind es, die dem Kind das Gehen, Sprechen und Denken ermöglichen. Die Christus-Kraft wird zur Vermittlerin der moralischen Weltordnung, indem sie dem Menschen im Schlaf die Verbindung zur geistigen Welt und zu seinem höheren Schicksal sichert. Die menschliche Seele ist dreigliedrig: Sie umfasst das denkende, das fühlende und das wollende Seelenleben. Das Wollen ist mit dem Zukunftsschicksal, das Denken mit dem Vergangenheitskarma verbunden. Die gewöhnliche Wissenschaft bleibt an die äußere Welt gebunden, während die Geisteswissenschaft das Wesen des Menschen und seine Beziehung zur geistigen Welt zu durchdringen sucht. Die Entwicklung des Menschenwesens hat sich im Laufe der Kulturepochen grundlegend gewandelt: Von der urindischen Zeit bis zur Gegenwart ist das Bewusstsein des Menschen durch verschiedene Stufen gegangen. Die Christus-Tat auf Golgatha bildet den Wendepunkt der Menschheitsentwicklung, indem sie das Todesrätsel löst und dem Menschen einen neuen Zugang zur geistigen Welt eröffnet. Die christlichen Feste, wie Himmelfahrt und Pfingsten, spiegeln diese geistigen Prozesse wider. Es wird die Notwendigkeit eines Michael-Festes als Gegenstück zum Osterfest betont, um das Gleichgewicht zwischen den Kräften der Auferstehung und denen der geistigen Erneuerung im Jahreslauf zu wahren. Das Mysterium von Golgatha ersetzt den alten Sonnenmythos der Mysterien. Die Botschaft der Anthroposophie ist ein neues Welten-Pfingsten: Sie verkündet das Christus-Mysterium als zentrale Kraft der Gegenwart, die den Menschen befähigt, sein Schicksal bewusst zu gestalten und sich als Glied der geistigen Welt zu erkennen. 227) Die Selbsterkenntnis des Menschen verlangt heute neue Wege, denn die Kräfte der Natur und des Geistes wirken anders als in alten Zeiten. Das Denken, das sich an die äußere Welt bindet, muss in die Tiefe geführt werden, wo es sich von Raum und Zeit löst. Die Erinnerung zeigt, wie der Mensch als Raum- und Zeitenwesen lebt, doch die Initiation verlangt, dass die Seele sich über das Gewohnte erhebt und das Lebens-Tableau erschaut, in dem die Zeit zum Raum wird. In der Imagination erlebt die Seele eine neue Glückseligkeit, ein leeres Bewusstsein, das die Unsterblichkeit und Ungeborenheit des Menschen offenbart. Inspiration und Intuition führen weiter. Die Gedankenwelt wird lebendig, Farben erscheinen aurisch, das Bewusstsein wird still, und in der negativen Hörbarkeit ertönt der kosmische Schmerz. Die Astralwelt öffnet sich, wenn die Liebefähigkeit gesteigert wird, und durch rückwärtsgerichtetes Vorstellen wird das aktive Denken gewonnen. Die geistigen Wesen werden erfahrbar, wenn die Selbstüberwindung wächst. Die Initiationswissenschaft der Gegenwart verlangt diesen Weg, der vom Geist zur Natur und von der Natur zum Geist führt. Die alte Initiationswissenschaft lebte aus der Erinnerung an Schlaferlebnisse, die neue aus dem Vorgeburtlichen. Im Schlaf und Traum offenbart sich das kosmische Liebesdasein, der Mensch wird Licht- und Wärmewesen. Der Traum ist ein Bild für das Chaos, das sich zwischen die sinnliche und die geistige Welt legt. Die Naturgesetze gelten im Traum nicht mehr, der Astralleib ist befreit, das Ich arbeitet in der Nacht an der Vorbereitung künftigen Geistseins, wo sittliche Impulse Naturkraft werden. Das Chaotische des Traumes ist der Schleier der Schwelle zur geistigen Welt. Dahinter liegen drei Welten, die mit Haupt-, rhythmischem und Stoffwechsel-Gliedmaßensystem des Menschen verbunden sind. Wer die Schwelle ohne den Hüter überschreitet, gerät in Verwirrung, denn die Welten durchdringen sich. Im Traum erscheint das Geistig-Moralische, im Pflanzenkeim und Embryo träumt das Geistige, im Mineral schläft es. Die Elementarwesen erwarten die Zukunft, und besondere Orte wie Penmaenmawr tragen eine eigene seelische Atmosphäre. Es gibt verschiedene Typen des Erlebens der geistigen Welt: den Nachtwandler, den Jakob-Böhme-Typus, den Swedenborg-Typus. Die physischen und geistigen Welten stehen im Gegensatz: das Leuchtende und Volle, das Finstere und Leere. Die Mondenkräfte wirken im Nachtwandler, exakte Hellseherei ist möglich. Das zweite Gesicht ist ein Überrest der Sonnenentwicklung der Erde. In der Wärme und Kälte lebt die Erinnerung an Saturn, die Spiegelbilder werden real. Die Schlaferlebnisse kündigen die Erlebnisse nach dem Tode an. Schlaf und Tod sind verwandt, nach dem Tode wird der Ätherleib abgelegt, die Gedanken gehen ins Universum über, der Mensch wird zur Pflegestätte der Göttergedanken. Die Welt wird in verschiedenen Dimensionen erlebt, die Handlungen werden vom Kosmos beurteilt, das Rückerleben nach dem Tode umfasst das im Erdenleben Verschlafene. Früher war der Bodhisattva Führer, heute kann nur Christus den Menschen zwischen Tod und neuer Geburt führen. Zwischen Tod und neuer Geburt lebt die Seele mit geistigen Hierarchien, entkörperten Menschen und Elementarwesen. Die kosmischen Gedanken und die aus dem Erdenleben nachwirkenden Gedanken wirken zusammen. Das Leben mit den Geistern von Mond, Venus, Merkur entspricht dem Leben mit Kopf, Herz, Gliedmaßen auf Erden. Die Urlehrer auf dem Mond, das Leben in der Sonne, Mars, Jupiter, Saturn werden erlebt, die Führer der Menschenseelen waren einst Bodhisattvas, jetzt ist es Christus. Die Entwicklung künftigen Karmas geschieht mit den Mondenwesenheiten, die Zeit zwischen zwei Verkörperungen entspricht dem Vorrücken des Frühlingspunktes. Nach der Seelenwelt des Mondes folgt das Geisterland der Sonne, der Geistkeim der nächsten Inkarnation wird vorbereitet. Die Vergangenheit der Erde und der Welt wird erlebt, das Mysterium von Golgatha ist der Wendepunkt, die Gnosis wird erneuert, die Menschheit spaltet sich in Ost und West, die Zivilisation bringt neue Symptome hervor. Die Evolution der Welt ist mit der des Menschen verbunden. Im Inneren des Menschen lebt die Weltenvergangenheit, in der Umwelt die Weltenzukunft. Kopf und Gliedmaßen stehen für Vergangenheit und Zukunft. Gehen, Sprechen, Denken verwandeln sich in den kommenden Entwicklungsstufen des Kosmos. Das Geistige wirkt im Sinnlichen, wie die Homöopathie zeigt. Der Mensch tritt in die Epoche der Freiheit ein. Natur- und Moralgesetze werden in der höchsten Hierarchie eins. Der Übergang von der Determination zur Freiheit ist die Aufgabe der Gegenwart. Das Jahr 333 brachte Veränderungen im Astralleib, das Mysterium von Golgatha wirkt heilend. Die Gnosis, die verschollene Dichtung, das Christus-Mysterium als Lichtträger, die Entstehung der Dogmen, die Göttliche Komödie Dantes, die Wiederkunft Christi, die Tendenzen der modernen Wissenschaft – all das weist auf die Notwendigkeit, die geistige Freiheit zu erringen und die okkulte Gefangenschaft zu überwinden. 228) Im Planetensystem wirken geistige Individualitäten, deren Kräfte und Wesenheiten sich in den einzelnen Planeten offenbaren. Im Mond leben abgeschlossene geistige Wesen, die die Urweisheit bewahren und deren Kräfte eng mit der Vererbung und den niederen Trieben verbunden sind. Saturn wirkt als kosmisches Gedächtnis und Träger des Karmas, Jupiter als Denker des Systems, von dem schöpferische Gedanken ausgehen. Mars verleiht Impulse zur Sprache, während Venus und Merkur das Seelisch-Geistige, das Temperament und die Fähigkeit zur liebevollen Rückgabe und zum kosmischen Denken vermitteln. Die Sonne steht als Harmonie schaffende Mitte zwischen diesen Kräften, als Flamme der Freiheit oder als Substanz, wenn Freiheit missbraucht wird und sich als Schicksal verdichtet. Seit der neuzeitlichen Naturwissenschaft ist das Geistige aus der Betrachtung des Kosmos verschwunden; mathematische und physikalische Begriffe haben das seelenvolle Anschauen abgelöst. Doch die Wirklichkeit der Weltordnung ist moralischer Natur. Die alten orientalischen Weisheiten – heute nur noch als äußere Anschauung erhalten – verstanden noch das Wirken der geistigen Hierarchien. Die materialistische Wissenschaft verkennt die Bedeutung der Sinnesempfindungen und das Künstlerische, das die Schwere aufhebt und das Schöne schafft, indem es Chaos in Kosmos verwandelt. Was sich mit dem Menschen im Schlaf vollzieht, ist bedeutsamer als das wache Tagesleben. Während des Schlafes wirken die höheren Hierarchien auf den Menschen ein und gestalten ihn zum Abbild ihrer geistigen Wirksamkeit. Die äußere Gestalt des Menschen ist ein Bild dieser geistigen Kräfte. Der Mond spiegelt physische und geistige Impulse, in seinem Inneren leben die Lehrer der Urweisheit weiter, die durch die Fortpflanzungskräfte wirken. Saturn bewahrt das Karma, zwischen beiden wirken die anderen Planeten mit ihren spezifischen Kräften. Mars und Venus verbinden sich in den menschlichen Sprach- und Gesangsorganen. Seit dem Mysterium von Golgatha kann der Mensch wieder das Bewusstsein für die geistigen Vorgänge in den Sternenwelten erwerben. Die Druidenpriester erforschten in den Kromlechs die Geheimnisse des Weltalls, indem sie die Wirkungen von Sonnen- und Mondenkräften auf die Erde beobachteten. Sonnenkräfte allein lassen das Leben wuchern, das Gestaltende kommt durch das Zusammenwirken mit den Mondenkräften. Die Druiden erkannten die wesenhaften Kräfte hinter den Naturerscheinungen und nutzten dieses Wissen zur Herstellung von Heilmitteln. Erst mit dem Auftreten Wotans und der Runenschrift kam der Intellektualismus in die Welt, der die Todesfurcht brachte, die erst durch das Christus-Ereignis geistig überwunden werden kann. Die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins ist das zentrale Moment der Menschheitsgeschichte. In alten Zeiten war das Bewusstsein von Bildern erfüllt, heute herrscht die reine Sinnesbeobachtung, seit der Mensch sich aus der geistigen Welt ausgestoßen fühlte. Die Mysterien gaben Trost, indem sie den Menschen an die geistigen Ursprünge erinnerten. Die Priester der Mysterien lehrten die Wirkung der Sternenumgebung auf den Menschen, führten ihn zum Geist der Natur zurück und ermöglichten die Erfahrung des Kosmos im eigenen Inneren. Durch das Mysterium von Golgatha ist im Menschen der Impuls der Freiheit erwacht. Die Kräfte von Sonne, Mond und Planeten wirken unterschiedlich tief auf das menschliche Wesen ein, Saturn als Träger des kosmischen Gedächtnisses am tiefsten. 229) Im Jahreslauf offenbart sich der Menschheit ein tiefer Zusammenhang zwischen Erde und Kosmos, zwischen Mensch und geistigen Mächten. Im Frühling steigen die Elementarwesen aus dem Schoß der Erde empor, nehmen die Gesetzmäßigkeiten des Kosmos in sich auf und weben im Sommer unter dem Einfluss der Sternenkräfte. Im Herbst kehren sie zur Erde zurück, um im Winter wieder mit den inneren Kräften der Erde zu verschmelzen. Dieser Atem der Erde, dieses Aus- und Einatmen der Elementarwesen, ist nicht nur ein Naturvorgang, sondern ein geistiges Geschehen, das den Menschen in seinem Innersten berührt, wenn er sich dafür öffnet. Im Astrallicht, das hinter der sinnlichen Welt liegt, erscheinen geistige Wegweiser, deren Bedeutung sich dem inneren Erleben erschließt. Einer dieser Sprüche mahnt den Menschen, das Eisen, das er im Äußeren nutzt, auch in seinem geistigen Wesen zu erkennen und zu vergeistigen. Denn das Eisen, das in der Natur als Meteoreisen im Herbst zur Erde fällt, ist Michaels Waffe im Kampf gegen die ahrimanischen Mächte, die als Schlangenwesen auftreten. Die Technik und Wissenschaft, die aus dem Eisen hervorgegangen sind, müssen durch das geistige Schwert Michaels verwandelt werden, damit sie der Menschheit Heil bringen. Im Winter, wenn die Erde wie ein Quecksilbertropfen im Kosmos ruht, wirken Sonnen- und Mondenkräfte zusammen. Die Prozesse von Sulfur, Merkur und Salz durchziehen die Jahreszeiten: Im Winter herrscht die Salzbildung, im Sommer die Sulfurisierung, im Frühling und Herbst die Merkurprozesse. In der Weihnachtszeit offenbart sich das Bild der Marienmutter mit dem Jesuskind, das in der Stille der Winternacht geboren wird, getragen von den kosmischen Kräften, die sich in der Erde sammeln. Zu Ostern verwandeln sich die Kräfte der Erde: Der Kalk, der im Boden ruht, wird zum Träger der Auferstehungskräfte. Ahrimanische Mächte wollen alles verhärten, luziferische alles auflösen; beide streben danach, die Menschheit zu vernichten. Zwischen diesen Polen steht Christus als der Auferstandene, der die Mitte hält. Raphael erscheint mit dem Merkurstab als heilender Geist, der den Menschen durch die Osterkräfte führt und die Erde erneuert. Im Hochsommer, zur Johannizeit, schläft die Natur im Äußeren, doch das Geistige ist wach. Uriel, das ernste, warm leuchtende Antlitz, durchdringt die Höhen mit kosmischer Intelligenz, während unten der kosmische Wille wirkt. In dieser Zeit webt das Moralische mit dem Natürlichen zusammen, und das historische Gewissen der Menschheit wird wachgerufen. Die Dreifaltigkeit offenbart sich: Geistvater, Stoffmutter und Sohn, im Hintergrund Uriel als Hüter der Höhe. Im Zusammenwirken der vier Erzengelwesen – Michael, Gabriel, Raphael und Uriel – vollzieht sich der Jahreslauf. Michael wirkt im Herbst und Winter als Kämpfer und Wächter, Gabriel im Winter als Ernährer, Raphael im Frühling als Heiler, Uriel im Sommer als Richter und Träger der kosmischen Weisheit. In diesem Reigen offenbart sich das große Mysterium des Jahres, das der Mensch durch innere Imagination miterleben kann. Wer sich diesen Bildern öffnet, erkennt, wie alles sich zum Ganzen webt, wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen und im Menschen und der Erde Heilung, Erneuerung und Entwicklung bewirken. 230) Aus den Mysterien des Weltenwortes erschließt sich, wie der Mensch als Mikrokosmos in sich die Gesetzmäßigkeiten und Geheimnisse des Makrokosmos trägt. Das Verständnis dieses Zusammenhangs verlangt ein lebendiges, künstlerisches Erfassen der Gestaltungs- und Bildungskräfte der Natur, nicht ein bloß intellektuelles Begreifen. Wer die Welt wirklich erkennen will, muss durch imaginative Anschauung in die verborgenen Kräfte und Metamorphosen der Natur eindringen. Betrachte ich das Vogelgeschlecht, so offenbart sich, dass der Vogel im Wesentlichen ein umgestalteter Kopf ist, dessen ganze Organisation auf uralte planetarische Entwicklungsstufen zurückgeht. Das Gefieder, die Farbenpracht, der hornige Schnabel – all dies sind spätere Hinzufügungen, die dem Vogel durch die Einwirkung der Sonne und anderer kosmischer Kräfte gegeben wurden. Die Sonne wirkt nicht nur durch Licht und Wärme, sondern auch durch geistige Kräfte, die das Gefieder formen und die Vielfalt der Vogelarten hervorbringen. In diesen Kräften lebt dasselbe Prinzip, das im Menschen das Gehirn zum Träger der Gedanken macht. Die Kraft, die dem Adler sein Gefieder verleiht, bewirkt im Menschen die Fähigkeit des Denkens. So strömen die Gedanken aus dem Gehirn wie die Federn aus dem Adler. Der physische Vorgang der Federnbildung im Vogel entspricht auf einer höheren, astralischen Ebene der Gedankenbildung im Menschen. Das, was im Adler als äußere Schönheit erscheint, lebt im Menschen als innere Gedankenwelt. Die Sprache der Völker deutet dieses Geheimnis an, wenn sie das Innere der Feder „Seele“ nennt. Wende ich mich dem Löwen zu, so zeigt sich ein Gleichgewicht zwischen Atmung und Blutzirkulation. Der Löwe lebt in einer Harmonie der inneren Rhythmen, während beim Vogel das Atmen überwiegt und die Schwere der Verdauung fast verschwindet. Im Löwen ist die Verdauung weniger belastend, und der Rhythmus von Atmung und Herzschlag hält sich die Waage. Diese Harmonie prägt das Wesen des Löwen und unterscheidet ihn von anderen Tieren, wie etwa dem Kamel oder dem Rind, bei denen die Verdauung die Blutzirkulation stark belastet. So offenbart sich in den verschiedenen Tierarten, wie die kosmischen Kräfte unterschiedlich wirken und gestalten. Im Menschen klingen diese Kräfte zusammen, und er trägt in sich als Mikrokosmos die Geheimnisse des Makrokosmos. Durch die Betrachtung der Natur, durch das künstlerische Erfassen ihrer Gestaltungen, erschließt sich das Weltenwort, das in allem Lebendigen wirkt und im Menschen zur Bewusstheit erwacht. 231) Der Mensch erlebt sich in der heutigen Zeit oft als begrenzt in seiner Erkenntnisfähigkeit. Die naturwissenschaftliche Methode hat große Erfolge errungen, doch sie bleibt an die sinnlich wahrnehmbare Welt gebunden. Damit aber bleibt das eigentliche Wesen des Menschen, das Übersinnliche, im Dunkeln. Wer sich nur als Naturwesen erkennt, bleibt sich selbst fremd in seinem geistigen Kern, verliert das Selbstvertrauen zum eigenen Wert und zur eigenen Würde. Die moralischen Impulse, die das Leben durchdringen, stammen nicht aus Blut, Muskeln oder Knochen, sondern entspringen einer geistigen Welt, zu der der Mensch aber keinen Zugang findet, wenn er an den Grenzen der Sinneserkenntnis haltmacht. Es ist notwendig, die Grenzen der Erkenntnis zu überschreiten, nicht durch vage Glaubensannahmen, sondern durch die Erkraftung des Seelenlebens. Durch bewusste Arbeit an den Kräften der Seele kann der Mensch zu einer wahren Selbsterkenntnis gelangen, die ihn zum Geistigen führt. Drei Stufen sind dabei zu unterscheiden: Zunächst das Erfassen des Traumlebens, dann die bewusste Intuition, schließlich das Erleben der geistigen Welt in voller Klarheit. Wer diesen Weg beschreitet, findet Lebenssicherheit, denn er erkennt sich als Teil einer geistigen Weltordnung. Die intellektuelle Erkenntnis, die nach logischen Kriterien urteilt, muss verwandelt werden in eine persönliche Erkenntnisbeziehung, die das ganze Leben des Menschen durchdringt. Erkenntnis kann lebenfördernd oder krankmachend sein, je nachdem, ob sie mit Liebe oder mit Egoismus verbunden ist. Die wahre Geisterkenntnis führt zur moralischen Weltordnung, in der Liebe das Erkennen durchdringt. Im Lichte der Wiederverkörperung und Schicksalsbildung wird das Leben als ein fortwährender Entwicklungsweg verständlich, auf dem der Mensch in Freiheit und Verantwortung steht. Die naturwissenschaftliche Erkenntnis des Materialismus war notwendig, um das äußere Leben zu durchdringen. Doch sie versagt, wenn es um das Seelische und Geistige geht. Die menschliche Gestalt, mit ihrer Haut, den Sinnesorganen, dem Nerven- und Drüsensystem, dem Blutkreislauf, den Muskeln und Knochen, ist aus kosmisch-planetarischen Urbildern geformt, in denen geistige Hierarchien wirken. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch das Gewissen, das ihn mit der geistigen Welt verbindet. Nach dem Tod durchschreitet der Mensch die Sphären der Hierarchien. Seine moralisch-geistige Gestalt verwandelt sich stufenweise. Die mit ihm schicksalhaft verbundenen Menschen erkennt er unverhüllt; das Schicksal wird durchsichtig. Die geistigen Erlebnisse werden zu plastischen Kräften, die bei der nächsten Verkörperung in die Kopforganisation einfließen und als Weltenklang und Weltensprache erlebt werden. Der Mensch durchwandert vier mögliche Welten. Auf dem nachtodlichen Weg durch die Planetensphären bis zur Sonne erlebt die Seele drei richtende Eindrücke in der Mondensphäre, begegnet den Urlehrern der Menschheit und den ahrimanischen Wesen. In der Merkur- und Venussphäre wirkt die dritte Hierarchie, im Sonnenbereich die zweite Hierarchie, und das Bewusstsein für das Irdische geht auf. Die Einflüsse der Planetensphären prägen die nachatlantischen Kulturepochen; der Mars wirkt im fünften Zeitraum, der Sonnenimpuls lebt fort in Sonnenflecken, Kometen und Meteoren. Das Eisen wird zum Träger des Freiheitsimpulses im Kampf Michaels. Von der Sonne ausgehend, erlebt die Seele die Weltenmusik, doch die Erdensprache bringt Missklang. In den Sphären von Mars, Jupiter und Saturn lebt sich der Mensch in Weltensprache, Weltenidee und Weltengedächtnis ein. Beim Durchgang durch die Fixsterne bildet sich die geistige Hauptesanlage, die beim Rückweg zur Erde in Keime irdischer Anlagen umgewandelt wird. Die Konzentration auf die geistige Herzbildung geschieht beim zweiten Sonnendurchgang. In der Mondensphäre wird das Bewusstsein gedämpft, und die irdische Embryonalzeit beginnt. Der Mensch steht in einem tiefen Zusammenhang mit dem Kosmos. Auf dem Weg der Imagination durchdringt er die Quarz-Kiesel-Oberfläche der Erde und erlebt die Verbindung der Erde mit dem Weltenall, den Wirkensbereich der dritten Hierarchie. Auf der Stufe der Inspiration identifiziert er sich mit dem Metallischen der Erde und taucht ein in die Erinnerungen des Planeten, getragen vom Wirken der zweiten Hierarchie. Das Verhältnis zu den Hierarchien ist im irdischen wie im nachtodlichen Leben grundlegend. Das metallschmelzende Feuer im Erdenprozess steht im Zusammenhang mit den Lernprozessen des Kindes – Gehen, Sprechen, Denken – und offenbart die Kraft, das eigene Karma zu durchschauen. 232) Das Seelenleben des Menschen offenbart sich in drei Grundformen: dem Denken, dem Erinnern und dem Gestenerleben. Im Denken erlebt sich der Mensch als innerlich tätig, er lebt im Strom der Gedanken, der sich von der äußeren Welt abhebt und doch auf sie bezogen bleibt. Im Erinnern taucht das Vergangene auf, wird innerlich gegenwärtig, als ob es aus einer tieferen Schicht des Seins heraufgeholt würde. Das Gestenerleben schließlich bringt zum Ausdruck, wie das Seelische sich in Gebärden, in Bewegungen, in der äußeren Erscheinung offenbart, wie das Innere nach außen drängt und sich im Leiblichen ausprägt. Die Kräfte, die im Menschen wirken, sind nicht bloß irdischer Natur. Im physischen Leib wirken luziferische und ahrimanische Mächte, die den Menschen einerseits zur Übersinnlichkeit, andererseits zur Verhaftung an das Irdische drängen. Die Vererbungskräfte, die durch die Generationen wirken, und die Anpassung an die Umwelt sind Ausdruck dieser Mächte, die im Menschen und in der Natur walten. Der Mensch steht zwischen diesen Kräften, ringt mit ihnen um seine Entwicklung und sein Bewusstsein. Das Leben in der Natur ist nicht bloß ein äußeres Geschehen. Im Vorstellen und Wollen wächst der Mensch in das Innere der Natur hinein, erlebt sich im Jahreslauf, im Wechsel von Tag und Nacht, von Sommer und Winter. Im Sommerwille und Winterwille offenbaren sich die geistigen Rhythmen, die das Leben durchziehen. Die Erde selbst ist nicht nur ein physischer Planet, sondern ein lebendiges Wesen, umgeben von einer Kristalldecke, durchdrungen von den Kräften der Metalle. Die Metalle sprechen ihre eigene Sprache, strahlen Kräfte zurück in das Erdenleben und verbinden das Irdische mit dem Kosmischen. Die Pflanzen sind Himmelsgaben, sie wachsen aus der Erde empor, getragen von den Kräften, die einst in einer anderen Atmosphäre wirkten. Die Tiere sind Gebilde der Erde, sie verkörpern die irdischen Kräfte, während die Metalle eine kosmische Erinnerung bewahren. So ist die Welt durchwoben von geistigen Kräften, die in den verschiedenen Naturreichen unterschiedlich wirken. Die Mysterien von Ephesos, Hybernia, Eleusis und Samothrake offenbaren die Wege, auf denen der Mensch zu den geistigen Hintergründen der Welt vordringen kann. In Ephesos wurde das Wesen der Artemis verehrt, das die Verbindung von Erde und Kosmos verkörpert. In Hybernia wurden die Mysterien des inneren Menschen gepflegt, das Erleben der geistigen Welt im eigenen Innern. Die eleusinischen Mysterien führten zur Erkenntnis des Lebens nach dem Tod, zur Begegnung mit den chthonischen Mächten der Erde. Die samothrakischen Kabiren-Mysterien offenbarten die Geheimnisse der Metalle und der Elemente, die Verbindung von Mensch, Pflanze und Metall. In der Zeit von Plato zu Aristoteles vollzog sich ein Wandel im Mysterienwesen: Das Wissen wurde mehr ins Denken, ins Bewusstsein des einzelnen Menschen gehoben. Aristoteles lehrte Alexander das Geheimnis der Pflanzen, der Metalle und der Menschen, die Zusammenhänge zwischen den Naturreichen und den geistigen Kräften. Mit dem Mittelalter beginnt ein neues Seelenstreben. Die alten Mysterien verlieren ihre unmittelbare Kraft, doch im rosenkreuzerischen Mysterienwesen lebt das Streben nach Erkenntnis des Geistes fort. Der Mensch sucht nun den Weg zum Geistigen durch die innere Entwicklung, durch die Verwandlung des eigenen Seelenlebens. Die Mysterien werden zu einer inneren Erfahrung, zu einem Weg, der durch das eigene Denken, Erinnern und Gestenerleben zur Erkenntnis der geistigen Welt führt. 233) In diesen Tagen der Weihnacht versammle ich euch, um das Wesen der Menschheitsgeschichte in ihrem innersten Zusammenhang mit der Entwicklung des menschlichen Geistes zu durchdringen. Das heutige Bewusstsein, das Erinnern, Fühlen und Wollen, ist hervorgegangen aus uralten Seelenzuständen, die noch nicht von Gedankenbildern, sondern von einem unmittelbaren Erleben des Leibes und der Erde getragen waren. In den ältesten Zeiten lebte der Mensch sein Dasein nicht als Einzelner, sondern als Glied der ganzen Erde, sein Fühlen war verbunden mit dem Sonnenlauf, sein Wollen mit den Bewegungen der Gestirne. Das Gedächtnis war gebunden an äußere Zeichen, an Denkmäler, und wurde erst durch die Wanderungen nach Asien rhythmisiert, was in der Dichtung seinen Ausdruck fand. Erst mit dem Griechentum erwachte das innere Zeitgedächtnis, der Weg der Verinnerlichung begann. Die alten Völker Asiens lebten in einem Bewusstsein, das die Welt als ein vierstufiges, geistiges Ganzes erfasste. Ihr Tagesbewusstsein war ein träumendes Wachen, das die Eindrücke in Imaginationen verwandelte, und im Schlaf tauchten sie dumpf in die Welt der Hierarchien ein. Die Eingeweihten jener Zeit ahnten bereits das heutige Wachbewusstsein voraus und begegneten der Geistentleerung, der Notwendigkeit, Moralität zu entwickeln. Die äußere Geschichte war von grausamen Kriegen geprägt, in denen junge Völker an den Todeskräften der alten reiften. Die Griechen schließlich lebten aus einem Überschuss an Todeskräften, der sich im Trojanischen Krieg als Angst manifestierte. Im ägyptisch-chaldäischen Zeitalter tritt das Ich-Bewusstsein in eine Doppelheit: das Geistig-Seelische sinkt ins Physisch-Ätherische herab. In der Gestalt von Gilgamesch und Eabani begegnet sich die alte Erobererkraft mit dem hellen Erkennen des Jungen, und ihr Zusammenwirken reicht über den Tod hinaus. Hier wird das Problem der Unsterblichkeit lebendig, das Bewusstsein der Zugehörigkeit des Menschen zur Erden- und zur Geistwelt. Die ephesischen Mysterien bewahren noch einen Nachklang der alten Weisheit, die in der Wiederverkörperung von Gilgamesch und Eabani als Epheser fortlebt. Die hybernischen und ephesischen Mysterien führen auf den Weg der Bewusstseinsverdunklung und Freiheitsbildung. In Hybernia lernt der Mensch, sich in den Kosmos, in Sonne und Mond einzuleben. In Ephesus wird durch das Wesen der Sprache der Weltenäther erfahren, das menschliche Sprechen erscheint als Abbild des schöpferischen Logos. Die griechische Kultur trägt die Abbilder dieser Geistgegenwart. Aristoteles, der Lehrer Alexanders, vermittelt seinem Schüler das Wissen um die Erde, den Weltenäther und die Verwandtschaft des Menschen mit den Elementen. Alexander erlebt die Geistigkeit der Erde und zieht aus Impulsen nach Osten, die Natürliches und Moralisches verbinden. Das Mysterium von Ephesus nimmt eine besondere Stellung ein: Hier klingt die unmittelbare Gegenwart des Göttlich-Geistigen nach, aber bereits unabhängig von Raum und Zeit. Der Abstieg Griechenlands aus göttlicher in irdische Zivilisation beginnt, die Geschichtsschreibung setzt ein. Mit dem Brand von Ephesus und der Geburt Alexanders fällt eine geistige Orientierung weg, Alexander sucht einen neuen geistigen Ephesus zu begründen, während mit dem Aufkommen der römischen Welt die orientalische, nur imaginativ erfassbare Geschichte endet. Nach Alexander und bis zu Julian Apostata trägt die Kultur noch die Impulse der Mysterien, dann beginnt das Persönlichkeitsprinzip. Die Erinnerungsfähigkeit wandelt sich zum persönlichen Zeitgedächtnis, die Geschichtsschreibung entsteht. Das Mysterium von Golgatha verbindet sich mit den Impulsen von Hybernia. Aristoteles’ Wissen dringt durch Alexander in den Osten, durch Theophrast gelangen seine logischen Schriften in den Westen. Die aristotelische Logik wird zur geistigen Schulung, sein Naturgeist-Wissen lebt in der Volksweisheit fort. Die geistige Bildung sinkt seit Griechenland ab, doch die letzten Ausläufer des Aristotelismus ermöglichen gerade noch ein Wiederanknüpfen an die alte Offenbarung. Der Brand von Ephesus und der Brand des Goetheanum stehen in geheimnisvollem Zusammenhang. Mit dem Zeitalter der Bewusstseinsseele geht das Wissen um den Zusammenhang des Menschen mit der Welt verloren. Im Mittelalter weiß man noch um die Entsprechung von Mikrokosmos und Makrokosmos, um den Austausch feinster Substanzen zwischen Mensch und Kosmos, um die Kräfte der Erde und des Weltenumkreises. Die Gestalt des Menschen spiegelt das Wirken dieser Kräfte wider. Die Notwendigkeit erneuerter Einsicht in das Zusammenwirken der Wesensglieder des Menschen mit den Naturreichen wird zur Grundlage einer neuen Heilkunde. Die Ich-Organisation verwandelt alles Feste, Flüssige, Luftige und Wärmende durchdringend. Der Brand von Ephesus und der Brand des Goetheanum sind Zeichen eines tiefen geistigen Geschehens. Die Mysterien waren Orte der Begegnung von Menschen und guten Göttern, doch der Neid luziferisch-ahrimanischer Götter wirkte zerstörend. Die Tat von Golgatha ist die Tat des Gottes der höchsten Liebe. Im Zeitalter der Freiheit wird die Angelegenheit der Götter zur Angelegenheit des physischen Menschenlebens. Die neue geistige Offenbarung spricht in den Formen und Bildinhalten des Goetheanum. Die Statue der Göttin in Ephesus findet ihr Gegenbild in der Statue des Menschheitsrepräsentanten im Goetheanum. Der Schmerz über den Brand des Goetheanum verwandelt sich in Treue und Tatkraft für die geistigen Impulse. Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, ob sie den Schwellenübertritt nicht verwirkt, indem sie das Ideenvermögen nur für die materielle Welt missbraucht. Dornach ist der Ort, an dem offen von geistigen Realitäten gesprochen werden muss. Kompromisslosigkeit und Wahrhaftigkeit sind notwendig im anthroposophischen Impuls. Die Hoffnung der Weihnachtstagung lebt im Grundsteinspruch fort. 233a) Die Erforschung der Welt und des Menschen in alten Zeiten ist getragen von einem lebendigen Bewusstsein der Hierarchien geistiger Wesenheiten. Die erste Hierarchie, die Seraphim, Cherubim und Throne, ist verbunden mit dem Saturnzustand, dem Ursprung der Wärme. Die zweite Hierarchie, bestehend aus Kyriotetes, Dynamis und Exusiai, führt zur Sonnenentwicklung, zum Licht und zur Luft. Die dritte Hierarchie, Angeloi, Archangeloi und Archai, bringt die Mondenentwicklung hervor, in der die Farben entstehen. Der Mensch als vierte Hierarchie tritt auf der Erde auf, bringt das Leben, das Feste und das seelische Erleben hervor. Die heutige Weltanschauung ist dagegen leer geworden, sie kennt nur noch tote Materie und hat das lebendige Verhältnis zu den geistigen Kräften verloren. Im zwölften Jahrhundert kann noch eine Mysterienunterweisung erlebt werden, in der das Verständnis für die Geistesoffenbarung auf dem Berge und die Erleuchtung des Naturverhältnisses in den Tiefen der Erde zusammenklingen. Daraus erwächst Weisheit und Selbsterkenntnis. Raimundus Lullus ringt um das Weltenwort, das die geistige Welt mit der irdischen verbindet. In dieser Zeit beginnt die Rosenkreuzerschulung, die den Menschen auf einen neuen Weg der Erkenntnis führt. Im späten Mittelalter wandelt sich der Charakter der geistigen Offenbarung. Die rosenkreuzerische Bruderschaft bewahrt das Wissen um die symbolische Offenbarung, doch ihre Verbreitung wird fragwürdig, es entsteht eine Angst vor Erkenntnis. Raimund von Sabunda und Pico della Mirandola stehen für das Opfer der Sternenerkenntnis und den Freiheitsimpuls. Einzelne Menschen tragen noch bis ins 19. Jahrhundert eine Gemütsweisheit in sich, die aus alten Zeiten stammt. Die Lehre von der Intelligenz und dem Dämon der Planeten, wie sie Agrippa von Nettesheim vertritt, zeigt den Menschen als Sonnenwesen und als Intelligenz des Erdgestirns. Doch der Mensch verbindet sich zu tief mit der Erdenmaterie und entfremdet sich sich selbst. Der Christus-Impuls verwandelt das Verhältnis von Sonne und Erde. Faust ringt mit dem Erdgeist. Die Rosenkreuzerlehre erkennt das wahre Verhältnis von ptolemäischem und kopernikanischem Weltsystem. Die Sehnsucht des neuzeitlichen Menschen nach dem Geistigen kündigt das Michaelzeitalter an. Zwei Lehren einer geisteswissenschaftlichen Schule reichen bis ins 19. Jahrhundert: Das Verständnis symbolischer Formen der Geisteswissenschaft entsteht durch das Erleben des Knochenbaus und seines Inneren. Die Organisation von Rückenmark und Gehirn steht im Verhältnis zu Sonne und Mond und spiegelt sich in Auge und Geruchsorgan wider. An der Nasenwurzel findet sich ein „kleiner Mensch“, ein Kopforgan, durch das das Wesen des Stoffes erkannt wird, während das Knocheninnere das Wesen der Form offenbart. Aristoteles lehrt das Erfassen von Stoff und Form bei Mineral, Pflanze, Tier und Mensch. Die alten Einweihungen sind subjektiv: Was die Götter in die Wesensglieder des Menschen gelegt haben, wird heraufgeholt und in das Astrallicht eingeschrieben, das als Evolutionsgedächtnis der Menschheit wirkt. Das moderne Ideenleben verflüchtigt sich im Wärmeäther. Christian Rosenkreuz wirkt an der Verwandlung der materialistischen Naturwissenschaft. Die moderne Einweihung richtet sich auf das Objektive: Sie lernt lesen, was frühere Epochen dem Astrallicht eingeschrieben haben. Michael steht als Wesen für diese neue Zeit. Das Osterfest steht im Zusammenhang mit heidnischen Mysterienkulten. Der Adoniskult im Herbst zeigt Tod, Grabesruhe und Auferstehung als Bild des Initiationsvorgangs. Dieser Kultus spiegelt reale geistige Weltvorgänge wider. Das Mysterium von Golgatha vollzieht, was in der alten Initiation von der Seele erlebt wurde, in der ganzen Menschennatur. Die räumliche Erhebung zum Sonnenwesen wird nach Golgatha zur zeitlichen Anschauung eines irdisch-historischen Geschehens. Das neue Auferstehungsfest im Frühling wird geboren. Die Menschennatur wandelt sich ins Materialistische, doch der Auferstehungsgedanke lebt in der Anthroposophie fort. Die großen Feste machen den Zusammenhang von Mensch und Kosmos bewusst. In früheren Zeiten wirken die Vaterkräfte des Mondes, noch früher die Sohneskräfte der Sonne. Die irdische Geburt ist eine Mondengeburt, geprägt von Notwendigkeit. Um das dreißigste Lebensjahr kann eine Sonnengeburt erfolgen, die freie Selbstgestaltung ermöglicht. Das Wissen um die Sonnenkräfte zieht sich in die Mysterien zurück. Die fünf Stufen der Initiation führen bis zum Grab des Auferstandenen. Der innere Gehalt des Osterfestes wird als menschliches Erlebnis dieser Entwicklungsstufe erfahren. Der Einzug der Sonnenkräfte ins Irdische wird durch das Mysterium von Golgatha möglich. Der astronomische Aspekt des Osterfestes steht im Zusammenhang mit dem Mondengeheimnis. Der Mond wirkt bei der vorgeburtlichen Bildung des Ätherleibes mit, gestützt auf die Erfahrungen mit den anderen Planeten. Durch Initiation kann der Mensch diesen Vorgang miterleben, besonders das Zusammenwirken von Mond und Sonne. Das Ostererlebnis wird abstrakt als Zeitbestimmung zwischen Erde, Mond und Sonne erlebt. Die Zusammenlegung von Herbst- und Frühjahrsmysterien führt zur Verwirrung: Herbstmysterien feiern den Aufstieg des Geistes nach dem Todeserlebnis, Frühjahrsmysterien erleben den Niederstieg des Geistes aus dem Vorirdischen. Mysterienwesen, Freiheitsentwicklung und Anthroposophie gehören zusammen. Der Brand von Ephesus und der des Goetheanum zeigen, wie bedeutsames Unrecht einen Menschheitsfortschritt anstoßen kann. Die ephesische Mysterienweisheit lebt im Weltenäther weiter, wird in Aristoteles und Alexander wiedergeboren und in menschlicher Gedankenschrift als aristotelische Kategorien neu gestaltet. Die Anthroposophie steht für das Auferstehen der Weltenweisheit, die in der Zwischenzeit verborgen war. Der Goetheanumimpuls wird durch den Brand verwandelt. Eine neue Osterstimmung, getragen von anthroposophischem Geist, kann in der Menschheit aufleuchten. 234) Es stehen zwei große Fragen vor der Menschenseele, die heute in aller Tiefe erlebt werden: Wie kann der Mensch zu einem wirklichen Verständnis der Natur kommen, ohne dass er daran zugrunde geht? Und wie kann die Natur in das Innere des Menschen eindringen, ohne dass sie dort zum bloßen Schein wird? Die alten Antworten von Wissenschaft, Kunst und Religion reichen nicht mehr aus. Es bedarf einer neuen Antwort, die aus der lebendigen Erfahrung des Geistes kommt. Das gewöhnliche Bewusstsein erlebt sich in der physischen Welt, aber der Aufbau des menschlichen Leibes stammt aus einer anderen, übersinnlichen Welt. Was im Menschen als gestaltende Kraft wirkt, ist ein Fortwirken vergangener Erdenzustände. In der Meditation kann dieses Ätherische und Astralische wahrgenommen werden, das in der Zeitentwicklung des Menschen fortlebt. Der Mensch nimmt Substanzen aus der Natur auf, verwandelt sie in seinem Inneren und gibt sie wieder ab, doch das Wesentliche dieser Verwandlung entzieht sich der äußeren Naturbeobachtung. Um zu einer wirklichen Initiationserkenntnis zu gelangen, muss das Bewusstsein sich für die Beziehung zu Sonne, Mond und den Gestirnen öffnen. Zwei Tore führen in die übersinnliche Welt: das Tor der Sonne, das mit der Zukunft, und das Tor des Mondes, das mit der Vergangenheit und dem Schicksal des Menschen verbunden ist. Die Begegnung mit Menschen, die auf unseren Verstand oder unseren Willen besonders wirken, deutet auf karmische Zusammenhänge hin. Das gewöhnliche Denken reicht nicht aus, um das Rätsel von Natur und Seele zu lösen. Durch meditative Verstärkung des Denkens kann der Mensch einen zweiten Menschen in sich erleben, der mit der Sternenwelt verbunden ist. Der physische Mensch steht im Zusammenhang mit dem Festen, der Flüssigkeitsmensch mit dem Ätherischen, und im Leermachen des Bewusstseins kann durch Inspiration das Hereinwirken des Astralischen erlebt werden. So wird das innere Erleben zur Musik, wie sie in der Leier des Apollo symbolisiert ist. Die Liebe wird zur Erkenntniskraft, wenn der Mensch das Wesen des Ätherischen und Astralischen durchdringt. Der Ätherleib ist ein Zeitenorganismus, der Astralleib ein Licht aus der geistigen Welt. Im Initiationsschmerz erkennt der Mensch das Ich der vorigen Inkarnation, das durch den Wärmeorganismus in das gegenwärtige Leben hereinwirkt. Die moralischen Impulse aus früheren Erdenleben wirken durch den Wärmemenschen in das jetzige Leben hinein. Im Schlafzustand tritt das Ich mit dem Astralleib aus dem physischen und ätherischen Leib heraus. Die Inhalte des inspirierten Bewusstseins erscheinen wie Erinnerungen aus dem Schlafesleben. Während des Schlafes kehrt der Mensch in ein vorgeburtliches oder früheres Erdenleben zurück. Der Begriff der Zeit verwandelt sich, und nach dem Tode lösen sich die Erinnerungsbilder in den Kosmos auf. Es entsteht eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Welt, die im Tod ihren Höhepunkt findet. Das Traumleben bildet eine Brücke zwischen äußerer und innerer Wirklichkeit. Es gibt Träume, die äußere Erlebnisse abbilden, und solche, die innere Vorgänge symbolisch ausdrücken. Im ersten Fall zeigt sich das Verhältnis des Ich zur Welt, im zweiten Fall greift der Astralleib ein. Die Imagination steht dem Traumbild nahe und ist mit den inneren Organen verbunden. Die imaginative Erkenntnis offenbart den dreigliedrigen Organismus des Menschen und dessen Zusammenhang mit vergangenen und künftigen Erdenleben. Die Erinnerungen werden imaginativ betrachtet, und in der Rückschau nach dem Tode erlebt der Mensch seine moralischen Taten und das Schuldigwerden gegenüber dem Weltall. Im Erleben der Rückschau bildet sich das Karma, und im Traum erleben wir unbewusst die geistige Seite des Tageslebens. Die Erinnerungsfähigkeit des Menschen ist im physischen Leben an den Leib gebunden. Nach dem Tode löst sich das Erinnerungstableau ins Weltenall auf. Der Mensch taucht in das geistige Gegenstück der Erinnerungen ein und erlebt in rückläufigem Erdenleben den leidvollen Ausgleich (Kamaloka). Daraus erwächst das geistige Selbstbewusstsein und der Impuls zum Ausgleich in einem neuen Erdenleben. Der Eintritt in die geistige Welt führt zum Erleben der geistigen Wesenheiten und zu einer neuen, karmisch bestimmten Lebensaufgabe. 235) Die Kräfte, die das menschliche Schicksal, das Karma, gestalten, offenbaren sich in verschiedenen Gesetzmäßigkeiten der Welt. Im Mineralreich wirkt das Gesetz von Ursache und Wirkung im Gleichzeitigen, im Pflanzenreich offenbart sich das Eingreifen des Weltenalls, das die Pflanze aus dem Kosmos heraus gestaltet. Im Tierreich und im Menschenreich jedoch liegen die Ursachenkräfte im Vorgeburtlichen, sie sind mit den Sternkonstellationen vor unserer Geburt verbunden. Während das Tier an der Grenze der Zeit vergeht, schreitet der Mensch über diese hinaus, sodass er aus der Zeit heraus wieder auf die Erde gelangt, in sein vorheriges Erdenleben. Der Mensch steht in vielfältigen Beziehungen zu seiner Weltumgebung. Die mineralische Welt ist das notwendige Gegenstück zur menschlichen Freiheit. Als atmendes Wesen ist der Mensch von der Pflanzenwelt abhängig, von den ätherischen, wachstumsbewirkenden Kräften, die mit seinem Schicksal, seinem Karma, zusammenhängen. Diese Kräfte bilden sich durch die Beziehung zu den Wesen der dritten Hierarchie. Das Wohlbefinden und Missbehagen des Menschen sind Ausdruck seines inneren Karmas; Sympathien und Antipathien verbinden ihn mit der Tierwelt, deren Kräfte auf seinen astralischen Leib wirken und Teil des Schicksals werden, das er aus der geistigen Welt mitbringt, wo die Wesen der zweiten Hierarchie leben. Die innere Notwendigkeit der Schicksalsverkettung wird durch die Macht der ersten Hierarchie bewirkt, die in unserer Ich-Organisation von einem Erdenleben ins nächste wirkt. Die moralische Bedeutung des Ausgleichs der Erlebnisse im Karma muss zum äußeren Weltereignis werden. Karmische Notwendigkeit und Freiheit durchdringen das Leben. Die Einsicht in das eigene Karma als gesetzmäßig zusammenhängendes Ganzes führt zur Freiheit in der Erfüllung der karmischen Aufgabe. Der Untergrund des Karma sind wir selbst. Durch Rückblick in frühere Erdenleben, wie ihn die Initiationswissenschaft ermöglicht, wird der Zusammenhang sichtbar. Zwischen Tod und neuer Geburt bildet sich der Impuls zum Karma. Was an Liebe aufgewendet wird, verwandelt sich in Freude im nächsten Leben; Freude ist das karmische Ergebnis von Liebe. Hass wandelt sich in Leid, und Hass und Leid führen im dritten Leben zu Stumpfheit gegenüber der Welt. In der Erziehung liegt die Möglichkeit, für solches Karma einen Ausgleich zu schaffen. Die Zeitgenossenschaft erhält eine besondere Bedeutung für die wiederholten Erdenleben. Im Gesamtschicksal des Menschen wirken innere und äußere Faktoren zusammen. Gesundheits- und Krankheitsanlagen, auch Kinderkrankheiten, stehen in Zusammenhang mit karmischen Metamorphosen seelisch-geistiger Interessen. Freundschaften sind schicksalsmäßig verbunden, und es gibt sich erfüllendes und werdendes Karma. Das Eingreifen des Karma in die Menschenentwicklung zeigt sich im Wechsel von Wachen und Schlafen, Vorstellung und Erinnerung. Im Tagesbewusstsein sind wir eigentlich Menschen, im Unbewussten eingegliedert in die übrige Welt. Die Hauptesorganisation steht in Verbindung mit der dritten Hierarchie, die rhythmische Organisation mit der zweiten, die motorische Sphäre mit der ersten Hierarchie. Die Taten der dritten Hierarchie offenbaren sich im Erinnern, die zweite Hierarchie wirkt nach dem Tod an der Gestaltung des inneren Karmas, die erste Hierarchie bildet in ausgleichender Tätigkeit als Gegenbild nach, was der Mensch im Erdenleben ausgestaltet hat. Unsere Taten treten uns im nächsten Leben als Schicksalstatsachen entgegen. Hinter dem Gesetz des Karma stehen Göttertaten und Göttererlebnisse. Anhand repräsentativer Persönlichkeiten wird das Wirken des Karma anschaulich. Die Biografien von Friedrich Theodor Vischer, Franz Schubert, Eugen Dühring, Eduard von Hartmann, Friedrich Nietzsche, aber auch historische Persönlichkeiten wie Harun al Raschid, Bacon von Verulam, Charles Darwin, Woodrow Wilson, Garibaldi, Viktor Emanuel, Lessing, Lord Byron und andere zeigen, wie moralische, geistige und seelische Impulse aus früheren Inkarnationen in späteren Leben als körperliche, geistige oder schicksalhafte Eigenschaften wiederkehren. Die Wechselwirkungen der verschiedenen Gliederungen der menschlichen Wesenheit von einem Erdenleben zum anderen werden sichtbar. Die Einflüsse vergangener Kulturen, etwa die arabische Strömung des 7. bis 9. Jahrhunderts, wirken durch wiedererscheinende Individualitäten in die europäische Zivilisation hinein. Die Verbindung von Astronomie und Astrologie, die Wirkung des Aristotelismus auf den Mohammedanismus, die Wiederkehr von Individualitäten in neuen geschichtlichen Zusammenhängen werden deutlich. Die Frage nach den früheren Eingeweihten führt zu den Hindernissen der gegenwärtigen Zivilisation, durch die gewisse Eigenschaften abgetötet und die Körper für Geistiges ungeeignet gemacht werden. Die Entwicklung einzelner Persönlichkeiten, wie Ernst Haeckel, Lessing, Valentin Andreae, und die Bedeutung geheimer Strömungen, wie das Palladium, werden im Zusammenhang mit dem Karma betrachtet. So wird offenbar, dass das menschliche Schicksal nicht bloß das Ergebnis äußerer Umstände ist, sondern aus tiefen geistigen Zusammenhängen hervorgeht, in denen der Mensch als ewiges Wesen in wiederholten Erdenleben an seinem eigenen Schicksal webt, geführt und begleitet von den Hierarchien der geistigen Welt. 236) Im Beginnen dieser Betrachtungen stelle ich das geschichtliche Werden der Menschheit in den Zusammenhang mit den karmischen Kräften, die durch die Zeiten wirken. Die großen Gestalten der Geschichte, wie Bacon von Verulam und Comenius, tragen Impulse in sich, die aus früheren Erdenleben herüberwirken und in neuen Gestalten wiedererscheinen. Die Seelen begegnen sich nicht zufällig, sondern sind durch karmische Verbindungen miteinander verknüpft, und im vorirdischen Dasein bereiten sie gemeinsam Aufgaben vor, die sich dann im irdischen Leben auswirken. So lebt das, was einst in die Welt gestellt wurde, in neuen Formen weiter, wie etwa die Impulse Bacons in Ranke oder die von Comenius in Schlosser. Das geschichtliche Leben der Menschheit ist untrennbar mit der Entwicklung des einzelnen Menschen verbunden. Was in früheren Epochen erlebt und errungen wurde, wird durch die Menschen selbst in spätere Zeiten getragen. Die großen Individualitäten, wie Pestalozzi, Conrad Ferdinand Meyer, Emerson oder Herman Grimm, sind Ausdruck jener Kräfte, die aus dem Geistigen in das Irdische wirken und die Entwicklung der Menschheit vorantreiben. Die Wiederverkörperung früherer Eingeweihter stellt eine besondere Herausforderung dar. Die Seelen müssen sich immer wieder an neue Zivilisations- und Leibesverhältnisse anpassen. Das Wissen aus früheren Inkarnationen wird zwar verschüttet, geht aber nicht verloren, sondern kehrt auf andere Weise wieder ins Bewusstsein zurück. Die alte Initiationsweisheit drängt heute zu künstlerischem Schaffen, wie es bei Ibsen, Frank Wedekind, Hölderlin oder Hamerling sichtbar wird. Das Wunderbare offenbart sich in der Alltäglichkeit. Die großen geschichtlichen Ereignisse prägen die Seelen und werden zu Impulsen für kommende Erdenleben. Die Frage nach Gut und Böse wird im Lichte des Karma zu einer moralischen Aufgabe für den Menschen. Die äußeren Formen, wie Tempelarchitektur und Kultus, sind nicht bloße Hüllen, sondern Mittel zur Vertiefung der Innenerkenntnis und zur Heilung des Sinnesempfindens. Der Bau des Goetheanums war eine Erziehung zum karmischen Schauen. Durch die objektive Betrachtung des Karma fließt ein lebendiges Ethos in die Seele. Es ist notwendig, sich von sich selbst zu lösen und sich dem anderen hinzugeben, denn erhöhter Egoismus ist eine Gefahr des geistigen Strebens. Der karmische Ausgleich geschieht im Leben zwischen Tod und neuer Geburt, indem man aus sich heraustritt und in den anderen eintritt. Karma wirft seine Schatten und Lichter voraus, und durch praktische Karmaübungen kann man hinter dem sichtbaren Menschen die Impulse von Saturn, Sonne und Mond erkennen. Um Karma schauen zu lernen, bedarf es innerer Verrichtungen der Seele. Der Weg beginnt mit dem Erfassen der weisheitsvollen Einrichtungen der Welt und führt über das Warten und das bewusste Heraufheben des Erlebten zur Gestaltung von Bildern durch den Astralleib im Äther. Durch geistige Anstrengung und Besonnenheit von Kopf und Herz wird der Wille zum Schauen umgewandelt. Die äußere Gestaltung des Menschen, seine Physiognomie und sein Mienenspiel, sind Offenbarungen des Seelisch-Geistigen. Die Gestalt des Menschen ist ein Abbild der geistigen Welt, und die drei Systeme – Haupt, Rhythmus, Gliedmaßen-Stoffwechsel – stehen in karmischer Entwicklung miteinander in Beziehung. Die Bildung des Karma folgt inneren Gesetzmäßigkeiten, die mit den Urlehrern der Menschheit, den Mondbewohnern, zusammenhängen. Die negativen Bilder der menschlichen Taten prägen sich in die Weltsubstanz ein und werden beim Rückgang durch die früheren Erdennächte intensiver erlebt als die irdischen Ereignisse selbst. Die Urweisheit wird wiedergefunden, und das Karma wird beim Wiedereintritt in das Erdenleben aufgenommen. Nach dem Tode durchlebt der Mensch rückläufig den Wandel der Erde. Die Wirkungen der irdischen und außerirdischen Welt auf das Karma sind verschieden. Beim Durchgang durch die Planetensphären werden geistige und Naturgesetze eins. Das wahrhaft Menschliche stammt aus dem Sonnendasein, das Irdische ist nur ein Bild davon. Das Böse bleibt vor dem Eintritt in das Sonnenleben zurück, wird aber beim Rückweg durch die Mondenregion wiedergefunden. Krankheit entsteht unterhalb der Sonnenregion, während Gesundheit aus dem Sonnenleben stammt. Die Wesenheiten des geistigen Weltenalls nehmen am menschlichen Karma teil. Der Mensch trägt die äußeren Naturwesen im Raum und die höheren Hierarchien in der Zeit in sich. Die Erkenntnis der Beziehungen zu den höheren Hierarchien gibt dem Menschen Halt im Geistigen, während materialistischer Intellektualismus die Lebenskräfte versiegen lässt. Die Hierarchienordnung greift in das menschliche Leben ein, und die Spiegelungen der geistigen Wesen des Planetensystems werden im Leben nach dem Tode erlebt. In Zusammenarbeit mit höheren Wesenheiten wird das Karma ausgearbeitet, wie es sich an den Lebensläufen von Voltaire, Eliphas Levi oder Victor Hugo zeigt. Das Verständnis für karmische Zusammenhänge erwächst aus der Erkenntnis dessen, was hinter dem gewöhnlichen Bewusstsein geschieht. Durch die Übungen der übersinnlichen Erkenntnis wird der innere Zusammenhang von Seele und Leib durchbrochen, und es zeigt sich, dass der physische Leib Träger geistiger Wesenheiten ist. Unser Karma wird von den Göttern, die in uns wohnen, geformt. Erst mit der Entwicklung der Bewusstseinsseele tritt die Freiheit auf, und das menschliche Schicksal wird zur Angelegenheit der Götter. Das gelassene Hinnehmen des Schicksals gibt die stärksten geistigen Impulse. Die kosmische Form des Karma zeigt sich in der Wahrnehmbarkeit des Übersinnlichen im Kosmos. Die Himmelsbläue, die Sternenkonstellationen, die Geistselbstigkeit – all dies sind Ausdrucksformen der karmischen Zusammenhänge. Das Verantwortungsgefühl gegenüber den Mitteilungen aus der geistigen Welt ist grundlegend. Die Biographie des Menschen ist im geisteswissenschaftlichen Sinne zu betrachten. Das Karma lebt sich in den Erinnerungserlebnissen während des Schlafes aus, und hinter den Weltgedanken wirken die Hierarchien. Das Karma wird dem Menschen vom Kosmos zugeteilt, indem die Hierarchien auf die vergangenen Erdenleben zurückblicken. Karmisch verbundene Menschengruppen wirken gemeinsam, und die Hierarchien greifen in das Leben der Menschen ein. Die äußeren Naturereignisse, wie Vulkanausbrüche, Erdbeben oder Überschwemmungen, stehen im Zusammenhang mit dem Karmageschehen der Menschheit. Die zweite Hierarchie wirkt in besonderer Weise auf das äußere Geschehen ein. 237) In der heutigen Zeit ist es notwendig, das Verständnis für die karmischen Zusammenhänge innerhalb der anthroposophischen Bewegung zu vertiefen. Die Entwicklung der Menschheit ist durch große geistige Strömungen geprägt, die sich im Laufe der Jahrhunderte verändert haben. In den ersten christlichen Jahrhunderten lebte noch ein lebendiges Bewusstsein für das Weben des Geistigen in der Natur und für das Hereinströmen einer hellen Geistigkeit zwischen Einschlafen und Aufwachen. Doch allmählich verstummte dieses Raunen, und das Bewusstsein für die geistigen Hintergründe der Welt wurde immer schwächer. Die Seelen, die heute zur Anthroposophie finden, tragen verschiedene Prägungen aus früheren Inkarnationen in sich. Es gibt solche, die mit einem tiefen Herzensbedürfnis nach dem Christus-Impuls streben, und andere, die diesen Impuls mehr aus kosmologischer Erkenntnis heraus suchen. Diese Unterschiede reichen zurück bis in die Zeiten der atlantischen Orakel und besonders in die ersten nachchristlichen Jahrhunderte. Damals gab es Seelen, die bereits heidentummüde waren und sich im Gemüt für den Christus entflammten, während andere, weniger oft inkarniert, noch von den alten heidnischen Impulsen erfüllt waren und das Christentum mit einem vom Gemüt durchdrungenen Intellekt aufnahmen. Die geistigen Strömungen, die in den ersten christlichen Jahrhunderten noch lebendig waren, flüchteten sich in die Lehrstätten, in denen das Wissen um die Elemente, die Wandelsterne und die Geheimnisse des Ich gepflegt wurde. Diese Impulse lebten bis in die Schule von Chartres und in die Rosenkreuzertradition hinein. Im 13. Jahrhundert fand in der geistigen Welt ein bedeutender Ideenaustausch statt, um eine neue Spiritualität auf Erden vorzubereiten. Die Seelen wurden im Sonnengebiet von Michael gesammelt und im 15. Jahrhundert in der übersinnlichen Michael-Schule vereint. Von da an sollte die menschliche Seele durch Eigenintelligenz das Michaelische ausbilden, bis am Ende des 19. Jahrhunderts das neue Michael-Zeitalter auf Erden begann. Die große Krise der Gegenwart ist der Kampf Ahrimans gegen Michael. Ahriman will die kosmische Intelligenz ganz irdisch machen, während es die Aufgabe des Menschen ist, durch die Spiritualisierung des Intellekts wieder Herzensmensch zu werden. Die Verwaltung der Intelligenz ging im 8. oder 9. Jahrhundert aus der Hand Michaels in die Hände der Menschen über. Die Aufgabe des heutigen Menschen ist es, die Michael-Impulse in sich zu entwickeln und sich dem Kampf gegen die ahrimanischen Kräfte zu stellen, die den Menschen von sich besessen machen wollen. Im physischen Karma wirken die Kräfte des Michael stark hinein. Die Entscheidung der Gegenwart liegt darin, ob das Geistige in der Menschheit rassenbildend wird oder ob der Mensch durch die Aufnahme des Michael-Impulses frei und individuell bleibt. Es gilt, die Verantwortung zu erkennen, die in der heutigen Inkarnation liegt, und die anthroposophische Bewegung als karmische Gemeinschaft zu begreifen, in der sich die geistigen Strömungen der Vergangenheit und die Aufgaben der Gegenwart begegnen. 238) Die anthroposophische Bewegung wurzelt in einer geistigen Realität, die sich nicht allein in äußeren Formen und Institutionen, sondern in den spirituellen Impulsen der Menschheitsentwicklung offenbart. Das äußere Leben der Gesellschaft ist nur Abbild einer geistigen Bewegung, die in übersinnlichen Welten ihren Ursprung hat und deren Wirken sich im Schicksalsfaden des Einzelnen und der Gemeinschaft fortsetzt. Im gegenwärtigen Zeitalter, das von materialistischer Gedankenbildung geprägt ist, wird das Geistige oft nur als abstrakte Theorie erfasst. Doch es gilt, die konkrete Wirklichkeit des Geistigen zu erkennen, das alles Materielle durchdringt und zuletzt als eigentliche Substanz hinter der äußeren Erscheinung steht. Im Traumerleben offenbart sich, wie die Seele in chaotischen Bildern das äußere Sinnesleben verarbeitet, während sie zugleich in der Nacht, im Schlaf, mit göttlichen Geistern am Weben des eigenen Schicksalsfadens beteiligt ist. Das Karma, der fortlaufende Schicksalsfaden, richtet sich weniger nach äußeren Berufen und Taten, sondern nach den inneren Seelenkräften, nach moralischen Impulsen und Widerständen. Wer das eigene Schicksal erforschen will, muss auf die intimsten Regungen der Seele achten, auf das Ganze des Menschen, auf die verborgenen Zusammenhänge zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Geschichte der Menschheit ist nicht allein durch äußere Ereignisse bestimmt, sondern durch geistige Strömungen und Motive, die von Persönlichkeiten aus früheren Kulturepochen in spätere Zeiten getragen werden. Diese geistigen Impulse verwandeln sich, erscheinen in neuer Gestalt, und wirken als innere Strömungen weiter. So bereiteten etwa die Individualitäten von Harun al Raschid und seinem Ratgeber, von christlichen Aristotelikern und Platonikern, durch die Schule von Chartres und die Michael-Strömung, die geistige Entwicklung Europas vor. Die Mission der Michael-Schule, die zunächst in übersinnlichen Welten wirkte, wurde in der Wende vom zwölften zum dreizehnten Jahrhundert auf die Erde übertragen, als die Aristoteliker sich inkarnierten und die Scholastik begründeten. Während die äußere Kultur zunehmend materialistisch wurde, entstand in den übersinnlichen Welten eine neue Michael-Schule, die Zukunftsimpulse für die Menschheit vorbereitete. Diese Impulse wirken bis in die Gegenwart hinein, insbesondere in die anthroposophische Bewegung. Die Gestalten von Julian Apostata, Herzeloyde und Tycho de Brahe zeigen, wie Individualitäten durch verschiedene Inkarnationen hindurch an der geistigen Entwicklung der Menschheit mitwirken. Die Sterne sind Kolonien von Geistwesen, und das Verständnis des Karmas verlangt, dass wir das Leben zwischen Tod und neuer Geburt in Verbindung mit diesen Sternenwesen begreifen. Die Michael-Herrschaft eröffnet einen neuen Zugang zu einem spirituellen Erfassen des Daseins zwischen den Erdenleben. Wiederverkörperungen geschichtlicher Persönlichkeiten, wie etwa eines römischen Philosophen in Kardinal Mazarin und Graf Hertling, oder Papst Gregor VII. in Ernst Haeckel, zeigen, wie geistige Strömungen sich durch die Zeiten hindurch erneuern und verwandeln. Die karmischen Hemmnisse, wie sie sich etwa in der Seele von Campanella und Otto Weininger zeigen, entstehen aus dem inneren Kampf zwischen visionärer Spiritualität und rationalistischem Intellektualismus. Die Aufgabe der Gegenwart besteht darin, den Intellektualismus, der die Leiber der heutigen Zivilisation durchdringt, in Spiritualität zu verwandeln. Die anthroposophische Bewegung muss mit dem Rationalismus der Zeit rechnen, damit die Ideen den Weg zum Geist wie zur Natur finden. Das Spirituelle, das sich nicht unmittelbar in den Leibern ausdrücken kann, staut sich im Unterbewussten und sucht neue Ausdrucksformen, wie etwa in der Inkarnationsreihe Plato–Hroswitha–Schröer. Abschließend wird die Notwendigkeit betont, die Michael-Kraft in der Seele lebendig werden zu lassen, um über das Dämonisch-Drachenhafte zu siegen. Die Wiederverkörperung des Elias in Lazarus-Johannes, Raffael und Novalis wird als Beispiel für die Wirksamkeit dieser geistigen Strömungen gegeben. Raffaels Durchgang durch die planetarischen Sphären und seine Verbindung mit Goethe in der Jupitersphäre zeigen, wie geistige Individualitäten durch die Zeiten wirken und die Menschheit auf eine künftige Michael-Festeszeit vorbereiten. 239) Die gegenwärtige Zivilisation ist von einem grundlegenden Irrtum durchdrungen: Sie betrachtet den Menschen als ausschließlich zur Erde gehörig, als ein Wesen, das nur zwischen Geburt und Tod existiert und dessen Dasein sich auf das Physische beschränkt. Doch der Mensch ist nicht nur ein Erdenwesen. In alten Zeiten wusste er sich eingebettet in die Kräfte der Sterne, abhängig von den Mächten des Kosmos, und lebte in einem Bewusstsein, das ihn mit den übersinnlichen Welten verband. Die Urweisheit der Mysterien offenbarte, dass nicht nur physische, sondern auch geistige Wesenheiten – Monden- und Sonnenwesen – an der Entwicklung des Menschen beteiligt sind. Die Erleuchtung durch die Mysterienlehrer führte zur Einsicht in diese Zusammenhänge. Die Akasha-Chronik offenbart, dass das menschliche Schicksal nicht in den Grenzen eines einzigen Erdenlebens zu verstehen ist. Nach dem Tod durchschreitet die Seele Sphären, in denen sie von Hierarchien geistiger Wesen geführt wird. In diesen Regionen bereitet sich der Mensch auf das nächste Erdenleben vor, indem er die Folgen seiner Taten, Gedanken und Gefühle erkennt und verarbeitet. Die Sternenschrift, die sich im Ätherleib niederschlägt, ist Ausdruck der moralischen und ätherischen Kräfte, die von Leben zu Leben wirken und die Organe des Menschen gestalten. Das Leben zwischen Tod und neuer Geburt ist ein Durchgang durch die Monden-, Merkur-, Venus-, Sonnen-, Mars-, Jupiter- und Saturnsphäre. In jeder dieser Regionen begegnet die Seele bestimmten geistigen Wesenheiten, die an der Prägung des künftigen Schicksals mitwirken. In der Sonnensphäre geschieht der Ausgleich des Bösen im Menschen, und hier wirkt der Christus als zentrale geistige Kraft. Die individuelle Gestaltung des Karma erfolgt in den höheren Planetensphären, wobei beispielhaft Persönlichkeiten wie Voltaire, Victor Hugo oder Eliphas Levi in ihrer karmischen Prägung betrachtet werden. Das Karma des Menschen ist nicht nur ein persönliches, sondern auch ein weltgeschichtliches. Die großen Strömungen der Geschichte, die Entwicklung von Wissenschaft, Kunst und Religion, sind Ausdruck der Wandlungen von Seelen, die von Zeitalter zu Zeitalter wirken. Die Seelen, die in einem Zeitalter als Träger bestimmter Impulse erscheinen, wirken in späteren Inkarnationen weiter und tragen zur Fortentwicklung der Menschheit bei. Die Schicksalsgestaltung des Einzelnen ist mit der Schicksalsgestaltung der Menschheit verwoben. Das Erleben des eigenen Karma wird durch die Beobachtung des wachen Gedankenlebens, des träumenden Gefühlslebens und des schlafenden Willenslebens möglich. Erinnerung und Sprache sind Brücken zwischen den verschiedenen Lebensabschnitten und Inkarnationen. Die Erforschung des eigenen Karma verlangt eine methodische Schulung der Seele, damit die Zusammenhänge zwischen dem gegenwärtigen Leben und den früheren Erdenleben erkannt werden können. Im Schlaf, beim Übergang zwischen Wachen und Schlafen, wirken die Kräfte der karmischen Vergangenheit und die Keime des werdenden Karma. Die therapeutische Erkenntnis des Karma eröffnet neue Wege der Heilung, indem sie die geistigen Ursachen von Krankheit und Gesundheit sichtbar macht. Das moralisch-seelische Verhalten des Menschen wirkt im Leben zwischen Tod und neuer Geburt weiter und gestaltet die künftige Inkarnation, insbesondere in der Ausbildung des Kopfes und des Stoffwechsel-Gliedmaßensystems. Die Aufgabe der Anthroposophie ist es, das Bewusstsein für diese karmisch-kosmischen Zusammenhänge zu wecken und zur Kulturentwicklung der Gegenwart beizutragen. Sie führt den Menschen aus der Erdenschwere heraus zu einer Erkenntnis seiner wahren geistigen Herkunft und Bestimmung. 240) Der Mensch lebt nicht nur auf der Erde, sondern steht in einem fortwährenden Zusammenhang mit den kosmischen Kräften, die ihn umgeben. Mond und Sonne sind die beiden großen Tore zur geistigen Welt: Der Mond bewahrt das Vergangene, die Notwendigkeit, das, was aus den früheren Erdenleben herüberwirkt; die Sonne aber öffnet die Zukunft, das Allgemein-Menschliche, die Freiheit, die sich erst entfalten will. Im menschlichen Schicksal begegnen sich diese beiden Strömungen: das, was aus der Vergangenheit notwendig geworden ist, und das, was als Freiheit in die Zukunft drängt. Der Mensch trägt in sich die Kräfte der Erde, aber auch die Wirkungen der Himmelskörper, und so ist sein Leben ein Knotenpunkt von kosmischen und individuellen Impulsen. Die Entwicklung der Menschheit ist ein fortwährender Kampf zwischen alten, überlieferten Weisheiten und neuen, sich entfaltenden Kräften. Die alten Mysterien, die Vater-, Sohn- und Geistesmysterien, haben die Menschheit auf verschiedene Weise geprägt. Im Christentum strömt der Impuls der Freiheit herein, während im Mohammedanismus ein Gegenimpuls wirkt, der aus einer anderen geistigen Strömung stammt. Die großen Persönlichkeiten der Geschichte, wie Harun al Raschid, Baco von Verulam, Comenius, Garibaldi, Byron, Marx und Engels, sind Träger und Vermittler solcher geistigen Strömungen, die sich durch die Zeiten hindurchziehen und in immer neuen Gestalten wiederkehren. Die Arbeit am Karma geschieht nicht nur zwischen Tod und neuer Geburt, sondern auch im irdischen Leben. Die Urlehrer auf dem Monde halten das Buch über die vergangenen Taten der Menschen, während höhere Hierarchien auf der Sonne die Zukunft vorbereiten. Der Mensch begegnet im Leben zwischen Tod und neuer Geburt denjenigen Seelen, mit denen er karmisch verbunden ist, und arbeitet mit ihnen an den Aufgaben der kommenden Inkarnation. Die Kräfte des Kosmos, insbesondere die Wesenheiten des Planetensystems, wirken mit an der Gestaltung des individuellen und geschichtlichen Schicksals. Die anthroposophische Bewegung ist selbst ein Ergebnis solcher karmischen Zusammenhänge. Viele ihrer Träger haben schon in früheren Zeiten im Geistigen zusammengewirkt und einen übersinnlichen Kultus gepflegt, der als Vorklang der Michael-Lehre auf Erden erscheint. Die Michael-Strömung bringt ein neues Christentum, das sich aus der Sehnsucht nach dem Geistigen speist. Zwei Gruppen von Seelen wirken hier zusammen: die Christus-müden, die einer Erneuerung bedürfen, und die Christus-sehnsüchtigen, die nach einer Vertiefung des Geistigen streben. In der geistigen Welt bereiten sich die Strömungen vor, die auf Erden als Spiritualisierung der Intelligenz und als Widerstand gegen die ahrimanischen Mächte erscheinen. Michael, der Sonnengeist, ist der Hüter der kosmischen Intelligenz. Diese Intelligenz ist von der Sonne auf die Erde gefallen und muss nun von Michael in den Herzen der Menschen wiedergefunden und spiritualisiert werden. Die Artusströmung, die für die äußere Zivilisation kämpft, und die Gralsströmung, die das Geistige der Sonne im Inneren sucht, begegnen sich in der europäischen Geschichte. Die Schule von Chartres steht zwischen diesen beiden Strömungen und bereitet die Begegnung der Aristoteliker und Platoniker vor, die in der Michaelschule der geistigen Welt zusammenkommen. Im einzelnen Menschen und in der Menschheitsentwicklung wirkt das Karma als eine Realität, die früher unmittelbar erlebt wurde, heute aber wieder durch die Initiationswissenschaft erkannt werden kann. Die großen Persönlichkeiten der Geschichte, wie Byron, Voltaire, Swedenborg und andere, sind Beispiele für die Wirksamkeit des geschichtlichen Karmas. Die kosmischen Kräfte, insbesondere die Sonnenkräfte Michaels, vertiefen das Christentum und führen die Menschheit zu einer neuen Bewusstseinsstufe, in der das Geistige wieder lebendig wird. 243) Die Welt, wie sie den Sinnen erscheint, ist Maja, die große Illusion. Dennoch ist sie nicht zu verwerfen, sondern zu durchdringen, denn hinter allem Physischen wirkt das Geistige, und jedes Geistige sucht seinen Ausdruck im Physischen. Die Erkenntnis der Welt verlangt, dass ich mich nicht mit dem bloßen Erfassen des Sinnlichen begnüge, sondern das Geistige in den Erscheinungen suche. So erhebt sich die Frage: Warum strebe ich nach geistiger Erkenntnis? Weil das bloße Leben im Sinnlichen mich nicht erfüllt, sondern das Bedürfnis nach Wahrheit, nach dem Wesenhaften in mir lebt. Der alte Spruch „Erkenne dich selbst“ weist darauf hin, dass im Menschen selbst der Schlüssel zur Welt liegt, denn in ihm begegnen sich das Physische und das Geistige. Ich unterscheide verschiedene Bewusstseinszustände im Menschen: das gewöhnliche Tagesbewusstsein, das Traumleben, den traumlosen Schlaf. Im alten Chaldäer lebte noch ein Bewusstsein, das im Traumhaften das Geistige mit dem Sinnlichen verband; er erinnerte sich an das Geistige, das er im traumlosen Schlaf erlebte, und so war ihm das Dasein vor Geburt und nach dem Tode zugänglich. Im Mittelalter, etwa bei den Lehrern von Chartres, war noch ein Nachklang dieses lebendigen Naturerlebens vorhanden: Die Natur erschien als ein Wesen, nicht als Summe von Gesetzen. Doch mit dem Erlöschen der Erinnerung an das Geistige im Schlaf verlor der Mensch dieses lebendige Naturverständnis. Heute ist das Bewusstsein schärfer auf das Sinnliche gerichtet, aber gerade dadurch kann ich, wenn ich die inneren Kräfte der Seele entwickle, zu einer höheren, geistigen Anschauung gelangen. Ich kann die verschiedenen Reiche der Natur – Mineral, Pflanze, Tier, Mensch – in ihrem geistigen Wesen erfassen. Besonders die Metalle offenbaren geistige Kräfte, die auf den Menschen wirken; Kupfer, Merkur, Silber zeigen sich als Träger geistiger Eigenschaften, die auch in der Heilkunst von Bedeutung sind. Das Bewusstsein kann sich so wandeln, dass es nicht nur das Leben zwischen Geburt und Tod, sondern auch das Dasein vor der Geburt und nach dem Tod erfasst. Indem ich das Bewusstsein metamorphosiere, kann ich mein geistiges Gesichtsfeld von der Erde hinaus in den Kosmos, zu den Sternensphären erweitern. Die Sternenwelt ist nicht bloß physisch, sondern trägt geistige Wesenheiten, die mit dem Menschen in Beziehung stehen. Die verschiedenen Lebensalter des Menschen sind wie Organe, durch die ich unterschiedliche geistige Sphären wahrnehmen kann. Die Sternensphären durchdringen einander, und das menschliche Bewusstsein kann sich in diese ineinandergeschobenen Welten erheben. Doch auf dem Weg zur geistigen Erkenntnis lauern auch Gefahren: Es gibt wahre und falsche Wege. Die Gefahr besteht, dass ich in mediale Abwege gerate, dass ahrimanische Elementarwesen Besitz ergreifen, dass die Seele nicht frei, sondern gebunden wird. Der Mediumismus, der Somnambulismus, sind Karikaturen des wahren Erkenntnisweges, denn sie führen nicht zur Freiheit, sondern zur Abhängigkeit. Die wahre geistige Forschung verlangt, dass ich mit Bewusstheit und innerer Kraft die Schwelle überschreite, nicht in dumpfer Passivität. Die Kunst ist die Brücke, die von der Materie zum Geist führt. In der künstlerischen Tätigkeit offenbart sich das Himmlische im Irdischen, und so kann ich, indem ich künstlerisch schaffe, das Geistige in die Welt bringen. Die Sonnen- und Mondenwirkungen auf das menschliche Bewusstsein sind zu unterscheiden: Die Mondenkräfte wirken auf die Imagination, die Sonnenkräfte auf das lebendige Denken. Das Erfassen der Mondensphäre ist ein Ausgangspunkt des Initiatenweges. Geburt und Tod, das Böse, das Verhältnis des Menschen zur geistigen Welt – all das offenbart sich, wenn ich den rechten Weg der geistigen Forschung gehe. Zwei Wege stehen offen: der Weg der äußeren Wissenschaft und der Weg der inneren geistigen Erfahrung. Erst wenn beide sich durchdringen, kann wahre Erkenntnis entstehen. Die geistige Welt will im Menschen offenbar werden, und die Aufgabe ist, das Irdische so zu verwandeln, dass das Himmlische darin aufleuchtet. 245) Die Geisteswissenschaft ist dazu berufen, den Menschen zu befähigen, die tiefsten Weisheiten des Menschentums zu erfassen, indem sie die Quellen der Erkenntnis nicht in äußeren Überlieferungen, sondern in den realen geistigen Welten sucht. Die Entwicklung des Menschen besteht darin, dass die geistigen Organe, die einst dumpf und unempfänglich waren, durch die richtigen Kräfte erweckt werden. So wie das Auge durch das Licht und das Ohr durch den Schall entstand, so werden die geistigen Organe durch geistige Kräfte gebildet. Tagsüber wirken Kräfte auf den astralischen Leib, die ihn schwächen, um das Ich-Bewusstsein zu ermöglichen, doch in der Nacht, wenn der Mensch in die geistige Welt eintaucht, wird er wieder gestärkt. Aus dem Widerstreit von Leben und Tod, aus dem Absterben der alten astralischen Organe, entsteht das Ich-Bewusstsein. Jetzt ist es die Aufgabe des erwachten Ich, die Kräfte zu entwickeln, die diese Organe neu beleben und formen. Die Menschheit wird auf diesem Weg von ihren Lehrern und Eingeweihten geführt, die jedoch niemals in die Freiheit des Menschen eingreifen, sondern ihn schrittweise zur Selbständigkeit führen. Die Einweihung der alten Mysterien war eine Vorbereitung, die Einweihung durch Christus aber ist die Zusammenfassung aller Initiationsstufen. In Christus vollzog sich die Initiation der ganzen Menschheit auf der Stufe des Gefühls, des Gemüts. Die Intensität dieses Ereignisses wirkt nach, bis in das Physische hinein, und bereitet die Menschheit auf die Initiation des Willens vor. Das ist das Vermächtnis des Christus: die Opferung des Ich für alle, die Hingabe des Einzelnen an das Ganze. Wer den Weg der okkulten Entwicklung gehen will, muss bestimmte Bedingungen erfüllen. Es genügt nicht, äußere oder innere Maßnahmen zu ergreifen, wenn das Leben nicht im Sinne dieser Bedingungen geführt wird. Die in jedem Menschen schlummernden Kräfte können nur durch die richtige Lebensführung zur Entwicklung gebracht werden. Dazu gehören die Entwicklung von Selbstbeherrschung, Ausdauer, Unbefangenheit, Vertrauen in die geistige Führung, Gleichmut gegenüber Freude und Leid, Wahrhaftigkeit und ein Streben nach innerer Harmonie. Diese Tugenden sind die Grundlage für jede weitere Entwicklung. Zu diesen allgemeinen Anforderungen treten die Hauptübungen, die in Meditation und Konzentration bestehen. Durch sie wird das Bewusstsein auf die geistigen Welten ausgerichtet, die inneren Organe werden gebildet und gestärkt. Die Meditation auf bestimmte mantrische Sprüche und Symbole vertieft die Verbindung mit den geistigen Hierarchien und öffnet das Bewusstsein für die höheren Wirklichkeiten. Die Übungen sind individuell zu gestalten, je nach Veranlagung und Entwicklungsstand des Einzelnen. In esoterischen Stunden wird der Aufbau des geistigen Leibes durch Meditation erläutert, ebenso das Erwachen des Menschen zum Selbstbewusstsein und die Bedeutung der geistigen Jahreszeiten und Rhythmen. Die Verbindung von Abbild und Urbild, die Bedeutung des AUM und der Ostergedanke werden als zentrale Motive der geistigen Schulung hervorgehoben. Die Atmung wird als Brücke zwischen physischer und geistiger Welt betrachtet, und ihre bewusste Führung ist ein zentrales Element der Schulung. Das Evangelium der Erkenntnis und das Gebet werden als Wege zur Vertiefung der geistigen Erfahrung dargestellt. Die Auslegung von Schriften wie „Licht auf den Weg“ und „Die Stimme der Stille“ zeigt, wie die Meditation auf geistige Weisheit den Menschen zur inneren Umwandlung führt. Die Schulung ist ein Weg, der zur Freiheit, zur Selbstverantwortung und zur bewussten Verbindung mit den geistigen Welten führt. 254) Inmitten der geistigen Strömungen des 19. Jahrhunderts wird offenbar, wie die Menschheit sich immer weiter von den alten spirituellen Fähigkeiten entfernt hat. Das atavistische Hellsehen, das einst das Bewusstsein der Menschen durchdrang, ist weitgehend erloschen. An seine Stelle tritt eine materialistische Weltanschauung, die ihren Höhepunkt um die Mitte des 19. Jahrhunderts erreicht. Doch in dieser Entwicklung liegt nicht bloß ein Verlust, sondern auch die Vorbereitung neuer Erkenntnismöglichkeiten. Die alten Eingeweihtenschulen bewahrten das Wissen um die geistigen Welten. Sie arbeiteten mit Symbolen, um die geistigen Kräfte zu lenken und zu schützen. Ein beständiger Gegensatz bestand zwischen jenen, die das esoterische Wissen nur einem kleinen Kreis zugänglich machen wollten, und denen, die nach einer Öffnung für die Allgemeinheit strebten. Im 19. Jahrhundert kam es zu einem Kompromiss: Das Auftreten des Mediumismus und Spiritismus sollte es ermöglichen, das Übersinnliche für eine breitere Öffentlichkeit erlebbar zu machen. Doch dieser Versuch scheiterte, weil die tieferen geistigen Zusammenhänge nicht durch bloßes Mediumsein, sondern nur durch bewusste geistige Schulung erschlossen werden können. Die Theosophische Gesellschaft entsteht aus dem Bedürfnis, die verborgenen geistigen Kräfte zu erforschen. Doch auch hier zeigen sich die Gefahren des Mediumismus, der leicht in Irrwege führt, wenn nicht der individuelle Erkenntnisweg beschritten wird. Die Persönlichkeit Blavatskys steht beispielhaft für die Verbindung von alten okkulten Traditionen mit den neuen Strömungen. Die Gründung der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft und die Entwicklung der Geisteswissenschaft sind Ausdruck eines neuen Strebens nach geistiger Erkenntnis, die sich nicht in äußeren Phänomenen erschöpft, sondern den Menschen zur bewussten Durchdringung der geistigen Welt führen will. Der Materialismus des 19. Jahrhunderts hat nicht nur die Naturwissenschaft geprägt, sondern auch das Menschenbild verengt. Die Selbstbesinnung auf das Denken ist notwendig, um die Öde des materialistischen Weltbildes zu erkennen. Der Ursprung des Atomismus liegt nicht in der äußeren Natur, sondern in einer bestimmten Art des Denkens, das die Welt zergliedert und das Geistige ausklammert. Die Okkultisten des 19. Jahrhunderts suchten von verschiedenen Seiten Rettung vor dem Verfall in den Materialismus. Doch auch innerhalb der geistigen Strömungen breitet sich der Materialismus aus, wenn die geistigen Lehren entstellt werden, wie etwa in der Lehre von der achten Sphäre und dem Mond. Sinnett und Blavatsky bringen diese Lehre in eine Form, die den eigentlichen geistigen Hintergrund verfehlt. Die achte Sphäre ist eine Wirklichkeit, die durch die Kräfte des Mondes und der Vererbung wirkt und der Menschheit entgegenarbeitet. Luzifer und Ahriman kämpfen auf ihre Weise gegen die Entwicklung des Menschen. Die Mondmaterie spielt dabei eine besondere Rolle, denn sie ist Trägerin jener Kräfte, die den Menschen in seiner Entwicklung hemmen wollen. Beim Eintritt in die geistigen Welten lauern Gefahren des Abirrens. Das alte Hellsehen ist vergangen, das neue Hellsehen muss errungen werden durch eine bewusste Neubelebung des Ätherleibes, die im Zusammenhang mit dem Wiedererscheinen Christi im Ätherischen steht. Die Lebensbedingungen der geisteswissenschaftlichen Bewegung sind geprägt von der Notwendigkeit, das alte Wissen zu erneuern und in die Gegenwart zu tragen. Noch im 19. Jahrhundert finden sich Spuren alten Wissens, etwa bei Heinroth oder in Goethes Darstellung der Makaria. Die Erforschung des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt eröffnet einen Blick auf die Umwandlung physischer Kräfte in geistige Hilfskräfte nach dem Tode. Im Kamaloka erlebt die Seele rückwärts die Schlafenszeit. Wissenschaft und Religion ziehen Grenzen, um das Eindringen in die geistigen Welten zu verhindern, doch diese Grenzen müssen überwunden werden. Die Arbeit mit Symbolen in den Geheimgesellschaften dient der Umwandlung von Kräften innerhalb der Weltgeschichte. Am Beispiel der Entstehung der „Göttlichen Komödie“ von Dante und der Erziehungsmethode des Pater Antonius zeigt sich, wie geistige Impulse in die Menschheitsentwicklung eingreifen. Hinter den Naturerscheinungen und Seelenerlebnissen wirken natur- und menschenfeindliche Kräfte, die erkannt und überwunden werden müssen. Die Erforschung der mineralischen Welt ist für die irdische Entwicklung des Menschen von großer Bedeutung. In der sinnlichen Welt herrscht Zweiheit, in der übersinnlichen Welt die Dreiheit. Ahrimanische Intelligenzwesen und luziferische Willenswesen beeinflussen das menschliche Bewusstsein. Die Gefahren des objektiven Okkultismus und der subjektiven Mystik können nur durch die Geisteswissenschaft vermieden werden. Das menschliche Bewusstsein steht zwischen objektiver und subjektiver Wirklichkeit, zwischen ahrimanischer und luziferischer Welt. Die Zeit fordert das Vorstoßen nach beiden Seiten, doch die Abirrungen des Bewusstseins können durch den Verstand, angewandt auf die Geisteswissenschaft, und durch die Befreiung des Innenlebens durch gestaltende Tätigkeit überwunden werden. Der Tantalus-Mythos steht sinnbildlich für das Streben nach dem Geistigen, das nie ganz gestillt werden kann. Die anthroposophische Bewegung gibt die richtunggebenden Leitlinien für diesen Weg. Auch im äußeren Geistesleben des 19. Jahrhunderts spiegeln sich die geistigen Strömungen wider. Werke wie Gutzkows „Maha Guru“ und Krasinskis „Die ungöttliche Komödie“ zeigen, wie Bedeutungsvolles aus der geistigen Welt in die Literatur einfließt. Der Mensch der lemurischen und atlantischen Zeit stand in Verbindung mit seinen Lehrern, den Mondwesenheiten, und kannte verborgene Naturgesetze. Das neue Naturwissen ist mit der Entwicklung des freien Willens verbunden. Dekadente Überreste alter okkulter Chemie finden sich noch in Tibet. Die Erkenntnis von Luzifer und Ahriman und die Durchdringung des Ich mit dem Christus sind notwendig, um das wahre Suchen nach dem Christus durch die Geisteswissenschaft zu vollziehen. Die Schrift Fechners über den Mond zeigt, wie sich im 19. Jahrhundert das Bewusstsein vom Geistigen im Naturerkennen verliert. In der atlantischen Zeit war der Mensch noch wandlungsfähig in Bezug auf physischen und Ätherleib. Die moralische Physiognomie des Menschen im sechsten nachatlantischen Zeitraum wird zum Schicksal der materialistischen Entwicklungsrichtung, wenn nicht die geistige Erkenntnis errungen wird. 255b) Die anthroposophische Bewegung steht im Zentrum wachsender Anfeindungen, weil sie eine geistige Wirklichkeit offenbart, die dem materialistischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts fremd geblieben ist. Die Gegner greifen die Anthroposophie in vielfacher Weise an, oft mit Unwahrheiten, Verdrehungen und böswilligen Unterstellungen. Es wird behauptet, der anthroposophische Erkenntnisweg sei ein Angriff auf das Christentum, ja, es wird sogar versucht, mich als eine Art Rasputin oder als Verführer darzustellen. Doch das eigentliche Ziel der Anthroposophie ist, das Ereignis von Golgatha als ein kosmisches Ereignis zu begreifen, das die Erdentwicklung durchdringt und den Menschen einen neuen Zugang zur geistigen Welt eröffnet. Die Angriffe der Theologen, seien sie evangelisch oder katholisch, entspringen oft einem Unverständnis gegenüber dem, was unter Geisteswissenschaft zu verstehen ist. Es wird verkannt, dass die anthroposophische Forschung nicht auf bloße Spekulation oder Halluzination hinausläuft, sondern auf einer methodischen Schulung des Bewusstseins beruht: Imagination, Inspiration und Intuition sind reale Erkenntnisstufen, die das gewöhnliche Bewusstsein erweitern, ohne es zu unterdrücken. Wer diesen Weg geht, lernt, das eigene Leben in Bildern zu überschauen, das Ewige im Menschen zu erkennen, und die Kräfte zu erfassen, die zur Wiederverkörperung führen. Die Behauptung, Anthroposophie sei bloß eine Fortsetzung der Theosophie, ist irrig. Zwar wurde der Begriff „Theosophie“ gewählt, doch der Weg ist ein anderer: Es geht nicht um eine bloße Anschauung, sondern um eine wissenschaftliche Durchdringung des Geistigen. Die Anthroposophie sucht nicht den Kompromiss, sondern die Wahrheit, auch wenn dies unbequem ist und zu Missverständnissen führt. Die Gegner schrecken nicht davor zurück, Lügen zu verbreiten, wie etwa in den Artikeln des „Spektator“ oder in den Angriffen von Professor Traub und anderen. Doch die Wahrheit wird sich durchsetzen, denn sie lebt in der Kraft derer, die sie aus innerer Überzeugung vertreten. Die anthroposophische Geisteswissenschaft steht in einem lebendigen Verhältnis zur Kunst, zur Religion und zur Wissenschaft. Sie fordert, dass das Geistige im Materiellen erkannt und verwirklicht wird. Die Waldorfschule in Stuttgart ist ein Beispiel dafür, wie anthroposophische Erkenntnisse praktisch werden können. Auch das Wirtschaftsleben bedarf des Geistes, und nur durch die Selbstverwaltung des Geistes- und Wirtschaftslebens kann die Wirklichkeitsfremdheit der Gegenwart überwunden werden. Die Angriffe aus akademischen und völkischen Kreisen entspringen oft Gefühlsgründen oder der Angst vor dem Ungewohnten. Es wird behauptet, ich hätte plagiiert, sei Atheist oder Materialist, doch all dies entbehrt jeder Grundlage. Die anthroposophische Geisteswissenschaft ist ein Weg, der das soziale Leben mit Liebe durchdringen will, der den Menschen in seiner Dreigliedrigkeit erkennt und das Materielle mit dem Geistigen durchtränkt. Es ist notwendig, das Wahrheitsgefühl zu stärken, sich nicht von Lügen und Anfeindungen beirren zu lassen und unbeirrt den Weg der Erkenntnis zu gehen. Nur so kann die Anthroposophie ihre Aufgabe erfüllen, dem Menschen einen neuen Zugang zur geistigen Welt und zur wahren Wirklichkeit zu eröffnen. 257) Was in diesen Tagen nach dem Verlust des Goetheanums zu empfinden ist, lässt sich kaum in Worte fassen. Der Schmerz über das, was durch die Brandkatastrophe verloren ging, ist Ausdruck einer tieferen Notwendigkeit, sich der Verantwortung und der Aufgabe der anthroposophischen Bewegung bewusst zu werden. Die Gesellschaft muss sich ihrer eigenen Stärke neu vergewissern, um den Wiederaufbau nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich zu vollziehen. Die Gefahren, die aus der Trennung zwischen dem sogenannten „Mutter“- und „Tochter“-Verhältnis innerhalb der Bewegung entstanden sind, haben die anthroposophische Arbeit gefährdet. Es gilt, sich gegen die Zersplitterung durch Spezialistentum und gegen die Vereinsamung der einzelnen Impulse zu wehren und die „sechs Tugenden“ als Grundlage des gemeinsamen Strebens zu pflegen. Urteilsbildung darf nicht aus isolierten Wahrheiten oder subjektiven Spekulationen erwachsen, sondern muss durch die Läuterung der eigenen Egoität und durch das Erleben des Geistigen erfolgen. Geistige Wahrheiten können nicht wie äußere Tatsachen bewiesen, sondern nur innerlich erlebt werden. Das Denken, wie es in der „Philosophie der Freiheit“ entfaltet wird, führt zur Freiheit und damit zu einer neuen Verbindung mit dem Christus-Impuls. Anthroposophie beginnt mit wissenschaftlicher Strenge, durchdringt die Vorstellungen künstlerisch und führt zur religiösen Vertiefung. Die kopernikanische Wende hat die Erde zum Staubkorn gemacht, doch es ist die Aufgabe der Anthroposophie, den Geist im Weltall wieder zu erkennen. Es bedarf eines neuen Denkens und Wollens, das sich im Erleben des Aufwachens und in der Durchdringung des Willens im Denken zeigt. Die anthroposophische Arbeit hat sich in drei Phasen entfaltet, und jede Phase bringt ihre eigenen Aufgaben und Krisen mit sich. Die Gesellschaft muss zum Träger der anthroposophischen Arbeit werden, nicht bloß zum äußeren Rahmen. Das Seelendrama des Anthroposophen besteht in der Verinnerlichung des Willens, in der Suche nach einer neuen Erkenntnisart und im Miterleben des Zeitenschicksals. Anthroposophie ist nicht bloß Weisheit vom Menschen, sondern Bewusstsein des vollen Menschentums. Es gilt, die Kluft zwischen Gedanken- und Gefühlsleben einerseits und dem Tatwillen andererseits zu überwinden. Die Furcht vor dem Übersinnlichen und die Willensschwäche sind die Übel der Zeit, die es zu heilen gilt. Die Ideale des Wissenschaftlichen, Künstlerischen und Religiösen, wie sie im alten Orient und bei den Griechen lebten, müssen in der Gegenwart neu gestaltet werden. Die Delegiertentagung ist ein Schritt zur notwendigen Belebung der anthroposophischen Gemeinschaft. Gemeinschaftsbildende Kräfte wie Sprache und gemeinsame Erinnerungen sind zu pflegen, und das Erwachen am anderen Menschen wird zur Quelle des Gemeinschaftserlebens. Während der Kultus das Übersinnliche ins Sinnliche trägt, erhebt das Erwachen am anderen Menschen das Sinnliche ins Übersinnliche. Die Brüderlichkeit als moralische Atmosphäre ist Voraussetzung für geistige Einsichten, doch immer wieder schleichen sich Streit und Intoleranz ein, weil gewöhnliche Seelenverfassungen in geistige Betrachtungen hineingetragen werden. Es bedarf einer Seelenumwandlung, einer größeren Toleranz und des wachen Interesses für die Lebensbedingungen der Gesellschaft. Das Problem der Gegner ist nicht zu vermeiden, doch darf es nicht die eigentliche Arbeit ablenken. Die Bewegung und die Gesellschaft stehen in einem lebendigen Verhältnis: Die Bewegung ist der Inhalt, die Gesellschaft das Gefäß. Die Veränderungen seit 1919, das Heraufkommen der Jugend und das Ende des Autoritätsprinzips fordern neue Formen des Zusammenarbeitens. Die Gefahr des Bürokratismus und die Spaltung in verschiedene Strömungen verlangen nach einer neuen Einheit, die nicht durch äußere Gleichmacherei, sondern durch ein gemeinsames Ideal geschaffen wird. Die alten sozialen Bindungen sind verloren, der Drang zur eigenen Persönlichkeit und zum rein Menschlichen wächst. Die Christengemeinschaft belebt den Christus-Impuls aus der Anthroposophie heraus. Gemeinschaftsbildung kann durch den Kultus oder durch das Erwachen am Geistig-Seelischen des anderen Menschen geschehen. Es gilt, den Wortfanatismus zu vermeiden und den Studien- und Geistesweg in den Zweigen lebendig zu gestalten. Unbrüderlichkeit in Gesellschaften, deren Ziel die Brüderlichkeit ist, zeigt die Notwendigkeit, die verschiedenen Bewusstseinszustände – Träumen, Tagesbewusstsein, erhöhtes Wachbewusstsein – zu unterscheiden und die entsprechenden Seelenverfassungen zu pflegen. Toleranz und Interesse für die Lebensbedingungen der Gesellschaft sind unerlässlich. Es ist besser, getrennt mit gemeinsamem Ideal zu wirken als in gemeinsamem Chaos zu verharren. Zwei Strömungen können nebeneinander bestehen, wenn sie sich auf das gemeinsame Ziel ausrichten. 258) Es gibt Seelen, die nicht auf der gewöhnlichen Bahn der Zivilisation gehen können, sondern durch ihr inneres Schicksal, ihr Karma, gedrängt werden, eigene Wege zu suchen. Sie wachsen nicht selbstverständlich in das Leben ihrer Herkunft, ihrer Nation, ihrer Konfession hinein, sondern erleben sich als heimatlos in der Welt, als Suchende nach einer geistigen Heimat. Diese Seelen sind es, die zur anthroposophischen Bewegung finden, weil sie in ihr die Möglichkeit suchen, das zu erkennen und zu erleben, was über das bloß Äußerliche, das Traditionelle hinausgeht. Im 19. Jahrhundert zeigte sich dieses Suchen in vielen Strömungen: im Spiritismus, in der Theosophie, im Interesse an okkulten Erscheinungen, aber auch in der Kunst, etwa bei Richard Wagner, dessen Werk Ausdruck der heimatlosen Seele ist. Die Theosophische Gesellschaft bot einen Gemeinschaftskörper für solche Suchende, doch blieb ihr Ich-Bewusstsein schwach, weil sie sich vor allem an östlichen Weisheiten orientierte, ohne diese wirklich zu durchdringen. Die Anthroposophie hingegen sucht den Weg zur Wahrheit im Innersten des Menschen, im freien Geist, der sich aus sich selbst heraus zur Erkenntnis erhebt. Die Philosophie der Freiheit ist der Grundstein dieses Weges. Sie zeigt, dass Weisheit nur in der Wahrheit liegt, die jeder in sich selbst erringen muss. Die großen Philosophen des deutschen Idealismus, Fichte, Schelling, Hegel, aber auch Solger und Robert Zimmermann, sind wichtige Wegbereiter. Von Zimmermann stammt der Name „Anthroposophie“. Doch geht es nicht um bloße Philosophie, sondern um eine lebendige geistige Erfahrung, um ein Reich des Geistes, das in der Gegenwart errungen werden muss. Blavatsky und die Theosophie haben viele Suchende inspiriert, doch fehlte ihnen das Urteil, das die Wirklichkeit des Geistigen von bloßer Phantasterei unterscheidet. Die Zeit ist arm an wirklicher Urteilskraft, wie das Schicksal vieler großer Geister zeigt, die erst spät oder gar nicht anerkannt wurden. Die Wirkung Blavatskys auf die Geheimgesellschaften war bedeutend, doch blieb ihre Orientierung antichristlich, ähnlich wie bei Nietzsche. Diese antichristliche Tendenz rührt daher, dass seit dem Mittelalter die Verbindung zur geistigen Welt im Bildhaften, im Ritual, im Musikalischen gesucht wurde, während mit dem Aufkommen des Intellekts die Kritik, das Trennende, in den Vordergrund trat. Die Sehnsucht nach dem Geistigen lebt aber fort als Nachwirkung früherer Erdenleben, als Drang, das zu suchen, was nicht von dieser Erde ist. Blavatsky enthüllte die Weisheiten der alten heidnischen Religionen, doch die Anthroposophie geht von Anfang an den Weg vom Heidnischen zum Christlichen. Das Mysterium von Golgatha ist der Mittelpunkt, und es bedarf eines neuen Mysterienweges, um dieses Mysterium zu erobern. Die ersten Jahre der anthroposophischen Bewegung waren ein ständiger Kampf gegen die Traditionen der Theosophischen Gesellschaft, besonders gegen deren indische Prägung und das Bestreben, das Abendland geistig durch den Orient zu besiegen. Die Gründung des Ordens „Stern des Ostens“ und der Ausschluss der Anthroposophen aus der Theosophischen Gesellschaft waren die Folge. Die Entwicklung der anthroposophischen Bewegung lässt sich in Perioden gliedern: Zunächst ging es um die Begründung der Geisteswissenschaft, die Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft und die Herausgabe der Zeitschrift „Luzifer-Gnosis“. Dann folgte die Beschäftigung mit den Evangelien, der Genesis, der christlichen Überlieferung, die Erweiterung ins Künstlerische durch die Mysterienspiele in München. Die dritte Periode ist die Erneuerung der Wissenschaften und des sozialen Lebens durch die Anthroposophie. Die bisherigen Grundsätze der Gesellschaft – Brüderlichkeit, vergleichendes Studium der Religionen, Studium der geistigen Welt – bedürfen einer weiteren, umfassenderen Form. Die anthroposophische Bewegung ist getragen von einer anderen geistigen Substanz als die theosophische. Die Ausdrucksformen mussten ähnlich sein, um verstanden zu werden, aber das innere Wesen ist ein anderes. Die Philosophie der Freiheit und Goethes Weltanschauung sind die eigentlichen Quellen. Während im alten Ägypten der Mensch im Mittelpunkt der Weltordnung stand und die sozialen Verhältnisse nach den Sternen geregelt wurden, hat die heutige Naturwissenschaft den Menschen und das Göttliche aus der Welt ausgeschlossen. Die Anthroposophie stellt sich der Aufgabe, das Menschliche und das Göttliche wieder in die Mitte zu rücken. Sie ringt um die Erneuerung der Wissenschaft, der Kunst, des sozialen Lebens aus dem Geist heraus. Die Gefahr besteht, dass die Bewegung in einen latenten Zustand versinkt, wenn nicht immer wieder die Verantwortung und die Selbstbesinnung wachgehalten werden. Es geht darum, das lebendige Wesen der Anthroposophie zu pflegen, sich immer wieder auf den Ursprung, auf die geistige Quelle zu besinnen und daraus die Kraft für die Zukunft zu schöpfen. 259) Das Jahr 1923 bringt die Anthroposophische Gesellschaft an einen entscheidenden Wendepunkt. Nach dem Brand des Goetheanum in der Silvesternacht 1922/23 steht die Aufgabe vor uns, nicht nur das äußere Gebäude neu zu errichten, sondern das geistige Fundament der Gesellschaft zu erneuern und zu stärken. Die äußere Katastrophe ist ein Spiegel innerer Notwendigkeiten: Die anthroposophische Bewegung muss aus dem Geiste heraus neu geboren werden. Es gilt, das Bewusstsein zu schärfen, dass die Gesellschaft nicht eine bloße Verwaltungseinrichtung ist, sondern ein lebendiger Organismus, dessen Herzschlag von der geistigen Arbeit und dem aufrichtigen Zusammenwirken der Mitglieder getragen wird. In diesem Jahr wird offenbar, wie sehr die Bewegung auf die Pflege des Gemeinschaftslebens angewiesen ist. Die äußeren Angriffe und die inneren Krisen, die sich in Missverständnissen, persönlichen Spannungen und organisatorischen Schwierigkeiten zeigen, fordern uns heraus, das Wesen der Anthroposophie als lebendige, schöpferische Kraft zu begreifen. Nicht das Festhalten an Formen, sondern die ständige Erneuerung aus dem Geiste ist gefragt. Die Verantwortung des Einzelnen für das Ganze wird betont; jeder ist aufgerufen, sich nicht nur als Konsument geistiger Inhalte, sondern als Mitschöpfer am gemeinsamen Werk zu verstehen. Die Wiedererrichtung des Goetheanum ist nicht nur ein Bauvorhaben, sondern ein Symbol für den Willen, der aus der Gemeinschaft hervorgeht. In den Versammlungen, Beratungen und Ansprachen wird immer wieder auf die Notwendigkeit verwiesen, die Gesellschaft auf eine neue Grundlage zu stellen. Die Bildung von Ländergesellschaften, die sich zu einer internationalen Gesellschaft zusammenschließen, ist Ausdruck dieses Erneuerungswillens. Die Statuten und Organisationsformen sind dabei nicht Selbstzweck, sondern sollen den lebendigen Austausch und das gemeinsame Ringen um Erkenntnis und Tat ermöglichen. Die Schwierigkeiten, die sich im Laufe des Jahres zeigen – sei es in der Auseinandersetzung mit der Außenwelt, sei es in inneren Konflikten –, werden nicht als bloße Hindernisse, sondern als notwendige Erziehung zu Erkenntniskräften verstanden. Aus Schmerz, aus Krisen, aus dem Ringen um Wahrheit und Gemeinschaft erwächst die Kraft, das Neue zu schaffen. Nur durch eine bewusste Pflege des Gemeinschaftsgeistes und durch das Hineintragen der anthroposophischen Impulse in alle Lebensbereiche kann die Bewegung ihre Aufgabe in der Zeit erfüllen. Das Jahr 1923 ist ein Jahr der Prüfung, der Bewährung und der Neugeburt. Es fordert uns auf, Vergangenheit und Gegenwart in rechter Weise zu durchdringen, um für die Zukunft die Kräfte zu entfalten, die der Menschheit dienen können. Die Geschichte der Gesellschaft ist nicht bloße Chronik, sondern ein Schulungsweg, auf dem jeder Einzelne und die Gemeinschaft als Ganzes wachsen und reifen können. 260) Aus den Trümmern des Goetheanums erhebt sich die Notwendigkeit, die anthroposophische Bewegung in einer neuen Form zu begründen, die dem Ernst der Zeit und der geistigen Lage der Menschheit entspricht. Die äußeren Ereignisse, der Brand des Goetheanums, sind Zeichen für tiefere Weltverhältnisse. Es bedarf einer Gesellschaft, die sich als Hülle um das lebendige Wesen der Anthroposophie legt und die Verbindung zu den Urquellen des Menschlichen in der geistigen Welt sucht. Diese Gesellschaft soll öffentlich wirken, ohne die Tiefe der Esoterik zu verlieren, und sie soll in voller Klarheit und Wahrhaftigkeit vor die Welt treten. Die Gründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft muss auf einer neuen Grundlage geschehen. Der Grundstein dieser Gesellschaft ist ein geistiger, er wird gelegt durch einen Spruch, der das alte Mysterienwort „Erkenne dich selbst“ erneuert und in den Weihnachts-Wahrspruch mündet. In ihm lebt die harmonisierende Erkenntnis des Menschen, die aus der Verbindung von Denken, Fühlen und Wollen hervorgeht. Die Mitglieder dieser Gesellschaft sollen sich in freier, bewusster Gemeinschaft zusammenfinden, um gemeinsam den Fortschritt der Menschheit zu fördern. Die Statuten der Gesellschaft werden verlesen und erläutert, sie geben der Gesellschaft eine klare Gestalt und sichern das freie Wirken der anthroposophischen Bewegung. Die Leitung der Gesellschaft wird in die Hände eines Vorstandes gelegt, der aus Persönlichkeiten besteht, die aus dem innersten Impuls der Bewegung heraus handeln. Die Gesellschaft steht offen für alle, die sich mit ihren Zielen verbinden wollen, und sie gibt ihre Schriften frei, unter moralischem Schutz, damit das lebendige Geistesgut ungehindert wirken kann. Die Verbindung von Esoterik und Öffentlichkeit ist eine der zentralen Aufgaben. Es gilt, die tiefsten geistigen Erkenntnisse in einer Form zu vermitteln, die der Gegenwart entspricht, und zugleich die Gesellschaft so zu führen, dass sie nach außen hin als ein Organismus auftritt, der die geistige Entwicklung der Menschheit fördert. Die Arbeit in den Sektionen der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, die Pflege der Eurythmie, der Rezitation und Deklamation, die medizinische Therapeutik – all dies sind Ausdrucksformen des anthroposophischen Impulses. Die soziale Lage der Zeit erfordert neue Formen des Zusammenwirkens. Die Gründung freier Schulen, insbesondere einer Musterschule in der Schweiz, wird angestrebt, um das Ideal einer wirklich freien Erziehung zu verwirklichen. Die finanzielle Grundlage dafür muss geschaffen werden, und es ist notwendig, dass die Mitglieder der Gesellschaft sich dieser Aufgabe bewusst werden. Der Wiederaufbau des Goetheanums wird als Aufgabe der ganzen Bewegung erkannt, und es wird der Entschluss gefasst, den neuen Bau in einer Form zu errichten, die den veränderten Anforderungen der Zeit entspricht. Beton als neues Baumaterial stellt eine Herausforderung dar, doch soll auch im neuen Bau das künstlerische Element lebendig bleiben. Die Räume werden so gestaltet, dass sie den Bedürfnissen der Bewegung entsprechen und die geistige Arbeit fördern. Der Rückblick auf den Brand des Goetheanums führt zu einer Betrachtung des Neides der Götter und der Menschen. Die Mysterien der Antike waren Orte der Begegnung zwischen Menschen und Göttern, doch im Zeitalter der Freiheit wird das Geistige zur Angelegenheit des physischen Menschenlebens. Die Aufgabe besteht darin, die Weisheit der Götter in das Irdische zu tragen und in bescheidener, anspruchsloser Weise das Geistige im Leben zu verwirklichen. So wird die Weihnachtstagung zum Wendepunkt in der Geschichte der anthroposophischen Bewegung. Aus dem Bewusstsein der geistigen Verantwortung und in freier Gemeinschaft wird die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft gegründet, die den Impuls trägt, das Geistige in der Menschheit zu erneuern und den Weg zu einer neuen Kultur zu bahnen. 260a) Die anthroposophische Bewegung verlangt nach einer neuen Gestalt, nachdem die bisherigen Formen nicht mehr ausreichen, um die geistigen Impulse in die Welt zu tragen. Die Ereignisse der letzten Jahre, insbesondere der Brand des ersten Goetheanums, machen deutlich, wie notwendig es ist, die Gesellschaft auf eine neue Grundlage zu stellen. Es ist an der Zeit, das Zentrum der anthroposophischen Arbeit in Dornach zu verankern und die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft als internationale Gemeinschaft zu begründen, in der die einzelnen Landesgesellschaften ihren Mittelpunkt finden. Die Gründung der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft ist der nächste Schritt. Sie gliedert sich in Sektionen, die jeweils bestimmten Lebens- und Wissenschaftsgebieten gewidmet sind. Die Hochschule soll der Ort sein, an dem das geisteswissenschaftliche Streben in lebendiger Weise gepflegt wird, getragen von Verantwortungsbewusstsein und innerer Wahrhaftigkeit. Die Führung der Hochschule und der Gesellschaft verlangt von allen Beteiligten, dass sie sich nicht von äußeren Verwaltungsformen bestimmen lassen, sondern vom lebendigen Geist der Anthroposophie durchdrungen sind. Die Arbeit für die Gesellschaft und die Hochschule erfordert ständige Mitteilung und Austausch. Das Nachrichtenblatt wird zum verbindenden Organ, das die Mitglieder über alle wesentlichen Vorgänge und Entwicklungen informiert. Inmitten von Krankheit und Schwäche bleibt die Aufgabe bestehen, die anthroposophische Bewegung in ihrem innersten Wesen zu pflegen und zu schützen. Die Verwaltung und der Wiederaufbau des Goetheanum sind äußere Zeichen für das Ringen um eine neue Kultur, in der das Geistige wieder zur Quelle des Lebens wird. Die Statuten und Vereinbarungen, die getroffen werden, sind nicht bloß äußere Formen, sondern Ausdruck eines gemeinsamen Willens, der aus der Erkenntnis des Geistigen erwächst. Die Chronik der Jahre 1924 und 1925 zeigt, wie die anthroposophische Bewegung trotz aller Widerstände und Schwierigkeiten ihren Weg sucht und findet. Die Bilder des neuen Goetheanum stehen für den Neubeginn, für das Streben nach einer Kultur, in der das Geistige Wirklichkeit werden kann. 261) Das Leben des Menschen ist nicht auf das beschränkt, was zwischen Geburt und Tod im physischen Leib erlebt wird. Die geistige Welt reicht in das physische Dasein herein, und der Tod ist nicht eine Grenze, sondern ein Übergang. Was im Schlaf geschieht, gibt einen Hinweis auf das Verhältnis zwischen dem physischen und dem geistigen Dasein: Während des Schlafes verlassen Ich und Astralleib den physischen und ätherischen Leib, doch sie bleiben mit dem Menschen verbunden und wirken aus der geistigen Welt auf ihn zurück. So wie die Sonne, wenn sie für einen Teil der Erde untergeht, für einen anderen Teil aufgeht, so strahlt das Ich im Schlaf auf andere Bereiche des Leibes ein, als im Wachzustand. Dadurch wird der Mensch im Schlaf gekräftigt und gestärkt durch Kräfte aus der geistigen Welt. Der Tod ist ein Ereignis, das den Menschen aus dem physischen Leib entlässt, aber er bleibt mit den Zurückgebliebenen verbunden. Die Beziehung zu den Verstorbenen bleibt bestehen, und es ist möglich, ihnen Gedanken, Empfindungen und geistige Kräfte zu senden. Die Toten nehmen diese auf, sie leben in einer anderen Daseinsform weiter, und sie benötigen die Verbindung zu den Lebenden. Der Umgang mit den Toten ist nicht ein bloßes Erinnern, sondern eine reale geistige Beziehung, die gepflegt werden kann und gepflegt werden soll. Die anthroposophische Geisteswissenschaft zeigt, wie das Leben nach dem Tod gestaltet ist, wie der Mensch durch verschiedene geistige Welten schreitet, seine Erlebnisse verarbeitet und sich auf neue Inkarnationen vorbereitet. Die Toten nehmen die Gedanken und Gefühle der Lebenden auf, wenn diese mit innerer Wahrhaftigkeit und Liebe gesendet werden. Die geistige Welt ist nicht fern; sie durchdringt das irdische Leben, und der Mensch lebt in beiden Welten, auch wenn das gewöhnliche Bewusstsein dies nicht wahrnimmt. Jeder Mensch ist in der Lage, durch Meditation, Gebet und innere Sammlung eine Brücke zu den Verstorbenen zu schlagen. Die Liebe, die wir den Toten senden, ist eine reale Kraft, die sie in ihrer Entwicklung unterstützt. Die Verstorbenen wiederum können aus der geistigen Welt auf das irdische Leben einwirken und den Lebenden Kraft und Inspiration schenken. Die Gemeinschaft zwischen Lebenden und Toten ist eine Wirklichkeit, die erkannt und gepflegt werden kann. In den Gedenkworten und Ansprachen wird das Schicksal einzelner Verstorbener betrachtet, ihre Lebensaufgabe gewürdigt und ihre Verbindung zur geistigen Welt dargestellt. Es wird auf die Bedeutung der individuellen Entwicklung hingewiesen, auf das Wirken des Karma und auf die Aufgabe, die der Mensch in mehreren Erdenleben zu erfüllen hat. Der Tod ist kein Ende, sondern eine Verwandlung, und das geistige Leben setzt sich fort, bereichert durch die Erfahrungen des irdischen Daseins. Die Sprüche und Meditationen dienen dazu, die Verbindung zu den Toten zu stärken, ihnen Licht und Liebe zu senden und das Bewusstsein für die geistige Welt zu vertiefen. Die geistige Welt ist immer gegenwärtig, und der Mensch ist berufen, sich ihrer bewusst zu werden und in ihr tätig zu sein, sowohl im Leben als auch im Tod. 262) Sehr früh wird mein Denken auf Kant gelenkt, und ich tauche als Fünfzehnjähriger tief in seine Philosophie ein, beschäftige mich dann mit Fichtes und Schellings Schriften und erfahre in dieser Zeit, wie sich aus dem okkulten Leben heraus die Erkenntnis einer rückwärtsgehenden Evolution neben der vorwärtsgehenden ergibt – eine Bedingung für das geistige Schauen. In diese Zeit fällt auch die Begegnung mit dem Agenten des Meisters, die mein Leben entscheidend prägt. Intensives Studium Hegels und der neueren Philosophie, insbesondere der Erkenntnistheorie, vertieft mein Verständnis der geistigen Welt und bereitet den Boden für die anthroposophische Forschung. Mein Weg führt mich durch die Auseinandersetzung mit der Wissenschaft, der Mystik und dem Okkultismus, wobei ich stets bemüht bin, das Geistige im Menschen und in der Welt zu erfassen. Die äußeren Umstände meines Lebens sind so gefügt, dass ich nie von Aberglauben beeinflusst werde, sondern immer das Streben nach Wahrheit und Erkenntnis in mir trage. Die Begegnung mit bedeutenden Persönlichkeiten und die Zusammenarbeit mit Marie von Sivers ermöglichen es, die anthroposophische Bewegung ins Leben zu rufen. In treuer, fester Waffenbrüderschaft gestalten wir gemeinsam die Grundlagen, organisieren Vortragsreisen, gründen einen eigenen Verlag und pflegen das künstlerische Leben innerhalb der Bewegung, das in den Mysteriendramen und der Eurythmie seinen Ausdruck findet. Die Briefe, die zwischen uns gewechselt werden, zeugen von einer tiefen, geistigen Verbundenheit und der gemeinsamen Aufgabe, die anthroposophische Gesellschaft zu führen und zu entwickeln. Sie sind getragen von gegenseitigem Vertrauen, von der Überzeugung, dass nur im Zusammenwirken die irdische Aufgabe erfüllt werden kann. Die Korrespondenz spiegelt die Herausforderungen, Widerstände und menschlichen Schwächen wider, die uns aus der Mitwelt entgegentreten, und zeigt zugleich die Kraft, mit der wir diesen Aufgaben begegnen. Die Entwicklung der anthroposophischen Bewegung ist geprägt von der Pflege des Geisteslebens, von der künstlerischen Arbeit und der ständigen Weiterentwicklung der esoterischen Lehrtätigkeit. Die Briefe und Dokumente geben Einblick in die inneren und äußeren Bedingungen, unter denen die Bewegung entstanden ist, und in das Ringen um die Verwirklichung einer geistigen Gemeinschaft, die dem Menschen neue Wege zum Geist eröffnet. 263) Die Begegnung zweier Seelen, die sich durch die geistige Welt finden, steht am Anfang dieses Briefwechsels. Aus der Ferne, getragen von einer tiefen Sehnsucht nach Erkenntnis und Aufgabe, wendet sich Edith Maryon an mich. Sie sucht nach Bestätigung, nach Führung, nach dem Sinn ihres Daseins und der Aufgabe, die ihr inneres Streben ihr verheißt. Ich nehme diesen Ruf auf, lasse sie teilhaben an dem, was aus den geistigen Welten in unsere Zeit hereinwirkt, und führe sie an die Schwelle der esoterischen Arbeit, an die Schwelle des Goetheanum-Baus. In den Briefen entfaltet sich ein Weg, der aus dem persönlichen Suchen in das gemeinsame Arbeiten am Werk der Anthroposophie führt. Die Fragen, die Edith Maryon bewegen, sind Fragen nach dem eigenen Karma, nach der Aufgabe in dieser Inkarnation, nach dem rechten Verhältnis von innerer Entwicklung und äußerem Wirken. Immer wieder ringt sie um Klarheit, bittet um Rat, sucht Halt in den Übungen, die ich ihr gebe, und in der Gemeinschaft, die sich um das Goetheanum bildet. Das Schicksal führt sie aus England nach Dornach, an den Ort, wo das Geistige in der Kunst Gestalt werden soll. Hier, im gemeinsamen Arbeiten an der Holzskulptur des Menschheitsrepräsentanten, wird das innere Streben zur äußeren Tat. Die Verbindung, die sich zwischen uns bildet, ist getragen von gegenseitigem Vertrauen, von der Hingabe an das gemeinsame Ziel, die geistigen Impulse in die Welt zu tragen. Immer wieder werden in den Briefen die Schwierigkeiten des äußeren Lebens sichtbar: Krankheit, Einsamkeit, die Suche nach einer Lebensgrundlage. Doch immer ist es das Geistige, das den Weg weist und Kraft schenkt. Die Briefe sind Zeugnis eines Ringens um die rechte Haltung im Geistigen wie im Irdischen. Sie spiegeln die Bedeutung der Meditation, der geistigen Schulung, der Treue zum eigenen inneren Auftrag. Sie zeigen, wie das Persönliche sich im Dienst am Ganzen verwandelt, wie aus Zweifel Vertrauen, aus Suchen Hingabe wird. In Sprüchen, Versen und Skizzen, die ich Edith Maryon widme, klingt das Wesen unseres gemeinsamen Strebens an: das Ringen um das Gleichgewicht zwischen Luziferischem und Ahrimanischem, das Streben nach dem wahren Menschentum inmitten der Gegensätze. Auch im Angesicht des Todes bleibt dieser Strom lebendig: Die letzten Worte, die Erinnerungen an Edith Maryon, sind getragen von Dankbarkeit und dem Bewusstsein, dass das gemeinsam Begonnene im Geistigen weiterwirkt. So ist dieser Briefwechsel ein Dokument des inneren Weges, der sich im Äußeren spiegelt, ein Zeugnis der Kraft, die aus der geistigen Welt in das Leben der Menschen hereinwirkt, wenn sie sich ihr öffnen und im gemeinsamen Schaffen ihre Aufgabe erkennen. 264) Der Mensch lebt in einer Zeit, in der das Bewusstsein sich gewandelt hat. Die Kräfte der alten Mysterien sind zurückgetreten, und nun ist es an der Zeit, dass der Einzelne aus eigener Freiheit heraus den Weg zur geistigen Welt sucht. Die Esoterische Schule ist dazu berufen, diesen Weg zu weisen, nicht durch äußere Autorität, sondern durch innere Arbeit, durch die bewusste Pflege von Gedanken, Gefühlen und Willensimpulsen, die den Menschen mit der Welt des Geistes verbinden. Die Übungen, die ich gebe, sind Werkzeuge, um das innere Leben zu ordnen, zu reinigen und zu stärken, damit das höhere Selbst im Menschen erwachen kann. Die Regeln der Schule verlangen Wahrhaftigkeit, Selbstlosigkeit, Geduld und Hingabe an das geistige Streben. Wer sich auf diesen Pfad begibt, muss bereit sein, die Wahrheit zu suchen, auch wenn sie unbequem ist, und sich von niederen Trieben und Begierden zu lösen. In der Meditation, in der inneren Sammlung, öffnet sich das Tor zur geistigen Welt. Die Gedanken werden zu Kräften, die das Bewusstsein verwandeln. Wer sich diesen Kräften anvertraut, wird erleben, wie die geistigen Meister der Menschheit, die Hüter der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen, ihn führen und stärken. Die Meister sind reale geistige Wesenheiten, die den Menschen auf seinem Weg begleiten. Sie wirken nicht von außen, sondern durch die Impulse, die im Inneren des Menschen lebendig werden, wenn er sich dem Geistigen zuwendet. Die Verbindung zu ihnen entsteht durch die Läuterung des eigenen Wesens, durch die Pflege von Ehrfurcht, Demut und Liebe zur Wahrheit. In der Esoterischen Schule wird nicht bloß Wissen vermittelt, sondern eine Lebenshaltung eingeübt, die den Menschen befähigt, in Freiheit und Verantwortung den Weg zur Initiation zu gehen. Der Osten und der Westen haben unterschiedliche Wege zur geistigen Erkenntnis hervorgebracht. Im Osten war es die Versenkung, das Aufgehen im All-Einen; im Westen ist es die Bewusstseinsarbeit, das Durchdringen des Geistigen mit klarem, wachem Ich-Bewusstsein. Die Zeit verlangt, dass der westliche Mensch seinen eigenen Weg findet, nicht durch Nachahmung östlicher Praktiken, sondern durch die Entwicklung eines neuen, freien Verhältnisses zur geistigen Welt. Die Schule ist der Ort, an dem diese neue Esoterik gepflegt wird, getragen von der Verantwortung gegenüber dem Ganzen der Menschheit. Die Bewegung, die Gesellschaft und die Esoterische Schule stehen in einem lebendigen Zusammenhang. Die äußere Organisation ist nur Hülle; das Wesentliche geschieht im Inneren des Menschen. Die Gemeinschaft der Suchenden ist dazu da, die Kräfte des Einzelnen zu stützen, aber jeder muss seinen Weg selbst gehen. Die geistige Führung ist immer individuell, niemals bloß institutionell. Die Zeit der äußeren Hierarchien ist vorbei; es geht um die freie Entfaltung des Geistes im Menschen. Die alten Weisheiten, wie sie in Schriften wie „Licht auf den Weg“ oder „Die Stimme der Stille“ niedergelegt sind, enthalten ewige Wahrheiten, doch sie müssen im Lichte der Gegenwart neu verstanden und gelebt werden. Die Worte allein genügen nicht; es ist die innere Erfahrung, die zählt. Wer sich auf den Weg macht, wird erleben, wie das Geistige in seinem eigenen Leben wirksam wird, wie die Welt sich verwandelt, wenn das Bewusstsein sich wandelt. So ist die Esoterische Schule nicht Rückzug aus der Welt, sondern Vorbereitung auf ein neues, verantwortungsvolles Wirken in der Welt. Der Mensch soll nicht nur für sich selbst streben, sondern zum Werkzeug werden für die geistige Entwicklung der Menschheit. Die Zukunft verlangt Menschen, die aus innerer Freiheit handeln, die das Geistige in das Leben tragen und so helfen, eine neue Kultur zu begründen, in der der Mensch als geistiges Wesen erkannt und geachtet wird. 265) Aus der geistigen Welt strömt das Leben, das den Menschen mit dem Kosmos verbindet. In alten Zeiten war dieses Bewusstsein lebendig, doch im Verlauf der Entwicklung musste der Mensch dieses unmittelbare Erleben verlieren, um Freiheit zu erringen. Nun ist es an der Zeit, aus freiem Geist heraus den Zusammenhang mit der geistigen Welt neu zu suchen. Die Wege dazu sind im Inneren zu finden, doch sie verlangen eine bewusste Schulung, eine Pflege der seelisch-geistigen Kräfte, die den Menschen wieder mit dem Ursprung verbinden. Die erkenntniskultische Arbeit lebt in rituellen Handlungen, die nicht bloß äußere Formen sind, sondern durch geistige Inhalte und echte innere Teilnahme mit Leben erfüllt werden müssen. Im Kultus wird das, was im Inneren erlebt wird, in symbolischer Handlung nach außen getragen. Die Symbole, die in diesen Handlungen verwendet werden, sind Ausdruck geistiger Realitäten, nicht bloß Zeichen, sondern wirkende Kräfte. Wer sich mit Ernst und Hingabe in diese Arbeit stellt, erfährt, wie die geistige Welt im Kultus gegenwärtig wird. Die Vorbereitung auf diese Arbeit verlangt eine gründliche Kenntnis der anthroposophischen Geisteswissenschaft. Denn nur, wer die geistigen Zusammenhänge durchdrungen hat, kann in den rituellen Formen das Wirken der geistigen Wesenheiten erkennen und erleben. Die Symbole und Rituale sind nicht Selbstzweck, sondern Mittel, um das Bewusstsein für die Wirklichkeit des Geistes zu stärken und zu vertiefen. Die Zeit verlangt neue Formen. Die alten Kultformen sind vielfach erstarrt, ihr Sinn ist verloren gegangen. Es gilt, das Geistige, das ihnen zugrunde liegt, neu zu gebären, neue Formen zu schaffen, die aus dem lebendigen Erleben hervorgehen. Die äußere Handlung muss durch innere Aktivität durchdrungen werden, damit der Kultus nicht zum leeren Ritual wird, sondern zum Quell der Erneuerung für das einzelne Menschenleben und für das soziale Miteinander. Die Arbeit in der erkenntniskultischen Abteilung ist getragen von der Aufgabe, das Bewusstsein für die geistige Welt in der Gegenwart zu erneuern. Die Rituale sind so gestaltet, dass sie den Menschen in die Lage versetzen, die Wirklichkeit des Geistes zu erfahren, nicht als bloße Vorstellung, sondern als lebendige Gegenwart. Die Pflege der Symbolik, das Verständnis für die Sprache der Zeichen, wird zur Brücke, die das Irdische mit dem Geistigen verbindet. Die Zeit des Ersten Weltkriegs brachte einen tiefen Einschnitt. Die alten Formen konnten nicht mehr in derselben Weise fortgeführt werden. Die Aufgabe besteht nun darin, das Verständnis für die Kultsymbolik zu bewahren, damit das geistige Erbe nicht verloren geht, sondern in verwandelter Gestalt weiterwirken kann. Die Zukunft verlangt, dass das Symbolische und Kulturelle in einer neuen, zeitgemäßen Weise gepflegt wird, die dem modernen Bewusstsein entspricht. So ist die erkenntniskultische Arbeit ein Weg, der den Menschen befähigt, aus Freiheit und Bewusstheit heraus das Geistige zu ergreifen, die Verbindung mit den schöpferischen Kräften des Kosmos zu erneuern und in das soziale Leben schöpferisch hineinzutragen. 266/a) Die Erlangung höherer Erkenntnisse verlangt eine bewusste, konsequente Schulung des Denkens, Fühlens und Wollens. Der Weg der Esoterik beginnt mit der Selbsterkenntnis: Ich stelle mich dem eigenen Inneren, beobachte meine Gedanken, Gefühle und Impulse, ohne mich mit ihnen zu identifizieren. Durch diese innere Beobachtung wächst die Fähigkeit, das Ich als geistiges Wesen zu erleben, das unabhängig von den wechselnden Inhalten des Seelenlebens ist. Nur wer lernt, sich selbst wie einen Fremden zu betrachten, kann den ersten Schritt auf dem esoterischen Pfad tun. Die Meditation bildet das Herzstück der esoterischen Arbeit. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Gedanken oder ein Bild, halte es wach im Bewusstsein und lasse alles andere zurücktreten. In dieser Konzentration öffnet sich das Tor zu einer höheren Welt, in der die geistigen Wesenheiten und Gesetzmäßigkeiten unmittelbar erlebt werden können. Die Meditation ist nicht bloß ein Denken, sondern ein inneres Tun, ein Sich-Verbinden mit dem Wesen des Gedankens. Die Kraft dazu wächst aus der regelmäßigen, hingebungsvollen Übung. Die Entwicklung der Imagination, Inspiration und Intuition ist das Ziel der esoterischen Schulung. Imagination bedeutet, dass ich die geistigen Bilder, die aus der Meditation aufsteigen, als Wirklichkeiten erlebe, nicht als bloße Phantasie. Inspiration ist das Hören auf die geistige Sprache, das Empfangen von Mitteilungen aus höheren Welten. In der Intuition vereinige ich mich mit dem Wesenhaften, werde eins mit dem, was ich erkenne. Diese Stufen können nur durch moralische Läuterung und die Pflege von Eigenschaften wie Geduld, Mut, Wahrhaftigkeit und Liebe erreicht werden. Ohne die Verwandlung des eigenen Wesens bleibt der Zugang zu den geistigen Welten verschlossen. Die esoterische Schulung verlangt einen festen Willen, Ausdauer und die Bereitschaft, sich immer wieder selbst zu prüfen. Ich lerne, die äußeren Eindrücke und die inneren Regungen zu beherrschen, nicht von ihnen fortgerissen zu werden. Die fünf Hauptübungen – Kontrolle der Gedanken, Handlungen, Gefühle, Positivität und Unparteilichkeit – sind die Grundlage für diese innere Disziplin. Sie führen zur Stärkung des Ich und zur Öffnung für die geistige Führung. Die Begegnung mit dem eigenen Schutzengel, das Erleben der geistigen Hierarchien und die Arbeit mit den Kräften von Luzifer und Ahriman sind Stationen auf diesem Weg. Immer aber bleibt das Ziel, das eigene Menschsein zu vergeistigen und in Freiheit und Liebe zum Werkzeug des Guten zu werden. Der Weg der Esoterik ist kein Rückzug aus der Welt, sondern eine Vertiefung der Verantwortung für die Menschheit. Wer die geistigen Welten betritt, tut es nicht für sich allein, sondern um Licht und Kraft in das irdische Leben zu bringen. Die Meditation, die Selbsterkenntnis und die moralische Schulung sind Mittel, um das eigene Wesen zu verwandeln und zum bewussten Mitarbeiter am Werk der geistigen Welt zu werden. So wächst aus der esoterischen Schulung die Fähigkeit, das eigene Karma zu erkennen, die Aufgaben des Lebens zu begreifen und in Freiheit das Gute zu verwirklichen. 266/b) In den esoterischen Stunden wird der Weg des Menschen durch die geistigen Welten erschlossen, indem die Entwicklung der Seele in ihren kosmischen Zusammenhängen betrachtet wird. Die Meditationen und Sprüche, die an den Tagesgeist gerichtet sind, führen die Seele in die Verbindung mit den großen planetarischen Kräften: Saturn, Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus. In diesen Kräften offenbart sich das Wesen des Menschen in seinen verschiedenen Gliedern – Leib, Leben, Empfindung, Erkenntnis, Seligkeit und Geist – und ihre Entstehung aus der Einheit mit den göttlichen Urbildern. Die Seele erhebt sich zu den Urkräften, erkennt ihr Dasein als Teil des umfassenden Geistes, erlebt sich in den ausgesandten Kräften der Schöpfung und findet in der Rückschau auf die kosmische Vergangenheit ihr eigenes Urbild. Die Meditationen führen zu einer Bewusstseinsverwandlung, in der die Kräfte der Hierarchien in der eigenen Seele erlebt werden. Die Verbindung mit dem Tagesgeist wird zur Grundlage für die Erkenntnis des eigenen Wesens und der geistigen Welt. Im weiteren Verlauf werden die Bedingungen des inneren Schulungsweges erläutert: Die Reinigung der Gedanken, die Läuterung der Gefühle, das Streben nach Wahrhaftigkeit und innerer Sammlung. Die Übungen der Konzentration, Meditation und Kontemplation dienen dazu, die Sinne für die geistige Welt zu öffnen. Die Gefahr der Selbsttäuschung und der Illusion wird gewarnt, indem auf die Notwendigkeit der Demut und der Hingabe an die geistige Führung hingewiesen wird. Die esoterische Schulung verlangt, dass der Mensch sich seiner Verantwortung gegenüber der geistigen Welt bewusst wird. Die Kräfte der Liebe, des Mutes und der Opferbereitschaft werden als Grundtugenden des Schülers hervorgehoben. In der Begegnung mit dem Hüter der Schwelle wird das eigene Wesen in seiner Tiefe erkannt, die Schattenseiten treten hervor, und es gilt, sie bewusst zu verwandeln. Die Arbeit an sich selbst, das Streben nach innerer Reinheit, die Pflege der Meditation und die Hingabe an die geistige Führung führen zu einer allmählichen Verwandlung des Bewusstseins. Der Mensch wird fähig, die geistigen Realitäten zu schauen, die Wesenheiten der Hierarchien zu erleben und in der Welt als Diener des Geistes zu wirken. In der Gemeinschaft der esoterischen Schule wird das Wirken des Christus in der Gegenwart erkannt und als lebendige Kraft erfahren, die den Menschen durch alle Prüfungen und Wandlungen trägt. 266c) In den esoterischen Stunden wird der Blick auf die geistigen Hintergründe des Menschen, der Welt und der kosmischen Entwicklung gelenkt. Die Meditationen und Sprüche, die den Stunden vorangestellt werden, rufen die Verbindung mit den großen Geistern der Planeten und der Hierarchien ins Bewusstsein. Es wird daran erinnert, dass das menschliche Wesen aus höheren Welten stammt, dass seine Leibesglieder, Lebenskräfte und Seelenkräfte in uralten kosmischen Prozessen aus dem Geistigen hervorgegangen sind. Die Anrufungen an Saturn, Sonne, Mond und die weiteren Planeten führen die Seele in die Erfahrung, dass sie einst eins war mit den Kräften des Kosmos, dass sie aus ihnen hervorgegangen ist und dass sie zu ihnen zurückstrebt. Der Weg des esoterischen Schülers besteht darin, sich dieser kosmischen Herkunft und Bestimmung bewusst zu werden und die in der Gegenwart schlummernden geistigen Kräfte durch Meditation, Konzentration und innere Schulung zu erwecken. Die Übungen führen dazu, dass die Seele sich löst von den bloßen Sinneseindrücken und Gedanken, dass sie sich erhebt zu einer Erfahrung der höheren Welten, in denen die geistigen Wesenheiten wirken. Das Denken soll verinnerlicht, das Fühlen geläutert, der Wille gestärkt werden, so dass der Mensch zum bewussten Mitarbeiter an der geistigen Entwicklung der Erde werden kann. Immer wieder wird auf die Bedeutung der Selbsterkenntnis hingewiesen. Der Schüler soll seine eigenen Schwächen, Leidenschaften und Irrtümer erkennen, sie verwandeln und sich der Führung seines höheren Selbst anvertrauen. Die Meditationen auf Worte, Bilder und Mantren dienen dazu, das innere Auge zu öffnen für die Wirklichkeit der geistigen Welt. Die Arbeit an sich selbst, die tägliche Übung, die Pflege der moralischen Kräfte und das Streben nach Wahrheit und Liebe sind die Voraussetzungen, um auf dem esoterischen Pfad voranzuschreiten. Die esoterischen Stunden geben Hinweise auf die Gefahren und Prüfungen des Weges. Es wird betont, dass der Schüler Demut, Geduld und Ausdauer entwickeln muss, dass er die Versuchungen des Stolzes und des Egoismus überwinden soll. Die geistige Entwicklung ist eingebettet in das Mysterium von Tod und Wiedergeburt, in die großen Rhythmen des kosmischen Werdens. Die Verbindung mit den geistigen Führern, mit dem Christus-Wesen und den Hierarchien wird gepflegt durch Gebet, Meditation und innere Hingabe. In den späteren Jahren, nach dem Ersten Weltkrieg, wird die Notwendigkeit betont, die esoterische Arbeit in den Dienst der Menschheit zu stellen. Die geistige Schulung soll nicht zur Absonderung führen, sondern zur tätigen Liebe, zur Mitverantwortung für das Schicksal der Erde und der Menschheit. Die Arbeit an der eigenen Seele wird zur Grundlage für die Heilung und Erneuerung der Welt. 267) Das Streben nach Erkenntnis der geistigen Welt verlangt eine bewusste, methodische Schulung der Seele. Wer diesen Weg gehen will, muss zunächst die Grundforderungen an sich selbst stellen: innere Wahrhaftigkeit, Geduld, Mut und die Bereitschaft, die eigenen Gedanken, Gefühle und Willensimpulse zu beobachten und zu verwandeln. Die Seele soll sich reinigen und ordnen, damit sie zum Gefäß für höhere Erkenntnisse werden kann. Die Vorübungen – wie das tägliche Üben der Selbstbesinnung, das Entwickeln von Gleichmut, das Überwinden von Vorurteilen, das Pflegen von Dankbarkeit und Liebe – sind unerlässlich, um den inneren Halt zu gewinnen, der auf dem Schulungsweg nötig ist. Im Rhythmus des Lebens, in der Gestaltung der Wochentage und Monate, werden Tugenden gepflegt, die wie zwölf Blütenblätter die Seele umgeben und stärken. Jede Tugend – Geduld, Mut, Wahrhaftigkeit, Bescheidenheit und so weiter – wird im inneren Leben bedacht und geübt, sodass sie zur lebendigen Kraft wird. Die Hauptübungen gliedern sich in Morgen- und Abendmeditationen. Sie bestehen aus Sprüchen und Bildern, die die Seele auf das Licht der geistigen Welt ausrichten. „Strahlender als die Sonne...“ – in solchen Worten wird das geistige Licht angerufen, das die Seele durchdringen und verwandeln soll. Die Meditationen führen dazu, dass das Ich sich seiner selbst bewusst wird, dass es sich als denkend, fühlend und wollend erlebt – „Ich bin – Es denkt – Sie fühlt – Er will“. Durch diese Formeln wird der Mensch in die Lage versetzt, sich als geistiges Wesen zu erkennen, das in einer geistigen Welt wurzelt. In den reinen Strahlen des Lichtes begegnet das Ich der Gottheit der Welt. Die Meditationen sollen nicht bloß gedacht, sondern innerlich erlebt werden. Sie wirken wie Keime, die in der Seele aufgehen und sie umgestalten. Durch Umkehrungen und Variationen der Sprüche wird die Beweglichkeit des Denkens und das Erleben des Göttlichen vertieft. Die Meditationen führen zur Erfahrung, dass das Ich in der Gottheit ruht und aus ihr heraus handelt. Die Übungen sind nicht bloß abstrakte Gedanken, sondern lebendige Bilder, die die Seele durchdringen. Sie wirken wie Lichtstrahlen, die das Innere erhellen und den Menschen auf den geistigen Pfad führen. Die Rückschau auf den Tag, das Studium geistiger Wahrheiten, die Versenkung in das eigene göttliche Ideal – all dies sind Wege, die das Bewusstsein erweitern und die Seele stärken. Symbolische Vorstellungen wie das Rosenkreuz, die Lotusblumen und die Kundalini-Kraft dienen als Werkzeuge, um die höheren Kräfte der Seele zu entfalten. Die Meditationen werden nach und nach vertieft, sodass die Seele immer mehr in das Licht der geistigen Welt hineinwächst. Die Ernährung, der Umgang mit Alkohol, die Pflege des Leibes – auch dies gehört zur Schulung, denn der Leib soll ein taugliches Werkzeug für das Geistige werden. So schreitet die Seele durch die Übungen, Sprüche und Meditationen voran, wird immer bewusster, klarer, stärker. Sie lernt, sich im Licht zu erkennen, das aus der geistigen Welt strömt, und wird fähig, dieses Licht in die Welt zu tragen. 268) Erkenne, dass Selbsterkenntnis nicht Selbstzweck ist, sondern Wandlung des eigenen Wesens bedeutet. Nur wenn das Erkennen dich zu einem anderen, zu einem neuen Menschen macht, wächst deine Bedeutung für das Ganze der Welt. Wer den Weltengeist leugnet, verfehlt die eigentliche Aufgabe des Menschen: aus dem Geist heraus zu wirken. Im Menschen begegnen sich Ewiges und Vergängliches; das Erkennen ist ein Erfahren des Ewigen, das Handeln ist ein Werkzeug des Ewigen. Du bist Auge und Hand des Urgeistes, durch dich sieht und schafft er in der Welt. Durch die Macht des Denkens bewegst du dich auf den Fluten des Sonderseins, geführt von sieben Kräften, die dich entweder zur Tiefe der Lust oder zur Höhe des Geistes führen. In allem, was du bist und tust, wirken diese sieben Kräfte: Gesetz, Leben, Person, Ich, Entsagung, selige Ruhe und ewiges Gesetz – durch sie wird dein Selbst geformt und geführt. Vereine dich mit Weisheit, Liebe und Ursein – alles durchströmend, alles umfassend. Rufe sie an, damit ihr Licht dich leite. Lass dich erleuchten vom Ursein, von der Liebe des Alls, von der Weisheit, damit dein Leben, deine Begierden und deine Seele von ihnen geführt werden. Wahrheit und Liebe sind untrennbar verbunden; der Same der Wahrheit liegt in der Liebe, die Wurzel der Liebe in der Wahrheit. Dein Werk wird lebendig erst durch den Glauben, der es emporträgt und zu einem Opfer für das Ewige macht. Begreife deine Stellung in der Welt: Du stehst auf der Erde, gehst im Irdischen, handelst aus menschlicher Kraft, lebst von der Nähe der Sonne. Dein Wirken erschöpft sich im Sonnensystem, dein Leben im Menschlichen. Du bist ein zum Menschen gewordener Elementargeist, der sich durch Handeln fixiert, durch Denken befreit, durch Sinnen vergöttlicht. Nimm auf, was das Sein, das Leben, das Fühlen, das Denken der Welt dir gibt; ströme aus, was du empfangen hast, in die Welt zurück. In dir webt die Weisheit der Dinge, glüht die Schöpfermacht, lebt das ewige Sein. Erkenntnis ist Richtung, Richtung ist Licht, Licht ist Führer des Lebens. Sprosskraft wird vom Licht zum Leben gerufen, Wunschkraft vom Geist zur Liebe. So entfaltet sich das Leben des Menschen als ein ständiges Streben nach Verwandlung, Durchdringung und Hingabe an das Geistige, das in allem wirkt. 269) Im Kinde offenbart sich das Göttlich-Geistige immer wieder neu, und dieses zu pflegen, erhebt Erziehung zu einer heiligen Aufgabe. Der Erziehungsdienst ist Kultus, ein religiöser Dienst am werdenden Menschen. Im Schulalltag soll das Geistige nicht als abstrakte Theorie, sondern als lebendige Kraft wirken. Die Schule darf keine Weltanschauungsschule sein, sondern muss in der Pädagogik aus dem schöpferischen Geist der Anthroposophie handeln. Das Religiöse selbst bleibt den Seelsorgern der jeweiligen Konfessionen anvertraut, doch wo Kinder ohne konfessionelle Bindung sind, entsteht die Aufgabe, einen freien Religionsunterricht zu gestalten, der aus der inneren Erfahrung des Geistigen schöpft. Für diese Kinder wird ein freier christlicher Religionsunterricht eingerichtet, in dem das Religiöse nicht als Dogma, sondern als lebendige Erfahrung gepflegt wird. Hierzu gehört die Feier am Sonntag, die als kultische Handlung das Bewusstsein für das Göttlich-Geistige im Menschen stärken soll. In diesen Feiern wird das Kind in eine Atmosphäre geführt, in der es das Wirken des Christus-Impulses erleben kann, nicht durch äußere Belehrung, sondern durch innere Anteilnahme und Andacht. Die Rituale und Sprüche, die hier gesprochen werden, sind so gestaltet, dass sie das Kind in seiner Entwicklung begleiten und stärken, indem sie das geistige Licht, das jedem Menschen innewohnt, ansprechen und fördern. Auch für die Lehrer und Erzieher ist es wesentlich, in meditativer Haltung zu leben, sich durch innere Andacht und geistige Übungen immer wieder mit dem Ursprung des Erziehens zu verbinden. Die rechte Lehrer-Meditation besteht darin, sich mit Ehrfurcht, Enthusiasmus und einem schützenden Gefühl dem Kinde zuzuwenden, das als Träger des Göttlich-Geistigen betrachtet wird. Die Sprüche und Meditationen, die für Lehrer gegeben werden, dienen dazu, die eigene geistige Haltung zu vertiefen und das pädagogische Handeln aus einer inneren Quelle zu nähren. Im Unterricht und im täglichen Umgang mit den Kindern soll das Bewusstsein gepflegt werden, dass Erziehung nicht bloß Vermittlung von Wissen ist, sondern ein lebendiger Prozess, in dem das Kind als werdende Individualität angesprochen wird. Die Sprüche für die Schüler, die den Tag begleiten, die den Unterricht eröffnen oder besondere Lebensübergänge markieren, sind darauf ausgerichtet, das Kind in seinem Streben nach Erkenntnis, in seiner Verantwortung für sich und die Welt und in seinem Verhältnis zum Göttlichen zu stärken. Die Gestaltung der Rituale, der Sprüche und Meditationen ist getragen von dem Anliegen, das geistige Leben in der Schule zu verankern, sodass die Schule ein Ort wird, an dem das Geistige im Menschen gepflegt und zur Entfaltung gebracht wird. Die Opferfeier, die Jugendfeier, die Sonntagshandlung und die Weihnachtshandlung sind Ausdruck dieses Bemühens, dem Kind und dem Jugendlichen Räume zu eröffnen, in denen sie das Wirken des Geistes in sich erleben und erfassen können. So wird die Schule zu einem Ort, an dem nicht nur Wissen vermittelt, sondern das Leben im Lichte des Geistes gestaltet wird. 270a) Im Menschen lebt ein ewiges Wesen, das sich durch die aufeinanderfolgenden Erdenleben entfaltet. Dieses Wesen ist eingebettet in die geistige Welt, und seine Entwicklung hängt davon ab, dass es sich dieser geistigen Herkunft immer bewusster wird. Die Erkenntnis des eigenen höheren Wesens, des Geistesmenschen, ist der eigentliche Sinn des esoterischen Strebens. Die Kräfte, die aus der geistigen Welt auf den Menschen einwirken, sind real; sie durchdringen ihn, und durch Meditation und innere Schulung kann er sich ihnen öffnen. Die Mantren, die gegeben werden, sind Tore zu diesen Kräften, sie wirken, wenn sie mit der rechten inneren Haltung aufgenommen werden. Die geistige Welt ist nicht abstrakt, sondern lebendig und voller Wesenheiten. Die Hierarchien wirken fortwährend auf den Menschen ein. Der Mensch steht zwischen luziferischen und ahrimanischen Kräften: Die luziferischen Kräfte wollen ihn von der Erde lösen, ihn ins Geistige reißen, während die ahrimanischen Kräfte ihn an das Materielle fesseln wollen. Die Aufgabe des Menschen ist es, das Gleichgewicht zu halten, die Mitte zu finden, indem er sich mit dem Christus-Prinzip verbindet, das als lebendige Kraft in der Welt wirkt. Christus ist der große Mittler, der den Menschen befähigt, in rechter Weise zwischen den beiden Kräften zu stehen. Die Selbsterkenntnis ist ein heiliger Akt. Sie verlangt, dass der Mensch mit Ernst, Wahrhaftigkeit und innerer Weihe an sich arbeitet. Nicht das äußere Wissen, sondern das innere Erleben, das Durchdrungensein von der Wahrheit, ist entscheidend. Jedes Wort, das im esoterischen Zusammenhang gesprochen wird, muss auf seine Wahrheit und seine Wirkung geprüft werden. Unwahre Aussagen, auch wenn sie gut gemeint sind, wirken zerstörend im esoterischen Leben. Die Verantwortung, die der esoterische Schüler übernimmt, ist groß: Er muss ein würdiger Repräsentant der geistigen Welt auf Erden sein. Die Mantren und Übungen der Klasse führen Schritt für Schritt zur Begegnung mit dem Hüter der Schwelle. Dieser Hüter ist das Wesen, das dem Menschen die Wahrheit seines eigenen Wesens vor Augen stellt, das ihn prüft, ob er reif ist, die höheren Erkenntnisse zu empfangen. Die Begegnung mit dem Hüter ist ein tiefgreifender Moment, in dem der Mensch erkennt, wie seine Gedanken, Gefühle und Taten auf die geistige Welt wirken. Nur in Demut, Wahrhaftigkeit und innerer Reinheit kann diese Schwelle überschritten werden. Die geistige Schulung verlangt, dass der Mensch seine Gedanken, Gefühle und Willensimpulse läutert. Es ist notwendig, die Gedanken zu beherrschen, die Gefühle zu veredeln und den Willen zu stärken. Die Meditationen und Mantren sind Werkzeuge, um diese Läuterung zu vollziehen und sich für die Kräfte der Hierarchien zu öffnen. Die geistige Welt wartet darauf, dass der Mensch sich ihr würdig nähert, um ihm die großen Geheimnisse des Daseins zu offenbaren. 270b) Der Weg der esoterischen Entwicklung verlangt, dass der Mensch lernt, mit seinem geistig-seelischen Wesen in einer Welt zu leben, die nicht mehr durch die Sinne und die körperliche Organisation vermittelt ist. Um zu diesem Erleben des Geistigen zu gelangen, bedarf es meditativer Übungen und innerer Anstrengung. Die Seele muss sich aus der sinnlichen Welt erheben, um die Wirklichkeit des Geistigen zu erfahren. Es ist der gesunde Menschenverstand, der – wenn er sich von Vorurteilen reinigt – alles das begreifen kann, was in der Anthroposophie dargeboten wird. Wer diesen gesunden Menschenverstand in sich trägt und ehrlich an die esoterische Arbeit herangeht, der ist karmisch berufen, diesen Weg zu gehen. Ehrlichkeit, die das ganze seelisch-geistige Wesen durchdringt, ist die Grundvoraussetzung jedes esoterischen Lebens. Es gibt Menschen, die das Geistige als phantastisch und visionär abtun; sie sind karmisch nicht in der Lage, den Menschenverstand von der Leiblichkeit zu lösen. Doch wer sich aufrichtig bemüht, dessen Menschenverstand wird unabhängig von der Körperlichkeit – und das ist der Anfang des esoterischen Strebens. Aus diesem Verständnis heraus kann der Mensch den Weg der inneren Schulung betreten, indem er die gegebenen Sprüche und Betrachtungen meditiert und mit seinem inneren Leben verbindet. Die Übungen führen dazu, dass die Seele sich von den Fesseln der Sinneswelt löst und die Kräfte entwickelt, die das Geistige erfassen können. Die Entwicklung schreitet fort, indem das Denken, Fühlen und Wollen geläutert und verwandelt werden. Die Seele lernt, in Bildern zu erleben, was in der geistigen Welt geschieht, und durch diese inneren Erlebnisse wird sie gestärkt, um das Geistige in sich aufzunehmen. Der Weg führt weiter durch die Bewusstwerdung der eigenen Schwächen und der Schattenseiten des eigenen Wesens. Es ist notwendig, die eigenen Fehler zu erkennen und zu überwinden, um in Wahrheit und Klarheit vor dem Geistigen stehen zu können. Die Meditationen und Sprüche dienen als Werkzeuge, um die Seele zu läutern und zu stärken. Immer wieder muss der Mensch sich prüfen, ob er in Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit voranschreitet. Die geistige Welt offenbart sich dem, der sich in Geduld, Ausdauer und Hingabe übt. Die Kräfte, die aus der Meditation und inneren Arbeit erwachsen, führen zu einer neuen Wahrnehmung des eigenen Wesens und der Welt. Es entsteht ein inneres Licht, das den Menschen auf seinem Weg leitet und ihn mit der geistigen Welt verbindet. So wächst der Mensch durch die esoterische Schulung in eine neue Stufe der Erkenntnis hinein. Das Geistige wird zur inneren Wirklichkeit, und der Mensch wird fähig, als freies, selbstbewusstes Wesen im Geistigen zu leben und zu wirken. Die Sprüche und Übungen, die gegeben werden, sind Stufen auf diesem Weg, sie führen zur Verwandlung des eigenen Wesens und zur bewussten Verbindung mit der geistigen Welt. 270c) Im Beginnen des esoterischen Weges steht das Bewusstwerden der geistigen Dimension des Menschseins. Der Mensch ist nicht bloß ein physisches, sondern ein geistiges Wesen, dessen Ursprung und Ziel im Übersinnlichen liegt. Um diesen Weg zu betreten, bedarf es der inneren Schulung, der Läuterung der Gedanken, Gefühle und Willensimpulse. Die Seele muss sich immer wieder an den Anfang stellen, denn jeder Neubeginn ist zugleich ein Fortschritt auf einer höheren Stufe. In der Wiederholung liegt nicht das bloße Erinnern, sondern das lebendige Vertiefen und Weiterentwickeln des bereits Erkannten. Die esoterische Schule, wie sie hier begründet wird, ist nicht bloß eine irdische Einrichtung, sondern ein Abglanz dessen, was in übersinnlichen Welten als geistige Schule besteht. Die Führung der Menschheit auf ihrem geistigen Weg liegt in den Händen der Hierarchien, und seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ist es Michael, der Sonnen-Erzengel, der diesen Impuls trägt. In seinem Licht soll die Schule wirken, indem sie den Menschen zu einer bewussten Verbindung mit der geistigen Welt führt. Der Weg der Erkenntnis verlangt die bewusste Auseinandersetzung mit den Kräften der eigenen Seele. Die Gedanken dürfen nicht mehr bloß Spiegelungen äußerer Eindrücke sein, sondern müssen sich zu lebendigen Kräften verwandeln, die das Geistige zu ergreifen vermögen. Die Gefühle müssen geläutert werden, damit sie nicht von Sympathie und Antipathie getrieben werden, sondern aus innerer Wahrhaftigkeit und Liebe zur Wahrheit entspringen. Der Wille schließlich muss sich dem Geistigen unterordnen und bereit sein, das zu vollbringen, was aus der Erkenntnis hervorgeht. Im Mittelpunkt des Schulungsweges steht das Erleben der Mantren, die nicht bloß Worte sind, sondern lebendige Kräfte, die den Menschen mit den geistigen Realitäten verbinden. Durch die wiederholte Meditation dieser Mantren wird in der Seele ein Raum geschaffen, in dem das Geistige sich offenbaren kann. Die Mantren führen auf den Weg, der vom äußeren Schein zur inneren Wirklichkeit, von der Sinneswelt zur Geistwelt führt. Die geistige Schulung verlangt Mut, Ausdauer und Hingabe. Es gilt, sich immer wieder den Prüfungen zu stellen, die auf dem Weg auftreten: Zweifel, Müdigkeit, Versuchungen. Doch in der Treue zum geistigen Ziel, im Vertrauen auf die Führung Michaels, wächst die Kraft, die Hindernisse zu überwinden. Jeder Schritt auf dem Weg ist zugleich ein Dienst an der Menschheit, denn die geistige Entwicklung des Einzelnen ist untrennbar verbunden mit dem Fortschritt der ganzen Menschheit. So wird die esoterische Schule zur Quelle lebendiger Kraft, die in die Welt hinausstrahlt. Wer diesen Weg geht, wird zum Mitarbeiter an der geistigen Erneuerung der Menschheit, indem er das Licht, das ihm geschenkt wird, in seinem Leben und Wirken weiterträgt. 271) Die Kunst ist das Tor, durch das der Mensch aus der bloßen Erscheinung der Natur zum Geistigen, zum Wesenhaften gelangt. Alles menschliche Denken sucht nach dem Geist in der Natur, nach dem, was über das bloß Wirkliche hinausgeht. Nicht an den Einzelheiten der Natur, sondern an ihren Gesetzen, an der Idee, findet der Geist Befriedigung. In der Kunst wird das Zufällige, das Einzelne, in den Rang des Allgemeinen, des Notwendigen erhoben. Nicht darum geht es, der Idee sinnliche Gestalt zu geben, sondern das Wirkliche im Lichte des Idealen erscheinen zu lassen. Das Wie des künstlerischen Schaffens, die Art, wie der Genius gestaltet, ist entscheidend, nicht das bloße Was der Wirklichkeit. Das Schöne ist nicht einfach ein Abbild der Natur, sondern ein Übersteigen des Natürlichen, ein Hineinragen des Göttlichen in das Irdische. Goethe hat als Vater einer neuen Ästhetik gezeigt, wie der Künstler aus dem Inneren heraus, aus der produktiven Kraft des Geistes, das Wesenhafte der Erscheinungen erfasst und gestaltet. Nicht das Ergebnis, sondern die Art des Fragens und Forschens, das schöpferische Hineinblicken in die Natur, ist das Bleibende. Die Wissenschaft, wenn sie sich nur auf das Äußerliche, auf das bloße Beobachten beschränkt, bleibt an der Oberfläche. Erst wenn das Auge sonnenhaft wird, erkennt es das Licht, erst wenn der Geist im Innersten tätig ist, dringt er zum Wesen der Dinge vor. So ist auch das künstlerische Schaffen eine geistige Tätigkeit, die das Einzelne verwandelt, ihm Allgemeingültigkeit, Notwendigkeit und Schönheit verleiht. Das Komische in der Kunst und im Leben entsteht, wenn das Allgemeine und das Individuelle, das Notwendige und das Zufällige in einer besonderen Weise aufeinandertreffen. Das Komische ist das Spiel der Gegensätze, in dem das Geistige über das bloß Natürliche hinausweist. Die Kunst hat die Aufgabe, das Göttliche, das Übersinnliche in der sinnlichen Welt zur Erscheinung zu bringen. Sie ist Mittlerin zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem, zwischen Mensch und Geist. Die verschiedenen Künste unterscheiden sich darin, wie sie das Geistige in der sinnlichen Welt offenbaren. Die bildende Kunst, die Musik, die Dichtung – jede hat ihre eigene Weise, das Übersinnliche zur Erscheinung zu bringen. Die künstlerische Phantasie schöpft aus denselben Quellen wie die übersinnliche Erkenntnis: beide sind Ausdruck einer höheren Wirklichkeit, die sich im Menschen offenbart. Im künstlerischen Schaffen wird das Sinnlich-Übersinnliche verwirklicht, der Mensch wird zum Schöpfer, der das Geistige in die Welt bringt. Das Schöne ist nicht bloß ein Abbild, sondern ein Durchbruch des Geistigen durch das Sinnliche. Die Kunst ist ein Weg zur Erkenntnis, sie führt zur Wahrheit, indem sie das Wesen der Dinge sichtbar macht. Der Ursprung des Künstlerischen liegt im Übersinnlichen, in der geistigen Welt, die sich dem Menschen im Schaffen offenbart. Die Psychologie der Künste zeigt, wie in den verschiedenen Kunstformen das Geistige auf je eigene Weise zum Ausdruck kommt, wie der Mensch durch die Kunst zum Mitschöpfer am Weltganzen wird. 272) Im Beginnen mit Goethes „Faust“ erhebt sich das Bild des Menschen, der in tiefster Sehnsucht nach Erkenntnis und Lebensfülle ringt, der nicht zufrieden ist mit dem, was die äußere Wissenschaft, die Traditionen und die überlieferten Lehren ihm geben können. Faust steht an der Schwelle einer neuen Zeit, er verkörpert das Streben, das in jedem Menschen lebt, der nach dem wahren, lebendigen Quell des Daseins verlangt. Die alten Formen der Erkenntnis, die Magie, die Alchemie, die mittelalterlichen Wissenschaften, sie vermögen ihn nicht mehr zu erfüllen. Die Seele verlangt nach einer neuen Offenbarung, nach einer Initiation, nach einem Durchbruch in die geistige Welt. Doch der Weg dorthin ist voller Gefahren. Die luziferischen und ahrimanischen Mächte umstellen den Menschen, sie versuchen ihn zu verführen, ihn entweder in die Höhen des Abstrakten, des bloß Geistigen zu reißen oder ihn in die Tiefen des Materiellen, des bloß Mechanischen zu stürzen. Faust steht zwischen diesen Kräften, er ringt mit ihnen, er wird von ihnen geprüft. In der Begegnung mit Mephistopheles, der als Verkörperung der ahrimanischen List und der luziferischen Verführung auftritt, wird Fausts Streben auf die Probe gestellt. Die Versuchung ist groß, den Weg der Macht, des äußeren Wissens, der Sinneslust zu gehen. Doch immer wieder bricht in Faust das höhere Streben durch, das ihn zu den Quellen des Lebens, zu den Müttern, zur geistigen Welt führen will. Die Tragödie mit Gretchen zeigt, wie das Streben des Menschen sich an der irdischen Liebe entzündet, wie das Geistige und das Sinnliche miteinander ringen. In Gretchen begegnet Faust dem reinen, unschuldigen Seelenwesen, doch sein Streben bringt Leid und Schuld. Die Reue, die Läuterung, das Durchschreiten des Schmerzes sind notwendig, damit Faust weitergehen kann auf seinem Weg. Die Initiation, die Begegnung mit dem Erdgeist, mit den Elementargeistern, führt Faust immer tiefer in die Geheimnisse der Natur, in die verborgenen Kräfte des Daseins. Im zweiten Teil des „Faust“ öffnet sich das Tor zur klassischen Phantasmagorie, zur Welt der Ideen, der ewigen Urbilder. Faust wird hineingeführt in die Sphären der Schönheit, der Weisheit, der Güte. Die Begegnung mit Helena, mit den klassischen Gestalten, ist nicht bloß Dichtung, sondern Ausdruck einer realen geistigen Erfahrung, einer Initiation in die höheren Welten. Der Mensch wird fähig, die Kräfte der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft in sich zu vereinen, das Geistige in das Irdische zu bringen, das Irdische zu vergeistigen. Am Ende steht die Himmelfahrt Fausts, seine Aufnahme in die geistige Welt. Die Mater gloriosa, die göttliche Weisheit, nimmt ihn auf. Die Engel, die geistigen Mächte, offenbaren ihm die Geheimnisse des Daseins. Die Seele des Menschen wird erlöst, nicht durch äußere Werke, sondern durch das innere Streben, durch die Läuterung und das Opfer, durch das Ergreifen der geistigen Wirklichkeit. So wird Faust zum Bild des modernen Menschen, der durch Zweifel, Schuld und Leid hindurch den Weg zur wahren Erkenntnis, zur Vereinigung mit dem Geist sucht. Goethes „Faust“ ist nicht nur Dichtung, sondern ein Initiationsweg, ein Mysterium, das die Geheimnisse des Menschseins offenbart. Wer diesen Weg geht, muss bereit sein, die alten Formen zu überwinden, sich dem Geist zu öffnen, die Kräfte des Denkens, des Fühlens und des Wollens zu läutern und zu vereinen. Im Streben nach dem Höchsten, im Ringen um das wahre Menschentum, liegt die Aufgabe der Gegenwart und Zukunft. Die Geisteswissenschaft zeigt den Weg, wie der Mensch zu den Quellen des Lebens, zu den Müttern, zu den geistigen Urbildern gelangen kann, indem er sich selbst verwandelt und das Geistige in der Welt erkennt und verwirklicht. 273) Im Faust-Problem begegnet die Menschenseele dem gewaltigen Umbruch, der mit dem Übergang vom griechisch-lateinischen Zeitalter in die neue Zeit einhergeht. Die Kräfte, die das alte Wissen, die Magie, Alchimie und Mystik trugen, sind im 16. Jahrhundert bereits im Verfall, und Faust steht als Repräsentant jener Menschheit, die sich nach einer neuen Verbindung mit dem Geistigen sehnt, aber die alten Wege nicht mehr beschreiten kann. Die Sehnsucht nach Erkenntnis, nach der Durchdringung des Geistigen, treibt Faust, doch die Weisheit, die er sucht, ist nicht mehr unmittelbar zugänglich. Die Wege der alten Heilkunde, der Magie, sind verschüttet, und so bleibt Faust unbefriedigt, getrieben von der Frage nach dem Sinn des Lebens und dem Zugang zu neuen Kräften, die der Menschheit den Weg in die Freiheit eröffnen sollen. In der Romantischen Walpurgisnacht offenbart sich, wie die Menschenseele, die sich von der alten Weisheit losgerissen hat, in die Sphäre des Unbewussten, des Phantastischen, des Dämonischen eintritt. Hier begegnen sich die Kräfte des Unterbewussten, die in den Mythen und Sagen der Völker lebendig waren, und die nun, in der neuen Zeit, als Schatten, als Phantome auftreten. Die Gestalten der Romantik, die in Goethes Faust erscheinen, sind Ausdruck einer Seelenverfassung, die das Geistige sucht, aber nur noch in Bildern, in Spiegelungen, in der Phantasie findet. Die Verbindung zwischen Mensch und geistiger Welt ist gelockert, und so irrt die Seele durch die Nacht, auf der Suche nach dem verlorenen Ursprung. Goethes Ahnungen nach dem Konkreten hin zeigen sich in der Art, wie er die Schatten der alten Begriffe durchdringt und sie zu wirklichkeitsdurchtränkten Vorstellungen wandelt. Die Szenen des Faust, die im Laboratorium, im gotischen Zimmer, im Kaiserhof spielen, sind Ausdruck der Suche nach einer neuen Realität, nach einer Wirklichkeit, die nicht mehr nur im Abstrakten, sondern im Lebendigen, im Schöpferischen gefunden werden soll. Faust ringt mit den Müttern, mit den Urkräften des Daseins, und sucht den Zugang zu jener Sphäre, aus der alles Werden, alles Schöpferische hervorgeht. Das Problem des Bösen stellt sich im Faust als das Ringen der Menschenseele mit den dunklen Kräften, die notwendig zur Freiheit gehören. Ohne die Möglichkeit des Irrtums, des Bösen, wäre die Entwicklung zur Freiheit nicht möglich. Mephistopheles ist der Geist, der verneint, der zerstört, aber gerade durch ihn wird der Mensch herausgefordert, das Gute aus eigener Kraft zu erringen. So wird das Böse zum notwendigen Gegenpol, zur Bedingung der Freiheit. Die Helena-Sage und das Rätsel der Freiheit führen in die Tiefen der Menschheitsentwicklung, in die Sphäre der griechischen Mythen, in denen das Bild der Schönheit, das Ideal des Menschlichen, leuchtet. Die Verbindung von Faust und Helena ist Symbol für das Streben nach einer höheren Synthese von Geist und Schönheit, von Wissen und Leben. Die klassische Walpurgisnacht öffnet den Blick für die Mysterien des Werdens, für die Kräfte, die hinter der äußeren Welt wirken. In den Ausführungen zur klassischen Walpurgisnacht wird das Geistige in den Mittelpunkt gerückt, das in den Mysterien von Samothrake, in den Kabiren, in den Mythen der Griechen lebendig war. Das Geheimnis der Menschwerdung, der Weg des Menschen aus dem Geistigen in die Materie und zurück zur Geistigkeit, wird als Grundmotiv der Faust-Dichtung sichtbar. Die griechischen Mythen werden als Ausdruck einer Wirklichkeitsschau verstanden, die das Geistige in Bildern, in lebendigen Gestalten offenbart. Statt Homunkulismus und Mephistophelismus tritt der Goetheanismus als Weg auf, der den Menschen befähigt, aus eigener Kraft, in Freiheit, das Geistige zu erkennen und zu gestalten. Nicht das künstliche, aus dem Intellekt geborene Leben, nicht die bloße Verneinung, sondern das schöpferische, aus dem Geistigen hervorgehende Wirken ist das Ziel. Goethes persönliches Verhältnis zu seinem Faust ist geprägt von einer tiefen inneren Verbundenheit mit dem Schicksal der Menschenseele, die auf dem Wege ist, das Geistige in Freiheit zu erringen. Die Gestalt des Faust wird zum Symbol für das Ringen des modernen Menschen um Erkenntnis, um Freiheit, um die Verbindung mit dem Ursprung. 274) Aus alter Zeit lebt in den Weihnachtsspielen ein Stück Volksgeist, das, aus dem tiefsten religiösen Empfinden geboren, durch die Jahrhunderte hindurch bewahrt wurde. In Dörfern wie Oberufer, wo deutsche Kolonisten ihre Traditionen mitbrachten, wurde das Weihnachtsgeschehen Jahr für Jahr von einfachen Menschen in schlichten, aber innigen Spielen dargestellt. Die Überlieferung wurde von Generation zu Generation weitergegeben, der Lehrmeister wählte nach der Weinlese die Spieler aus und führte sie mit Strenge und Ernst in das Spiel ein. Die Vorbereitung verlangte einen würdigen Lebenswandel, denn die Spiele galten als heiliges Gut. In den Stuben und Wirtshäusern, in denen die Aufführungen stattfanden, lebte eine Atmosphäre echter Weihnachtsstimmung. Die Spiele verbinden tiefe Frömmigkeit mit derben, humorvollen Szenen, ohne dass die Heiterkeit dem Ernst Abbruch tut. Im Gegenteil, die naive Volksheiterkeit steht ganz selbstverständlich neben der innigen Andacht, und gerade im Kontrast zwischen Lachen und Rührung offenbart sich die Echtheit des Erlebens. Das Herz kann sich der Weihnachtswahrheit hingeben, ohne dass die Frömmigkeit durch die Späße der Hirten oder die derbe Zeichnung des Josephs geschmälert wird. Die Kunst dieser Spiele besteht darin, aus dem Lachen heraus die tiefste religiöse Empfindung zu wecken und jede falsche Sentimentalität zu meiden. Die Herkunft dieser Spiele reicht zurück in eine Zeit, in der das Volkstum noch ungebrochen war, als das Religiöse und das Alltägliche, das Feierliche und das Lustige noch in einer Einheit erlebt wurden. Die Bewahrer dieser Traditionen empfanden eine tiefe Verantwortung, das Überlieferte rein zu erhalten. Die Spieler mussten sich dem Willen des Lehrmeisters fügen, der als Träger einer ehrwürdigen Tradition galt. Die Aufführungen wurden von der ganzen Dorfgemeinschaft getragen, unabhängig von Konfession oder Stand, und die Weihnachtsbotschaft wurde so zum gemeinschaftlichen Erlebnis. Die Spiele selbst zeigen das Weihnachtsgeschehen in einer lebendigen, anschaulichen Weise. Sie führen die Geburt Christi, die Verkündigung an die Hirten, die Anbetung durch die Weisen und die Flucht nach Ägypten vor Augen. In der Darstellung werden die großen Mysterien des Christentums in die Sprache und das Leben des Volkes übersetzt. Die Einfachheit der Sprache, die volkstümlichen Lieder und die vertrauten Gestalten machen das Geschehen für alle verständlich und erfahrbar. Die Spiele sind so nicht nur Erinnerung an das historische Ereignis, sondern immer neue Vergegenwärtigung des Mysteriums im Herzen der Gemeinschaft. Im Fortleben dieser Spiele offenbart sich, wie tief die religiösen Inhalte einst im Volksleben verwurzelt waren. Die Menschen lebten mit den geistigen Wahrheiten, nicht als abstrakte Lehre, sondern als unmittelbare Erfahrung. Die Spiele sind ein Zeugnis dieser lebendigen Frömmigkeit, die durch die Jahrhunderte hindurchgetragen wurde. Sie zeigen, wie das Christentum im Volke lebendig wurde, wie es in den Bildern, Liedern und Handlungen Gestalt annahm und so das Herz der Menschen erreichte. Durch die Pflege und Wiederaufführung dieser Weihnachtsspiele wird das Bewusstsein für die geistigen Wurzeln der Kultur erneuert. Sie mahnen, das Überlieferte nicht zu vergessen, sondern es im gegenwärtigen Leben fruchtbar zu machen. In der Besinnung auf das, was in den Spielen lebendig geblieben ist, kann die Seele sich wieder mit dem Geistigen verbinden, das den Ursprung des Weihnachtsfestes bildet. 275) Kunst ist nicht bloß ein Produkt menschlicher Technik, sondern sie entspringt den tiefsten Kräften des Daseins, sie ist ein unmittelbarer Ausdruck der geistigen Welt im Irdischen. Die Entwicklung der Technik hat die Kunst beeinflusst, aber die Kunst bleibt dennoch immer aus höheren Impulsen gespeist, die aus den Mysterien des Daseins hervorgehen. Die Kunst ist der Weg, auf dem das Geistige in die sinnliche Welt eintritt, und sie verbindet Mensch und Kosmos. Technik kann das Leben erleichtern, aber sie kann niemals das ersetzen, was durch die Kunst aus dem Innersten des Menschen hervorbricht. Die Menschheit durchlebt Wandlungen in ihrem künstlerischen Schaffen, und diese Wandlungen stehen in Zusammenhang mit den großen Umwandlungsimpulsen, die aus der geistigen Welt in die Menschheitsentwicklung einfließen. In früheren Zeiten war die Kunst unmittelbar mit den Mysterien verbunden, sie war ein heiliges Tun, das den Menschen mit den göttlichen Kräften verband. Heute ist die Kunst vielfach entleert, sie ist äußerlich geworden, weil der Bezug zu den geistigen Quellen verloren ging. Doch es ist möglich, diesen Bezug wieder zu gewinnen, wenn der Mensch sich der geistigen Wirklichkeit öffnet und die Kunst als Weg zur Erkenntnis des Übersinnlichen ergreift. Die Farben- und Tonwelt birgt moralische Kräfte. Im Erleben der Farben und Töne offenbaren sich nicht bloß sinnliche Eindrücke, sondern geistige Realitäten, die auf das Seelenleben zurückwirken. Die Farben sprechen zu den Empfindungen, die Töne zu den Gefühlen, und beide führen den Menschen über das bloß Materielle hinaus. Wer die Farben und Töne in ihrem inneren Wesen erfasst, der erlebt, wie sie aus der geistigen Welt stammen und in das menschliche Bewusstsein hereinwirken. Das plastisch-architektonische Gestalten ist ein Abbild der Schöpfungskräfte, die im Kosmos wirken. Im Bauen und Formen offenbart sich, wie der Mensch zum Mitschöpfer wird, indem er die Kräfte der Erde und des Himmels in Harmonie bringt. Die Architektur ist nicht bloß eine äußere Hülle, sondern ein lebendiges Zeugnis des Zusammenwirkens von Geist und Materie. Die Formen, die der Mensch erschafft, sind Abbilder der geistigen Welt, sie sind Ausdruck des Ringens um das Gleichgewicht zwischen Schwere und Leichte, zwischen Ruhe und Bewegung. Im Blick auf die Zukunft der Menschheit offenbart sich, dass die Kunst eine führende Rolle einnehmen muss, wenn der Mensch nicht in die Verarmung des bloß Technischen und Mechanischen versinken will. Das kommende Jupiterdasein wird neue Wesenheiten hervorbringen, und der Mensch wird sich in neue Beziehungen zur geistigen Welt setzen. Die Kunst wird dabei Wegbereiterin sein, sie wird das Tor öffnen zu einer neuen Erfahrung des Geistigen im Sinnlichen. Die Erneuerung der Kunst kann nur gelingen, wenn der Mensch sich wieder der Mysterienweisheit zuwendet. Die Kunst muss aus der Tiefe des Geistes schöpfen, sie muss die Kräfte der Schöpfung in sich aufnehmen und in neuen Formen zur Erscheinung bringen. Nur so kann sie ihre wahre Aufgabe erfüllen: Mittlerin zu sein zwischen Mensch und Kosmos, zwischen Erde und Himmel, zwischen Sinnlichem und Geistigem. 276) In den nachatlantischen Kulturepochen wandelt sich die Seelenverfassung des Menschen grundlegend. In der urindischen Zeit erlebt sich der Mensch noch als ein kosmisch-göttliches Ich, das tief verbunden ist mit dem Weltall. In der urpersischen Epoche wird das Göttliche im Jahreslauf durch den Astralleib erfahren, der Mensch steht im Rhythmus der Naturkräfte. In der ägyptisch-chaldäischen Zeit tritt das Leben in der Gedankenwelt hervor, getragen vom Ätherleib, und in der griechisch-lateinischen Epoche ergreift der Mensch mit Freude seinen physischen Leib, erlebt sich ganz im Irdischen. In unserer fünften Kulturepoche wird der physische Leib dem Menschen wieder fremd, und es ist Aufgabe der Anthroposophie, das Geistige unabhängig von der physischen Erscheinung zu gewahren, um es dann im Sinnlich-Physischen neu zu finden. Das Bedürfnis nach künstlerischer Betätigung entspringt aus einer geistigen Beziehung zur übersinnlichen Welt. Wäre der Mensch ein reines Naturwesen, so hätte er kein Bedürfnis nach Kunst. Der Naturalismus in der heutigen Kunst zeigt die Schwäche dieser Beziehung. Die Architektur hat ihren Ursprung in den Grabbauten, die dem Übergang der Seele von der Raumeswelt in die Geisteswelt dienen. In der Bekleidungskunst umgibt sich der Mensch mit Farben, die ein Abbild der astralen Welt sind, aus der er stammt. Das menschliche Haupt ist ein Abbild des Kosmos, in seiner Dreigliederung spiegeln sich Himmelsgewölbe, Menschenwelt und Riesenheim, ebenso wie die menschliche Gestalt und ihre Metamorphosen, die sich dem künstlerisch geschulten Sinn erschließen. Die Architektur weist auf das Verlassen des physischen Leibes durch die Seele, die Bekleidungskunst auf das Hineinziehen der Seele in den Leib. In der Plastik wird der Mensch geistig angeschaut, wie er in die Gegenwart hineingestellt ist. Die Malerei führt aus dem Raum in die Fläche, die räumliche Perspektive muss durch eine Farbenperspektive ersetzt werden. Farbenwahrnehmung ist nicht bloßes Gegenwärtigsein, sondern ein Hineinsehen in die Zeitperspektive, in das ursprüngliche Götterschaffen. Das Musikalische ist eindimensional, der Mensch erlebt es im Zeitverlauf als eigenen Seeleninhalt. In der Dichtkunst spricht die obere göttliche Welt durch den Menschen in der Epik, im Drama offenbaren sich die Götter der Tiefe, im Lyrischen wird gefühlshaft der Umkreis der Erde erlebt. Kunst ist der Weg, das Außerirdische auf Erden in Formen, Farben, Worten und Tönen zu offenbaren. Künstlerisches Schaffen ist ein Ringen um den Einklang zwischen Göttlich-Geistigem und Physisch-Irdischem. Goethe sucht die Begegnung mit der Antike, Schiller regt die romantische Dichtung an, Tieck spiegelt das Goethesche Kunststreben. Goethes Kunstauffassung ist Abendröte der alten Geistigkeit, notwendig ist ein neuer Weg zum spirituellen Leben. Ursprünglich waren Wissenschaft, Kunst und Religion eine Einheit. Die Urkunst der Menschheit ist die Sprache, in ihr lebt das Abbild dessen, was der Mensch in Seelengemeinschaft mit dem Kosmos erlebt hat. Heute sind davon nur noch Reste vorhanden. Reim, Rhythmus und Imagination machen die Sprache zur Dichtung. Die Farbenperspektive überwindet den Raum auf geistige Weise. Es muss erneut der Zusammenhang von Wissenschaft, Kunst und Religion gesucht werden, der sich einst getrennt hat. Das künstlerisch-kosmische Empfinden zeigt sich zum Beispiel in der Betrachtung der Abendröte. In der Malerei ist nicht der naturalistisch abgebildete Gegenstand der Inhalt, sondern das Farben- und Lichtspiel auf der Fläche, das Hell-Dunkel, aus dem die Formen geboren werden. Das Schöne ist der Schein des Geistigen im Irdischen, das Hässliche verbirgt sein Wesen und wird als unwahr empfunden. Weisheit, Schönheit und Tugend stehen dem Tragischen gegenüber, das entsteht, wenn der Mensch mit dem Göttlich-Geistigen in Verbindung steht. Mit der Freiheit in Gedanken und Taten vergeht die alte Form der Tragik, es entsteht eine neue aus dem Karma. Echte Kunst braucht das Hineingestelltsein in den Weltzusammenhang. In den alten Mysterien mündet das Weisheitswort in Kulthandlungen, die zugleich Kunstoffenbarung sind. Der heutige Mensch sucht Erkenntnis nur in abstrakten Gedanken und entfremdet sich so der Kunst. Anthroposophie weckt das Bedürfnis, Welterkenntnis durch Kunst zu verlebendigen. Architektur ist Beziehung des Menschen zum Raum durch den physischen Leib, Bekleidungskunst entfaltet das innere Seelische räumlich, Plastik formt das Bild aus den Kräften des Ätherleibes, Malerei überwindet die Raumeswelt durch seelisches Erfassen der Farbenwelt, Musik spielt zwischen Blutsystem und Nervensystem, Dichtung offenbart die innere Musik nach außen, Eurythmie bildet die Bewegung des menschlichen Urbildes nach und steht zwischen mimischer Kunst und Tanzkunst. Das Erleben der verschiedenen Qualitäten von Bildfarben und Glanzfarben verlangt ein entwickeltes Materialgefühl des Künstlers. Musik wird ganz innerlich erlebt, in der Atlantis bestand noch eine Verbindung zum Göttlichen durch das Septimenerlebnis, später in der Quint das Erlebnis des Geistigen an der Grenze des physischen Leibes, mit den Terzen zieht die Musik ganz ins Innere des Menschen ein. Eine neue Spiritualisierung der Musik weitet die Tiefendimension des einzelnen Tons zu Melodie und Harmonik. Die Quelle der Dichtung ist die Phantasie, eine ins Seelische metamorphosierte Wachstumskraft. Im griechischen Drama wirkt der Mensch durchdrungen von den Göttern der Tiefe, im Epos sprechen die Göttinnen der Höhe durch den Dichter. Im Norden wirkt in der Sprachgestaltung die Deklamation, im Süden die Rezitation. Eine Bühnenkunst, die den Naturalismus überwindet, muss wissen, was jede Bewegung auf der Bühne geistig für das Gesamtbild bedeutet. 277) Im Menschen lebt die Sprache nicht bloß als äußeres Mittel der Mitteilung, sondern als Offenbarung der inneren Wesenheit. Die Eurythmie erhebt die Sprache aus dem bloßen Laut und Wort zu sichtbarer Bewegung, so dass der ganze Mensch zu einem Instrument der sprechenden Seele wird. In der Eurythmie offenbart sich das Geistige unmittelbar im Leiblichen, die Bewegung wird zum Ausdruck des inneren Seelenlebens, und so wird die Sprache sichtbar gemacht. Die Laute der Sprache, die Vokale und Konsonanten, haben ihren Ursprung in den schöpferischen Kräften der Welt, und in der Eurythmie werden diese Ursprünge wieder lebendig, indem der Mensch sie in bewusster Gebärde und Bewegung nachbildet. Die Eurythmie ist nicht bloß eine neue Kunstform, sondern eine notwendige Fortentwicklung der menschlichen Kultur. Sie führt das Künstlerische zurück auf seine geistigen Ursprünge, wie sie in den alten Mysterien gepflegt wurden, und verbindet es mit den Lebenskräften der Gegenwart und Zukunft. In ihr wird das, was in der Sprache und im Gesang als inneres Erleben vorhanden ist, nach außen getragen, so dass der Zuschauer nicht nur hört, sondern mit dem ganzen Menschen erlebt, was im Wort und Ton lebt. Die Eurythmie steht in enger Beziehung zur Entwicklung des Menschen. Sie ist Erziehungsmittel, weil sie die Harmonie zwischen Leib, Seele und Geist fördert, und sie ist Heilmittel, weil sie die Lebenskräfte des Menschen ordnet und stärkt. In der Eurythmie wird sichtbar, wie der Mensch nicht ein isoliertes Wesen ist, sondern in tiefem Zusammenhang mit den schöpferischen Rhythmen des Kosmos steht. Die Bewegungen der Eurythmie sind nicht willkürlich, sondern entspringen den inneren Gesetzmäßigkeiten der Sprache und Musik, und sie führen den Menschen zu einem tieferen Verständnis seiner selbst und der Welt. In der Eurythmie wird die Metamorphose, wie sie Goethe für die Pflanzenwelt erkannte, auf das Gebiet der menschlichen Bewegung übertragen. Die Gebärden und Formen, die entstehen, sind nicht bloße Nachahmung, sondern lebendige Offenbarung der geistigen Kräfte, die im Menschen wirken. So wird die Eurythmie zu einer Kunst, die den Menschen verwandelt, indem sie ihn in den schöpferischen Prozess des Werdens und Vergehens einbezieht, der das Wesen aller Kunst und alles Lebens ist. 277a) Der Mensch trägt in sich die Fähigkeit, das Geistige durch Bewegung sichtbar zu machen. In der Eurythmie wird diese Fähigkeit zur Kunst erhoben. Die Laute der Sprache, die Töne der Musik, sie haben ihren Ursprung im Geistigen, und was im Laut, im Ton lebt, kann durch den menschlichen Leib in bewusster, künstlerischer Bewegung offenbart werden. Die Eurythmie ist nicht bloß Tanz, nicht bloß Ausdruck von Gefühlen, sondern sie ist eine neue Kunst, die aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgeht, aus dem Zusammenhang von Leib, Seele und Geist. Im Anfang steht die Erfahrung, dass jeder Laut, jeder Vokal, jeder Konsonant eine eigene Gebärde, eine eigene Bewegung verlangt, die aus dem Innersten des Menschen hervorgeholt werden kann. Wie der Laut in der Sprache, so lebt die Bewegung in der Eurythmie. Der Mensch wird zum Instrument, das die Sprache, die Musik, das Geistige in sichtbare Form bringt. Die Bewegungen entspringen nicht willkürlicher Erfindung, sondern sie sind objektiv, sie wurzeln im Wesen der Sprache, im Wesen der Musik. Die Eurythmie ist geboren aus dem Streben, das Geistige, das im Menschen lebt, in einer neuen Kunstform zu offenbaren. Sie ist dionysisch in ihrem Ursprung, sie lebt aus der Bewegung, aus dem Fließen, aus dem inneren Erleben des Menschen. Doch sie strebt auch nach dem Apollinischen, nach der Form, nach der Klarheit, nach der Durchdringung der Bewegung mit Bewusstsein und Gestaltungskraft. So wird im Eurythmiekurs das Dionysische und das Apollinische einander gegenübergestellt, und aus ihrem Zusammenklang entsteht die wahre eurythmische Kunst. Die einzelnen Laute werden in Bewegungen übersetzt, die nicht bloß symbolisch sind, sondern die das Wesen des Lautes selbst sichtbar machen. Die Vokale drücken das Seelische aus, das, was aus dem Inneren hervorströmt, die Konsonanten das, was von außen auf den Menschen wirkt. In der Musik-Eurythmie werden die Töne, Intervalle, Rhythmen in Bewegung verwandelt, so dass das Unsichtbare sichtbar, das Unhörbare hörbar wird im Raum. Die Eurythmie verlangt vom Ausübenden Hingabe, Bewusstheit, Schulung des Leibes, der Seele, des Geistes. Sie verlangt, dass der Mensch sich selbst zum Gefäß macht für das, was durch ihn hindurchströmen will. Sie verlangt Disziplin, aber auch Phantasie, sie verlangt Ernst, aber auch Freude am Schaffen. Die Eurythmie ist eine Kunst, die den Menschen verwandelt, die ihn ergreift in seiner Ganzheit. In der Entwicklung der Eurythmie zeigen sich verschiedene Stufen: von den ersten tastenden Versuchen, über die Erarbeitung der Lautgebärden, die Gestaltung von Gedichten, bis hin zur Toneurythmie, zur Aufführung vor Publikum, zur Verbindung mit anderen Künsten. Immer steht im Mittelpunkt das Streben, das Geistige im Sichtbaren zu offenbaren, das Unsichtbare in Bewegung zu bringen. Die Eurythmie ist eine Kunst der Zukunft. Sie ist geboren aus den geistigen Notwendigkeiten unserer Zeit. Sie will den Menschen aufrichten, ihn verbinden mit dem Geist, mit der Welt, mit seinen Mitmenschen. Sie ist ein Weg zur Erkenntnis, zur Verwandlung, zur Freiheit. 278) Dur und Moll treten als fundamentale Erlebnisse des Musikalischen hervor. In Dur offenbaren sich die Vokale O und U als wesenhafte Kräfte, die das Helle, das Weite, das Lebensbejahende in die Bewegung bringen. Das Moll hingegen trägt die Vokale A und E, es zieht das Erleben nach innen, führt in das Empfindsame, das Schicksalhafte, das sich in der Seele verdichtet. Das Ich, das sich im I ausdrückt, steht als Mitte zwischen diesen Polen und verbindet das Musikalische mit dem Menschlichen. Die Toneurythmie verlangt, dass diese inneren Erlebnisse nicht bloß äußerlich dargestellt, sondern im Innersten empfunden und in Bewegung verwandelt werden. Die Gebärde des Musikalischen wurzelt im Verhältnis des Grundtons zur Oktave. Die Terz, die Quinte, die Septime – sie alle fordern eine eigene Bewegung, eine eigene Geste, die das musikalische Erleben sichtbar macht. Die Septimenfolge erinnert an uralte Klanggebilde, die in atlantischer Zeit lebendig waren. Konsonanzen und Dissonanzen unterscheiden sich nicht nur im Gehörten, sondern auch in ihrer Gebärde: Die Konsonanz ruht in sich, die Dissonanz verlangt nach Auflösung, nach Bewegung. Die Quarte steht als besonderer Erlebnisraum zwischen diesen Kräften. Im Verhältnis von Septime und Sexte zum Grundton offenbaren sich Heilwirkungen. Die Toneurythmie wirkt korrigierend auf das Musikalische, sie reinigt, sie ordnet, sie führt zur künstlerischen Wahrheit. Die Lauteurythmie wirkt entsprechend auf Sprache und Dichtung. Die Auflösung des Akkordes und des Harmonischen in das Melos, die Melodie im einzelnen Ton, die Ordnung von Takt, Rhythmus und Tonhöhe – all dies verlangt nach einer Konkordanz mit den Hauptvokalen, nach einer Verwandtschaft von Musik und Sprache. Musikalische Motive bewegen sich in der Zeit, sie schwingen, sie atmen. Der Motivschwung, der Taktstrich, das lebendige Fortschreiten der Musik – das alles verlangt nach einer eurythmischen Gestaltung, die dem inneren Wesen der Musik entspricht. Die gesundende Wirkung der Toneurythmie zeigt sich darin, dass sie den Menschen in Einklang mit den Kräften der Musik bringt. Die Betrachtung des österreichischen Musikers Hauer führt zur Frage nach Architektur und Raum. Akkorde, Dreiklänge, Vierklänge lassen sich im Raum darstellen, und die Beziehungen von Tonika, Dominante und Subdominante werden so zu eurythmischen Gesten. Die Chor-Eurythmie verlangt ein gemeinsames Erleben, ein Miteinander der Bewegungen. Tiefe Töne runden die Formen, hohe Töne spitzen sie zu. Die Tonfolge h-a-e-d verbindet sich mit dem Wort TAO, das als Meditationsformel einen besonderen Zugang zum Musikalischen eröffnet. Das rein Musikalische liegt im Intervall. Der Film, der das Unmusikalische betont, zeigt, wie sehr das Musikalische heute bedroht ist. Die TAO-Meditation führt zu einer Vertiefung des musikalischen Erlebens. Die Vokale O und U bleiben innerhalb des Musikalischen, I und E gehen darüber hinaus. Die beharrende Note und die Pause, Spannung und Lösung, Dissonanz und Konsonanz, die Sekunde als Erlebnis – all das verlangt nach einer bewussten Gestaltung. Der Ansatzpunkt des musikalischen Eurythmisierens liegt im Schlüsselbein. Der menschliche Arm mit der Hand, vom Schlüsselbein ausgehend, bildet die Skala. Kontra- und Subkontratöne erweitern das Erleben. Die Dur-Kadenz und die Moll-Kadenz verlangen jeweils eine eigene Bewegung. Das Durchdrungensein der Bewegung mit dem Gefühl ist das Wesentliche beim Ton-Eurythmisieren. Die Toneurythmie wirkt heilend, weil sie das Musikalische im Menschen ordnet und zur Harmonie führt. Tonhöhe, Tondauer, Tonstärke, Tempowechsel – all diese musikalischen Elemente verlangen nach einer eurythmischen Gestaltung, die Ethos und Pathos unterscheidet und die Phrasierung in der Musik sichtbar macht. Die Eurythmie darf nicht zum Tanz werden, sondern muss im Musikalischen wurzeln, im inneren Erleben, das sich in bewusster Bewegung offenbart. 279) Die eurythmische Kunst wurzelt in der Einsicht, dass jede Kunst sich ihrer eigenen Mittel bewusst werden muss, um wahrhaft lebendig zu wirken. Wie der Bildhauer in der Behandlung der Oberfläche das Wesen des Dargestellten ausdrückt, so muss auch in der Eurythmie das künstlerische Mittel – die bewusste Bewegung des menschlichen Leibes – zum Träger dessen werden, was sonst in Sprache, Musik oder Malerei lebt. Die Eurythmie ist keine Nachahmung, sondern eine Offenbarung dessen, was in der Sprache und im Laut lebt, sichtbar gemacht durch die Gebärde, durch die Form in der Bewegung. Im Laut lebt ein inneres Wesen, ein Charakter, eine Stimmung. Jeder Vokal, jeder Konsonant trägt eine eigene Qualität in sich, die sich im menschlichen Organismus offenbaren will. Die Eurythmie lässt diese Qualitäten durch den ganzen Menschen hindurchströmen. Die Seele nimmt die Laute auf, gestaltet sie im Innern, und der Leib wird zum Instrument, das diese inneren Bewegungen nach außen trägt. So wird der Mensch selbst zum Kunstwerk, das die Sprache sichtbar macht. Die Kunst der Eurythmie verlangt, dass die Bewegungen nicht bloß äußerlich nachgeahmt werden, sondern dass sie aus dem inneren Erleben der Laute, der Worte, der Sätze hervorgehen. Die Gebärde muss aus dem Seelischen geboren werden, aus dem Erleben der Sprachstimmung, aus dem inneren Mitschwingen mit dem Laut. Der Körper wird durchdrungen von der Seele, und die Seele durchdringt sich mit dem Geistigen der Sprache. Die einzelnen Laute verlangen ihre eigene Bewegung, ihre eigene Gebärde. Der Vokal „A“ öffnet den Menschen, lässt ihn sich dem Weltall entgegenstrecken; das „E“ zieht ihn zusammen, lässt ihn sich in sich selbst sammeln. Die Konsonanten gestalten das Umgebende, das Formende, das Plastische. So entsteht aus dem Zusammenwirken von Vokalischem und Konsonantischem eine lebendige Plastik in der Bewegung, eine sichtbare Sprache, die nicht bloß den Inhalt der Worte, sondern auch deren Stimmung, deren Seelengehalt offenbart. In der Eurythmie lebt auch das Musikalische, das Rhythmische, das Melodische. Die Sprache selbst ist durchdrungen von Musik, von innerem Rhythmus, von Bewegung und Gegenbewegung. Die eurythmische Kunst hebt diesen musikalischen Charakter hervor, macht ihn sichtbar, lässt ihn im Raum erstehen. Die Bewegung wird zum Träger des Seelischen, des Moralischen, des Geistigen. Die Eurythmie wirkt zurück auf den Menschen. Sie ist nicht nur Kunst, sondern auch Heilmittel, denn sie bringt die Seele in Harmonie mit dem Leib, sie ordnet die Lebenskräfte, sie stärkt das innere Gleichgewicht. Wer sich der Eurythmie hingibt, erfährt, wie die Seele sich ausströmt in die Bewegung, wie sie sich wieder sammelt, wie sie sich verwandelt. Durch das Sich-Hineinleben in Gebärde und Form wird der ganze Mensch ergriffen, und das Erleben der Sprache wird zu einer Quelle der Gesundheit, der seelischen und leiblichen Kräftigung. So ist die Eurythmie ein Weg, die unsichtbaren Kräfte der Sprache, des Lautes, des Wortes, des Satzes, ja des ganzen Dichtwerks, in sichtbare Form, in lebendige Bewegung zu verwandeln. Der Mensch wird zum Mittler zwischen dem Geistigen und dem Sinnlichen, zwischen Wort und Welt, zwischen Seele und Leib. Die Eurythmie ist die Kunst, in der der ganze Mensch Seele wird, in der der Leib zum Ausdrucksträger des Geistigen wird, in der die Sprache sichtbar wird. 280) Die Sprache ist ein lebendiger Organismus, der im Menschen wurzelt und durch ihn zur Erscheinung kommt. Im Sprechen offenbart sich das Wesen des Menschen, und die Sprache ist nicht bloß ein Mittel zur Mitteilung, sondern ein schöpferischer Vorgang, der den Menschen mit der geistigen Welt verbindet. In der Sprachgestaltung wird das Wort zum Kunstwerk, das nicht nur den Intellekt, sondern das ganze Wesen des Menschen ergreift. Die Lautbildung, der Rhythmus, die Modulation, all das sind Ausdrucksformen, durch die die Seele sich offenbart. Die Sprache ist nicht mechanisch zu behandeln; sie verlangt, dass der Sprecher sich innerlich mit dem Gesprochenen verbindet, dass er durch das Wort hindurch das Geistige ergreift. Die künstlerische Sprachgestaltung verlangt, dass das Wort aus dem Erleben der Laute, aus dem inneren Hören und Fühlen hervorgebracht wird. Jeder Laut trägt eine eigene Qualität, eine Empfindung, die im Sprechen ergriffen und gestaltet werden muss. Die Übung der Sprachgestaltung besteht darin, die Laute, die Silben, den Rhythmus, den Atem so zu erleben, dass das Wort lebendig wird und im Zuhörer eine Resonanz hervorruft. Nicht das bloße Nachahmen, sondern das schöpferische Ergreifen der Sprachkräfte ist das Ziel. Im künstlerischen Sprechen wird das Gedicht, das Drama, der Text nicht bloß vorgetragen, sondern innerlich durchlebt. Der Sprecher wird zum Werkzeug der Sprache, zum Mittler zwischen dem Geistigen und dem Irdischen. Die Sprache wird zum Klang, der die Seele berührt und verwandelt. Die Kunst der Rezitation und Deklamation verlangt, dass der Sprecher sich ganz in den Dienst des Wortes stellt, dass er sich von den inneren Kräften der Sprache führen lässt. Im Unterricht und in der Erziehung ist es notwendig, die Kinder an die lebendige Kraft der Sprache heranzuführen. Die Sprachgestaltung ist ein Weg, die schöpferischen Kräfte des Menschen zu wecken, ihn mit sich selbst und mit der Welt zu verbinden. Die Sprache ist ein lebendiges Band zwischen Mensch und Kosmos, zwischen Individuum und Gemeinschaft. Die Sprachstörungen, die im modernen Leben so häufig auftreten, sind Ausdruck einer Entfremdung von der lebendigen Sprachquelle. Durch bewusste Übung, durch das Erleben der Lautqualitäten, durch das Hineinwachsen in den Rhythmus und die Melodie der Sprache kann diese Verbindung wiederhergestellt werden. Die Sprachgestaltung ist ein Weg zur Heilung, zur Erneuerung des Menschen aus dem Geistigen heraus. Die dramatische Kunst steht in enger Verbindung mit der Sprachgestaltung. Im Schauspiel, im Rezitieren, im Gestalten von Rollen ist es notwendig, dass der Schauspieler nicht äußerlich, sondern innerlich mit dem Wort lebt. Die Gestalt des Dramas, die Entwicklung der Handlung, die Charaktere, all das wird durch die lebendige Sprache getragen. Die Kunst des Sprechens ist die Grundlage jeder dramatischen Darstellung. Das Ziel ist, die Sprache wieder zu dem zu machen, was sie ihrem Wesen nach ist: ein lebendiges, schöpferisches Element, das den Menschen mit dem Geistigen verbindet und ihn in seiner Ganzheit ergreift. Die Sprachgestaltung ist ein Weg, die Kräfte der Seele zu entfalten und den Menschen zu sich selbst und zur Welt zu führen. 281) Die Sprache ist nicht bloß ein Mittel zur Mitteilung von Gedanken, sondern ein lebendiges Organ, das den Menschen mit den Kräften der geistigen Welt verbindet. Im künstlerischen Sprechen, in der Rezitation und Deklamation, offenbart sich das Wort als plastisch und musikalisch zugleich: Es trägt Form und Gestalt, aber auch Bewegung und Klang in sich. Die Worte können scharf konturiert sein, wie gemeißelt, oder sie können sich in gestaltlose, musikalische Strömungen auflösen. In der Dichtung, besonders in der dramatischen Kunst, wird diese Doppelgestalt der Sprache zur schöpferischen Kraft, die den Menschen nicht nur als Sinneswesen, sondern als geistiges Wesen ergreift. Wenn ich ein Drama gestalte, so ist es nicht das bloße Ausdrücken von Gedanken, sondern das innere Hören und Schauen dessen, was in höheren Sphären erlebt wird. Die Charaktere, die auftreten, sind nicht bloße Allegorien, sondern wirkliche Persönlichkeiten, die in der physischen Welt stehen, aber in ihrem Bewusstsein in die geistige Welt hineinragen. In der Sprache, die ihnen gegeben wird, verschmelzen das Physische und das Ethische, das Natürliche und das Moralische zu einer Einheit. So wird das Wort zur Brücke zwischen den Sphären, und der Vortragende muss sich in diese Sphäre erheben, in der das Wort nicht mehr bloß Bedeutung trägt, sondern selbst zum schöpferischen Element wird. Die Kunst des Sprechens verlangt, dass der Vortragende sich ganz in die Bewegung des Atems und in die Gestaltung der Laute hineinlebt. Das Rezitieren und Deklamieren ist nicht bloß ein Wiedergeben von Text, sondern ein Durchdringen des eigenen Wesens mit dem Rhythmus, dem Maß und der Melodie der Sprache. Die Silbe, der Laut, das Wort – sie alle tragen Gewicht, Zahl und Maß in sich, und im Zusammenwirken von Atmung und Blutzirkulation entfaltet sich das lebendige Sprechen. Alliteration und Endreim, der Wechsel von plastischer und musikalischer Sprachgestaltung, führen den Vortragenden zu einer neuen Empfindung für die Form der Dichtung. Im künstlerischen Vortrag wird die Dichtung zur Göttersprache, die aus höheren Welten stammt und den Menschen verwandelt. Die Sprache muss aus dem Sinnlich-Bedeutungsvollen ins Geistig-Bewegte gehoben werden. Es gilt, sich zu lösen von der bloßen Mitteilung, von der abstrakten Bedeutung, und das Wort so zu gestalten, dass es zum Träger geistiger Kräfte wird. Die Kunst des Sprechens ist ein schöpferischer Akt, der den Menschen in seinem ganzen Wesen ergreift und ihn zum Mittler zwischen den Welten macht. 282) Die Sprachgestaltung erhebt sich zur Kunst, indem sie das Geistige im Laut offenbart. Jeder Laut ist Ausdruck einer geistigen Wirklichkeit, und die Sprache wird lebendig, wenn sie nicht bloß Mittel zur Mitteilung bleibt, sondern selbst zum künstlerischen Gebilde wird. Lyrik, Epik und Dramatik wurzeln in unterschiedlichen Grundkräften der Sprache, die sich in Vokal und Konsonant, im Rhythmus und in der Gebärde offenbaren. Die alten Griechen kannten fünf gymnastische Tätigkeiten, die sich in der Sprachgestaltung als innere Bewegungen wiederfinden. Die Sprache ist nicht nur Klang, sondern auch Gebärde, und diese Gebärde ist mit dem Kosmos verbunden. Die mimischen Bewegungen auf der Bühne sind Abschattungen dieser uralten Tätigkeiten. Wer das Wort gestalten will, muss die Gebärde im Laut erleben und das Verschwinden der Gebärde im Klang empfinden. Die heutige Prosa ist ein Produkt der Kopfkultur, während der Hexameter und die klassischen Versmaße wie Daktylus, Anapäst, Trochäus und Jambus aus einer ganzheitlicheren Menschenerfahrung stammen. Das Stildrama und das Konversationsdrama zeigen, wie sich die Sprache von der Form zur bloßen Mitteilung entwickelt hat. Der Alexandriner ist ein Kompromiss zwischen Prosa und poetischer Gestaltung. Der Weg zum Dramatischen führt aus dem Erzählerischen heraus, indem die Formen der Sprache, etwa der Trochäus, mit dramatischem Einschlag versehen werden. Im Geist-Dramatischen lebt noch das Epische fort, bevor es in das Materiell-Dramatische übergeht. Das eigentliche Kunstgeheimnis liegt darin, dass der Stoff durch die Form vertilgt wird. Nicht das bloße Gefühl oder die Empfindung soll herrschen, sondern deren Überwindung durch Form, Bild und Rhythmus. Die Gestaltungskräfte der menschlichen Organisation wirken in der Sprachgestaltung. Der Sprachorganismus ist mit der Organbildung des Menschen verwandt; das Wort gestaltet sich wie ein Organ. Die Empfindung für Laut und Wort steht im Gegensatz zur Sinn- und Ideenempfindung. Der Vokal gibt ein inneres Seelenerlebnis wieder, der Konsonant ahmt einen äußeren Vorgang nach. Das Verstehen geschieht im Hören, und das Hören im Verstehen. Die Stimmung einer Szene wird aus der Lautbehandlung herausgeholt. In der Bühnenkunst ist Naturalismus nicht künstlerische Wahrheit. Die Gestalt muss stilisiert werden, wie etwa Lessings Riccaut de la Marliniere. Die Eigengestaltung des Wortes muss wieder angestrebt werden, nicht bloß Durchhörlichkeit. Die Menschendarstellung muss von der Gebärde und vom Mimischen herkommen, und die schauspielerische Schulung beginnt am besten mit gymnastischen Übungen im Geiste der Griechen. Nicht Anweisungen, sondern Anregungen führen zur Kunst. Der Stil in der Gebärde ist entscheidend. In Goethes Iphigenie und Tasso kulminiert die künstlerische Sprachgestaltung. Die Bühnenkunst darf nicht bloße Nachahmung des Lebens sein, sondern muss Stilgefühl entwickeln. Das bewusste Ineinanderfügen von Gebärde und Wortgestaltung führt zum künstlerischen Stil. Das künstlerisch gestaltete Wort ist Offenbarung des ganzen Menschen. In der Mysterienkunst wurde das Göttliche durch den Menschen miterlebt. Als die Götterkonturen verschwanden, stellte sich der Mensch selbst auf die Bühne, zunächst als Gott, als Dionysos. Im Mittelalter trat die Schauspielkunst aus dem Kultus heraus, und das innerste menschliche Erleben kam in die Sprach- und Gebärdengestaltung. Das Technische der Schauspielkunst darf nicht getrennt vom Sprachlichen geübt werden. Alles mimische und gebärdenhafte Üben muss sich an der Lautempfindung orientieren. Die Eurythmie ist hier ein Weg. Das Sprechen und das damit verbundene Gebärdenspiel verlangen eine religiöse Auffassung. Der Mensch steht im Zentrum des Weltalls, und diese Stellung muss empfunden werden. Die künstlerische Dramatik verlangt stilisierte Stimmungen. Der Schauspieler entwickelt seinen Stil am Stil der Dichtung. Auch das Bühnenbild muss stilisiert werden, der Seelenstimmung entsprechend. Die Dichtung ist wie eine Partitur, die vom Schauspieler neu erschaffen werden muss. Die Skala der Vokale gibt das Empfindungs-Kolorit: Furcht, Mitleid, Bewunderung im Trauerspiel; Neugierde, Bangigkeit, Befriedigung im Lustspiel. Das Dekorative auf der Bühne muss stilisiert werden, nicht nach Form und Linie, sondern nach Farbe und Licht. In der Farbe lebt die Seele. Die Kostüme und Beleuchtung müssen auf die Stimmungen der Personen abgestimmt sein, die Dekoration auf die allgemeine Situation. Die Esoterik des Bühnendarstellers ist die Grundlage des Künstlerischen. Ohne diese Grundlage entsteht Routine, Manieriertheit oder Naturalismus. Der Schauspieler muss sein eigener Spieler sein, aber auch fühlender, interessierter Mensch. Die Bühnengeste soll aus dem seelischen Erleben, dem empfindungsgemäßen Erleben des Dramas als Ganzes hervorgehen. Imaginationen, Bilder und Phantasien gehören zum Wesen der Schauspielkunst. Das Drama entwickelte sich von der Darstellung des Schicksals über das Charakterdrama zur Handlung, in der Schicksal und Charakter zusammenwirken. Das Lustspiel konnte erst aus dem Charakterologischen entstehen. Ein innerliches Studium dieser Entwicklung gibt die richtige Stimmung für das Tragische und das Lustspielhafte. Meditative Übungen unterstützen diesen Prozess. Das Durchfühlen des Lautlichen ist ein realer innerer Vorgang: Der astralische Leib ergreift den ätherischen, und im Sprachkörper löst sich ein zweiter Mensch, der in der Sprache lebt. Lautempfindungsübungen führen bis ins Wortgeheimnis. Spirituelle Gesinnung ist notwendig, damit die Kunst in ihr richtiges Element eintauchen kann. Zwei Dinge sind notwendig: der Wille zur Vertiefung und das bewusste Ergreifen der eigenen Sprachgestaltung im Atem. 283) Wenn das menschliche Ohr den Ton vernimmt, so begegnet es nicht bloß einer Schwingung der Luft, sondern es taucht ein in ein geistiges Erlebnis, das seine Wurzeln in höheren Welten hat. Die Musik ist nicht wie andere Künste, die ihre Vorbilder in der äußeren Natur finden, sondern sie ist unmittelbarer Ausdruck des Willens, des innersten Wesens der Welt. Der Ton, wie er im Musikalischen erlebt wird, ist ein Nachklang der Sphärenmusik, die in den geistigen Welten, im sogenannten Devachan, wahrgenommen wird. Während des traumlosen Schlafes verweilt die Menschenseele in diesen höheren Sphären und nimmt dort die wahre Musik, die Sphärenklänge, unmittelbar auf. Das irdische Musikerleben ist eine Erinnerung daran, ein Echo des Übersinnlichen, das durch die Seele in die sinnliche Welt getragen wird. Im Menschen lebt die Fähigkeit, durch geistige Entwicklung, durch Meditation und Konzentration, die Tore zu diesen höheren Welten bewusst zu öffnen. Dann beginnt die Seele, nicht nur im Traum, sondern im wachen Bewusstsein, jene Gesetzmäßigkeiten und Harmonien zu erleben, aus denen die Musik stammt. So wie der Bildhauer aus der äußeren Gestalt das Urbild formt, so schöpft der Musiker aus dem Geistigen, aus dem unmittelbaren Erleben der Sphärenharmonien. Die musikalischen Intervalle, wie Dur und Moll, sind nicht bloße Erfindungen, sondern sie spiegeln tiefe geistige Realitäten wider. Dur steht für das Aufstreben, das Sich-Erheben, während Moll das Zurückziehen, das Sich-Versenken ausdrückt. Diese Polarität ist ein Abbild kosmischer Kräfte, die in der Menschenseele wirken. Die Entwicklung der Musik im Laufe der Menschheitsgeschichte ist Ausdruck der Wandlungen des menschlichen Bewusstseins und seiner Beziehung zu den geistigen Welten. In alten Zeiten war das musikalische Erleben noch ganz durchdrungen von religiöser Empfindung, von der Erfahrung der Götterwirksamkeit in den Klängen. Die Musik der Atlantier war ein Erleben der Septime als göttliches Walten, später wurde die Quinte zum Ausdruck des Ein- und Ausatmens, des kosmischen Rhythmus. Die Terzenmusik der Neuzeit ist das Erlebnis des subjektiv Seelischen, das sich aus der göttlichen Sphäre herausgelöst hat. Im Menschen ist das Ohr nicht bloß ein physisches Organ, sondern ein Spiegel, ein Resonanzraum für die geistigen Töne. Das musikalische Erleben durchdringt den ganzen Menschen, es ist nicht auf das Gehör beschränkt. Die Intervalle, die Melodie, Harmonie und Rhythmus, stehen in Beziehung zu den Seelengliedern: Denken, Fühlen und Wollen. Die Musik wirkt gestaltend auf die Wesensglieder des Menschen, sie verwandelt und erhebt das Seelische. Die Zukunft der Musik liegt in einer Vertiefung des Tonerlebens, in einer neuen Bewusstheit für den einzelnen Ton und seine Beziehung zum Ganzen. Die Erweiterung des Tonsystems, das Erleben neuer Intervalle, wird möglich durch eine geistige Durchdringung der Musik. Die Eurythmie, als sichtbare Musik, entspringt derselben Quelle: dem geistigen Erleben des Menschen als Instrument, das die Urkräfte von Ton und Wort zum Ausdruck bringt. So offenbart sich im Musikalischen das Wesen des Menschen als Mittler zwischen den Welten, als Schöpfer, der aus dem Geistigen heraus die Klänge formt und die Erde mit dem Himmel verbindet. Die Musik ist der Weg, auf dem der Mensch das Göttliche in sich erweckt und die Harmonie des Kosmos in die irdische Welt trägt. 284) Die Kunst steht in unserer Zeit vor einer neuen Aufgabe: Sie soll nicht bloß Abbild des Äußeren, sondern Offenbarung des Geistigen sein. Die Formen, Farben und Klänge, die der Künstler gestaltet, sind Tore zu geistigen Welten. Wer sich ihnen hingibt, wird in die Geheimnisse des Daseins eingeweiht. In der Vergangenheit waren Kunst, Wissenschaft und Religion eine Einheit. Die Mysterienstätten der alten Zeiten waren zugleich Tempel, Schule und Kunststätte. Diese Einheit ist zerbrochen, doch es naht die Zeit, da sie in neuer Form wiederhergestellt werden muss. Im Münchner Kongress von 1907 wurde der Versuch unternommen, diese Einheit in einer neuen Weise zu verwirklichen. Die Raumgestaltung, die Bilder okkulter Siegel und die gemalten Säulen wurden nicht bloß als Dekoration geschaffen, sondern als Ausdruck geistiger Realitäten. Die sieben Siegelbilder, die den Saal schmückten, sind nicht bloße Allegorien, sondern Abbilder geistiger Tatsachen, die der Schauende in den höheren Welten erkennt. Jedes Siegel offenbart eine Stufe des menschlichen Werdens und die Entwicklung der Erde und der Menschheit im Kosmos. Die Säulen, die den Raum gliedern, sind nicht bloß architektonische Elemente, sondern Träger von Weisheitssprüchen, die in ihrer Form und Farbe die Planetenkräfte offenbaren. Wer die Sprüche der Säulen vernimmt, wird in das Geheimnis des Zusammenklangs der Planeten und der menschlichen Entwicklung eingeführt. Die Kunst erhält so eine neue Weihe: Sie wird zum Mittler zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem. Die Einweihung des Rosenkreuzers, wie sie in den Vorträgen dargestellt wird, ist ein Weg, der durch die Stufen der Selbsterkenntnis und Welterkenntnis führt. Der Mensch durchlebt in sich die Entwicklungsstufen der Erde und der Planeten, er wird zum Mikrokosmos, der den Makrokosmos widerspiegelt. Die Symbole und Zeichen, die in der Kunst geschaffen werden, sind nicht willkürlich, sondern entspringen dem Chaos, das durch den Geist geordnet wird. Sie sind Ausdruck der schöpferischen Kräfte, die im Innersten der Welt walten. Die Aufgabe der Kunst der Zukunft ist es, wieder zu einer Sprache des Geistes zu werden. Sie soll nicht bloß gefallen oder unterhalten, sondern den Menschen verwandeln, ihn zu einem Schauenden machen, der die geistigen Hintergründe der Welt erkennt. Die Räume, die wir bauen, die Bilder, die wir schaffen, sollen Tempel sein, in denen der Mensch sich als Bürger der geistigen Welt erleben kann. So wird die Kunst zur Vorbotin einer neuen Mysterienkultur, in der Erkenntnis, Kunst und religiöses Leben wieder zu einer lebendigen Einheit verschmelzen. 286) Die Architektur entspringt dem inneren Erleben des Menschen, sie ist Ausdruck der Seele und ihrer Beziehung zur Welt. In den frühen Kulturen offenbart sich dies in den Tempelbauten: Die urpersischen, babylonisch-assyrischen und ägyptischen Tempel spiegeln das Streben der Menschenseele nach dem Geistigen wider. Die ägyptische Pyramide bewahrt das Geheimnis der Seele, sie ist ein Symbol des inneren Menschen, der sich von der Erde erhebt. Im griechischen Tempel lebt der durchseelte Menschenleib auf der Erde, der Bau wird zum Abbild des Menschen selbst. Der gotische Dom schließlich zeugt von der Bewusstseinsseelenkultur, in der das Geistige in die Formen eintritt und sich die Architektur aus sich selbst heraus gestaltet. Im Tempel der Zukunft soll der Mensch in seiner Seele den Geist empfangen, und die Baukunst wird aus dem Gesamtgeist des gegenwärtigen Menschheitszyklus heraus neu geboren. Die Entwicklung der Architektur ist ein Abbild der Menschheitsentwicklung. Die Felsenhöhle entspricht dem Einarbeiten der Empfindungsseele in den Empfindungsleib, die Pyramide dem Wechselspiel zwischen Seele und Welt. Die griechisch-romanische Baukunst bringt die Ausweitung und Bereicherung des seelischen Innern zum Ausdruck. Der gotische Dom hebt die Formen aus sich selbst heraus, er ist das Werk der Bewusstseinsseele. Der Dornacher Bau, der Johannesbau, ist das Zeichen des Einlebens der Bewusstseinsseele in das Geistige, er überwindet das Materielle und öffnet den Raum zum Weltenraum. Für die Kolonie in Dornach ist es notwendig, dass der Bau und die umgebenden Häuser ein einheitliches Ganzes bilden. Die äußere Form der Häuser soll Ausdruck der inneren Harmonie der Bewohner sein, die Architektur wird zum Spiegel des Zusammenlebens. Die Formen des Dornacher Baus stehen im Einklang mit den Urkräften künstlerischen Wollens. Die wahre Herkunft künstlerischer Formen liegt nicht im Naturalismus, sondern im lebendigen Erfühlen des Zusammenhangs von Erde und Sonne. Das Akanthusornament entspringt nicht bloß der Nachahmung der Natur, sondern dem inneren Erleben der Metamorphose, dem Wandel von Form zu Form. Die Dornacher Bauformen sind lebendige Negativformen des geisteswissenschaftlichen Wortes, das im Bau gesprochen wird. Wahre Kunst ist das göttliche Kind hellsichtiger Anschauung. Der Bau wird zum Haus der Sprache, er spricht, erzieht und wirkt über alles Persönliche hinaus. Die Kunstwerke sprechen ihre eigene Sprache, während die moderne Architektur stumm bleibt. Die zukünftigen Bauten werden zu Gesetzgebern, sie werden das Unrecht verhindern, indem sie den Menschen zum Geistigen führen. Die Reliefs und Kuppeln des Dornacher Baus, die Glasfenster und ihre Darstellungen, alles ist Ausdruck des lebendigen Geistes, der in der Form spricht. Der neue baukünstlerische Gedanke besteht darin, dass die Formen in Bewegung geraten. Der Kreis ist das Bild des Ich, seine Metamorphosen – Ellipse, Hyperbel, Cassinische Kurve, Divisionskreis – sind Ausdruck der Wechselwirkung von Innerem und Äußerem. Die Kuppel ist das Abbild der menschlichen Schädeldecke, die sieben Säulenpaare entsprechen den sieben Lebensperioden des Menschen. Die Architektur wird lebendig, sie ist nicht mehr bloß mathematisches Formwissen, sondern Formfühlen, ein Sprechen der Formen aus der geistigen Welt. Die wahren ästhetischen Formgesetze gründen in der Einheit von Mikrokosmos und Makrokosmos. Der Mensch ist Ausdruck der kosmischen Zusammenhänge von Sonne, Erde und Mond; Herz, Lunge und Gehirn sind Mikrokosmos dieser Himmelskörper. Der Blutkreislauf ist Abbild geistiger Strömungen. Wahre Kunst ist Manifestation geheimer Naturgesetze. Die Geschichte der Kunst ist mit der Bewusstseinsentwicklung des Menschen verknüpft: Ursprünglich entstand sie aus atavistisch-hellseherischem Erleben, dann folgte die nachahmende Kunst, die in Griechenland und in der Renaissance ihren Höhepunkt fand. Nun ist es Aufgabe, die Kunst zu spiritualisieren, sie neu aus dem Geistigen zu schaffen. Die Welt der Farbe ist schöpferisch. Das Spezialistentum der Gegenwart hat das Verhältnis zur Kunst erkaltet, das allgemeine Geistesleben ist verloren gegangen. Die wahre Kunst entsteht aus dem lebendigen Miterleben des Farbigen, aus dem inneren Erleben von Rot und Blau, von Form und Farbe, von Ruhe und Bewegung. Die Architektur des Dornacher Baus ist der Anfang eines neuen Kunststrebens, aus dem Ernst der Weltlage erwächst die Aufgabe der Geisteswissenschaft, die Kunst zu erneuern. 287) Das Leben lehrt, dass der äußere Schein oft trügt und die Wahrheit in tieferen Schichten gesucht werden muss. Nicht das vordergründige Ereignis, sondern die verborgenen Impulse und karmischen Zusammenhänge bestimmen das Geschehen. Die Geschichte der Menschheit ist nicht allein aus Dokumenten und äußeren Zeugnissen zu verstehen, sondern verlangt das Erfassen der inneren Entwicklungskräfte, die sich in den großen Kulturepochen und ihren Umwälzungen offenbaren. Wie in der homerischen Zeit ein Umschlag im Weltenwerden stattfand, so ist auch heute ein neuer Impuls notwendig, der sich im Dornacher Bau als künstlerisches und geistiges Wahrzeichen verkörpert. Die Formen dieses Baus sind nicht willkürlich, sondern Ausdruck universeller Gesetzmäßigkeiten. Die Säulen, Kapitelle und Architrave sprechen eine Formensprache, die die Entwicklung der Menschenseele und die Evolution der Völker widerspiegelt. Jede Kultur bringt ihre eigenen Kräfte und Seelenqualitäten ein: Die Empfindungsseele, die Verstandesseele, die Bewusstseinsseele, sie alle finden ihren Ausdruck in den Motiven und im Stil des Bauwerks. Die Kuppel vereint diese Kräfte und stellt das Zusammenwirken der Völker und Seelenkräfte im Menschen dar. Die einzelnen Kapitellmotive verkörpern die charakteristischen Kräfte der Kulturgemeinschaften. Der schlangenumwundene Merkurstab steht für das mitteleuropäische Ich, das als Bewusstseinsprinzip die Individualität über das Nationalitätsprinzip erhebt. Die Verschlingungen in der Menschheitsevolution zeigen das Streben nach Individualität, das sich in Mitteleuropa besonders ausgeprägt findet. Der Osten lebt im mystischen Leid, das ihn für die Zukunftskultur vorbereitet, für das Empfangen des Geistselbst. Wenn Kulturen sich vermischen und weiterentwickeln, entstehen komplexere Formen, die im Bau durch das Übereinanderlegen von Kapitellmotiven sichtbar werden. Formen geraten in Bewegung, und an die Stelle des bloßen Verstandes tritt das künstlerische Erleben. Die Motive sprechen von Fortschritt, Erhebung, Abschluss und Überdeckung. Im Bau sind die Geheimnisse von Wollen, Fühlen und Denken in ihrer Entwicklungsgeschichte eingewoben. Aus der Kuppel strahlen die Geheimnisse der geistigen Entwicklung der Menschheit entgegen. Die anthroposophische Weltauffassung bringt eine Erneuerung des künstlerischen Prinzips: Nicht das Ruhende, sondern das Bewegte, das innerlich Regsame, das Schöpferische soll hervortreten. Besonders in der Malerei wird das Loslösen der Farbe vom Gegenständlichen wichtig, um das Schöpferische der Farbe selbst zu erleben. Aus dem innerlichen Farberleben erwächst auch das Formempfinden. Der Bau wird so zum Ausdruck geschichtlichen Lebens, zum Erleben des kosmischen Kreuzes. Die schöpferische Sprache lebt im Laut, der die Form gebiert und das Geistige in der Kunst zur Erscheinung bringt. 291) Im Erleben der Farben offenbart sich das Wesen der Welt nicht bloß als physikalische Erscheinung, sondern als lebendige Wirklichkeit, die sich im Empfindungsleben des Menschen offenbart. Die Farbe ist nicht bloß ein äußerliches Bild, sondern sie spricht unmittelbar zur Seele. Grün erscheint als das tote Bild des Lebens, das im Pflanzenreich vorherrscht, während das Pfirsichblüt, das im menschlichen Inkarnat auftritt, das lebendige Bild der Seele ist. Weiß, das Licht, wird zum seelischen Bild des Geistes, Schwarz, die Finsternis, zum geistigen Bild des Toten. In der Anordnung dieser Farben im Kreis vollzieht sich der Aufstieg vom Toten durch das Leben zum Seelischen und Geistigen. Die Farben gliedern sich in Bildfarben und Glanzfarben. Schwarz, Weiß, Grün und Pfirsichblüt erscheinen als Schattenfarben, als Bildwesen, während Gelb, Blau und Rot als Glanzfarben, als Modifikationen des Leuchtenden, auftreten. Gelb ist der Glanz des Geistes, Blau der Glanz des Seelischen, Rot der Glanz des Lebendigen. Wie sich im Tierkreis die ruhigen Bilder zeigen, so offenbaren sich in den Planeten die bewegten Glanzfarben. Die Kunst muss diese Unterscheidung erkennen, denn Farbe erhebt den Menschen aus dem Materiellen in das Geistige. Die alten Maler kannten nur das Bild, nicht den Glanz, deshalb entstand die Landschaftsmalerei erst später, als das Glänzende in das künstlerische Schaffen eintrat. Wie wird Materie farbig? Das Pflanzengrün steht im Zusammenhang mit dem Mond, das übrige Farbenwesen der Pflanzen mit der Sonne. Im Malen offenbart sich die Notwendigkeit, zwischen Glanz, Glanzbild, Bildglanz und Bild zu unterscheiden, wenn Mineral, Pflanze, Tier und Mensch künstlerisch dargestellt werden sollen. Die Farbe bildet mit dem Ich und dem Astralleib eine untrennbare Einheit. Das seelische Miterleben der Farben führt zu einer lebendigen Fortbildung des Goetheschen Farbenverständnisses. Im Verhältnis des Menschen zur Farbe zeigt sich der Aufstieg aus dem flutenden Farbenmeer zur reinen Ich-Betrachtung. Die Tierseele lebt noch im Farbenmeer, der Mensch aber kann sich daraus erheben und die Farbenwelt vergeistigen. Rot und Blau begegnen dem Menschen als Entgegenkommen und Sich-Entfernen, als Bewegung und Ruhe. Das verborgene Farbenfluten im menschlichen Organismus weist auf die zukünftige Aufgabe der Kunst: das Untertauchen in das elementare Leben. Das moralisch-spirituelle Erleben von Farben und Tönen ist Voraussetzung für ein neues Künstlertum. Die innere Natur des Farbigen muss erkannt werden, damit die Form aus der Farbe heraus gestaltet werden kann. Die schöpferische Tätigkeit der Geister der Form, der Elohim, wirkt in diese Prozesse hinein. Die Vertiefung des Seelenlebens durch das Erleben der Tonwelt führt zu einem Bewusstsein für den Zusammenhang des Menschen mit den göttlich-geistigen Kräften. Licht und Finsternis sind zwei Welt-Entitäten. Der Gedanke ist Metamorphose des Willens aus dem vorigen Erdenleben. Im Imaginieren, Inspirieren und Intuieren erlebt der Mensch das Gedankenelement als Licht. Das Weltenall ist sinnlich angeschautes Licht, das von außen als Gedanke erscheint; das Menschenhaupt ist innerlich Gedanke, der von außen hellseherisch als Licht gesehen wird. Das fortwährende Ersterben einer Vorwelt im Gedanken, im Licht, bringt Schönheit hervor. Die Zukunft geht in der Finsternis auf, der Wille wird als Stoff erlebt. Das Leben im Licht und in der Schwere zeigt den Zusammenhang des Natürlichen mit dem Moralisch-Seelischen. Die Leuchtewelt des Lichtes ist sterbende Gedankenwelt aus urferner Vergangenheit, Ergebnis moralischer Vorgänge. Die gegenwärtigen moralischen Impulse sind Welt der Finsternis, die das Licht durchdringt. Die Willenskeime werden in eine Leuchtewelt zurückverwandelt. Die moralische Weltordnung wird zur physischen Weltordnung der Zukunft. Die Wirkung der Farben auf den menschlichen Organismus offenbart sich im Zusammenwirken von Blut und Nerv, im Entstehen von Morgen- und Abendröte, von Himmelsbläue. Das Verständnis von Gesundheit und Krankheit kann von der Farbenlehre aus vertieft werden. Die Malerfarben werden aus den Elementen gewonnen, Rot aus Kohlenstoff, Blau aus Sauerstoff, Gelb aus der Blüte, Blau aus der Wurzel der Pflanze. Die Malerei muss von der Raumperspektive zur Farbenperspektive zurückkehren. Die Fläche ist das erste Material der Malerei, nicht der Raum. Die Farbe ist eigentlich ein Geistiges. Das Zweidimensionale der Malerei steht dem Eindimensionalen des Musikalischen gegenüber. Das Schöne offenbart sich als Scheinendes, das Hässliche als sich Verbergendes. Die Farbe muss als sich selbst tragendes Element erlebt werden, von der Schwere losgelöst. Die alten Maler arbeiteten mit dem Goldhintergrund, die neue Malerei muss die schwerelose Farbe anstreben. Die Tätigkeit der geistigen Hierarchien im Werden von Finsternis, Licht und Farbe zeigt sich im Regenbogen. Elementarische Wesenheiten bilden den Regenbogen, der Mensch als vierte Hierarchie bringt das Leben in die farbenschillernde Welt. 291a) Das Wesen der Farben offenbart sich nicht in der bloßen Betrachtung äußerer Erscheinungen, sondern im lebendigen Erleben des Zusammenwirkens von Licht und Finsternis als zwei polaren, geistigen Entitäten. Die Farben entstehen nicht als bloße physikalische Effekte, sondern sie sind Ausdruck eines kosmischen Geschehens, in dem Licht und Dunkelheit sich begegnen und durchdringen. So wie Goethe dies in seiner Farbenlehre erkannte, ist Blau die Finsternis, durch Licht gesehen, und Rot das Licht, durch Finsternis gesehen. Dieses Urphänomen der Farbenentstehung ist eingebettet in das große Gesetz der Polaritäten, das allem Leben und allen Erscheinungen zugrunde liegt: Alles Sein ist ein Spiel der Gegensätze, und nur im Gleichgewicht dieser Gegensätze kann sich das Leben entfalten. Die moderne Naturwissenschaft, die sich auf Newtons materialistische Prinzipien stützt, hat das geistige Wesen der Farben aus dem Blick verloren. Doch die Goethesche Farbenlehre, die auf uraltem Mysterienwissen gründet und in der indischen Lehre von den drei Gunas – Sattwa (Licht), Tamas (Finsternis), Rajas (Ausgleich) – einen Widerhall findet, weist weit über die bloße Physik hinaus. Die Farbenlehre Goethes ist nicht nur ein wissenschaftliches, sondern ein spirituelles Vermächtnis, das die Brücke schlägt zwischen Selbsterkenntnis und Welterkenntnis. In der Art, wie Goethe die Natur betrachtete, liegt ein Impuls, der erst in kommenden Jahrhunderten voll erkannt und fruchtbar gemacht werden wird. Die Farben sind nicht nur in der äußeren Welt zu finden, sondern sie durchdringen auch das Seelische und Geistige. In der Entwicklung der Menschheit hat sich das Bewusstsein für die Farben gewandelt, und heute ist es notwendig, die Farben nicht nur als physikalische Erscheinungen, sondern als Offenbarungen geistiger Wirklichkeiten zu erkennen. Die Farben der Aura, die Farben der übersinnlichen Welt, sie alle sind Ausdruck innerer Vorgänge und geistiger Realitäten. Im künstlerischen Schaffen offenbart sich die wahre Natur der Farben, wenn nicht von der Form, sondern von der Farbe selbst ausgegangen wird. Das Malen aus der Farbe heraus führt zu einer neuen Kunst, in der die Farbe als lebendiges Wesen erlebt und gestaltet wird. Auch in der Eurythmie und im Bühnenbild entfaltet die Farbe ihre schöpferische Kraft, indem sie unmittelbar auf das seelische Erleben des Menschen wirkt. Die Erkenntnis des Wesens der Farben hat weitreichende praktische Anwendungen: In der Gestaltung von Räumen, in der Erziehung und im Unterricht, in der Therapie und sogar in der Herstellung von Farben aus Pflanzenstoffen kann das Wissen um die geistigen Hintergründe der Farben fruchtbar gemacht werden. Immer aber bleibt das Ziel, die Farbe nicht zu reduzieren auf einen äußeren Effekt, sondern sie als lebendige Offenbarung geistiger Kräfte zu erkennen und zu erleben. 292) In der Betrachtung der Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse offenbart sich, wie der Wandel des menschlichen Bewusstseins die Gestalt der Kunst von Epoche zu Epoche prägt. In der italienischen Renaissance, im Übergang vom vierten zum fünften nachatlantischen Zeitraum, ruft die Kunst zunächst noch Phantasiekräfte auf, um das Überirdische sinnlich anschaulich zu machen. In Cimabues Werken lebt die Anschauung einer überirdischen Welt aus dem Visionären heraus. Mit Giotto jedoch tritt eine neue künstlerische Weltauffassung auf: Das Mitfühlen mit dem Werden des Natürlichen auf der Erde, ein platonisches Element, wird spürbar. Die Kunst wendet sich dem irdisch-materiellen Leben zu, das Fühlen erhält einen theologischen, systematisierenden Zug, wie es in den Kompositionen der Giotto-Schule oder in Raffaels „Disputa“ sichtbar wird. Die großen Meister der Renaissance – Lionardo, Michelangelo, Raffael – bündeln die Strömungen ihrer Zeit. Lionardo strebt mit seinem Naturverständnis weit über die Empfindung seiner Epoche hinaus, Michelangelo trägt das politische Leben seiner Zeit in die Kunst, Raffael bringt eine zarte, christlich-künstlerische Anschauung von Mensch und Natur in die Entwicklung ein. Das Zusammenwirken von Päpsten, Fürsten und Künstlern spiegelt die notwendige Tragik der Menschheitsgeschichte wider. Der mitteleuropäisch-nordische Kunstimpuls steht im Gegensatz zur südlichen Kunst, indem er die Bewegung, das Zeichen, in dem die menschliche Seele lebt, in den Vordergrund rückt. Die nördliche Phantasie breitet sich vom Zeichenhaften zum Bildhaften aus, die Gotik entsteht aus dem Zusammenwachsen mystischer und verstandesmäßiger Elemente. In Mitteleuropa revoltiert das Willenselement gegen das Romanische und die Gotik, zugunsten des individuellen seelischen Ausdrucks. Dürer erscheint als eminenter Vertreter dieses Impulses, geboren aus Licht und Finsternis, während Holbein den Realismus des Äußerlichen verkörpert. Die nordisch-mitteleuropäische Kunst entfaltet das bewegliche seelische Element. Das Einleben des Christentums in das Gefühlsleben wird in der Kunst Mitteleuropas sichtbar, während die südliche Renaissance die Schönheit christlicher Gestalten sucht. In der mitteleuropäischen Kunst wird das Leiden, das Tragische, das Drama zum Thema, wie es in Dürers Passionsdarstellungen kulminiert. Die Vertiefung in das menschliche Seelenleben drückt sich in der Beziehung der Gestalten untereinander aus, das Ineinanderspielen weltlicher und religiöser Elemente wird greifbar, etwa im Bamberger Reiter oder in den Plastiken Claus Sluters. Rembrandt tritt als einzigartige Erscheinung hervor, indem er die menschliche Individualität und Freiheit in einer ganz neuen Tiefe künstlerisch gestaltet. Im Hell-Dunkel, in Licht und Finsternis, plastiziert er das Geistige, die Farbe wird daraus geboren. Seine Gestalten erreichen eine geistige Höhe, die aus dem unmittelbaren Lesen der Bibel und aus der eigenen Innerlichkeit hervorgeht. Seine Radierungen stehen seiner Malerei in Bedeutung nicht nach. In der niederländischen Malerei des 15. Jahrhunderts wirkt die Bewußtseinsseele in jeder Einzelheit. Die Darstellung ordnet sich auf den Augenpunkt des Beschauers, die Perspektive wird zur strengen Kunst erhoben. Im Süden entfaltet sich das kompositionelle Element in der Gruppierung, im Norden dringt das individuell Seelische durch die lichtdurchflossene Farbgebung an die Oberfläche. Die Ölmalerei der Brüder van Eyck wird zum Ausgangspunkt des nordisch-mitteleuropäischen Naturalismus. In den Städten des Nordens macht sich das Individuelle in den traditionell-christlichen Vorstellungen geltend, das Vorbild der van Eycks bleibt prägend, auch wenn neue Elemente aus dem Süden einfließen. So zeigt sich in der Kunstgeschichte der Menschheitsentwicklung, wie sich das innere Leben, das Seelenleben, das geistige Streben und das Bewusstwerden des Menschen in den Formen, Farben und Gestalten der Kunst widerspiegeln. Jede Epoche trägt ihren eigenen Impuls, der aus den Tiefen des Menschlichen hervortritt und sich in der Kunst als Abbild geistiger Wirklichkeit offenbart. 293) Aus der geistigen Welt herabsteigend, bringt das Kind Kräfte mit, die es vor der Geburt im Zusammenwirken mit höheren Wesen entfaltet hat. Diese Kräfte sind nicht bloß Vergangenheit, sondern wirken als lebendige Realität weiter in das irdische Dasein hinein. Aufgabe der Erziehung ist es, diese vom Übersinnlichen kommenden Kräfte in Einklang zu bringen mit den leiblichen Kräften, die das Kind aus der Vererbung empfängt. Das Kind ist nicht ein leeres Gefäß, das gefüllt werden muss, sondern ein werdender Mensch, dessen Entwicklung sich in Stufen vollzieht: Zuerst wirkt das Nachahmen, dann das Autoritätsvertrauen, später das eigene Urteil. Die Erziehung ist Fortsetzung dessen, was vorgeburtlich an dem Menschen gewirkt hat. Im Menschen wirken drei Seelenkräfte: Denken, Fühlen, Wollen. Sie sind nicht voneinander getrennt, sondern durchdringen sich, und jede hat ihre eigene Beziehung zum Leiblichen. Das Denken spiegelt das Vorgeburtliche wider, der Wille ist Keim für das Nachtodliche. Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, diese Kräfte harmonisch zu entwickeln, indem er das rechte Maß zwischen rhythmischen Prozessen wie Atmung und Nerven-Sinnes-Tätigkeit herstellt und das Kind in einen gesunden Wechsel von Wachen und Schlafen, von Aktivität und Ruhe führt. Die heutige Psychologie bleibt an der Oberfläche stehen, weil sie nicht erkennt, dass die Vorstellungen Bilder des Geistigen sind und der Wille eine schöpferische Kraft ist, die in die Zukunft weist. Die Erziehung muss sich auf eine wirkliche Menschenkunde gründen, die den Menschen in seiner Dreigliederung als Kopf-, Brust- und Gliedmaßenwesen erfasst. Jede dieser Gliederungen hat ihre eigene Beziehung zum Kosmos und offenbart sich in unterschiedlichen Bewusstseinszuständen: Das Denken ist waches Bewusstsein, das Fühlen ist träumendes, das Wollen ist schlafendes Bewusstsein. Im Kind lebt das Gefühl, dass die Welt moralisch ist; es ahmt nach und nimmt alles als Vorbild. Später erfährt es die Welt als schön, lebt in der Kunst, und erst im dritten Jahrsiebt erwacht das Streben nach Wahrheit und Wissenschaft. Die Erziehung muss diese Stufen achten und in der rechten Weise ansprechen: Durch Nachahmung, durch Autorität, durch eigene Erkenntnis. Die zwölf Sinne des Menschen sind Tore zur Welt, und durch sie gliedert sich das Erleben in Willens-, Gefühls- und Erkenntnissinne. Die Aufgabe des Lehrers ist es, diese Sinne zu pflegen und zu entwickeln, sodass das Kind seine volle Menschlichkeit entfalten kann. Die Erziehung ist eine Kunst, die den Menschen in seiner leiblichen, seelischen und geistigen Entwicklung begleitet und ihm hilft, seine Individualität in Freiheit zu entfalten. Nur wenn der Lehrer selbst lebendig, enthusiastisch und weltoffen ist, kann er das Kind wirklich führen. Er muss fähig sein, mit dem Kinde zu fühlen, sich in dessen Wesen einzuleben und aus dem eigenen Inneren heraus schöpferisch zu wirken. Die Erziehung ist ein heiliger Akt, der das Schicksal der Menschheit mitbestimmt, denn in jedem Kinde lebt die Zukunft der Welt. 294) Das Kind betritt die Welt als ein Wesen, das in sich noch harmonisch verbunden ist mit den Kräften des Kosmos. In den ersten Lebensjahren wirkt das Geistig-Seelische noch unmittelbar gestaltend auf den Leib, und die Aufgabe des Erziehers ist es, diese schöpferischen Kräfte zu erkennen und zu pflegen. Nicht das bloße Vermitteln von Wissen steht im Vordergrund, sondern das Erwecken und Entwickeln der dem Kinde innewohnenden Fähigkeiten. Die Erziehung muss sich an den Entwicklungsstufen des Menschen orientieren, die sich in klar unterscheidbaren Jahrsiebten zeigen. In den ersten sieben Jahren lebt das Kind ganz im Nachahmungstrieb. Alles, was aus der Umgebung an das Kind herantritt, wird nachgeahmt, und so ist es entscheidend, dass die Umgebung des Kindes durchdrungen ist von Sinn und Würde, von Schönheit und Wahrheit. Die Pflege des künstlerischen Elementes, das Zeichnen, Malen, Musizieren, bildet den Anfang des Unterrichts, denn im Künstlerischen wirkt der Mensch mit seiner ganzen Wesenheit, nicht nur mit dem Kopf. Das Schreiben wird aus dem Zeichnen entwickelt, indem die Buchstabenformen aus bildhaften Gestaltungen hervorgehen, die das Kind aus der Natur und dem eigenen Erleben heraus nachvollzieht. Erst aus dem Schreiben wird das Lesen entwickelt, sodass das Kind nicht von Abstraktionen, sondern von lebendigen Bildern ausgeht. Das Rechnen ist weniger an Konvention gebunden als das Lesen und Schreiben, denn im Rechnen lebt schon mehr von den Gesetzen der geistigen Welt. Doch auch hier muss der Unterricht so gestaltet werden, dass das Kind die Zahlen und Rechenoperationen im Tun, im rhythmischen Erleben begreift. Alles Lernen soll durchdrungen sein von Rhythmus, Wiederholung, Bewegung, denn der Mensch ist ein rhythmisches Wesen, und gerade im rhythmischen Unterricht werden die Lebenskräfte gestärkt. Mit dem neunten Lebensjahr tritt das Kind in eine neue Entwicklungsstufe ein. Es erwacht das Bewusstsein der eigenen Individualität, das Kind erlebt sich als getrennt von der Welt. Nun ist es an der Zeit, das Naturgeschichtliche, das Tierreich, so zu unterrichten, dass das Kind den Zusammenhang zwischen Mensch und Tier erkennt, dass es die Einzigartigkeit des Menschen im Kosmos zu fühlen beginnt. Die Naturkunde wird nicht abstrakt, sondern bildhaft, erzählend, von den Tieren ausgehend, zum Menschen hinführend gestaltet. Nach dem zwölften Lebensjahr erwacht das logische Denken, das Kind verlangt nach Ursachen, nach Zusammenhängen. Jetzt kann der Geschichtsunterricht, die Physik, die Geographie so gestaltet werden, dass das Kind die Gesetzmäßigkeiten, die Entwicklung der Menschheit, die Kräfte der Erde erkennt. Die Fächer werden gegliedert nach den Entwicklungsstufen: bis zum neunten Jahr das Bildhafte, das Künstlerische; bis zum zwölften Jahr das Naturkundliche, das Erzählerische; ab dem zwölften Jahr das Gesetzmäßige, das Kausale. Der Sprachunterricht, sowohl im Deutschen wie auch in den Fremdsprachen, wird so geführt, dass das Kind in den Sprachklang, in den Rhythmus, in das Bildhafte der Sprache eingeführt wird. Die Fremdsprache wird nicht durch Übersetzung, sondern durch lebendiges Sprechen, durch Nachahmung, durch Erleben des Sprachgeistes erlernt. Alle Unterrichtsinhalte werden so gestaltet, dass sie zuletzt in das praktische Leben hineinführen. Was das Kind lernt, soll es befähigen, als ganzer Mensch in der Welt zu stehen, mit Kopf, Herz und Hand. Die Moral der Pädagogik wird zur Didaktik, indem im Unterricht die sittlichen Kräfte geweckt werden, indem das Kind im Tun, im Erleben, im Erkennen zu einem freien, verantwortlichen Menschen heranwächst. Die Gestaltung des Lehrplans folgt nicht starren Vorgaben, sondern den lebendigen Entwicklungsbedürfnissen des Kindes. Der Lehrer ist Künstler, der aus der Erkenntnis der Menschennatur heraus den Unterricht gestaltet, immer das Ganze des Menschen, seine Leiblichkeit, seine Seele, seinen Geist im Blick. Nur so kann eine Erziehungskunst entstehen, die dem Menschen gerecht wird und ihn befähigt, die Aufgaben seines Zeitalters zu erkennen und zu erfüllen. 295) Die Verschiedenheit der Kinder in einer Klasse verlangt, dass ich die vier Grundtypen der Temperamente – sanguinisch, melancholisch, phlegmatisch und cholerisch – erkenne und sie als Grundlage meiner pädagogischen Arbeit nehme. Jedes Kind trägt eines dieser Temperamente als vorherrschendes Element in sich, und meine Aufgabe ist es, durch Erziehung und Unterricht eine Harmonie zwischen den Wesensgliedern – Ich, Astralleib, Ätherleib und physischer Leib – herzustellen. Das Temperament des Kindes zeigt sich in seinem äußeren Verhalten: das sanguinische Kind ist flüchtig interessiert, das melancholische Kind grübelt in sich hinein, das phlegmatische Kind bleibt teilnahmslos, das cholerische Kind drängt willensstark nach außen. Ich gliedere die Klasse nach diesen Temperamenten, um gezielt auf die einzelnen Gruppen einzugehen, und lasse die Kinder durch den Umgang miteinander an den Stärken und Schwächen der anderen wachsen. Im Unterricht achte ich darauf, wie ich mich an die Temperamente wende: Sinneseindrücke richte ich besonders an die sanguinischen Kinder, Reflexionen an die melancholischen. So ergänzen sich die Temperamente gegenseitig. Ich übe Geduld, denn diese differenzierte Behandlung wird erst durch Gewohnheit zur zweiten Natur. Die Temperamente wirken auch aufeinander ein, beeinflussen sich gegenseitig, und ich nutze diese Wechselwirkungen, um die Entwicklung der Kinder zu fördern. Zeichnen und Erzählen gehören zu den wichtigsten Tätigkeiten im Unterricht. Die Märchenerzählung, die Tiergeschichte, das freie Erzählen nach dem Hauptunterricht sind für die seelische Entwicklung wesentlich. Ich gestalte den Stoffplan so, dass die Kinder von der ersten bis zur achten Klasse stufenweise in die Welt eingeführt werden, wobei ich die Temperamente stets berücksichtige. Die melancholischen Kinder finden in der Märchenerzählung Nahrung für ihr inneres Erleben, die sanguinischen werden durch das bunte Bild angesprochen, die phlegmatischen durch die ruhige Wiederholung, die cholerischen durch die dramatische Handlung. Im Rechenunterricht beginne ich mit dem Ganzen, lasse die Kinder das Rechnen als eine Tätigkeit erleben, die aus dem Leben herausgeholt ist, und achte darauf, wie die Temperamente auf verschiedene mathematische Aufgaben reagieren. Die Geometrie führe ich anschaulich ein, lasse die Kinder zeichnen und formen, damit sie das Räumliche erleben. Auch in der Pflanzenkunde gehe ich von der Erfahrung aus, lasse die Kinder die Pflanze als sichtbare Seelenwelt der Erde erleben, führe sie von der Beobachtung der Blätter und Blüten bis zur Beziehung zwischen Pflanze und Mensch. Die Sexualaufklärung knüpfe ich an das Verständnis des pflanzlichen Wachstums, damit das Kind in natürlicher Weise zur Erkenntnis des Lebens kommt. In Geographie, Geschichte, Musik, Eurythmie und Turnen gestalte ich den Unterricht so, dass die Kinder nicht nur Wissen aufnehmen, sondern in ihrer ganzen Wesenheit angesprochen werden. Ich achte auf die Ernährung, auf die Förderung der Schwächeren, auf das Zusammenwirken von Begabten und Unbegabten. Im Lehrplan führe ich die Fächer stufenweise ein: Deutsch, Zeichnen, Fremdsprachen, Sachunterricht, Geschichte, Geographie, Naturkunde, Physik, Chemie, Mathematik, Musik, Eurythmie, Handarbeiten. Ich achte darauf, dass der Unterricht dem Entwicklungsstand der Kinder entspricht und ihre individuellen Anlagen berücksichtigt. Prüfungen und Zeugnisse gestalte ich so, dass sie den Kindern helfen, sich selbst zu erkennen und zu entwickeln. Die Erziehungskunst verlangt von mir, dass ich das Kind als werdenden Menschen sehe, dass ich seine Individualität achte und fördere, dass ich die Temperamente als pädagogisches Werkzeug nutze, um das Kind zur Harmonie seiner Wesensglieder zu führen. So wird Erziehung zur Kunst, die aus Menschenkenntnis und Liebe schöpft. 296) Die Erziehungsfrage ist eine soziale Frage. Die gegenwärtige Menschheit steht an einem Wendepunkt, an dem die alten Kräfte nicht mehr ausreichen, um die Tragik der Zeit zu überwinden. Nur aus den geistigen Welten kann die Kraft kommen, die uns weiterführt. Die sozialen Probleme, die heute überall empfunden werden, lassen sich nicht mit dem herkömmlichen, äußeren Wissen lösen. Es braucht eine neue Erkenntnis, eine geistige Vertiefung, um die Aufgaben der Zeit zu bewältigen. Der Gegensatz zwischen Osten und Westen durchzieht die Menschheit. Im Osten lebt man in der unmittelbaren Erfahrung des Geistigen, im Westen glaubt man an die äußere Sinneswelt als einzige Wirklichkeit. Was der Orientale als Maja, als Täuschung bezeichnet, ist für den Westen Wirklichkeit, und umgekehrt. Daraus erwächst ein tiefer Riss, der die Kulturen trennt und in der Geschichte zu großen Kämpfen führt. Der Westen strebt nach Freiheit, weil er sie verloren hat, während der Osten sie lebt, ohne darüber nachzudenken. Die Erziehung des Kindes ist eingebettet in diese großen Strömungen. In den ersten Lebensjahren ahmt das Kind nach, später sucht es nach Autorität, und schließlich erwacht die Liebe als leitende Kraft. Diese Entwicklungsstufen stehen in Beziehung zu den drei Gliedern des sozialen Organismus: Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben. Die Erziehung muss den Menschen so führen, dass er in jedem dieser Bereiche seine Aufgabe findet. In der Gegenwart wirken noch Nachklänge der alten griechischen und römischen Seelenverfassungen. Der Industrialismus hat neue Bedürfnisse geweckt, und es ist die Aufgabe der Zeit, aus dem Geiste heraus neue Impulse zu schaffen. Ware, Arbeit und Kapital sind nicht nur wirtschaftliche Begriffe, sondern haben eine tiefe Beziehung zu Imagination, Inspiration und Intuition. Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit müssen als geistige Wirklichkeiten in das soziale Leben einziehen. Die Frage der Erziehung ist zugleich eine Frage der Lehrerbildung. Der Materialismus war eine notwendige Prüfung für die Menschheit, aber jetzt gilt es, den Weg zum Geist wiederzufinden. Die Lehrerbildung muss sich neu orientieren, getragen von geisteswissenschaftlicher Erkenntnis. Nur so kann der dreigliedrige Mensch, bestehend aus Leib, Seele und Geist, in seiner Ganzheit erfasst und gefördert werden. Die menschliche Intelligenz hat im Laufe der Geschichte verschiedene Metamorphosen durchlaufen. Der Ägypter erfasste das Kosmische, der Grieche das Tote, und heute droht die Intelligenz, sich mit dem Bösen zu verbinden. Die Kräfte der Intelligenz müssen durch das Christus-Mysterium verwandelt werden, damit sie wieder dem Guten dienen. Es gilt, den Egoismus zu überwinden und den Menschen in die Gegenwart zu stellen. Die Sehnsucht, das Lebendige zu erfassen, ist groß. Der Goetheanismus ist der Kulturimpuls unseres Zeitalters, er führt zu einer differenzierten Erfassung des Menschlichen nach Osten, Westen und Mitte. Durch das Verständnis der Zeitgeschichte und der menschlichen Entwicklung wird der Weg über den Egoismus hinaus gefunden, hin zu einer wahren sozialen Gemeinschaft. 297) Der Ausgangspunkt für eine neue Erziehungskunst liegt in der Erkenntnis, dass das gegenwärtige Schulwesen zu sehr vom Staat und dessen Bedürfnissen geprägt ist. Es bedarf einer freien Geistesentwicklung, die nicht bloß im Dienst von Staat oder Wirtschaft steht. Die Pädagogik der letzten Jahrzehnte, wie zum Beispiel die Herbartsche, bleibt im Bereich des bloßen Vorstellungslebens verhaftet und verkennt die tieferen Kräfte des Menschenwesens. Eine wahre Menschenkunde muss das ganze Wesen des Menschen erfassen, das Vorgeburtliche wie das Nachtodliche, und begreifen, dass Vorstellung und Wille zwei Entwicklungszustände desselben sind. Die Waldorfschule ist keine Weltanschauungsschule, sondern sucht eine neue Methodik und Unterrichtspraxis, die aus der lebendigen Beobachtung des Menschen hervorgeht. Wahre Erziehungskunst ist Voraussetzung für eine gesunde soziale Zukunft. Die Lehrerbildung muss auf wirklicher Menschenerkenntnis beruhen. Die Entwicklung des Kindes verläuft in siebenjährigen Abschnitten, in denen jeweils andere Erziehungsprinzipien vorherrschen: Nachahmung bis zum Zahnwechsel, Autorität bis zur Geschlechtsreife, danach die Ausbildung der eigenen Urteilsfähigkeit. Im Unterricht muss das Künstlerische gepflegt werden, um die Willenskraft zu stärken. Der Intellekt soll durch die Erziehung des Willens auf das Geistige hingelenkt werden. Das Spiel ist für das Kind von elementarer Bedeutung und steht in einem lebendigen Verhältnis zur späteren Arbeit. Die Erziehung muss praktisch und lebensnah sein, nicht bloß dem Staat dienen. Sie soll Menschen hervorbringen, die praktisch im Leben stehen. Die Waldorfschule ist ein Beispiel für eine solche Erziehung. Lehrer müssen Enthusiasmus und Menschenliebe aus der Erkenntnis der menschlichen Natur schöpfen. Der Religionsunterricht muss die Konfessionen respektieren, und Kompromisse sind nötig, wenn Kinder aus anderen Schulen aufgenommen werden. Guter Wille und schöne Gedanken allein vermögen die sozialen Verhältnisse nicht zu wandeln. Es braucht eine Umwandlung der alten instinktiven Lebenskräfte in ein vollbewusstes Leben durch Geisteswissenschaft. Die Waldorfschule knüpft an die Herausforderungen des Industriezeitalters an, ohne sich von der Naturwissenschaft dominieren zu lassen. Die geisteswissenschaftliche Erkenntnis weckt die Kräfte der Imagination, Inspiration und Intuition, die dem Menschen in seiner Entwicklung innewohnen. Der Unterricht muss lebendig und konkret sein, nicht abstrakt und tot. Die Lehrerbildung verlangt eine neue Grundlage, die auf Menschenkunde basiert. Das Geistesleben ist gegenüber der sozialen Frage ohnmächtig geworden, weil es sich von Wissenschaft und Glauben getrennt hat. Die Geisteswissenschaft ruft dazu auf, die schlummernden Erkenntniskräfte zu ergreifen und das Leben in seinen Entwicklungsstufen zu verstehen: Nachahmung, Autorität, eigene Urteilskraft. Die Kräfte, die in den Lebensaltern wirken, können durch geisteswissenschaftliche Schulung in imaginative, inspirative und intuitive Erkenntnis verwandelt werden. Das soziale Wollen muss von geistiger Erkenntnis durchpulst werden. Die Pädagogik muss aus dem produktiven Erleben des Geistes heraus lebendig schaffende Kunst werden. Die Entwicklung des Kindes verlangt eine Beobachtung, die nicht an der Oberfläche stehenbleibt, sondern in die Tiefe der menschlichen Wesenheit eindringt. Die Waldorfschule ist ein Versuch, den Lehrplan aus der Beobachtung des Kindes und der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis zu entwickeln. Die Prinzipien der Nachahmung und der Autorität prägen die ersten beiden Jahrsiebte. Der Rubikon des neunten Lebensjahres ist ein entscheidender Entwicklungspunkt, an dem das Kind ein neues Ich-Erlebnis erfährt. Die pädagogisch-didaktische Kunst wird durch die Geisteswissenschaft befruchtet. Die Umwandlung der bis zum Zahnwechsel den Leib organisierenden Kräfte in Verstandeskraft ist ein zentrales Motiv. Der Unterricht muss epochenweise gestaltet werden, und das Didaktische wird durch die Geisteswissenschaft neu belebt. Ehrfurcht und Verantwortungsgefühl gegenüber dem werdenden Menschen sind unerlässlich. Auch Begriffe, die das Kind noch nicht voll versteht, wie die Unsterblichkeit der Seele, sollen in kindgemäßer Weise eingeführt werden, da sie das Leben tief beeinflussen. Die Temperamente der Kinder müssen erkannt und im Unterricht berücksichtigt werden, etwa durch den gezielten Einsatz von Farben. Ungeeignete Methoden, wie die Rückschau für Kinder, sind zu vermeiden, da sie das Verhältnis zwischen Geistig-Seelischem und Leiblich-Ätherischem stören. Die Entwicklung des Ich-Gefühls um das neunte Lebensjahr ist ein zentrales pädagogisches Thema. 297a) Im Erkennen des Menschen muss ich über das bloß Äußerliche hinausgehen, hin zu jenem Geistig-Seelischen, das aus übersinnlichen Welten stammt und durch Geburt in das irdische Dasein eintritt. Die wahre Menschenerkenntnis erwächst aus der Einsicht, dass das Kind in den ersten sieben Lebensjahren ein nachahmendes Wesen ist, das seine Umgebung tief in sich aufnimmt. Alles, was wir als Erwachsene tun, prägt sich dem Kinde ein, nicht durch Worte, sondern durch unser ganzes Wesen, durch unsere Taten und Haltungen. Daher ist es von größter Bedeutung, dass die Umgebung des kleinen Kindes durchwoben ist von Wahrheit, Schönheit und Güte. Mit dem Zahnwechsel um das siebte Jahr tritt eine neue Entwicklungsstufe ein: Die Kräfte, die zuvor den Leib gestalteten, werden nun frei und verwandeln sich in die Fähigkeit des Denkens. Nun verlangt das Kind nach Autorität, nach einer Persönlichkeit, zu der es aufschauen kann, weil es spürt, dass durch diese Autorität etwas von der geistigen Welt in das irdische Dasein hereinleuchtet. Die Erziehung muss in dieser Zeit bildhaft, künstlerisch, anschaulich sein; alles Abstrakte, alles bloß Intellektuelle schadet der gesunden Entwicklung. Die Begriffe, die das Kind aufnimmt, müssen mit ihm wachsen können, müssen lebendig bleiben, damit sie nicht später zu leeren Hüllen erstarren. Zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahr tritt das Kind in eine besondere Seelenkrise, den sogenannten Rubikon. Jetzt beginnt es, sich als Ich zu empfinden, sich innerlich von der Welt abzugrenzen. In dieser Zeit ist es besonders wichtig, dass das Kind in der Autorität des Erwachsenen einen Halt findet, dass es erleben kann, wie der Erwachsene selbst getragen ist von einer höheren Weltordnung. Die religiöse Empfindung, die im ersten Jahrsiebt noch traumhaft war, kann nun bewusst werden, wenn der Unterricht so gestaltet wird, dass das Kind durch Bilder, durch lebendige Anschauung, durch Naturbegegnung den Zugang zum Geistigen findet. Mit der Geschlechtsreife, etwa um das vierzehnte Jahr, erwacht die Fähigkeit zum abstrakten Denken. Jetzt erst kann das Kind mit Begriffen und Urteilen umgehen, jetzt kann es das aufnehmen, was als Naturwissenschaft, als Logik, als Systematik an es herangetragen wird. Bis dahin aber muss alles Wissen in Bildern, in Geschichten, in künstlerischer Gestaltung vermittelt werden. Die Erziehung ist aber nicht nur eine Angelegenheit des Einzelnen, sondern eine soziale Frage. Das Geistesleben muss frei sein, damit die Schule wirklich erziehen kann, damit Lehrer und Erzieher aus innerer Erkenntnis handeln können. Nur in einem sozialen Organismus, in dem Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben herrschen, kann wahre Erziehung gedeihen. Die Waldorfschule ist ein Versuch, diese Prinzipien in die Praxis zu bringen, indem sie nicht auf ein abstraktes Programm, sondern auf lebendige Menschenerkenntnis gegründet ist. Das Kind verlangt nach Sinn, nach einer Welt, in der es das Geistige erleben kann. Die Aufgabe der Erziehung ist es, diesen Sinn zu vermitteln, das Kind zu begleiten auf seinem Weg vom Nachahmen über das Aufschauen zur Autorität bis hin zur Selbständigkeit des Urteils. In allem, was wir tun, muss Ehrfurcht vor dem werdenden Menschen walten, denn in jedem Kinde steigt aus geistigen Welten eine Individualität herab, die wir pflegen, fördern und in Freiheit entlassen sollen. 298) Das Kind tritt in die Schule ein als ein Wesen, das noch ganz im Nachahmungstrieb wurzelt, das sich aus der Umgebung heraus formt, indem es das nachbildet, was es erlebt. Nun aber beginnt mit dem Schuleintritt eine neue Lebensphase: Das Kind öffnet sich für das, was aus der natürlichen Autorität des Lehrers kommt. Diese Autorität ist nicht etwas Äußerliches, sondern sie lebt aus der Überzeugung, dass der Erwachsene etwas in sich trägt, das im Kinde selbst zur Entfaltung kommen soll. Die Aufgabe des Erziehers ist es, diese Wandlung vom Nachahmen zum Anerkennen der Autorität fein zu erspüren und in seinem pädagogischen Handeln stets lebendig zu berücksichtigen. Die Erziehung darf nicht aus abstrakten Normen oder toten Lehrplänen hervorgehen, sondern sie muss aus einer lebendigen Erkenntnis des werdenden Menschen schöpfen. Jede Unterrichtsgestaltung, jede Begegnung mit dem Kinde muss aus dem unmittelbaren Erfassen seiner Entwicklungsstufe geboren werden. Die Kraft, die aus dieser echten Menschenerkenntnis entspringt, wirkt so stark, dass sie auch in großen Klassen die individuelle Anteilnahme der Kinder erweckt. Es ist nicht das starre, individuelle Bearbeiten, das zum Ziel führt, sondern das lebendige Miterleben, das aus dem gemeinsamen Streben nach Erkenntnis erwächst. Die Entwicklung des Kindes verläuft in bedeutsamen Abschnitten. Um das neunte Lebensjahr vollendet sich eine innere Wandlung: Das Ich-Gefühl tritt hervor, das Kind beginnt, die Beziehungen der Dinge zueinander zu erfassen, nicht mehr nur ihre Beziehung zum Menschen. Wer als Lehrer diesen Wandel erkennt, wird den Unterricht darauf abstimmen und das Kind so führen, dass es in jedem Lebensabschnitt das empfängt, was seiner Entwicklung entspricht. Wird gegen diese Entwicklungsrichtungen gearbeitet, so schwächt man das Kind auf seinem Lebensweg; arbeitet man mit ihnen, so stärkt man es für das ganze Leben. Die Waldorfschule ist gegründet aus dem Geist der Zeit, aus den sozialen Aufgaben, die die Gegenwart stellt. Sie will nicht Kinder für eine bestimmte Gesellschaftsschicht erziehen, sondern Menschen, die in der Lage sind, sich in die Anforderungen des modernen Lebens zu stellen, gleichgültig, aus welchem Hintergrund sie kommen. Die Erziehung muss auf Können, auf Willensbildung, auf die Pflege des gesunden Gemüts zielen, nicht auf bloßes Wissen oder einseitige Intellektualität. Aber auch der Wille kann nicht ohne Einsicht erzogen werden; es ist die lebendige Erkenntnis, die den Willen befeuert. Die Aufgabe des Lehrers ist es, in jedem Moment aus der Erkenntnis des ganzen Menschen zu handeln. Der Lehrplan, die Unterrichtsinhalte, alles muss aus dieser lebendigen Menschenerkenntnis hervorgehen. So wird das Kind in seiner Entwicklung gestärkt, so wächst es heran zu einem Menschen, der mit Tatkraft und innerem Halt in der Welt stehen kann. 299) Die Sprache offenbart sich als lebendiger Ausdruck des Seelenlebens und der Volksseele. In älteren Zeiten ist das Verhältnis des Menschen zur Sprache ein unmittelbares, schöpferisches: Die Kräfte der Seele und des Leibes wirken noch gestaltend in den Sprachfluss hinein. Die deutsche Sprache zeigt, wie sich durch die Jahrhunderte das Empfindungsleben und der Sprachgeist verändern. Neue Wörter entstehen, weil die innere Beweglichkeit und Bildsamkeit noch vorhanden sind, wie es etwa in der Goethezeit sichtbar wird; Begriffe wie „Bildung“ oder „Weltanschauung“ sind damals erst geprägt worden. Doch mit den späteren Einströmungen aus dem Süden, mit dem Einfluss des Christentums, der romanischen Sprachen, später auch aus England, nimmt die Fähigkeit der deutschen Sprache zur inneren Umbildung ab. Die Sprache wird starrer, das gefühlte, lebendige Element weicht dem Sinnhaften, dem Abstrakten. Das sprachliche Leben ist organisch zu betrachten. Das Seelische drückt sich im Sprachlichen aus, doch die bewusste Sprachbildungskraft nimmt ab. Dialekte bewahren noch etwas von der ursprünglichen Sprachkraft, während die Hochsprache zunehmend ein unbewusstes Willenselement wird. Die Worte verändern ihre Bedeutung, die Sprache löst sich vom Konkreten und tritt ins Abstrakte hinaus. Die Sprachentwicklung ist ein Spiegel der seelischen Entwicklung: Anfangs lehnt sich der Mensch mit seiner Empfindung ganz an den Laut an, bildet die äußeren Vorgänge konsonantisch nach, Empfindungen vokalisch. Später wird das Bewusstsein vom Laut abgezogen und sucht den Gedanken im Wort zu fassen. Die europäischen Sprachen stehen in innerem Zusammenhang, sie durchlaufen Metamorphosen, in denen die Umbildung nicht mehr durch äußere Anpassung, sondern durch die selbständige Leistung des Volksseelischen geschieht. Besonders im Hochdeutschen entwickelt sich die Fähigkeit, reine Begriffe zu bilden und sich in ihnen zu bewegen. Die Sprache wird zum Ausdruck innerer geistiger Prozesse. Die Sprachgeschichte zeigt, wie sich die Volksseelen entwickeln. In frühen Zeiten ist das Sprechen ein unterbewusster Vorgang, das Bewusstsein sucht den Gedanken zu erfassen. Später wird mit den Worten das durchgemacht, was früher mit Lauten und Silben geschah. Die Sprache ist ursprünglich eng mit dem subjektiven Erleben verbunden, Lautbestand und Wortbestand sind eins, dann trennen sie sich: Der Lautbestand sinkt ins Unbewusste, der Vorstellungsbestand tritt ins Bewusstsein. Das abstrakte Denkvermögen bildet sich heraus. Die materialistische Sprachwissenschaft verkennt diese lebendige Verwandlung der Gefühlswelt. Wer die Sprache wirklich verstehen will, muss die Metamorphosen des Sprachlebens und die Wandlungen der Empfindung studieren. Die sprachliche Gebärde entsteht durch Nachahmung äußerer Tatbestände, wird mit dem Luftorganismus gebildet und immer mehr verinnerlicht. Das Ich und Du, einst im Wort verborgen, treten im Lateinischen offen hervor – der Sprachgenius kommt zur Selbstschau. Die Sprache wird zum Zusammenfluss von Gedanken- und Willenselement im Menschen. In den Dialekten wird noch gedacht im Lautentwickeln, im Hochdeutschen spricht der Wille, das Denken läuft parallel zur Lautentwicklung. Für die Erziehung und den Unterricht ergibt sich daraus: Die Sprache ist nicht bloß ein Mittel zur Mitteilung, sondern ein lebendiges Organ, das mit dem ganzen Menschen verbunden ist. Nur wer diese Entwicklung durchschaut, kann im Unterricht die Sprache so pflegen, dass sie die seelisch-geistigen Kräfte des Kindes gesund anregt und bildet. 300a) Das Kind, das mir anvertraut ist, bringe ich in seiner Entwicklung zur vollen Menschlichkeit, indem ich mich immer wieder frage, wie ich aus der lebendigen Beobachtung seiner Individualität heraus das rechte Maß von Führung, Freiheit und Anregung finde. Ich achte darauf, dass Unterricht und Erziehung nicht bloß nach äußeren Lehrplänen oder staatlichen Vorgaben verlaufen, sondern dass sie aus dem Geistigen heraus gestaltet werden, aus dem Verständnis für die Entwicklungsstufen des Kindes. Die Schule ist ein lebendiger Organismus, der sich immer wieder neu anpassen muss an die Bedürfnisse der Kinder und der Zeit, an die sozialen und geistigen Herausforderungen. Im Kollegium der Lehrerinnen und Lehrer pflege ich das gemeinsame Gespräch, das Ringen um die rechte Methode, um das rechte Verhältnis zu den Kindern, zu den Eltern, zur Gesellschaft. Immer wieder stelle ich die Frage nach dem Sinn und Ziel des Unterrichts, nach der inneren Haltung, die ich als Erziehender einnehmen muss. Ich ringe um die rechte Balance zwischen Autorität und Liebe, zwischen Strenge und Verständnis, zwischen Individualität und Gemeinschaft. Die Waldorfschule ist nicht bloß eine neue Methode, sondern eine neue Art, Schule als sozialen Organismus zu begreifen, in dem jeder Lehrer, jedes Kind, jede Familie einen eigenen Platz hat und zugleich Teil eines Ganzen ist. Ich gehe davon aus, dass die Seele des Kindes sich in bestimmten Rhythmen und Stufen entfaltet, dass die Kunst, die Religion, die Wissenschaft in lebendiger Weise zusammenwirken müssen, damit das Kind seine ganze Menschlichkeit entfalten kann. Ich achte darauf, dass der Unterricht künstlerisch gestaltet ist, dass das Denken, das Fühlen, das Wollen gleichermaßen angesprochen werden. Immer wieder kehre ich zurück zur Frage, wie ich als Lehrer mich innerlich vorbereiten muss, wie ich mich selbst bilde, wie ich durch Meditation und Selbsterkenntnis die Kraft gewinne, den Kindern wirklich gerecht zu werden. Ich weiß, dass die äußeren Probleme – sei es im Umgang mit schwierigen Kindern, mit Behörden, mit gesellschaftlichen Anfeindungen – nur dann zu lösen sind, wenn ich aus einer inneren Sicherheit, aus einer Verbindung mit dem Geistigen heraus handle. So gestalte ich die Schule als einen Ort, an dem das Leben in seiner ganzen Fülle und Tiefe ergriffen werden kann, an dem die Kinder zu freien, verantwortlichen Menschen heranwachsen, die die Welt mitgestalten können. Ich weiß, dass dies ein immerwährender Prozess ist, der ständiger Erneuerung und Hingabe bedarf. 300b) Die Waldorfschule entsteht aus dem Geist der Zeit, aus den sozialen Aufgaben der Gegenwart und Zukunft. Die Erziehung muss so gestaltet werden, dass sie den Anforderungen des modernen Lebens entspricht, unabhängig von Herkunft oder Stand der Kinder. Es gilt, die Kinder zu Menschen zu erziehen, die für die Gemeinschaft arbeitsfähig und für sich selbst lebensfähig sind. Nicht ein lebensfremder Idealismus, sondern ein Idealismus, der die Kräfte und Fähigkeiten des Menschen für das Leben weckt, ist notwendig. Die Pädagogik muss auf einer lebendigen Erkenntnis des ganzen Menschen beruhen, nicht auf abstrakten Normen. Es genügt nicht, Wissen zu vermitteln; es geht um die Ausbildung des Könnens, um die Ertüchtigung des Willens, um das gesunde Gemüt. Einsicht und Wille gehören zusammen. Wer glaubt, den Willen ohne Einsicht bilden zu können, täuscht sich. Die Schule baut auf die im Lehrer lebendige Einsicht in das Wesen des Menschen. Der Lehrplan ist nicht starr, sondern ergibt sich aus der Erkenntnis der Entwicklungsstufen des Kindes. Das Kind kommt in einem Lebensabschnitt in die Schule, in dem sein Seelenleben sich wandelt: Bis zum siebten Jahr lebt es im Nachahmungstrieb, danach öffnet es sich für das, was ihm durch eine natürliche Autorität des Lehrers vermittelt wird. Diese Autorität ist nicht äußerlich, sondern wird vom Kind aus einem dunklen Gefühl heraus anerkannt, weil es spürt, dass im Lehrer etwas lebt, das auch in ihm leben soll. Die Kunst des Erziehens erfordert Sinn für die feinsten Lebensäußerungen des Menschen. Was der Lehrer tut, muss in jedem Augenblick aus lebendiger Menschenkenntnis neu geboren werden. Große Klassen sind kein Hindernis, wenn der Lehrer von echter Menschenkenntnis erfüllt ist und das Mitleben der Schüler weckt. Entscheidend ist nicht das individuelle Bearbeiten, sondern das gemeinsame Erleben und Miterleben, das die Selbstbetätigung der Kinder fördert. Um das neunte Lebensjahr herum vollzieht sich eine weitere Wandlung: Das Ich-Gefühl des Kindes verändert sich, es kann nun die Beziehungen der Dinge zueinander erfassen, nicht mehr nur deren Beziehung zum Menschen. Solche Entwicklungsstufen sind für die Unterrichtsgestaltung entscheidend. Wer den Lehrstoff und die Unterrichtsweise an der jeweiligen Entwicklungsstufe ausrichtet, stärkt den Menschen für das ganze Leben. Wer dagegen arbeitet, schwächt ihn. Die Erkenntnis der Lebensabschnitte bildet die Grundlage für einen sachgemäßen Lehrplan und für die Behandlung des Unterrichtsstoffes. Die Erziehung soll so gestaltet sein, dass sie in jedem Lebensalter das Richtige gibt und dadurch die Kräfte des Menschen für das Leben entfaltet. 300c) Die heutige Pädagogik ist reich an Grundsätzen und Idealen, doch bleibt eine tiefe Unzufriedenheit bestehen, weil diese Prinzipien im Alltag oft nicht lebendig werden. Die Ursache dafür liegt nicht im Mangel an guten Ideen oder am guten Willen der Lehrenden, sondern an einer fehlenden Erkenntnis des eigentlichen Wesens des Menschen. Die Erziehungswissenschaft der Gegenwart sucht nach festen Gesetzen, die sich auf alle Fälle anwenden lassen, doch das Seelische des Menschen entzieht sich solchen abstrakten Regeln. Um das Kind wirklich zu verstehen, bedarf es einer künstlerischen, lebendigen Erkenntnis, die den individuellen Menschen in seiner Entwicklung erfasst. Die kindliche Entwicklung gliedert sich in deutlich unterscheidbare Lebensabschnitte. Bis zum Zahnwechsel lebt das Kind im Trieb der Nachahmung; alles, was es sieht und hört, regt es zum Mitmachen an. Nach dem Zahnwechsel tritt der Drang auf, sich an einer Autorität zu orientieren, das heißt, das Kind nimmt mit Bewusstheit auf, was der Erwachsene als richtig vorlebt. Der Nachahmungstrieb bleibt noch bis zum neunten Lebensjahr bestehen, doch zunehmend wird das eigene Handeln durch das Vorbild der Autorität geprägt. Wer diese Entwicklungsstufen erkennt, kann Lehrplan und Unterrichtsmethoden aus der Natur des Kindes heraus gestalten. So muss etwa der Schreibunterricht in den ersten Schuljahren nicht von der Intellektualität ausgehen, sondern aus dem Zeichnen entwickelt werden, das dem Nachahmungstrieb entspricht. Nur ein solcher, aus der Entwicklung des Kindes gewonnener Lehrplan stärkt die menschlichen Kräfte. Die Aufgabe des Lehrers ist es, nicht abstrakte Gesetze auf das Kind anzuwenden, sondern mit innerer Beweglichkeit und künstlerischer Beobachtungskraft das individuelle Kind zu erfassen. Diese Fähigkeit erwächst aus einer echten Selbsterziehung und Geisteswissenschaft, die den Menschen nicht nur als Naturwesen, sondern als geistiges Wesen erkennt. In dieser Haltung wirkt der Lehrer auf die ganze Klasse, nicht durch äußeren Zwang, sondern durch die Kraft seiner Persönlichkeit und seines inneren Verständnisses. Die Waldorfschule will nicht nur pädagogisch, sondern auch sozial wirken. Sie sucht nach einer Erziehung, die den individuellen Menschen in seiner Entwicklung ernst nimmt und ihn zugleich in den sozialen Zusammenhang stellt. Das Ziel ist eine Schule, die aus der Erkenntnis des Menschen lebt und dadurch dem Einzelnen wie der Gemeinschaft dient. 301) Die Erziehungswissenschaft des 19. Jahrhunderts hat trotz ihrer vorzüglichen Grundsätze nicht vermocht, die chaotischen sozialen Verhältnisse zu bessern. Es ist notwendig, die Erziehungswissenschaft in eine lebendige Erziehungskunst zu verwandeln, die den ganzen Menschen erfasst. Der Mensch besteht aus Leib, Seele und Geist, und diese Wesensglieder entfalten sich in verschiedenen Lebensphasen. Die Zahnbildung im ersten Jahrsiebt und die Sprachentwicklung im zweiten sind Ausdruck der Arbeit des Seelisch-Geistigen am Leiblichen. Die Kräfte, die in der Kindheit wirken, verwandeln sich im Laufe des Lebens, und der Zusammenhang von Vorstellung und Wille zeigt sich in diesen leiblichen Prozessen. Die gewöhnliche Wissenschaft betrachtet den Menschen äußerlich, während die Geisteswissenschaft die innere Dreigliederung des Menschen – Nerven-Sinnes-Mensch, rhythmischer Mensch, Stoffwechselmensch – mit dem Seelenleben verbindet: Denken, Fühlen, Wollen. Sympathie und Antipathie durchdringen das Seelenleben, und die drei Glieder des Geistigen – Wachen, Träumen, Schlafen – bestimmen das Verhältnis zum Ich. Der Schlaf ist für das Ich-Gefühl von grundlegender Bedeutung. Die Pädagogik muss auf bewusster Menschenkenntnis beruhen, nicht auf bloßem Instinkt. Das Geistig-Seelische wirkt gestaltend auf das Leibliche, wie sich etwa in der Bildung des Herzens oder der Milz zeigt. Die Prinzipien der Erziehung im ersten Jahrsiebt sind Nachahmung, im zweiten Jahrsiebt Autorität. Die Entwicklung des Kindes verlangt vom Erzieher ein tiefes Verständnis der Metamorphosen der Lebenskräfte. Die Aufgabe des Erziehers ist es, den zukünftigen Seeleninhalt des Kindes zu gestalten. Der abstrahierende Verstand muss durch lebendige Begriffe aktiviert werden. Die Entwicklung des Menschen verläuft nicht mehr parallel zur Stammesentwicklung, wie es das biogenetische Grundgesetz behauptet. Die geistig-seelischen Rudimente in den Alterserlebnissen werden heute oft verschlafen. Das innere Geistesleben, das durch die Leibesentwicklung geweckt wird, stirbt in der heutigen Zeit um das 28. Lebensjahr ab. Der Lehrplan muss aus lebendiger Menschenerkenntnis hervorgehen. Die Entwicklung des Intellektes geschieht durch Geschicklichkeit und Handfertigkeit. Die Phantasie des Kindes ist zu pflegen, das Märchenerzählen ist von großer Bedeutung. Auch in großen Klassen ist Individualisierung möglich, wenn der Lehrer richtig wirkt. Um das neunte Lebensjahr verändert sich die Physiognomie des Kindes, und der Lehrer wächst mit seiner Klasse zusammen. Der Unterricht in Eurythmie, Musik, Zeichnen und Sprache muss vom Künstlerischen ausgehen. Die Willensinitiative wird durch Eurythmie gestärkt. Das kindliche Zeichnen ist Ausdruck des inneren Erlebens. Der Sprachunterricht muss das Gefühlserlebnis mit der Sprache verbinden, besonders im Dialekt. Die Einführung der Grammatik dient der Bewusstwerdung. Die Stärkung der Willensinitiative bleibt eine zentrale Aufgabe. Die moralische und religiöse Erziehung verlangt Abwechslung von Humor und Ernst. Der Intellekt ist mitgebracht, der Wille muss ausgebildet werden. Die meditative Vorbereitung des Lehrers ist notwendig. Das persönliche Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler bildet die Grundlage für die Gemüts- und Willensbildung. Willensschwäche kann durch die Anschauungen der Eltern verursacht sein. Im naturkundlichen Unterricht nach dem neunten Lebensjahr ist die Unterscheidung von Welt und Ich entscheidend. Die Tierwelt ist als ausgebreiteter Mensch zu betrachten, die Pflanzenwelt im Zusammenhang mit dem Jahreslauf der Erde. Der Dialekt hat für das kindliche Spracherleben große Bedeutung, das Fühlen und Wollen bilden seine Grundlage, das Vorstellen die der Schriftsprache. Das musikalische und plastische Element der Sprache ist zu pflegen. Im Unterricht ist das Analysieren aufweckend, das Synthetisieren einschläfernd. Der Unterrichtsstoff dient als Erziehungsmittel. Die Entwicklung der Sprache wird sich von der Phrasenhaftigkeit zum Durchgeistigten wandeln. Das rhythmische Element ist für die Urteilskraft entscheidend. Der Verlust des Rhythmusgefühls hat das Erziehungsleben beeinträchtigt. Das Melodiöse ist das eigentlich Musikalische, es prägt auch die Sprache. Der Geschichtsunterricht muss an das Gegenwärtige anknüpfen und Epochen als Ganzes darstellen. Die Entwicklung universeller Vorstellungen, der Menschenwürde und des Willenslebens sind die Leitlinien der Epochen. Die äußeren Ereignisse sind Zeugnisse innerer Vorgänge. Die Geographie schließt sich an die Geschichte an, der Religionsunterricht ist frei von konfessionellen Bindungen. Das kindliche Spiel ist im ersten Jahrsiebt Ausdruck der individuellen Gestaltungskraft, im zweiten Jahrsiebt Vorbereitung auf das selbständige Urteil. Der Geometrieunterricht muss lebendige Begriffe bilden, das Raumgefühl durch Bewegung und Anschauung entwickeln. Das kindliche Zeichnen ist ein Erzählen in Bildern. Die Bruchrechnung und der Anschauungsunterricht müssen auf das praktische Leben bezogen werden. Die Nervosität der Kinder ist Folge einer einseitigen Erziehung. Die Weisheitszähne sind ein Rest leibgebundener Vorstellungskraft. Die richtige Erziehung aktiviert Intellekt und Willen gegenseitig. Die Frage nach dem Guten im Menschen verlangt die Erhaltung des von Natur aus guten Wesens durch innere Aktivität. Erziehen heißt heilen. 302) Alles, was im Unterricht gegeben wird, muss so gestaltet sein, dass es im Kinde nicht bloß als totes Wissen zurückbleibt, sondern mit seinem ganzen Wesen mitwächst. Nicht fertige Vorstellungen, sondern solche, die lebendig bleiben, die sich verwandeln können, müssen vermittelt werden. Das Erinnern ist keine bloße Wiederholung des Gelernten, sondern ein inneres Umgestalten, das durch Gefühle, Humor, Erwartung, durch das ganze seelische Leben unterstützt wird. So wird das Erlernte zum bleibenden Besitz, indem es mit der Entwicklung des Kindes mitgeht und immer wieder neu erlebt werden kann. Das Denken, das Urteilen, das Schließen stehen in einem tiefen Zusammenhang mit dem ganzen Menschen, mit Kopf, Armen, Beinen, Füßen, mit den Wesensgliedern Ätherleib, Astralleib und Ich. Der Kopf ist mehr auf das Vergangene, das Vererbte gerichtet, die Gliedmaßen auf das Zukünftige, das zu Erarbeitende. Der Unterricht muss diesen Zusammenhang beachten, muss das Geistige und das Körperliche zusammenführen. Die Kinder sind verschieden: Es gibt „kosmische“ und „irdische“ Kinder, und auch darauf ist im Unterricht, besonders im Geschichtsunterricht, Rücksicht zu nehmen. Der Lehrer muss sich vorbereiten, nicht nur im Stofflichen, sondern im ganzen inneren Erleben. Der Unterricht muss dem kindlichen Leben angepasst werden, muss auf das Wachen und Schlafen wirken, auf die verschiedenen Wesensglieder. Eurythmie, Musik, Physik, Geschichte – alles muss so abgestimmt werden, dass die Fächer einander ergänzen und im Kind keine Einseitigkeit entsteht. Die Unterrichtsstunden müssen sich nach dem dreigliedrigen Menschen gestalten. Geschicklichkeitsarbeiten fördern die Urteilsfähigkeit, räumliche Anschauung im Geographieunterricht und das Zeitliche in der Geschichte müssen berücksichtigt werden. Wer das schlafende Leben des Kindes nicht beachtet, erzieht Automaten. Die Schule ist ein Organismus. Das Leiblich-Physische und das Seelisch-Geistige stehen in ständiger Wechselwirkung. Körperliche Tätigkeit und vorstellende Tätigkeit müssen im Gleichgewicht stehen. Schreiben, Lesen, Erzählenhören beanspruchen das Leibliche besonders. Salzablagerungen im Organismus, Interesse und Langeweile wirken bis ins Physische hinein. Durch Eurythmie und Singen wird das Geistige in den Gliedmaßen erlöst. Phantasievolle und phantasiearme Kinder müssen verschieden angesprochen werden. Erziehung ist ein Eingreifen in die Freiheit des Menschen. Das Auswendiglernen darf nicht mechanisch sein. Handarbeitsunterricht hat eine tiefe Bedeutung. Mit dem Umschwung im 14., 15. Lebensjahr ringt der junge Mensch um ein Verhältnis zum Physischen. Die Wesensglieder differenzieren sich bei Knaben und Mädchen verschieden aus, auch äußerlich. Erotik, Schönheitsempfindung, religiös-moralische Empfindungen treten hervor. Knaben und Mädchen müssen im Pubertätsalter differenziert angesprochen werden. Schamgefühl, Humor, Ideale, Vorbilder – all das will in rechter Weise gepflegt werden. Der Unterricht soll zum Erfassen des Lebens hinführen. Die Erziehung der Kinder im Reifealter verlangt eine tiefere Begründung, ein echtes Weltverständnis des Lehrers. Die pädagogischen Zeitströmungen müssen verstanden werden. Interesse für die Strömungen der Gegenwart ist Voraussetzung, um die Jugend zu erreichen. Die Jugendbewegung ist Ausdruck eines neuen Lebensgefühls. Die Griechen verstanden die verschiedenen Lebensalter. Die Naturwissenschaft versagt, wenn es darum geht, ein echtes Menschen- und Weltbild zu geben. Das ist der Grund, warum wir oft nicht an die Jungen herankommen. Die vier Elemente der Griechen zeigen einen anderen Zugang zur Welt. Das Verhältnis der Menschen verschiedener Lebensalter ist entscheidend. Werden die Feinheiten nicht beachtet, entstehen Klüfte zwischen den Menschen. Das Lebendige in Pflanze, Tier, Mensch und Kosmos muss erkannt werden. Die geisteswissenschaftliche Durchdringung des Gefühls- und Empfindungslebens ist die Brücke zum Verständnis der Vierzehn-, Fünfzehnjährigen. Im 14., 15. Lebensjahr erwacht die Hinneigung zum Idealen. Die Autorität muss jetzt selbstgewählt werden. Die Urteilsbildung reift heran. Die Bedeutung des Eiweißes für das Leben wird erkannt. Die moderne Wissenschaft und das Hochschulwesen stehen vor neuen Aufgaben. Die Nachahmung des Kindes ist eine Fortsetzung der vorgeburtlichen Tätigkeit. Der Sinn für das Wahre entwickelt sich. Das 9. Lebensjahr ist ein entscheidender Wendepunkt. Der Schönheitssinn muss gepflegt werden. Liebe und Pflicht verbinden sich. Das Verhältnis zur Autorität wandelt sich. So wird der Weg zur Freiheit vorbereitet. 302a) Das gegenwärtige Zeitalter verlangt vom Lehrer, sich nicht nur als Wissensvermittler, sondern als innerlich entwickelnder Mensch zu begreifen. Die Aufgabe der Erziehung besteht darin, die nächste Generation für die künftigen Aufgaben der Menschheit vorzubereiten. Die gegenwärtige Misere der Zivilisation wurzelt darin, dass die Erziehung sich zu sehr von westlichen Denk- und Empfindungsarten bestimmen ließ, wodurch ein lebendiger geistiger Impuls verloren ging. Es gilt, die Pädagogik aus einer vertieften Menschenkunde heraus neu zu gestalten, sodass der Lehrer in sich selbst das Gefühl des eigenen Werdens durch die verschiedenen Klassenstufen erlebt und so zum lebendigen Vorbild für die Schüler wird. Die Entwicklung des Kindes vollzieht sich in Stufen, die durch markante Veränderungen wie den Zahnwechsel, den Stimmwechsel und die Geschlechtsreife gekennzeichnet sind. In diesen Entwicklungsphasen wirken plastisch-architektonische und sprachlich-musikalische Kräfte zusammen, die sich in der Gestaltung des Menschen ausdrücken. Die pädagogische Kunst muss Ehrfurcht und Enthusiasmus als Grundgebärden pflegen, denn sie sind die Kräfte, die das Kind in seinem innersten Wesen ergreifen und formen. Die Musik wirkt gestaltend auf den Seelenorganismus, nicht nur für das irdische Leben, sondern auch für das nachtodliche Dasein. Die Eurythmie offenbart das Wesenhafte der Sprache und des Tönens, indem sie das Unsichtbare sichtbar macht und das Seelische in Bewegung bringt. Wahre Pädagogik ist keine Wissenschaft, sondern eine Kunst, die sich auf die lebendige Erkenntnis des Menschen gründet. Das Nervensystem kann nicht einfach in sensible und motorische Nerven aufgeteilt werden; vielmehr sind Wahrnehmen, Verstehen und innerliches Verarbeiten als Tätigkeiten des Sinnes-, Rhythmus- und Stoffwechselsystems aufzufassen. Das Musikalische durchdringt das ganze menschliche Wesen und steht in einem tiefen Zusammenhang mit dem Sprechen und dem Farberleben. Meditation ist ein Weg, das eigene Erleben zu vertiefen und die innere Haltung zu stärken. Mit dem Zahnwechsel wird der Ätherleib geboren, die Intelligenz wird frei vom physischen Leib; mit der Geschlechtsreife tritt der Astralleib hervor. Die künstlerische Erziehung muss diesen Prozessen Rechnung tragen und das Ich in die menschliche Organisation eingliedern helfen. Der Unterricht in Musik, Sprache, Geschichte und Zeichnen hat die Aufgabe, das Ineinanderspielen kosmisch-plastischer und kosmisch-musikalischer Kräfte zu fördern. Im Kopf des Menschen wirken vor- und nachgeburtliche Kräfte, die es zu erkennen und zu berücksichtigen gilt. Im Jugendalter, besonders in der 9. und 10. Klasse, vollzieht sich der Übergang von der bloßen Kenntnis zur Erkenntnis. Das Interesse an der Außenwelt muss geweckt werden, denn wo es fehlt, treten Machtstreben oder erotische Verwirrung auf. Der Unterricht soll bildhaft sein, nicht abstrakt, und der Lehrer muss vermeiden, sich bloßzustellen. Skeptizismus und Pessimismus wirken zermürbend auf die Jugend. Die rechte Haltung zur Erotik und zur Autorität des Lehrers ist wesentlich für die gesunde Entwicklung. Die Grundempfindung des Lehrers ist Ehrfurcht vor der Individualität des Kindes. Hemmnisse im physischen und ätherischen Organismus müssen erkannt und überwunden werden, damit das Kind nicht ermüdet. Bildhaftigkeit ist das methodische Prinzip, das auch moralisch-charakterologisch wirkt. Ein künstlerischer Sinn ist notwendig, selbst im Umgang mit der Wandtafel. Die Temperamente und das Karma der Kinder sind zu berücksichtigen, und das rechte Verhältnis von Autorität und Freiheit muss gefunden werden. Der Lehrerberuf verlangt heute, dass der Erzieher zum vergeistigten Gymnasten, durchseelten Rhetor und lebendig gewordenen Geistigen werde. Die heutige Wissenschaft genügt nicht mehr, es bedarf einer lebendigen Didaktik und Methodik, die Langeweile im Unterricht vermeidet und das Interesse der Schüler wachhält. Der Enthusiasmus des Lehrers darf nicht künstlich sein, sondern muss aus der Beziehung zur Sache erwachsen. Erziehung und Heilen gehören zusammen; die Entfaltung der Kräfte des Bewegens, Verdauens, der Rhythmik und der Nerven-Sinnestätigkeit sind Grundlage für die Therapie und die gesunde Entwicklung des Kindes. Das Spannungsfeld von Wahrheit und Pflicht, von zeitgemäßem Verhalten und dem Leben in der Wahrheit, fordert vom Lehrer eine ständige innere Auseinandersetzung. Die Liebe zum Lehrer spielt in der Lebensmitte eine entscheidende Rolle. Die Erziehungskraft ist eine Metamorphose der Arztkraft; sie wirkt heilend, wenn sie aus wahrer Erkenntnis und Verantwortungsgefühl hervorgeht. 303) Das Menschenwesen entfaltet sich in drei Gliedern: dem Leiblichen, dem Seelischen und dem Geistigen. Die gesunde Entwicklung des Menschen verlangt, dass diese drei Glieder in ihrer Eigenart erkannt und in ihrer Wechselwirkung verstanden werden. Die Erziehung muss sich an der wahren Erkenntnis des Menschen orientieren, nicht an abstrakten Prinzipien oder bloßen Traditionen. Aus der lebendigen Anschauung des Kindes, wie es sich in den verschiedenen Lebensaltern offenbart, ergeben sich die Aufgaben der Pädagogik. Im ersten Lebensjahrsiebt, bis etwa zum siebten Lebensjahr, ist das Kind ganz Nachahmung. Alles, was es erlebt, prägt sich tief in sein Wesen ein. Daher ist es entscheidend, dass die Umgebung des Kindes durchdrungen ist von Wahrhaftigkeit, Schönheit und Güte. Nicht Ermahnungen, sondern das Vorbild wirkt erziehend. Die Kräfte, die im Kind wirken, sind noch ganz leiblich gebunden; aus ihnen formt sich der Leib, und jede Erziehungstat wirkt bis in die Gesundheit des späteren Lebens hinein. Mit dem Zahnwechsel, um das siebte Lebensjahr, tritt das Kind in eine neue Lebensphase. Jetzt erwacht das Bedürfnis nach Autorität, nach dem Menschen, zu dem es aufblicken kann. Die Seele öffnet sich für das bildhafte, künstlerische Element. Der Unterricht muss sich jetzt in Bildern, in Geschichten, in rhythmischen und musikalischen Formen vollziehen. Das Kind lebt in Bildern, nicht in abstrakten Begriffen. Alles Wissen, das ihm vermittelt wird, muss durch das Bild, durch das Erlebnis, durch die Kunst gehen. Die Lehrkraft wird zum Künstler, der durch seine eigene Begeisterung und sein lebendiges Gestalten das Kind führt. Im dritten Lebensjahrsiebt, ab etwa dem vierzehnten Jahr, erwacht das selbständige Urteilen. Jetzt verlangt die jugendliche Seele nach Wahrheit, nach Klarheit, nach dem Durchdringen der Welt mit dem eigenen Denken. Jetzt kann das Abstrakte, das Gesetzmäßige, das Wissenschaftliche eingeführt werden, aber immer so, dass es aus dem Erleben, aus dem eigenen Forschen herauswächst. Die Erziehung muss jetzt die Freiheit vorbereiten, das eigene moralische Urteil, die Selbständigkeit. Die Gesundheit des Kindes ist nicht nur eine Frage des Leibes, sondern hängt aufs engste mit der seelisch-geistigen Entwicklung zusammen. Jede Einseitigkeit, jede Überforderung, jede Unterdrückung der natürlichen Entwicklungskräfte wirkt sich auf den gesamten Organismus aus. Es gilt, die Lebenskräfte zu pflegen, die rhythmischen Prozesse zu achten, die Verbindung von Bewegung, Atmung, Ernährung und seelischem Erleben zu verstehen. Krankheit und Gesundheit sind nicht zufällig, sondern Ergebnis der Erziehung und Lebensführung. Die Waldorfschule ist aus diesen Erkenntnissen hervorgegangen. Sie will einen Unterricht geben, der das ganze Menschenwesen anspricht, der das Künstlerische, das Handwerkliche, das Wissenschaftliche, das Religiöse miteinander verbindet. Die Lehrkraft begleitet die Kinder durch mehrere Jahre, um die Entwicklung wirklich zu durchdringen. Der Unterricht folgt dem Rhythmus des Lebens, dem Wechsel von Anspannung und Entspannung, von Tätigkeit und Ruhe. Die Schule ist Lebensgemeinschaft, in der das Kind in seiner Individualität geachtet und zugleich in die Gemeinschaft hineingeführt wird. Die ästhetische Erziehung ist von besonderer Bedeutung. Sie führt das Kind zur Empfindung für das Schöne, für das Maß, für die Harmonie. Sie bildet die Seele, macht sie empfänglich für das Gute und Wahre. Die körperliche Erziehung pflegt nicht bloß die Muskeln, sondern das ganze leibliche Gleichgewicht, die Beweglichkeit, die Lebenskräfte. Die ethische und religiöse Erziehung wurzelt im Erleben des Guten, im Staunen vor dem Geheimnis des Daseins, in der Ehrfurcht vor dem Menschen und der Welt. Die anthroposophische Pädagogik will nicht ein System sein, sondern eine lebendige Kunst, die aus der Erkenntnis des Menschen schöpft. Sie will dem Kind helfen, seine Anlagen zu entfalten, seine Gesundheit zu bewahren, seine Freiheit vorzubereiten. Sie will Erziehung aus dem Geiste der Zeit, aus dem Geiste der Menschheit, aus dem Geiste des werdenden Menschenwesens. 304) Die Menschheit steht heute vor der Aufgabe, das Geistesleben zu erneuern, denn die Trennung zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und religiöser Empfindung hat zu einer tiefen Sehnsucht nach einer neuen Verbindung geführt. Die moderne Wissenschaft hat große Triumphe errungen, doch wenn die Seele nach ihrer höchsten Bestimmung fragt, bleibt sie oft ohne Antwort. Die alten Zeiten kannten diese Spaltung nicht; Wissenschaft und Religion waren eins, und die Menschen fühlten sich noch verbunden mit dem Geistigen der Welt. Doch die Entwicklung der Menschheit verlangt, dass jedes Zeitalter seinen eigenen Zugang zum Geistigen findet. Eine bloße Rückkehr zu alten Weisheiten kann nicht genügen, wohl aber kann das Verständnis der Entwicklung der Seele helfen, den Weg in die Zukunft zu finden. Die heutige Wissenschaft hat den Menschen ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein gebracht, aber auch die Erfahrung einer geistleeren Welt. In alten Zeiten fühlte sich der Mensch noch eins mit der Natur, das Geistig-Seelische war überall lebendig. Die Gefahr der Gegenwart ist, dass die Seele an der Leere der äußeren Welt erkrankt. Die Erziehung muss daher darauf zielen, das Geistige wieder im Menschen zu wecken und zu pflegen. Es gilt, die Schwelle zur übersinnlichen Welt zu erkennen und zu überschreiten, aber nicht unvorbereitet, sondern durch eine Erziehung, die den Menschen zu innerer Kraft und moralischer Festigkeit führt. Die anthroposophische Geisteswissenschaft will nicht im Gegensatz zur modernen Wissenschaft stehen, sondern sie ergänzen und vertiefen. Sie erkennt die Bedeutung der äußeren Erkenntnis an, weiß aber, dass der Mensch mehr ist als ein Produkt der Naturgesetze. Die Erziehung muss den ganzen Menschen erfassen: Leib, Seele und Geist. Das Kind durchläuft in seiner Entwicklung Stufen, die an die Menschheitsentwicklung erinnern. In den ersten sieben Jahren formt sich der Leib, im zweiten Jahrsiebt erwacht das Seelische, und erst im dritten Jahrsiebt tritt das Geistige hervor. Die Erziehung muss diesen Stufen gerecht werden, das Kind nicht überfordern, sondern ihm in jedem Alter das geben, was seiner Natur entspricht. Die Waldorfpädagogik gründet auf dieser Erkenntnis. Sie will das Kind nicht zu einem bloßen Wissensspeicher machen, sondern seine Kräfte harmonisch entfalten. Die Kunst, das Spiel, die Nachahmung sind im frühen Kindesalter die rechten Mittel. Später treten das bildhafte Denken, die Phantasie und das künstlerische Gestalten in den Vordergrund. Erst wenn das Kind reif ist, kann es zu abstraktem Denken und eigenständigem Urteil geführt werden. Die Lehrer müssen selbst lebendig bleiben, sich immer wieder erneuern, um die Kinder zu inspirieren. Die Schule darf nicht einseitig auf äußeren Erfolg und Anpassung an die Gesellschaft ausgerichtet sein. Sie muss den Menschen zur Freiheit führen, zur Fähigkeit, sich selbst und die Welt zu erkennen. Die Erziehung ist eine Kunst, die immer wieder neu errungen werden muss. Sie verlangt Liebe zum Kind, Verständnis für seine Entwicklung und den Mut, neue Wege zu gehen. Auch das Drama, die Dichtung, das künstlerische Schaffen sind wesentliche Mittel der Erziehung. Sie führen das Kind an die großen Fragen des Lebens heran, lassen es Anteil nehmen am Schicksal des Menschen. Shakespeare etwa zeigt in seinen Dramen die Tiefe der menschlichen Seele, die Kämpfe zwischen Gut und Böse, zwischen Freiheit und Notwendigkeit. Die neuen Erziehungsideale müssen das Kind nicht von der Welt abschließen, sondern es befähigen, als ganzer Mensch in die Welt zu treten. Die Pädagogik der Zukunft muss aus dem Geiste leben, sie muss den Menschen als ein Wesen zwischen Himmel und Erde begreifen. Nur so kann eine neue Kultur entstehen, die den Menschen nicht zerreißt, sondern ihn in seiner Ganzheit erfasst und fördert. 305) Das Kind tritt in die Welt als ein ganzes Sinnesorgan, offen für alle Eindrücke, die aus der Umgebung auf es einströmen. Alles, was in seiner Nähe geschieht, wird nicht nur beobachtet, sondern tief aufgenommen, nachgeahmt, in Leib und Seele verwandelt. In den ersten Lebensjahren geschieht Erziehung durch Nachahmung. Die Atmosphäre, die der Erwachsene schafft, seine Gesinnung, seine Bewegungen, seine Sprache, alles wirkt gestaltend auf das Kind. Es ist nicht das Wort, das Gebot, das wirkt, sondern das Vorbild, das Leben selbst. Die tiefste Aufgabe des Erziehers ist es, eine solche Grundstimmung zu pflegen, dass Ehrfurcht vor dem Kind, Dankbarkeit für das Kind und Liebe zur Aufgabe des Erziehens lebendig werden. Das sind die goldenen Regeln, die das Verhältnis zwischen Erwachsenem und Kind bestimmen müssen. Mit dem Zahnwechsel um das siebte Jahr beginnt eine neue Epoche. Jetzt tritt das Kind heraus aus dem bloßen Nachahmen, es verlangt nach Autorität. Es will geführt werden, aber nicht durch Zwang, sondern aus dem Vertrauen heraus, dass der Erwachsene weiß, was richtig ist. Die Kunst des Unterrichtens besteht darin, alles in Bildern, in lebendigen Vorstellungen zu geben. Das Kind lebt in Bildern, und alles, was es lernt, muss durch das Bildhafte, das Künstlerische, das Rhythmische gestaltet werden. Der Unterricht wird zum Kunstwerk, der Lehrer zum Künstler. Die Moral wächst nicht aus abstrakten Geboten, sondern aus dem Erleben des Guten, Schönen und Wahren im täglichen Tun. Um das neunte Jahr kommt eine Krise: das Kind beginnt, sich als Ich zu erleben, es trennt sich innerlich von der Welt, die es bisher als selbstverständlich aufgenommen hat. Jetzt ist es entscheidend, dass das Kind in dieser Zeit einen Menschen hat, dem es vertrauen kann, der es durch diese innere Unsicherheit führt. Die Naturkunde, die Tier- und Pflanzenwelt, alles muss so gegeben werden, dass das Kind sich als Teil der Welt erlebt, aber auch lernt, sich selbst zu finden. Mit der Pubertät, mit der Geschlechtsreife, erwacht das eigene Urteil. Jetzt erst kann das Kind zum abstrakten Denken geführt werden, jetzt beginnt die Zeit, in der das eigene Urteil, die selbständige Urteilsbildung, gefördert werden muss. Der Lehrer muss jetzt Weltmensch werden, muss den Jugendlichen als gleichberechtigten Menschen begegnen, der seine eigenen Wege sucht. Die Erziehung muss jetzt darauf zielen, das Vertrauen in die eigene Urteilskraft, in das eigene Gewissen zu stärken. Die geistige Grundlage der Erziehung liegt darin, dass der Mensch nicht nur ein Produkt der Vererbung und der Umwelt ist, sondern dass in ihm ein geistiges Wesen lebt, das sich durch die verschiedenen Lebensstufen entfaltet. Geist, Seele und Leib wirken zusammen, und die Aufgabe der Erziehung ist es, diese Kräfte in Harmonie zu entwickeln. Das Denken ist an das Nervensystem gebunden, das Fühlen an das rhythmische System, das Wollen an das Stoffwechsel-Gliedmaßensystem. In jedem Lebensalter herrscht eines dieser Systeme vor, und die Erziehung muss sich danach richten. Die Waldorfschule ist ein lebendiger Organismus, keine starre Organisation. Sie lebt aus der Freiheit des Lehrers, aus der künstlerischen Gestaltung des Unterrichts, aus der Zusammenarbeit der Lehrer in der Konferenz. Der Stundenplan, der Epochenunterricht, der Handarbeits- und Handfertigkeitsunterricht, der Fremdsprachenunterricht – alles ist darauf ausgerichtet, das Kind als ganze Persönlichkeit zu fördern. Die soziale Frage ist untrennbar mit der Erziehungsfrage verbunden. Die Entwicklung der Menschheit zeigt, wie das soziale Leben sich aus göttlich inspirierten Theokratien, über das juristisch geprägte Staatsleben bis hin zu den modernen Wirtschaftsformen entwickelt hat. Heute steht der Mensch vor der Aufgabe, aus Freiheit eine neue soziale Ordnung zu gestalten, in der das Geistesleben, das Rechtsleben und das Wirtschaftsleben in lebendiger Wechselwirkung stehen. Die Erziehung muss darauf vorbereiten, dass der Mensch sich als freies, verantwortliches Glied der Gemeinschaft erlebt, fähig zur individuellen moralischen Intuition und zur sozialen Mitgestaltung. Nicht Programme, nicht abstrakte Systeme, sondern das lebendige Zusammenwirken von Individualität und Gemeinschaft, von Geist, Seele und Leib, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, das ist die Grundlage wahrer Erziehungskunst. Die Anthroposophie will nicht Fanatismus, sondern Universalität, nicht Trennung, sondern Verbindung, nicht starre Dogmen, sondern lebendige Entwicklung. 306) Das Kind tritt in die Welt mit einer tiefen Verbindung zum Geistigen, und die Aufgabe der Erziehung ist es, diese Verbindung zu erkennen und so zu gestalten, dass das Kind in gesunder Weise in das irdische Leben hineinwächst. Im ersten Lebensjahrsiebt lebt das Kind ganz in der Nachahmung, es ist selbst ein Sinnesorgan, das alles, was in seiner Umgebung geschieht, aufsaugt und nachbildet. Gehen, Sprechen, Denken – diese drei Grundfähigkeiten entfaltet das Kind aus sich heraus, indem es sich an dem orientiert, was es in seiner Umgebung wahrnimmt. Das Gehen ist die Aneignung der Statik und Dynamik des Leibes, das Sprechen ist das Hineinwachsen in das Seelische der Umgebung, und das Denken ist das Ergreifen der äußeren Dinge mit dem Geist. Im zweiten Lebensjahrsiebt, das mit dem Zahnwechsel beginnt, wird die Hingabe an die Autorität zum inneren Gesetz des Kindes. Das Kind will geführt werden, es will sich an einer verehrten Persönlichkeit orientieren. Der Unterricht muss daher bildhaft, künstlerisch, lebendig gestaltet werden, denn das Kind verlangt nach Bildern, nicht nach abstrakten Begriffen. Das Gedächtnis entwickelt sich aus der durchseelten Gewohnheit, und im Rhythmus von Atmung und Blutzirkulation liegt die Grundlage für das musikalische Empfinden. Es ist die Zeit, in der das Kind durch das Erleben von Farben, Formen, Musik und Sprache seine seelische Beweglichkeit und Geschmeidigkeit ausbildet. Das Spiel ist im frühen Kindesalter ein Ausdruck des Nachahmungstriebes, und im Verlauf der Entwicklung verwandelt sich das Spiel in Arbeit. Schreiben wird aus dem malenden Zeichnen entwickelt, Lesen aus dem Schreiben. Die Sprache, mit ihren Vokalen und Konsonanten, spiegelt das Verhältnis des Menschen zur Welt wider. Der Unterricht in Naturkunde muss vom Ganzen ausgehen, von der Erde als lebendigem Wesen, die Pflanzen als Glieder dieses Wesens, die Tiere als auseinandergefalteten Menschen betrachten. Im Unterricht zwischen dem siebten und vierzehnten Jahr ist es entscheidend, das Gefühl des Kindes zu leiten. Die Autorität des Lehrers ist die Brücke, über die das Kind zur Welt geführt wird. Das Bildhafte, das Künstlerische, muss den Unterricht durchdringen. Erst nach dem zwölften Lebensjahr, mit dem Erwachen des Kausalitätsbegriffs, ist das Kind reif für das Verständnis von Mineralogie, Physik, von Geschichte als Kausalzusammenhang. Zu frühes Urteilen schadet der Entwicklung. Die Krise um das neunte Lebensjahr, in der das Kind erstmals das Ich von der Umwelt trennt, verlangt besondere Aufmerksamkeit. Das Verhältnis des einzelnen Menschen zum sozialen Ganzen muss in der Erziehung lebendig werden. Dankbarkeit, Liebe und Pflicht sind die drei Grundtugenden, die der Mensch im rechten Verhältnis entwickeln muss. Der Lehrer trägt ein seelisches Atmen in die Schule, indem er Ernst und Humor, Strenge und Milde in rechter Weise verbindet. Erziehung ist immer auch Selbsterziehung, und der Lehrer muss sich selbstlos in den Dienst des Kindes stellen. So wird Erziehung zur sozialen Tat, zur Quelle wahrer Menschlichkeit. Mit dem zwölften Lebensjahr, insbesondere nach der Geschlechtsreife, muss die Erziehung ins Praktische übergehen. Handarbeit, handwerkliche Tätigkeiten, die Pflege des Leibes durch das Geistige und Seelische, sind jetzt notwendig. Die Schule soll nicht nur Wissen vermitteln, sondern den ganzen Menschen bilden, indem sie Körper, Seele und Geist in gleicher Weise berücksichtigt. Die Lehrerkonferenz ist das Lebensblut der Schule, in ihr lebt das gemeinsame Streben nach dem rechten pädagogischen Impuls. Die Waldorfschul-Pädagogik ist eine Pädagogik für die ganze Menschheit. Sie will aus dem Geistigen heraus das Einzelne gestalten, will das Unterrichten und Erziehen als Hygiene und Therapie begreifen. Das Ineinanderwirken der drei menschlichen Systeme – Nerven-Sinnes-System, rhythmisches System, Ernährungs- und Bewegungs-System – ist die Grundlage für eine gesunde Entwicklung. Der religiöse und christliche Grundimpuls durchzieht alle Erziehung, und die Behandlung der Temperamente, der Epochenunterricht, die Pflege der Sprache, der Bewegung, der Eurythmie, alles ist darauf gerichtet, den ganzen Menschen zu fördern, damit er als freier, selbstständiger, sozialer Mensch in die Welt treten kann. 307) Das gegenwärtige Geistesleben verlangt nach einer neuen Erziehung, die nicht bloß Wissen vermittelt, sondern den ganzen Menschen in seiner leiblichen, seelischen und geistigen Entwicklung erfasst. Die Verbindung von Erkenntnis, Kunst, Religion und Sittlichkeit muss durch Imagination, Inspiration und Intuition neu belebt werden. Die Erziehung der Vergangenheit – im alten Griechenland auf den gymnastischen Menschen, im Römertum und im Mittelalter auf den Redner und im Zeitalter der Wissenschaft auf den Wissenden, den Doktor ausgerichtet – hat den Menschen jeweils einseitig entwickelt. Jetzt aber steht die Menschheit an einem Wendepunkt, an dem die Erziehung nicht mehr aus Instinkt, sondern aus bewusster Intuition hervorgehen muss. Die Entwicklung des Kindes verläuft in klar gegliederten Lebensphasen. In den ersten sieben Lebensjahren ist das Kind ganz Sinnesorgan, es lernt durch Nachahmung. Alles, was der Erziehende in Liebe, Wahrhaftigkeit und Klarheit tut, wirkt tief in das Kind hinein und gestaltet sogar dessen Leiblichkeit mit. Das Spiel des Kindes ist schöpferisch, es formt sich innerlich an der Welt. Intellektualistische Erziehung in diesem Alter verfestigt das Kind und macht es später zum Materialisten; bildhaftes Erleben hingegen öffnet das Verständnis für das Geistige. Mit dem Zahnwechsel um das siebte Jahr beginnt das Schulalter. Nun verlangt das Kind nach anschaulichen, bildhaften Eindrücken. Der Unterricht muss auf das Rhythmisch-Künstlerische ausgerichtet werden, denn das Kind lebt seelisch im Plastisch-Anschaulichen, organisch im Rhythmischen. Schreiben, Malen, Musizieren, rhythmische Übungen und Eurythmie sprechen die Lebenskräfte an und wirken harmonisierend auf Leib und Seele. Das Prinzip der Autorität ist in diesen Jahren entscheidend: Das Kind wächst an der verehrten, vorbildhaften Persönlichkeit des Lehrers heran, bis es um das neunte, zehnte Lebensjahr zu einer ersten inneren Eigenständigkeit erwacht. Im weiteren Verlauf der Schulzeit, nach dem neunten Jahr, muss das Kind an das Begreifen der Welt herangeführt werden. Pflanzenkunde, Geographie, Tierkunde, Geschichte – alles ist so zu gestalten, dass das Kind lebendige, anschauliche Begriffe gewinnt, aus denen später Klugheit und Urteilskraft erwachsen. Der Mensch ist als dreigliedriges Wesen zu erfassen: Kopf, Brust, Gliedmaßen. Die Tierwelt erscheint als auseinandergelegter Mensch, der Mensch als das harmonische Ganze. Solche Betrachtungen stärken den Willen und führen zu einer gesunden Selbstempfindung. Der Unterricht wirkt auf die verschiedenen Wesensglieder des Menschen: Malen, Schreiben, Pflanzenkunde, Rechnen und Geometrie wirken auf den Ätherleib, Tierkunde, Menschenkunde und Geschichte auf Ich und Astralleib. Es ist zu berücksichtigen, dass vieles vom Kind im Schlaf verarbeitet wird; daher ist der Epochenunterricht sinnvoll, und das Vergessen ist Teil des Lernprozesses. Die Geschichte ist vor dem zwölften Jahr nicht kausal, sondern bildhaft und vom Herzen her zu erzählen. Um das zwölfte Lebensjahr erwacht das Verständnis für Kausalität und abstraktes Denken. Nun kann Physik, Technologie, Grammatik und Weltkunde eingeführt werden. Fremdsprachen werden vom siebten Jahr an durch Nachahmung gelehrt, was die Verwurzelung in der Menschheit fördert. Der Religionsunterricht muss das Kind erst an das Vater-Göttliche heranführen, später an das Christus-Prinzip. Die Erziehung muss immer das Gleichgewicht zwischen Seelisch-Geistigem und Gesundheit suchen. Die Temperamente sind zu berücksichtigen, auch in der Ernährung und im Unterricht. Therapeutische Eurythmie und künstlerischer Unterricht sind Gegengewichte zur intellektuellen Bildung und fördern Menschen- und Weltverständnis. Handarbeit und praktische Fertigkeiten führen das Wissen ins Können und das Können ins Denken zurück. Aus dem Gefühl entwickelt sich die freie Urteilskraft. Die Waldorfschule ist als lebendiger Organismus zu gestalten, in dem die Lehrerkonferenz das Herz bildet und die Eltern in das Schulleben einbezogen werden. Der Mensch ist Glied der sozialen Ordnung, und die Schule muss aus dem Leben für das Leben bilden. Anthroposophie befähigt, Mensch und Welt unbefangen zu betrachten. Der Übergang von der lateinischen zur Volkssprache ist Ausdruck des Übergangs von der Verstandesseelen- zur Bewusstseinsseelenkultur. Die neue Sprache der Gedanken soll zur internationalen Verständigung führen, damit der Mensch den Menschen über die Erde hin finden kann. 308) In unserer Zeit hat sich der Mensch durch die großartigen Errungenschaften der Naturwissenschaft von sich selbst entfernt. Die Erkenntnisse über die äußere Welt sind tief und umfassend, doch das eigentliche Wesen des Menschen bleibt dabei unberührt. Die Wissenschaft betrachtet das Seelische nur noch durch seine körperlichen Äußerungen, experimentiert am Menschen, aber das unmittelbare Wirken von Seele zu Seele, das intuitive Erfassen des anderen, ist verloren gegangen. Gerade für die Erziehung ist das verheerend, denn wer den Menschen bilden will, muss ihn verstehen wie der Künstler seinen Stoff. Erziehung und Unterricht können nur aus einer wirklichen Erkenntnis des Menschenwesens hervorgehen, und diese Erkenntnis muss Körper, Seele und Geist umfassen. Der Mensch ist dreifach gegliedert, und nur wer diese Gliederung versteht, kann den werdenden Menschen richtig begleiten. Die Begegnung zwischen Lehrer und Kind ist ein lebendiger Prozess, in dem nicht nur das Bewusste, sondern vor allem das Unbewusste, das im Willen und in den Gefühlen lebt, eine Rolle spielt. Der Erzieher muss das ganze menschliche Erdenleben in den Blick nehmen, nicht nur einen Abschnitt. Das Temperament des Lehrers wirkt auf das Kind, und spätere Krankheiten können ihren Ursprung in der Erziehung haben. Im ersten Jahrsiebt ist das Vorbild des Menschen entscheidend, im zweiten Jahrsiebt das künstlerische, lebendige Gestalten, im dritten Jahrsiebt verlangt das Kind nach dem, was der Erwachsene selbst gelernt hat. Das Kind ist wie ein Sinnesorgan, empfänglich für alles, was aus seiner Umgebung auf es wirkt. Die Kräfte der Vererbung sind nur ein Teil der kindlichen Wesenheit; aus dem vorirdischen Leben bringt das Kind Kräfte mit, die es formen. Das religiöse Erleben des Kindes hängt von der Gesinnung des Erziehers ab. Vor dem Zahnwechsel lebt das Kind in der Nachahmung, nach dem Zahnwechsel wird es zum Künstler, der das Leben bildhaft aufnimmt. Der Unterricht muss bildhaft, künstlerisch gestaltet werden, wie etwa beim Erlernen der Buchstaben. Der Lehrplan ergibt sich aus der Beobachtung der Menschenentwicklung, nicht aus abstrakten Vorgaben. Das rechte Lesen in der menschlichen Natur zeigt, wie die Entwicklung der Menschheit sich im Kind wiederholt. Vor dem Zahnwechsel wirkt die Kopforganisation, danach sind Atmung und Blutzirkulation entscheidend. Die Künste sind Ausdruck der Wesensglieder des Menschen: das plastische Gestalten bereitet das Begreifen des Ätherleibes vor, das musikalische Erleben das des Astralleibes, die Sprache das der Ich-Organisation. Die Weltanschauung des Lehrenden muss immer neu erlebt werden, damit Erziehung lebendig bleibt. Das Schreiben muss dem Lesen vorausgehen, weil es dem kindlichen Nachahmungstrieb entspricht. Der Epochenunterricht ist begründet in den Gesetzmäßigkeiten der kindlichen Entwicklung. Der Kosmos muss in das Weltbild des Erziehers einbezogen werden: die Entwicklung der Pflanzen, das Wirken von Sonne und Mond, die Erde als Lebewesen – all das sind Grundlagen für einen künstlerisch-bildhaften Unterricht. Die Tierformen stehen in einem lebendigen Verhältnis zum Menschen, und das Erleben der Freiheit gehört zu den Aufgaben des Erziehers. Der Enthusiasmus des Erziehers muss sich immer wieder aus dem Geiste erneuern. Im ersten Jahrsiebt gilt es, die religiöse Hingabe des Kindes zu fördern, im zweiten Jahrsiebt diese Hingabe auf einer höheren Stufe wiederzuerwecken, so dass das künstlerische Empfinden der Welt entsteht. Die Autorität des Erziehers ist für die moralische Entwicklung des Kindes entscheidend. Erziehung ist immer auch Selbsterziehung, und ihre Wirkung reicht weit in das spätere Leben hinein. Nur wer sich selbst erzieht, kann erziehen. 309) Um aus dem sozialen Chaos der Gegenwart herauszufinden, muss die Erziehung so gestaltet werden, dass Geistigkeit in die Seelen der heranwachsenden Menschen einzieht. Der Mensch ist nicht bloß ein physisches Wesen, sondern besteht aus Leib, Seele und Geist, und nur wenn diese Ganzheit erkannt und gepflegt wird, kann wahre Erziehung gelingen. Das Kind ist in seinen ersten Lebensjahren ganz Sinnesorgan, alles Seelische wirkt unmittelbar in das Leibliche hinein. Die Temperamente der Erziehenden prägen sich tief in das Kind ein und können noch Jahrzehnte später als körperliche oder seelische Störungen auftreten. Es ist daher notwendig, lebendige Begriffe zu vermitteln, nicht bloß tote Wissensinhalte. Die moderne naturwissenschaftliche Gesinnung reicht nicht aus, um den Menschen wirklich zu erkennen. Wachen und Schlafen sind Ausdruck der jahreszeitlichen Tätigkeit im Organismus; das Denken wurzelt im Ätherleib. Das Kind ist ein nachahmendes Wesen, in ihm lebt eine natürliche Religiosität. Es nimmt das Moralische in seiner Umgebung durch Geste und Blick wahr, und die Vorbildwirkung der Erwachsenen ist entscheidend. Die Entwicklung des Menschen vollzieht sich in klar unterscheidbaren Lebensmetamorphosen. Künstlerische Tätigkeiten wie das Modellieren fördern das Raumgefühl, inneres Musikverständnis erschließt den Astralleib, inneres Sprachverständnis die Ich-Organisation. Mit dem Zahnwechsel um das siebte Jahr wird der Ätherleib selbständig, und das Gedächtnis bildet sich aus. Der Unterricht muss nun bildhaft gestaltet werden, um die Seelenkräfte zu nähren. Nach dem Zahnwechsel wirkt die Autorität des Erziehenden als zentrale Kraft. Das Kind braucht Führung, es lernt aus dem Ganzen heraus, nicht von der Summe der Teile. Erst nach der Geschlechtsreife erwacht das Gefühl für das Schicksalhafte und die Fähigkeit, das Intellektuelle zu erfassen. Pflanzen- und Tierkunde müssen so unterrichtet werden, dass das Kind die lebendigen Zusammenhänge erlebt. Das, was durch die Erziehung im Zeitlichen erworben wird, muss in das Ewige hinaufgehoben werden. Erst gegen das zwölfte Lebensjahr entwickelt sich das Kausalitätsgefühl, dann kann Physikalisch-Chemisches unterrichtet werden. Mit der Geschlechtsreife erwacht das eigentliche intellektuelle Denken. Im Pflanzenwachstum wirken Monden- und Sonnenkräfte, und das Verständnis für diese Zusammenhänge muss dem Kind vermittelt werden, damit es die Welt als durchgeistigt erlebt. 310) Das Erziehen und Unterrichten muss aus einer wirklichen Erkenntnis des ganzen Menschen hervorgehen, aus einer Einsicht, die Leib, Seele und Geist in ihrem Zusammenwirken umfasst. Nur wenn ich den Menschen in seiner Ganzheit erfasse, kann ich als Pädagoge fruchtbar wirken. Der Mensch ist nicht bloß ein Wesen, das sich mechanisch entwickelt, sondern er trägt in sich das Geistig-Seelische, das sich in den verschiedenen Lebensaltern in je anderer Weise offenbart. Es gilt, in jedem Kind, in jedem Jugendlichen dasjenige zu erkennen, was aus früheren Erdenleben herüberklingt, was sich in Temperament, Begabung, Anlagen und auch in Schwierigkeiten zeigt. Die Aufgabe der Erziehung ist es, das, was als Keim im Menschen liegt, zur Entfaltung zu bringen, nicht nach abstrakten Regeln, sondern in lebendigem, liebevollem Verhältnis zum werdenden Menschen. In der frühen Kindheit wirkt das Nachahmen als Grundkraft; alles, was das Kind tut, ist ein Spiegel dessen, was es in seiner Umgebung erlebt. Deshalb muss das Vorbild des Erwachsenen echt und durchdrungen von innerer Wahrhaftigkeit sein. Später, im Schulalter, tritt das Bedürfnis nach Autorität hervor: das Kind will sich führen lassen, will glauben können an die Weisheit und Güte des Erwachsenen. Erst mit der Reife des Jugendlichen erwacht das selbständige Urteilen, das Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung. In jedem dieser Lebensabschnitte muss die Erziehung anders ansetzen, muss das rechte Maß zwischen Führung und Freiheit, zwischen Anregung und Zurückhaltung finden. Die Pädagogik, die ich vertrete, will nicht bloß Methoden vermitteln, sondern eine Gesinnung, eine innere Haltung, die aus echter Menschenkenntnis hervorgeht. Es genügt nicht, psychologische oder pädagogische Theorien zu kennen; entscheidend ist, dass ich im Augenblick des Unterrichtens oder Erziehens die lebendige Verbindung zum Kinde finde, dass ich aus dem unmittelbaren Erfassen der Situation heraus handle. Dazu ist es notwendig, dass ich mich selbst immer wieder innerlich erneuere, dass ich mich mit dem werdenden Menschen verbinde, ihm mit Interesse, Liebe und Verständnis begegne. Die Temperamente der Kinder, ihre individuellen Eigenarten, müssen erkannt und berücksichtigt werden. Der Sanguiniker, der Choleriker, der Melancholiker, der Phlegmatiker – jeder braucht eine andere Ansprache, eine andere Führung. Die Erziehung muss so gestaltet werden, dass sie das Gleichgewicht im Menschen fördert, dass sie einseitige Entwicklungen ausgleicht und das harmonische Zusammenwirken der Seelenkräfte ermöglicht. In der Waldorfschule wird versucht, diese Grundsätze praktisch zu verwirklichen. Der Unterricht ist so gestaltet, dass er das Kind in seiner Ganzheit anspricht, dass er die künstlerischen, handwerklichen und intellektuellen Kräfte gleichermaßen fördert. Die Lehrer bemühen sich, im Unterricht das Leben selbst hereinzutragen, nicht bloß abstraktes Wissen zu vermitteln, sondern Begeisterung, Anteilnahme und Lebensfreude zu wecken. Die Erziehung wird zur Kunst, zur schöpferischen Tätigkeit, die aus der Erkenntnis des Menschen und der Welt hervorgeht. Die Verbindung von Körper, Seele und Geist ist nicht nur eine abstrakte Forderung, sondern sie muss in jedem Unterricht, in jeder Erziehungsmaßnahme lebendig werden. Der Blick auf das Leibliche, das Seelische und das Geistige führt zu einer umfassenden Menschenkunde, die allein der Erziehung ihren wahren Wert gibt. Die Aufgabe des Pädagogen ist es, das Geistig-Seelische im Kinde zu wecken, ihm zu helfen, seinen eigenen Lebensweg zu finden und zu gehen. Die Pädagogik ist nicht Selbstzweck, sondern sie hat einen tiefen Kulturwert. Sie gestaltet die Zukunft der Menschheit, indem sie die heranwachsenden Generationen befähigt, sich selbst und die Welt zu erkennen und schöpferisch tätig zu werden. Die anthroposophisch orientierte Pädagogik will einen Beitrag leisten zur Erneuerung des Erziehungswesens, zur Gesundung des sozialen Lebens und zur Entfaltung des vollen Menschentums. 311) Die Erziehungskunst verlangt eine wirkliche Erkenntnis des Menschen, nicht bloß Wissen um den physischen Leib, sondern ein Erfassen von Leib, Seele und Geist. Das Kind kommt aus einem vorirdischen Dasein und bringt eine Individualität mit, die sich durch die Vererbung hindurch in die irdische Gestalt hineinfindet. Im frühen Kindesalter, vor dem Zahnwechsel, lebt das Kind ganz in der Nachahmung; alles, was um es geschieht, wird in sein Wesen aufgenommen. Deshalb muss der Erziehende sich seiner eigenen Handlungen und Stimmungen bewusst sein, denn das Kind nimmt nicht nur Worte, sondern das ganze Verhalten auf. Mit dem Zahnwechsel tritt eine neue Entwicklungsphase ein. Jetzt verlangt das Kind nach Autorität, nach einer Persönlichkeit, zu der es aufschauen kann. Die Erziehung muss nun bildhaft werden, im Unterricht soll das Künstlerische, das Phantasiemäßige vorherrschen. Schreiben wird aus dem Zeichnen, aus dem Malen entwickelt, nicht aus dem Abstrakten. Die Phantasie des Erziehers ist gefragt, denn das Kind lebt in Bildern, nicht in Begriffen. Um das neunte Lebensjahr kommt eine innere Krise: Das Kind beginnt, sich als eigenständiges Ich zu erleben, und fragt nach dem Verhältnis von Ich und Welt. Jetzt ist es wichtig, dass der Unterricht dem Kind moralische und seelische Orientierung gibt, etwa durch Märchen, Mythen und bildhafte Geschichten. Nach dem neunten Jahr kann das Kind allmählich zwischen sich und der Welt unterscheiden. Pflanzen- und Tierkunde werden so unterrichtet, dass das Kind sich mit dem Lebendigen verbunden fühlt. Erst nach dem zwölften Jahr soll das Kausale, das Gesetzmäßige, das Abstrakte eingeführt werden, etwa in der Physik. Strafen sollen nicht aus dem Affekt, sondern aus einer inneren Beziehung zum Kind heraus erfolgen. Der Erziehende muss sich selbst erziehen, den Mut zur Unvollkommenheit haben und in einer meditativen Seelenverfassung dem Kind begegnen. Die Temperamente der Kinder verlangen eine differenzierte Behandlung. Symmetrie- und Geschicklichkeitsübungen fördern das innere Formgefühl und das Denken. Der Epochenunterricht ermöglicht ein vertieftes Eingehen auf die Stoffe. Das Rechnen wird bildhaft und rhythmisch eingeführt, der Wille wird angesprochen, der Kopf bleibt Zuschauer. Humor und Lebendigkeit gehören in den Unterricht. Geometrie wird anschaulich und künstlerisch vermittelt. Die kindlichen Entwicklungsstufen sind verbunden mit den Wesensgliedern des Menschen. Der Ätherleib wirkt plastizierend, der Astralleib ergreift mit der Geschlechtsreife die physische Organisation. Musikalischer Unterricht, Sprachunterricht, besonders Fremdsprachen, sollen lebendig und ohne Übersetzung erfolgen, damit das Kind in die verschiedenen Lautempfindungen eintaucht. Eurythmie offenbart das Innere, Turnen gliedert den Menschen in den Raum ein. Mit dem zwölften Jahr kann der Mineralogieunterricht beginnen, immer aus dem Ganzen heraus, nie vom Abstrakten. Der Physikunterricht soll an das Leben anknüpfen und die Phantasie ansprechen. Ermüdung wird durch Rhythmus überwunden. Der Unterricht muss dem Kind die Stellung des Menschen in der Welt vermitteln, Lebensverständnis durch Technologie, Handarbeit, und den Kontakt zum Elternhaus pflegen. Die Lehrerkonferenz ist die Seele des Schulorganismus. Die Anzahl der Knaben oder Mädchen in der Klasse, die Pflege der weniger Begabten, all das gehört zur lebendigen Erziehung. Im Fragenbeantwortungsteil werden praktische Fragen zur Methodik, zum Rechnen, zum Sprachunterricht, zu Sport und Religion behandelt. Immer steht das konkrete, lebendige Erleben und Erkennen des Kindes im Mittelpunkt, nicht das abstrakte Wissen. Die Erziehung soll aus dem Leben hervorgehen und auf das Leben vorbereiten. 312) Der Mensch steht inmitten einer fortwährenden Wechselwirkung zwischen Geist, Seele und Leib. Krankheit und Gesundheit sind nicht bloß zufällige Zustände, sondern Ausdruck tiefer liegender Prozesse, die sich aus dem Zusammenspiel dieser Wesensglieder ergeben. Die Entwicklung der medizinischen Anschauungen zeigt, wie der Mensch sich immer mehr von einer unmittelbaren Erfahrung des Lebendigen entfernt hat und sich dem rein Materiellen zuwandte. Die pathologische Anatomie, die seit Morgagni das Krankhafte im Toten sucht, verfehlt das eigentliche Wesen der Krankheit, denn diese wurzelt im Lebendigen, im Zusammenhang von Formkräften und Lebensprozessen. Das Herz ist nicht bloß eine Pumpe, sondern ein Ausgleichsorgan zwischen den polaren Kräften des menschlichen Organismus. Im Menschen wirken oben und unten, Sinnes- und Stoffwechselprozesse, in ständiger Polarität. Hysterie und Neurasthenie sind Ausdruck der Überbetonung der einen oder anderen Seite. Tuberkulose etwa entsteht nicht allein durch Infektion, sondern durch eine Disposition im Menschen, durch ein Ungleichgewicht seiner inneren Kräfte. Die Diagnose verbindet Pathologie und Therapie, indem sie das Wesen der Krankheit im Menschen erfasst. Der Mensch ist ein dreigliedriges Wesen: Nerven-Sinnes-System, rhythmisches System und Stoffwechsel-Gliedmaßen-System wirken zusammen. Die Heilmittel müssen in Beziehung zu diesen Gliedern stehen, so wie die Pflanze in ihren Metamorphosen die Kräfte offenbart, die im Menschen verborgen wirken. Die Anpassungsfähigkeit und Regeneration des Menschen sind Ausdruck seiner geistig-seelischen Funktionen. Die Therapie muss aus dem Verständnis der Pathologie hervorgehen. Die Prozesse von Kohlenstoff und Sauerstoff, die Flora im Inneren des Menschen, das Verhältnis von Sekretion und Denkvorgang, alles dies sind Ausdrucksformen eines geistigen Geschehens im Organismus. Die Bazillentheorie erklärt nicht das Wesen der Krankheit, sondern nur ihre Erscheinung. Die Metamorphose des Lichtes im Organismus zeigt sich etwa in der Tuberkulose, während der Salz- und Schwefelprozess andere Krankheitsbilder prägen. Die Anamnese muss den übersinnlichen Organismus erfassen, denn der Mensch steht in Beziehung zu den Naturreichen. Homöopathie und Allopathie sind verschiedene Wege, das Gleichgewicht im Menschen wiederherzustellen. Die Prozesse der Salzbildung, des Mineralischen, Merkurialen und Phosphorischen spiegeln sich in der Pflanzenbildung und im Menschen wider. Die Mistel etwa ist ein Heilmittel, das aus der Beziehung von Pflanze und Baum hervorgeht. Die Planetenkräfte wirken in den Metallen und Pflanzen, sie gestalten die Spiraltendenz der Pflanzenbildung und wirken im Menschen fort. Schwere und Licht stehen in Polarität, wie auch die Herztätigkeit Ausdruck dieser Gegensätze ist. Krankheiten wie Rachitis und Sklerose sind Resultat gestörter Salz-, Phosphor- und Merkurprozesse. Die Metalle als planetarische Prozesse müssen in der Therapie berücksichtigt werden. Die Lebensstufen des Menschen verlangen eine jeweils angepasste Therapie. Chorea, Polyarthritis, Sklerose, Karzinom, all diese Krankheitsbilder stehen in Beziehung zu den Lebensaltern und den Planetenkräften. Fieber ist Ausdruck der Ich-Tätigkeit, der Mensch bildet sich durch die Zellbildung fortwährend neu. Die Metalle Blei, Zinn, Eisen, Kupfer, Merkur und Silber stehen in Beziehung zu bestimmten Krankheitsprozessen. Die Sinnesprozesse wie Riechen und Schmecken, die Metamorphose von Sehen, Denken, Verdauen und Ausscheiden, sind Ausdruck einer fortwährenden Umwandlung im Organismus. Das Herz wirkt als Synthetiker, als Ausgleichsorgan zwischen diesen Prozessen. Die meteorologischen Prozesse wirken auf die Organe, Luft, Wasser und Boden sind für Erkrankung und Heilung bestimmter Organe von Bedeutung. Kieselsäure- und Kohlensäureprozesse sind polare Geschehnisse im Organismus, sie stehen in Beziehung zu den Metallen und zu Geruch und Geschmack. Die Heilmittel aus Pflanzen und Mineralien wirken je nach ihrer Beziehung zum menschlichen Organismus. Die Ernährung, die Verdauung, die Bildung des weiblichen und männlichen Organismus, all dies sind Ausdrucksformen eines geistigen Geschehens. Die Chemie der Heilmittelherstellung, die Prozesse der Kohlenbildung und Sauerstoffaufnahme, die Pathologie der Nieren, die Bildung von Kalium und Austernschalen, alles dies sind Ausdrucksformen eines umfassenden Zusammenhangs zwischen Mensch und Kosmos. Das Eiweiß steht im Mittelpunkt der Organsysteme, die Elemente Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff wirken in Niere, Leber, Lunge und Herz. Die meditative Methodik ist notwendig, um diese Zusammenhänge zu erfassen. Die Tätigkeit des Ätherleibes steht in Beziehung zu Geschwulstbildung und Entzündung, die Mistel ist ein Heilmittel gegen Geschwulstbildung. Psychiatrische Krankheitsbilder entstehen aus gestörten Organbildungsprozessen, Genussmittel wie Kaffee, Tee und Zucker wirken auf diese Prozesse ein. Die Urteilskraft und das Hellsehen sind notwendig, um die Arbeit des Ich an den Wesensgliedern zu erfassen. Das Auge ist Ausdruck des Entzündungsprozesses, das Ohr des Geschwulstbildungsprozesses. Rosmarin und Arnika regen die Ich- und Astralkräfte an. Die Bildung und der Verlust der Instinkte, Diabetes mellitus als Ausdruck einer Ich-Schwäche, die Pflanzenheilmittel wie Weißbirke, Hirtentäschel und Löffelkraut, die Funktion der Milz, all dies steht in einem umfassenden Zusammenhang. Die Massage reguliert die rhythmische Tätigkeit des Organismus, Migräne, Farbentherapie, Hydrotherapie, die Bedeutung von Nachahmung und Autorität, die Rolle der Zähne und des Fluors, all dies sind therapeutische Ansätze, die aus dem Verständnis des Menschen hervorgehen. Die Zahnentwicklung, Zahnverderbnis, die Wirkung von Chlorophyll und Äskulin, die Überwindung von Antiappetiten, die Bedeutung der Potenzen, das Temperament und der Ernährungsprozess stehen in Beziehung zum Altern und zur Suggestion. Die Ursachen der Krankheiten liegen nicht allein in der Bazillentheorie, sondern in der Tendenz der Pflanzen zur Tierwerdung, in der Mineralisierung der Pflanzen, in der Lunge als Erde, im Wechsel von Wachen und Schlafen. Typhus, katarrhalische Erkrankungen, Unterleibserkrankungen, die Disposition zur Grippe, Diphtherie, Meningitis, Parodontose, all dies sind Ausdrucksformen der Salz-, Merkur- und Schwefelprozesse in den Lebensaltern. Die Vererbung, die Rolle des Männlichen und Weiblichen, die Beziehung von Zuckerkrankheit und Geisteskrankheit, die Bluterkrankheit, die Wirkung von Antimon als planetarischer Prozess, die Gerinnungsfähigkeit des Blutes, die Austernschale, Typhus und Tollkirsche, all dies sind Ausdrucksformen eines geistigen Zusammenhangs. Die Sinneswirkung und die Außenwelt, Ammoniaksalze, Ausscheidung und Absonderung, Lungentätigkeit, Zahnbildungsprozess und Fluorprozess, Peristaltik, Eurythmie und Bewegung, der Mensch als siebengliedriges Metall, die Geisteskrankheit, akute und chronische Krankheit, das Wesen der Depression, all dies muss aus einer geisteswissenschaftlichen Beurteilung der medizinischen Denkweise heraus verstanden werden. 313) Im Menschen wirken vier Wesensglieder zusammen: physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich. Diese Glieder durchdringen sich, doch treten sie in den drei Hauptbereichen des Organismus – Haupt, rhythmischer Organismus, Gliedmaßen-Stoffwechsel – verschieden hervor. Im Haupt ist der Nerven-Sinnes-Mensch am stärksten ausgeprägt, im rhythmischen Organismus das Wechselspiel von Atmung und Zirkulation, in den Gliedmaßen und im Stoffwechselbereich herrscht das Ich am unmittelbarsten. Die Stoffe, die im Organismus wirken, sind nicht als tote Materie zu verstehen, sondern als Ergebnisse von Prozessen, als zur Ruhe gekommene Vorgänge. Was als Kieselerde oder Kalk erscheint, ist das Endprodukt umfassender kosmischer Prozesse, die im Menschen fortwirken. Die Heilwirkung eines Stoffes beruht darauf, wie er in die Prozesse des menschlichen Organismus eingreift, wie er die innere Dynamik beeinflusst und neu ausbalanciert. Das Ich wirkt im Haupt durch Wärmedifferenzierung, im Stoffwechsel durch Statik, indem es die Prozesse gestaltet. Die vier Ätherarten – Wärme-, Licht-, chemischer und Lebensäther – stehen in einem lebendigen Verhältnis zueinander und zum Menschen. Krankheit entsteht, wenn die Harmonie zwischen den Gliedern gestört ist, wenn etwa der physische Prozess im Haupt zu stark wird und das Ich sich nicht mehr genügend durchsetzen kann. Der Tod ist ein fortwährender Prozess, der im ganzen Leben wirkt, das Ich-Bewusstsein entsteht durch das Überwinden dieses Sterbens. Im Brustorganismus wirkt der astralische Leib, der die rhythmischen Prozesse von Atmung und Kreislauf vermittelt. Die Wechselwirkung von Kohlenstoff und Sauerstoff, das Einschlafen und Aufwachen, die Bedeutung des Seelenlebens für die Rhythmen des Organismus – all das sind Ausdrucksformen der Zusammenarbeit der Wesensglieder. Die Vorgänge im Brustorganismus sind Ergebnisse der Prozesse im oberen und unteren Menschen und der Einflüsse der Außenwelt. Die Entwicklung des Ich im Kindesalter zeigt sich in der Nahrungsaufnahme und im Stoffwechsel. Störungen in dieser Entwicklung führen zu Verdauungsschwierigkeiten, die bei Mädchen und Knaben verschieden gelagert sind. Die Behandlung solcher Störungen verlangt die Berücksichtigung der individuellen Ich-Entwicklung, die sich auch in den Wärmeverhältnissen des Organismus ausdrückt. Die Heilwirkung von Stoffen wie Arsen, Phosphor, Schwefel, Antimon hängt davon ab, wie sie in die Ich-Prozesse und die Dynamik der Wesensglieder eingreifen. Diphtherie und andere Infektionskrankheiten zeigen, wie das Ich sich gegen äußere Einflüsse behaupten muss, und wie die Phosphorprozesse dabei eine Rolle spielen. Zu starke Ich-Wirkung kann zu pathologischen Erscheinungen wie Epithelzerfall führen. Die ärztliche Einsicht verlangt ein Verständnis für das Wesen des Eiweißes, für das Verhältnis von Ernährung und Atmung, für die Erscheinungsweise des Ätherleibes im Flüssigen, der Astralität im Atmen und des Ich in der Wärme. Die Tätigkeit von Herz und Uterus, der Zusammenhang von Herztätigkeit mit Fett- und Kohlenhydratstoffwechsel, die Bedeutung des Merkurprozesses – all das sind Gesichtspunkte für die Bereitung von Heilmitteln. Die Pflanze steht in einem lebendigen Verhältnis zum Menschen: Wurzel, Kraut, Blüte und Samen entsprechen unterschiedlichen Kräften im menschlichen Organismus. Enzian, Nelkenwurz, Schwertlilie, Majoran, Holunder, Kümmel – jede Pflanze wirkt auf ihre Weise therapeutisch, je nachdem, wie ihre Kräfte in den menschlichen Organismus aufgenommen werden. Die Metamorphose des Sinnesprozesses im Stoffwechsel eröffnet neue therapeutische Möglichkeiten, ebenso die Polarität von Silber und Blei in der Metalltherapie. Die Metalle – Blei, Magnesium, Zinn, Eisen, Kupfer, Gold, Quecksilber, Silber – wirken nicht nur stofflich, sondern durch ihre Strahlung und ihre Prozesse. Der Begriff des Giftes muss neu gefasst werden, die homöopathische Regel umgeformt. Salz- und Metallprozesse, Strahlenwirkungen, die Beziehung von Muskeln und Knochen, die Untersuchung des Geschmackssinnes – all das sind Wege, die therapeutische Erkenntnis zu vertiefen. Die Eurythmie, als Heileurythmie, ist ein therapeutisches Element, das den aus dem Kosmos gestalteten Menschen anspricht und die Harmonie der Wesensglieder fördert. 314) Im menschlichen Organismus offenbart sich das Zusammenwirken von Geist, Seele und Leib. Die äußere Erscheinung des Menschen ist nur der Ausdruck tiefer liegender geistiger und seelischer Kräfte, die in ständiger Wechselwirkung mit den leiblichen Prozessen stehen. Die Gesundheit ist das Gleichgewicht zwischen diesen Kräften; Krankheit bedeutet eine Störung dieses Gleichgewichts. Die heutige Medizin betrachtet den Menschen meist nur als ein Produkt physikalisch-chemischer Vorgänge, doch wird dadurch das eigentliche Wesen des Menschen verkannt. Um wirklich heilen zu können, muss der Arzt das geistige Wesen des Menschen erfassen und verstehen, wie dieses in die leiblichen Prozesse eingreift. Die Gliederung des Menschen in Nerven-Sinnes-System, rhythmisches System und Stoffwechsel-Gliedmaßen-System bildet die Grundlage für das Verständnis von Gesundheit und Krankheit. Das Nerven-Sinnes-System ist Träger der Bewusstseinskräfte, das rhythmische System vermittelt Ausgleich und Harmonie, während das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System die Grundlage für Wille und Tatkraft bildet. Krankheit entsteht, wenn eines dieser Systeme das rechte Maß überschreitet oder zurückbleibt und so das Gleichgewicht der ganzen menschlichen Organisation stört. Die Therapie muss daher darauf abzielen, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Arzneikunst muss sich auf die Erkenntnis der geistigen Hintergründe der Natur stützen. Pflanzen, Mineralien und Tiere stehen in einem lebendigen Zusammenhang mit den menschlichen Wesensgliedern. Die Pflanze, in ihrer aufstrebenden Wachstumskraft, wirkt auf das rhythmische System des Menschen, das Mineralische auf das Nerven-Sinnes-System, das Tierische auf das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System. Durch die richtige Anwendung der Substanzen aus diesen Reichen kann der Arzt gezielt auf die gestörten Systeme einwirken und Heilung fördern. Die Hygiene ist nicht bloß eine Frage der äußeren Sauberkeit, sondern eine soziale Aufgabe. Die Lebensverhältnisse, die Ernährung, die Gestaltung des sozialen Lebens wirken auf den Menschen zurück und beeinflussen Gesundheit und Krankheit. Die Aufgabe der Medizin ist es, nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Gemeinschaft gesund zu erhalten. Eine wahre Hygiene muss daher die sozialen Lebensbedingungen so gestalten, dass sie dem ganzen Menschen, seinem Leib, seiner Seele und seinem Geist, gerecht werden. Auch die seelischen und geistigen Zustände wirken auf den Leib zurück. Angst, Sorge, Hoffnungslosigkeit schwächen die Lebenskräfte und machen den Menschen anfällig für Krankheit. Die Heilkunst muss daher auch die seelische Verfassung des Menschen berücksichtigen und stärken. Der Arzt ist nicht nur Techniker am menschlichen Körper, sondern Begleiter und Führer des Menschen auf dem Weg zur Gesundheit. Er muss die geistigen Hintergründe der Krankheit erkennen und dem Menschen helfen, sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Die moderne Psychiatrie kann ohne die Erkenntnis der geistigen Dimension des Menschen nicht zu einer wahren Heilung kommen. Seelische Erkrankungen sind Ausdruck einer gestörten Beziehung zwischen den geistigen, seelischen und leiblichen Kräften. Die Therapie muss darauf abzielen, diese Beziehung wiederherzustellen, indem sie nicht nur auf die Symptome, sondern auf die Ursachen im geistigen und seelischen Bereich eingeht. Die anthroposophisch orientierte Medizin ist berufen, das Wissen der Geisteswissenschaft in die medizinische Praxis hineinzutragen. Sie erkennt an, was die materialistische Naturwissenschaft an exakten Methoden und Erkenntnissen hervorgebracht hat, aber sie überschreitet deren Grenzen, indem sie das Geistige im Menschen und in der Natur als Wirklichkeit anerkennt. Nur so kann die Medizin zur wahren Heilkunst werden, die den ganzen Menschen erfasst und ihn auf allen Ebenen seines Wesens gesundet. 315) Der Mensch trägt in sich ein rhythmisches Wechselspiel zwischen dem, was nach vorne, zum Leben, zur Bewegung drängt, und dem, was rückwärts, zur Ruhe, zur Festigkeit strebt. In diesem Spannungsfeld gestaltet sich nicht nur das äußere Leben, sondern auch das Seelische und Geistige. Der Kehlkopf ist dabei nicht nur ein Organ der Sprache, sondern eine Metamorphose des ganzen Menschen, ein ätherischer zweiter Mensch im Menschen. Im Sprechen und Singen wird der Kehlkopf eurythmisiert, wird er zum Mittler zwischen dem, was im Kopf statisch ist, und dem, was im rhythmischen Menschen dynamisch lebt. Das Denken, das sich im Rhythmus bewegt, kann aus der Balance geraten, wenn das Ineinanderpassen der Systeme gestört ist. In der Eurythmie kann durch bestimmte Übungen, wie die jambische und trochäische, diese Harmonie wiederhergestellt werden. Auch die Art, wie wir die Gliedmaßen bewegen, steht in engem Zusammenhang mit unserer Denkweise. Das Schreiben mit den Füßen, die IAO-Übung, all dies führt zur Erfahrung, dass das Wesentliche der eurythmischen Bewegung das im Glied gefühlte Erleben ist. Die Sprache selbst offenbart im Vokalischen und Konsonantischen ihren inneren Charakter. In früheren Zeiten war Sprache und Bewegung innig verbunden; heute ist diese Verbindung gelockert. Die Eurythmie bringt den Körper wieder in Bewegung, indem sie die einzelnen Vokale – I, U, O, E, A – in therapeutische Bewegungen überführt. Jeder Vokal hat seine eigene Armbewegung und Wirkung, und das Vokalisieren wirkt allgemein stärkend. Auch das Konsonantieren, das Sich-Innerlich-Abphotographieren der Lautbewegung, entfaltet therapeutische Kräfte. Die Laute M, S, H stehen in Beziehung zu luziferischen und ahrimanischen Kräften. Im Konsonantieren setzt sich der Mensch mit der Außenwelt auseinander, im Vokalisieren verselbstet er sich durch innere Tätigkeit. Drei Prinzipien führen zur Ausbildung des eurythmischen Konsonantierens: die vokalische Tingierung, die Bewegung polarisch zum Sprechvorgang, und die Unterscheidung von Lippen-, Zahn- und Gaumenlauten. Die physiologischen Vorgänge beim Sprechen der Vokale A, U, O, E wirken polarisch in der Heileurythmie. Die Willensbewegung und die Intellektbewegung stehen sich gegenüber. Das durch den Intellekt verlorene Bildhafte der Sprache ist eine innere Krankheitsursache der Zivilisation, die durch Eurythmie geheilt werden kann. Die Vokale wirken unmittelbar auf den rhythmischen Organismus, die Konsonanten auf Umwegen durch den Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus. Die Metamorphose der Konsonantenbewegungen – B/P, D/T, G/K/Q, S, F, R, L, H, M, N, Sch – hat jeweils spezifische Wirkungen. Die Eurythmie ist beseeltes Turnen. Vor der heileurythmischen Vokalübung steht das Vokal-Sprechen, danach das geistig-seelische Hören des Bewegten. So wird Leben und Bewegung in den Ätherleib gebracht. Die R-Bewegung eignet sich besonders für die pädagogisch-didaktische Anwendung, ein zu starkes therapeutisches Wirken kann durch Ausgleich reguliert werden. Zwölf eurythmische Übungen ermöglichen es, vom Seelischen aus in die ganze Konstitution des Organismus hineinzuwirken, insbesondere über den Ätherleib. Urteil, Willensäußerung, Gefühlsbewegung-E, Wunschbewegung-U, Beuge- und Streckbewegungen mit B, R, M, Geschicklichkeits-E, E und O auf dem Boden, H-A und A-H – all dies macht den Ätherleib geschmeidig. Die Anwendung dieser Übungen ist pädagogisch-didaktisch, hygienisch und therapeutisch. Das physiologische Turnen ist eine Schule des Materialismus, während das eurythmische Turnen zur Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung führt. Die Übungen müssen abwechslungsreich und in angemessener Dauer angewendet werden. Das Physiologische der Eurythmie, das zunächst nach dem Geistigen hin liegt, zeigt sich etwa am Beispiel von Goethes Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh“. Zuhören ist ein schlafähnlicher Zustand, ähnlich dem Imaginieren. Die Ätherbewegungen des schlafenden oder zuhörenden Menschen werden durch den physischen Leib in der Eurythmie ausgeführt. Beim Kind werden die Wachstumskräfte angeregt, beim Erwachsenen die verjüngenden Kräfte. Das vokalische Eurythmisieren wirkt auf die Organe des rhythmischen Systems, das konsonantische auf die Kopforganisation. Die Verdauungstätigkeit entfaltet sich als Stoffwechseltätigkeit nach dem Rhythmischen hin. Die menschliche Willenstätigkeit und die Egoismuskräfte haben ihre Bedeutung für den Organismus. Die Organe besitzen Kristallisationskraft und plastische Kraft. Geistige Tätigkeit und physische Tätigkeit stehen in Wechselwirkung. Die rhythmische Abwechslung von konsonantierendem und vokalisierendem Eurythmisieren wirkt auf die Aura des Menschen. Die Heileurythmie ist eingebettet in die kosmischen und irdischen Kräfte, wie sie sich in der Erden- und Metallbildung zeigen. Vom Kosmos strahlen Bildungskräfte herein, die sich um einen Mittelpunkt versammeln, während Kräfte des Befestigens wirken. Magnesium und Fluor zeigen diese Kräfte im Schieben und Runden. Die Absonderungsprozesse vermitteln zwischen diesen Kräften. Der Wahrnehmungsprozess ist eine Fortsetzung des Werdeprozesses, der im Hinaufsteigen zum Imaginieren, Inspirieren und Intuitieren umgekehrt wird. Konsonantierende Bewegungen rufen unbewusste Imaginationskräfte hervor. Das vokalisierende Eurythmisieren wirkt normalisierend auf Deformierungen des rhythmischen Systems. Die Heileurythmie wirkt auch auf angeborene Defekte, indem sie die Wachstumskräfte anregt und die Organe harmonisiert. Die Anwendung der Heileurythmie muss immer im Einklang mit dem ärztlichen Wissen und unter ärztlicher Anleitung geschehen. Die Heileurythmie ist eine Metamorphose der Lautsprache, in der das Willensmäßige verstärkt und das Vorstellungsmäßige abgeschwächt wird. Sie wirkt allgemein gesundend, indem sie das Nach-Innen-Reflektieren der eurythmischen Gestaltung durch die Wiederholung ermöglicht. Die Ausübung der Heileurythmie ist Aufgabe des Arztes oder geschieht im engsten Einklang mit ihm. Die Polarität von Stoffwechselsystem und Nerven-Sinnessystem zeigt sich im Sprechen und wird durch Heileurythmie reguliert. Die einzelnen Laute – etwa L, A, O beim Zahnen, S, A, B, P bei Nierenaffektionen – wirken spezifisch auf die Organe. Die Organe stehen in einer Polarität von zentrifugaler und zentripetaler Dynamik, die sich durch Heileurythmie ausgleichen lässt. Künstlerische Seelenverfassung ist Voraussetzung für das Wirken der Heileurythmie. Die Methode darf nicht überschätzt oder dilettantisch angewendet werden. Gesunde Physiologie ist die Grundlage für eine im Lichte arbeitende Therapie. 316) Der Mensch erscheint nicht als ein fest umrissener Organismus, sondern als ein vielschichtiges Wesen, das sich aus verschiedenen Gliedern zusammensetzt: dem physischen Leib, dem Flüssigkeitsmenschen, in den der Ätherleib wirkt, dem Luftmenschen, in dem der Astralleib tätig ist, und dem Wärmemenschen, der von der Ich-Organisation durchdrungen wird. Die Seele greift durch den Wärmeäther in die Organe ein, so dass das Seelische sich im Leiblichen ausdrückt. Krankheit entsteht, wenn die Harmonie dieser Glieder gestört ist; Heilung kann erfolgen, wenn höhere Wesensglieder aufgerufen werden, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Natur selbst bietet in ihren Prozessen Analogien und Hilfen für das Verständnis und die Heilung des Menschen – sei es in der Beobachtung der Ameisensäure, der Reifung der Feige oder der Organisation des Bienenstocks. Der Arzt muss seinen Natursinn schulen, auch im Umgang mit dem Mikroskop, und immer das Lebendig-Kosmische im Auge behalten. Das Ich des Menschen steht in Beziehung zur Erdengestalt und zum Tod. Die Ernährung verbindet den physischen Organismus mit der Außenwelt, während Ätherleib und Astralleib das Seelenleben und die Krankheitsbereitschaft prägen. Die Organe sind nicht bloße Maschinen, sondern Sinnesorgane: die Leber nimmt die Substanzen der Außenwelt wahr, das Herz ist Sinnesorgan für die Innenwelt. Die Nahrung muss aus dem Zusammenhang mit dem Kosmos und dem Menschen beurteilt werden. Im Haupt gleichen sich Erdenstoffkräfte und periphere Stoffkräfte aus; das Haupt ist gewissermaßen gewichtslos, in statischer Ruhe, während im übrigen Skelett kosmische und irdische Kräfte wirken. Die Substanzen im Organismus sind Ausdruck kosmischer Bildeprozesse. Die Kräfte, die etwa den Bleiprozeß überwinden, oder die Bedeutung des Magnesiumprozesses, zeigen, wie die Metalle und Prozesse im Menschen in rhythmischen Perioden wirken. Auch das Antimon und die Metamorphosen des Kohlenprozesses offenbaren sich als Ausdruck kosmischer und ätherischer Gestaltung. Das äußere, exoterische Wissen bildet die Grundlage für das innere, esoterische Verstehen. Der Ätherleib steht in Beziehung zum Keim, der aus der Vererbung stammt, und zum Astralleib, der nach der Geburt einsetzt. Die innere Schulung des Arztes, das rhythmische Wiederholen des Wissens, führt zur Vertiefung und zur Fähigkeit, das Lebendige in der Pflanze und im Menschen zu erleben. Die Verbindung von Wissen und moralischem Impuls ist notwendig, um die Heilkunst zu einer wahrhaftigen Kunst zu machen. Die Erkenntnis des Menschen erfolgt auf verschiedenen Ebenen: durch Gedanken das Knochensystem, durch Imagination den Flüssigkeitsmenschen und das Muskelsystem, durch Inspiration die inneren Organe, durch Intuition den Wärmemenschen und die Tätigkeit der Organe. Zwei Arten von Wärme, Luft- und Lichtzustand, ihre Metamorphosen, das Wässrige und der Chemismus, das Erdige und das Leben – all dies offenbart sich im therapeutischen Handeln. Fragen nach Heilmagnetismus, dem Verhältnis von Herz und Uterus, dem Einfluss von Edelsteinen, der Bedeutung der Leichnamsverwesung, der Sektion nach dem Tod, der Gemeinschaft für die Heilkraft des Arztes, Augendiagnose und Graphologie werden beantwortet. Das Heilen verlangt nicht nur Kenntnis des Heilmittels, sondern auch ein inneres Verhältnis zum Wesen der Krankheit. Die «Philosophie der Freiheit» ist Grundlage für das Verständnis der menschlichen Wesenheit, und der Studienweg zur geistgemäßen Medizin erfordert Imagination, Inspiration und Intuition. Der Arzt muss sich nach dem Karma orientieren, den Karmawillen und den Heilerwillen in sich verbinden. Die Betrachtung des Menschen als Ergebnis kosmischer Kräfte, etwa der Saturn- und Mondkräfte, führt zur meditativen Vertiefung, die für die Heilkunst unerlässlich ist. Im Osterkurs werden die Schwierigkeiten des esoterischen Schulungsweges für den Arzt besprochen. Die Emanzipation des westlichen esoterischen Weges vom äußeren Kosmos, die Bedeutung der Meditation, die Entstehung des für die Erde tauglichen Menschenleibes, die Herkunft der Vererbungsströmung, die Bedeutung von Scharlach und Masern, die kindliche Nahrung, die Sieben-Jahres-Perioden und das Hereinwirken der kosmischen Bildekräfte werden behandelt. Das richtige Meditieren, die Erkenntnis der Krankheit als Erkenntnis der Heilung, das Wissen vom Heilen und der Wille zum Heilen sind zentrale Anliegen. Das Ätherische wird aus dem Bildhauerischen, das Astralische aus dem Musikalischen erkannt. Die Formgestaltung des Menschen aus kosmischen Kräften, die Beseelung durch die Sonnenwirkung, die Durchgeistigung durch die Saturnkräfte, die kosmische Natur der Metalle, das Moralische als einstrahlende Kraft, die Notwendigkeit, geistige Wahrheiten immer wieder meditativ zu erleben, werden hervorgehoben. Die karmischen Verhältnisse der um die Jahrhundertwende geborenen geistsuchenden Seelen werden beleuchtet. Die medizinische Anschauung des 19. und 20. Jahrhunderts wird in ihren karmischen Zusammenhängen betrachtet. Das Christentum und der Arabismus, die kosmische Trinität von Saturn, Sonne und Mond, wirken im gesunden und kranken Menschen. Die karmischen Verhältnisse der Kranken, der Heilerwille, die Durchchristung der Medizin, das Mitdenken des Herzens, der Merkurstab, das Wirken des Karma in der Zeitkultur – all dies sind Aufgaben des Arztes. Die Wesensglieder und ihre Beziehungen, die allgemeinen Ursachen des Krankwerdens, das Verständnis der Heilmittelwirkung, die Unterschiede zwischen physischen und geistigen Erkrankungen, die Temperamente, die Anleitung zur Meditation für imaginatives und inspiratives Bewusstsein, das Empfinden im Wissen und im Erkennen, das leise Heilen der Erbkräfte in der Erziehung, das Verhältnis des Arztes zum Patienten und der innere Anschluss an das Goetheanum als geistiges Zentrum – all dies bildet das Fundament einer neuen, aus der Anthroposophie hervorgehenden Medizin. 317) Das Kind, das aus unvollständig gebliebener Entwicklung heraus erzogen oder geheilt werden soll, fordert vom Erziehenden eine tiefe Erkenntnis der Erziehungspraxis auch für das gesunde Kind. Denn alles, was bei krankhaften Kindern auftritt, ist im Keim auch im sogenannten normalen Seelenleben zu finden. Die Unregelmäßigkeiten des Seelenlebens, seien es Gedankenfluchten, Störungen im Sprechen, im Willens- oder Gefühlsleben, sind in jedem Menschen in Ansätzen vorhanden. Es gilt, diese Symptome zu studieren, nicht um sie mit dem eigentlichen Kranksein zu verwechseln, sondern um das Substantielle zu erkennen, das hinter dem Symptom steht. Das Geistig-Seelische des Menschen steht in einem besonderen Verhältnis zu den ererbten Kräften des Leibes. Im Nerven-Sinnessystem wirken synthetische, im Stoffwechselsystem analytische Vorgänge. Nach dem siebenten Lebensjahr baut sich der Organismus neu auf, die Individualität des Menschen tritt stärker hervor, der dritte Körper wird offenbar, die Erdenreife beginnt. Die flüssigen, gasförmigen und wärmehaften Teile des Organismus haben je eigene Bedeutung für die Entwicklung. Das Seelenleben zeigt sich oft nur oberflächlich als Symptomenkomplex und kann täuschen. Im Denken wirkt eine synthetische Tätigkeit, im Willensleben eine analytische. Der Weltenäther trägt die Gedanken, in der Bildung des Menschen, besonders im Nerven-Sinnessystem, leben die Gedanken, deren Zerfallsprozess als Spiegelung erscheint. Unsinnige Gedanken entstehen aus gestörtem Verhältnis zu dieser Lebendigkeit. Der Erzieher muss mit seinem höheren Wesensglied auf das Kind wirken, etwa indem er bei willensschwachen Kindern mit der eigenen Ich-Kraft wirkt. Moralität, Verantwortlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Entscheidungsmut sind Grundhaltungen, die der Erzieher in sich tragen muss. Das Ich hat eine unmittelbare Beziehung zur Physis, der Astralleib wirkt indirekt durch Licht, Chemismus und Weltenleben. Wenn Ich und Astralleib nicht richtig durch die Organe wirken, entstehen Krankheiten wie Epilepsie. Die Therapie solcher Leiden verlangt das Erfassen dieser Zusammenhänge. Organe sind richtig oder unrichtig eingegliederte Gedanken. Der Wille ist zu Beginn der Inkarnation unsicher, Moralität muss erworben werden. Moralische Defekte bleiben als Symptome bestehen, wie bei der Kleptomanie, deren Ursachen und mögliche Verwandlung betrachtet werden. Das Karma spielt eine Rolle, schon in der Embryonalzeit wirkt Erziehung auf das Kind, indem die Mutter erzogen wird. Epileptische und epileptoide Zustände, hysterische Erscheinungen im Kindesalter, Hyperempfindlichkeit, Schmerz, Angst, depressive Gefühle, nächtliches Einnässen – all dies hat seelische Ursachen. Die Stimmung des Erziehers wirkt heilsam, Schock und Tempowechsel in der Arbeit können helfen, Kindern, die nicht an sich glauben, Mut zu machen. Der Erzieher muss jedes Kind als Wesen erleben, nicht nach Vorschriften handeln. Die Wesensglieder des Menschen stehen polarisch zueinander. Paranoia und schwache Stoffwechselorganisation hängen mit schwefelarmem oder schwefelreichem Eiweiß zusammen. Die Begriffs- und Formenvielfalt muss entwickelt werden, rhythmische Wiederholung ist ein therapeutisches Element, besonders bei Zwangsvorstellungen. Diät und Bewegung sind wichtige Faktoren. Anhand von Fallstudien werden die Anamnese, Gestaltbetrachtung und das Verhältnis von oberem zu unterem Menschen betrachtet. Kopfbildung, Atmung, Disharmonien werden analysiert, Therapien durch Heileurythmie, heilpädagogisches Handeln und Medikation werden aufgezeigt. Humor, Beweglichkeit und Enthusiasmus sind Grundhaltungen des Erziehers. Weitere Fallbesprechungen zeigen, wie der Ätherleib, die Hirn-Darm-Beziehung, Krampfanfälle, Parese und Darmfunktion therapeutisch zu behandeln sind. Die Bedeutung der Traumbeobachtung, der Einfluss von Erbanlagen und Krankheiten wie Masern werden hervorgehoben. Kleptomanie wird durch das Verhältnis des Kindes zum Erzieher beeinflusst, Zutrauen ist entscheidend. Frühzeitiges Erkennen der Anlagen ist wichtig, Heileurythmie, Medikation und das richtige Gespräch zur rechten Zeit sind therapeutisch wirksam. Bei Hydrozephalus ist die Dämpfung der Sinnesreize notwendig, Krisen können das Krankheitsbild ändern. Die Beziehung des Erziehers zum Sprachgenius ist von Bedeutung. Verlangsamte seelische Prozesse entstehen, wenn die Kopforganisation nicht von der Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation aufgenommen wird. Pädagogische Therapie, Medikation und die Bedeutung einschneidender Ereignisse im frühen Leben werden behandelt. Esoterischer Mut, Andacht zum Kleinen und das Überwinden von Widerständen sind Grundsätze für den Erzieher. Die Wirkung der Sterne, Horoskope und die Besonderheiten von Albinos werden angesprochen. Gedächtnisschwund bei Kindern steht im Zusammenhang mit übermäßiger Tätigkeit des Ätherkörpers im Unterleib. Starke Eindrücke, rhythmische Wiederholungen, medikamentöse und heileurythmische Behandlung sind angezeigt. Kinder, die alles in Farben sehen, leben im Astralleib; ihre Therapie erfordert besondere Maßnahmen. Die heilpädagogische Bewegung muss getragen werden von Verständnis für Metamorphosen und das Anschließen an schon Vorhandenes. Die Waldorfpädagogik wird für sogenannte abnorme Kinder vertieft. Heilen und Erziehen sind eins. Die geistig formenden Kräfte der Muttermilch, die Beziehung von Pflanze und Mensch, Krankheit und Tierreich werden als Realitäten gefühlt. Selbsterziehung des Erziehers ist Voraussetzung, geistige Entwicklung und Lebensrealität müssen verbunden werden. Das substantiell Anthroposophische bildet die Grundlage für die heilpädagogische Arbeit. 318) Die Aufgabe, die sich heute stellt, ist die Erneuerung der Pastoralmedizin, einer alten Tradition, die einst eine lebendige Verbindung zwischen dem ärztlichen und dem priesterlichen Wirken herstellte. In früheren Zeiten war es selbstverständlich, dass der Priester auch als Arzt wirkte und der Arzt als Priester. Heute aber sind diese beiden Berufe auseinandergetreten, und es ist notwendig, dass sie wieder in einer neuen, zeitgemäßen Weise zusammenarbeiten, ohne jedoch die Grenzen des jeweils eigenen Fachgebietes zu überschreiten. Es ist nicht das Ziel, dass der Priester zum Arzt wird oder der Arzt zum Priester. Vielmehr soll ein echtes Zusammenwirken entstehen, bei dem der Arzt das medizinische Wissen und die ärztliche Kunst einbringt, während der Priester die seelsorgerliche Kraft und das Verständnis für die geistige Dimension des Menschen beisteuert. Beide Berufe sind Diener am Menschen, aber auf unterschiedliche Weise: Der Arzt wirkt am physischen und seelischen Leib, der Priester am Geist. Um dieses Zusammenwirken zu ermöglichen, muss der Priester ein gewisses Verständnis für medizinische Zusammenhänge entwickeln, und der Arzt muss offen sein für die seelischen und geistigen Bedürfnisse des Menschen. Es genügt nicht, dass der Arzt nur den Körper behandelt und der Priester nur das Seelenleben pflegt. Der Mensch ist eine Einheit aus Leib, Seele und Geist, und jede Störung im Menschen betrifft alle drei Bereiche. Die medizinische Wissenschaft hat große Fortschritte gemacht, aber sie bleibt einseitig, wenn sie den Geist außer Acht lässt. Ebenso kann die Seelsorge nicht fruchtbar sein, wenn sie die leiblichen und seelischen Bedingungen des Menschen nicht berücksichtigt. Krankheit ist nicht nur ein physischer Vorgang, sondern immer auch Ausdruck eines seelisch-geistigen Geschehens. Der Arzt muss daher lernen, die geistigen Hintergründe der Krankheit zu erkennen, und der Priester muss wissen, wie das Geistige im Menschen auf den Leib wirkt. In der Zusammenarbeit von Arzt und Priester kann eine neue Form der Heilkunst entstehen, die den ganzen Menschen umfasst. Der Arzt soll den Priester nicht als Konkurrenten empfinden, sondern als Partner, der ihm hilft, den Menschen in seiner Ganzheit zu sehen. Der Priester wiederum soll den Arzt nicht als bloßen Techniker betrachten, sondern als Helfer am Menschen, der seine Arbeit aus einer höheren, geistigen Perspektive heraus vollbringt. Die Anthroposophie bietet die Grundlage für dieses Zusammenwirken, indem sie den Menschen als dreigliedriges Wesen auffasst und die geistigen Hintergründe von Gesundheit und Krankheit erschließt. Aus dieser Erkenntnis heraus kann ein neuer Impuls für die Pastoralmedizin entstehen, der die alten Traditionen aufgreift und sie in zeitgemäßer Weise weiterführt. Es ist eine Aufgabe, die Mut, Hingabe und ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse des modernen Menschen verlangt. 319) Im menschlichen Organismus wirken nicht bloß die physischen und chemischen Prozesse, wie sie die äußere Naturwissenschaft erkennt, sondern es entfalten sich in ihm zugleich ätherische, astralische und Ich-Kräfte. Nur wenn ich diese übersinnlichen Glieder des Menschen in ihrer gegenseitigen Wirksamkeit und in ihrer Beziehung zu den Naturreichen erfasse, kann ich Krankheit und Heilung in ihrem wahren Zusammenhang durchschauen. Die Dreigliederung des Menschen in Nerven-Sinnes-System, rhythmisches System und Stoffwechsel-Gliedmaßensystem offenbart, dass Gesundheit immer im Gleichgewicht dieser drei Grundprozesse besteht, während Krankheit aus einer Störung dieses Gleichgewichts entspringt. Die Milz etwa wirkt als Vermittlerin zwischen den aufbauenden und abbauenden Kräften, und schon kleinste Entitäten, mikroskopisch kaum fassbar, entfalten große Wirkungen im Organismus. Die Pathologie kann nicht allein durch äußere Beobachtung, sondern muss durch ein inneres Erfassen der Prozesse, die sich zwischen den Wesensgliedern abspielen, begriffen werden. So ist beispielsweise die Migräne Ausdruck einer besonderen Polarisierung zwischen Nerven- und Leberprozessen, Typhus wiederum ein Geschehen, in dem der Antimonprozess wirksam wird. Die Heilmittel, die ich anwende, müssen nicht nur stofflich, sondern vor allem prozessual verstanden werden: Es ist nicht der Stoff allein, sondern das, was als Prozess aus Pflanze, Mineral oder Tier in das menschliche Geschehen eintritt, das zur Heilung führt. Die Therapie verlangt, dass ich die Polaritäten im Menschen erkenne: Quarzprozesse stehen den Albumisierungsprozessen gegenüber, Phosphorprozesse wirken formauflösend, während der Kalkprozess formgebend ist. Die Mistel etwa begegnet dem Karzinom, weil sie als Pflanze im Werden verharrt und nicht zur Erde hinabsteigt, während das Karzinom ein zu starkes Erdewerden im Menschen bedeutet. Die Heileurythmie wird als künstlerische Therapie zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen den Wesensgliedern eingesetzt. Die anthroposophische Medizin verlangt eine Schulung der Seele, damit ich die übersinnlichen Glieder des Menschen erkennen kann. Durch Meditation, Denkübungen und Selbsterkenntnis stärke ich die Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens, so dass ich die geistigen Hintergründe von Gesundheit und Krankheit erfassen kann. Die Liebe wird zur Erkenntniskraft, die den Heilimpuls trägt. Die Heilkunst ist eine durchschauende Kunst, die Diagnose und Therapie nicht trennt, sondern beide als Einheit aus dem lebendigen Erfassen der auf- und abbauenden Kräfte im Menschen gestaltet. Die Herstellung von Heilmitteln muss die spirituellen Kräfte berücksichtigen, die in den Substanzen wirken. Die alten Mysterien der Medizin lebten aus einer Initiationswissenschaft, die den Zusammenhang von Mensch und Kosmos kannte. Diese Erkenntnis muss in neuer Weise errungen werden, damit die Heilkunst wieder zur wahren Menschenkunde wird. 320) Am Ausgangspunkt stehen drei Forschungsrichtungen der Naturwissenschaft, die sich in ihrer Betrachtung der Welt unterscheiden: Die phoronomische, die mechanische und diejenige, die sich Goethes Methode verdankt. Während die Mathematik in der Naturwissenschaft als Werkzeug dient, das vor allem Zentralkräfte in den Blick nimmt, zeigt sich daneben das Wirken peripherischer Universalkräfte, die nicht im Potentiale ruhen, sondern sich im Umkreis entfalten. Die Kluft zwischen Phoronomie und Mechanik lässt sich nur überbrücken, wenn man erkennt, dass das Bewusstsein sich in einem Spannungsfeld von Masse und Licht bewegt. Das Gehirn erfährt einen Auftrieb, der den Menschen in eine besondere Beziehung zur Welt setzt. Die Farben entstehen nicht im Licht selbst, sondern an der Grenze zwischen Licht und Dunkelheit, wie es das Prisma offenbart. Das Auge, in seiner Organisation, steht im Gegensatz zum Muskel: Während der Muskel dem physischen Leib dient, ist das Auge dem Astralleib zugeordnet. Goethes Farbenlehre zeigt, dass Farben Randerscheinungen sind, die an der Grenze von Licht und Finsternis hervortreten. Nicht die Zerlegung des Lichtes in Spektralfarben, wie Newton es annimmt, sondern die Erscheinung an der Grenze ist entscheidend. Das Doppelprisma, die Sammellinse und die Zerstreuungslinse machen deutlich, dass es nicht um gebrochene Lichtstrahlen geht, sondern um die Verengung oder Weitung des Lichtkegels. Die Hebungskraft des Auges, seine Visierkraft, ist Teil dieser Erscheinung. Das Urphänomen der Farbenlehre liegt im subjektiven Spektrum, das sich dem Menschen offenbart. Newtons Vorstellung von Lichtkorpuskeln und die Undulationstheorie werden kritisch betrachtet. Die Lichtauslöschung durch die Natriumflamme zeigt, dass auch die Dunkelheit eine eigene Realität besitzt und nicht bloß Abwesenheit von Licht ist. Die Dunkelheit kann gleichsam "zerlegt" werden. Versuche wie der von Kirchhoff und Bunsen, die Phosphoreszenz und Fluoreszenz, zeigen, dass es Körperfarben gibt, die nicht allein auf Licht zurückzuführen sind. Der Mensch steht in einem gegensätzlichen Verhältnis zu Raum und Zeit einerseits, zur Geschwindigkeit andererseits, ebenso zu Licht und Farbe. Das Dunkle hat neben dem Hellen seine eigene Realität. Das Licht wird von der Seele eingesogen, während die Dunkelheit das Bewusstsein aussaugt. Dunkelheit und Materie stehen in Beziehung zueinander. Das Wärmeerleben unterscheidet sich vom Lichterleben. Schall ist ehrliche Luftschwingung, Licht hingegen eine hypothetische Ätherschwingung. Die Wechselwirkung von Licht mit elektromagnetischen Kräften wird entdeckt. Farbige Schatten sind objektive Erscheinungen. Die Begriffe "subjektiv" und "objektiv" müssen neu gefasst werden. Der Mensch steht in drei Stufen zur Außenwelt: in Licht, Wärme und Luft. Der Atmungsprozess und die Tonwahrnehmung sind Ausdruck verschiedener Sinnesarten. Das Wärmeäquivalent zeigt, wie die Erscheinungen ineinander übergehen. Der Ton ist nicht bloß subjektiv, sondern die Geschwindigkeit ist das Reale, das sich in der Erscheinung des Tones offenbart. Die Sympathie der Erscheinungen zeigt sich in der Organisation des Gehörsinns: Erst mit dem Kehlkopf wird das Ohr ein Ganzes, dem Auge vergleichbar. Der Ton steht in Beziehung zur Luftschwingung. Die Erscheinungen der Elektrizität zeigen das Streben der neueren Physik nach einem abstrakten Gleichen in den Naturkräften. Hertzsche Wellen sind der Höhepunkt dieser Entwicklung. Das revolutionierende Phänomen der Kathodenstrahlen, ihre Modifikationen als Röntgenstrahlen, Alpha-, Beta- und Gammastrahlen, zeigen neue Dimensionen der Materie. Wachen und Schlafen, Denken und Wille, Licht und Elektrizität stehen in einem inneren Zusammenhang. In Elektrizität und Magnetismus wird die Materie konkret studiert. Die Versuche zu Kathoden- und Röntgenstrahlen führen zu einer Zusammenfassung: Der Gang der physikalischen Wissenschaft hebt den Materialismus aus den Angeln. Es ist notwendig, mit dem Vorstellen in die Erscheinungen selbst einzudringen. Die Erschütterung der alten Geometrie im 19. Jahrhundert, etwa durch Lobatschewskij, macht deutlich, dass die phoronomischen Vorstellungen nicht aus den Sinneserscheinungen, sondern aus dem Willen stammen. Die statistische Methode verliert den Gedanken, gewinnt dadurch aber den Zugang zur Wirklichkeit. Elektrizitätserscheinungen und Ton zeigen die Notwendigkeit, die Erscheinungen umfassend zu denken. 321) Die Wärme tritt dem Menschen zunächst als Empfindung entgegen, als etwas, das sich subjektiv mit kalt, warm, lau beschreiben lässt. Doch diese Empfindung ist wandelbar, abhängig von der vorherigen Erfahrung, wie das einfache Experiment mit den unterschiedlich temperierten Wasserschalen zeigt: Was eben noch kalt erschien, kann im nächsten Moment warm erscheinen und umgekehrt. Daraus ergibt sich die Frage: Ist die subjektive Wärmeempfindung weniger wirklich als das, was das Thermometer misst? Die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts hat die objektive Messung der Temperatur über die subjektive Empfindung gestellt, und so wurde die Wärme zu einer bloßen Größe, zu einer Zahl auf einer Skala, reduziert. Doch damit ist das eigentliche Wesen der Wärme nicht erfasst. Wärme ist nicht bloß ein mechanischer Prozess, nicht nur das Ergebnis von Molekularbewegungen. Sie ist ein Grenzphänomen zwischen Materiellem und Immateriellem, zwischen dem, was sich in fester Gestalt zeigt, und dem, was sich im Gasigen verliert. Die Wärme steht an der Schwelle, an der Materie vergeistigt und Geist materialisiert wird. Im festen Körper zeigt sich das Individuelle, die Gestalt; im Gas das Allgemeine, das Verdichten und Verdünnen, das Kosmische. Die Flüssigkeit steht dazwischen, als bewegliche Grenze. Das Wasser, mit seinem unregelmäßigen Verhalten, ist ein Bild für die Übergänge, für die Ausnahmen im Naturgeschehen. Die mechanische Wärmetheorie, die alles auf Bewegung der Atome zurückführt, greift zu kurz. Sie übersieht, dass im Erleben der Wärme der ganze Mensch beteiligt ist, nicht nur ein isoliertes Sinnesorgan wie beim Licht oder beim Ton. Im Menschen begegnen sich Wille und Vorstellung, und in der Wärme wird diese Begegnung sinnlich erfahrbar. Die Prozesse der Wärme sind nicht umkehrbar wie die mathematischen Operationen des Differenzierens und Integrierens; sie zeigen, dass das Leben und die Natur nicht einfach auf Mechanik reduziert werden können. Die Betrachtung der Ausdehnung fester und gasförmiger Körper offenbart, dass im Festen das Individuelle, im Gas das Allgemeine herrscht. Die Flüssigkeit vermittelt zwischen beiden. Die alten Griechen sahen noch kosmische Kräfte in den Naturerscheinungen; die moderne Wissenschaft hat diese in die Atome verlegt und damit das Wesentliche aus den Begriffen entfernt. Im Spektrum des Lichts offenbaren sich verschiedene Wirkungen: der rote, blaue und grüne Teil, die Wärme-, Licht- und chemischen Effekte. Durch Experimente mit Alaun, Äskulin und Jod lassen sich diese Wirkungen voneinander trennen. Das gewöhnliche Spektrum ist jedoch ein Ergebnis irdischer Kräfte; das eigentliche Wesen der Wärme bleibt verborgen. Die Wärme erscheint als intensive Bewegung, nicht als bloße Verschiebung von Atomen. An der Grenze von Druck- und Saugwirkungen, von Materialisierung und Entmaterialisierung, wird die Wärme zum physisch-geistigen Wirbel. Die Entropie, das Streben nach Gleichgewicht, ist Ausdruck dieser Grenzlage der Wärme. Im Menschen begegnen sich die Gestaltungskraft der Vorstellung und die Wirksamkeit des Willens, und die Wärme bildet die Brücke zwischen beiden. Die Betrachtung der Wärme führt zu einer Erweiterung des naturwissenschaftlichen Denkens, das nicht im Abstrakten verharren darf, sondern sich der Wirklichkeit des Lebendigen und Geistigen öffnen muss. Die Zukunft der Physik liegt in der Überwindung des bloßen Materialismus und in der Anerkennung der Wärme als Grenzphänomen zwischen Materie und Geist. 322) Ich stelle die Frage nach den Grenzen der Naturerkenntnis, weil die Menschheit heute nicht mehr aus alten sozialen Instinkten heraus leben kann, sondern bewusste Begriffe braucht, um eine menschenwürdige soziale Ordnung zu gestalten. Die Begriffe, mit denen wir heute denken, sind jedoch weitgehend von der neueren Naturwissenschaft geprägt, und diese Begriffe reichen nicht aus, um die sozialen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Die Naturwissenschaft hat sich darauf konzentriert, die leblosen Naturerscheinungen mit mathematischer Klarheit zu durchdringen, und strebte nach einem Ideal, in dem alles bis ins Kleinste – bis zum Atom – mathematisch erklärbar wäre. Doch dieses Streben stößt an Grenzen, sobald wir das Lebendige, das Bewusstsein und das Soziale betrachten. Die Philosophie Hegels, die sich ebenfalls um durchsichtige Begriffsbildung bemüht, bleibt für das soziale Leben ebenso unfruchtbar wie die Naturwissenschaft. Marx und Stirner stehen an den Polen von Materie und Bewusstsein, doch die Durchsichtigkeit der Begriffe allein genügt nicht, wenn wir mehr als bloßen Phänomenalismus wollen. Es gilt, mit dem Denken hinter den Sinnesteppich zu gelangen, wie es der Goetheanismus anstrebt. Die Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten wird zur Kardinalfrage: Was ist wirklich in der Natur, und was ist nur unsere Vorstellung? Die Mathematik, die in der Mechanik als Bewegungs- und Kräfteparallelogramm erscheint, ist nicht bloß prosaisch-abstrakt, sondern enthält eine Inspiration, die aus tieferen Schichten der Menschheitsentwicklung stammt. Das mathematische Denken lebt latent im Lebenssinn, Bewegungssinn und Gleichgewichtssinn des Menschen. Goethe bringt Licht in den Materiepol, indem er das Urphänomen sucht, das wie ein Axiom wirkt. Am Bewußtseinspol zeigt sich, dass mystische Erlebnisse und das reine Denken, wie sie in der „Philosophie der Freiheit“ beschrieben werden, einen Punkt erreichen, an dem das Denken das Weltendasein ergreift. Die moralische Phantasie wird zum Quell freier sittlicher Antriebe. Begriffe werden durch Imagination umgewandelt, und das instinktive Ich wird durch Imagination sozial. Die Wirklichkeit lebt in Bildern, nicht im bloßen Weiterdenken von Begriffen. Das Beweisen, wie es in der Naturwissenschaft gefordert wird, ist für die Geisteswissenschaft nicht maßgeblich, denn der Weg der Geistesforschung ist selbst das Beweisende. Inspiration und Imagination sind die rechten Wege, sich an die Grenzen des gewöhnlichen Erkennens zu stellen. In der Gleichgewichts-, Bewegungs- und Lebensempfindung lebt die Inspiration. Das Geistig-Wesenhafte konturiert sich anstelle der metaphysisch gedachten Welt der Atome. Pathologischer Skeptizismus, wie er bei Nietzsche auftritt, ist ein Symptom der Zeit. Das Herausstreben aus dem Leibe ist ein instinktives Streben des Menschen. Die Geisteswissenschaft kann als Heilmittel gegen pathologische Zustände dienen. Durch Inspiration verwandelt sich das Gedächtnis in die Erkenntnis wiederholter Erdenleben. Die Entwicklung der Seelenkräfte am Bewußtseinspol führt zu einem tieferen Erleben des eigenen Wesens. Pathologische Zustände wie Astraphobie, Klaustrophobie und Agoraphobie sind Symptome des modernen Menschen. Die Kraft der Liebe, Imagination und Intuition werden zu heilenden Kräften, auch in sozialen Fragen wie Kapital, Arbeit und Ware. Die Wahrnehmung von Sprache, Gedanken und Ich führt zum freiwerdenden Geistig-Seelischen. Die alt-orientalische Schulung mit ihren Mantren führt zu geistigen Wesenheiten, während die Sprachwahrnehmung zum anderen Menschen führt. Die Gefahren der Schulung werden sichtbar, wenn der Geisteszug vom Osten im Westen im Skeptizismus endet. Dem muss ein neuer Zug von Westen nach Osten begegnen. Imagination wird zum Weg der abendländischen Zivilisation, während das reine Denken als Wahrnehmen ohne Denken erscheint. Für den Wissenschafter besteht der Erkenntnisweg darin, das Wahrnehmen unter Ausschluss des Denkens durch Verbildlichung zu üben. In der Kontemplation dringt das Geistige durch die Sinneswelt unbewusst in uns ein und organisiert uns. Das Kind emanzipiert sich von Gleichgewichtssinn, Bewegungssinn und Lebenssinn und zieht Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn in sich hinein. Wer zur Imagination strebt, dringt durch diese Sinne zu Gleichgewicht, Bewegung und Leben hindurch. Das reine Denken verwandelt sich dabei in Inspiration, und die Intuition verbindet Imagination und Inspiration. Viele Mystiker bleiben an den unteren Sinnen hängen und kommen nicht hindurch. Was der Orientale durch Atemübungen erlebt, kann auch im abendländischen Erkenntnisweg gefunden werden. Die Sackgasse der abendländischen Philosophie, wie sie sich bei Schelling und Hegel zeigt, kann durch diesen neuen Weg überwunden werden. 323) Im Anfang steht die Notwendigkeit, die naturwissenschaftlichen Gebiete neu zu gliedern und ihren Zusammenhang mit der Astronomie zu durchdringen, denn die heutige mathematisch-mechanische Betrachtungsweise der Himmelskunde ist ein Kind der neueren Menschheitsentwicklung, nicht ein absolutes Gesetz. Die moderne Wissenschaft sucht nach zwingenden, überschaubaren Vorstellungen, doch bleibt sie in Abstraktionen stecken, wenn sie den Menschen nicht als Zentrum des Kosmos begreift. Nur durch die Verbindung von Astronomie und Embryologie, durch das Verständnis des Menschen als Abbild des Kosmos, kann ein wirklicher Brückenschlag zwischen Natur- und Sozialwissenschaft gelingen. Die Kalenderwissenschaft der Chaldäer offenbart eine tiefe Anschauung der kosmischen Rhythmen, und auch Tycho de Brahe und Kopernikus haben mit ihren Methoden die Bewegungen der Himmelskörper erfasst, doch bleibt die heutige Astronomie in Unsicherheiten befangen, solange sie nicht den Menschen als Maßstab nimmt. Die Rhythmen des Kosmos – das Solarische, Tellurische und Lunarische – wirken in den Jahres- und Tagesläufen und spiegeln sich in den Lebensprozessen des Menschen wider, in der Phantasie, im Leiblichen, in den weiblichen Funktionen. Der Mensch wird aus dem Weltenall herausgebildet. Die Vorstellungen von Himmel und Erde sind problematisch, solange der Mensch sich nicht selbst als Teil des Kosmos erkennt. Die Erde ist nicht nur ein geologischer Körper, sondern lebt im Austausch mit dem Kosmos, wie das Pflanzenreich zeigt. Das Solarische und Tellurische wirken gestaltbildend, im Kind wie im Erwachsenen, und die Keplerschen Gesetze offenbaren das Lebendige im Kosmos, wenn sie nicht nur mathematisch, sondern innerlich erfasst werden. Die Deduktionen der späteren Astronomen, die aus Hypothesen Welterklärungen bauen, führen in Sackgassen. Die Wirklichkeit entzieht sich dem Begriff der starren Ellipsenbahnen; das Planetensystem ist lebendig, seine Bewegungen sind wandelbar, inkommensurabel, und gerade diese Inkommensurabilität hält es lebendig. Die Mathematik stößt an ihre Grenzen, wo das Lebendige beginnt – sowohl in der Himmelskunde als auch in der Embryologie. Die Dreigliederung des Menschen, das Wechselspiel von Nerven-Sinnes-Prozess, Stoffwechsel und Rhythmus, spiegelt kosmische Prozesse wider. Die Entwicklung der Menschheit ist selbst ein Reagens auf die Genesis der Himmelserscheinungen. Die großen Kulturepochen, die Veränderungen der Erdenverhältnisse, die Rhythmen von Eiszeiten und platonischem Jahr, alles steht in Beziehung zur Organisation des Menschen. Die Begriffe müssen lebendig werden, nicht starr mathematisch bleiben. Das Sinnesleben hat sich seit der Eiszeit emanzipiert, das Vorstellungsleben ist wie ein Traum, das Sinnesleben ragt von außen herein und bringt das Selbstbewusstsein. Die Inkommensurabilität der Umlaufzeiten hält das Planetensystem am Leben; Gravitation allein würde alles erstarren lassen. Der Gegensatz von Planeten und Kometen, von Anziehungs- und Abstoßungskräften, ist wie das Verhältnis von Eikeim und Samenzelle im Menschen. Die Mathematik, die in der Cassinischen Kurve den Raum verlässt, zeigt, wie auch im Menschen das Kontinuierliche und das Diskontinuierliche zusammenwirken. Die Metamorphose der Knochen, die Umwandlung des Röhrenknochens in den Schädelknochen, ist ein Bild für das Verhältnis von Radius und Sphäre, von Stoffwechsel und Kopfsystem, von Innengefühl und Bewusstseinsweite. Das menschliche Erkenntnisvermögen ist heute an die mineralische Welt angepasst, doch seine ursprüngliche Kraft lag in der Konstitution der Erde selbst aus dem Kosmos heraus. Neben den radialen Kräften müssen peripherische, rotierende, deformierende Kräfte erkannt werden. Die Gestalt des Menschen und die Menschheitsentwicklung helfen, die Himmelserscheinungen richtig zu deuten. Die Bewegungen der Fixsterne, die Schleifenbildungen der Planeten, alles ist nur im Zusammenhang mit dem Menschen und seiner Entwicklung zu begreifen. So wird der Mensch zum Maßstab und Mittler zwischen Kosmos und Erde, zwischen Astronomie und Menschenkunde. 324) Die Wissenschaft gliedert sich in drei Formen: Naturbeobachtung, Experiment und mathematische Durchdringung der Natur. Das Experiment hebt sich von der bloßen Beobachtung ab, indem es die Bedingungen eines Vorgangs gezielt herstellt und so zu tieferen Einsichten führt. Die mathematische Behandlung der Natur verleiht dem Forscher ein besonderes Gefühl der Sicherheit, da sie nicht auf bloßer Empirie, sondern auf innerer Konstruktion beruht. Doch diese Sicherheit hat ihre Grenzen, denn nicht alles in der Welt lässt sich mathematisch erfassen – insbesondere das Seelische und das Lebendige entziehen sich einer rein mathematischen Durchdringung. Der Mensch gliedert sich in ein Nerven-Sinnessystem, ein rhythmisches Gefühlssystem und ein Stoffwechsel-Willenssystem. Das Sehen, die Armbewegung und das Gehen offenbaren jeweils eine besondere Beziehung zu den drei Dimensionen des Raumes. Die gewöhnliche Naturerkenntnis bleibt an der Oberfläche, während das mathematische Erkennen als innerlich konstruierende Tätigkeit tiefer greift. Doch um das Leben und das Geistige zu erfassen, bedarf es einer Erweiterung des Erkennens: Das imaginative Vorstellen erschließt die Lebenswelt, das inspirierte Erkennen durchdringt das Rhythmische, und die Intuition führt zur Erkenntnis des Willens und des Geistigen. Die Sinnesphysiologie zeigt, dass der Mensch nicht nur fünf, sondern zwölf Sinne besitzt, die alle in einer höheren Synthese zusammenwirken. Die moderne Psychologie und Naturwissenschaft sind auf das analytische Denken ausgerichtet, doch das wahre Erkennen verlangt eine Umwandlung der Erinnerungskräfte in Imagination und Inspiration. Das Vergessen ist nicht bloß ein Mangel, sondern eine Voraussetzung innerer Freiheit und Erkenntniskraft. Die Liebe, die Selbstzucht und die bewusste Pflege des Vorstellungslebens stärken die Fähigkeit, das Geistige zu erfassen. Die Intuition ist die Umkehrung der Sinneswahrnehmung: Wie im Glauben eine dumpfe Intuition wirkt, so kann das bewusste Erleben der Intuition zur Erkenntnis des vorgeburtlichen und nachtodlichen Lebens führen. Die Geschichte wird nicht nur von äußeren Kräften, sondern auch von nicht zur Darstellung kommenden geistigen Kräften geprägt. Die geisteswissenschaftliche Erkenntnis ist berufen, die anderen Wissenschaften zu befruchten und zu einer Einheit des Wissens zu führen. Anthroposophie ist wie das in einen Raum fallende Licht: Sie fordert die Einheitlichkeit allen Wissens und sucht die soziale Frage zu durchdringen. Die aus ihr hervorgehenden Institutionen, wie die Waldorfschule, sind praktische Früchte dieses Strebens. Die Prüfung des anthroposophischen Wissens ist notwendig, doch das Vertrauen in die suchende und studierende Jugend ist die Hoffnung der Zukunft. Öffnet die Fensterläden, damit das Licht der Erkenntnis in alle Lebensbereiche einströme. 324a) Es ist notwendig, sich zunächst klarzumachen, was unter Dimensionen zu verstehen ist. Der Punkt ist ohne Ausdehnung, er hat keine Dimension. Die Linie ist die erste Dimension, sie hat Länge. Bewegt man die Linie, so entsteht die Fläche, die zweite Dimension, mit Länge und Breite. Wird die Fläche wiederum bewegt, entsteht der Körper, die dritte Dimension, mit Länge, Breite und Höhe. Doch wie kann man sich eine vierte Dimension vorstellen? Hier ist ein Umdenken erforderlich: So wie die Linie zur Fläche und die Fläche zum Körper wird, so kann der Körper in einer weiteren, für das gewöhnliche Bewusstsein nicht sichtbaren Richtung bewegt werden – und so entsteht der vierdimensionale Raum. Die Mathematik kann höhere Dimensionen denken, doch die Wirklichkeit dieser Dimensionen erschließt sich erst durch eine Verlebendigung des Denkens, durch ein inneres Nachvollziehen, das über das bloß Abstrakte hinausgeht. Die Bewegung ist der Schlüssel: Durch Bewegung wird aus dem Punkt die Linie, aus der Linie die Fläche, aus der Fläche der Körper – und aus dem Körper das vierdimensionale Gebilde. So wie der Kreis aus der gekrümmten Linie entsteht, indem Anfang und Ende zusammengeführt werden, so kann auch der Raum durch eine höhere Krümmung in sich selbst zurückgeführt werden. In der Betrachtung der Symmetrie und der Spiegelung zeigt sich, dass die vierte Dimension eine Umkehrung ermöglicht, die im dreidimensionalen Raum nicht möglich ist. Wie das Spiegelbild die Seiten vertauscht, so kann im vierdimensionalen Raum ein Körper in sein Spiegelbild überführt werden. Dies ist nicht bloß eine mathematische Spielerei, sondern verweist auf reale Naturprozesse, auf Kräfte, die den Raum durchdringen und verschlingen, wie etwa die Bewegungen von Mond und Erde um die Sonne. Der Mensch selbst ist ein vierdimensionales Wesen. In früheren Entwicklungsstufen war er dreidimensional, heute durchdringt ihn die vierte Dimension, die sich als Zeit, als Bewegung, als Entwicklung offenbart. Die astrale Welt, die Welt der Empfindungen und des Seelischen, ist vierdimensional. Hier erscheinen die Dinge in gespiegelter, umgekehrter Weise: Das Peripherische wird zum Zentralen, Vergangenheit und Zukunft strömen aufeinander zu und stauen sich im menschlichen Leben. Die Schwelle zur geistigen Welt zeigt sich als Panorama zukünftiger Entwicklung, als Frage an das eigene Wollen. Die Beschäftigung mit der vierten Dimension bereitet den Weg zum Verständnis der höheren Welten. Die geometrischen Analogien – etwa die Abwicklung des Würfels in die Ebene und des Tessaraktes (des vierdimensionalen Würfels) in den Raum – dienen als Übungen, das Denken zu erweitern und zu verlebendigen. Die Begrenzung des Lebendigen ist kugelig-sphärisch, die des Toten ist eben und kristallin: Wird die vierte Dimension dem Lebendigen genommen, erstarrt es zum dreidimensionalen Abbild. Die fünfte Dimension offenbart sich als Empfindung, als inneres Erleben, das aus der Begegnung vierdimensionaler Wesen hervorgeht. Das Selbstbewusstsein ist die Projektion der sechsten Dimension in die dreidimensionale Welt. Die Entwicklung geistiger Fähigkeiten verlangt die intensive Auseinandersetzung mit diesen Analogien und Bildern. Der Raum ist in sich geschlossen, und die Bewegungen, die wir in der Natur erleben, sind Ausdruck der Verschlingung der Dimensionen. Zeit, Bewegung, Entwicklung – sie sind die Erscheinungsformen der vierten Dimension. Wird die Zeit lebendig, entsteht Empfindung, und so schreitet die Entwicklung weiter zu immer höheren Dimensionen des Daseins. Der Mensch ist berufen, diese höheren Dimensionen zu erkennen und in sich zu entfalten. 325) Seit dem Altertum durchzieht die Menschheitsentwicklung ein steter Wandel des Geisteslebens, der in entscheidenden Epochen seine markantesten Ausprägungen findet. Im 4. Jahrhundert n. Chr. vollzieht sich ein grundlegender Umschwung: Die geistigen Strömungen, wie sie sich in Persönlichkeiten wie Konstantin, Julian Apostata und Augustinus verkörpern, bestimmen die weitere Entwicklung Europas. Augustinus, geprägt vom Manichäismus, durchlebt eine innere Wandlung über den Neuplatonismus zur katholischen Kirche, wodurch sich das Verhältnis des Menschen zum Geistigen und zum Irdischen neu gestaltet. Die Übersetzung der Bibel durch Wulfila und die Entwicklung des Vaterunsers stehen beispielhaft für die Transformation religiöser Inhalte und deren Verankerung im Volksleben. In der Zeit der Völkerwanderung begegnen sich zwei geistige Strömungen: In den oberen Bevölkerungsschichten lebt ein anderes Bewußtsein als in den breiten Massen. Die religiösen Anschauungen jener Völker, die ihre Sesshaftigkeit aufgeben, wandeln sich. Nach der Völkerwanderungszeit entsteht ein neues geistiges Leben, das sich in der Umwandlung von Zeitenreligion in Raumesreligion zeigt. Symbolisch-kultische Handlungen werden entwickelt, und das arianische Christentum trägt eigene Merkmale. Die Entwicklung der Grammatik und Rhetorik, wie sie sich am Lebensgang des Augustinus zeigt, wird zum Motor der Kulturentwicklung. Religiöse Inhalte werden institutionalisiert, was zu einer gewissen Erstarrung führt. Das Christentum wird zunächst geheim gehalten, bevor es öffentlich wird. In Dörfern und Städten entwickelt sich das Geistesleben unterschiedlich; der Handel wird zum Träger geistiger Impulse. Der Einfluß von Gondishapur wirkt auf das lateinisch-christliche Leben Europas ein. Im 15. Jahrhundert wird der „aktive Gedanke“ geboren, und das römisch-juristische Wesen prägt das Bewußtsein. Der Streit zwischen Nominalismus und Realismus, die Entwicklung der Kunst und das Denken der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spiegeln die fortschreitende Differenzierung des Geisteslebens wider. Die Gegenwart steht im Zeichen zweier sich gegenüberstehender Denkweisen: einer geistig-ideellen und einer materialistisch-ökonomischen. Die Geschichte der Menschheit, wie sie von Wundt und Grimm dargestellt wird, zeigt, wie schwierig es ist, mit heutigen Begriffen frühere Epochen zu verstehen. Die imaginative und inspirative Erkenntnis prägt die Seelenverfassung des Menschen. Goethe und Herder stehen in einer Beziehung zum Denken Spinozas, die eine Metamorphose der Seele durch Imagination und Inspiration offenbart. Geschichte ist nicht nur aus Dokumenten, sondern aus der inneren Seelenverfassung der Menschen und Völker zu begreifen. Die Methodik der Geschichtsforschung muß vertieft werden, um das Wesen alter Kulturen zu erfassen. In der indischen Kultur lebt eine instinktive Inspiration, wie sie in der Vedendichtung und Yogaphilosophie zum Ausdruck kommt. Das Christentum lebt diese Inspiration in neuer Weise aus. Yin, Yang und Tao zeugen von einem Wissen um den dreigliedrigen Menschen. Der Gegensatz von Oben und Unten, das Subjektive im Inneren und das Objektive in der Außenwelt entstehen mit der Bearbeitung der Natur durch den Menschen, besonders im Übergang vom 7. ins 6. vorchristliche Jahrtausend. Bei den Ägyptern verinnerlicht sich das Bewußtsein, die Heilkunde und der Pyramidenbau beruhen auf instinktiver Imagination. Das kriegerische Element der Perser, die Zähmung des Pferdes und die Seelenverfassung der alten Kulturen zeigen die enge Verbindung von innerem Erleben und äußeren Taten. Die griechische und römische Kultur bereiten den Weg für das Zeitalter der Naturwissenschaft, das im 15. Jahrhundert beginnt. Imagination und Inspiration eröffnen ein erweitertes Begreifen von Mensch und Welt. Der Atomismus wird kritisch betrachtet. Die geistige Verfassung der alten Völker, wie sie sich im Tempelschlaf der Ägypter und im Bilderbewußtsein äußert, unterscheidet sich grundlegend vom heutigen intellektuellen Bewußtsein. Die Entwicklung der Intellektualität markiert einen Umschwung in der Mitte des 8. vorchristlichen Jahrhunderts. Die Unterscheidung von Naturnotwendigkeit und moralischer Notwendigkeit wird bedeutsam. Die Seelenverfassung des jüdischen Volkes hebt sich von anderen ab. Vergangene Elemente werden durch Kaiser Konstantin mit zukünftigen verbunden. Der Streit zwischen Nominalismus und Realismus, der Bewußtseinsumschwung im 15. Jahrhundert und die Schattenhaftigkeit der Begriffe im Zeitalter der Bewußtseinsseele, wie sie etwa bei Franz Brentano zu finden ist, zeigen die fortschreitende Abstraktion des Denkens. Augustinus' Weg ist beispielhaft für die Entwicklung vom Manichäismus über den Neuplatonismus zur katholischen Kirche. Die Geisteswissenschaft muß ihr Verhältnis zum Physisch-Materiellen klären, wie es etwa an den Ursachen der Hypochondrie und der Leber als Metamorphose des Geruchsorgans deutlich wird. Im 4. nachchristlichen Jahrhundert verändern sich die Bewußtseinszustände bei den südeuropäischen, nordafrikanischen und vorderasiatischen Völkern. Der Einfluß osteuropäischer Völker tritt hinzu. Von den Dorfgemeinden entwickelt sich die Städtekultur. Die Natur wird im Zeitalter der Bewußtseinsseele durch den schattenhaften Verstand bemächtigt. Hindernisse für eine geistige Anschauung entstehen: Atomismus, das Gesetz von der Erhaltung der Kraft, das Unfehlbarkeitsdogma. Die Auseinandersetzung mit der gegen die Anthroposophie gerichteten Literatur zeigt die Notwendigkeit, über das bloß Materielle hinauszugehen und die geistigen Dimensionen des Menschseins zu erfassen. 326) In diesen Tagen, in denen wir uns zusammenfinden, um das Wesen und die Entwicklung der Naturwissenschaft in der Menschheitsgeschichte zu betrachten, ist es notwendig, zunächst den Ursprung der modernen naturwissenschaftlichen Denkungsart zu erkennen. Die Geburt dieser Denkungsart fällt in jene Zeit, als das alte mystische Erleben, das noch im Mittelalter lebendig war, zu verglimmen begann und sich in eine neue, auf das Äußere, auf das Quantitative gerichtete Betrachtungsweise verwandelte. Diese Wandlung vollzog sich nicht abrupt, sondern in Stufen, die sich in der Geistesgeschichte ablesen lassen. Zunächst herrschte eine uralte Geistesschau, in der der Mensch sich als Teil eines geistigen Kosmos wusste. Doch diese Schau wurde zur bloßen Tradition, nicht mehr innerlich erlebt. Es folgte eine mystische Phase, in der das Verhältnis von Seele und Leib, von Logos und Kraft, im Mittelpunkt stand. In dieser Zeit lebten Menschen, für die das geistige Erleben noch Wirklichkeit war – Meister Eckhart, Nikolaus Cusanus. Doch schon bei Demokrit zeigt sich der Übergang: Raum und Atome werden als abstrakte Begriffe gefasst, die Welt wird mathematisiert. Mit dem Aufkommen der mathematischen Phase, wie sie sich bei Hobbes, Bacon, Locke und im kopernikanischen Weltbild ausdrückt, wird der Mensch zum Beobachter, der das Ideelle in sich trägt und den Leib als ausgedehnten Körper betrachtet. Die Mathematik, aus dem menschlichen Bewegungssystem hervorgegangen, wird zur Grundlage der Naturerkenntnis. Dadurch nimmt sich der Mensch selbst aus dem Kosmos heraus, wie es in der Philosophie von Cartesius und Spinoza deutlich wird. Das alte Blutserlebnis, das die Mystik und die Mathematik verband, verlöscht. So wird das kopernikanische Weltbild möglich, ebenso wie Harveys Entdeckung des Blutkreislaufs. Mit Newtons Mathematik und Astronomie reißt sich der Mensch endgültig los von Gott. Der Raum wird zum Sensorium Gottes, doch der Mensch erlebt sich nicht mehr als Teil dieses Raumes. Die Gegner Newtons, wie Berkeley und Goethe, versuchen, dem toten Atomismus etwas Lebendiges entgegenzusetzen, doch die Wissenschaft vom Toten muss erst vollendet werden, bevor der Geist in der Natur wiedergefunden werden kann. Der Streit um den Atomismus bleibt unentschieden, denn das Tote und das Lebendige verlangen nach unterschiedlichen Erkenntnisweisen. Die Unsicherheit im Anwenden von Begriffen auf die Welt wird offenbar. Lockes Unterscheidung von primären und sekundären Sinnesmerkmalen erweist sich als unhaltbar, Kants „Ding an sich“ bleibt unerreichbar. Die mathematischen Begriffe versagen gegenüber dem Qualitativen. Spinozas Ethik versucht eine qualitative Mathematik, Poincaré ringt mit dem Problem von Atomismus und Kontinuismus, die Zellenlehre von Schleiden und Schwann bleibt im Ungefähren. Der Mangel an Klarheitsbedürfnis in der Naturwissenschaft wird sichtbar. Das erkenntnistheoretische Problem Lockes muss geisteswissenschaftlich zurechtgerückt werden. Es gibt zweierlei Arten von Bilderlebnissen für primäre und sekundäre Sinnesmerkmale. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier wird nur anatomisch gesucht, das seelisch-geistige Wesen des Menschen bleibt unbeachtet. Goethes Protest gegen diese Tendenz verhallt ungehört. Die Naturforschung muss für ihre Erfolge vom seelisch-geistigen Wesen des Menschen absehen. Die Brücke zwischen Mensch und Welt fehlt. Der Mensch erlebt das Gewicht der getragenen Last anders als das des eigenen Leibes. Früher wusste er: Das Licht in ihm ist die Gegenkraft zur Schwere. Galileis Fall- und Trägheitsgesetz, die Erlebnisse im Menschen, die Gegnerschaft zu Aristoteles, das kopernikanische Weltbild, Newtons Gravitation – all dies trennt den Menschen immer mehr von der Welt. Die Chemie entsteht als Wissenschaft, bleibt aber der Physik noch unterlegen. Die Relativität von Bewegung und Ruhe wird nicht mehr miterlebt, sondern bleibt abstrakt. Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts eröffnet sich ein neues Verhältnis der geistigen Welt zur physischen Welt. Aus Physik und Chemie wird der Mensch herausgeworfen, aus Psychologie und Pneumatologie die Welt. Das Seelen-Atem-Erlebnis des Yoga, das Ich-Wärme-Erleben der alten Pneumatologie, all dies wandelt sich mit dem Entwicklungsgang der Naturwissenschaft. Paracelsus, van Helmont, Jakob Böhme, die Gärungslehre, Jatrochemie, Jatromechanik – all diese Strömungen münden in eine Wissenschaft, die den Menschen als Maschine betrachtet. Der Mensch musste sich als elementares Wesen verlieren, um sich als freies Wesen zu finden. Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft sind Teile eines kommenden Ganzen. Physik, Chemie, Psychologie, Pneumatologie müssen wieder zusammenfinden. Die Erkenntnis des Toten in der Natur zeigt den Endzustand eines Wesenhaften, der Anfangszustand ist im physisch-ätherischen Leib des Menschen noch bewahrt. Die qualitativen Sinneserlebnisse erscheinen als Schein, aber zum Schein muss das Sein gesucht werden. Das Rätsel dieser Erlebnisse fordert eine neue Erkenntnis, die über die bloße Naturwissenschaft hinausgeht. Die Aufgabe besteht darin, eine anthroposophische Physik und Chemie zu erarbeiten, die Bewegungsmechanik des Menschen zu studieren, das Entstehen der chemischen Prozesse im Säftekreislauf des Menschen zu erfassen. Die Physiologie muss sich in reale Chemie und reale Psychologie aufspalten. Die Beziehungen zur Therapie und Pathologie, das Wesen von Krankheits- und Heilungsprozessen, all das verlangt nach einer neuen Wissenschaft, in der das Geistige wieder seinen Platz findet. Aus dem „Nichts“ des alten Denkens muss das „Ich“ hervorgeholt werden, die moralischen Antriebe aus dem Schein. So wird die Philosophie der Freiheit zur Grundlage eines neuen Verständnisses von Mensch und Welt. 327) Die Landwirtschaft ist ein lebendiger Organismus, in dem Erde, Pflanzen, Tiere und Mensch in einem tiefen Zusammenhang stehen. Nicht als bloße Ansammlung von Einzelfaktoren ist sie zu betrachten, sondern als eine Individualität, die im Austausch mit den Kräften des Kosmos und der Erde steht. Die äußeren Erscheinungen der Natur sind nur die Hülle; in ihrem Innern wirken geistige Kräfte, die alles Wachstum, alle Fruchtbarkeit, alles Leben durchdringen. Im Pflanzenwachstum offenbart sich das Zusammenwirken von kosmischen und irdischen Kräften. Die Erde ist nicht bloß Träger der Pflanzen, sondern selbst ein Organ, das atmet, das Kräfte aufnimmt und zurückstrahlt. Die Wurzeln greifen in das Erdinnere, nehmen auf, was aus dem Kosmos in die Erde hineingezogen wird. Die Blätter und Blüten hingegen öffnen sich den aufsteigenden, zurückgestrahlten Kräften, die aus dem Erdinnern wieder in die Höhe steigen. So lebt die Pflanze in einem ständigen Austausch zwischen Kosmos und Erde. Die Stoffe, die im landwirtschaftlichen Betrieb verwendet werden, sind nicht nur tote Materie, sondern Träger von Kräften. Stickstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff – sie alle sind in einem umfassenden Zusammenhang tätig. Stickstoff trägt die Empfindung, Kohlenstoff ist der Gestalter, Sauerstoff der Träger des lebendigen Äthers, Wasserstoff führt die Substanzen in die Weiten des Kosmos. Der Dünger ist nicht bloß Nahrung für die Pflanze, sondern ein Mittel, um die Erde selbst zu beleben, sie empfänglich zu machen für die kosmischen Kräfte. Die Art und Weise, wie Dünger bereitet und verwendet wird, ist von entscheidender Bedeutung. Es genügt nicht, einfach Stoffe auszubringen; es kommt darauf an, wie diese Stoffe in den Kreislauf der Natur eingebettet werden. Das Kuhhorn, gefüllt mit Mist und in der Erde überwintert, sammelt die belebenden Kräfte, die dann in verdünnter Form auf die Felder ausgebracht werden. Ebenso werden Quarzpräparate bereitet, um das Licht und die Wärmekräfte des Kosmos zu konzentrieren und der Pflanze zugänglich zu machen. Die Pflanzenkrankheiten, das Auftreten von Unkräutern und tierischen Schädlingen sind Ausdruck von Ungleichgewichten im Gesamtorganismus des landwirtschaftlichen Betriebes. Es gilt, die Kräfte so zu lenken, dass Harmonie entsteht. Die Planetenwirkungen, insbesondere die des Mondes, greifen tief in das Wachstum der Pflanzen und die Fruchtbarkeit des Bodens ein. Die Asche von Pflanzen, zu bestimmten Zeiten bereitet, kann dazu dienen, die Wirkung unerwünschter Pflanzen oder Tiere zu regulieren. Die Viehzucht, die Feldwirtschaft, der Obstbau – sie alle gehören zusammen. Die Tiere sind nicht bloß Lieferanten von Milch, Fleisch oder Dünger; sie sind Teil des Gesamtorganismus, sie wirken mit an der Belebung des Bodens, an der Gestaltung der Landschaft. Die Fütterung der Tiere ist nicht nur eine Frage der Nährstoffe, sondern der richtigen Verbindung von irdischen und kosmischen Kräften. Die Qualität des Futters, die Art der Zubereitung, die Auswahl der Pflanzenarten – all das wirkt zurück auf die Gesundheit der Tiere und auf die Fruchtbarkeit des Bodens. Die Landwirtschaft steht nicht isoliert da; sie ist eingebettet in das soziale Leben. Die Gesinnung, mit der gearbeitet wird, die Moralität des Landwirts, die Art des Umgangs mit den Tieren und Pflanzen – all das prägt den Betrieb, all das wirkt zurück auf die Qualität der Erzeugnisse und auf das Gedeihen des Ganzen. Nur wenn der Landwirt in lebendiger Verbindung mit Erde, Pflanze, Tier und Kosmos steht, kann wahre Fruchtbarkeit und Gesundheit entstehen. 328) Die soziale Frage, wie sie heute vor der Menschheit steht, ist nicht nur eine Angelegenheit der Theorie, sondern eine brennende Lebensnotwendigkeit, die sich aus den tiefsten Widersprüchen der Gegenwart ergibt. Die Katastrophen der letzten Jahre haben das soziale Problem in ein noch schärferes Licht gerückt und die Notwendigkeit einer neuen gesellschaftlichen Ordnung offenbart. Es ist nicht genug, die sozialen Forderungen mit alten Mitteln und aus gewohnten Perspektiven zu betrachten; vielmehr verlangt die Zeit, dass aus einer geisteswissenschaftlichen Einsicht heraus das soziale Leben neu gestaltet wird. Das soziale Wollen der Gegenwart, das sich besonders in der proletarischen Bewegung manifestiert, entspringt nicht bloß äußeren Lebensumständen, sondern ist zutiefst von Gedanken und geistigen Strömungen durchdrungen. Die Arbeiterbewegung ist die erste große soziale Bewegung, die sich auf eine wissenschaftliche, gedankliche Grundlage stellt, wie sie etwa im System von Karl Marx zum Ausdruck kommt. Doch zeigt sich, dass das, was das Proletariat als seine Ideale und Forderungen ausspricht, oft nur die Oberfläche ist – darunter wirken unbewusste, unausgesprochene Impulse, die das eigentliche soziale Wollen bestimmen. Die Lösung der sozialen Frage verlangt, dass man das soziale Leben als einen Organismus begreift, der, wie der menschliche Organismus, aus verschiedenen, eigenständigen Gliedern besteht: dem Geistesleben, dem Rechtsleben und dem Wirtschaftsleben. Jedes dieser Glieder muss nach seinen eigenen Gesetzen wirken können, ohne von den anderen dominiert zu werden. Freiheit ist das Grundprinzip des Geisteslebens, Gleichheit das des Rechtslebens, Brüderlichkeit das des Wirtschaftslebens. Erst wenn diese drei Glieder in ihrer Eigenständigkeit und im rechten Zusammenwirken gestaltet werden, kann der soziale Organismus gesunden. Die gegenwärtige Gesellschaft leidet darunter, dass diese Glieder vermischt und zentralistisch geregelt werden. Der Staat greift zu sehr in das Geistesleben ein, das Wirtschaftsleben wird von Interessen beherrscht, die nicht dem Gemeinwohl dienen, und das Rechtsleben wird nicht unabhängig genug gestaltet. Es ist notwendig, das Geistesleben von staatlicher und wirtschaftlicher Bevormundung zu befreien, das Rechtsleben als Bereich der Gleichheit aller Menschen zu ordnen und das Wirtschaftsleben auf Assoziationen und Brüderlichkeit zu gründen. Die moderne Zivilisation hat das Proletariat hervorgebracht, indem sie die menschliche Arbeitskraft zur bloßen Ware gemacht hat. Dies ist ein grundlegender Fehler, der überwunden werden muss. Die Arbeit darf nicht als Ware behandelt werden; vielmehr muss der Mensch als schöpferisches Wesen in den Mittelpunkt des Wirtschaftslebens gestellt werden. Die Entfremdung der Arbeit, wie sie in der modernen Industriegesellschaft entstanden ist, kann nur durch eine neue Wirtschaftsordnung überwunden werden, in der Assoziationen die Produktion und Verteilung regeln und der einzelne Mensch nicht mehr Objekt, sondern Subjekt des Wirtschaftens ist. Die Wissenschaft, die Kunst und die Religion sind für den modernen Menschen oft zu bloßer Ideologie geworden, weil sie nicht aus dem Leben selbst heraus gestaltet werden, sondern von äußeren Interessen und Institutionen bestimmt werden. Es bedarf einer neuen Wissenschaftsordnung, die aus dem sozialen Wollen hervorgeht und den Menschen wieder mit der geistigen Welt verbindet. Nur so kann die Würde des Menschen im sozialen Organismus verwirklicht werden. Die soziale Frage ist nicht nur eine Frage äußerer Umstände, sondern eine Frage der inneren Haltung, des Bewusstseins und der geistigen Entwicklung der Menschheit. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist der Weg, auf dem die Gesellschaft gesunden kann. Es gilt, die alten Denkgewohnheiten zu überwinden und aus einer neuen, geisteswissenschaftlich begründeten Lebensauffassung heraus zu handeln. Nur so kann die soziale Frage im Sinne einer wirklichen Menschheitsentwicklung gelöst werden. 329) Nach den schweren Erschütterungen der letzten Jahre ist die Notwendigkeit einer grundlegenden sozialen Neugestaltung offenbar geworden. Es genügt nicht, an alten Denkgewohnheiten festzuhalten; vielmehr muss das soziale Leben von Grund auf neu durchdacht werden. Die Völkerbundsidee, wie sie etwa von Wilson vertreten wurde, bleibt unvollständig, solange sie die wirtschaftlichen, rechtlichen und geistigen Kräfte der Völker nicht in ihrem eigenen Wesen und in ihrer gegenseitigen Beziehung erkennt und gestaltet. Die Kapital- und Arbeitsfrage muss in diesem Zusammenhang neu gefasst werden: Es gilt, den Unterschied zwischen Besitz und Verwaltung des Kapitals klar zu machen und die Verwandlung der Arbeit in eine bloße Ware zu überwinden. Die Dreigliederung des sozialen Organismus – in ein freies Geistesleben, ein demokratisches Rechtsleben und ein assoziatives Wirtschaftsleben – ist die notwendige Grundlage für eine gesunde soziale Ordnung. Das moderne Proletariat ist zur lebendigen Kritik an der bestehenden Zivilisation geworden. Es offenbart durch seine Forderungen, dass ein menschenwürdiges Dasein nur möglich ist, wenn das Geistesleben frei, das Rechtsleben gerecht und das Wirtschaftsleben brüderlich gestaltet wird. Die materialistische Geschichtsauffassung, die Mehrwerttheorie und der Klassenkampfgedanke sind Ausdruck eines tiefen Bedürfnisses nach einer neuen Ordnung, in der die Arbeitskraft nicht mehr als Ware behandelt und der Mensch nicht mehr Objekt ökonomischer Verhältnisse bleibt. Die praktische Verwirklichung dieser Forderungen verlangt, dass die Produktionsmittel nicht einfach verstaatlicht, sondern in einen lebendigen Zusammenhang zwischen Wirtschaftsleben, Rechtsleben und Geistesleben gestellt werden. Die Verwaltung des Kapitals muss dem Einzelnen entzogen und in den Dienst der Gemeinschaft gestellt werden, ohne dass damit die individuelle Initiative und das freie Geistesleben erstickt werden. Die Dreigliederung ist kein utopisches Programm, sondern eine konkrete Antwort auf die sozialen Fragen der Zeit, die sich an der Wirklichkeit des Menschen orientiert. Die proletarische Bewegung fordert nicht nur Gerechtigkeit im Wirtschaftsleben, sondern auch die Befreiung des Geisteslebens von staatlicher und wirtschaftlicher Bevormundung. Die Demokratie muss sich auf das Rechtsleben beschränken, während das Geistesleben frei und das Wirtschaftsleben assoziativ gestaltet werden muss. Nur so kann die heutige Kluft zwischen den Klassen überwunden werden. Die soziale Gesundung setzt voraus, dass das Eigentum an Produktionsmitteln nicht in den Händen des Staates konzentriert, sondern im Sinne eines sozialen Kreislaufs verwaltet wird. Die marxistische Denkweise bleibt in ihrer Einseitigkeit gefangen, weil sie das Geistesleben vernachlässigt und das Wirtschaftsleben überbetont. Die Verödung der Seele ist die Folge einer materialistischen Weltanschauung, die den Menschen auf seine Funktion im Wirtschaftsprozess reduziert. Die Aufgabe der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft ist es, das soziale Leben aus einer höheren Erkenntnis des Menschenwesens heraus zu gestalten. Die Befreiung des Erziehungswesens, die Entwicklung eines freien Geisteslebens und die Überwindung des alten Ständedenkens sind Voraussetzungen für eine wirkliche soziale Erneuerung. Die Eurythmie, der Dornacher Bau, die Philosophie der Freiheit – sie alle sind Ausdruck eines neuen Geistesimpulses, der das soziale Leben durchdringen muss. Die Menschen sind von ihrem kosmischen Ursprung abgeschnitten; erst durch geistige Erkenntnis und innere Schulung kann der Zusammenhang mit dem Übersinnlichen wiederhergestellt werden. Die Erkenntnis wiederholter Erdenleben, die bewusste Arbeit an der eigenen Seele, die Entwicklung von Furchtlosigkeit und Leidensfähigkeit sind Grundlagen für ein neues soziales Miteinander. Das soziale Leben verlangt nach einer Dreigliederung, die nicht auf alten Ständeordnungen beruht, sondern auf der lebendigen Erkenntnis des Menschen als geistiges Wesen. Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, ob es gelingt, Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben zu verwirklichen. 330) Die Katastrophe des Weltkrieges zeigt, dass eine völlige Neugestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse notwendig ist. Die führenden Schichten haben keine Voraussicht bewiesen, sondern sind in alten Denkmustern befangen geblieben. Die Forderungen, die nun aus dem Proletariat kommen, entspringen nicht bloß einer Brotfrage, sondern dem Streben nach einer neuen Welt- und Lebensanschauung. Die marxistische Lehre vom Mehrwert hat das Problem erkannt, aber sie verkennt das Geistesleben, das nicht bloß eine Ideologie ist, sondern eine lebendige Kraft, die aus den Zwängen des Wirtschaftslebens befreit werden muss. Die Arbeitskraft darf nicht länger wie eine bloße Ware behandelt werden. Das Geistesleben muss aus der Abhängigkeit vom Staat und von der Wirtschaft gelöst werden, um seine eigentliche Aufgabe erfüllen zu können. Das Wirtschaftsleben ist darauf gegründet, Waren zu erzeugen und zu verbrauchen. Die Arbeitsverhältnisse müssen aus dem demokratischen Staats- und Rechtsleben bestimmt werden, das auf Gleichheit aller Menschen basiert. Das Geistesleben verlangt individuelle Freiheit, das Wirtschaftsleben Brüderlichkeit im gemeinsamen Schaffen. Die Kritik an den Verhältnissen, die die führenden Klassen geschaffen haben, muss zu neuen Ideen führen. Auch sozialistische Ansichten müssen überdacht werden, denn die Verquickung von Wirtschaftsfragen mit politischen Fragen führt zu falschen Reaktionen wie Streiks. Der demokratische Staat hat die Aufgabe, das reine Rechtsleben zu verwalten, unabhängig vom Wirtschaftlichen. Die Sozialisierung muss neu gedacht werden. Fehlentwicklungen im Wirtschaftsleben sind aus dem Geistesleben hervorgegangen. Das Schulwesen muss unabhängig vom Staat werden. Der Staat soll sich auf Arbeits- und Besitzrecht beschränken. Das Kapital muss sozialisiert werden, damit es nicht als Besitz, sondern als gesellschaftliche Funktion wirkt. Die Gesellschaftsordnung muss der Würde des Menschen dienen. Die Märkte müssen sich zu Genossenschaften wandeln, das Wirtschaftsleben muss assoziativen Charakter annehmen. Die Ideen zur Dreigliederung des sozialen Organismus sind keine bloßen Ideale, sondern praktische Forderungen der Gegenwart. Das Geistesleben ist unfähig, das soziale Wesen zu erfassen, weil es von wirtschaftlichen Interessen durchdrungen ist. Die Begriffsverwirrung der bürgerlichen Gesellschaft hat patriarchalische Rechtsverhältnisse und Konkurrenzkampf im Wirtschaftsleben geschaffen. Es gilt, Selbstbewusstsein für ein menschenwürdiges Dasein zu entwickeln. Das Wirtschaftsleben, das Rechtsleben und das Geistesleben müssen voneinander unabhängig werden. Das Wirtschaftsleben ist auf Vertrauen gegründet und kann nur gesunden, wenn es sich vom Staat löst. Das Geistesleben kann nur in Freiheit gedeihen. Die Erziehung des Menschen zur Freiheit muss von der Schulzeit an beginnen und ist nur in einem unabhängigen Geistesleben möglich. Die Schule darf nicht länger ein Instrument des Staates sein, sondern muss sich an den großen sozialen Aufgaben der Zeit beteiligen. Die Lehrerschaft muss sich mit den sozialen Problemen auseinandersetzen. Die Erziehung muss auf einer tieferen Betrachtung der Menschennatur beruhen, die das Denken, Fühlen und Wollen gleichermaßen bildet. Nur so kann ein freies Menschentum herangebildet werden. Die soziale Frage kann nicht allein aus naturwissenschaftlichem Denken gelöst werden. Die Befreiung des Menschen geschieht nicht nur durch materielle Veränderungen, sondern durch die Erkenntnis des wahren geistigen Menschen. Die Selbsterkenntnis und die Erfahrung des Geistigen im Menschen und in der Welt sind die Grundlage für eine wirkliche soziale Erneuerung. 331) Die Entwicklung der sozialen Frage verlangt nach einer grundlegenden Erneuerung des gesellschaftlichen Lebens. Die Zeit nach dem Krieg zeigt, dass die bisherigen Formen des Zusammenlebens, insbesondere der Einheitsstaat und die kapitalistische Wirtschaftsordnung, an ihre Grenzen gekommen sind. Es ist notwendig, das soziale Leben in drei Glieder zu ordnen: das Geistesleben, das Rechtsleben und das Wirtschaftsleben, denn nur so kann eine gesunde Entwicklung für alle Menschen gewährleistet werden. Das Geistesleben muss von staatlicher und wirtschaftlicher Bevormundung befreit werden, damit Bildung, Wissenschaft und Kultur sich frei entfalten können. Das Rechtsleben soll auf dem Prinzip der Gleichheit aller Menschen beruhen, unabhängig von Herkunft, Besitz oder Beruf. Im Wirtschaftsleben hingegen gilt das Prinzip der Brüderlichkeit, das heißt, die Menschen müssen lernen, gemeinsam zu wirtschaften, sodass Produktion, Handel und Konsum dem Wohl aller dienen. Die Betriebsräte sind ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu dieser neuen Ordnung. Sie dürfen nicht bloß Anhängsel der alten Unternehmermacht sein, sondern müssen zu wirklichen Vertretern der Arbeiterschaft werden, indem sie die Verwaltung der Betriebe übernehmen. Die Sozialisierung kann nicht durch bloße Verstaatlichung erfolgen, sondern verlangt die bewusste Mitwirkung der Menschen, die in den Betrieben tätig sind. Die Abschaffung des alten Lohnverhältnisses ist unerlässlich; an seine Stelle muss das freie Vertragsverhältnis treten, in dem Arbeitsleiter und Arbeiter als gleichberechtigte Partner zusammenwirken. Das Geld darf nicht länger als Ware behandelt werden, sondern muss zu einem reinen Zirkulationsmittel werden, das nur dem Austausch von Waren dient. Produktionsmittel, Grund und Boden dürfen nicht mehr Gegenstand des privaten Kaufs und Verkaufs sein, sondern müssen in den Dienst der Gemeinschaft gestellt werden. Die Preisbildung muss sich an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen orientieren, nicht an der Profitmaximierung einzelner. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist keine Utopie, sondern eine geschichtliche Notwendigkeit, die aus den Krisen der Gegenwart hervorgeht. Sie verlangt Mut, Willen und die Bereitschaft zu einem radikalen Umdenken. Die Betriebsräte, die aus den Reihen der Arbeiterschaft hervorgehen, sind berufen, die ersten Schritte zu tun, indem sie die Verwaltung der Betriebe übernehmen und so die Grundlage für eine neue soziale Ordnung legen. Die Parteien und ihre Programme haben ausgedient; es ist die Zeit gekommen, dass die Menschen selbst Verantwortung übernehmen und das soziale Leben aus eigener Initiative gestalten. 331a) Die soziale Frage kann nicht durch eine bloße Umverteilung des Besitzes gelöst werden. Die Wurzeln des sozialen Elends liegen tiefer: Im Wirtschaftsleben ist das Geistesleben zum bloßen Anhängsel geworden, und das Rechtsleben ist von Klasseninteressen durchdrungen. Die Arbeitskraft ist zur Ware herabgesunken, und der Mensch wird in den ökonomischen Kreislauf eingespannt, ohne dass seine eigentliche Würde geachtet wird. Es bedarf einer Befreiung des Geisteslebens, das unabhängig vom Staat und von wirtschaftlichen Interessen wirken muss, damit wahre Erkenntnis und schöpferische Kraft in die Gesellschaft einfließen können. Der Staat hat die Aufgabe, das Rechtsleben so zu gestalten, dass allgemeine Menschenrechte verwirklicht werden, nicht Privilegien einzelner Klassen. Das Eigentum an Produktionsmitteln darf nicht mehr als ein absolutes, persönliches Recht betrachtet werden; vielmehr muss es als eine Aufgabe auf Zeit verstanden werden, die dem Einzelnen zum Wohle des Ganzen übertragen wird. Die Arbeitskraft muss aus dem Warencharakter herausgelöst werden, und es ist ein neues Arbeitsrecht zu schaffen, das den Menschen nicht mehr als Ware behandelt. Der Einheitsstaat, der alles in sich vereinigt, ist am Ende seiner Zeit. Es braucht drei voneinander unabhängige Glieder: einen freien Geistesorganismus, einen demokratischen Rechtsstaat und einen assoziativen Wirtschaftsorganismus. Die praktische Umsetzung dieser Dreigliederung ist möglich, wenn die Menschen bereit sind, sich auf neue Formen des Zusammenwirkens einzulassen. Die Betriebsräte dürfen nicht bloß Anhängsel der Verwaltung sein; sie müssen aus dem Wirtschaftsleben selbst hervorgehen und an der Leitung der Unternehmen mitwirken. Die Wirtschaft verlangt nach einer wissenschaftlichen Führung, die nicht bloß auf Gewinn, sondern auf das Wohl aller ausgerichtet ist. Syndikate und Trusts entstehen, wenn die Wirtschaft sich selbst überlassen bleibt; sie können nur durch eine bewusste Gliederung des Wirtschaftslebens verhindert werden. Die Sozialisierung der Produktionsmittel darf nicht mit deren bloßer Verstaatlichung verwechselt werden. Der Staatskapitalismus löst die soziale Frage nicht, sondern schafft neue Abhängigkeiten. Die Kapitalfunktion kann nur dann sozialisiert werden, wenn das Kapital nicht mehr als Mittel persönlicher Bereicherung, sondern als Aufgabe für das Gemeinwesen verstanden wird. Die Unternehmer werden zu Veranstaltern der Arbeit, nicht zu Herren über Menschen und Ressourcen. Das Rätesystem muss dreifach gegliedert sein: Arbeiterräte im politischen Leben, Fachräte im Wirtschaftsleben, Kulturräte im Geistesleben. Im Wirtschaftsleben gliedern sich die Fachräte weiter in Betriebsräte, Verkehrsräte und Wirtschaftsräte. Nur so kann der Ausgleich der Interessen zwischen Industrie und Landwirtschaft, zwischen Produktion und Konsum, zwischen Kapital und Arbeit gelingen. Der Wert der Ware und der Wert des Geldes müssen neu bestimmt werden, nicht nach dem Maß des Profits, sondern nach dem Maß des Beitrags zum Ganzen. Jede wirtschaftliche Tätigkeit ist im Grunde künstlerisch, denn sie verlangt nach Gestaltung und nach dem Aufbau von Brücken des Vertrauens zwischen den Menschen. Die Verstaatlichung der Produktionsmittel ist keine Grundlage für eine wirkliche Sozialisierung; vielmehr muss das Kapital nach der Fertigstellung eines Produktionsmittels wieder in den Kreislauf des Gemeinwesens zurückfließen. Der Preis der Ware muss so gebildet werden, dass er dem wirklichen Aufwand und Nutzen entspricht, nicht bloß dem Spiel der Kräfte auf dem Markt. Nicht für sich arbeitet der Mensch, sondern für die anderen. In der Wirtschaft gibt es zwei entgegengesetzte Tätigkeiten: Die eine schafft Werte, die andere verteilt sie. Zwischen beiden muss ein gerechter Ausgleich gefunden werden. Die Grundrente und die Kapitalrente entstehen aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, aber sie dürfen nicht zu Mitteln der Ausbeutung werden. Das Gesetz des richtigen Preises muss sowohl aus individueller als auch aus gesellschaftlicher Sicht gefunden werden. Das Ziel ist eine Gesellschaft, in der der Mensch nicht mehr Objekt wirtschaftlicher und politischer Mächte ist, sondern in der er als freies, verantwortliches Wesen am Ganzen mitwirkt. Nur durch die Dreigliederung des sozialen Organismus kann eine solche Gesellschaft entstehen. 333) Das soziale Leben der Gegenwart steht an einem Wendepunkt, an dem die alten Gedanken und Strukturen, die uns in die Katastrophe des Weltkriegs geführt haben, nicht mehr weiterhelfen. Neue Impulse, ein tiefgreifendes Umdenken und Umlernen sind notwendig, um die sozialen Forderungen der Zeit zu verstehen und zu verwirklichen. Die soziale Frage zeigt sich in einer dreifachen Gestalt: als Frage des Geisteslebens, des Rechtslebens und des Wirtschaftslebens. Doch gerade das Geistesleben wurde in den letzten Jahrhunderten vernachlässigt, es ist dem wirklichen Leben fremd geworden. Die breite Masse des Proletariats, durch Technik und Kapitalismus ins bloße Wirtschaftsleben gedrängt, fordert nun mit Recht ihren Anteil am kulturellen Leben, das bisher nur wenigen vorbehalten war. Die Kluft zwischen Proletariat und Nichtproletariat ist tief, und die führenden Klassen haben es versäumt, Brücken zu bauen. Es fehlte an Gedanken, die das soziale Leben durchdringen und die berechtigten Forderungen der Massen aufnehmen. Die Bildung und das Geistesleben haben keine umfassenden, lebenspraktischen Impulse hervorgebracht, die für alle Menschen zugänglich wären. Das zeigt sich exemplarisch an Erfahrungen wie denen eines Regierungsrates, der erst als Arbeiter in Amerika das wahre Leben der arbeitenden Menschen kennenlernte und erkannte, wie sehr das Studierzimmer von der Wirklichkeit entfernt ist. Die soziale Bewegung ist keine bloße Wirtschaftsfrage, sondern verlangt nach einer Erneuerung des Geisteslebens. Es gilt, die Freiheit des Denkens, die Gleichheit im Rechtsleben und die Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben zu verwirklichen. Die Ideale der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – können nur durch eine soziale Dreigliederung des gesellschaftlichen Organismus verwirklicht werden. Das Wirtschaftsleben muss auf Zusammenarbeit und Brüderlichkeit gegründet sein, das Rechtsleben auf Gleichheit, das Geistesleben auf Freiheit. Die gegenwärtige Krise zeigt, dass eine bloße Verstaatlichung oder Sozialisierung der Wirtschaft die soziale Frage nicht löst. Es bedarf einer geistigen Erneuerung und einer neuen Beziehung zwischen Mensch und Mensch, die auf Erkenntnis des übersinnlichen Wesens des Menschen beruht. Die Menschheit steht vor der Wahl zwischen sozialem Chaos und einer freien Entfaltung des Geistes. Nur wenn das Geistesleben unabhängig und frei gestaltet wird, kann es schöpferisch auf das Rechts- und Wirtschaftsleben wirken. Die Aufgabe der Zeit ist es, die Wissenschaft und das Geistesleben aus dem Dienst der Obrigkeit zu befreien und sie dem Menschen und der Menschheit zu widmen. Die wahre Aufgabe des deutschen Geistes liegt darin, eine geisteswissenschaftliche Gesinnung zu entwickeln, die das Leben durchdringt und die Kluft zwischen Glauben und Wissen überwindet. Die westliche Zivilisation ist durch Mechanisierung und Seelenleere bedroht, der Osten durch Dekadenz des Geisteslebens. Ein neuer Weg zu Christus, eine spirituelle Vertiefung des Willens und Handelns, ist notwendig, um das soziale Leben zu erneuern. Nur durch eine goetheanistische Wissenschaft und Weltanschauung, die das Wesen des Menschen erkennt und das geistige Leben in Freiheit entfaltet, kann die Zukunft gestaltet werden. Die geschichtlichen Grundlagen des Intellektualismus müssen überwunden werden, damit der Mensch wieder zur Anschauung seines eigenen Wesens und zur Tatkraft aus Geist-Erkenntnis gelangt. Die soziale Frage ist eine Frage der Menschwerdung, der Freiheit und der schöpferischen Gestaltung des Lebens aus dem Geist. 334) Das Geistesleben der Gegenwart ist aus einer tiefen Entfremdung hervorgegangen, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Die alten Kulturen des Orients lebten in einer Einheit von Geist, Seele und Leib, aus der heraus die großen Bildungsstätten entstanden. In der heutigen Zeit ist das Geistesleben von der Technik durchdrungen, das Denken ist abstrakt geworden, und der Mensch steht vor der Herausforderung, sich selbst als geistig-seelisches Wesen neu zu begreifen. Zwei Strömungen durchziehen die Menschheit: die Tendenz zur Übersteigerung des Geistigen, die zur Abstraktion und Entwurzelung führt, und die Tendenz zur Unterordnung unter das Materielle, die den Menschen zum bloßen Träger der Wirtschaft degradiert. Die Aufgabe besteht darin, das Denken so zu schulen, dass es wieder lebendig und schöpferisch wird, dass es den Menschen zur Erkenntnis seiner eigenen geistigen Natur führt. Das Verhältnis des Geistig-Seelischen zum Leiblich-Physischen ist von grundlegender Bedeutung. Die Erziehung, die Medizin, ja das gesamte praktische Leben müssen aus einer neuen Erkenntnis des Menschen gestaltet werden, in der Wille und Intellekt, Imagination und Inspiration zusammenwirken. Die Pädagogik muss sich an den Entwicklungsstufen des Kindes orientieren, das Künstlerische ist von zentraler Bedeutung für die Erziehung. Die intuitive Erkenntnis des Menschen, wie sie aus der anthroposophischen Geisteswissenschaft hervorgeht, bildet die Grundlage für eine höhere Medizin und für eine Erziehung, die den ganzen Menschen erfasst. Die sittlichen und religiösen Kräfte müssen aus der Erkenntnis des Geistes hervorgehen. Moralische Antriebe entstehen nicht aus bloßen Geboten, sondern aus einer lebendigen Erfahrung des Geistigen. Die Freiheit des Menschen ist nur möglich, wenn er die Naturkausalität durchschaut und aus der Liebe heraus handelt. Geisteswissenschaft ist nicht Predigt, sondern Grundlegung der Moral. Die Erkenntnis von Geist und Seele gibt der Wissenschaft der Gegenwart ihre wahre Bedeutung zurück. Die Weltlage ist geprägt von Phrase, Konvention und Routine. Im Geistesleben herrscht die Phrase, im Rechtsleben die Konvention, im Wirtschaftsleben die Routine. Es gilt, diese zu überwinden: durch gedankentragende Rede, durch ein Rechtsleben, das von sozialem Fühlen erfüllt ist, durch eine assoziative, durchgeistigte Wirtschaft. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist notwendig: ein freies Geistesleben, ein demokratisches Rechtsleben, ein assoziatives Wirtschaftsleben. Die sozialen Aufgaben können nur gelöst werden, wenn jeder Bereich nach seinen eigenen Gesetzen gestaltet wird und die Menschen in freier Assoziation zusammenwirken. Die gegenwärtige Wirtschaftskrise ist Ausdruck einer falschen Entwicklung, in der der Einheitsstaat als Allheilmittel gilt und das Wirtschaftsleben von der Geldwirtschaft beherrscht wird. Es ist notwendig, das Erbrecht, das Wirtschafts- und Rechtsleben neu zu gestalten. Die Dreigliederung fordert, dass das Geistesleben frei, das Rechtsleben demokratisch und das Wirtschaftsleben assoziativ organisiert wird. Nur so kann eine Gesundung eintreten. Die Völker der Erde stehen in einem geistig-seelischen und materiellen Entwicklungszusammenhang. Der orientalische Mensch lebt im Rhythmischen, der Grieche im Gleichgewicht, der westeuropäische Mensch im Nerven-Sinnessystem. Die Entwicklung der Menschheit verlangt, dass der Mensch aus seinem Volkstum herauswächst und zum ethischen Individualismus gelangt. Die sittlichen Werte müssen aus einer geisteswissenschaftlichen Weltanschauung heraus erneuert werden, die das Christentum in seinem innersten Geheimnis erkennt und in die Zukunft trägt. 335) Die Gegenwart ist von einer tiefen Krise durchdrungen, die sich aus der Entfremdung des Menschen von einem lebendigen Geistesleben speist. Die naturwissenschaftliche Denkweise, die sich im Laufe der Neuzeit durchgesetzt hat, hat zwar große äußere Errungenschaften hervorgebracht, aber sie hat die geistige Wirklichkeit des Menschen und der Welt aus dem Bewusstsein verdrängt. So ist das Denken heute vielfach von Phrase, Konvention und Routine beherrscht, und die Menschen sind in den Lebensbereichen – Geistesleben, Rechtsleben, Wirtschaftsleben – voneinander und von ihren eigenen Quellen entfremdet. Um einen gesunden sozialen Organismus zu gestalten, muss das Geistesleben von staatlicher und wirtschaftlicher Bevormundung befreit werden. Nur ein selbständiges Geistesleben ermöglicht es dem Menschen, seine Fähigkeiten zu entfalten und wahrhaft Mensch zu werden. Das Rechtsleben muss auf echter Demokratie beruhen, die nicht aus Konvention, sondern aus lebendiger Teilhabe und Bewusstheit erwächst. Das Wirtschaftsleben schließlich bedarf der Entstaatlichung und einer assoziativen Gestaltung, in der Sachkenntnis und gegenseitige Bedarfsorientierung herrschen. Die Menschheit steht an einem Wendepunkt, an dem nicht mehr aus dem Unbewussten heraus, sondern in bewusster Gestaltung das soziale Leben geformt werden muss. Die soziale Dreigliederung ist die notwendige Konsequenz aus der geschichtlichen Entwicklung: ein freies Geistesleben, ein demokratisches Rechtsleben und ein assoziatives Wirtschaftsleben. Die Erkenntnisse der Geisteswissenschaft, die aus übersinnlichen Forschungen hervorgehen, sind unerlässlich, um die sozialen Aufgaben der Gegenwart zu bewältigen. Sie führen zu einer neuen Lebendigkeit im Rechtswesen und zu einer wirklichen Bedürfnisorientierung im Wirtschaftsleben. Die Völker der Erde sind in ihrer Wurzel geistig, und wahre Völkerverständigung kann sich nur auf einer geistigen Grundlage vollziehen. Der nationale Egoismus, der aus dem materiellen Denken hervorgeht, muss durch eine Liebe zu allen Völkern überwunden werden, wie sie aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis erwächst. Die Menschheit hat in ihrer Entwicklung verschiedene Stufen durchlaufen: Die altindische Kultur sah das Materielle als Offenbarung des Geistigen, die griechische Kultur betrachtete das Materielle aus dem Menschlichen heraus, und die heutige Zeit ist geprägt von der Trennung des Materiellen vom Geistigen. Die soziale Dreigliederung ist das notwendige Ergebnis dieser Entwicklung. Das materialistische Weltbild hat die Verbindung zwischen natürlicher und sittlicher Weltordnung gekappt. Es ist notwendig, das Denken selbst aus der geistigen Welt zu erneuern, damit es nicht in Abstraktionen erstarrt, sondern wieder schöpferisch wird. In der Geist-Erkenntnis lebt die Zukunft der Welt. Die Erziehung und das Unterrichtswesen müssen aus dieser neuen Geistigkeit heraus gestaltet werden. Die Entwicklung des Kindes, die sich in bedeutsamen Lebensereignissen wie Zahnwechsel und Geschlechtsreife zeigt, verlangt nach einer künstlerisch-bildhaften, das ganze Wesen des Menschen erfassenden Pädagogik, wie sie etwa in der Waldorfschule verwirklicht wird. Die Gegenwart fordert Besonnenheit und Tatbereitschaft. Die Kluft zwischen Bildung und den Massen kann nur durch eine neue Geist-Erkenntnis überwunden werden. Wissenschaft, Kunst und Religion müssen wieder zu einer Einheit finden. Die großen Aufgaben der Zeit liegen im Geistesleben, im Rechtsleben und im Wirtschaftsleben. Es gilt, die menschliche Persönlichkeit zu erfassen, das demokratische Zusammenleben zu pflegen und die Preisfrage im Wirtschaftsleben zu lösen. Die soziale Dreigliederung ist die Antwort auf diese Aufgaben, denn sie schafft eine wahre gesellschaftliche Einheit durch das lebendige Zusammenwirken der drei selbständigen sozialen Glieder. Die Krise der Gegenwart ist eine Geisteskrise. Nur durch die Befreiung des Geisteslebens aus staatlicher und wirtschaftlicher Bevormundung und durch die schöpferische Kraft des freien Geistes kann der Menschheitsfortschritt gesichert werden. Es ist die Aufgabe der Zeit, diese Kräfte zu erwecken und in das praktische Leben zu führen. 337a) Die soziale Frage, wie sie sich nach dem Weltkrieg in ihrer Dringlichkeit zeigt, verlangt nach einer grundlegenden Umgestaltung des gesellschaftlichen Lebens. Nicht in der Fortsetzung alter Parteiprogramme oder in der bloßen Übernahme utopischer Entwürfe liegt die Lösung, sondern in der lebendigen Gliederung des sozialen Organismus in drei voneinander unabhängige, aber zusammenwirkende Bereiche: das Geistesleben, das Rechtsleben und das Wirtschaftsleben. Nur wenn diese drei Gebiete in ihrer Eigenständigkeit anerkannt und in ihrer gegenseitigen Durchdringung gestaltet werden, kann ein wirklich lebensfähiger sozialer Organismus entstehen. Im Wirtschaftsleben ist es notwendig, dass die Interessen von Produzenten und Konsumenten harmonisiert werden. Die Betriebsräte, Verkehrsräte und Wirtschaftsräte müssen aus der Praxis heraus entstehen, nicht als oktroyierte Institutionen, sondern als Ausdruck der realen Bedürfnisse und Erfahrungen der Menschen. Das Wirtschaftsleben darf nicht mehr von Gewalt und abstrakten Gesetzen, sondern muss von persönlichem Vertrauen und assoziativer Zusammenarbeit getragen werden. Die Arbeitskraft darf nicht länger als Ware behandelt werden; sie muss aus dem Warencharakter befreit werden, damit der Mensch in seiner Würde anerkannt wird. Im Geistesleben ist die Befreiung von staatlicher Bevormundung unerlässlich. Bildung, Wissenschaft, Kunst und Religion müssen sich aus eigener Kraft entfalten können, ohne von wirtschaftlichen oder politischen Interessen gelenkt zu werden. Nur so kann ein neues, freies Geistesleben entstehen, das die geistigen Bedürfnisse der Menschen erfüllt und die Grundlage für eine gesunde Gesellschaft bildet. Das Rechtsleben wiederum muss auf der Gleichheit aller Menschen beruhen. Hier entscheidet nicht die Herkunft, der Besitz oder das Wissen, sondern allein das Menschsein. Die Gesetze des Rechtslebens müssen aus dem Bewusstsein der Gleichheit hervorgehen und das Zusammenleben der Menschen in Freiheit und Verantwortung regeln. Die Geschichte der sozialen Bewegungen zeigt, dass weder die bloße Einsicht des Einzelnen noch die revolutionäre Gewalt der Massen zur Lösung führen, solange die Begriffe abstrakt und lebensfern bleiben. Die Dreigliederung ist keine Utopie, sondern eine geschichtliche Notwendigkeit, die aus den realen Verhältnissen der Gegenwart hervorgeht. Sie verlangt bewegliche, wirklichkeitsgemäße Begriffe und die Bereitschaft, das soziale Leben immer wieder neu zu gestalten. Die Bodenfrage lässt sich nur im Zusammenhang mit der Dreigliederung lösen. Der Boden ist nicht einfach eine Ware wie andere Produktionsmittel; er ist die Grundlage des Lebens und darf nicht dem freien Spiel des Marktes überlassen werden. Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Stück Boden, aber dieses Recht muss im Rahmen des sozialen Organismus gestaltet werden, damit nicht neue Ungerechtigkeiten entstehen. Die wirtschaftlichen Krisen der Gegenwart sind nicht Naturereignisse, sondern das Ergebnis menschlicher Gestaltung oder Unterlassung. Die Trennung von Geld- und Warenmarkt, die einseitige Orientierung auf Produktion, die Abstraktion des Wirtschaftslebens – all das sind Symptome einer tiefer liegenden Krankheit, die nur durch die Dreigliederung geheilt werden kann. Assoziationen im Wirtschaftsleben, ein freies Geistesleben und ein auf Gleichheit gegründetes Rechtsleben sind die Instrumente, durch die der Mensch wieder zum Gestalter seines Schicksals werden kann. Nicht durch diktatorische Maßnahmen oder moralischen Zwang, sondern durch die Entfaltung der individuellen und gemeinschaftlichen Kräfte in den drei Lebensgebieten wird eine lebensvolle Einheit entstehen, die den sozialen Organismus gesundet. Es ist die Aufgabe der Gegenwart, diese Dreigliederung zu erkennen, zu wollen und in die Tat umzusetzen. 337b) Das soziale Leben der Gegenwart ist durchzogen von Abstraktionen, die das praktische Handeln lähmen. Es genügt nicht, Theorien aufzustellen oder alte Machtstrukturen zu konservieren, vielmehr ist ein konkretes, lebendiges Denken im Sozialen notwendig. Die marxistische Theorie, wie sie etwa von Eugen Varga vertreten wird, bleibt in Abstraktionen stecken und führt, wenn sie radikal in die Praxis überführt wird, zu Einseitigkeiten und neuen Dogmen. Wirkliche soziale Erneuerung verlangt, dass das Geistesleben aus den Fesseln des Staates befreit wird, damit die Ökonomie sich in freier Assoziation entfalten kann. Die Dreigliederung des sozialen Organismus – Gliederung in ein freies Geistesleben, ein demokratisches Rechtsleben und ein assoziatives Wirtschaftsleben – ist keine Utopie, sondern eine Notwendigkeit, die aus den sozialen Gesetzmäßigkeiten selbst hervorgeht. Geld darf nicht länger bloß Ware sein, sondern muss Ausdruck realer Verhältnisse werden. Die Regierung hat die Aufgabe, die Voraussetzungen für diese Dreigliederung zu schaffen, doch die eigentliche Arbeit liegt im Bewusstsein der Menschen: Nur wenn ein wirklichkeitsgemäßes, bewegliches Denken einkehrt, können die alten Instinkte überwunden und neue soziale Urteile gebildet werden. Der Mensch ist ein dreigliedriges Wesen, und so muss auch das soziale Urteil dreifach gestaltet sein: Im Geistesleben wirkt es schöpferisch, im Rechtsleben demokratisch, im Wirtschaftsleben assoziativ. Die sozialen Aufgaben der Zeit können nicht durch bloßes Festhalten an alten Rechtsbegriffen oder durch wirtschaftliche Routine gelöst werden. Es bedarf einer radikalen Erneuerung des wissenschaftlichen Lebens, eines Erwachens gegenüber den Forderungen der Zeit. Die Geschichte zeigt, wie politische Machenschaften – etwa das Testament Peters des Großen – lange Schatten werfen, selbst wenn sie auf Fälschungen beruhen. Aber auch im kulturellen Leben ist die Dreigliederung Voraussetzung für das Aufblühen des Künstlerischen. Kunst kann nur dann gedeihen, wenn sie nicht von äußeren Zwängen, sondern von innerer Freiheit und Genialität getragen wird. Die sozialen Krankheiten der Gegenwart, die Zunahme von Gewalt und Brutalität, sind Symptome einer tieferen Störung. Die Lösung liegt nicht in nationalen Missionen, sondern in gesamtmenschlichen Gesichtspunkten. Die soziale Krise ist die größte Krise der Gegenwart, und sie lässt sich nur durch assoziative Wirtschaftsformen überwinden, in denen Konsumenten und Produzenten, Arbeitende und Leitende zusammenwirken. Im Wirtschaftsleben muss das Geld seine Funktion als wandelnde Buchhaltung erfüllen, der Lohn darf kein bloßer Kostenfaktor mehr sein. Die Bildung von Assoziationen, die sich aus dem Wirtschaftsleben selbst heraus entwickeln, ist der Weg zur Überwindung von Konkurrenz und zur richtigen Preisbildung. Die Dreigliederungsidee darf nicht kaschiert werden, sondern muss in die Köpfe der Menschen dringen. Es braucht praktische Initiative und Einsicht, nicht bloß theoretisches Reden. Die Gewerkschaften werden überflüssig, wenn echte Assoziationen zwischen Arbeitenden und Leitenden entstehen. Die soziale Aktion ist ebenso notwendig wie die Gründung neuer Unternehmungen. Die Technik der persönlichen Agitation, abgestimmt auf die Zuhörer, ist unverzichtbar, um die Dreigliederungsidee zu verbreiten. Praktisches Handeln heißt: assoziieren, nicht bloß theoretisieren. Die Verwirklichung ideeller Ziele ist nicht ohne materielle Mittel möglich. Eine internationale Schulbewegung, getragen von einem freien Geistesleben, ist unerlässlich. Die Lösung der sozialen Frage verlangt Mut zur Tat, Liebe zum Menschen und die Fähigkeit, das Einzelne aus dem Ganzen heraus zu begreifen. 338) Die Liebe zur Sache und eine einsichtsvolle Menschenliebe sind die Grundbedingungen meines Wirkens für die Dreigliederung des sozialen Organismus. Ich blicke illusionslos auf die Seelenverfassung der Menschen und erkenne, dass das falsche Denken die eigentliche Ursache der gesellschaftlichen Not ist. Es fehlt an Sinn für die Produktivität des geistigen Lebens und für den Bedarf des anderen Menschen. Kommunistische und katholische Strömungen verfallen dem Irrtum, nur an Bestehendes anzuknüpfen, und verlieren so den Blick für das Lebendige. Die Abstraktheit des Denkens in der Gegenwart zwingt mich, jedes Wort zur inneren Tat werden zu lassen. Der Arbeitsbegriff, wie ihn Marx, Rodbertus und Singer fassen, bleibt einseitig und ungenügend. Nicht von Verstandeslogik, sondern von konkreten Erfahrungen und Beobachtungen gehe ich aus. Bildhaftigkeit wird zum Ausgangspunkt meines sozialen Urteils. Ich beziehe die großen historischen Ereignisse mit ein, denn sie formen die Gegenwart. Der Gegensatz von Ost und West zeigt sich als Barbarei im Osten und Wildheit im Westen. Die wirtschaftlichen Theorien von Marx und Rodbertus greifen zu kurz, weil sie das Geistige nicht erfassen. Die geschichtlichen Realitäten sind maßgeblicher als jede Theorie. Das Denken, das zur Lösung weltgeschichtlicher Fragen nötig ist, erschließt sich am Ost-West-Problem. Das Geistesleben trägt den Verkehr zwischen Mitteleuropa und Russland. Nur ein vom Geistig-Künstlerischen durchdrungenes Wirtschaftsleben kann Mitteleuropa mit dem Westen verbinden. Die Dreigliederung ist notwendige Antwort auf die Bedingungen des modernen Wirtschaftslebens. Arbeit erhält Rechtscharakter, Kapital wird als geistiges Element erkannt. Das materielle Leben entgeistigt sich, wenn es nicht durch die Dreigliederung neu gestaltet wird. Die anthroposophische Bewegung steht in der Aufgabe, diese Impulse zu tragen. Die großen Fragen der Gegenwart und die Dreigliederung des sozialen Organismus offenbaren sich in der geschichtlichen Entwicklung des Wirtschaftslebens. Die Intensivierung der Wirtschaft führte zu Schutzmaßnahmen für den Konsumenten, etwa bei den Zünften. Die Entdeckung Amerikas und die moderne Technik gaben dem Wirtschaftsleben eine materialistische Gestalt. Zwei Tendenzen wirken: konservativer Wirtschaftssinn und die Schwungkraft der Verbindung mit Überseeländern. Ware und Preis herrschen vor, Arbeitskraft und Unternehmungsgeist werden zur Ware. Die Ausweitung des Handels führte zur Verschmelzung von Staat und Wirtschaft, deren Auflösung nun ansteht. Die richtige Gestaltung von Geistes-, Rechts- und Wirtschaftsleben ist die Aufgabe der Gegenwart. Die anthroposophische Geisteswissenschaft ist Grundlage für ein produktives Geistesleben. Jede Rede muss als etwas Neues empfunden werden. Die Hingabe an den Stoff, das Verantwortungsgefühl, die richtige Einschätzung der Gegner, das Skizzieren in Schlagsätzen, die Gestaltung von Anfang und Schluss, das Vermeiden pedantischer Definitionen – all das sind methodische Notwendigkeiten. Die anthroposophische Grundlage verleiht dem Redner Kraft und Tiefe. Die Entmenschlichung des sozialen Lebens zeigt sich im Umgang mit Kapital, Arbeit und Ware. Individualität und Gemeinschaft stehen im Spannungsverhältnis. Der Ursprung des Egoismus, das Wesen der sozialen Kunst, die Stellung des Menschen in der Weltentwicklung: All das verlangt eine neue Orientierung. Die marxistische Arbeitswertlehre bleibt einseitig. Nur ein freies Geistesleben kann das Wirtschaftsleben wieder mit dem Menschen verbinden. Die Gründung der Freien Waldorfschule ist ein Beispiel für die Umsetzung der Dreigliederungsidee. Im Zeitalter der Phrase werden Begriffe wie „arbeitsloses Einkommen“ und „arbeitsloser Erwerb“ missbraucht. Marx’ Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit greift zu kurz. Das Wirtschaftsleben muss im Zusammenhang mit dem Geistesleben gesehen werden. Die Denkgewohnheiten der Menschen sind zu respektieren, die Verbindung von geistigen und materiellen Impulsen muss aufgezeigt werden. Sorglosigkeit und Gewissenlosigkeit der Zeitgenossen führen zum moralischen Niedergang. Die Stumpfheit des Geisteslebens ist Folge staatlicher und wirtschaftlicher Bevormundung. Nur durch freie Anerkennung und selbstverständliche Autorität können Zwangsverhältnisse überwunden werden. Moralische Impulse müssen ins gesellschaftliche Leben getragen werden. Im Wirtschaftsleben ist die Assoziation das Wesentliche. Sachkenntnis, Lenkung des Warenverkehrs und genaue Kenntnis der Bedürfnisse sind die drei Faktoren. Die drei Glieder des sozialen Organismus müssen ineinandergreifen. Der Ursprung der Grundrente, die Entstehung von Großunternehmen, das Produzenteninteresse – all das verlangt nach Assoziationen. Die Volkswirtschaftler grenzen ihre Aufgaben ab, doch die Grundlagen für die Dreigliederung sind bereits vorhanden. Utopien entstehen aus der Übernahme alter theokratischer und theologischer Denkweisen. Das Staatsleben ist zur Profanisierung des kirchlichen Lebens geworden. Utopistische Theorien versuchen, das Wirtschaftsleben nach alten Formen zu organisieren. Die Dreigliederung findet sich auch im Marxismus, doch nur in einseitiger Form. Der Glaube an den Menschen muss an die Stelle des Unglaubens treten. 339) Die Aufgabe, für die ich hier spreche, verlangt eine ganz bestimmte Haltung: Es geht nicht um allgemeine Redekunst, sondern um die Fähigkeit, für die anthroposophische Bewegung und die Dreigliederung des sozialen Organismus wirksam zu werden. Die Zeit fordert Taten, nicht bloßes Reden; sie verlangt, dass aus innerer Überzeugung und lebendigem Erleben gesprochen wird, nicht aus äußerlicher Information oder Routine. Wer sich dieser Aufgabe stellt, muss wissen, dass das bloße Mitteilen eigener Gedanken niemanden interessiert und dass das bloße Wollen, das in der Rede ausgedrückt wird, beim Zuhörer Widerstand hervorruft. Es gilt, das Wechselspiel von Denken, Fühlen und Wollen im eigenen Inneren und im Verhältnis zum Publikum zu durchdringen. Die Vorbereitung der Rede erfordert, dass ich mich auf das Gefühl besinne, das ich ursprünglich gegenüber dem Inhalt hatte, und dass ich den Gedankengehalt kläre, ohne mich an eine wortwörtliche Formulierung zu klammern. Die Rede muss vom Herzen kommen, sie muss die Sympathien und Antipathien der Zuhörer ernst nehmen. Zu Beginn der Rede soll meine Persönlichkeit wirken, gegen Ende darf eine gewisse Ängstlichkeit vor dem letzten Satz spürbar werden. Die ersten und letzten Sätze sind präzise zu formulieren, der übrige Verlauf soll lebendig bleiben. Wer über die Dreigliederung spricht, muss sich der geschichtlichen Lage und der Entwicklung des Geistes- und Wirtschaftslebens bewusst sein. Es ist notwendig, das entsprechende Gefühl für den historischen Wendepunkt zu entwickeln. Die Sprache, die ich wähle, muss frei und lebendig sein, nicht dogmatisch oder bloß formal. Die Eloquenz des Redners wurzelt in der Fähigkeit, das Schöne, das Richtige und das Gute im Sprechen zu verbinden, und in einer Ethik der Sprache, die den Zuhörer ernst nimmt. Die Komposition der Rede verlangt, dass ich alle Erfahrungen des Lebens heranziehe und die Ideen so ausarbeite, dass sie innerlich befriedigen. Ich muss an das Publikum anknüpfen, an das, was in der Gegenwart über die Dreigliederung gedacht wird, und die Begriffe aus dem Erleben des sozialen Lebens, besonders aus dem proletarischen Empfinden, entwickeln. Die Gefahr des bloßen Intellektualismus und der Abstraktion ist zu meiden; es gilt, das soziale Leben konkret zu erfassen. Im Hinblick auf die Schweiz ist das Demokratieverständnis zu bedenken, die Besonderheiten des Staatswesens, das auf dem Franken, nicht auf dem Geistesleben ruht. Die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit und das Verhältnis von Freiheit, Geistesleben und Staatsleben sind zu durchdringen. Die Beziehung zwischen Redner und Publikum ist von Humor und Stimmung getragen; der Redner muss sich selbst überwinden, eine gewisse Antipathie gegenüber dem eigenen Reden und Sympathie für das Reden anderer entwickeln. Die Methodik verlangt, lyrisch über das Geistesleben, dramatisch über Rechtsverhältnisse, episch über das Wirtschaftsleben zu sprechen. Das Wirtschaftsleben ist zu durchdringen mit Blick auf Kapitalverwaltung, Marktverhältnisse und das Assoziationswesen. Die Vorbereitung einer Rede verlangt Hinwendung zur Zuhörerschaft, das Meiden bloßer Schlagworte, das Formulieren von Kernsätzen und die Korrespondenz zwischen Anfang und Ende der Rede. Sprachübungen, das Erleben des Lautlichen und das Erfassen des Sprachgenius sind unerlässlich. Die Rede soll künstlerisch durchdrungen werden, das Ein- und Ausatmen des Zuhörers ist zu berücksichtigen, die Gefühlslogik der Rede zu erfassen, das Ohr des Zuhörers anzusprechen. Die Bedeutung der Pause, das Hören als aktiver Prozess, die Logik und Unlogik, der Humor – all das gehört zur Kunst der Rede. Die Dreigliederung und die Anthroposophie verlangen ein Weltinteresse, das über das bloß Nationale hinausgeht. Es ist notwendig, das zu gliedern, was gegliedert werden muss, und zu vermeiden, was der Rede schadet. Die Schweiz steht als Beispiel für das, was in der Welt entwickelt werden soll. 340) Die Nationalökonomie ist ein Kind der neueren Zeit, hervorgegangen aus der zunehmenden Kompliziertheit des wirtschaftlichen Lebens der Völker. Noch im 19. Jahrhundert zeigt sich, wie unterschiedlich sich die Wirtschaft in England und Deutschland entwickelt: Während England schon früh eine moderne, auf Handelskapital und Kolonialbesitz gegründete Wirtschaftsstruktur ausbildet, bleibt Deutschland zunächst ein Agrarstaat mit mittelalterlichen Zügen. Erst im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts setzt dort eine rasche Industrialisierung ein, die viel bewusster und reflektierter vollzogen wird als in England, wo der Übergang fast naturhaft und instinktiv geschieht. In Deutschland wird die Befreiung von alten Bindungen und das Streben nach individueller Freiheit im Wirtschaftsleben als Fortschritt und Heil angesehen; die Theorie der Nationalökonomie entsteht mit vollem Bewusstsein aus diesem Geist. Mit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts tritt das Staatsprinzip in den Vordergrund: Der Staat greift machtvoll in das Wirtschaftsleben ein und prägt es grundlegend. Damit entsteht ein scharfer Gegensatz zwischen der westlichen und der mitteleuropäischen Wirtschaftsweise, auf dem das gesamte Wirtschaften des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ruht. Doch diese Gegensätze, die zunächst Entwicklung ermöglichen, werden immer tiefer und führen schließlich zu einer Situation, in der ein gemeinsames Wirtschaften unmöglich wird. Die Menschheit steht vor der Aufgabe, diese Gegensätze zu überwinden, doch die Geschichte zeigt, dass sie dazu nicht fähig war – stattdessen führt die Unfähigkeit zur Lösung in die Katastrophe. Das wirtschaftliche Leben lässt sich nur verstehen, wenn man es als einen lebendigen Organismus betrachtet, der aus Gegensätzen lebt und sich in stetiger Bewegung befindet. Die Wirtschaft ist nicht bloß ein System von Waren und Preisen, sondern ein lebendiger Zusammenhang von Produktion, Konsum und menschlicher Arbeit, der immer wieder neu gestaltet werden muss. Es genügt nicht, die äußeren Erscheinungen zu betrachten; vielmehr muss das Wesen des Wirtschaftens erfasst werden, das sich aus dem Zusammenwirken von Geist, Recht und Wirtschaft ergibt. Die Dreigliederung des sozialen Organismus ist notwendig: Das Geistesleben muss frei sein, das Rechtsleben muss auf Gleichheit beruhen, das Wirtschaftsleben auf Brüderlichkeit. Nur wenn diese drei Bereiche in ihrer Eigenständigkeit und ihrem Zusammenwirken erkannt und gestaltet werden, kann das soziale Leben gesunden. Die Wirtschaft darf nicht mehr von bloßen Machtinteressen oder von einseitigen Theorien bestimmt werden, sondern muss sich an den wirklichen Bedürfnissen und Fähigkeiten der Menschen orientieren. Die Arbeit, der Boden und das Kapital sind keine Waren wie andere, sondern Ausdruck menschlicher Betätigung, Gemeinschaft und Verantwortung. Die neue Wirtschaftswissenschaft muss sich von den alten Denkgewohnheiten lösen und das Wirtschaftsleben als einen sozialen Organismus begreifen, in dem jeder Teil dem Ganzen dient und das Ganze sich aus dem Zusammenwirken der Teile immer wieder erneuert. Nur so kann eine gesunde, menschenwürdige Wirtschaft entstehen, die den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft gewachsen ist. 341) Das volkswirtschaftliche Denken ist aus einer schöpferischen, gestaltenden Kraft in eine bloß betrachtende Haltung übergegangen. Die Begriffsbildung in der Wirtschaftswissenschaft darf nicht juristisch oder rein deduktiv, auch nicht bloß induktiv sein, sondern muss charakterisierend vorgehen: von verschiedenen Seiten her die Erscheinungen erfassen, die Begriffe daran schärfen und sie immer wieder an der Wirklichkeit verifizieren und modifizieren. So entsteht eine wirklichkeitsgemäße Anschauung, die das soziale Leben durchdringen muss. Die Wirtschaft ist ein lebendiger Prozess, vergleichbar mit biologischen Vorgängen: Aufbau und Abbau, Wertebildung und Wertevernichtung. Wert entsteht aus der Verbindung von Arbeit und Naturobjekt. Die Unterscheidung von Kopf- und Handarbeit ist dabei nicht grundlegend, entscheidend ist die Fruchtbarmachung der Arbeit durch die Arbeitsteilung. Diese Arbeitsteilung, die sich zwischen Produzenten, Händlern und Konsumenten vollzieht, verlangt nach einer assoziativen Gliederung, damit die Beziehungen überschaubar und fruchtbar werden. Die Preisverhältnisse zwischen Landwirtschaft und Industrie, die notwendige und überflüssige Zahl von Händlern, die Grenzen der Arbeitsteilung – all das sind Fragen, die nur durch eine neue soziale Ordnung, durch die Dreigliederung des sozialen Organismus, gelöst werden können. Arbeit ist nicht gleich Konsum; ein Konsumakt ist keine volkswirtschaftliche Arbeit. Kriege entwerten Arbeit, sie sind zerstörerisch für den volkswirtschaftlichen Wert. Auch Schenken kann entwertend wirken, wenn es nicht in den rechten Zusammenhang gestellt wird. Die Arbeit, die an das Objekt gebunden ist, unterscheidet sich von der sich befreienden, freien geistigen Arbeit. Die Überproduktion, die im alten Rom durch Brot und Spiele kompensiert wurde, zeigt, wie Schenken und Konsum in die Entwertung führen können, wenn sie nicht sinnvoll gestaltet werden. Das Geldwesen ist ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Verhältnisse. Der Geldwert, die Goldwährung, die Papierwährung, das Valutaelend, die Zahlungsbilanz – all das sind Ausdrucksformen der zugrundeliegenden Prozesse. Der Personalkredit muss den Realkredit ablösen; aus dem großen Leihen muss ein Schenken werden. Die Diskrepanz zwischen Gold- und Papierwährung hat zum Sturz der deutschen und österreichischen Valuta geführt. Geld hat verschiedene Formen: in der Bauernwirtschaft, in der Volkswirtschaft, in der Weltwirtschaft. Die Nominalisten und Metallisten haben beide recht, je nach den Verhältnissen. Produktionsmittel als Ware zu behandeln, ist ein Rückfall in die bloße Natur. Kapital wirkt als Agens in der Unternehmung. Die Lohn- und Preisspirale kann nur durch assoziative Wirtschaft überwunden werden; richtige Löhne sind nur in einer solchen Ordnung möglich. Das Geld nutzt sich ab, seine Verwertungskraft nimmt mit der Zeit ab, am Ende steht das Schenkgeld. Die Lebensdauer des Geldes muss assoziativ begrenzt werden, so wie die Produktionsmittel eine begrenzte Lebensdauer haben. Es braucht Banken für Schenkungsgelder und Banken für Arbeitseinkommen. Im angelsächsischen Raum ringen volks- und weltwirtschaftliche Tendenzen miteinander. Die Weltwirtschaft verlangt nach einer neuen, menschlichen und sozialen Dreigliederung, in der die politischen Intentionen nicht die Wirtschaft beherrschen, sondern das soziale Leben in seiner Ganzheit gestaltet wird. 342) Die religiöse Wirksamkeit in der Gegenwart verlangt eine neue Kraft, eine innere Wahrheit, die nicht aus theologischer Spekulation, sondern aus lebendigem Erleben des Geistigen hervorgeht. Die Zeit stellt uns vor die Aufgabe, das Religiöse nicht mehr bloß als Lehre oder Dogma zu fassen, sondern als unmittelbare Erfahrung, die den Menschen mit dem Geistigen verbindet. Die Predigt, das Wort, hat ihre Kraft verloren, wenn sie nicht aus einer solchen Erfahrung hervorgeht. Denn der Mensch steht heute in einer Welt, die von Naturgesetzen durchdrungen ist, und es fragt sich, wie in dieser naturgesetzlichen Welt noch Platz ist für ethische Impulse, für das Wirken des Geistes. Die Geisteswissenschaft zeigt, dass der Mensch nicht bloß ein Produkt der Naturkausalität ist, sondern dass sich im Menschen das Geistige offenbart, das sich in Freiheit und Liebe äußert. Die religiöse Gemeinschaft kann nicht mehr auf Autorität oder Tradition gegründet werden, sondern muss aus der freien Verbindung von Menschen erwachsen, die gemeinsam das Geistige suchen. Die Dreigliederung des sozialen Organismus, die Trennung von Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben, ist auch im religiösen Leben notwendig, damit das Religiöse sich frei entfalten kann. Die Gemeinschaft, die sich bildet, muss getragen sein von echter Brüderlichkeit, von dem Willen, das Geistige in der Welt zu verwirklichen. Die Jugend verlangt nach einer neuen Form des Religiösen, nach einer Erneuerung, die nicht im Alten verharrt, sondern das Geistige in zeitgemäßer Weise lebendig macht. Die religiöse Handlung, der Kultus, ist unerlässlich, denn ohne kultische Handlung bleibt das Religiöse abstrakt. Der Kultus muss aber einfach sein, aus der inneren Verwandlung des Menschen hervorgehen und das Bildhafte, das Symbolische, das Musikalische in sich tragen. Die Sakramente, die rituellen Handlungen, sind nicht bloß äußere Formen, sondern sie sind Ausdruck der geistigen Realität, die im Menschen lebt. Jedes Sakrament entspricht einer Entwicklungsstufe des Menschen, und im Kultus wird das Geistige unmittelbar erfahrbar. Die Predigt muss aus dem Gemüt, aus dem Willen hervorgehen, nicht aus bloßer Vorstellung. Die Meditation, die innere Sammlung, ist die Vorbereitung für das Predigen, für das Wirken im Religiösen. Das Religiöse kann nicht im Dualismus von Materiellem und Geistigem verharren, sondern es muss das Ineinanderwirken von Leib, Seele und Geist erfassen. Die Trennung von Wissen und Glauben ist zu überwinden; das Geistige muss in das Leben eintreten, so wie es in der Gnosis, im Vaterunser, in der Trinität lebendig ist. Die Aufgabe besteht darin, das Geistesleben zu verselbständigen, damit Religion, Wissenschaft und Kunst in Freiheit nebeneinander bestehen und gemeinsam das Menschliche fördern. 343) Das religiöse Leben der Gegenwart verlangt nach einer neuen Vertiefung, einer Erneuerung, die aus den Quellen der Geisteswissenschaft, der Anthroposophie, geschöpft werden kann. Die alten Formen und Inhalte tragen nicht mehr, sie geben den Menschen keine innere Sicherheit und Kraft mehr für ihre religiöse Aufgabe. Wer heute als Seelsorger wirken will, steht vor der Notwendigkeit, das religiöse Bewusstsein auf eine neue Grundlage zu stellen, die den Menschen in seiner ganzen Wesenheit – Leib, Seele und Geist – erfasst. Das religiöse Empfinden muss wieder zu einer lebendigen Erfahrung werden, nicht bloß zu einer Erinnerung an Vergangenes oder zu einer bloßen Tradition. Es geht darum, dass der Mensch im Innersten seines Wesens eine neue Beziehung zum Christus-Impuls findet, dass er Christus nicht nur als historische Gestalt, sondern als lebendige geistige Realität in sich erlebt. Die Christus-Erkenntnis der Gegenwart verlangt, dass der Mensch sich als geistiges Wesen erkennt, das in der Begegnung mit Christus seine wahre Bestimmung findet. Die Kultushandlung, das religiöse Ritual, darf nicht bloß äußerliche Form bleiben, sondern muss aus einer inneren geistigen Erfahrung heraus gestaltet werden. Das kultische Handeln wird dann zum Träger des lebendigen Geistes, wenn es aus echter Erkenntnis und wahrhaftigem religiösem Empfinden hervorgeht. Die Handlungen des Kultus sind nicht willkürlich, sondern sie wurzeln in den geistigen Gesetzen des Menschseins und der Welt. Sie verbinden den Menschen mit den übersinnlichen Welten, sie führen ihn zu einer Erfahrung der Gegenwart des Göttlichen. Die religiöse Erneuerung muss den ganzen Menschen betreffen. Sie verlangt, dass das Denken, Fühlen und Wollen in eine neue Harmonie gebracht werden. Die Geisteswissenschaft zeigt, wie der Mensch in seinen drei Seelenkräften lebt und wie diese Kräfte durch die religiöse Erfahrung verwandelt werden können. Das Denken wird durchdrungen von der Erkenntnis des Geistigen, das Fühlen wird erhoben durch die Begegnung mit dem Christus, das Wollen wird gestärkt durch die Teilnahme am kultischen Handeln. Die Zeit verlangt, dass der Mensch selbständig, aus freier Entscheidung, den Weg zur geistigen Welt sucht. Die religiöse Gemeinschaft kann nur dann lebendig sein, wenn sie auf dem freien Zusammenschluss von Menschen beruht, die aus innerem Erleben und Erkenntnis zusammenkommen. Die äußere Form muss dem inneren Gehalt entsprechen; die Gemeinschaft lebt aus dem Geist, nicht aus äußeren Satzungen. In der heutigen Zeit ist es die Aufgabe, eine Bewegung für religiöse Erneuerung zu begründen, die aus der anthroposophischen Erkenntnis schöpft, aber nicht die Anthroposophie selbst zur Religion macht. Die Geisteswissenschaft will keine neue Konfession stiften, sondern sie will das religiöse Leben befruchten, indem sie den Zugang zu den geistigen Quellen wieder eröffnet. Die Menschen sollen lernen, das Evangelium als lebendige Offenbarung zu erleben, die Sakramente als reale Begegnung mit dem Geist zu vollziehen. Die Erneuerung des religiösen Lebens ist kein äußerliches Reformwerk, sondern ein innerer geistiger Prozess. Sie verlangt, dass der Mensch sich selbst verwandelt, dass er in sich den neuen Menschen gebiert, der aus dem Geist lebt. Nur so kann das religiöse Wirken in der Gegenwart fruchtbar werden und den Menschen wieder mit dem Göttlichen verbinden. 344) Der Mensch der Gegenwart steht an einer Schwelle, an der das religiöse Leben nicht mehr durch bloße Tradition und äußere Autorität getragen werden kann. Die Seele verlangt nach einer neuen inneren Beziehung zum Geistigen, nach einer Erneuerung des christlichen Lebens, die aus dem Bewusstsein und der Freiheit des Einzelnen hervorgeht. Es ist notwendig, dass das religiöse Erleben wieder zu einer realen Erfahrung des Geistigen wird, dass der Mensch in seinem Innersten den Christus findet und aus dieser Begegnung heraus sein Leben gestaltet. Das Mysterium von Golgatha ist nicht ein vergangenes Ereignis, sondern wirkt fortwährend in der geistigen Entwicklung der Menschheit. Christus ist als lebendige geistige Wesenheit in die Erdentwicklung eingetreten, und es ist die Aufgabe der Gegenwart, dieses Wirken neu zu erfassen. Nicht durch bloßes Nachsprechen alter Glaubensformeln, sondern durch eine wirkliche Erkenntnis und Erfahrung des Christus im eigenen Inneren kann das religiöse Leben erneuert werden. Die Sakramente, insbesondere die Menschenweihehandlung, sind Tore, durch die das Geistige in das irdische Leben einströmen kann. Sie sind nicht bloße Symbole, sondern reale Handlungen, die das Geistige mit dem Physischen verbinden. Die Priesterschaft ist berufen, dieses neue religiöse Leben zu tragen, nicht als eine von außen verliehene Autorität, sondern als eine durch geistige Schulung und Hingabe errungene Fähigkeit, das Geistige zu vermitteln. Die Weihe des Priesters ist ein innerer Prozess, der ihn in die Lage versetzt, als Werkzeug für das Wirken des Christus zu dienen. Die Liturgie, die kultischen Handlungen, die Meditation – sie alle sind Mittel, um die Verbindung zwischen Mensch und Geist zu erneuern und zu vertiefen. Die Gemeinschaft, die sich hier bildet, ist keine neue Kirche im äußeren Sinne, sondern eine Bewegung zur Erneuerung des religiösen Lebens aus dem Geist der Freiheit und des Bewusstseins. Jeder Einzelne ist aufgerufen, seinen eigenen Weg zur Begegnung mit dem Geistigen zu gehen, und doch ist die Gemeinschaft notwendig, um das Geistige in gemeinsamer Handlung zu erleben und zu stärken. Die Aufgaben der Lenker und Oberlenker bestehen darin, die Ordnung und den Zusammenhang der Gemeinschaft zu wahren, nicht durch äußere Macht, sondern durch geistige Führung. Das Ziel ist, dass der Mensch wieder lernt, das Geistige in allem Irdischen zu erkennen, dass er aus der Kraft des Christus handelt und lebt. Die Zukunft des religiösen Lebens liegt in der Verbindung von Erkenntnis und Kultus, von Bewusstsein und Handlung, von Freiheit und Hingabe. Die Zeit ist reif, dass das Christentum in neuer Gestalt, aus der Tiefe des Geistes, geboren wird. 345) Die Zeit, in der wir leben, verlangt eine neue religiöse Vertiefung. Die äußere Kultur, durchzogen von technischen Errungenschaften wie Telegraphen- und Telefondrähten, durchdringt das Seelenleben der Menschen mit ahrimanischen Kräften. Diese Kräfte wirken unbemerkt, sie führen zu einer Verödung der Herzen, die sich nach einer Sprache sehnen, die unmittelbar aus dem Geistigen stammt. Es ist nicht mehr ausreichend, die religiösen Bedürfnisse mit Formen zu stillen, die aus einer anderen Zeit stammen. Die Menschen müssen heute durch eine neue Art des Kultus, durch eine übersinnliche Sprache, ergriffen werden, damit sie in ihrem Innersten berührt und verwandelt werden können. Die Bewegung für religiöse Erneuerung steht in einem notwendigen, aber auch schwierigen Verhältnis zur anthroposophischen Bewegung. Es gilt, innere Wahrhaftigkeit zu entwickeln und die unbewusste Unwahrhaftigkeit der Zeit zu überwinden. Das Geistige muss wieder innerhalb des Naturwissens zur Geltung gebracht werden, damit der Mensch sein Verhältnis zum Kultus neu finden kann. Der Kultus ist nicht bloß äußere Handlung, sondern Sprache der höheren Welten. Wer im Kultus steht, muss sich täglich mit der Menschenweihehandlung beschäftigen, muss sich zum Priesterbewusstsein durchringen, das heißt, sich so verwandeln, dass durch ihn das wirkende Wort zur Tat wird. Das Wort selbst ist schöpferische Kraft. Im Erleben des Wortes „Mensch“ offenbart sich das Wesen des Menschen in seiner dreifachen Gestalt. Die Meditation über das Wort führt dazu, dass sich das Wesenhafte des Menschen erschließt: zunächst das Bild des physischen Menschen, dann das Erleben des inneren Menschen, schließlich das Erfassen des geistigen Menschen. Der Priester steht im Verhältnis zum Sprachgenius, er muss sich in die spirituelle Welt einfühlen, damit das Wort Wahrheit wird und nicht bloß Hülse bleibt. Das Neue Testament ist eine übersinnliche Offenbarung. Die Art, wie das Gottesbewusstsein zu den Menschen kommt, hat sich seit dem Mysterium von Golgatha grundlegend gewandelt. Übersetzungen der Evangelien müssen diesem Wandel Rechnung tragen, sie dürfen nicht bloß den äußeren Sinn, sondern müssen den inneren, geistigen Gehalt erschließen. Am Beispiel des Johannesevangeliums wird deutlich, wie eine neue Übersetzung das Geistige wieder lebendig machen kann. Die Entwicklung der Menschheit verlangt, dass das wirkende Wort neu ergriffen wird, damit der Mensch in der Gegenwart nicht untergeht in den Kräften der Verödung, sondern im Kultus und im Wort die Verbindung zur geistigen Welt erneuert. 346) Die Apokalypse ist das Buch der Zukunft, das den Menschen in Bildern und Symbolen den Weg durch die kommenden Zeitalter weist. Sie spricht zu jenen, die den priesterlichen Impuls in sich tragen, um die Mysterien des Christuswirkens in der Welt zu erfassen. Die Offenbarung des Johannes ist nicht bloß ein prophetischer Text, sondern ein lebendiges Dokument der geistigen Entwicklung der Menschheit. Sie offenbart, wie sich das Verhältnis des Menschen zum Göttlichen wandelt, wie die Transsubstantiation—das tiefste Geheimnis des Altars—durch die Zeiten hindurch verschiedene Gestalten annimmt und in der Zukunft in das Ich des Menschen einziehen wird. Das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende, sind nicht bloß Worte, sondern lebendige Kräfte, die durch die Menschheitsentwicklung wirken. Die Sendschreiben an die Gemeinden sind nicht historische Briefe, sondern sprechen zu den geistigen Kräften, die in den verschiedenen Menschengruppen und Epochen wirken. Die Zahlen der Apokalypse—Sieben, Zwölf, Vierundzwanzig—sind Ausdruck kosmischer Gesetzmäßigkeiten, die sich im Kultus, im priesterlichen Handeln und im Aufbau der Menschheit widerspiegeln. In der fünften nachatlantischen Zeit, in der wir stehen, wird der Mensch sich immer bewusster des Todes als Begleiter, und es wird notwendig, die Apokalypse mit dem Willen, nicht nur mit dem Verstand zu lesen. Das Mysterium der Zahlen, das in alten Zeiten unmittelbar erlebt wurde, ist heute verhüllt; doch es ist Aufgabe der Priesterschaft, das neue Verhältnis zu diesen Kräften zu finden. Die großen Epochen der Erzengel wirken durch die Geschichte, und der Blick des Apokalyptikers reicht bis in das Jahr 333, in dem sich die Möglichkeit eines Abfalls vom Christusprinzip und einer Rückkehr zum Vaterprinzip zeigte. Die Zahl 666, das Tier, das in der Apokalypse erscheint, ist nicht bloß ein Symbol, sondern Ausdruck einer geistigen Realität, die sich in der Geschichte immer wieder geltend macht—so auch in der mohammedanischen Lehre und in den Herausforderungen der Gegenwart. Der Christus ist mit der Sonne verbunden, und so stehen Sonnengeist und Sonnendämon einander gegenüber. Sorat, der Geist der Widerstände, wirkt im Zeichen der 666, und es ist die Aufgabe der Menschheit, sich dem Michael-Mysterium, dem Christus-Mysterium und dem Sorat-Mysterium zu stellen. Die Apokalypse zeigt, wie das Christentum sich nach dem Mysterium von Golgatha weiterentwickelt, wie das Neue Jerusalem gebaut wird, nicht als äußere Stadt, sondern als innerer Zustand der Menschheit. Die Bilder der Apokalypse—das gläserne Meer, die Ausgießung der Zornesschalen, der Sturz Babylons, des Tieres, des falschen Propheten und der göttlichen Gegenmächte—sind Stationen auf dem Weg der Menschheit durch die Prüfungen der Zeit. Die Übergänge von einer Kulturepoche zur nächsten bringen neue Fähigkeiten des Sehens und Erlebens, und das Weib, mit der Sonne bekleidet, kündet von einer neuen Bewusstseinsstufe. Die Posaunenklänge, die in der Apokalypse erschallen, sind Zeichen der großen Umwälzungen, in denen die Rassenentwicklung von der individuellen Entwicklung abgelöst wird. Die Gefahr der neuen Gruppenseelenhaftigkeit, das Hereinbrechen der Intellektualität und das Wirken der satanischen Macht sind Prüfungen, die die Menschheit bestehen muss, um zur Freiheit zu gelangen. Die Apokalypse ist das Einweihungsbuch der neuen Zeit, das den Priestern den Weg weist, wie sie im Kultus, im priesterlichen Wirken, die geistigen Impulse der Zukunft in die Welt tragen. 347) Der Mensch ist ein Wesen, das aus Leib, Seele und Geist besteht. Die Sprache ist ein Ausdruck dieses Wesens, sie ist aus dem inneren Leben hervorgegangen und steht in Zusammenhang mit der Entwicklung des Gehirns, insbesondere der linken Schläfenwindung. Die kindliche Sprachentwicklung zeigt, wie der Mensch durch Nachahmung Laute bildet, wobei Selbstlaute mehr aus dem Inneren, Mitlaute mehr durch Nachahmung der Außenwelt entstehen. Die Verschiedenheit der Sprachen auf der Erde hängt mit den Sternbildern zusammen, unter deren Einfluss die Völker stehen. Das Denken des Menschen ist an den Lebensleib gebunden. Die Ernährung, etwa durch Muttermilch, wirkt auf die Entwicklung des Denkens. Die weißen Blutkörperchen und die Gehirnzellen stehen in einem engen Verhältnis, das für das Bewusstsein entscheidend ist. Im Schlaf ist das Gehirn besonders tätig, aber das Bewusstsein ist ausgeschaltet; dennoch wird im Schlaf gedacht, nur anders als am Tag. Die Atmung steht in engem Zusammenhang mit der Denktätigkeit, und die Art, wie wir träumen, zeigt, wie das Denken in der Nacht weiterwirkt. Der Mensch steht in einem ständigen Verhältnis zur Welt, indem er gestaltet und auflöst. Gedanken entstehen aus dem Abtöten des Lebens im Gehirn, ähnlich wie Kristalle aus dem Erstarren von Flüssigkeiten. Krankheiten entstehen, wenn bestimmte Prozesse zu stark ausgebildet werden, wie bei der Zuckerkrankheit oder bei Rheuma. Die Ernährung und die Wahl der Nahrungsmittel, wie Kaffee und Tee, wirken auf diese Prozesse ein. Das Ichbewusstsein ist an Auflösungsprozesse gebunden. Das Gehirn ist nur dann zum Denken fähig, wenn das Leben in den Gehirnzellen abgetötet wird. Die Leber wirkt als inneres Sinnesorgan, das Wahrnehmungen vermittelt, die nicht durch die äußeren Sinne erfolgen. Die Stoffwechselvorgänge im Menschen sind eng mit der Entwicklung des Menschen im Mutterleib verbunden. Im Alter werden die Organe unbrauchbar, wenn sie zu sehr beansprucht werden, wie das Gedächtnis, das die Organe verhärten kann. Wahres Erkennen ist ein praktisches Tun, das die Wissenschaft lebendig macht. Die inneren Organe, insbesondere Leber und Niere, sind Wahrnehmungsorgane für innere Vorgänge. Die Leber kann als inneres Auge bezeichnet werden, das die Gallenabsonderung steuert. Auch die Tiere denken mit ihren Augen, während der Mensch das Denken ins Gehirn verlegt hat. Die römischen Janusköpfe deuten auf diese doppelte Wahrnehmung hin. Die Ernährungsvorgänge sind nicht nur physisch, sondern auch geistig-seelisch zu betrachten. Die verschiedenen Verdauungsstoffe wie Ptyalin, Pepsin und Trypsin wirken unterschiedlich auf die Nahrung ein. Salz und Phosphor sind die wichtigsten Stoffe im menschlichen Kopf: Salz ist mit dem Denken, Phosphor mit dem Willen verbunden. In frühen Erdzuständen, zur Zeit Lemuriens, war die Erde von Erdschlamm und Feuerluft erfüllt. Riesige Tiere wie Drachenvögel, Ichthyosaurier und Plesiosaurier lebten damals. Die Erde war ein lebendiges Wesen, und die Tiere entstanden aus ihr. Die Entwicklung der Erde ist ein fortwährender Wandel, und die Pflanzen und Tiere sind Ausdruck dieses Werdens. Der Mond war einst Teil der Erde und regt heute noch die Phantasie und die Wachstumskräfte an. Vor dem Austritt des Mondes war die Erde ein einziger Körper mit Sonne und Mond. Die Fortpflanzungskräfte der Tiere und Menschen stammen aus dieser alten Zeit. Die Sonne wirkt als Befruchtungskraft, während der Mond die Entwicklung beeinflusst. Die Erde gibt ihre Kräfte im Winter an die Pflanzen weiter, damit sie im Frühjahr wachsen können. Die Erde war einst ein lebendiger Menschenkopf, der aus dem Weltenraum ernährt wurde. Die Sonne nimmt heute die Rolle der Ernährung der Erde ein, indem sie Kometen aufnimmt. Der embryonale Menschenkopf ist ein Abbild der Erde in ihrem Urzustand. Der Mensch war einst die ganze Erde, und aus ihm entstanden die Tiere. Die alten Mythen, wie die von Adam Kadmon oder Ymir, bewahren dieses Wissen, das im Laufe der Zeit verloren gegangen ist. 348) Der Mensch steht in einem ständigen Austausch mit seiner Umgebung, nicht nur durch die Nahrung, die er aufnimmt, sondern auch durch die Kräfte, die aus dem Kosmos und aus der Erde auf ihn wirken. Krankheit ist nie bloß ein Zufall, sondern Ausdruck eines gestörten Gleichgewichts zwischen diesen Kräften, die im Menschen wirken. Im Kindesalter zeigen sich Krankheiten anders als im späteren Leben, weil die geistig-seelischen Kräfte vom Kopf aus den Organismus durchdringen und gestalten. Wenn diese Kräfte zu stark wirken oder der Körper zu schwach ist, entstehen typische Kinderkrankheiten. Im Erwachsenenalter verschieben sich die Krankheitsursachen: Jetzt sind es oft die Folgen davon, dass der Leib nicht mehr im Gleichgewicht mit den seelisch-geistigen Kräften steht. Das menschliche Ohr ist ein Abbild der ganzen Menschennatur; in seiner Form und Funktion spiegelt sich das Zusammenwirken von Adler, Löwe, Stier und Mensch – den vier Grundkräften, die auch in den Evangelistensymbolen erscheinen. Die Schilddrüse und ihre Hormone sind lebenswichtige Vermittler zwischen den geistigen und leiblichen Prozessen. Die moderne Wissenschaft versucht, durch künstliche Eingriffe Verjüngung zu erzielen, aber wahre Verjüngung entspringt aus der inneren Tätigkeit des Geistes. Das Auge ist nicht bloß ein optisches Instrument, sondern ein kleines Abbild der Welt. Seine Beschaffenheit, die Farbe der Haare, die Sprache der Augen – all das zeigt, wie die seelischen Kräfte auf den Leib wirken. Der Geruchssinn, der beim Menschen schwächer geworden ist als beim Tier, hat sich in höhere Fähigkeiten verwandelt: Mitgefühl, Verständnis, Unterscheidungsvermögen. Die Haut ist ein Sinnesorgan für Wärme, Geschmack und Berührung; sie vermittelt zwischen dem Inneren und Äußeren des Menschen. Im Atmungsprozess lebt die Seele des Menschen. Der Mensch nimmt Sauerstoff auf, gibt Kohlensäure ab, und in diesem Austausch lebt er nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Die Kräfte, die aus der Luft kommen, schützen ihn vor den zerstörenden Einflüssen der Erde. Krankheiten entstehen, wenn das Gleichgewicht zwischen diesen Kräften gestört ist, wenn der Astralleib nicht mehr richtig die Nahrungsstoffe verteilt oder wenn äußere Einflüsse zu stark werden. Fieber und Kollaps sind zwei gegensätzliche Erscheinungen im Krankheitsgeschehen; sie zeigen, wie das seelisch-geistige Wesen des Menschen mit dem Leib ringt. In der Schwangerschaft steigert sich die Tätigkeit des Unterleibs, und das Seelische des Kindes ist mit der vorirdischen Existenz verbunden. Das Gehirn ist nicht der Erzeuger des Denkens, sondern das Instrument, durch das der allgegenwärtige Verstand der Welt im Menschen wirksam wird, ähnlich wie Tiere erstaunliche Fähigkeiten zeigen, die nicht aus ihrem Gehirn stammen. Alkohol, Nikotin und andere Gifte wirken zerstörend auf den Menschen, indem sie die Harmonie zwischen Leib, Seele und Geist stören. Die Wirkung des Alkohols auf das Blut, auf die Nachkommenschaft, auf das Nervensystem ist verschieden je nach Geschlecht und Lebensalter. Die Kräfte, die aus der Sonne wirken, fördern den Verstand, während die Kräfte der Erde die Geschlechtskräfte stärken. Im Tierreich, bei Bibern und Wespen, zeigt sich, wie die Sonnenkräfte das Bauen und das soziale Leben bestimmen. Die Ernährung des Menschen, ob pflanzlich oder tierisch, wirkt auf die inneren Kräfte ein. Pflanzenkost stärkt andere Seiten als tierische Kost. Die Wirkung von Giften wie Nikotin oder Absinth zeigt, wie empfindlich das Gleichgewicht im Menschen ist. Zwillinge entstehen, wenn die Kräfte, die normalerweise einen Menschen bilden, sich teilen. Gesundheit ist das Ergebnis einer fortwährenden Harmonie zwischen den Kräften des Leibes, der Seele und des Geistes, zwischen den Einflüssen der Erde und des Kosmos. Krankheit ist der Ausdruck einer Störung dieses Gleichgewichts. Heilung kann nur gelingen, wenn der Mensch wieder in Einklang mit diesen Kräften gebracht wird, durch Erkenntnis, durch Lebensführung, durch eine auf das Geistige gegründete Medizin. 349) Die Erde ist nicht immer das tote Gestein, als das sie heute erscheint. In urferner Vergangenheit war sie ein lebendiges Wesen, zunächst pflanzenhaft, dann tierhaft, und alles, was wir heute als Gestein, als Glimmer, Feldspat, Kiesel betrachten, sind Überreste dieser alten Lebensformen. Die Kräfte, die heute noch im Gestein schlummern, können, richtig angewendet, Heilkräfte für den Menschen entfalten. Wie der Vogelzug die Verbindung des Lebendigen mit den kosmischen Kräften zeigt, so ist auch der Mensch eingebettet in das große Leben der Erde und des Kosmos. Die Farben, die wir am Himmel erleben – Morgenröte, Abendrot, Himmelsblau –, sind nicht bloß physikalische Erscheinungen, sondern Ausdruck von Lebens- und Bewusstseinsprozessen, die im Menschen selbst fortwirken. Das Blut trägt das Leben, der Nerv das Bewusstsein; im Auge begegnen sich diese beiden Ströme, und so ist das Sehen ein lebendiges Geschehen, das uns mit dem Kosmos verbindet. Die Farbenlehre, wie sie Goethe entwickelt hat, führt tiefer in das Verständnis von Gesundheit und Krankheit als die materialistische Naturwissenschaft. Rot, aus dem Kohlenstoff gewonnen, und Blau, aus dem Sauerstoff, zeigen, wie die Elemente des Lebens in der Farbe weiterwirken. Die alten Hirtenvölker, die noch einen lebendigen Sternenhimmel kannten, wussten um diese Zusammenhänge. Die Verschiedenheit der Menschenrassen offenbart sich nicht nur in der Hautfarbe, sondern in der ganzen Art des Lebens und Denkens. Die weiße Rasse ist dazu berufen, am Geiste zu schaffen, während andere Rassen andere Aufgaben in der Weltentwicklung erfüllen. Die Zukunft der Menschheit verlangt, dass der Mensch aus dem Geiste heraus handelt, nicht bloß aus der Natur. Dante hat noch von einer Welt gesprochen, in der die Erde im Mittelpunkt steht, umgeben von den Sphären des Ätherischen. Mit Kopernikus und Lavoisier begann das naturwissenschaftliche Zeitalter, das die geistigen Zusammenhänge verlor und den Materialismus hervorbrachte. Doch nach dem Tod erlebt der Mensch eine umfassende Erinnerung seines Lebens, und die geistige Welt bleibt ihm nicht verschlossen. Die Gliederung des Menschen in physischen Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich zeigt, wie das Übersinnliche im Menschen wirkt. Gehen, Sprechen und Denken sind Ausdruck dieser Gliederung. Im Tod zieht sich der Ätherleib aus dem physischen Leib zurück, dehnt sich in die Welt aus, und der Mensch lebt eine Zeitlang im Astralleib, bevor er auch diesen ablegt. Der Schlaf ist ein tägliches Hinaustreten aus dem physischen Leib, und der Mensch kehrt zurück, wenn er wieder Sympathie zu seinem Leib entwickelt. Nach dem Tod dauert der Verlust dieser Sympathie ein Drittel der Erdenlebenszeit, dann lebt der Mensch im Astralleib, schließlich nur noch im Ich. Die Gedanken sind nicht bloß im Gehirn, sondern über die Welt verbreitet; der menschliche Leib ist ein Wunderwerk an Weisheit. Bei der Befruchtung wird das Ei zum Chaos, und aus diesem Chaos gestaltet die Seele, die aus der geistigen Welt kommt, den neuen Menschenleib. Die Ähnlichkeit mit Vater und Mutter ist nur ein Teil; das Eigentliche formt sich aus der geistigen Welt. Das Kind lernt in den ersten sieben Jahren Gehen, Sprechen und Denken. Der Ätherleib wirkt im Denken, der Astralleib im Sprechen, das Ich im Gleichgewicht der Gliedmaßen und des Stoffwechsels. Der Traum zeigt, wie sich der Mensch im Laufe des Lebens immer mehr von der geistigen Welt entfernt. Zwischen Tod und neuer Geburt lernt der Mensch das Innere des Leibes kennen, den er sich für das nächste Leben bereitet. In jedem platonischen Weltenjahr durchläuft der Mensch etwa zwölf Erdenleben. Am Ende der Erdenentwicklung wird die Erde sich auflösen, und der Mensch wird sich von ihr befreien. Der Astralleib wirkt im Innern des Menschen, leitet die Bewegungen, und alles, was an Fähigkeiten und Schicksalen in ein neues Leben eintritt, hat der Mensch aus früheren Erdenleben mitgebracht. Die Erinnerung an frühere Leben ist nicht unmittelbar, weil das bewusste Denken erst im Ich verankert werden muss. Die primitiven Völker glaubten an wiederholte Erdenleben, und nur die materialistische Wissenschaft hat dieses Wissen verloren. Wer im jetzigen Leben richtige Gedanken aufnimmt, wird sich in einem späteren Leben richtig erinnern. Die spiritistischen Erscheinungen sind nur ein schwacher Abglanz der wirklichen geistigen Welt, die der Mensch durch die Entwicklung seines Bewusstseins wiederfinden muss. 350) Im Menschen wirken Leib, Seele und Geist zusammen, und ihre Beziehung zur Erde und zum Kosmos ist lebendig und rhythmisch. In den Bewegungen, die der Mensch vollführt, zeigt sich, wie er sich entweder dem physischen Leib, dem Ätherleib oder dem Astralleib anschließt. Im Tanz folgt der Mensch dem Ätherleib, im Turnen passt er sich der Erde an, im Sport unterwirft er sich den physischen Erdenkräften. Doch es braucht auch Bewegungen, die den Menschen wieder mit dem Geistigen verbinden, wie die eurythmischen Bewegungen. Das Denken ist an den Ätherleib gebunden, und nur durch ihn kann wirkliches, lebendiges Denken entstehen, während die heutige Sportbegeisterung den Menschen immer mehr an das Physische fesselt. Das Auge ist ein Sinnesorgan, in dem das Astralische und das Ätherische ineinandergreifen. Krankheiten wie der Star entstehen, wenn der Ätherleib nicht mehr richtig ins Auge hineinwirken kann. Auch in der Erde wirken ätherische und astralische Kräfte, sichtbar in Vulkanausbrüchen und Erdbeben, die mit den Sternkonstellationen zusammenhängen. Pflanzen nehmen das Astralische auf, besonders die Giftpflanzen, und können so auf den Menschen wirken. Der Blutkreislauf ist nicht bloß eine mechanische Pumpe, sondern wird durch den astralischen Leib bewegt. Das Herz ist ein inneres Sinnesorgan, das vom Geistigen durchdrungen wird. Die Farben der Welt, die sich im Regenbogen und im Prisma zeigen, sind Ausdruck der Beziehung der Stoffe zum Kosmos. Eisen im Blut verbindet den Menschen mit dem Mars, andere Metalle mit anderen Planeten. Der Mensch wird von geistigen Wesenheiten begleitet, die ihn von Leben zu Leben führen und ihn warnen können, wenn Gefahr droht. Die seelische Stärke eines Menschen kann auf andere übergehen, besonders wenn diese schwach sind. Im Ätherleib sind wir oft gescheiter als im Bewusstsein. Die Katastrophe des Weltkriegs ist Folge davon, dass die Menschen das Geistige nicht aufnehmen wollten. Die Gestirne wirken auf Erde und Mensch. Außergewöhnliche Wetterlagen, Kältewellen, Vulkanausbrüche und Erdbeben sind Folgen kosmischer Einflüsse. Der Mond wirkt auf das Blut, die Sonne auf das Bewusstsein. Die Entdeckung Amerikas und die Kugelgestalt der Erde haben das Bewusstsein der Menschheit entscheidend verändert. Um in die geistige Welt zu schauen, muss das Denken selbständig werden. Der Mensch muss lernen, rückwärts zu denken und sich so vom physischen Leib zu lösen. Künstliche Langeweile, das Nachdenken über scheinbar sinnlose Sätze, führt dazu, dass das Bewusstsein sich von der äußeren Welt abwendet und für das Geistige öffnet. Die Urteile der geistigen Welt sind entgegengesetzt denen der physischen Welt. Wirkliches Denken ist heute selten, weil die Bildung den Menschen nicht dazu anleitet, das Denken zu üben. Ehrlichkeit im Denken ist unerlässlich, ebenso wie das richtige Atmen und Sprechen. Die Ernährung wirkt auf das Seelische: Kartoffeln machen dumpf, Rote Rüben regen das Denken an, Rettich belebt den Kopf. Der Mensch baut sich aus dem auf, was im Licht um die Erde ist. Im Menschen und in der Erde wirken Rhythmen: Atmung, Lichtaufnahme, Befruchtung. Die Erde atmet Licht, und die Pflanzen werden durch das Licht aus dem Kosmos befruchtet, wie das Wasser durch den Blitz. Der Mensch nimmt durch die Befruchtung die ganze Welt auf. Die Erde lebt in großen Zeiträumen, und wir stehen über der Mitte ihrer Entwicklung. Das Gewissen entsteht im Laufe der Menschheitsentwicklung. In alten Zeiten fühlten sich die Menschen als Göttersöhne, später wurde das Leben nach dem Tode wichtig, und das Gewissen wurde zur Erbschaft des vorirdischen Lebens. Die Kirche verwaltet das Gewissen, doch es stammt aus der geistigen Welt. Im Menschen gibt es Lungen-Wissen und Nieren-Wissen, die mit dem Blutdruck zusammenhängen. Bei zu schwachem Blutdruck werden die Organe nicht richtig gebildet, bei zu starkem altern sie zu schnell. Die Luft bringt den Kopf in Bewegung, und die meisten Menschen sind sich dieser Zusammenhänge nicht bewusst. 351) Im ganzen Kosmos wirkt der Geist, und überall in der Natur begegnet uns sein Wirken. Betrachte ich den Schmetterling, so offenbart sich in seinem Werden eine wunderbare Abfolge von Gestalten: aus dem Ei, das stets Feuchtigkeit und Salz braucht, schlüpft die Raupe, die im Licht lebt, dann folgt die Puppe, die sich von den Erdenkräften abschließt, und schließlich der Falter, der nur noch dem Licht folgt und der Schwere entzogen ist. Im Schmetterlingsflug zeigt sich, wie das Geistige das Leibliche durchdringt, wie das Ich des Menschen mit der Schmetterlingswelt verwandt ist. Ebenso offenbart sich in der Farbe der Tiere, im Inkarnat des Menschen, im Wechsel von Kaulquappe zu Frosch, wie die Naturstufen sich gegenseitig durchdringen. Im Menschenleben hängt vieles vom Stickstoff ab. Kohlenstoff und Stickstoff wirken zusammen, und aus ihrer Verbindung können Gifte wie Blausäure oder Zyankali entstehen. Unsere Bewegungen verdanken wir der Fähigkeit, der Zyankalibildung zu widerstehen. Im Kopf vereinigt sich Kohlensäure mit Eisen, und daraus entstehen Strömungen, die bis zum Mond reichen. Zum Denken brauchen wir den Mond, zum Gehen die Sonnenkraft. Sonne, Erde und Mond waren einst eins, und so tragen wir Stickstoff von der Sonne und Sauerstoff vom Mond in uns. Die Beziehung des Menschen zu Sonne und Mond ist tief und innig. Die Unterschiede zwischen den Menschen der heißen Zonen und denen des Nordens zeigen sich in den Organen: Die Eskimos haben große Lungen, kleine Lebern; die Menschen der Tropen kleine Lungen, große Lebern. Zorn kann das Blut vergiften, und die Sonne fördert die Lebertätigkeit, während in der Lunge die Mondkräfte wirken. Säfte bestimmter Pflanzen können die Tätigkeit von Lunge oder Leber übernehmen. Überall, wo die Sonne wirkt, entsteht Leben; wo der Mond wirkt, entstehen Gestalten. Der Wasserstoff ist allgegenwärtig im Weltenall. Er ist Träger des Lebens, wirkt in der Fortpflanzung, überall, wo neues Leben entsteht. Die Verbindung von Wasserstoff und Soda bringt Licht hervor, und alles Leben entsteht aus ihrem rechten Zusammenwirken. Die Entwicklung der höheren Lebewesen geschieht dadurch, dass das, was draußen in der Welt ist, innerlich wird. Die Wespen sind die feinsten Papiererzeuger der Natur. Kometen tragen Zyansäure in ihrer Atmosphäre, und sie bringen aus dem Weltenall die Kräfte, die dem Menschen die Freiheit schenken. Zum Denken brauchen wir Kohlensäure, zum Wollen Zyansäure. Die Kometen wirken auf das Leben der Erde, und das Michaelsfest ist das Fest der Freiheit, das mit diesen kosmischen Kräften zusammenhängt. Eisen und Natrium wirken im Weltenall und im Menschenleib. Eisen macht den freien Willen möglich, Natrium den Kopf. Chlor verbindet sich mit Wasserstoff zu Salzsäure, die für die Gliederbildung wichtig ist. Mars und Merkur stehen mit Eisen und Chlor in Beziehung. Die Sonnenkraft bringt diese Stoffe im Menschen zusammen. Die Gesundheit der Menschen hängt vom Pflanzenwachstum ab. In allen Lähmungserscheinungen steckt etwas, das mit dem Boden der Erde zusammenhängt. Die Zusammenarbeit von Naturwissenschaft und Heilmethode ist notwendig, um Krankheiten wie Kinderlähmung zu verstehen und zu heilen. Im Bienenstock offenbart sich ein wunderbares Zusammenwirken von Natur und Geist. Die Bienenkönigin bleibt Sonnentier, die Arbeitsbiene ist noch stark Sonnentier, aber schon etwas Erdentier, die Drohne ist ganz Erdentier. Die männliche Befruchtung kommt von den Erdenkräften, die weibliche Fähigkeit, Eier zu entwickeln, von den Sonnenkräften. Der Hochzeitsflug der Bienenkönigin, das Schwärmen, das Bienengift – all das zeigt das Zusammenspiel von kosmischen und irdischen Kräften. Der Bienenstock ist wie ein Menschenkopf, und der Honig wirkt besonders günstig auf alte Menschen und auf rachitische Kinder. In Gegenden mit Bienenzucht gedeihen die Obstbäume besser. Die Biene nimmt Licht und chemische Wirkungen wahr, sie hat eine Art Geruchs-Geschmackssinn. Das Leuchten der jungen Königin, der feine Geruchssinn der Tiere, die Wirkung von Kamillentee bei der Fütterung – all das zeigt, wie fein die Biene mit ihrer Umwelt verbunden ist. Die Wirkung der Honigkuren beruht auf der Kieselsäurekraft, die auch in der Erde wirkt und den Quarz bildet. Stark verdünnter Quarz kann als Heilmittel dienen, wenn Honig nicht vertragen wird. Die Bienen erkennen ihren Vater wieder, und nach seinem Tod verändert sich das Leben im Stock. Die künstliche Bienenzucht hat ihre Nachteile, denn sie stört das natürliche Gleichgewicht. Die Tierkreiszeichen wirken auf die Honigerzeugung, und elektrische Beleuchtung beeinflusst das Verhalten der Bienen. So zeigt sich im Wirken der Bienen und im ganzen Naturgeschehen das Walten des Geistes, der alles durchdringt und dem Menschen die Möglichkeit gibt, sich in Freiheit zu entwickeln, wenn er die Zusammenhänge erkennt und achtet. 352) Im Tierreich offenbart sich, wie die äußeren Schalen und Skelette Ausdruck innerer Kräfte sind. Bei den niederen Tieren liegt das Skelett außen, bei den höheren zieht es sich nach innen, wird durch das Blut aufgenommen und bildet so das feste Gerüst, in dem der Geist des Wesens seinen Sitz findet. Der Elefant etwa erlebt in seinem Gemüt alles, was in seinem Innern vorgeht, und trägt ein starkes Ahnungsvermögen in sich, während der Mensch, indem er dieses Ahnungsvermögen eingebüßt hat, seine Freiheit gewonnen hat. Die Stoffe, die der Mensch in sich trägt, werden nicht einfach von außen aufgenommen, sondern aus dem Weltenall durch die Tätigkeit des Astralleibes hervorgebracht. Arsenik, das in großen Mengen tödlich wirkt, kann in kleinen Dosen als Heilmittel dienen. Die Gifte wirken unterschiedlich im Menschen: Mineralische Gifte ziehen den physischen Leib in den Ätherleib, Pflanzengifte den Ätherleib in den Astralleib, tierische Gifte den Astralleib in das Ich. Der Mensch erzeugt fortwährend selbst Gifte, wie etwa bei Krankheiten wie Diphtherie. Die Auseinandersetzung mit diesen Giften ist ein fortwährender Prozess des Lebens. Die Ernährung des Menschen verlangt, dass Eiweiß vom Ätherleib vollständig verarbeitet wird, während der Astralleib das Ranzigwerden der Fette verhindert und das Ich das Gären von Zucker und Stärke bekämpft. Ein Übermaß an Eiweiß führt im Alter zu Arterienverkalkung, übermäßiger Kartoffelgenuss schadet dem Kopf und fördert materialistische Denkweisen. Die Krankheiten, die daraus entstehen, sind meist Ernährungskrankheiten, und der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Wesensgliedern des Menschen und den Nahrungsbestandteilen ist eng. Im Bau des Auges spiegelt sich das Wirken der höheren Wesensglieder wider. Die individuelle Färbung der Iris, die Erscheinung des Albinismus, die Bleichsucht – all das hängt mit der Verarbeitung von Schwefel und Eisen durch das Ich und den astralischen Leib zusammen. Die Irisdiagnose kann Hinweise auf diese inneren Prozesse geben. Das Wasser der Erde zirkuliert wie das Blut im Menschen. Die Quellen sind die Augen der Erde, und im Kreislauf des Wassers wirkt das Himmlische auf die Erde ein. In der Fortpflanzung und Sinnesorganbildung der Tiere zeigt sich, wie die Kräfte des Kosmos und der Erde zusammenwirken. Im Menschen ist die rechte Körperhälfte mehr von den Himmelskräften, die linke mehr von den Erdenkräften durchdrungen. Der Mensch schützt sich gegen die Einflüsse der Umgebung durch Kleidung, während das Tier durch Fell oder Federn geschützt ist. Die Kleidung des Menschen ist nicht nur Schutz, sondern auch Ausdruck eines inneren Bedürfnisses nach Schmuck und Farbe. Die Entwicklung der Kleidung, von der Toga bis zur modernen Mode, spiegelt die Emanzipation des Menschen von den äußeren Natureinflüssen wider. In den Farben und Formen der alten Trachten lebt noch das Bewusstsein für die geistigen Hintergründe der Kleidung. Arsen und Alkohol wirken im menschlichen Organismus auf verschiedene Wesensglieder. Arsen beeinflusst vor allem den astralischen Leib und die Atmung, während Alkohol das Ich angreift. Der Mensch erzeugt in seinem Leib selbst Alkohol, den er zur Konservierung braucht. Die Lunge ist nicht nur ein Atmungs-, sondern auch ein Ernährungsorgan, und viele Lungenkrankheiten entstehen durch mangelhafte Ernährung der Lunge. Die Verbindung der höheren Wesensglieder mit dem physischen Leib kann durch Substanzen wie Opium und Alkohol gelockert oder zu fest gemacht werden. Die grüne Farbe der Pflanzen, die Farben der Fische, die Streifen an deren Seiten – all das sind Ausdrucksformen dieser inneren Prozesse. Die Lockerung des Äther- oder Astralleibes kann zu besonderen Bewusstseinszuständen führen, während ein zu tiefes Hineinsetzen des Astralleibes in den physischen Leib schwerwiegende Folgen hat. Im menschlichen Organismus vollziehen sich fortwährend Aufbau- und Abbauprozesse. Der physische Leib und der Ätherleib bauen auf, während der astralische Leib und das Ich abbauen. Die Absonderungen des Körpers, wie Schweiß, Urin und Darminhalt, stehen unter dem Einfluss der höheren Wesensglieder, und in ihnen offenbart sich das Geistige im Menschen. Die Gesundheit hängt davon ab, wie diese Prozesse ablaufen, und die alten Heilmethoden wussten um die Bedeutung dieser Absonderungen. 353) Die Menschheit ist in ihrer Entwicklung durch verschiedene Strömungen und Weltanschauungen geprägt worden, die sich in den Kulturen der Inder, Ägypter, Babylonier, Juden, Griechen, Römer, Germanen und in der Entstehung des Christentums und des Islam zeigen. In alten Zeiten lebten die Menschen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der geistigen Welt. Die Inder schauten geistig in den physischen Leib, die Ägypter in den Ätherleib, die Babylonier entdeckten den Astralleib, und die Juden richteten ihren Sinn auf das Ich, das sie als Jahve bezeichneten. Die Atmosphäre, in der der Mensch lebt, wirkt auf seine leiblichen und seelischen Kräfte, wie sich an der Wirkung von Friedhöfen, Lindenbäumen, Walnussbäumen und Weinreben zeigt. Die Griechen erlebten die Natur als göttlich beseelt und schufen daraus ihre Götterbilder, während die nordischen Völker die Naturgeister wahrnahmen. Das Christentum trat in diese Welt ein und brachte eine neue Wahrheit: Der Mensch stammt aus der geistigen Welt und kehrt nach dem Tod dorthin zurück. Christus Jesus, in dem das Sonnenwesen eingezogen ist, hat das, was in den alten Mysterien verborgen war, für alle Menschen sichtbar gemacht. Das Sonnenwort, das er lehrte, ist das zentrale Geheimnis des Christentums. Die Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist wirkt im Menschen als Einheit. Die verschiedenen Ausprägungen des Christentums – das östliche, das römische und das evangelische – haben jeweils andere Schwerpunkte gesetzt, doch das wahre Wesen des Christentums wurde immer weniger verstanden. Die Geschichte Europas ist von der Ausbreitung des Christentums, den Kämpfen mit dem Islam, den Kreuzzügen und der Entwicklung der romanischen und germanischen Sprachen geprägt. Die alten Wissenschaften und Mysterien wurden durch äußere Herrschaft und Materialismus verdrängt. Die großen Feste wie das Osterfest erinnern an die geistige Bedeutung von Tod und Auferstehung und an die Unsterblichkeit der Seele. Die Erde ist ein lebendiges Wesen, und das Osterfest ist der Sieg des Lebens über den Tod. Die Kräfte des Ätherleibes bestimmen die Gesundheit und die Fähigkeit zur Heilung. Die Ägypter balsamierten ihre Toten ein, um die Vernichtungskräfte zu binden, die in einer Mumie wirken. Die Sprache besitzt magische Kraft, und die alten Priester wussten um die Bedeutung der Worte bei den Einbalsamierungsritualen. Die Sternenkräfte wirken auf das Wachstum der Pflanzen, auf die Tiere und auf den Menschen. Der Mond steht mit dem Pflanzlichen, die Sonne mit dem Tierischen und der Saturn mit dem ganz Menschlichen in Beziehung. Die alte Sternenweisheit verband sich mit der Menschenkunde, doch diese Verbindung ging in der neueren Zeit verloren. Die heutige Wissenschaft muss wieder lernen, die geistigen Zusammenhänge von Kosmos, Erde und Mensch zu erkennen. 354) Am Anfang steht die Frage nach der Schöpfung der Welt und des Menschen. Um zu begreifen, wie die Erde und der Mensch wurden, wie sie heute sind, muss der Blick zurückgehen zu früheren, ganz anderen Zuständen. Die Erde war nicht immer so, wie wir sie sehen: Steine, Pflanzen, Tiere, Menschen – all das ist Ergebnis einer langen Entwicklung. Die Steine, die heute als tote Massen erscheinen, sind vergleichbar mit einem Leichnam: Sie sind Überreste eines früheren, lebendigen Zustandes. So wie der Mensch nach dem Tod zum Leichnam wird, so ist auch das, was wir als Gestein sehen, das Tote der Erde, das einst lebendig war. Die Entwicklung der Erde verläuft in großen Stufen, die ich als Saturn-, Sonnen- und Mondenzustand bezeichne. In diesen Zuständen war die Erde noch nicht fest, sondern bestand aus Wärme, aus Luft, aus Flüssigkeit, aus Kräften, die heute nicht mehr unmittelbar sichtbar sind. Der Mensch war in diesen Zuständen schon vorhanden, aber nicht in der heutigen Gestalt. Er war zunächst ein reines Wärmewesen, dann ein Luftwesen, dann ein Wasserwesen. Erst im Erdenzustand verdichtete sich alles so, dass die heutige materielle Welt entstehen konnte. Auch die Entstehung des Menschen ist ein Prozess, der sich durch viele Stufen vollzieht. Der Mensch ist nicht einfach aus Erde geformt worden, wie es in alten Mythen heißt, sondern er ist hervorgegangen aus geistigen Kräften, die sich nach und nach in das Materielle hinein verdichtet haben. Der Mensch trägt heute noch die Spuren dieser Entwicklung in sich: Im Kopf lebt das Alte, das aus der Saturnzeit stammt, im Stoffwechsel das Neue, das sich erst auf der Erde ausgebildet hat. Die Schichten der Erde, die Versteinerungen, die wir finden, sind Zeugen vergangener Zeiten. Sie erzählen von Zuständen, in denen das Leben und die Formen ganz anders waren. Die Pflanzen und Tiere, die wir in den Gesteinen als Fossilien finden, sind Überreste von Lebewesen, die in einer anderen Welt lebten, in einer Welt, in der die Kräfte noch anders wirkten. Die großen Kulturentwicklungen der Menschheit – Lemurien, Atlantis, die alten Kulturen Indiens und Chinas – sind Ausdruck davon, wie sich das Geistige immer mehr in das Materielle hinein entwickelt hat. Die Menschen früherer Zeiten hatten einen anderen Bezug zur Welt, sie standen noch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den geistigen Kräften des Kosmos. Heute ist der Mensch mehr auf sich selbst gestellt, aber er kann durch bewusste Erkenntnis wieder einen Zugang zu diesen Kräften finden. Auch die Ernährung des Menschen ist ein Ausdruck dieser Entwicklung. Was der Mensch isst, wie er sich ernährt, steht in einem Zusammenhang mit seiner ganzen Entwicklungsgeschichte. Die Frage nach Rohkost, Vegetarismus, Kinderernährung, Abhärtung und Düngung sind nicht nur praktische Fragen, sondern hängen mit den tieferen Kräften zusammen, die im Menschen und in der Natur wirken. Die Erde lebt in einem großen Zusammenhang mit dem Kosmos. Die Planeten, die Sterne, die Sonne wirken auf die Erde, auf die Pflanzen, Tiere, Gesteine und auf den Menschen. Die Gerüche, die Witterung, die Gestalt der Erde, die Entstehung des Mondes, der Vulkanismus – all das sind Erscheinungen, die aus dem Zusammenwirken kosmischer und irdischer Kräfte hervorgehen. Der Mensch ist ein Wesen, das zwischen Erde und Kosmos steht, das die Weisheit der Sterne in sich trägt und durch sein Erdenleben zur Entfaltung bringen kann. Anthroposophie will zeigen, wie der Mensch aus dem Geistigen stammt, wie er sich durch die Erdenzeiten hindurch entwickelt hat und wie er durch Bewusstsein und Erkenntnis wieder zur Sternenweisheit gelangen kann. Die Frage nach dem Ursprung des Menschen, nach dem Sinn des Erdenlebens und nach der Verbindung mit den kosmischen Kräften ist der Weg, auf dem der Mensch sich selbst und die Welt verstehen lernt. |